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Was bisher geschah – Ein kleiner Rückblick mit Ausblick Bundegericht, eidgenössisches, Kantonsratswahl, Recht, Verfassungsbeschwerde, Volksinitative

Autor:  Eru-Jiyuka
Wer in den letzter Zeit aufmerksam diesen Blog verfolgt hat, wird gemerkt haben, dass er erstaunlich leer geblieben ist. Ja, das liegt daran, dass ich meine juristischen Artikel mittlerweile auf den Seiten des Bündnis für sinnvolle Rechtssetzung veröffentliche, welche auch unter meiner Verwaltung steht. Aufgrund der Arbeit dafür und der nicht geringen Belastung durch das Studium (ja, auch Sprachen lernen kostet Zeit, wer hätte es gedacht...) habe ich Animexx leider etwas vernachlässigt.

Das sollte eigentlich nicht passieren, ist nun aber halt geschehen. Ich schiebs mal auf meine nicht vorhandene Informationspolitik und gelobe Besserung...
Ich hoffe, ich kann meine Leser, so ich denn noch welche habe, mit diesem Rückblick etwas versöhnen, der einen kleinen Überblick geben soll, was ich in den letzten 7 Monaten so geschrieben habe und was in nächster Zukunft ansteht:


1. Erfolgreiche Beschwerde gegen das Zürcher Polizeigesetz (Bundesgericht)

Spoiler
Am 1. Oktober 2014 hat das eidgenössische Bundesgericht die von mir eingereichte Beschwerde gegen das Zürcherische Polizeigesetz öffentlich beraten und ist dabei zur Erkenntnis gelangt, dass § 32f PolG ZH, welcher die Ausspähung von Internet-Foren ohne richterliche Kontrolle erlaubt hatte, gegen Art. 13 BV, Art. 8 EMRK und Art. 179octis StGB verstösst und deshalb als verfassungswidrig aufgehoben werden muss.

Damit ist mir also das Kunststück gelungen, vor einem nationalen Höchstgericht im schwierigsten Verfahrenstyp überhaupt, nämlich der abstrakten Verfassungsbeschwerde, Recht zu erhalten.

Soviel also zu den „Rechtsexperten“ hier, die meinten, ich verstünde nichts von öffentlichem Recht. Nehmt dass, ihr Unwissenden! Und macht's erst mal besser, bevor ihr weiter rumstänkert. (Und ja, ein Prozess vor dem Bundesgericht zu gewinnen ist schwer, weil das Bundesgericht noch wesentlich seltener aufhebt als das Bundesverfassungsgericht, und schon dort sind die Quoten geglückter Beschwerden nur so um die 2% rum! Kein Wunder also, dass mir nicht nur Kommilitonen, sondern auch Rechtsanwälte zu diesem Erfolg gratuliert haben.)

Alle Unterlagen (138 Seiten!) zu diesem Fall, vom Erlass der Gesetzesnormen an bis zur vollständigen Ausfertigung des Urteils, sowie alle Argumente für und wider der angegriffenen Arikel, die im Laufe des Prozesses vorgebracht wurden, können auf der Seite des Bündnis für sinnvolle Rechtsetzung eingesehen werden: http://bvggchem.twoday.net/stories/bge-140-i-353-dokumentation-einer-erfolgreichen-verfassungsbeschwerde/

Die Dokumentation ist auch deshalb besonders umfangreich, weil ich einmal exemplarisch von A-Z aufgezeigt haben wollte, welche Schritte bei der Beschwerdeführung im Einzelnen konkret zu unternehmen sind, und wie die amtlichen Schriftstücke dazu aussehen. Seltsamerweise steht das, obwohl für die Praxis durchaus nicht unwichtig, nämlich in keinem Lehrbuch beschrieben.

Beim Abfassen der Beschwerde habe ich mich übrigens an das Schema in „Einführung in das öffentliche Recht – Band I“ von MARANTELLI-SONANINI gehalten. Da diese Struktur offenbar, obwohl ursprünglich für die inzwischen obsolete „staatsrechtliche Beschwerde“ entworfen, vom Bundesgericht gerne angenommen wird, kann man das genannte Werk wohl uneingeschränkt weiterempfehlen^^


2. Ungenügender Rechtsschutz bei unwürdiger Behandlung durch die Polizei (Petition geplant)

Spoiler
Ein anderer Artikel beschäftigt sich mit der – von einem Forenpost aufgeworfene – Frage, wie es die Schweiz denn so mit dem Verfolgung von Polizeigewalt hält. Dazu habe ich hier geschrieben: http://bvggchem.twoday.net/stories/zur-durchsetzbarkeit-des-folterverbotes-in-der-schweiz-kurzanalyse/

Auch wenn die Situation als nicht derart dramatisch herausgestellt hat, wie befürchtet wurde, muss doch festgehalten werden, dass der erwähnte Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO durchaus das Potential dazu hat, Grundrechte zu beschädigen, insoweit als der Staat hiermit seine Schutzpflicht verletzt, Folter und ähnlich gravierende Verletzungen des Rechtsguts auf Leben und körperliche Unversehrtheit strafrechtlich zu ahnden.

Dass seither nichts mehr passiert ist, lag hauptsächlich daran, dass mich die Grippewelle voll erwischt und zwischen Anfang Februar bis Mitte März vollständig lahm gelegt hat (im wahrsten Sinne des Wortes, war da nicht zu mehr fähig als Medikamente zu schlucken und zu schlafen, soweit es die Schmerzen zuliessen...).

Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO ist aber noch immer ein Stachel im Fleisch des Rechtsstaates, weil er es erlaubt, die Frage strafrechtlicher Schuld, also eine zutiefst juristische Materie, vom Entscheid eines rein politischen Gremiums abhängig zu machen, das regelmässig nicht aus genügend Juristen, oder zumindest nicht aus genügend kompetenten Juristen besteht, um eine juristisch fundierten Entscheidung treffen zu können. Vielmehr wird in solchen Gremien rein nach politischem Gusto abgestimmt, was in Strafsachen rechtsstaatlich untragbar ist. Der besagte Artikel sollte deshalb bei Gelegenheit abgeschafft werden. Eine entsprechende Petition ist in Planung.

Die Petition, so denn mal formuliert, ist selbstverständlich zur Mitunterzeichnung offen. Wen also auch stört, dass noch immer viele Strafverfahren gegen Polizisten politisch niedergeschlagen werden (können), ist herzlich eingeladen, mitzuzeichnen, ein entsprechendes Formular stelle ich bei Bedarf gerne zur Verfügung.


3. Kandidatur für den Zürcher Kantonsrat (Alternative Liste – AL)

Spoiler
Am 12. April hat das Zürcher Stimmvolk über die Neubesetzung seines politischen Personals im kantonalen Parlament abgestimmt und ich hatte dabei die Ehre, einer der insgesamt 1733 Kandidaten zu sein. Dabei habe ich allerdings lediglich knapp hundert Stimmen erhalten und wurde somit klar nicht gewählt. Man kann jetzt natürlich argumentieren, dass das ein reiner Schuss in den Ofen war.

Ähm... nö, dem ist nicht so. Einen Platz im Kantonsrat zu ergattern, war von Anfang an illusorisch.
Aber, um als willige Schachfigur zu dienen und so einer Partei etwas Aufwind zu verleihen, welche die Grundrechte noch immer als wichtigen Programmpunkt versteht, und deren Vertreter gerade eben noch mehr sinnbefreite Überwachung standhaft abgelehnt haben, hat's dann doch gereicht.

Die AL ist nämlich, nun mit zwei Sitzen mehr (von 3 auf 5) direkt nach der FDP der grosse Wahlsieger geworden. Auch in unserem Bezirk, der weitgehend bürgerlich/religiös dominiert ist, ist es immerhin gelungen, die Stimmen für die AL mehr als zu verdoppeln. Das gab zwar keinen Sitz, ist aber doch ein schöner Achtungserfolg.

Ausserdem konnte ich mir, quasi im Vorbeigehen, das persönliche Vertrauen Markus Bischoffs sichern, sodass wir künftig neben den Piraten eine zweite Partei haben, die uns zuhört und unsere Rechtsverbesserungsvorschläge mit dem nötigen Wohlwollen behandelt.

Selbstverständlich werde ich auch der AL auf die Finger hauen, sollten sie sich dazu versteigen, Unfug in die Gesetzgebung einbringen zu wollen. (Eine konkrete Gefahr sehe ich da allerdings nur für das Bankgeheimnis als Teil der Privatsphäre, und auch die ist eher illusorisch...)

Deshalb habe ich auch darauf bestanden (gut, so viel zu bestehen gab's da gar nicht, denn sie haben erst gar nicht darauf gedrängt...), mit meiner Kandidatur nicht gleichzeitig in die Partei einzutreten.

Ich werde auch weiter Einladungen zur Kandidatur von politischen Parteien annehmen, sofern diese die elementaren Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in unseren Grundrechten zum Ausdruck kommen, anerkennen und sich für deren Umsetzung einsetzen. (für die SVP wärs also im Moment eher schlecht denkbar...)


4. Arbeit: Let's Play, Hacks und Recht (Gastbeitrag für Domtendo)

Spoiler
Der Let's Player Domtendo (ehemals Geilkind), hat in seinem Video zur Super Mario 64 HD Tech Demo eine äusserst spannende Rechtsfrage aufgeworfen, nämlich danach, ob, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen sogenannte Hacks, also von Fans erstellte, modifizierte Varianten bekannter Computerspiele, urheberrechtlich zulässig sind.

Darüber hinaus hat er sich, in einem früheren Video zu Mario Kart 8 Online, über das Nintendo Creators Programm, ein m.E ziemlich obskures Vertragsmachwerk dass in Sachen Rechtsgültigkeit EAs Origins-AGB-Vertrag in nichts nachsteht, stark ablehnend geäussert, was mich auf die Idee brachte, mal zu untersuchen, was eigentlich die gegenwärtige Rechtslage im Urheberrecht generell so zum Thema Let's Plays meint.

Da es schade wäre, wenn das dann hinterher kaum jemand liest, wenn ich mir schon extra die Mühe mache, habe ich Domi-kun angeschrieben und gefragt, ob er einen solchen juristischen Beitrag erwähnen und verlinken würde. (Ich hab dabei auch versucht, ihm den Unsinn mit der Berufung auf die Meinungsfreiheit auszutreiben. Ob ich's geschafft hab, bin ich noch nicht so ganz sicher...)

Nun, er hat zugestimmt, also bin ich momentan fleissig am Urheberrechtsbücher wälzen^^
Der Rechtskomplex der freien Bearbeitung ist nämlich ein äusserst spannender, den ich mir eigentlich für die Masterarbeit aufsparen wollte, doch dann kam ja Lanzarote dazwischen... Deshalb hier dann dargestellt am Beispiel von Let's Plays statt wie mal geplant, von Doujinshis.

Ich rechne mit einem Abschluss der Arbeit gegen Ende Mai.

Auch wenn schliesslich daraus „nur“ zwei schlanke allgemeinverständliche Leitfäden mit konkreten Hinweisen auf Erlaubtes und Verbotenes werden sollen, bedarf der theoretische Unterbau, der dogmatisch richtig untersucht und nach Lehre und Rechtsprechung begründet werden will, halt relativ viel Zeit.

Dafür dürften wir dann aber auch fürs erste mal abschliessend geklärt haben, wie die Rechtslage der von Computerspielen abgeleiteten Werke genau aussieht, und das ist ja auch was von Wert...


5. Abschaffung der Menschenrechte (EMRK) in der Schweiz gefordert (Selbstbestimmungsintiative)

Spoiler
Erinnert sich noch jemand daran, dass ich bei Lanzarote angemerkt hatte, dass das nur der Beginn für eine kommende, diktatorische Entwicklung des Rechts darstellt? Auch diese Prophezeiung hat sich mittlerweile erfüllt. Nun haben wer den Salat.

Mit der sogenannten „Selbstbestimmungsinitiative“, ein Name, der inhaltlich kaum falscher sein könnte, versucht die SVP, unsere Verfassung zu ändern oder eigentlich eher, in ihren Grundfesten auszuhebeln. Das Problem liegt konkret in einer auf den ersten Blick relativ harmlos klingenden Änderung, nach dem Art. 190 BV so geändert werden, dass künftig nicht mehr „Völkerrecht“ sondern nur noch „völkerrechtliche Verträge, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat“ für die Gerichte als anwendbares Recht gelten soll.

Verträge, welche diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sollen schliesslich, so will es die Änderung von Art. 56a BV, gekündigt, also auch ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung enthoben werden.

Nun muss man dazu wissen, dass die europäische Menschenrechtskonvention, obwohl schon 1950 beschlossen, in der Schweiz erst relativ spät, nämlich 1974, ratifiziert wurde und dass diese Ratifizierung aufgrund der grossen allgemeinen Zustimmung im Parlament mit einem einfachen Bundesbeschluss vollzogen wurde, der seinerseits nicht dem Referendum unterstellt wurde, offenbar nur deshalb nicht, weil niemand daran dachte, dass es gegen die Menschenrechte ernsthafte Opposition geben könnte.

Ob das damals demokratisch gesehen wirklich so toll war, ist eine andere Frage, jedenfalls hat die SVP der EMRK selbst freudig zugestimmt
(«Die Fraktion ist der Auffassung, dass die Menschenrechtskonvention, ein wirksameres Mittel darstellt, um dem Gedanken an ein geeintes Europa zu dienen.» und dass «wir durch die Ratifizierung der Konvention ein Bollwerk gegenüber den Staaten setzen sollen, die die Menschenrechte mit Füssen treten.», so Elisabeth Lardelli, damalige Fraktionssprecherin der SVP), sodass die Berufung auf das fehlende Referendum als Demokratiedefizit jetzt zumindest treuwidrig im Sinne des Widerspruchs zum früheren Verhalten (venire contra factum proprium) ist.

Das Hauptproblem liegt denn auch in einem grundlegenden Denkfehler der SVP. Sie gehen davon aus, (oder behaupten dies zumindest), dass ihre Initiative die Volksrechte stärken und die Grundrechte nicht behelligen würde. Beides ist schlicht falsch.

Man stärkt die Volksrechte nicht dadurch, dass man sie dem Volk entzieht. Muss das Parlament nicht mehr befürchten, dass ihre Beschlüsse von richterlichen Behörden überprüft werden können, so besteht natürlich irgendwann auch kein Anreiz mehr, die Beschlüsse vom eigenen Volk überprüfen zu lassen. Dass die SVP auch überhaupt kein Problem damit hat, Volksrechte abzubauen, zeigte sich etwa 2012 bei der Abschaffung des konstruktiven Referendums, die massgeblich von der SVP vorangetrieben wurde und (darum?) letztlich leider erfolgreich war.

Aber auch die Argumentation über die Grundrechte ist verfehlt. Zwar sind diese auch in der Bundesverfassung gewährleistet, doch ist aufgrund des Anwendungsgebots von Art. 190 BV dem Bundesgericht ja gerade NICHT möglich, die eigenen Grundrechte auf das eigene Bundesrecht anzuwenden, weshalb es sich überhaupt erst der Krücke mit der Anwendung der höherstehenden Menschenrechte der EMRK behelfen muss.

Es ist auch sehr bedauerlich, dass die SVP die Chancen der EMRK, gerade für eine EU-kritische Partei nicht sieht. Nicht nur, dass es möglich wäre, die nationale Ausgestaltung unliebsamen EU-Rechts zum Gegenstand einer Staatenbeschwerde gem. Art. 33 EMRK zu machen, liessen sich auch viele unnötige Bürokratienormen, die aufgrund unvernünftiger EU-Richtlinien (*hust* europäisches Chemikalienrecht *hust*) erlassen werden, mit Hilfe der EMRK schlicht und einfach effektiv wegklagen, gäbe es denn die Möglichkeit eines solchen abstrakten Verfahrens, welches die SVP seit Jahrzehnten offenbar aus Angst vor den eigenen Richtern verhindert.

Dass die EMRK der SVP deshalb nicht nur helfen könnte, ihre (verfassungskonformen) politischen Ziele zu erreichen, sondern auch noch dabei nebenbei Wählerstimmen zu sammeln, das merken sie in ihrer blinden Wut gegenüber den „fremden Richtern“ offenbar gar nicht.

Das Resultat der „Selbstbestimmungsinitiative“ wäre jedenfalls, dass mit dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine wichtige Kontrollinstanz für Menschenrechtsverletzungen in der Schweiz wegfallen würde.

Die EMRK müsste gekündigt werden, was – weil sie Grundbedingung für den Eintritt ist – gleichzeitig bedeuten würde, dass die Schweiz aus dem Europarat auszutreten hat.

Zudem fällt der Grundrechtsschutz auf Bundesebene völlig dahin, weil dieser zur Zeit nur durch die ERMK gewährleistet ist.


Damit wäre die Schweiz dann rein rechtsstaatlich gesehen in etwa auf einer Stufe mit 中国|China, einem Staat mit dem wir als aufrechte Demokraten sonst zu recht nicht besonders gerne verglichen werden.

Und ja, wir reden hier tatsächlich über ALLE Menschenrechte, also namentlich:
- Recht auf Leben
- Verbot der Folter
- Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
- Recht auf Freiheit und Sicherheit
- Recht auf ein faires Verfahren
- Keine Strafe ohne Gesetz
- Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
- Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
- Freiheit der Meinungsäußerung
- Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
- Recht auf Eheschließung
- Recht auf wirksame Beschwerde
- Diskriminierungsverbot
- Verbot der Todesstrafe
- Non-Refoulement-Gebot
- Garantie der Rechtsmittel in Strafsachen
- Recht auf Entschädigung bei Fehlurteilen
- Verbot der Doppelbestrafung
- Gleichberechtigung von Ehegatten.

Da das Recht auf Leben, das Verbot der Folter und der Todesstrafe sowie das Non-Refoulement-Gebot mittlerweile wohl überwiegend als zwingendes Völkerrecht angesehen werden, besteht allerdings die Chance, dass zumindest solche krasse Menschenrechtsverletzungen auch zukünftig dem Bundesparlament nicht erlaubt sein sollen, hält doch auch die Initiative fest, dass im geänderten Art. 5 Abs. 4 BV zumindest der Vorbehalt des zwingenden Völkerrechts gewährleistet sein soll. (Allerdings hatten wir erst vor kurzem ein Versuch zur Einführung der Todesstrafe! -> https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis392t.html)

Sicher ist aber nicht einmal das. Wie soll denn das Bundesgericht das zwingende Völkerrecht anwenden, wenn ihm die Arbeit mit denjenigen Verträgen, welches dieses als Recht verbriefen, versagt ist? Natürlich ist es möglich, das als Richterrecht sui generis (und dann contra legem) zu entwickeln, doch sinnvoll begründbar ist das nicht, wenn doch schon ein Vertrag besteht, der eine intra legem Auslegung ohne weiteres ermöglichte...

Insofern wird mit der „Selbstbestimmungsinitiative“ auch die Rechtsfindungsreihenfolge nach Art. 1 Abs. 1 ZGB auf den Kopf gestellt.

Insgesamt gesehen liegt in dieser Initiative damit die grösste akute Bedrohung für die Menschenrechte seit dem Fichenskandal (1990) und dem Propagandabeschluss des Bundesrats (1948) und es ist zwingend erforderlich, dieser Bedrohung eine rechtsstaatliche Alternative entgegenzustellen. Dazu gleich mehr...


