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Das notwendige Tatsubjekt als Täter – Definitionsprobleme und Wertungswidersprüche im Eistee-Fall eidgenössisches, Recht, Sexualstrafrecht, Sinn?, Strafprozessrecht

Autor:  Eru-Jiyuka
0. Einleitung und Sachverhaltsdarlegung

Keine Ahnung, ob das auch nach Deutschland durchgedrungen ist, aber hier in der Schweiz hatten wer in den letzten Monaten einen sehr hoch gekochten Sachverhalt im Sexualstrafrecht, der sich im (un)sozialen Netzwerk Facebook abspielte. Es ging dabei um ein Sexvideo, dass von einem Unberechtigten eingestellt wurde und von Dritten weiter verbreitet wurde. Interessant am Verfahren war vornehmlich, dass auch gegen diejenige Person ermittelt wurde, die allein im Video zu sehen war. (Im folgenden Darstellerin genannt)
Vor einigen Tagen wurde dieser Fall nun abgeschlossen, wobei das Verfahren gegen die Darstellerin eingestellt wurde. Elf Jugendliche, welche das Video verbreitet hatten, haben geringe Jugendstrafen (Sozalstunden) erhalten.

Hier mal die gesammelte Medienberichterstattung dazu:
http://www.heise.de/tp/blogs/5/154062
http://www.tagesanzeiger.ch/panorama/KinderPornografie-Download-mit-rechtlichen-Konsequenzen-/story/19045531
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Junge-Frau-mit-privatem-Sexvideo-gemobbt-/story/12760436
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/-Diese-Jugendstrafen-haben-Signalwirkung--27869991
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/24755122
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/29484258
http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/29118954

Hm, ja... klingt im Ergebnis gut, auch das L. plädiert nachdrücklich auf Straflosigkeit der Darstellerin. Warum das L. mit der Arbeit der Staatsanwälte dennoch nicht zufrieden ist (und daher auch diesen Blogeintrag erstellt hat...)? Das liegt vorallem an der Begründung der Einstellung, die mehr schlecht als recht konstruktiv zusammengewürfelt wirkt. Ausserdem kommt sie zu spät, weil der Fall hinsichtlich der Darstellerin m.E direkt mit Nichtanhandnahmeverfügung erledigt hätte werden müssen, womit alle Beteiligten um vier Monate Stress erleichtert gewesen wären^^

Damit hat das L nun schon wieder den Schlusssatz vorweggenommen...
*sich das endlich mal abgewöhnen sollte* Konsequent wäre es jetzt zwar, den Anfang der Geschichte an den Schluss des Blogs zu setzen, dann versteht dass aber definitiv niemand mehr...

Daher, beginnen wir stattdessen doch mal munter locker-flockig (Hurray für die Schleichwerbung!) mit der Schilderung des Sachverhalts:

X, ein 15-jähriges Mädchen hat sich bei sexuell expliziten Handlungen (Masturbation mit der namensgebenden Flasche) selbst gefilmt. Dieses Video hat sie ihrem Freund Y zu dessen privatem Gebrauch überlassen. Y hat nach Beendigung der Beziehung zu X das Video auf Facebook veröffentlicht. Es wurde von den Jugendlichen A-L verbreitet. Das Verfahren gegen X wird nach Jugendstrafrecht aufgrund starker eigener Betroffenheit gem. Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG eingestellt. Die Jugendlichen A-L wurden wegen Verstoss gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB bestraft, wobei die Strafe gem. Art. 23 JStG aus einer persönlichen Arbeitsleistung in einer sozialen Einrichtung bestand. Gegen Y wurde (noch) nicht ermittelt.[1]

1. Keine Anwendbarkeit von Art. 197 Ziff. 3 StGB, Sinn und Zweck der Strafnorm

Der Sinn der Strafbarkeit der Kinderpornographie liegt ursprünglich darin, sexuellen Missbrauch besser aufzuklären und die daran beteiligten Täter leichter fassen und verurteilen zu können, weil nicht mehr der Missbrauch als solches bewiesen werden musste, sondern es genügte, den Umgang mit durch den Missbrauch hervorgebrachtem Bildmaterial zu belegen.

Bezeichnenderweise wurde die Norm vor dem Siegeszug der Internets erlassen[2], sodass damals noch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass bei Fund grosser Zahl derartiger Bilder auch tatsächlich ein am Missbrauch beteiligter Täter gefunden war.