6. Eigene Initiative zum Schutz der Menschenrechte (Grundrechtsinitiative, Konzeptionsphase)

Spoiler
Wo die Politik versagt, müssen die Bürger selbst dafür sorgen, dass ihre elementaren Rechte gewahrt werden. Damit dies demokratisch erfolgt, werden wir selbst eine Volksinitiative ausarbeiten, die grundrechtsfreundlich ist und die Rechte des Bürgers angemessen erweitert, gegen Menschenrechtsverletzungen des Staates vorzugehen.

Die Initiative soll bewusst nicht kompetitiv, sondern ergänzend zur „Selbstbestimmungsinitiative“ angelegt werden, sodass selbst im Wurst-Käse-Fall, also bei Annahme der SVP-Initiative durch unsere Hilfe ein Rest Rechtsstaat verbleiben kann.

Insofern sind also auch SVP-Anhänger und Politiker herzlich eingeladen, die kommende Grundrechtsinitiative zu unterzeichnen und zu unterstützten, geht es doch schliesslich auch um ihre Menschenrechte!

Zeitlich ist angedacht (hängt neben der persönlichen Arbeitsbelastung auch ein bisschen davon ab, wie lange die Vorprüfung durch die Bundeskanzlei dauern wird...) die Initiative Mitte bis Ende Juni zu lancieren. Der Beginn der Unterschriftensammlung dürfte dementsprechend wohl auf Anfang Juli fallen.

Über alle weiteren Schritte zur Grundrechtsinitiative wird hier selbstverständlich beizeiten ausführlich berichtet werden. Auch die Unterschriftenliste und das dazugehörige Argumentum werden wir so online zugänglich machen.


7. Das Rachepornourteil (Bezirksgericht Lenzburg)

Spoiler
Das Bezirksgericht Lenzburg hat am 23.04.2015 eine Strafsache verhandelt, in welcher es u.a darum ging, wie sogenannte „Rachepornos“ strafrechtlich zu qualifizieren sind. Weil mich das Urteil und die nachfolgende Berichterstattung ein gaaanz klein bisschen geärgert haben, gibt es dazu nun folgende Zeilen zu lesen...

Erstmal: Darf ich anmerken, dass der Begriff „Racheporno“ äusserst unsinnig ist? Den packt man am besten zu den – ebenfalls unsinnigen – Begriffen „Killerspiel“ und „Raubkopie“ in eine grosse Kiste, schliesst sie ab, wirft sie in den nächstbesten See und löst den Schlüssel vorsorglich in Salpetersäure auf...

-> ach nein, das darf man ja bald auch nicht mehr, denn schon der Besitz von Salpetersäure (und noch harmloseres) wird 2016 für „Mitglieder der Allgemeinheit“ zur Straftat...

Wo war ich? Ach ja, bei der Begriffskritik. Das Problem ist, dass dieser Begriff, der es bedauerlicherweise schon in einige Rechtsordnungen geschafft hat, das eigentliche Rechtsproblem nicht wiedergibt. Wie so oft ist das Problem – obwohl sich die Medienberichterstattung daran aufgehangen hat – kein sexuelles, denn die sexuelle Integrität der Beteiligten wird durch die Aufnahme einvernehmlichen sexueller Handlungen schon rein logisch natürlich nicht berührt.

Das Problem ist vielmehr eines des Persönlichkeitsrecht, denn als Privatperson habe ich den grundrechtlich geschützten Anspruch darauf, selbständig bestimmen zu dürfen, wer über welche meiner Lebenssachverhalte wieviel wissen darf. Dies gilt insbesondere bei „heiklen“ Themen wie der Sexualität, die zweifellos zur persönlichkeitsrechtlichen Intimsphäre zu zählen ist und deshalb besonderen Schutz gegenüber Ausspähung bedarf.

Verletzt jemand dieses Selbstbestimmungsrecht, so wird er dafür folgerichtig bestraft.

Der richtige Begriff wäre i.c. also „unerlaubte Veröffentlichung intimer Tatsachen“, dem das Rechtsgut der Persönlichkeit (und nicht der Ehre!) zugeordnet ist. Soweit das Bezirksgericht dann ausführt: „Pornografie ist an sich nicht ehrverletzend“, liegt es damit fraglos richtig.

An Pornographie als solches ist nämlich nichts böses, ich sag das gerne immer wieder^^
(Und freue mich jetzt schon auf alle, die von diesem Eintrag genau nur diesen einen Satz lesen...)

Jedenfalls ist trotzdem nicht nur der Begriff sondern auch das Urteil falsch. Warum dem so sein muss, kann meinen Anmerkungen zum „Eistee“-Fall entnommen werden, an dieser Rechtslage hat sich nichts geändert.

In diesem Sinne muss allen Beteiligten (ausser dem Verteidiger) eine Tischplatte zum Anbeissen gereicht werden, denn eigentlich hat hier jeder versagt:

Der Staatsanwalt dadurch, dass er Art. 179quater StGB nicht (auch) zum Gegenstand seiner Anklage gemacht hat;

Der Geschädigtenanwalt dadurch, dass er eine mangels ehrverletzender Tatsachenbehauptung völlig unzutreffende Norm, nämlich das Verbot der üblen Nachrede nach Art. 173 StGB anwenden wollte;

Das Gericht dadurch, dass es die Anklage nicht nach Art. 329 StPO zur Verbesserung zurückgewiesen hat;

Die Politiker, weil sie Gesetze fordern, die wir seit 46 Jahren haben und die lediglich mal bekannt gemacht und angewendet werden müssten;

Die Gesellschaft, weil hier ein Straftäter weitgehend unbehelligt geblieben ist, obwohl es einen klaren Rechtsgrund für seine (weitergehende) Verurteilung gegeben hätte;

Und schliesslich ich, weil ich die Zeit verschwende, über den Fall zu berichten, anstatt etwas sinnvolles zu tun, wie etwa Hearthstone zocken gehen^^


8. Das Facebook Urteil (Bundesgericht)

Spoiler
Kommen wer damit schliesslich noch zu einem weit wichtigeren Urteil, das (hoffentlich) mindestens die selbe weit wirkende Reichweite erlangen kann wie das von mir erstrittene. Der Fall ist auch ähnlich alt wie meiner, wobei der Betroffene hier durch drei Instanzen durch musste, um Recht zu erhalten, im Gegensatz zu meinem erstinstanzlichen Sieg vor Bundesgericht.

Zum Fall: Am 22. März 2012 hat ein Maturand auf Facebook aus Verärgerung darüber, dass ihm niemand zu seinem Geburtstag gratuliert hat, seinen 290 Freunden folgenden Text gesendet ->„Freut sich heute niemand, dass ich geboren worden bin. Ich schwöre, ich zahle es euch allen zurück!!! Es ist nicht eine Frage der Höflichkeit, sondern von Respekt und Ehre. Ich vernichte euch alle, ihr werdet es bereuen, dass ihr mir nicht in den Hintern gekrochen seid, denn jetzt kann euch niemand mehr schützen ... Pow!!!! Pow!!!! Pow!!!!“

Zweifellos keine hohe Lyrik oder sonst irgendwie hochstehend noch sinnvoll, für die Umgangsformen im Internet aber doch eine relativ „normale“ Äusserung, wie sie so oder gar härter wohl täglich mehrfach vorkommt.

Das sah ein Mitglied der Zürcher Staatsanwaltschaft – wer hätte es gedacht – allerdings ganz anders und stellte einen Strafbefehl wegen Schreckung der Bevölkerung gem. Art. 258 StGB aus. War wohl ein „Neuland“-Beamter...

Jedenfalls, der Maturand wollte den Strafbefehl nicht anerkennen, hat Widerspruch eingelegt und... wurde vom Einzelrichter verurteilt. So weit, so schlecht, aber noch nicht wirklich besonderes skurril.

Interessant ist, was nun kommt. Nicht nur, dass der Betroffene 21 Tage in Untersuchungshaft schmoren durfte, wofür mir bei der Verfolgung eines Äusserungsdelikts nun beim besten Willen kein Grund einfällt, es wurde auch ein psychologisches Gutachten angefertigt, das zwar bestätigt hatte, was der Maturand seit Beginn des Verfahrens ausgesagt hat, nämlich das er keineswegs in irgendeiner Form gefährlich ist, ihm aber dann im Berufungsprozess vor dem Obergericht trotzdem in voller Höhe als Kostenfolge zur Last gelegt wurde. (Wohlgemerkt, wir sprechen hier von Kosten in Höhe von 12'000 Franken, was für einen Maturanden, der (noch) kein eigenes Einkommen aufweisen kann, natürlich mehr als ruinös ist.)

Das Obergericht hat es in einem bemerkenswert blödsinnigen Entscheid, geschafft, nicht nur an den Rügen der Verteidigung und der zitierten Rechtsprechung, sondern auch am Fall sachlich vollkommen vorbeizuschreiben und damit die unnötigen Kosten auf 18'000 Franken erhöht.

Dass dagegen die Beschwerde ans Bundesgericht ergriffen werden musste, war aus juristischer Sicht klar. Es ist dann zum Glück auch tatsächlich erfolgt. (Fragt mich bitte nicht mit welchen Geldmitteln, ich hab keine Ahnung...) Das wohl nicht nur der offensichtlich unhaltbaren finanziellen Situation des Beschuldigten wegen, sondern auch deshalb, weil das Urteil des Obergerichts noch löchriger ist als unser im Ausland angeblich so beliebter Käse.

Nun, auch das Bundesgericht hatte offenbar Appetit und hat das Urteils des Obergerichts mit Entscheid vom 08.04.2015, der am 29. April veröffentlicht wurde (und noch als Leitentscheid publiziert werden wird) genüsslich zerfetzt.

Mit der Abgrenzung zwischen öffentlich und privater Äusserung haben sie sich dabei gar nicht erst aufgehalten.
Denn, so das Bundesgericht, darauf kommt es überhaupt nicht an. Schliesslich steht in Art. 258 StGB nicht „Öffentlichkeit“ sondern „Bevölkerung“ als Tatbestandsmerkmal und das darf man nicht einfach überlesen oder miteinander gleichsetzen.

Solange man sich dabei nicht an die Bevölkerung wendet, darf man also auch öffentlich Angst und Schrecken verbreiten, was m.E aufgrund der EGMR-Rechtsprechung zum Schutz „irgendeines Teils der Bevölkerung verletzenden“ Äusserungen nach Art. 10 EMRK zwar durchaus richtig ist, sich als Erkenntnis eines Bundesgerichtsurteils aber doch zumindest interessant liest.

Jedenfalls hielt das Bundesgericht weiter fest, dass das Obergericht Tatbestandsmerkmale des Rassendiskriminierung nach Art. 261bis StGB mit dem hier in Frage stehenden Art. 258 StGB (Schreckung der Bevölkerung) verwechselt hat und deshalb eine fehlerhafte Prüfung des objektiven Tatbestands vornahm. Das dies nicht Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung sein durfte, und diese daher aufgehoben werden musste, liegt auf der Hand.

Die Bundesrichter weisen dem Obergericht sodann, unter anderem mit Verweis auf den DUDEN, die Brockhaus Enzyklopädie und Meyers Lexikon auch noch nach, dass es den Begriff der „Bevölkerung“ nicht einmal im Ansatz begriffen hat, und stellen abschliessend fest, dass:

„Hingegen kann der Personenkreis, mit welchem der Urheber einer Äusserung durch Freundschaft oder Bekanntschaft im realen oder virtuellen Leben verbunden ist, nicht als "Bevölkerung" im Sinne von Art. 258 StGB angesehen werden, zumal hier ein Bezug zu einem bestimmten Ort fehlt.“ [E. 2.3.4 Satz 4]

Entgegen der Berichterstattung, die nicht mal das Urteil richtig lesen kann (das Bundesgericht hat an keiner Stelle nahegelegt, eine Verurteilung wegen Drohung nach Art. 180 StGB sei möglich, eigentlich sagt [E. 2.1] es sogar genau das Gegenteil, weil keine erfolgte Drohung vorliegt, ist überhaupt nur Schreckung der Bevölkerung als Sonderfall denkbar), hat dieser Entscheid sehr wohl Fernwirkung, denn er entwickelt den rechtsstaatlichen Schutz der Freiheit im Internet weiter.

Nicht nur, dass das Bundesgericht mit diesem Entscheid einmal mehr eine Meinungsäusserung im Internet schützt, es stellt auch klar, dass der Entscheid des Obergerichts keinen Freibrief für die Staatsanwaltschaften zum Abschuss von Internet-Kommentaren darstellen kann, sodass künftige Strafbefehle, die sich auf angeblich strafbare Äusserungen im Internet beziehen, deutlich besser begründet werden müssen, wollen sie denn rechtsgültig sein.

Auch Rechtsanwälte hat der Fall übrigens aufs Glatteis geführt: RA Steiger hat sich im Laufe dieses Verfahrens schon mal medienwirksam dazu verstiegen, zu behaupten, man müsse vor jedem Posting im Netz erst einmal die innere Schere im Kopf anwerfen und ist erst jetzt umständlich und auch nur teilweise zurückgerudert. Dass in diesem Fall ausgerechnet der PC-Tipp die fundierteste Meinung gedruckt hatte, erstaunt mich persönlich immer noch...

Übrigens wäre dieser Fall ein gutes Argument dafür, Art. 258 StGB ersatzlos zu streichen, wenn er denn wie hier belegt statt zum Abwehr von Terror doch nur zur Medienzensur und zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung durch unnötige psychologische Gutachten dienen soll...

Soweit erst mal davon. Ich hoffe, es war wenigstens teilweise interessant, und nicht allzu ermüdend zu lesen. Sollte das Anklang finden und gewünscht sein, kann ich auch gerne – dann etwas regelmässiger – in diesem Stil weiter kurz darüber berichten, was sich in 政界と法律, also in der politischen Welt und der Rechtsordnung jeweils so ereignet. Meinungen dazu bitte in die Kommentare^^

Referendum zur Lanzarote-Konvention lanciert – bitte zahlreich unterschreiben^^ eidgenössisches, Grundrechte, Mangas, Recht, Referendum

Autor:  Eru-Jiyuka
So, nun endlich, eigentlich viel zu spät (die amtliche Veröffentlichung datiert vom 08. Oktober 2013) sind die Formalitäten auch mal erledigt, sodass das L. nun die fertig ausgearbeitete Unterschriftenliste gegen die Umsetzung der Lanzarote-Konvention präsentieren kann:
http://static.twoday.net/BVggCHEM/files/ReferendumsbogenLanzarote.pdf

Wer das offizielle Argumentum sehen möchte, bitte hier entlang:
http://static.twoday.net/BVggCHEM/files/ArgumentumLanzarote.pdf

Um zahlreiche Unterschrift wird gebeten, es hilft dem Rechtsstaat und der Kunstfreiheit^^
(Allerdings können nur Schweizer Bürger unterschreiben, welche 18 Jahre oder älter sind. Formalkram halt. Bitte berücksichtigen, ungültige Unterschriften machen nur mehr Arbeit beim hinterher raussortieren...)
Den Weblog hier empfehlen kann, darf und soll aber natürlich jeder gerne, der das hier liest^^

Nur nochmal: Das hier ist KEINE Lappalie. Es handelt sich hierbei um ein veritables Literaturverbotsgesetz, welches jedem demokratischen Rechtsstaat unwürdig ist. (Es sei daran erinnert, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft schon Wedekinds „Frühlings Erwachen“ [Drama von 1891!, mittlerweile anerkannte Schullektüre] für verbotene Pornographie hält!)

Mittlerweile haben drei Strafrechtsprofessoren und ein Menschenrechtsanwalt bestätigt, dass dieses Gesetz eine akute juristische Bedrohung darstellt, namentlich aufgrund der Änderung der Schutzaltergrenzen, den unklaren Begrifflichkeiten „Entgelt“ und „nicht tatsächlich“, dem faktisch nutzlosen Kulturvorbehalt, der Einzelfallprüfung normalen jugendlichen Verhaltens, der Strafbarkeit für unwissentlichen Zugriff auf strafbares Material, sowie fehlendem Rechtsgüterschutz und fehlerhafter Begründung. (Die Namen gibt's auf begründete Nachfrage, sie tun aber eigentlich nichts zur Sache...) Dieser Ansicht hat sich auch der Präsident der lokalen Piratenpartei (zugleich Vizepräsident der Schweizer Partei) angeschlossen, der dankenswerterweise dazu bereit war, dem Referendumskomitee beizutreten.

Es geht eben tatsächlich nachhaltig darum, das alte Sittlichkeitsrecht
(Art. 203 aStGB, Art. 204 aStGB, Art. 212 aStGB), welches mit dem Auftritt der Sittlichkeitsvereine am Ende des 19. Jahrhunderts begann, und glücklicherweise Ende des 20. Jahrhunderts endlich wieder abgeschafft wurde, nun erneut in der Schweiz zu etablieren, samt allen dessen schrecklichen Folgen. (massenweise Filmzensur, Eingezogene Schriftenreihen, Schreddern ganzer Magazinreihen zu Altpapier [etwa: Playboy], Beschlagnahme von Gemälden aus Kunstausstellungen in Museen, Anklagen wegen Religionskritik als „unzüchtige Schrift“, Vernichtung übersetzter chinesischer Kunst aus dem 17. Jahrhundert, am Zoll abgefangene Elfenbeinschnitzereien und japanische Kupferstiche von historischem Wert als „obszöne Konterbande“)

Wer eine genaue Übersicht darüber möchte, was damals hier los war, dem sei folgendes Werk dringend ans Herz gelegt: Obszönes vor Bundesgericht (Es ist vergriffen, aber die Bibliotheken führen es noch... Ob das auch schon wieder von „Lanzarote“ umfasst ist (etwa wegen den Zeichnungen), ist unklar, es steht aber zu befürchten -.- Bibliotheken haben ohnehin sehr viel, was sie eigentlich nicht besitzen dürften *hust*. Aber das wird mit dem neuen RFID-System sicher besser, weil man nun endlich zu jeder Zeit feststellen kann, wer wann welches Buch wo mit sich herumträgt... Dann wird man diesen ganzen Schund, der da noch rumliegt, sicher bald entsorgt haben.
Schöne neue Welt, nicht wahr? [S. 9ff.])

Selbst die Befürworter des Gesetzes stimmen dem L. zu, dass es überflüssig und rechtswidrig ist. So wörtlich Natalie Rickli im Parlament:
Die SVP-Fraktion ist für Eintreten und stimmt der sogenannten Lanzarote-Konvention zu, auch wenn die Schweiz die Anforderungen dieser Konvention bereits weitestgehend erfüllt und ein Beitritt dazu gar nicht nötig wäre. Die Konvention verletzt zudem teilweise das Territorialitätsprinzip, was aufgrund der Schwere der Delikte aber vertretbar ist.
(Quelle: http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4910/412452/d_n_4910_412452_412453.htm)
Wie man dann bei dieser Meinung zustimmen und gar noch eine Verschärfung des selbst für unsinnig erklärten Gesetzes fordern kann, erzieht sich m.E jedem möglichen Verständnis. Aber das sind dann wohl die berühmten parlamentarischen Zwänge.

Nochmal zusammengefasst:
ES GEHT NICHT UM SHOTA/LOLICON! (die sind nach h.L. schon längst unter Art. 197 Ziff. 3 StGB des geltenden Rechts verboten. Dagegen richtet sich das Referendum auch gar nicht...)
ES GEHT NICHT ALLEIN UM „HENTAI“! (der Begriff ist ohnehin etymologisch völlig falsch und wird zudem in der strafrechtlichen Diskussion stark rechtsfehlerhaft benutzt, aber egal. Ein Beitrag dazu, wies denn richtig wäre, folgt irgendwann mal...)
ES GEHT AUCH NICHT ALLEIN UM ECCHI! (Die Formel des Bundesgerichts erfordert keinerlei Verbindung der fiktiven Darstellungen mit Erotik oder Sexualität, Nacktheit genügt. Auch die Darstellung von primären Geschlechtsteilen ist nicht erforderlich, um ein Werk als „harte Pornographie“ verbieten zu können... Aufklärungsliteratur wird heute schon explizit angegriffen!)

ES GEHT DARUM, DASS LIEBESBEZIEHUNGEN UNTER JUGENDLICHEN EINEM GENERELLEN ÜBERPRÜFUNGS- UND GENEHMIGUNGSVORBEHALT DER STRAFVERFOLGUNGSBEHÖRDEN UNTERSTELLT WERDEN SOLLEN! (Art. 196 nStGB)

ES GEHT DARUM, DASS EIN GROSSTEIL ALLER MAINSTREAM-MANGAS/ANIMES ALS VERBOTENE PORNOGRAPHIE GELTEN SOLL! (Art. 197 Abs. 4 nStGB, „nicht tatsächlich“ -> BGE 131 IV 64 E. 11.2 Satz 7)

ES GEHT DARUM, DASS WELTLITERATUR ALS VERBOTENE PORNOGRAPHIE GELTEN SOLL!
(Art. 197 Abs. 4 nStGB, „nicht tatsächlich“ -> BGE 131 IV 64 E. 11.2 Satz 7)

ES GEHT DARUM, DASS NEU STRAFRECHTLICHE VERANRTWORTUNG FÜR FREMDE HANDLUNGEN OHNE JEGLICHE EIGENE BETEILIGUNG BEGRÜNDET WERDEN SOLL! (Art. 197 Abs. 5 nStGB)

ES GEHT DARUM, DASS DEN OPFERN VON (SEXUAL)STRAFTATEN EINE MITSCHULD FÜR IHRE ERZWUNGENE NOTWENDIGE BETEILIGUNG AM GESCHEHEN GEGEBEN WERDEN SOLL, WENN ES KINDER!!! UND KEINE JUGENDLICHEN SIND!
(Art. 197 Abs. 8 nStGB e contrario, so bereits – noch rechtswidrig – erfolgt im „Eistee“-Fall.)
Soviel nur zur tendenziösen Behauptung, die neuen Normen würden Kinder schützen.
Keinesfalls, vielmehr wirken sie sehr effizient für das genaue Gegenteil, nämlich dem Abbau des strafrechtlichen Schutzes von echten Kindern, denen das grauenhafte Verbrechen widerfährt, zu sexuellen Handlungen genötigt zu werden! Das mag momentan politisch gewollt sein, äusserst widerlich ist es trotzdem...

Alleine letzteres müsste doch eigentlich überzeugend genug sein, um die notwendigen 50'000 Unterschriften gegen diesen undurchdachten, überflüssigen, rechtswidrigen und verfassungswidrigen Unsinn zu erhalten...

Sollte es dennoch nicht funktionieren: Wenn die Schweiz unbedingt erneut Bücherverbrennungen im Land sehen will, bitte, das kann sie gerne haben^^ Man kann Silvester ja auch mal für kreative Destruktion (an den eigenen Sachen, bevor jemand schreit...) nutzen...
Eine passende Zeremonie-Robe dafür hat das L. auch schon^^ (Das Spiel, wos herstammt ist übrigens toll, auch wenn dieses ebenfalls von „Lanzarote“ getötet werden wird. [wahlweise wegen dem legendärem „I might get wet“-Dialog (00:00-06:30) oder dann halt wegen Lotus' im wesentlichen fehlender Kleidung...]


Salzsäure + Aceton =! Terrorismus. Kritische Bewertung der beginnenden Hausdurchsuchungsorgie 5.0 aus chemischer und juristischer Sicht. Chemikalien, eidgenössisches, Recht, SOKOMeise, Strafprozessrecht, Strafrecht

Autor:  Eru-Jiyuka
Und grade als man dachte, Politik und Justiz geht es bei diesem herrlichen Wetter der letzten Tage zu gut, um allzuviel Unsinn anzustellen und man könnte sich endlich mal etwas ausgiebiger den viel zu lange vernachlässigten Hobbys widmen, schneit (ja, Ende Juli. Das Wetter war dieses Jahr genug seltsam, um diese klimatisch unpassende Wendung zu rechtfertigen^^) schon wieder ein Fall rein, bei dem man sich einfach nur noch ganz schnell der nächstgelegenen Tischplatte hingeben möchte...

Wie immer, erst die gesammelte Medienberichterstattung zum Thema:
http://bazonline.ch/basel/stadt/Um-Mitternacht-auf-Balkon-Salzsaeure-gemischt/story/30283596
http://www.20min.ch/schweiz/basel/story/16110848
http://www.bluewin.ch/de/index.php/1926,852883/Nachts_auf_Basler_Balkon_atzende_Chemikalien_gemischt___Festnahme/de/news/regio/nor%E2%80%8Bd/?regio=&langRegio=
http://soaktuell.ch/index.php?page=/News/Basell-Chemikalien-um-Mitternacht-auf-dem-Balkon-gemischt-verhaftet_12427
http://www.badische-zeitung.de/basel/chemikalien-auf-dem-balkon--73637225.html

Also, versuchen wer mal ein bisschen Ordnung in das Chaos reinzubringen. Zunächst kurz den Sachverhalt aufzeigen, dann ausgiebiger die chemischen und juristischen Fehlschlüsse zerfetzen...

Nun dann: X, ein 31 Jahre alter Schweizer, hat um Mitternacht auf einem Balkon Salzsäure und Aceton in einem Eimer vermischt, um dieses Gemisch seinen Angaben nach als Reinigungsmittel zu benutzen. Dabei soll eine chemische Reaktion erfolgt sein, die dazu geführt haben soll, dass ätzender Dampf entstanden sei, der von einem Nachbarn bemerkt wurde. Dieser rief die Polizei, welche die offenbar entstandenen Geruchsemissionen für derart gravierend hielt, dass sie zunächst die Feuerwehr alarmierten, welche den Dampf mit Lüftern zerstreute, dann den X verhafteten, seine Wohnung durchsuchten und alle aufgefundenen Chemikalien sicherstellten.
Der Nachbar soll durch den Dampf geringfügig verletzt worden sein. (Atembeschwerden, starke Übelkeit und Augenreizungen, alles vorübergehend) Gefunden wurden bei der Hausdurchsuchung dann „einige Deziliter Salzsäure und Aceton“, sowie irgendwas anderes, was die Staatsanwaltschaft offenbar für wichtig genug hielt, mitzunehmen, natürlich aber nicht für so wichtig, auch die Öffentlichkeit ordnungsgemäss darüber zu informieren, was es denn nun war...


Wie man an dem vielen Konjunktiv ersehen kann, ist da schon mal chemisch sehr viel falsch. Und da das L. seit Dezember letzten Jahres ja keine praktische Chemie mehr betreiben darf, dankt es Major, die sich damit (also mit der Chemie^^) von Berufs wegen auseinander setzen darf, ganz herzlich für das Bereitstellen der im folgenden dargelegten fachlichen Fakten.

Erstmal zu den behaupteten illegalen Verwendungen der Substanzen
(Salzsäure und Aceton „werden im Herstellungsprozess von Sprengstoff sowie von Kokain und Methamphetamin verwendet“ -> 20min):

Äh, nein, SO stimmt das nun wirklich nicht. Ecgonylbenzoat ist, wie der Name überhaupt nicht andeutet, ein Extrakt des Coca-Strauches. Dieser enthält 0.5-2.5% an Alkaloiden, die zu 75% aus dem eben hier relevanten Kokain bestehen. Extraktionen von Alkaloiden werden üblicherweise mit einer Apparatur nach Soxleth durchgeführt und erfolgen unter Rückfluss des Extraktionsmittels, um Lösungsmittel zu sparen und effektiver extrahieren zu können etwa als bei einem „Kaltaufschluss“ oder offenem Verdampfen des Lösungsmittels.

Zu den üblichen Extraaktionsmitteln zählen Hexan, Chloroform, Dichlormethan, Diethylether und Ethylacetat. Aceton ist zwar ein Lösungsmittel, und könnte damit theoretisch auch Verwendung in einem Soxlethextraktor finden, doch ist das sehr unüblich. Spontan kann sich das L. nicht einmal an eine Vorschrift aus VC und Konsorten erinnern, welche Aceton als Extraktionsmittel benutzt... (falls jemand doch noch eine findet, bitte in der Kommentaren anfügen, ja?)

Wahrscheinlicher ist aber ohnehin, dass beim Kokain gemeint war, dass HCl(aq) für die Herstellung benötigt würde. (Das wäre auch von der Sprachstellung her passender...) Dummerweise ist auch das so nicht wirklich korrekt. Ja, es gibt von diesem Alkaloid auch ein gut lösliches Hydrochlorid-Salz und ja, dies wird auch als gängige Darreichungsform illegal kommerziell vertrieben, doch wird dafür nicht zwingend Salzsäure benötigt. Bei der üblichen Darstellungsweise werden die extrahierten Alkaloide (Ecognine) mit Natronlauge verseift, dann mit Benzoylchlorid und Methanol zum Kokain verestert.

Man kann das Ausgangsmaterial natürlich auch schlicht mit Kerosin, Salzsäure und ungelöschtem Kalkschlamm zusammenwerfen und diese Schlamperei dann wohlfeil und chemisch ungenau „Säure/Base-Extraktion“ nennen, aber dass da was brauchbares im Sinne von reiner Substanz bei rauskommt, darf wohl eher bezweifelt werden...
(60% Reinheit ist eine Beleidigung für jede noch so unsaubere ordentliche Darstellung und erinnert mehr an alchemythische Panscherei)

Aber auch das mit dem n-Methylamphetamin ist nur über viele Ecken und mit genügend penetranter Ignoranz stimmig. Mit Aceton bekommt man dort nämlich nur zu tun, wenn man die Syntheseroute über Phenylaceton und Methylamin wählt. Dabei ist Aceton aber immer noch kein Edukt sondern allenfalls ein (nicht notwendiger) Vorstoff, weil man Phenylaceton, wie es der Name nahelegt, auch (aber nicht ausschliesslich) durch Reaktion von geeigneten Substanzen [Benzol, Mangan(III)Acetat als Kat] mit Aceton herstellen kann. (Man kann dementsprechend Phenylaceton auch retrosynthetisch in Aceton zerlegen...)

Eine weit gängigere Methode zur Labordarstellung ganz ohne Aceton (dafür mit mehr Gift!) beschreibt Major hier: http://animexx.onlinewelten.com/weblog/14411/655300/

Und Salzsäure hat bei diesem Molekül schon gleich gar nichts zu suchen, wenn man mal davon absieht, dass es auch hier wieder ein Hydrochlorid-Salz von gibt und auch dieses verbotenerweise gehandelt wird...

Was leider in allen Medienberichten vergessen geht, obwohl für die Verhältnismässigkeit der Massnahme sehr wichtig, ist, dass Salzsäure und Aceton sehr viele legitime Anwendungsmöglichkeiten haben, so etwa:

HCl(aq)
Spoiler
1. Reinigungsmittel für anorganischen Schmutz
2. Kalkreiniger
3. Darstellung diverser Salze
4. Neutralisierung von Laugen
5. Lösen von Metallen (Überführung in die entsprechenden Metallchloride)
6. Lebensmittelzusatzstoff (E 507)
7. Darstellung von Wasserstoff (mit Zink)
8. Darstellung von Chlor (mit Kaliumpermanganat)
9. Ätzen von Platinen (mit Wasserstoffperoxid)
10. Herstellung von PVC (mit Ethin)
11. Beizen von Holz und Metallen
12. Entfernung von Mörtelresten
13. Flussmittel beim Löten
14. Säure/Basen-Titrationen
15. Scheidewasser in der Edelmetallverarbeitung (mit Salpetersäure)
16. Hilfsstoff bei der Verarbeitung von Bergwerkerzeugnissen (Roherze)
17. Holzverzuckerung
18. Regulierung des Ph-Werts von Aquarien/Pools.
19. Analytischer Trennungsgang (schwer lösliche Chloride)
20. Regeneration von Ionenaustauschern
21. Rostentferner
22. Gegenmittel für Iodflecken auf Haut und Kleidung
23. Gegenmittel für Brandflecken in Porzellan


H3C-C=O-CH3
Spoiler
1. Herstellung von Plexiglas
2. Nutzung als Nagellackentferner und zum verdünnen anderer Nitrozelluloselacke
3. Kleber für Polystyrol, Polyethylenterephthalat und ähnliche Polymere
4. Entfernung von durch Bauschaum verursachten Verunreinigungen
5. Edukt in chemischen Reaktionen zur Herstellung komplexer organischer Substanzen (Adoladditionen und Adolkondensationen)
6. Reinigungsmittel für Lack/Öl-Flecken
7. Reinigungsmittel für Leiterplatten
8. Exzellentes Lösungsmittel für Ethin sowie auch gut für Harze, Fette und Kolophonium
9. Komplexbildner mit geeigneten Kationen
10. Darstellung von Mesitylen (mit Schwefelsäure)
11. Darstellung von Iodoform (mit I/KI(aq) und Natronlauge)
12. Entfernung von Pflasterrückständen
13. Herstellung von Spachtelmassen (mit Epoxidharzen)


(Die Spoiler sind nur wegen den vielen Möglichkeiten gesetzt, die das Layout des Eintrags nicht zerfetzen sollen^^)

Weder der Besitz von Aceton noch derjenige von Salzsäure deutet daher in irgendwelcher Weise auf Drogendelikte oder ähnliche Straftaten hin.(Sie sind beide entgegen der Behauptung in Bild von BaZ und SoAktuell übrigens auch nicht giftig...)


Dann zu der Beschreibung des Desasters, dass da passiert sein soll:
Eine chemische Reaktion zwischen Salzsäure und Aceton soll dazu geführt haben, dass ätzender Dampf ausgetreten ist, dieser soll derart toxisch gewesen sein, dass ein umstehender Nachbar ohne direkten Kontakt zu den Substanzen körperliche Schäden davongetragen haben will und das ganze soll auch noch mit wenigen Dezilittern Substanz durchgeführt worden sein.

Auch dazu ist zu sagen, nein, so wie geschrieben kann das zweifelsohne nicht geschehen sein. Eine chemische Reaktion ist dadurch definiert, dass eine – wie auch immer geartete – Umwandlung von chemischen Stoffen vor sich geht, also dass zumindest ein Atom einer Substanz nach der Reaktion irgendwo anders befindet, als es zuvor war. Verlassen die Substanzen den Vorgang hingegen unverändert und allenfalls in einem anderen Aggregatzustand, so handelt es sich NICHT um eine chemische Reaktion.

Aceton lässt sich aber durch Salzsäure gleich welcher Konzentration jedoch weder dazu überzeugen, zum Chloraceton zu werden (dafür brauch man schon „richtiges“ Chlor, also Cl2, ob gasförmig oder als gekühlte Flüssigkeit ist wohl egal...), noch dazu, sich zum Isopropanol reduzieren zu lassen (dafür werden nicht Protonen benötigt, sondern starke Reduktionsmittel wie etwa Hydride. Wäre für Aceton m.E aber Verschwendung, NaH ist teuer...). Eine chemische Reaktion zwischen den beiden Stoffen kann daher definitiv ausgeschlossen werden.

Was aber ist denn dann da erfolgt? Nun, wenn die eine Naturwissenschaft nicht mehr weiterhelfen kann, ist es hilfreich, sich der anderen, in diesem Fall der Physik zuzuwenden. Da begibt sich das L. zwar wieder mal (Fn. 24) auf ziemliches Glatteis *hust* 2.4 in der Abschlussprüfung hatte *hust*, aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, daher wenden wer uns mal ganz kurz dem wunder-fürchterlichen Gebiet der Thermodynamik zu. Diese kennt nämlich das Phänomen der sogenannten Mischungswärme, die von der Enthalpie der zu mischenden Stoffe abhängt. Auf deutsch – je nach dem, was man miteinander mixt, wird's also unterschiedlich warm oder kalt in der Lösung... Wie warm genau, dass wäre noch zu beweisen. Da man dazu rechnen muss und das L. dies von Berufs wegen schon nicht können darf (Judex non calculat), muss der Nachweis dafür, dass die Mischung von Salzsäure und Aceton allenfalls eine sehr geringe Hitze produzieren kann, aus fachspezifischen terminlichen Gründen ausnahmsweise nachgereicht werden.

Und an die BaZ, die Stärke einer Brönsted-Säure (HX + H2O -> H3O+ + OH-) bemisst sich nicht danach, welche Materialien sie auflösen kann, sondern wie gerne sie ihre Protonen abgibt, sprich zu wie viel Prozent sie in Wasser in Ionen zerfällt. (Dissoziation) Schon herkömmlicher Speiseessig kann etwa wunderbar Kupfer zum entsprechenden Acetat verbasteln. Deshalb behaupten zu wollen, Speiseessig sei eine „scharfe Substanz“ im Sinne von gefährlich, ginge aber wohl relativ deutlich fehl...

Um damit zum juristischen Teil des Eintrag zu kommen: Lassen wer das unsägliche neue Chemikalienrecht [1] doch einfach mal liegen und schauen stattdessen in die Strafprozessordnung, dort steht nämlich, welche Anforderungen allgemein an die Beschlagnahme von Gegenständen und an Hausdurchsuchungen zu stellen sind. [2]

Für ersteres ist Art. 263 StPO zuständig. Dieser besagt im wesentlichen, dass nur all die Dinge beschlagnahmt werden dürfen, und das die Beschlagnahme grundsätzlich auch von der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden muss und nur ganz ausnahmsweise durch die Polizei qua eigener Kompetenz erfolgen darf. [3] (Die Staatsanwaltschaft kann sich freilich auf Art. 15 Abs. 2 StPO [4] berufen und dann im Endeffekt dennoch die Polizei losschicken, aber das ist ein anderes Problem.)

Zu prüfen ist also, ob den einkassierten Substanzen in casu Beweiswert zukommt oder ein Einziehungsgrund besteht. Zum ersten, Beweiswert hat etwas analog zum strafrechtlichen Urkundenbegriff nur dann, wenn es dazu geeignet ist, eine rechtserhebliche Tatsache zu belegen [5] und dieser Beleg nicht bereits anderweitig erbracht worden ist rsp. noch werden kann. [6] Der Beweiswert eines Gegenstands hängt sodann integral davon ab, was er überhaupt beweisen soll, sprich, welcher Straftatbestand überhaupt im Raum steht und ob der Gegenstand zum Nachweis dessen Erfüllung etwas beitragen kann.

In casu können, soweit man der nicht unzweifelhaften These folgen mag, dass die Mischung unmittelbar [7] zu körperlichen Schädigungen beim Nachbarn geführt hat, fahrlässige Körperverletzung nach Art. 125 StGB sowie fahrlässige Gefährdung von Leib und Leben mittels giftigen Gasen nach Art. 225 StGB vorliegen.