Das moderne Sexualstrafrecht soll eben gerade nicht mehr dem Aufrechterhalten fragwürdiger Moral dienen[3], sondern die sexuelle Selbstbestimmung des einzelnen schützen.

Es ist letztlich wieder ein klassisches Definitionsproblem. Der fragliche Film ist „Kinderpornographie“ im Wortsinne, nämlich Pornographie VON einem Kind, nicht aber in demjenigen Bedeutungssinne, welcher die Strafwürdigkeit begründet.[4]

Niemand hat die Darstellerin zu den erwähnten Praktiken gezwungen, diese hat vielmehr sogar den Film selbst angefertigt und diesen (mit ihrem Einverständnis) ihrem Freund zu dessen Privatgebrauch überlassen.

Es gibt im Sexualstrafrecht für solche Fälle das Rechtskonstrukt des sogenannten notwendigen Tatsubjekts.[5] Dem reinen Wortlaut nach wäre nämlich das Opfer einer Sexualstraftat bei einem jugendlichen Täter grundsätzlich ebenfalls nach Art. 178 StGB strafbar. Da dies ganz offensichtlich dem Schutzzweck der Norm zuwider laufen würde, wird der Täterkreis, also die Anzahl möglicher Täter mittels teleologischer Reduktion auf diejenigen Tatsubjekte beschränkt, die zur Ausführung der Straftat nicht notwendig sind, mithin weggedacht werden können, ohne dass die Rechtsgüterschutzverletzung entfällt.

Dieses Rechtskonstrukt hat auch Indizierungswirkung, sodass die unmündige Person sich selbst auch nicht in strafbarer Weise nach Art. 195 StGB der Prostitution zuführen oder sich selbst darin festhalten kann. Ebensowenig macht sich ein Kind nach Art. 178 StGB strafbar, in dem es an sich selbst sexuelle Handlungen vornimmt. Auch sind Jugendliche, die sich pornographische Darstellungen im Sinne von Art. 197 Ziff. 1 beschaffen, nicht strafbar, obwohl ihnen die entsprechenden Medien nicht überlassen werden dürfen. [6]

Eine Begründung dafür, weshalb die Anwendung dieses Prinzips auf Art. 197 Ziff. 3 StGB in vorliegendem Fall nicht greifen soll, erfolgt seitens der Staatsanwaltschaft nicht, es scheint vielmehr so, als hätte sie sich mit diesem Problem gar nicht erst befasst. Wendet man die Lehre von der Straflosigkeit des notwendigen Tatsubjekts an, so ist die Herstellung eines sexuell expliziten Videos für die alleinige Darstellerin auch nach Art. 197 Ziff. 3 StGB zwingend straffrei.

Das steht zugegebenermassen so (leider) nicht im Gesetzestext, ist aber geltende Rechtsprechung und wird vom Bundesgericht regelmässig dazu herangezogen, die Strafbarkeit von Kinderpornographie vor Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 19 Abs. 2 UNO-Pakt II überhaupt zu rechtfertigen.[7]

Und bevor jetzt wieder jemand ankommt, und behauptet, es bestehe ein rechtserheblicher Unterschied zwischen der Ausführung einer sexuellen Handlung und deren Dokumentation, die von der Privatheit nach Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasste sexuelle Selbstbestimmung hat auch meinungsrechtlichen Charakter, weshalb auch die Anfertigung von Informationsdokumenten über solche Handlungen nach Art. 10 Abs. 1 EMRK grundfreiheitlichen Schutz geniesst.[8] Soweit die Dokumentation einvernehmlich (oder wie hier selbständig) erfolgt, ist das demnach unerheblich.

Daher sollte man sich m.E vom Komplex des Art. 197 Abs. 3 StGB lösen und besser fragen, ob, wenn man gedanklich einmal den Straftatbestand der verbotenen Pornographie komplett streicht, nicht gleichwohl eine Grundlage für die Bestrafung des Verhaltens der fraglichen Jugendlichen besteht.

Und weil solche Gedankenspielereien immer etwas theoretisch anmuten, macht das L. das mit dem durchstreichen jetzt illustrationshalber mal wirklich. *Leuchtstift zück* So, das sieht dann so aus:



Sehr hübsch^^ [9] Also, Art. 197 StGB ist damit jetzt weg, aber es gibt da ja noch andere Artikel im
Gesetz...