Letzteres mag nicht unbedingt einleuchten. Also, warum ist Salzsäure in flüssiger Form (und natürlich auch Aceton) juristisch gesehen ein „giftiges Gas“? Das liegt daran, dass diejenigen Strafrechtler, welche die Definition geschrieben haben, offensichtlich nichts von Chemie verstanden haben. Die allgemeine Kommentierung geht nämlich davon aus, giftige Gase seien „alle gasförmigen Stoffe, die in ihrer konkret verwendeten Menge geeignet sind, eine Leib oder Leben gefährdende Vergiftung hervorzurufen.“ [8]

Damit gilt folglich jeder Stoff als „giftiges Gas“, welcher eine gasförmige Phase hat und der in beliebiger Menge lebensgefährlich sein kann. Also auch Kochsalz...
(Sdp. 1465°C, LD50 3000mg/kg). Eine gewisse wissenschaftliche Korrektur wäre da bei der Neuauflage der Standartwerke zu wohl angebracht^^

Allerdings ist der Artikel trotzdem nicht einschlägig. Dies liegt daran, dass auch Fahrlässigkeit ein Mindestmass an persönlich vorwerfbarem Verhalten des Beschuldigten erfordert. Kann diesem gar kein Vorwurf gemacht werden, so ist sein Tun auch nicht fahrlässig! Netterweise ist die Fahrlässigkeit beim 225er sogar relativ klar definiert, so hantiert jemand nur dann fahrlässig mit „giftigen Gasen“, wenn er dabei eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt, oder eine Aufgabe übernimmt, die fachlichen Sachverstand erfordert, über welchen er nicht verfügt. (spezifizierte Ingerenz)
Dafür muss er aber zuvorderst einmal selbst nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge vorhersehen können, dass es bei der fraglichen Handlung voraussichtlich zu einer konkreten Gefährdung von Menschen oder Sachen kommen könnte. [9]

Anhand der obigen Berechnung ist dazu folgendes ersichtlich:
Muss man damit rechnen, dass sich die Substanzen beim Mischvorgang erwärmen -> Ja!
Muss man damit rechnen, dass durch die Wärme gasförmiges HCl entweicht -> Ja!
Muss man damit rechnen, dass bei wenigen Dezilitern Substanz derart viel HCl-Gas entweicht, dass dieses einen Nachbarn in einiger Entfernung körperlich schädigen kann?
-> Eindeutig NEIN!, weil kaum bis gar nicht plausibel
Damit fehlt es an der Adäquanz der Kausalität, mithin an der Fahrlässigkeit und die Strafbarkeit nach Art. 225 StGB ist folglich zu verneinen.

Die Verneinung von Art. 125 StGB verläuft analog. Die Kriterien sind dabei zwar etwas unbestimmter, doch der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff bleibt derselbe, sodass kein fahrlässiges Verschulden nach Art. 125 StGB vorliegen kann, wenn Vorliegen von Fahrlässigkeit zuvor bereits anderswo verneint wurde. Aber selbst wenn man gleichwohl irgendwo Strafbarkeit bejahen möchte, war die Mitnahme der Substanzen als Beweismittel unnötig. Diese können nämlich nur belegen, dass X. sie in Besitz hatte und allenfalls lässt sich am Füllstand noch erkennen, ob sie verwendet wurden. All dass ist aber völlig unerheblich, weil X. die Verwendung gar nicht erst bestreitet, er gab ja gerade zu Protokoll, dass er die Substanzen vermischt habe (um das Gemisch als Reinigungsmittel einzusetzen). Daher hätte es gereicht, auf die übereinstimmenden Aussagen von X., dem Nachbar sowie den Polizeibeamten abzustellen und allenfalls noch ein Foto der Substanzen für die Galerie sprich Asservatenkammer anzufertigen.
Aus dem Besitz dieser Chemikalien kann ohnehin auf nichts geschlossen werden. [10]

Bleibt noch die Möglichkeit, dass die Substanzen beschlagnahmt wurden, weil sie einzuziehen wären. Die Einziehung richtet sich Nach Art. 69 Abs. 1 StGB und darf nur für all jene Gegenstände erfolgen, „die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind“ und dies auch nur, wenn aus dem Gegenstand selbst eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit oder Ordnung hervorgeht. Nach einem (m.E klar zu weit gehenden) alten Bundesgerichtsurteil [11] kann zwar schon ein Destilierkolben eingezogen so werden, doch ist sich die Lehre [12] mittlerweile recht einig darin, dass es nicht genügt, wenn ein Gegenstand in irgendeiner Weise in eine Straftat involviert war, sondern es muss vielmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Gegenstand weiter deliktische Verwendung finden wird, falls er nicht eingezogen würde. Dementsprechend ist auch eine Schusswaffe nicht bloss aufgrund des ihr innewohnenden Gefahrenpotential einzuziehen. [13]

Auf den Fall angewendet bedeutet dies, dass keine Chemikalie eingezogen werden darf,
von der nicht mit „suffisamment vraisemblable“ (hinreichender Wahrscheinlichkeit) angenommen werden darf, sie werde zukünftig in sicherheitsgefährdender Weise eingesetzt, auch dann nicht, wenn die betreffende Substanz allenfalls bereits in strafbarer Weise verwendet wurde.

Da es äusserst unwahrscheinlich ist, dass sich X. nach diesem Vorfall angesichts der negativen Konsequenzen nochmal dazu hinreissen lassen wird, Salzsäure und Aceton ohne Kühlung zu vermischen, handelt es sich bei seinem Verhalten nicht um ein hinreichendes Anzeichen künftiger Gefahr sondern allenfalls um eine "einmalige Entgleisung", "die sich aller Voraussicht nach nicht mehr wiederholen wird", was nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung für eine Einziehung klar nicht ausreicht.

Damit fehlt eine Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme der Substanzen, diese ist rechtswidrig erfolgt.

Die bezeichneten Substanzen, und was auch immer sonst noch an Chemikalien eingepackt wurde sind dem Beschuldigten X. folglich gem. Art. 267 Abs. 1 StPO unverzüglich zurückzugeben.

Im Übrigen ist sowohl der Verwendungszweck als auch die Zeit der Ausführung entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft sehr wohl plausibel. Salzsäure ist, wie oben bereits angemerkt, ein gängiges Reinigungsmittel, welches sich durchaus auch in Kombination mit Aceton (oder halt einem anderen Lösungsmittel, Ethanol/Isopropanol dürfte als Zweitkomponente wohl noch gängiger sein...) in Fachkreisen grosser Beliebtheit zur Reinigung von Laborgerätschaften erfreut. [14] Auch das nächtliche Treiben kann dem X. nicht zur Last gelegt werden, das ist nämlich nicht verdächtig, sondern eher rücksichtsvoll.

Wer einen chemischen Versuch durchführen möchte, der von Emissionen begleitet sein könnte, hat mit Vorteil nicht nur für allfällige Unfälle entsprechende Gegenmittel bereit zu halten, sondern wählt Ort und Zeit auch nach der kleinstmöglichen Beeinträchtigung für umliegende Anwohner. 24 Uhr ist dafür geradezu prädestiniert, weil man um Mitternacht grundsätzlich auch damit rechnen darf, dass niemand in unmittelbarer Nähe rumfleucht, der sich durch etwaig entstehende Gerüche/Rauch belästigt fühlen könnte. [15]

In diesem Sinne ist auch die Zulässigkeit der Hausdurchsuchung zu prüfen. Diese wird durch Art. 244 Abs. 2 StPO geregelt. Demnach sind Hausdurchsuchungen (ohne Zustimmung des Bewohners) nur zulässig, wenn sie dazu dienen, eine zur Fahndung ausgeschriebene Person aufzufinden, zu beschlagnahmende Gegenstände sicherzustellen oder eine sich im Gang befindliche Straftat zu beenden rsp. ihr Ziel zu vereiteln. (Gefahr im Verzug)

Die Anwendung der ersten Regel scheitert daran, dass keine Fahndung nach der Person X. gem. Art. 210f. StPO vorliegt. Möglichkeit zwei erledigt sich, weil der Beweiswert der beschlagnahmefähigen Gegenstände gleich null ist und daher der Beweis nicht geführt werden darf. (Art. 139 Abs. 2 StPO)

Bleibt noch die dritte Rechtfertigung, und die ist leider nicht von der Hand zu weisen. Theoretisch muss dafür zwar ein hinreichender Verdacht bestehen, der auf tatsächlichen Anhaltspunkten basiert, de facto genügt aber ein Anfangsverdacht (02:32ff.), also die bloss gefühlte Vermutung, dass jemand eine bestimmte Straftat begeht.

Aufgrund der Aussagen des Nachbarn lässt sich kaum bestreiten, dass zumindest der Eindruck entstanden sein konnte, dass da Straftaten im Gang seien. Dass die Polizeibeamten ausgerückt sind und sich den Balkon mal angesehen haben, ist daher wohl nicht zu beanstanden.

Jedoch muss sich eine Durchsuchung nach Art. 244 Abs. 2 lit. c StPO strikt auf die vermutete Straftat beschränken, von der Durchsuchungskompetenz sind nur all jene Räumlichkeiten und Gegenstände umfasst, die mit der vermuteten Straftat voraussichtlich zusammenhängen.

Zwar dürfen Zufallsfunde sichergestellt werden (Art. 243 Abs. 1 StPO),
die reine Verdachtsausforschung hingegen ist nicht zulässig (Art. 141 Abs. 2 StPO).
Eine gezielte Suche nach Zufallsfunden nach dem erfolgreichen Sicherstellen der gesuchten Gegenstände (oder wie hier der Klärung der Sachlage) ist demnach genausowenig erlaubt, wie die Durchführung einer Hausdurchsuchung ohne konkreten Anlass, die rückwirkend mit den aufgefundenen Gegenständen begründet wird.

Soweit die Hausdurchsuchung also über eine Begutachtung des Balkons und der Beseitigung der störenden Dämpfe hinausging, war sie demzufolge ebenfalls rechtswidrig.

X. kann gegen die Hausdurchsuchung Beschwerde nach Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO wegen Rechtsverletzung gem. Art. 393 Abs. 2 lit. a StPO einlegen. Er kann damit insbesondere die Unverwertbarkeit der rechtswidrig erhobenen Beweise sowie die Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände erzwingen lassen.

Und wie kommt nun der Nachbar schliesslich zu seinem Recht (Ersatz notwendiger Heilungskosten), unter der (physikalisch wohl unhaltbaren) Prämisse, er sei durch den Mischungsvorgang direkt verletzt worden?

Als Zivilanspruch direkt aus einer strafbaren Handlung nach Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO i.v. mit Art. 49 OR lässt sich dies mangels entsprechender Strafbarkeit des X. nicht ableiten.

Ebensowenig greift die allgemeine ausservertragliche Haftpflicht nach Art. 41 OR oder das Persönlichkeitsrecht nach Art. 28 ZGB, da diese beiden Anspruchsgrundlagen für Schadenersatz jeweils das Verschulden des Anspruchsgegners und damit zumindest leichte Fahrlässigkeit voraussetzen. [16] Bleibt folglich nur eine zivilrechtliche Kausalhaftung, welche definitionsgemäss kein Verschulden benötigt, sondern nur den Nachweis des Schadens und der natürlichen Kausalität, also nur die Zuordnung des schädigenden Verhaltens zur Verantwortung des Anspruchsgegners erfordert.

Kausalhaftungen sind aufgrund des ihnen innewohnenden Durchbruchs des Grundsatz der Haftung nach individuellem Verschulden zur Wahrung der Rechtssicherheit entsprechend selten, und werden immer nur zugunsten besonders gefährdeter Personen rsp. zu lasten ständiger Betriebsgefahren erlassen.

Erstaunlicherweise gibt es für Nachbarschaftsstreitigkeiten dennoch eine solche.
Sie versteckt sich sehr weit hinten im ZGB und wird gerne vergessen. (Jedenfalls kann sich das L. nicht daran erinnern, dazu in der Vorlesung über Haftpflichtrecht etwas gehört zu haben...) Nach Art. 684 Abs. 1 ZGB hat sich jedermann „übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten.“ Zu diesen Einwirkungen gehört gem. Art. 684 Abs. 2 ZGB neben vielem anderen ausdrücklich auch „Luftverunreinigungen“ und „üblen Geruch“, halt eben alles, was man so unter dem Begriff „Emissionen“ verstehen mag. Art. 684 ZGB enthält allerdings nur ein Verbot, keine Rechtsfolge, sodass sich aus diesem Artikel selbst keine Anspruchsnorm für Haftung entnehmen lässt. Dafür existiert Art. 679 Abs. 1 ZGB als Generalnorm, der eine Kausalhaftung des Eigentümers für Schäden, die dadurch entstehen, dass jener sein Eigentumsrecht überschreitet, begründet.

Systematisch nicht ganz logisch (ZGB 679 steht in Kapitel A (Inhalt), die Beschränkungen und ZGB 684 aber in Kapitel B), aber von der h.L. aus Gründen des Rechtsgüterschutzes wohl zu Recht befürwortet, wird die Kausalhaftung nicht nur auf Überschreitungen des Eigentumsrecht, sondern auch auf das Nichtbeachten von Eigentumsbeschränkungen angewendet. [17] Damit kann der Schadenersatzanspruch von Art. 679 Abs. 1 ZGB auch gegenüber Schäden, die durch nach Art. 684 Abs. 2 ZGB unzulässigen Emissionen entstanden sind, durchgesetzt werden.

Sofern die körperlichen Schäden des Nachbars also tatsächlich ursächlich auf das Salzsäure/Aceton-Gemisch zurückführen lassen, was zumindest unwahrscheinlich klingt, hat er gegenüber X. zivilrechtlich Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten.

Das L. gibt gerne zu, dass dieser letzte Schluss nun wirklich nicht mehr offensichtlich war und man das wohl als StA auch nicht in 15 Minuten rausgebastelt bekommen kann. *das auch nur wusste, weil ein Kommilitone sich schon mal erfolgreich drauf berufen hat* *für die Argumentationsbasis hier auch erst mal im Kommentar nachschlagen musste* Die in casu getroffenen Massnahmen sind dennoch, wie oben dargelegt, klar überzogen und weisen in eine unschöne Richtung, wieder hin zur allgemeinen Chemikalienhysterie...

Und nun abschliessend die Quizfrage: [18]
Sind das jetzt „sachdienliche Hinweise“ im Sinne der Internetzeitung Aargau-Solothurn, die man der Kriminalpolizei Basel-Stadt dringend mitteilen sollte? Meinungen dazu gerne in die Kommentare^^

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[1] Ob dieses mittlerweile auch schon das Mischen von Salzsäure und Aceton verbietet, ist nicht wirklich klar ersichtlich (teilweise sind die Rechtswirkungen über vierfache Querverweise zu entnehmen, die sich dabei lustig gegenseitig widersprechen...), es steht aber wohl zu befürchten. Zumindest darf man keine Anleitungen dazu schreiben, wenn die Mischung nicht auch kommerziell erhältlich sein darf. (Art. 75 Abs. 5 ChemV)

[2] Die Verhaftung überspringen wer jetzt einfach mal gnadenhalber, weil X. ja nur vorübergehend festgehalten und laut Sachverhalt auch zu keiner Zeit Haftantrag gegen ihn gestellt wurde. Aber so wirklich toll gemacht war das natürlich trotzdem nicht...

[3] Relevanter Wortlaut der Norm (Kürzungen vom -L.-, Original hier):

Art. 263 – Grundsatz

(1) Gegenstände einer beschuldigten Person können beschlagnahmt werden,
wenn die Gegenstände voraussichtlich:
a. als Beweismittel gebraucht werden
d. einzuziehen sind.

(3) Ist Gefahr im Verzug, so können Polizei Gegenstände zuhanden der Staatsanwaltschaft vorläufig sicherstellen.

[4] Relevanter Wortlaut der Norm (Kürzungen vom -L.-, Original hier):

Art. 15 – Polizei

(2) Die Polizei ermittelt Straftaten im Auftrag der Staatsanwaltschaft.

[5] Relevanter Wortlaut der Norm (Kürzungen vom -L.-, Original hier):

Art. 110 – Begriffe

(4) Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen.

[6] So können Beweisanträge etwa mit dem Argument abgeschmettert werden, sie würden ohnehin nur bereits bekannte Tatsachen hervorbringen. (Art. 318 Abs. 2 StPO)

[7] Im Recht spricht man bei einer solchen Ursachen-Wirkungskette vom sogenannten „adäquaten Kausalzusammenhang“. Grundlegendes dazu in verständlich bei MÜNCH/BORTOLANI-SLONGO „Praxisorientierte Einführung ins Privatrecht“ S. 47ff.
Wer sich mehr zutraut (oder vom Fach ist^^), kann auch mal in HONSELL „Schweizerisches Haftpflichtrecht“ reinschnuppern, das ist dann aber wieder hochjuristisch... (danke an Jim für die Wortschöpfung)

[8] Leider übereinstimmend und voneinander abschreibend:
DONATSCH/WOHLERS „Strafrecht IV“ S. 49
ECKERT/FLACHSMANN/ISENRING/LANDSHUT
„Tafeln zum Strafrecht – Besonderer Teil II“ T. 5
NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Strafrecht II“ S. 1302 die sich allerdings offen widersprechen, wenn sie einen Satz danach Bromdämpfe (T+!) aufgrund ihrer „industriellen Nutzung“ nicht als „giftiges Gas“ zählen lassen wollen.
[9] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 1307f.
Man merkt anhand der Kommentierung allerdings SEHR deutlich, dass Art. 225 StGB eigentlich allein auf Sprengstoffe ausgelegt ist und die „giftigen Gase“ da eher zufällig, möglicherweise sogar versehentlich hineingerutscht sind, zumal der Sprengstoffbegriff dadurch eigentlich tautologisch wird, da diese nach h.L. ja auch als „giftige Gase“ eingestuft werden können. (vorhandene Gasphase + kann tödlich wirken)
M.E wäre es deshalb dringend angezeigt, den Begriff „giftige Gase“ ersatzlos zu streichen.

[10] Der reine Besitz von Chemikalien ist, soweit SprstG oder BetmG nicht einschlägig, glücklicherweise immer noch nicht verboten, auch wenn ein entsprechendes europarechtliches Papier existiert, welche den Besitz von Salz-, Schwefel- und Salpetersäure in grösseren Konzentrationen als 3% für Privatpersonen unter Strafe stellen möchte. Also zukünftig keine Prüfsäure mehr für Juweliere und Goldschmiede... Knicklichter sind ja schon länger phöse -.-

[11] BGE 81 IV 217
Leider nur auf Französisch erhältlich, daher muss das L. dem Kommentar einfach mal glauben, dass da richtig übersetzt wurde. Zwischen „Destillierkolben“ (NIGGLI/WIPRÄCHTIGER) und „Brennapparat“ (Regeste BGer) besteht m.E aber ein grosser Unterschied, auch wenn es wohl bei beidem überzogen wäre...
Falls jemand von den Lesern gut Französisch kann und das übersetzen mag,
das L. wäre dafür unendlich dankbar^^ Gibt auch ne Belohnung für...
*sich dann noch was für ausdenkt*

[12] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Strafrecht I“ S.1435
REHBERG „Strafrecht II“ S. 175ff.
MÜLLER „Repetitorium zum schweizerischen Strafrecht Kap. III F. 461
REHBERG/FLACHSMANN/KAISER „Tafeln zum Strafrecht – Allgemeiner Teil“ T. 83

Bestätigung dieser (zutreffenden!) Rechtsansicht durch das Bundesgericht in BGE 116 IV 117 E. 2a

[13] BGE 129 IV 81 E. 4.1 Satz 3f.