Das eigentliche Problem i.c. ist ja das Einstellen und die Verbreitung des Videos auf Facebook, der damit verbundene Vertrauensmissbrauch und die Verletzung der Privatsphäre der Y. Dass Y als junges Mädchen ihre Sexualität erkundet und dies – warum auch immer – bildlich festhält, nimmt ihr hingegen – hoffentlich – niemand krumm. Jedenfalls aber lässt sich von rechtlicher Seite her nichts einwenden, weil das Verfügungsrecht über ihren Körper gem. Art. 10 Abs. 2 BV bei der Y selbst liegt.

Das verletzte Rechtsgut ist demnach gerade NICHT die sexuelle Integrität, sondern der Geheim- und Privatbereich! Damit erledigt sich die Zuständigkeit des Fünften Titels[10], welchen das L. da gerade auszugsweise experimentell rausgeworfen hat, eigentlich auch rechtlich endgültig...

2. Fehlerhafte Begründung der Einstellung, Möglichkeit zur Nichtanhandnahme verpasst

Da Art. 197 Ziff. 3 StGB nicht anwendbar ist, kann der Darstellerin kein strafrechtliches Fehlverhalten vorgeworfen werden. Was bedeutet dies nun strafprozessual? Nun, der Strafprozess wird gegen Beschuldigte geführt, also gegenüber Personen, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, sie hätten eine bestimmte Straftat verübt. (Art. 111 Abs. 1 StPO) Offensichtlich Unschuldige können, sollen und dürfen nicht Gegenstand eines Strafprozess sein. Deshalb gibt es bei „Irrtümer“ der Strafverfolgungsbehörden, also dann, wenn diese versehentlich eine unschuldige Person verdächtigen oder beschuldigen, mehrere Möglichkeiten, das Verfahren aus Gründen der Effektivität vor der Verhandlung mit förmlichen Freispruch abzubrechen, um beiden Seiten die Auswirkungen unnötiger Ermittlungen zu ersparen.

Eine dieser Möglichkeiten ist die Einstellung des Verfahrens. Diese richtet sich nach Art. 319 StPO und kann beispielsweise dann erfolgen, wenn der Tatverdacht nicht erhärtet werden konnte, oder der Anwendung eines Strafartikels ein Rechtfertigungsgrund entgegen steht. Die Einstellung erfolgt gem. Art. 318 Abs. 1 StPO erst nach Abschluss aller Unterschuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft.

Die besondere Betroffenheit des Täters an der eigenen Tat ist kein direkter, in der StPO geregelter Grund für eine Einstellung, er ergibt sich jedoch sowohl im Erwachsenen- wie auch im Jugendstrafrecht aus den Strafbefreiungsgründen des materiellen Strafrechts. Sowohl Art. 54 StGB wie auch Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG listen die besondere Betroffenheit des Täters an der eigenen Tat als Strafbefreiungsgrund. Gem. Art. 319 Abs. 1 lit. e StPO ist ein Verfahren einzustellen, wenn nach Massgabe des Gesetzes auf Verfolgung oder Bestrafung verzichtet werden kann, sprich, wenn ein Strafbefreiungsgrund vorliegt.

Eine andere Möglichkeit ist die Nichtanhandnahme des Verfahrens. Gem. Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO hat die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme unmittelbar zu verfügen, wenn aufgrund des Vortrags des Anzeigenden oder der polizeilichen Vorermittlungen klar ist, dass das fragliche Verhalten des Verdächtigen keine Straftat darstellt. Diese Form der Nichtanhandnahme erledigt das Verfahren wie eine Einstellung wegen Strafbefreiung mit der Ausnahme, dass die verdächtige Person dabei nicht bloss straflos ausgeht, sondern auch gar nicht erst als Straftäter gilt.

Wie man die Nichtanhandnahme in der Praxis korrekt zu verfügen hat, erläutert eine Weisung der Schwyzer Oberstaatsanwaltschaft hier sehr schön.
(Offenbar ist die Schwyzer Oberstaatsanwaltschaft wesentlich rechtsstaatlicher ausgestaltet als die dortige Polizei...)

Demnach ist nicht nach Abschluss der Ermittlungsarbeiten einzustellen, sondern ohne weitere Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft durch diese direkt Nichtanhandnahme zu verfügen, wenn schon aufgrund der Aktenlage klar ist, dass keine Strafratsbestände verwirklicht wurden

In casu wäre daher spätestens nach Kenntnisnahme des Inhalts des fraglichen Videos sowie der Feststellung der Tatsache, dass selbiges von Y allein und ohne jeglichen äusseren Druck freiwillig aufgenommen wurde, die sofortige Verfügung der Nichtanhandnahme des Verfahrens gegen Y angezeigt gewesen.

Dies wäre für beide Seiten vorteilhaft gewesen. Y wäre vom Tatverdacht befreit worden und sie hätte damit nicht über vier Monate darum bangen müssen, ob ihr – an sich völlig natürliches – Verhalten nicht doch eine möglicherweise empfindliche Strafe nach sich zieht. Voraussichtlich wäre sie wohl auch nicht im Kollegenkreis derart gehänselt worden, wäre ihr Name direkt zu Beginn des Verfahrens reingewaschen worden. *das L. hätte das jedenfalls getan...*

Die Staatsanwaltschaft hätte sich auf die Ermittlung gegen X und die fraglichen Jugendlichen, welche das Video weiterverbreiteten, konzentrieren können und hätte sich nicht darin verzettelten müssen, entlastende Tatsachen oder Rechtsnormen für die Straffreiheit der Y zu finden.

Das zuständige Staatsanwalt hätte zudem Y als Zeugin gem. Art. 162ff. StPO befragen und dann zur Mitarbeit und zur Aussage, insbesondere über die Identität ihres ehemaligen Freundes X direkt anhalten können.(Bei einer Beschuldigten ist dies aufgrund deren Verweigerungsrechten nach Art. 113 Abs. 1 StPO nicht möglich...) Zudem wäre Y sicherlich weit kooperativer gewesen, wenn direkt zu Beginn des Verfahrens die Strafdrohung für sie weggefallen worden wäre und sie nicht als Sexualstraftäterin verunglimpft worden wäre... [11]

3. Anwendbarkeit von Art. 179quater StGB, Sinn und Zweck der Strafnorm

Wenden wir uns also dem einschlägigen Rechtsgut und damit dem Dritten Titel[12] zu. Dort bietet sich Art. 179quater StGB an, welcher die Aufnahme von Tatsachen aus dem Geheim- und Privatbereich ohne deren Einwilligung, sowie die Aufbewahrung und Zugänglichmachung an Dritte von solchen Aufnahmen unter Strafe stellt.

Zu prüfen ist also, ob sich die Handlung von X (Veröffentlichung des Videos auf Facebook) und diejenige der Jugendlichen A-L (Weiterverbreitung des Videos) unter diese Strafnorm subsumieren lässt.

Dass nicht nur die Ehre, sondern auch die Privatsphäre strafrechtlich geschützt ist, und der staatliche Schutz derer sich keineswegs nur in Art. 28 ZGB und damit in zivilrechtlichen Handlungsmöglichkeiten erschöpft, geht leider nur all zu gerne vergessen. Art. 179quater StGB ist daher ein bedauerlicherweise häufig übersehener Tatbestand, dementsprechend besteht relativ wenig Literatur und Rechtsprechung hierzu. (Ganze 3 Urteile in 43 Jahren, kein einziger BGE, kein einziges Urteil vor 2000...) Immerhin bestätigt das Bundesgericht in BGer 6B_131/2012 die Verurteilung des Obergerichts Zürich in einem sehr ähnlichen Fall.

Dort ging es um mittels Mobiltelefon und Fotokamera aufgenommene sexuelle Nötigung, die durch die Penetration einer schlafenden Frau mit Fingern, einer Banane und einer Karotte begangen (fragt nicht, wie das gehen soll, es steht so im Urteil...) und von den Tätern gefilmt wurde. Damit ist immerhin schon mal geklärt, dass sexuelle Aktivitäten zum „Geheim- und Privatbereich“ im Sinne der Norm zählen. Ebenso wird klargestellt, dass auch Handykameras Aufnahmegeräte darstellen. Fraglich ist aber, ob der Unwertsgehalt auch dann noch genügend hoch ist, wenn die Aufnahme mit Einwilligung der Darstellerin rsp. durch diese selbst erfolgt, dann aber unbefugt veröffentlicht und verbreitet wird, um die Strafwürdigkeit der Handlung zu begründen.

M.E ist dies klar zu bejahen. Auch vor dem Bestimmtheitsgebot des Art. 1 StGB ist es vertretbar, Art. 179quater StGB nicht nur auf Aufnahmen anzuwenden, die entgegen des Willens der Betroffenen erstellt wurden und dann verbreitet werden, sondern auch auf solche Aufnahmen, die zwar mit Willen der Betroffenen erstellt wurden, aber entgegen deren klarem Willen verbreitet wurden.