[14] Das Schwetlick-Organikum (S. 122f., 742) listet sowohl Salzsäure als auch Aceton als unverzichtbare Hilfsmittel zur korrekten Aufbewahrung und Entsorgung von Chemikalien sowie zur Reinigung von Glasgeräten.
(Und meine Güte, hat dass jetzt viel zu lange (mehrere Stunden Echtzeit o.O) gebraucht, das nach zu schlagen... Danke Adobe fürs nicht mehr richtig funktionieren und bei jedem Seitenwechsel 3 min freezen in neuster Version -.- So viel zum Sinn vom Updates^^)

[15] Auch das L. hat seine Schandtaten (etwa die unweigerlich von der Produktion sehr giftiger Stickoxide begleitete Herstellung von rauchender Salpetersäure aus Kaliumnitrat) aus nachbarschaftlicher Rücksicht bevorzugt zu Zeitpunkten durchgeführt, in denen es mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass es niemanden mit allenfalls anfallenden Emissionen belästigen würde. Dafür eignet sich die Nacht aus dem natürlichen Grund, dass dann üblicherweise die Leute schlafen, einfach am besten...

[16] Art. 41 OR erwähnt das in Abs. 1 ausdrücklich „sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit“, bei Art. 28 ZGB ergibt es sich erst aus der Klagebefugnis nach Art. 28a Abs. 3 ZGB, welcher der Kommentierung nach auf Art. 41 OR verweist und demnach die selben Anforderungen an einen Schadenersatzanspruch stellt.

Nachzulesen etwa bei TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO
„Das schweizerische Zivilgesetzbuch“ S. 105f.

[17] Ausführlich zum Komplex der Grundstücksverantwortung und dem Emissionsrecht:
TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO S. 882ff.

[18] Weil noch eine Schleichwerbung fehlt, hin und wieder wäre es vielleicht doch ganz gut gewesen, in Rechtsgeschichte/Römisches Recht mal nicht zu schlafen...

Das notwendige Tatsubjekt als Täter – Definitionsprobleme und Wertungswidersprüche im Eistee-Fall eidgenössisches, Recht, Sexualstrafrecht, Sinn?, Strafprozessrecht

Autor:  Eru-Jiyuka
0. Einleitung und Sachverhaltsdarlegung

Keine Ahnung, ob das auch nach Deutschland durchgedrungen ist, aber hier in der Schweiz hatten wer in den letzten Monaten einen sehr hoch gekochten Sachverhalt im Sexualstrafrecht, der sich im (un)sozialen Netzwerk Facebook abspielte. Es ging dabei um ein Sexvideo, dass von einem Unberechtigten eingestellt wurde und von Dritten weiter verbreitet wurde. Interessant am Verfahren war vornehmlich, dass auch gegen diejenige Person ermittelt wurde, die allein im Video zu sehen war. (Im folgenden Darstellerin genannt)
Vor einigen Tagen wurde dieser Fall nun abgeschlossen, wobei das Verfahren gegen die Darstellerin eingestellt wurde. Elf Jugendliche, welche das Video verbreitet hatten, haben geringe Jugendstrafen (Sozalstunden) erhalten.

Hier mal die gesammelte Medienberichterstattung dazu:
http://www.heise.de/tp/blogs/5/154062
http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/KinderPornografie-Download-mit-rechtlichen-Konsequenzen-/story/19045531
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Junge-Frau-mit-privatem-Sexvideo-gemobbt-/story/12760436
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Diese-Jugendstrafen-haben-Signalwirkung--27869991
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/24755122
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/29484258
http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/29118954

Hm, ja... klingt im Ergebnis gut, auch das L. plädiert nachdrücklich auf Straflosigkeit der Darstellerin. Warum das L. mit der Arbeit der Staatsanwälte dennoch nicht zufrieden ist (und daher auch diesen Blogeintrag erstellt hat...)? Das liegt vorallem an der Begründung der Einstellung, die mehr schlecht als recht konstruktiv zusammengewürfelt wirkt. Ausserdem kommt sie zu spät, weil der Fall hinsichtlich der Darstellerin m.E direkt mit Nichtanhandnahmeverfügung erledigt hätte werden müssen, womit alle Beteiligten um vier Monate Stress erleichtert gewesen wären^^

Damit hat das L nun schon wieder den Schlusssatz vorweggenommen...
*sich das endlich mal abgewöhnen sollte* Konsequent wäre es jetzt zwar, den Anfang der Geschichte an den Schluss des Blogs zu setzen, dann versteht dass aber definitiv niemand mehr...

Daher, beginnen wir stattdessen doch mal munter locker-flockig (Hurray für die Schleichwerbung!) mit der Schilderung des Sachverhalts:

X, ein 15-jähriges Mädchen hat sich bei sexuell expliziten Handlungen (Masturbation mit der namensgebenden Flasche) selbst gefilmt. Dieses Video hat sie ihrem Freund Y zu dessen privatem Gebrauch überlassen. Y hat nach Beendigung der Beziehung zu X das Video auf Facebook veröffentlicht. Es wurde von den Jugendlichen A-L verbreitet. Das Verfahren gegen X wird nach Jugendstrafrecht aufgrund starker eigener Betroffenheit gem. Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG eingestellt. Die Jugendlichen A-L wurden wegen Verstoss gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB bestraft, wobei die Strafe gem. Art. 23 JStG aus einer persönlichen Arbeitsleistung in einer sozialen Einrichtung bestand. Gegen Y wurde (noch) nicht ermittelt.[1]

1. Keine Anwendbarkeit von Art. 197 Ziff. 3 StGB, Sinn und Zweck der Strafnorm

Der Sinn der Strafbarkeit der Kinderpornographie liegt ursprünglich darin, sexuellen Missbrauch besser aufzuklären und die daran beteiligten Täter leichter fassen und verurteilen zu können, weil nicht mehr der Missbrauch als solches bewiesen werden musste, sondern es genügte, den Umgang mit durch den Missbrauch hervorgebrachtem Bildmaterial zu belegen.

Bezeichnenderweise wurde die Norm vor dem Siegeszug der Internets erlassen[2], sodass damals noch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass bei Fund grosser Zahl derartiger Bilder auch tatsächlich ein am Missbrauch beteiligter Täter gefunden war.

Das moderne Sexualstrafrecht soll eben gerade nicht mehr dem Aufrechterhalten fragwürdiger Moral dienen[3], sondern die sexuelle Selbstbestimmung des einzelnen schützen.

Es ist letztlich wieder ein klassisches Definitionsproblem. Der fragliche Film ist „Kinderpornographie“ im Wortsinne, nämlich Pornographie VON einem Kind, nicht aber in demjenigen Bedeutungssinne, welcher die Strafwürdigkeit begründet.[4]

Niemand hat die Darstellerin zu den erwähnten Praktiken gezwungen, diese hat vielmehr sogar den Film selbst angefertigt und diesen (mit ihrem Einverständnis) ihrem Freund zu dessen Privatgebrauch überlassen.

Es gibt im Sexualstrafrecht für solche Fälle das Rechtskonstrukt des sogenannten notwendigen Tatsubjekts.[5] Dem reinen Wortlaut nach wäre nämlich das Opfer einer Sexualstraftat bei einem jugendlichen Täter grundsätzlich ebenfalls nach Art. 178 StGB strafbar. Da dies ganz offensichtlich dem Schutzzweck der Norm zuwider laufen würde, wird der Täterkreis, also die Anzahl möglicher Täter mittels teleologischer Reduktion auf diejenigen Tatsubjekte beschränkt, die zur Ausführung der Straftat nicht notwendig sind, mithin weggedacht werden können, ohne dass die Rechtsgüterschutzverletzung entfällt.

Dieses Rechtskonstrukt hat auch Indizierungswirkung, sodass die unmündige Person sich selbst auch nicht in strafbarer Weise nach Art. 195 StGB der Prostitution zuführen oder sich selbst darin festhalten kann. Ebensowenig macht sich ein Kind nach Art. 178 StGB strafbar, in dem es an sich selbst sexuelle Handlungen vornimmt. Auch sind Jugendliche, die sich pornographische Darstellungen im Sinne von Art. 197 Ziff. 1 beschaffen, nicht strafbar, obwohl ihnen die entsprechenden Medien nicht überlassen werden dürfen. [6]

Eine Begründung dafür, weshalb die Anwendung dieses Prinzips auf Art. 197 Ziff. 3 StGB in vorliegendem Fall nicht greifen soll, erfolgt seitens der Staatsanwaltschaft nicht, es scheint vielmehr so, als hätte sie sich mit diesem Problem gar nicht erst befasst. Wendet man die Lehre von der Straflosigkeit des notwendigen Tatsubjekts an, so ist die Herstellung eines sexuell expliziten Videos für die alleinige Darstellerin auch nach Art. 197 Ziff. 3 StGB zwingend straffrei.

Das steht zugegebenermassen so (leider) nicht im Gesetzestext, ist aber geltende Rechtsprechung und wird vom Bundesgericht regelmässig dazu herangezogen, die Strafbarkeit von Kinderpornographie vor Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 2 UNO-Pakt II überhaupt zu rechtfertigen.[7]

Und bevor jetzt wieder jemand ankommt, und behauptet, es bestehe ein rechtserheblicher Unterschied zwischen der Ausführung einer sexuellen Handlung und deren Dokumentation, die von der Privatheit nach Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasste sexuelle Selbstbestimmung hat auch meinungsrechtlichen Charakter, weshalb auch die Anfertigung von Informationsdokumenten über solche Handlungen nach Art. 10 Abs. 1 EMRK grundfreiheitlichen Schutz geniesst.[8] Soweit die Dokumentation einvernehmlich (oder wie hier selbständig) erfolgt, ist das demnach unerheblich.

Daher sollte man sich m.E vom Komplex des Art. 197 Abs. 3 StGB lösen und besser fragen, ob, wenn man gedanklich einmal den Straftatbestand der verbotenen Pornographie komplett streicht, nicht gleichwohl eine Grundlage für die Bestrafung des Verhaltens der fraglichen Jugendlichen besteht.

Und weil solche Gedankenspielereien immer etwas theoretisch anmuten, macht das L. das mit dem durchstreichen jetzt illustrationshalber mal wirklich. *Leuchtstift zück* So, das sieht dann so aus:



Sehr hübsch^^ [9] Also, Art. 197 StGB ist damit jetzt weg, aber es gibt da ja noch andere Artikel im
Gesetz...

Das eigentliche Problem i.c. ist ja das Einstellen und die Verbreitung des Videos auf Facebook, der damit verbundene Vertrauensmissbrauch und die Verletzung der Privatsphäre der Y. Dass Y als junges Mädchen ihre Sexualität erkundet und dies – warum auch immer – bildlich festhält, nimmt ihr hingegen – hoffentlich – niemand krumm. Jedenfalls aber lässt sich von rechtlicher Seite her nichts einwenden, weil das Verfügungsrecht über ihren Körper gem. Art. 10 Abs. 2 BV bei der Y selbst liegt.

Das verletzte Rechtsgut ist demnach gerade NICHT die sexuelle Integrität, sondern der Geheim- und Privatbereich! Damit erledigt sich die Zuständigkeit des Fünften Titels[10], welchen das L. da gerade auszugsweise experimentell rausgeworfen hat, eigentlich auch rechtlich endgültig...

2. Fehlerhafte Begründung der Einstellung, Möglichkeit zur Nichtanhandnahme verpasst

Da Art. 197 Ziff. 3 StGB nicht anwendbar ist, kann der Darstellerin kein strafrechtliches Fehlverhalten vorgeworfen werden. Was bedeutet dies nun strafprozessual? Nun, der Strafprozess wird gegen Beschuldigte geführt, also gegenüber Personen, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, sie hätten eine bestimmte Straftat verübt. (Art. 111 Abs. 1 StPO) Offensichtlich Unschuldige können, sollen und dürfen nicht Gegenstand eines Strafprozess sein. Deshalb gibt es bei „Irrtümer“ der Strafverfolgungsbehörden, also dann, wenn diese versehentlich eine unschuldige Person verdächtigen oder beschuldigen, mehrere Möglichkeiten, das Verfahren aus Gründen der Effektivität vor der Verhandlung mit förmlichen Freispruch abzubrechen, um beiden Seiten die Auswirkungen unnötiger Ermittlungen zu ersparen.

Eine dieser Möglichkeiten ist die Einstellung des Verfahrens. Diese richtet sich nach Art. 319 StPO und kann beispielsweise dann erfolgen, wenn der Tatverdacht nicht erhärtet werden konnte, oder der Anwendung eines Strafartikels ein Rechtfertigungsgrund entgegen steht. Die Einstellung erfolgt gem. Art. 318 Abs. 1 StPO erst nach Abschluss aller Unterschuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft.

Die besondere Betroffenheit des Täters an der eigenen Tat ist kein direkter, in der StPO geregelter Grund für eine Einstellung, er ergibt sich jedoch sowohl im Erwachsenen- wie auch im Jugendstrafrecht aus den Strafbefreiungsgründen des materiellen Strafrechts. Sowohl Art. 54 StGB wie auch Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG listen die besondere Betroffenheit des Täters an der eigenen Tat als Strafbefreiungsgrund. Gem. Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO ist ein Verfahren einzustellen, wenn nach Massgabe des Gesetzes auf Verfolgung oder Bestrafung verzichtet werden kann, sprich, wenn ein Strafbefreiungsgrund vorliegt.

Eine andere Möglichkeit ist die Nichtanhandnahme des Verfahrens. Gem. Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO hat die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme unmittelbar zu verfügen, wenn aufgrund des Vortrags des Anzeigenden oder der polizeilichen Vorermittlungen klar ist, dass das fragliche Verhalten des Verdächtigen keine Straftat darstellt. Diese Form der Nichtanhandnahme erledigt das Verfahren wie eine Einstellung wegen Strafbefreiung mit der Ausnahme, dass die verdächtige Person dabei nicht bloss straflos ausgeht, sondern auch gar nicht erst als Straftäter gilt.

Wie man die Nichtanhandnahme in der Praxis korrekt zu verfügen hat, erläutert eine Weisung der Schwyzer Oberstaatsanwaltschaft hier sehr schön.
(Offenbar ist die Schwyzer Oberstaatsanwaltschaft wesentlich rechtsstaatlicher ausgestaltet als die dortige Polizei...)

Demnach ist nicht nach Abschluss der Ermittlungsarbeiten einzustellen, sondern ohne weitere Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft durch diese direkt Nichtanhandnahme zu verfügen, wenn schon aufgrund der Aktenlage klar ist, dass keine Strafratsbestände verwirklicht wurden

In casu wäre daher spätestens nach Kenntnisnahme des Inhalts des fraglichen Videos sowie der Feststellung der Tatsache, dass selbiges von Y allein und ohne jeglichen äusseren Druck freiwillig aufgenommen wurde, die sofortige Verfügung der Nichtanhandnahme des Verfahrens gegen Y angezeigt gewesen.

Dies wäre für beide Seiten vorteilhaft gewesen. Y wäre vom Tatverdacht befreit worden und sie hätte damit nicht über vier Monate darum bangen müssen, ob ihr – an sich völlig natürliches – Verhalten nicht doch eine möglicherweise empfindliche Strafe nach sich zieht. Voraussichtlich wäre sie wohl auch nicht im Kollegenkreis derart gehänselt worden, wäre ihr Name direkt zu Beginn des Verfahrens reingewaschen worden. *das L. hätte das jedenfalls getan...*

Die Staatsanwaltschaft hätte sich auf die Ermittlung gegen X und die fraglichen Jugendlichen, welche das Video weiterverbreiteten, konzentrieren können und hätte sich nicht darin verzettelten müssen, entlastende Tatsachen oder Rechtsnormen für die Straffreiheit der Y zu finden.

Das zuständige Staatsanwalt hätte zudem Y als Zeugin gem. Art. 162ff. StPO befragen und dann zur Mitarbeit und zur Aussage, insbesondere über die Identität ihres ehemaligen Freundes X direkt anhalten können.(Bei einer Beschuldigten ist dies aufgrund deren Verweigerungsrechten nach Art. 113 Abs. 1 StPO nicht möglich...) Zudem wäre Y sicherlich weit kooperativer gewesen, wenn direkt zu Beginn des Verfahrens die Strafdrohung für sie weggefallen worden wäre und sie nicht als Sexualstraftäterin verunglimpft worden wäre... [11]

3. Anwendbarkeit von Art. 179quater StGB, Sinn und Zweck der Strafnorm

Wenden wir uns also dem einschlägigen Rechtsgut und damit dem Dritten Titel[12] zu. Dort bietet sich Art. 179quater StGB an, welcher die Aufnahme von Tatsachen aus dem Geheim- und Privatbereich ohne deren Einwilligung, sowie die Aufbewahrung und Zugänglichmachung an Dritte von solchen Aufnahmen unter Strafe stellt.

Zu prüfen ist also, ob sich die Handlung von X (Veröffentlichung des Videos auf Facebook) und diejenige der Jugendlichen A-L (Weiterverbreitung des Videos) unter diese Strafnorm subsumieren lässt.

Dass nicht nur die Ehre, sondern auch die Privatsphäre strafrechtlich geschützt ist, und der staatliche Schutz derer sich keineswegs nur in Art. 28 ZGB und damit in zivilrechtlichen Handlungsmöglichkeiten erschöpft, geht leider nur all zu gerne vergessen. Art. 179quater StGB ist daher ein bedauerlicherweise häufig übersehener Tatbestand, dementsprechend besteht relativ wenig Literatur und Rechtsprechung hierzu. (Ganze 3 Urteile in 43 Jahren, kein einziger BGE, kein einziges Urteil vor 2000...) Immerhin bestätigt das Bundesgericht in BGer 6B_131/2012 die Verurteilung des Obergerichts Zürich in einem sehr ähnlichen Fall.

Dort ging es um mittels Mobiltelefon und Fotokamera aufgenommene sexuelle Nötigung, die durch die Penetration einer schlafenden Frau mit Fingern, einer Banane und einer Karotte begangen (fragt nicht, wie das gehen soll, es steht so im Urteil...) und von den Tätern gefilmt wurde. Damit ist immerhin schon mal geklärt, dass sexuelle Aktivitäten zum „Geheim- und Privatbereich“ im Sinne der Norm zählen. Ebenso wird klargestellt, dass auch Handykameras Aufnahmegeräte darstellen. Fraglich ist aber, ob der Unwertsgehalt auch dann noch genügend hoch ist, wenn die Aufnahme mit Einwilligung der Darstellerin rsp. durch diese selbst erfolgt, dann aber unbefugt veröffentlicht und verbreitet wird, um die Strafwürdigkeit der Handlung zu begründen.

M.E ist dies klar zu bejahen. Auch vor dem Bestimmtheitsgebot des Art. 1 StGB ist es vertretbar, Art. 179quater StGB nicht nur auf Aufnahmen anzuwenden, die entgegen des Willens der Betroffenen erstellt wurden und dann verbreitet werden, sondern auch auf solche Aufnahmen, die zwar mit Willen der Betroffenen erstellt wurden, aber entgegen deren klarem Willen verbreitet wurden.

Der Verstoss gegen das Rechtsgut der Privatsphäre wird nicht schon deshalb inexistent, weil für die Aufnahme eine Einwilligung zu Privatgebrauch vorliegt. Art. 179quater StGB verlangt nicht zwingend eine strafbare Vortat. Insoweit besteht deshalb m.E klar keine Akzessorietät von der Einwilligung zur Aufnahme/Gebrauch auf die Erlaubnis zum veröffentlichen/verbreiten.

Diese Auslegung wird teilweise auch von der Lehre gestützt. Der Schutzzweck der Norm wird nämlich einvernehmlich darin gesehen, dass dem einzelnen einen Bereich zur Zurückgezogenheit zugesprochen wird, der von der Kenntnis der Öffentlichkeit absolut ausgeschlossen ist. Geschützt sei auch das Recht am eigenen Bild bei intimen Betätigungen.[13] Wenn dem so ist, kann es nicht darauf ankommen, auf welche Art und Weise dieses Kenntnisverbot unterlaufen wird, solange es durch die wie auch immer geartete unbefugte Verwertung einer Aufnahme erfolgt.