Der Verstoss gegen das Rechtsgut der Privatsphäre wird nicht schon deshalb inexistent, weil für die Aufnahme eine Einwilligung zu Privatgebrauch vorliegt. Art. 179quater StGB verlangt nicht zwingend eine strafbare Vortat. Insoweit besteht deshalb m.E klar keine Akzessorietät von der Einwilligung zur Aufnahme/Gebrauch auf die Erlaubnis zum veröffentlichen/verbreiten.

Diese Auslegung wird teilweise auch von der Lehre gestützt. Der Schutzzweck der Norm wird nämlich einvernehmlich darin gesehen, dass dem einzelnen einen Bereich zur Zurückgezogenheit zugesprochen wird, der von der Kenntnis der Öffentlichkeit absolut ausgeschlossen ist. Geschützt sei auch das Recht am eigenen Bild bei intimen Betätigungen.[13] Wenn dem so ist, kann es nicht darauf ankommen, auf welche Art und Weise dieses Kenntnisverbot unterlaufen wird, solange es durch die wie auch immer geartete unbefugte Verwertung einer Aufnahme erfolgt.

Demnach hat sich X wegen Zugänglichmachens einer den Privatbereich verletzenden Aufnahme gem. Art. 179quater StGB strafbar gemacht. Die Jugendlichen A-L haben wegen Aufbewahrung und Zugänglichmachung derselben Aufnahme gegen Art. 179quater StGB verstossen.

4. Problematische Kombinationswirkungen nach künftigem Recht

Man könnte letztlich auch einwenden, dass es sich bei der Frage, ob Art. 179quater StGB oder Art. 197 Ziff. 3 StGB einschlägig ist, um ein rein semantisches Problem handle, weil das Ergebnis (Milde Bestrafung der Jugendlichen) ja gleich sei. Dem ist jedoch keineswegs so. Die Verurteilung nach Art. 197 Ziff. 3 StGB zieht nämlich mittlerweile einen regelrechten Rattenschwanz an kombinierten Rechtsfolgen[14] nach sich.

Das beginnt mit der unsäglichen Lanzarote-Konvention. Diese sieht in Art. 37 Abs. 1 vor, dass die Identität und der genetische Fingerabdruck (DNA) jedes Sexualstraftäters zu Präventionszwecken aufgezeichnet werden muss und diese Informationen jedem Mitgliedsstaat für deren Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden müssen.

Die Schweiz sträubt sich mit ihrem Umsetzungsversuch glücklicherweise zwar noch gegen die Einrichtung eines solchen Registers, aber es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis auch dies kommen wird, weil gegen diesen Artikel kein wirksamer Vorbehalt angebracht werden kann. (Dem L. persönlich hätte der Schwachsinn schon genügt, um die Konvention nicht zu unterzeichnen, aber das hatten wer ja schon mal...)

Das ist aber – natürlich – noch längst nicht alles. Es sind zurzeit nämlich zwei weitere Gesetzgebungsprozesse im Gange, die Auswirkungen auf Personen haben, welche als Sexualstraftäter verurteilt wurden. Einerseits ist dies der direkte Gegenentwurf des Ständerats zur sogenannten Pädophilen-Initiative. Dieser sieht in einer sehr komplizierten Kaskadenordnung (der Entwurf hat 27 Artikel, die Initiative nur einen einzigen!) vor, dass jedem, der eine Strafe nach Art. 197 Ziff. 3 verwirkt, ein Berufsverbot von mindestens einem Jahr droht (Art. 67 Abs. 2 nStGB, Art. 67 Abs. 3 lit. c nStGB).

Dieses gilt für alle „Tätigkeiten in Ausübung eines Haupt- oder Nebenberufs oder -gewerbes oder eines Handelsgeschäfts.“ (Art. 50a Abs. 1 nMStG), was auch immer das im Kontext nun heissen mag...