Demnach hat sich X wegen Zugänglichmachens einer den Privatbereich verletzenden Aufnahme gem. Art. 179quater StGB strafbar gemacht. Die Jugendlichen A-L haben wegen Aufbewahrung und Zugänglichmachung derselben Aufnahme gegen Art. 179quater StGB verstossen.

4. Problematische Kombinationswirkungen nach künftigem Recht

Man könnte letztlich auch einwenden, dass es sich bei der Frage, ob Art. 179quater StGB oder Art. 197 Ziff. 3 StGB einschlägig ist, um ein rein semantisches Problem handle, weil das Ergebnis (Milde Bestrafung der Jugendlichen) ja gleich sei. Dem ist jedoch keineswegs so. Die Verurteilung nach Art. 197 Ziff. 3 StGB zieht nämlich mittlerweile einen regelrechten Rattenschwanz an kombinierten Rechtsfolgen[14] nach sich.

Das beginnt mit der unsäglichen Lanzarote-Konvention. Diese sieht in Art. 37 Abs. 1 vor, dass die Identität und der genetische Fingerabdruck (DNA) jedes Sexualstraftäters zu Präventionszwecken aufgezeichnet werden muss und diese Informationen jedem Mitgliedsstaat für deren Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden müssen.

Die Schweiz sträubt sich mit ihrem Umsetzungsversuch glücklicherweise zwar noch gegen die Einrichtung eines solchen Registers, aber es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis auch dies kommen wird, weil gegen diesen Artikel kein wirksamer Vorbehalt angebracht werden kann. (Dem L. persönlich hätte der Schwachsinn schon genügt, um die Konvention nicht zu unterzeichnen, aber das hatten wer ja schon mal...)

Das ist aber – natürlich – noch längst nicht alles. Es sind zurzeit nämlich zwei weitere Gesetzgebungsprozesse im Gange, die Auswirkungen auf Personen haben, welche als Sexualstraftäter verurteilt wurden. Einerseits ist dies der direkte Gegenentwurf des Ständerats zur sogenannten Pädophilen-Initiative. Dieser sieht in einer sehr komplizierten Kaskadenordnung (der Entwurf hat 27 Artikel, die Initiative nur einen einzigen!) vor, dass jedem, der eine Strafe nach Art. 197 Ziff. 3 verwirkt, ein Berufsverbot von mindestens einem Jahr droht (Art. 67 Abs. 2 nStGB, Art. 67 Abs. 3 lit. c nStGB).

Dieses gilt für alle „Tätigkeiten in Ausübung eines Haupt- oder Nebenberufs oder -gewerbes oder eines Handelsgeschäfts.“ (Art. 50a Abs. 1 nMStG), was auch immer das im Kontext nun heissen mag...

Die Höchstdauer dieses Verbots beträgt ordentlich 10 Jahre, kann aber vom Gericht ausserordentlich auch lebenslänglich ausgesprochen werden. (Art. 67 Abs. 6 nStGB) Diese Normen sind ausdrücklich auch auf Jugendliche anwendbar. (Art. 16a nJStG) Solche Massnahmen können auch nachträglich angeordnet werden. (Art. 67d nStGB) Ob sie entgegen Art. 2 Abs. 1 StGB auch rückwirkend anwendbar sein werden, ist noch nicht absehbar, aber wohl aufgrund des emotional aufgeladenen Themas nicht sehr unwahrscheinlich... (Und mal wieder werden Pädophile mit Kinderschändern verwechselt -.-)

Irgendwie hat das L. das Gefühl, dass dieser Entwurf ein Referendum geradezu herbei bittet^^ (Von ihm gibt's jedenfalls ein schallendes NEIN! In die Urne, sowohl für den Entwurf als auch die Initiative... Wäre wohl auch allgemein keine schlechte Idee, falls jemand noch unschlüssig ist... )

Andererseits die Einführung von Staatstrojanern als zulässige Überwachungsmethode in die StPO. (Man muss der NSA und der dortigen Postüberwachung natürlich technologisch sofort nacheilen -.-)
Nach Art. 269bis nStPO sowie Art. 269ter nStPO soll es neu der Staatsanwaltschaft gestattet sein, sogenannte „besondere technische Geräte“ zur Überwachung einzusetzen sowie „besondere Informatikprogramme“ in ein Datenverarbeitungssystem einzuschleusen. Angewandt werden dürfen diese neuen Massnahme für jedes Delikt des Katalogs von Art. 269 Abs. 2 lit. a nStPO, damit also auch für vermutete Verstösse gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB.

Leider kann man gegen Bundesgesetze keine öffentlich-rechtliche Beschwerde erheben (Art. 190 BV), ansonsten würde das L. dagegen mal wieder prozessieren^^ Die Piraten (und andere junge Parteien) haben aber immerhin bereits eine Petition (die schon mit einer Gegenstimme abgeschmettert wurde) und ein Bündnis zum politischen Sturm auf das Gesetz zusammen gestellt: https://buepf.ch/

Wer künftig die falschen (auch fiktionalen!) Pornos guckt, oder versehentlich auf eine Seite mit solchen, neu strafbaren Daten gerät, muss also neben der ordentlichen Strafverfolgung auch mit folgendem Rechnen:

a. Eintrag ins (noch zu schaffende) Register für Sexualstraftäter
b. Abnahme und Speicherung von Personendaten und genetischem Fingerabdruck (DNA)
c. Weiterleitung dieser Informationen an alle Mitgliedsstaaten, die der Konvention angeschlossen sind
d. Allfällige zusätzliche und erneute Strafverfolgung nach weitergehendem Recht dieser Nationen.
e. Entzug der Lehrberechtigung sofern vorhanden und Berufsverbot für wenigstens ein Jahr in diversen Professionen, die irgendwas mit Kinderbetreuung zu tun haben.
f. Ständige Überwachung von Post- und Fernmeldeverkehr durch den Staatstrojaner


Beim Verstoss gegen Art. 179quater StGB tritt all dies hingegen nicht in Kraft, es hat sich (wie bei beinahe allen anderen Verurteilungen auch) mit der Verbüssung der Strafe... Und da es ganz offensichtlich ausser jedem Verhältnis stünde, sowohl X als auch die Jugendlichen A-L wegen ihren relativ gering wiegenden Rechtsgutsverletzungen die Zukunft durch solche Massnahmen vollständig und nachhaltig zu verbauen, erachtet das L. eine Verurteilung der vorgenannten wegen Art. 179quater StGB für wesentlich sinnvoller, als die Verurteilung bei selber Bestrafung nach Art. 197 Ziff. 3 StGB.

5. Zusammenfassung

I. Das Veröffentlichen und Verbreiten eines Sexvideos entgegen dem ausdrücklichen Willen der Darstellerin ist eine Straftat gem. Art. 179quater StGB.

II. Die Darstellerin eines sexuell expliziten Videos kann sich nicht selbst der Herstellung von Kinderpornographie gem. Art. 197 Abs. 3 StGB strafbar machen, weil sie zugleich notwendiges Tatsubjekt ist. (Sie wird künftig allerdings nach Art. 197 Abs. 8 nStGB e contrario strafbar sein, weil das Rechtskonstrukt des notwendigen Tatsubjekts durch die Umsetzung der Lanzarote-Konvention insoweit aufgegeben wird und die Ausnahmevorschrift nur für Jugendliche über 16 Jahren gilt)

III. Die Einstellung des Verfahrens gegen die Darstellerin ist im Ergebnis zu begrüssen, die Begründung über Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG wegen besonderer Betroffenheit der Darstellerin erscheint hingegen verfehlt. Angemessener (und schneller) wäre eine Nichtanhandnahmeverfügung nach Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO (keine Tatbestandserfüllung) gewesen.

IV. Strafart und Strafmass der im Eistee-Fall Abgeurteilten erscheinen angemessen.

V. Die Stigmatisierung der Abgeurteilten als Sexualstraftäter hingegen erscheint unangemessen, und ist insbesondere in Hinsicht auf die künftig damit verknüpften Massnahmen (Entzug der Lehrbefähigung, Eintrag in ein entsprechendes Register sowie Überwachung durch Staatstrojaner) klar sinnentstellend.
Es verstösst wohl auch gegen Art. 11 Abs. 1 BV.

Übrigens, wem die Grundaussage (schnelle Nichtanhandnahme statt langwieriger Einstellung = doppelplus sinnvoll) bekannt vorkommt, ja in einer ähnlichen Verfahrenskonstellation hat sich das L. auch schon mal dafür ausgesprochen...

Und nur um dies noch einmal klar zu stellen, das L. ist keineswegs gegen harte Bestrafung tatsächlicher Sexualstraftäter. So hat er sich etwa über dieses Urteil, welches gegen einen Mann, der durch Nötigung und geschickte Täuschung sexuelle Dienstleistungen von etlichen (männlichen!) Kindern erzwungen hat, eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängte, sehr gefreut. Das L. begrüsst den Entscheid sowohl im Ergebnis wie auch in der Begründung und von Strafart und Strafmass her in vollem Umfang.

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[1] Die Berichterstattung hierzu ist nicht sehr eindeutig. Laut einigen Medien wurde Y gar nicht erst strafrechtlich verfolgt, andere sprechen davon, das Verfahren sei (ohne Strafe) abgeschlossen, wieder andere halten eine künftige Verfolgung für ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich. Der Tenor der Kommentare jedenfalls drängt mehrheitlich auf Strafverfolgung von Y, was – wie im folgenden aufgezeigt – rechtlich wohl geboten wäre.

[2] Der bundesrätliche Entwurf samt zugehöriger Botschaft stammt aus dem Jahre 1985. (BBl 137 II 1091)
Laut Wiki begann der Aufstieg des Internets frühestens um 1993, es fand gegen Jahrtausendwende mehrheitliche Verwendung und soll sogar erst seit 2007 überwiegend allgemein verbreitet sein.

[3] Zustimmend NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Basler Kommentar, Strafrecht II“ S. 1197, REHBERG/SCHMID/DONATSCH „Strafrecht III“ S. 452

A.M. noch BGE 128 IV 201 E. 1.4.2 Satz 2, welcher m.E zu unrecht darauf abstellt, dass „Die Strafbarkeit pornographischer Darstellungen gemäss Art. 197 Ziff. 3 dem Schutz der öffentlichen Moral“ dient. (Und m.E ebenfalls zu unrecht subsumiert, der Verkauf harter Pornographie, die nicht unter Verletzung eines Rechtsguts hergestellt wurde, ausschliesslich an einen Kreis interessierter Erwachsener sei strafwürdig)

[4] Vgl. § 10 KO (und ja, das ist ein selbst gebasteltes Gesetz... ändert aber an der Grundaussage nichts^^)

[5] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 1103 bezeichnen es als „mitwirkendes Opfer“

[6] Inwiefern solche Täuschungsmanöver allenfalls Einfluss auf die strafrechtliche Verantwortung des
zu Unrecht Überlassenden haben können und insbesondere, ob irgendwann der agent-provocateur Vorbehalt zu dessen Gunsten greift, ist eine sehr spannende Rechtsfrage, die im Rahmen dieses Beitrags jedoch nicht behandelt werden kann... Ideen dazu gerne in die Kommis^^

[7] So etwa BGE 131 IV 64, E. 11.2 Satz 3:
Spoiler
Das Verbot kann seinen Zweck in diesem Bereich daher nur umfassend erfüllen, wenn ein Werk in jedem Fall als kinderpornographisch betrachtet wird, sobald daraus erkennbar ist, dass seine vorsätzliche Herstellung in der Schweiz nach Art. 187 StGB strafbar wäre

Neuer auch BGE 133 IV 31, E. 6.1.2 Satz 2:
Spoiler
Ein Werk ist schon als kinderpornographisch zu betrachten, wenn daraus erkennbar ist, dass seine vorsätzliche Herstellung in der Schweiz nach Art. 187 StGB strafbar wäre.

Das Bundesgericht geht dabei jeweils davon aus, dass jede Darstellung, die nach Art. 197 Ziff. 3 StGB strafbar ist, von einem sexuellen Missbrauch nach Art. 178 StGB geprägt wird.

Und nur ums nochmal deutlich festzuhalten: Soweit es dabei um die bildliche Darstellung echten, sexuellen Missbrauch an kindlichen Opfern geht, hält das L. die Begründung für überzeugend und die Kriminalisierung für dringend geboten, lediglich die Bezeichnung als Pornographie ist dann halt immer noch verfehlt. (Die Piraten haben dafür mal „Dokumentierter Missbrauch“ als Straftatnamen vorgeschlagen...) Für den fiktionalen Rest gelten §§ 1f. KO und da ist die Begründung des Bundesgerichts dann Kokolores, weil offensichtlich unzutreffend.

[8] Sogar der unbefugten Veröffentlichung und Verbreitung des Videos kommt ganz streng genommen der Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 1 EMRK zu. Diese wird jedoch durch das Rechtsgüterschutzprinzip durchbrochen, weil gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK zum Schutz von Rechten anderer Einschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit zulässig sind und diese Einschränkung gem. des bedingten Anspruchs auf staatliches Handeln durch Art. 35 Abs. 1 BV i.v. mit der Informationellen Selbstbestimmung nach Art. 13 Abs. 1 BV auch tatsächlich erfolgen muss.

[9] Bevor jemand aufschreit, das ist ein altes StGB (2006), welche ohnehin schon fast auseinanderfällt und daher bedenkenlos für solche Zwecke benutzt werden kann *sonst ja recht penibel im Umgang mit Gesetzbüchern ist*

[10] Kapitelüberschrift der Artikel 187-200 des schweizerischen Strafgesetzbuchs.
Die Kapitelüberschrift zeigt jeweils das geschützte Rechtsgut an, hier die sexuelle Selbstbestimmung

[11] Die Strafbefreiung erledigt auch bei Einstellung des Verfahrens nicht die Tatbestandsmässigkeit. Rein formal gesehen hat Y demnach bei diesem Verfahrensausgang gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB verstossen und ist demnach (obwohl noch selbst Kind!) Sexualstraftäterin geworden. Immerhin bleibt ihr dank fehlendem Urteil Art. 37 Abs. 1 Lanzarote-Konvention erspart. Zu diesem künftigen Nonsens sogleich Punkt 4 dieses Beitrags.

[12] Kapitelüberschrift der Artikel 173-179octis des schweizerischen Strafgesetzbuchs.
Die geschützten Rechtsgüter sind die Ehre, die Privatsphäre sowie die informationelle Selbstbestimmung

[13] REHBERG/SCHMID/DONATSCH S. 345 fordern Straflosigkeit bei Einwilligung der Betroffenen, geben als Beispiel aber nur „TV-Aufnahmen nach dem Muster <<Big Brother>>“ an, womit sie wohl aussagen möchten, dass sich die Einwilligung sowohl auf Aufnahme als auch auf Veröffentlichung/Verbreitung erstrecken muss.

NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 946 stimmen bezüglich des Rechtsguts zu, geben auf S. 948 aber zu bedenken, dass Verbreitungen nur im Rahmen von Photokopierer, genutzt zur Vervielfältigung von Tagebüchern, Bildern oder Plänen als Aufnahmegeräte angesehen werden können.

[14] „Kombinierte Rechtsfolge“ ist kein eigentlicher juristischer Terminus, sondern ein vom L. geschaffener Neologismus. Er erscheint jedoch insofern passend, als dass er den Sinn, nämlich den nicht mehr allzu seltenen Fall, dass eine Norm bei Erfüllung der Voraussetzung für ihre Anwendung nicht nur die von ihr selbst vorgeschriebenen Auswirkungen (Rechtsfolgen) zeigt, sondern auch diejenigen anderer Gesetzesartikel auslöst, klar wiedergibt und gleichzeitig sowohl kurz als auch prägnant ist.
Wie immer, falls jemand ne bessere Bezeichnung für das Phänomen hat, immer her damit^^ Vorschläge werden dankend angenommen...











Für einen kurzen Abriss zu den Kommentaren des letzen Blogeintrags:

Das Ende vom Anfang: Akute Bedrohung für Anime und Manga in der Schweiz! (Samt Unterstützungsaufruf, verfassungsrechtlicher Analyse und einem kleinen Spielchen) eidgenössisches, Grundrechte, Mangas, Recht, Referendum

Autor:  Eru-Jiyuka
Der Europarat hat mit der sogenannten Lanzarote-Konvention beschlossen, dass künftig in allen Mitgliedstaaten Jugendpornographie strafbar werden soll. Die Schweiz hat diese Konvention – warum auch immer – unterschrieben. Sie legt nun einen Umsetzungsentwurf vor, mit dem schönen Titel: „Bundesbeschluss über die Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch (Lanzarote-Konvention) sowie über seine Umsetzung (Änderung des Strafgesetzbuchs)“ Dieser hat mittlerweile (am 23.10.2012) die Rechtskommission des Ständerates passiert, ist also auf dem Vormarsch durch die politischen Instanzen.

Klingt gut, ist es aber gar nicht. Die Schweiz schafft es nämlich, nicht nur alle schlechten Elemente der Konvention zu verwirklichen, wie Prof. Niggli völlig zu recht schon zum Vorentwurf bemerkte, sondern geht sogar noch darüber hinaus, indem selbst der Konsum von Medien mit „nicht tatsächlichen sexuellen Handlungen mit Minderjährigen“ bestraft werden soll.

Was ist denn nun aber das Problem? Das ist relativ einfach, wenn man sich einmal ansieht, was die unglückliche Formulierung „nicht tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen“ alles umfasst.

Verboten werden so:

Unter dem Titel der Kinderpornographie:
Hentai,
Yuri,
Yaoi,
Eroges,
Yiff

Unter dem Titel der sexuell aufreizende Darstellungen (Posingfotos):
Ecchi,
Shonen-Ai,
Shojo-Ai,
Furry-Artwork
Nightcore

Zudem verboten wird auch die Darstellung von Nacktheit an sich...

sobald die dargestellten fiktiven Charaktere (aufgrund des Zeichenstils) als Minderjährige angesehen werden können.

Es genügt, dass sich ein einziger übermotivierter Staatsanwalt findet und wir werden wieder massenhaft Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen erleben, diesmal statt für den Besitz von Chemikalien für den Besitz von Anime und Mangas. Offenbar sind die Bezeichnungen „Terrorist“, und „Kinderschänder“ unabhängig von den konkreten politischen Sache beliebig austauschbar und sie wollen mit allen nicht angebrachten Mitteln den unmöglichen, weil unzutreffenden Vorwurf beweisen, dass jeder Jugendliche beides ist, damit auch alle noch so sinnlosen Massnahmen durchgeprügelt werden können!

Kindesmissbrauch, also Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung von Kindern ist ein schweres Verbrechen mit entsetzlichen physischen wie psychischen Folgen für die Opfer. Dieser Beitrag wendet sich nicht gegen die Bestrafung von Kinderschändern, auch nicht gegen das Verbot des dokumentierten Missbrauchs, der nach geltendem Recht als Kinderpornographie bezeichnet wird. Gerade deshalb muss aber mit dem Begriff der Kinderpornografie äusserst vorsichtig umgegangen werden, er darf nicht verwässert werden. Aus der Umdefinierung von Anime/Manga mit sexuellen Darstellungen zu Kinderpornographie gewinnt jedoch niemand etwas, weder die tatsächlich missbrauchten Opfer, noch die Strafverfolgungsbehörden, noch die Gesellschaft insgesamt.

Die Umsetzung des neuen Strafrechts legt die Strafverfolgungsbehörden nämlich unnötigerweise völlig lahm. Aufgrund des Offizialdeliktscharakters der Formulierung im Strafgesetzbuch werden die Staatsanwälte künftig dazu gezwungen sein, selbständig Ermittlungen in diesem Bereich anzustellen, sobald sie von entsprechenden Vorgängen Kentniss erhalten (theoretisch also bei jedem Post im Internet, bei dem was von Yaoi et al. gelabert wird), zudem müssen sie auf Strafanzeige hin ermitteln. Dadurch fehlt die Kapazität für die Verfolgung tatsächlicher Verbrecher, weil die Gerichte mit abertausenden Bagatellfällen belastet sein werden. Man kann nur hoffen, dass sich genügend Strafverfolger mit der Formel „de minimis non curat praetor“ behelfen und schlicht weigern werden, was angesichts der emotionalen Thematik aber nicht zu erwarten steht und zudem die schreckliche Rechtslage im Gesetzesentwurf kein Stück besser macht.

Die Darstellung von „nicht tatsächlichen sexuellen Handlungen“ in welcher Art und Weise auch immer ist Ausdruck von sexuellen Fantasien, nichts mehr und nichts weniger. Es steht weder der Politik noch dem Recht zu, darüber zu befinden, welche sexuellen Fantasien die Menschen haben dürfen, und welche nicht. Analoges muss für die Nachfrage nach sexuellen Fantasien, also auch nach Darstellungen von „nicht tatsächlichen sexuellen Handlungen“ gelten. Pönalisierungen in diesem höchstpersönlichen, intimen Bereich sind mittelbares Gedankenstrafrecht und jedem demokratischen Rechtsstaat unwürdig.

Frei nach LAUER: Es kotzt mich an! Es kotzt mich an, wie hier aus politischem und juristischem Unverstand und Unvermögen die Freiheitsrechte dazu missbraucht werden, genau selbige für einen weiten Teil der Bevölkerung – wenn nicht gar für alle – abzuschaffen! Und alle jubeln auch noch darüber...

Und was tut man, nachdem man sich ausgekotzt hat? Richtig, man engagiert sich mit allen rechtlich und politisch zulässigen Mitteln dagegen. Das sind in diesem Fall einerseits eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht – die aber, das ist jetzt schon klar, wegen fehlender Verfassungsgerichtsbarkeit in der Schweiz nicht zum Erfolg führen kann, wohl aber die Tür zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte öffnet. Diese wird vom L. sowie hoffentlich einigen weiteren Straf- und Verfassungsrechtsexperten ausgearbeitet und nach Erlass des Gesetzes im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle eingereicht werden.

Andererseits ist auch ein Referendum gegen die Neuerungen möglich. Als halbdirekte Demokratie verfügt die Schweiz glücklicherweise über einen Kontrollmechanismus gegenüber überbordender Politik. Auf Verlangen von 50'000 schweizer Stimmberechtigten muss über eine Gesetzesänderung das Volk entscheiden. Das sind zwar hohe Anforderungen, aber grundsätzlich möglich, wie die E-Petition gegen das Zensursula-Gesetz sehr schön gezeigt hat. Die Referendumsbegründung wird unter der Leitung des L. noch ausgearbeitet werden müssen. Mitglieder für das Referendumskomitee werden dringend gesucht, am besten solche, die im Gegensatz zum L. schon mal ein Referendum koordiniert haben, aber das ist selbstverständlich keine Voraussetzung. Unmittelbar nach Inkrafttreten der Norm werden die Unterschriftenlisten hier zum Download angeboten werden. (dazu wird ein seperater Blogeintrag erscheinen um dessen ausgiebige Kenntnisnahme das L. jetzt schon mal bittet... *sich dafür endlich mal ein Postfach anschaffen gehen muss*) Bitte unterzeichnet dann zahlreich, damit wir diesen gefährlichen Unfug wieder weg kriegen^^

Es ist sehr leicht, einen einzelnen Idealisten zu verunglimpfen, aber eine gesamte Community, die aufbegehrt, kann – wie im ACTA-Fall exemplarisch gezeigt – niemand ignorieren. Daher brauche ich alle nur irgendwie mögliche Unterstützung und bettle zum ersten Mal inständig darum, diesen Weblog überall weiterzuempfehlen, verbreiten etc. (Und ja, das schliesst Facebook ein, wenn's denn der Sache hilft...) Dieser Text, die juristische Analyse sowie die noch zu erstellenden Listen voraussichtlich inkriminierter und inkriminierbarer Medien werden zudem jeweils als frei bearbeitbare Version auf dem Piratenpad bereitgestellt. Feel free to edit, rate and comment^^(*schleichverbung verteil*)

Letztendlich geht es um unser aller Freiheit, auch und gerade im Internet.
Wir müssen sie uns zurückholen! We'r gonna change the World!


Ach ja, nur, damit dies nicht zur Straffalle wird: Jeder, der am Referendum teilnimmt (und insbesondere das Referendumskomitee!) sollte – unabhängig davon, was drauf ist – seinen Computer mit Truecrypt wirksam (PW >20 Zeichen, Grosskleinschreibung, Zahlen, Sonderzeichen) vollverschlüsseln, um bei (wohl unwahrscheinlichen) allfälligen polizeilichen Störaktionen lästige Zufallsfundsstreitigkeiten ausschliessen zu können! Verschlüsselte Back-Ups können latürnich auch nichts schaden...

Und weil wir ja dank Little Brother (S. 156 ff.) wissen, dass politischer Widerstand verbunden mit Wettbewerben gut funktioniert, machen wer dass doch gleich mal nach^^

Daher: Falls jemand sich mal darin versuchen will, Drachen ein bestimmtes, auf ein Jahr genaues Alter zuzuweisen, hier einige Testkandidaten:
http://www.sofurryfiles.com/std/content?page=453735
http://www.sofurryfiles.com/std/content?page=453667
http://www.sofurryfiles.com/std/content?page=453517
http://www.sofurryfiles.com/std/content?page=453228
http://www.sofurryfiles.com/std/content?page=452564

*auf das Ergebnis gespannt ist* Der Versuch mit der lustigsten Begründung erhält 45 KT als Belohnung^^ Allein für's Teilnehmen am Versuch gibt's zudem jeweils 5 KT (Solange der Vorrat reicht...) (*Dann hinterher die Zeichner anschreiben und um eine eigene Einstufung bitten wird* Dann sehen wer mal exemplarisch, ob solch eine Alterseinstufung fiktiven Materials überhaupt jemals objektiv zutreffend geschehen kann...)

ES IST STATISTISCH WICHTIG, DASS DIE ZEICHNER KEINE MÖGLICHKEIT HABEN, VORAB VOM ERGEBNISS DIESER ERHEBUNG KENTNISS ZU ERLANGEN.

Sendet eure Lösungsvorschläge darum BITTE per ENS, die Weblogkommis hier sind öffentlich einsehbar! (Allerdings dürft ihr gerne hier im Weblog hinspammen, dass ihr dran teilgenommen habt, dann sieht das L. das schneller und kann euch auch gleich die KTs hinterher werfen^^)

Die AD&D-Kriterien sind dabei wie folgt:

I. Nestling (0-5)
II. Sehr jung (6-15)
III. Jung (16-25)
IV. Jugendlich (26-50)
V. Junger Erwachsener (51-100)
VI. Erwachsener (101-200)
VII. Älterer Erwachsener (201-400)
VIII. Alt (401-600)
IX. Sehr alt (601-800)
X. Ehrwürdig (801-1000)
XI. Wyrm (1001-1200)
XII. Grosser Wyrm (>1200)

Und bevor jetzt jemand mit: „AD&D ist aber phöse!!!!11111elf(entod)“ ankommt, lest euch das hier durch und dann uruse ō!

*weil er gerade schon am Zitieren ist. Für das, was hier gerade passiert, ist abschliessend folgende Passage einschlägig*: (S.111-113)
Spoiler
Zuerst war ich erleichtert, als ich merkte, dass Fred Benson nicht dauerhaft für meinen Gesellschaftskunde-Kurs zuständig war. Aber die Frau, die ihn ersetzen sollte, war mein schlimmster Alptraum.

Sie war jung, vielleicht 28 oder 29, und auf so eine gesunde Weise hübsch. Sie war blond und ließ einen leichten Südstaaten-Akzent durchschimmern, als sie sich bei uns als Mrs. Andersen vorstellte. Das ließ bei mir sofort die Alarmglocken klingeln: Ich kannte keine Frau unter sechzig, die sich selbst „Mrs.“ nannte. Aber darüber wollte ich hinwegsehen. Sie war jung, hübsch und klang nett.

Sie würde schon okay sein.

Sie war nicht okay.

„Unter welchen Umständen sollte die Regierung bereit sein, die Bill of Rights außer Kraft zu setzen?“, fragte sie und drehte sich dabei an die Tafel, um die Zahlen von eins bis zehn untereinanderzuschreiben.

„Gar nicht“, sagte ich, ohne abzuwarten, dass sie mich aufrief. Das war ja wohl leicht.

„Verfassungsrechte sind absolut.“

„Das ist keine sonderlich fortschrittliche Ansicht.“ Sie schaute auf ihren Sitzplan. „Marcus. Nimm zum Beispiel einen Polizisten, der eine unzulässige Durchsuchung durchführt und dabei seine
Befugnisse überschreitet. Dabei stößt er auf erdrückende Beweise, dass ein Krimineller deinen Vater getötet hat. Diese Beweise sind die einzigen, die existieren. Sollte der Kriminelle ungeschoren davonkommen?“

Ich wusste, wie die Antwort lauten musste, aber ich konnte es nicht recht erklären. „Ja“, sagte ich schließlich. „Aber die Polizei sollte keine unzulässigen Durchsuchungen durchführen ...“

„Falsch. Die richtige Reaktion auf polizeiliches Fehlverhalten sind Disziplinarmaßnahmen, aber es wäre falsch, die ganze Gesellschaft für das Fehlverhalten eines einzelnen Polizisten zu bestrafen.“ Sie schrieb „Verbrecherische Schuld“ unter Punkt eins an die Tafel. „Andere Anlässe, bei denen die Bill of Rights ersetzt werden kann?“

Charles hob die Hand. „In einem überfüllten Theater Feuer schreien?“

„Sehr gut, ...“ – sie konsultierte den Sitzplan – „Charles. Es gibt viele Umstände, unter denen das First Amendment keine absolute Gültigkeit hat. Lasst uns noch ein paar davon zusammentragen.“

Charles hob die Hand noch mal. „Einen Exekutivbeamten in Gefahr bringen.“

„Ja, die Identität eines verdeckten Ermittlers oder Geheimdienstlers offenlegen. Sehr gut.“ Sie schrieb es auf. „Noch etwas?“

„Nationale Sicherheit“, sagte Charles, ohne nochmals aufs Aufrufen zu warten. „Verleumdung. Obszönität. Missbrauch Minderjähriger. Kinderpornografie. Bombenbauanleitungen.“ Mrs. Andersen schrieb zügig mit, hielt aber bei Kinderpornografie inne. „Kinderpornografie ist nur
eine Unterart von Obszönität.“

Mir wurde langsam schlecht. Das war nicht das, was ich über mein Land gelernt hatte oder woran ich glaubte. Ich hob die Hand. „Ja, Marcus?“ „Ich verstehe das nicht. Wie Sie es sagen, klingt das, als ob die Bill of Rights optional wäre. Aber es ist die Verfassung. Und der sollen wir uneingeschränkt Folge leisten.“

„Das ist eine verbreitete Übervereinfachung“, sagte sie mit aufgesetztem Lächeln. „Tatsache ist, dass die Gestalter der Verfassung sie als ein lebendiges Dokument verstanden, das durchaus im Lauf der Zeit revidiert werden sollte. Ihnen war klar, dass die Republik keinen dauerhaften Bestand haben konnte, wenn die jeweilige Regierung nicht den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend regieren konnte. Sie hatten nicht vorgesehen, dass man an die Verfassung glauben solle wie an eine religiöse Doktrin. Immerhin waren sie auf der Flucht vor religiöser Doktrin hierher gekommen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Was? Nein. Sie waren Kaufleute und Handwerker, und sie waren dem König so lange loyal verbunden, bis er Gesetze erließ, die ihren Interessen zuwiederliefen, und sie mit Gewalt durchzusetzen versuchte. Die religiösen Flüchtlinge waren schon viel früher.“

„Einige der Framer5 stammten von religiösen Flüchtlingen ab“, sagte sie.

„Und die Bill of Rights ist doch nicht etwas, aus dem man sich nach Belieben rauspicken kann, was man möchte. Die Framer hassten Tyrannei. Und genau das soll die Bill of Rights verhindern. Sie waren eine Revolutionsarmee, und sie wollten ein Regelwerk, dem jeder zustimmen konnte. Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Das Recht des Volkes, seine Unterdrücker zu beseitigen.“

„Ja, ja“, sagte sie gestikulierend. „Sie glaubten an das Recht des Volkes, seine Könige zu beseitigen, aber ...“ Charles grinste, und als sie das sagte, grinste er noch viel breiter.

„Sie erarbeiteten die Bill of Rights, weil sie dachten, es sei besser, absolute Rechte zu haben, als zu riskieren, dass irgendjemand sie ihnen wegnimmt. Wie beim First Amendment: Das ist dazu gedacht, uns zu beschützen, indem es der Regierung untersagt, zwei Sorten von Meinungsäußerung zu unterscheiden, die erlaubte und die kriminelle. Sie wollten nicht das Risiko eingehen, dass irgendein Idiot auf die Idee käme, die Dinge, die ihm nicht passten, als illegal zu deklarieren.

Sie drehte sich um und schrieb „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“ an die Tafel. „Wir sind dem Lehrplan schon ein bisschen voraus, aber ihr scheint eine fortgeschrittene Gruppe zu sein.“ Die anderen lachten nervös. „Die Aufgabe der Regierung ist es, die Rechte der Bürger auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück zu gewährleisten. In dieser Reihenfolge. Das ist wie ein Filter. Wenn die Regierung etwas unternehmen möchte, das uns ein wenig unzufriedener macht oder unsere Freiheit teilweise einschränkt, dann ist das okay, vorausgesetzt, es dient dazu, unser Leben zu schützen. Deshalb dürfen Polizisten euch einsperren, wenn sie glauben, dass ihr eine Gefahr für euch oder andere darstellt. Ihr verliert eure Freiheit und eure Freude, um Leben zu schützen. Wenn ihr Leben habt, dann bekommt ihr vielleicht später noch Freiheit und Freude dazu.“

Ein paar von den anderen hatten die Hände oben. „Aber bedeutet das nicht, dass sie tun können, was immer sie wollen, solange sie behaupten, dass es jemanden davon abhält, uns irgendwann in der Zukunft zu verletzen?“ „Genau“, meinte ein anderer. „Es klingt, als ob Sie sagen, dass nationale Sicherheit wichtiger ist als die Verfassung.“

In diesem Moment war ich so was von stolz auf meine Mitschüler. Ich sagte, „wie können Sie denn Freiheit schützen, indem Sie die Bill of Rights außer Kraft setzen?“

Sie schüttelte den Kopf, als ob wir unglaublich dumm seien. „Die ‚revolutionären‘ Gründerväter haben Verräter und Spione erschossen. An absolute Freiheit haben sie nicht geglaubt, nicht wenn sie die Republik bedrohte. Nehmt zum Beispiel diese Xnet-Leute ...“
Es fiel mir schwer, nicht zu erstarren.
„... diese so genannten Jammer, die heute früh in den Nachrichten waren. Nachdem diese Stadt von Leuten angegriffen worden war, die diesem Land den Krieg erklärt haben, machten die Xnetter sich daran, die Sicherheitsmaßnahmen zu sabotieren, die dazu dienten, Bösewichter zu fangen und sie von Wiederholungstaten abzuhalten. Das taten sie, indem sie ihre Mitbürger gefährdeten und ihnen Ärger bereiteten ...“

„Das taten sie, um zu zeigen, dass unsere Rechte geraubt wurden unter dem Vorwand, sie zu schützen!“, sagte ich. Okay, ich schrie es. Oh Gott, hatte die mich in Fahrt gebracht. „Sie haben es getan, weil die Regierung jeden wie einen Terrorverdächtigen behandelt hat.“

„Ach, und um zu beweisen, dass man sie nicht wie Terroristen behandeln sollte“, brüllte Charles zurück, „haben sie sich wie Terroristen benommen? Deshalb haben sie ihren Terror ausgeübt?“

Ich kochte. „Jetzt komm mal runter. Terror ausgeübt? Sie haben bloß gezeigt, dass allgegenwärtige Überwachung gefährlicher ist als Terrorismus. Denk mal an den Park letztes Wochenende. Die Leute da haben getanzt und Musik gehört. Was ist denn daran Terrorismus?“

Die Lehrerin kam durch den Raum auf mich zu und postierte sich über mir, bis ich still war. „Marcus, du scheinst noch zu glauben, dass sich in diesem Land nichts geändert hat. Aber du hast zu begreifen, dass die Sprengung der Bay Bridge alles geändert hat. Tausende unserer Freunde und Verwandten liegen tot da unten in der Bay. Dies ist die Zeit für nationale Einheit angesichts dieser Gewalt, die unser Land erleiden musste ...“

Ich stand auf. Dieses „Alles hat sich geändert“-Geseiher ging mir bis hier. „Nationale Einheit? Was Amerika ganz wesentlich ausmacht, ist doch wohl, dass wir ein Land sind, in dem Dissens willkommen ist. Wir sind ein Land von Dissidenten und Kämpfern und Uniabbrechern und Aktivisten für Meinungsfreiheit.“ Dann dachte ich an Ms. Galvez‘ letzte Stunde und an die Tausende von Berkeley-Studenten, die den Polizeiwagen eingekesselt hatten, als dieser eine Typ für das Verteilen von Bürgerrechts-Literatur
abtransportiert werden sollte. Niemand hatte versucht, die Trucks aufzuhalten, die mit all den Tänzern aus dem Park davonfuhren. Ich hatte es nicht versucht. Ich war weggelaufen.
Vielleicht hatte sich ja wirklich alles geändert.

„Ich glaube, du weißt, wo Mr. Bensons Büro ist“, sagte sie zu mir. „Du wirst dich unverzüglich dort melden. Ich werde es nicht dulden, dass mein Unterricht von respektlosem Verhalten gestört wird. Für jemanden, der behauptet, die Meinungsfreiheit zu lieben, wirst du ziemlich laut, sobald irgend jemand nicht deiner Meinung ist.“

Ich schnappte mein SchulBook und meine Tasche und stürmte raus. Die Tür hatte eine Gasfeder, deshalb konnte ich sie nicht hinter mir zuknallen; ich hätte sie gern zugeknallt. Ich ging zügig zu Mr. Bensons Büro. Kameras filmten mich auf dem Weg dorthin. Mein Gang wurde aufgezeichnet. Die RFIDs in meinem Schülerausweis funkten meine Identität an die Sensoren im Flur. Es war hier wie im Knast.

„Schließ die Tür, Marcus“, sagte Mr. Benson. Dann drehte er seinen Monitor herum, so dass ich den Videostream aus der Gesellschaftskunde-Klasse sehen konnte. Er hatte zugeschaut.

„Was hast du zu deiner Entschuldigung vorzubringen?“

„Das war kein Unterricht, das war Propaganda. Sie hat uns gesagt, dass die Verfassung belanglos ist.“

„Nein. Sie hat gesagt, dass sie keine religiöse Doktrin ist. Und du hast sie angegangen wie irgendein Fundamentalist und damit genau ihren Standpunkt bewiesen. Marcus, du solltest als allererster
wissen, dass sich alles geändert hat, seit die Brücke gesprengt wurde. Dein Freund Darryl ...“

„Wagen Sie es nicht, auch nur ein verdammtes Wort über ihn zu sagen“, sagte ich schäumend vor Ärger. „Es steht ihnen nicht zu, ihn auch nur zu erwähnen. Ja, ich habe verstanden, dass sich alles
geändert hat. Wir waren mal ein freies Land. Jetzt nicht mehr.“

„Marcus, weißt du, was Null-Toleranz bedeutet?“

Ich zuckte zusammen. Er konnte mich wegen „bedrohenden Verhaltens“ rauswerfen. Eigentlich war die Regel als Maßnahme gegen Gang-Kids gedacht, die ihre Lehrer einzuschüchtern versuchten. Aber natürlich würde er keinerlei Hemmungen haben, sie auch gegen mich einzusetzen.

„Ja, ich weiß, was das bedeutet.“

„Ich glaube, du schuldest mir eine Entschuldigung.“

Ich sah ihn an. Er unterdrückte sein sadistisches Lächeln nur unzureichend. Ein Teil von mir wollte kuschen. Dieser Teil wollte, Scham hin oder her, um seine Verzeihung winseln. Aber ich unterdrückte diesen Teil von mir und beschloss, dass ich mich lieber rauswerfen lassen würde, als um Verzeihung zu bitten.

„daß, um diese Rechte zu sichern, Regierungen eingesetzt sein müssen, deren volle Gewalten von der Zustimmung der Regierten herkommen; daß zu jeder Zeit, wenn irgend eine Regierungsform zerstörend auf diese Endzwecke einwirkt, das Volk das Recht hat, jene zu ändern oder abzuschaffen,
eine neue Regierung einzusetzen, und diese auf solche Grundsätze zu gründen, und deren Gewalten in solcher Form zu ordnen, wie es ihm zu seiner Sicherheit und seinem Glücke am zweckmäßigsten
erscheint.“ Ich erinnerte mich Wort für Wort daran.

Er schüttelte den Kopf. „Etwas auswendig zu wissen ist nicht dasselbe wie es zu begreifen, Kleiner.“ Er bückte sich über den Computer und klickte ein paar Mal. Der Drucker surrte. Dann reichte er mir ein noch warmes Blatt mit dem Behörden-Briefkopf, auf dem stand, dass ich für zwei Wochen vom Unterricht ausgeschlossen war.

„Ich schicke jetzt deinen Eltern eine E-Mail. Wenn du in einer halben Stunde noch auf dem Schulgelände bist, wirst du wegen Hausfriedensbruchs verhaftet.“

Ich blickte ihn an.

„Du willst nicht wirklich in meiner eigenen Schule Krieg gegen mich erklären. Diesen Krieg kannst du nicht gewinnen. RAUS!“

Ich ging.


Wir hatten einmal illegale Mathematik in diesem Land.
Wir haben illegale Chemie in diesem Land.
Lasst es nicht dazu verkommen, dass wir auch noch illegale Kunst in diesem Land bekommen!


Terrorismus, Chemie und Wut – Teil II Chemie, deutsches, eidgenössisches, medien, Recht

Autor:  Eru-Jiyuka
Unglaublich aber wahr, nun pfuscht die Politik dem L. schon in die Reihenfolge seiner nicht chemischen Beiträge hinein... Wenn er dafür nicht viel zu unbedeutend wäre, würde er sich direkt darauf einbilden, dass die das nur machen, um ihn zu ärgern^^ Wie auch immer, die Lanzarote-Konvention kann wohl auch noch ein paar Tage bis zu ihrer juristischen Vernichtung warten, daher beschäftigt sich das L. hier erstmal mit der neusten Überreaktion der spanischen Polizei und der völlig unbrauchbaren medialen Aufarbeitung dieser. Wie, das hatten wer schonmal? Nun, ja scheint so, als hätte die spanische Polizei aus dem letzten Fail nicht wirklich was gelernt -.- Auch diesmal wieder zur Vorwarnung, alle kritischen Überlegungen basieren auf dem schweizerischen und deutschen Rechts sowie einigen allgemeingültigen Rechtsgrundsätzen.

Und da die Einleitung jetzt eh schon vermasselt ist, lässt sich hier gleich abkürzen und zum Sachverhalt übergehen: Ein Student, der sich - so überliefert – vergeblich um den Erwerb von Waffen sowie einem entsprechenden Waffenschein bemühte, bestellt über das Internet die folgenden Chemikalien: Schwefelsäure, Salpetersäure, Kaliumnitrat, Ammoniumnitrat sowie Natriumsulfat. [1]
Auf seinem Blog hatte er, nach Angaben der Ermittlungsbehörden vor einigen Monaten sich für die selbe Musik sowie Kleidung begeistert, die die Täter der Columbine-Morde hörten rsp. trugen. Ausserdem hat er einmal das Buch „Mein Kampf“ aus der lokalen Bibliothek ausgeliehen. Dafür wurde er nun bei mit einer Hausdurchsuchung überzogen, die bestellten Chemikalien wurden beschlagnahmt, der Student verhaftet und ihm wird vorgeworfen, einen Sprengstoffanschlag auf seine Uni vorgehabt zu haben. Bei der Hausdurchsuchung wurde ein Tagebuch gefunden, dass nach Medienangaben seinen „Hass auf die Gesellschaft und insbesondere auf Studenten“ zeigt. [2]

Analysiert man den Sachverhalt mit juristischem und chemischem Sachverstand, so bleibt für die Massnahme nur entsetztes Unverständnis übrig. Erst einmal ist die Einstufung der beschlagnahmten Substanzen als Sprengstoffe vollständiger Humbug. Nichts davon explodiert [3] und dementsprechend ist auch keine der genannten Substanzen als explosionsgefährlich eingestuft. Das sieht selbst das deutsche Sprengstoffgesetz so, listet es doch Ammoniumnitrat nur im Gemisch mit Kohlenwasserstoffen, nicht aber als Substanz als solche. (SprengG Anlage III 1. a) Nr. 0222) Ebenso hält es die eidgenössische Sprengstoffverordnung, in dem sie in Art. 2 lit. b SprstV ausdrücklich von Ammoniumnitrat-Sprengstoffen spricht. Ins Leere zielt aber auch der Vorwurf der Vorbereitung von Explosionsverbrechen, weil dafür neben dem subjektiven Vorsatz, die Stoffe zu Verbrecherischen Zwecken einzusetzen, die objektive Eigenschaften der Substanzen vorhanden sein muss, überhaupt Sprengstoffe bilden zu können. [4]

Die beschlagnahmten Stoffe kann man aber in beliebiger Weise miteinander kombinieren und bearbeiten, man wird keinen Sprengstoff erhalten!

Man kann natürlich argumentieren, dass der Student sich freiverkäufliche Stoffe [5] hätte beschaffen können, mit denen zusammen dann theoretisch die Herstellung von Sprengstoffen möglich gewesen wäre. Anhand des vielen Konjunktivs ist schon zu ersehen, dass diese Ansicht nicht durchgreifen kann.

Die Beurteilung darf nämlich nur aufgrund der Zurechnung der gefundenen Stoffe selbst gebildet werden und nicht auf all dem, was man noch hätte zukaufen können, weil ansonsten die Strafbarkeit über Gebühr – und unter Verletzung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot rsp. des Analogieverbotes (nulla poena, sine lege stricta, nullum crimen sine lege certa) – ausgedehnt würde.

Und wenn der Student wirklich dutzende Rohbomben bauen und diese – wohl zur Schadenserhöhung? – mit Metallpulver versetzen wollte, warum hat die Polizei dann keinerlei Rohre oder ähnliche Metallwaren gefunden und warum befinden sich unter den beschlagnahmten Chemikalien keine Metallpulver? Und warum wurde der Erlenmeyerkolben mitbeschlagnahmt? Hoffte man, schon Spuren von hergestelltem Sprengstoff zu finden? Und wenn ja, wie soll das möglich sein, falls dieser ebenfalls aus der selben Lieferung stammt, wie die Aufreihung im Bild nahelegt?

Die Verwertung des Tagebuchs wirft ein weiteres strafrechtliches Problem auf. Nach ständiger Rechtsprechung hat nämlich jedermann Anspruch auf einen höchstpersönlichen Bereich, der jedem öffentlichen Zugriff entzogen ist, mithin auch nicht zur Aufklärung von Straftaten herangezogen werden darf. [6] Tagebücher sind nach der Wikipediadefinition im Gegensatz zu Weblogeinträgen wie diesem hier nämlich gerade nicht zur Veröffentlichung gedacht, sondern vielmehr Aufzeichnungen von Erlebnissen, Aktivitäten, Stimmungen und Gefühlen als Mittel der Selbstreflektion. „Der Inhalt eines Tagebuches ist normalerweise privater Natur.“ Es dient zur Niederschrift von Gedanken und Beobachtungen, gewissermassen als Auslagespeicher des Gehirns analog zur externen Harddisk des Computers.

Insofern spricht m.E einiges dafür, Tagebucheinträge zu dem skizzierten, unantastbaren höchstpersönlichen Bereich zu zählen, dessen Schutz absolut ist. Es ist auch unter Hinsicht auf das Gleichheitsgebot m.E nicht einzusehen, warum man sich im Vertrauen auf die Schweigepflicht Geistlichen, Anwälten etc. anvertrauen darf, nicht aber einem Tagebuch.

Und wenn dieses Tagebuch angeblich ermittlungstechnisch so erhellend ist und natürlich überhaupt keine unbedeutende private Einträge sondern nur konkrete Anschlagspläne enthält, warum wird es nicht einfach veröffentlicht? Etwa weil sich die Ermittlungsbehörden dann endgültig blamieren würden, weil dort letztlich doch nur private Auslassungen gegenüber ungerechten Behandlungen an der Uni zu finden sind?

Auch hier muss letztlich wieder darauf bestanden werden, dass i.c. diejenigen Taten (Drohbrief, rassistische Äusserungen), denen durchaus zurecht Unrechtsgehalt zurechnen ist, derart unbedeutend sind, dass sie problemlos im Weg des Strafbefehls hätten abgeurteilt werden können.

Und was lernen wer aus diesem Fall nun für die Zukunft?

1. Tagebücher in Papierform werden sehr gefährlich. Scheint so, als müsste man langsam wirklich alles, was im Fall eines staatlichen Übergriffs halbwegs privat bleiben soll, digitalisieren und in ein mathematisch unknackbares verschlüsseltes Verzeichnis einschliessen -.- *das sehr traurig für die Rechtsstaatlichkeit unserer Welt ist*

2. Musikauswahl auf die aktuellen Terrorcharts überprüfen und entsprechend streichen. Also kein Lux Aeterna mehr, auch kein Advent Children, genau so wie Rammstein und Manson, sehen oder hören, dass ist neu böse... Mit anderen Worten ist das L. jetzt Terrorist, weil es Lux Aeterna mag und sich Breivik dieses Lied bei seinem entsetzlichen Verbrechen anhörte? Unglaublich sinnvolle Regelung. Sieht noch jemand den fehlenden Kausalzusammenhang?

3. Bibliothekskarten sauber halten! Offenbar reicht es nun schon, der Obrigkeit nicht genehme Bücher auszuleihen, um in den Hysterieradius zu fallen... Das L. will erst gar nicht wissen, was man mit genügend bösem Willen aus seinem bisherigen Verlauf alles herauslesen könnte... (Gut, dafür dürften die Ermittler da auch etwas beschäftigt sein bei einem durchschnittlichen Durchlaufvolumen von ca. 100 Büchern pro Monat^^) Da Bibliotheken für Studenten elementar sind, weiss das L. hier leider auch nicht, was man raten kann, um nicht in Verdacht zu geraten. Zu den eigentlich benötigten Büchern wahllos andere mitnehmen um sein eigentliches Interesse zu verschleiern? Das wäre unfair gegenüber den anderen Bibliotheksbenützern. Auch ein Jammersystem wie es in Little Brother (S. 65ff.) vorgestellt wurde zu benutzen wäre kontraproduktiv, weil man ja nicht den Betrieb der Bibliothek lahmlegen will... Möglicherweise darf man zukünftig heikle Bücher – welche auch immer das sein mögen [7] – nicht mehr ausleihen sondern nur noch kopieren rsp. in Präsensbibliotheken nachschlagen, um sich nicht verdächtig zu machen.

Schöne Neue Welt -.-

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[1] Die Medien sprechen dabei von 140 Kg Substanzen, was angesichts der Bilder der beschlagnahmten Behälter etwas seltsam anmutet, nicht aber falsch sein muss. Die Verteilung der Substanzmenge auf die einzelnen Chemikalien ist leider nicht überliefert, lässt sich aber ungefähr abschätzen. Eine mögliche Schätzung sei im Folgenden angefügt:

Schwefelsäure -> 1 Flasche zu 1l
Salpetersäure -> 1 Flasche zu 1l
Kaliumnitrat -> 12 Dosen zu 1 Kg sowie 2 Kessel zu 8kg
Ammoniumnitrat -> 3 Kessel zu 8kg
Natriumsulfat -> 1 Dose zu 500g
Macht nach Adamriese (1*1,8356 + 1*1,51 + 12*1 + 2*8 + 3*8 + 1*0.5 ) = 55.8456 kg
Also etwas mehr als ein Drittel der angegebenen Masse...

[2] Die gesammelten Medienberichte:
http://www.20min.ch/ausland/news/story/22725463
http://de.nachrichten.yahoo.com/spanische-polizei-vereitelt-anschlag-auf-universit%C3%A4t-palma-170810242.html
http://de.nachrichten.yahoo.com/polizei-vereitelt-massaker-universit%C3%A4t-mallorca-122725319.html
http://www.morgenweb.de/nachrichten/vermischtes/polizei-vereitelt-amoklauf-1.749916
http://www.n-tv.de/panorama/Spanier-plante-Amoklauf-article7391646.html
http://www.stern.de/panorama/vereitelte-bluttat-auf-mallorca-student-wollte-columbine-massaker-nachahmen-1904840.html
http://diepresse.com/home/panorama/welt/1297598/Mallorca_21Jaehriger-plante-UniMassaker
http://www.merkur-online.de/nachrichten/welt/spanier-plante-massaker-columbine-2532377.html
http://www.dtoday.de/startseite/nachrichten_artikel,-Polizei-vereitelt-Massaker-an-Universitaet-auf-Mallorca-_arid,194159.html
http://www.haz.de/Nachrichten/Panorama/Uebersicht/Junger-Spanier-plante-Blutbad-auf-Mallorca
http://www.n-tv.de/panorama/Spanier-ist-rechtsextrem-article7398336.html
http://www.stern.de/panorama/vereitelte-bluttat-auf-mallorca-student-wollte-columbine-massaker-nachahmen-1904840.html#utm_source=standard&utm_medium=rss-feed&utm_campaign=alle
http://www.stern.de/news2/aktuell/polizei-vereitelt-massaker-an-universitaet-auf-mallorca-1904851.html
http://www.ad-hoc-news.de/spanier-wollte-auf-mallorca-columbine-massaker-nachahmen--/de/News/24414202
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/PANORAMA/Spanische-Polizei-vereitelt-Anschlag-auf-Universitaet-in-Palma-artikel8114951.php
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mallorca-polizei-vereitelt-anschlag-auf-universitaet-a-859528.html#ref=rss

(Übrigens liess sich unter dem Kürzel J.M.M.S nichts blogartiges finden... Falls jemand die Originaleinträge findet, immer her damit^^)

[3] Selbst die direkte thermische Zersetzung von Ammoniumnitrat mittels Brenner – als „gefährlichste“ denkbare Reaktion – verläuft recht gemässigt. Von einer Detonation ist das – wie etwa dieses Video zeigt – noch weit entfernt...

[4] „Von einer konkreten Gefahr kann nur dann die Rede sein, wenn die Verwirklichung des infrage stehenden Risikos nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist. (DONATSCH/WOHLERS „Strafrecht IV“ S. 30) Bezeichnenderweise schrieben die Autoren nichts dazu, was man unter der Wendung „Stoffe, die zu deren Herstellung [Sprengstoffe] geeignet sind, sich verschafft, [die] zu verbrecherischem Gebrauch bestimmt sind“ (StGB 226 II) zu verstehen hat. Der einzige erwähnenswerte Fall zu diesen Vorbereitungshandlungen erscheint ihnen die Übergabe eines Glycerintrinitrat/Kiselgur-Gemisches an Diebe,
die damit einen Tresor aufsprengen wollen. (DONATSCH/WOHLERS, „Strafrecht IV“ S. 63)

Allgemein sind Fallkonstellationen wie i.c. äusserst schlecht bis gar nicht kommentiert, DONATSCH et al. „Schweizerisches Strafgesetzbuch“ verweisen in S. 336 etwa bloss auf ein Bundesgerichtsurteil (BGE 103 IV 241), welches aber allein die Konkurrenzenordnung zwischen den einzelnen Sprengstoffdelikten aufzählt.

Von HAFTER „Schweizerisches Strafrecht Besonderer Teil“ S. 511 erfahren wir zumindest mal, das Salpetersäure unter die zur Herstellung von Sprengstoffen geeignete Stoffe fällt, was nun nicht wirklich erstaunt...

[5] Aus eigener Erfahrung kann das L. berichten, dass man in Spanien im Baumarkt konzentrierte Schwefelsäure in Flaschen zu halbem und einem Liter frei erwerben kann. Ebenfalls (leicht) erhältlich sind Methanol, vergällter Ethanol, Aceton, verdünnte Salzsäure (20%), Ammoniaklösung (5%), Amdiosulfonsäure, Natriumhydroxid, Natriumhydrogencarbonat, sowie Wasserstoffperoxidlösung (3%).

[6] So aus Art. 10 Abs. 2 i.v. mit Art. 13 BV rsp. Art. 2 Abs. 1 i.v. mit Art. 1 Abs. 1 GG herleitbar.
Dazu das Bundesverfassungsgericht in 2 BvR 219/08:

Spoiler
Das in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Dies gilt allerdings nicht schrankenlos. Einschränkungen können im überwiegenden Allgemeininteresse insbesondere dann erforderlich sein, wenn der Einzelne als in der Gemeinschaft lebender Bürger in Kommunikation mit anderen tritt, durch sein Verhalten auf andere einwirkt und dadurch die persönliche Sphäre seiner Mitmenschen oder die Belange der Gemeinschaft berührt.

Jedoch ist ein letzter unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung anzuerkennen, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist. Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen; eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes findet nicht statt.

Im Rahmen eines Strafverfahrens hängt der Umstand, ob ein Sachverhalt dem Kernbereich zugeordnet werden kann, neben dem subjektiven Willen des Betroffenen zur Geheimhaltung davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt.


[7] Dass dies auf „Mein Kampf“ zutrifft, wissen wir dank diesem Beispielfall ja nun. Auch wieder ziemlich lächerlich, wenn man bedenkt, dass man sich das Schriftstück problemlos auf der englischen Wikipedia ziehen kann... Jedenfalls steht zu befürchten, dass bei der derzeitigen Chemikalienhysterie (geplante Besitz- und Verwendungsstrafbarkeit für Salpetersäure >3%!) auch bald jegliche wissenschaftliche Literatur zu psychoaktiven Substanzen und energetischen Materialien als derart heikel gelten wird. -.-