Die Höchstdauer dieses Verbots beträgt ordentlich 10 Jahre, kann aber vom Gericht ausserordentlich auch lebenslänglich ausgesprochen werden. (Art. 67 Abs. 6 nStGB) Diese Normen sind ausdrücklich auch auf Jugendliche anwendbar. (Art. 16a nJStG) Solche Massnahmen können auch nachträglich angeordnet werden. (Art. 67d nStGB) Ob sie entgegen Art. 2 Abs. 1 StGB auch rückwirkend anwendbar sein werden, ist noch nicht absehbar, aber wohl aufgrund des emotional aufgeladenen Themas nicht sehr unwahrscheinlich... (Und mal wieder werden Pädophile mit Kinderschändern verwechselt -.-)

Irgendwie hat das L. das Gefühl, dass dieser Entwurf ein Referendum geradezu herbei bittet^^ (Von ihm gibt's jedenfalls ein schallendes NEIN! In die Urne, sowohl für den Entwurf als auch die Initiative... Wäre wohl auch allgemein keine schlechte Idee, falls jemand noch unschlüssig ist... )

Andererseits die Einführung von Staatstrojanern als zulässige Überwachungsmethode in die StPO. (Man muss der NSA und der dortigen Postüberwachung natürlich technologisch sofort nacheilen -.-)
Nach Art. 269bis nStPO sowie Art. 269ter nStPO soll es neu der Staatsanwaltschaft gestattet sein, sogenannte „besondere technische Geräte“ zur Überwachung einzusetzen sowie „besondere Informatikprogramme“ in ein Datenverarbeitungssystem einzuschleusen. Angewandt werden dürfen diese neuen Massnahme für jedes Delikt des Katalogs von Art. 269 Abs. 2 lit. a nStPO, damit also auch für vermutete Verstösse gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB.

Leider kann man gegen Bundesgesetze keine öffentlich-rechtliche Beschwerde erheben (Art. 190 BV), ansonsten würde das L. dagegen mal wieder prozessieren^^ Die Piraten (und andere junge Parteien) haben aber immerhin bereits eine Petition (die schon mit einer Gegenstimme abgeschmettert wurde) und ein Bündnis zum politischen Sturm auf das Gesetz zusammen gestellt: https://buepf.ch/

Wer künftig die falschen (auch fiktionalen!) Pornos guckt, oder versehentlich auf eine Seite mit solchen, neu strafbaren Daten gerät, muss also neben der ordentlichen Strafverfolgung auch mit folgendem Rechnen:

a. Eintrag ins (noch zu schaffende) Register für Sexualstraftäter
b. Abnahme und Speicherung von Personendaten und genetischem Fingerabdruck (DNA)
c. Weiterleitung dieser Informationen an alle Mitgliedsstaaten, die der Konvention angeschlossen sind
d. Allfällige zusätzliche und erneute Strafverfolgung nach weitergehendem Recht dieser Nationen.
e. Entzug der Lehrberechtigung sofern vorhanden und Berufsverbot für wenigstens ein Jahr in diversen Professionen, die irgendwas mit Kinderbetreuung zu tun haben.
f. Ständige Überwachung von Post- und Fernmeldeverkehr durch den Staatstrojaner


Beim Verstoss gegen Art. 179quater StGB tritt all dies hingegen nicht in Kraft, es hat sich (wie bei beinahe allen anderen Verurteilungen auch) mit der Verbüssung der Strafe... Und da es ganz offensichtlich ausser jedem Verhältnis stünde, sowohl X als auch die Jugendlichen A-L wegen ihren relativ gering wiegenden Rechtsgutsverletzungen die Zukunft durch solche Massnahmen vollständig und nachhaltig zu verbauen, erachtet das L. eine Verurteilung der vorgenannten wegen Art. 179quater StGB für wesentlich sinnvoller, als die Verurteilung bei selber Bestrafung nach Art. 197 Ziff. 3 StGB.

5. Zusammenfassung

I. Das Veröffentlichen und Verbreiten eines Sexvideos entgegen dem ausdrücklichen Willen der Darstellerin ist eine Straftat gem. Art. 179quater StGB.

II. Die Darstellerin eines sexuell expliziten Videos kann sich nicht selbst der Herstellung von Kinderpornographie gem. Art. 197 Abs. 3 StGB strafbar machen, weil sie zugleich notwendiges Tatsubjekt ist. (Sie wird künftig allerdings nach Art. 197 Abs. 8 nStGB e contrario strafbar sein, weil das Rechtskonstrukt des notwendigen Tatsubjekts durch die Umsetzung der Lanzarote-Konvention insoweit aufgegeben wird und die Ausnahmevorschrift nur für Jugendliche über 16 Jahren gilt)

III. Die Einstellung des Verfahrens gegen die Darstellerin ist im Ergebnis zu begrüssen, die Begründung über Art. 21 Abs. 1 lit. d JStG wegen besonderer Betroffenheit der Darstellerin erscheint hingegen verfehlt. Angemessener (und schneller) wäre eine Nichtanhandnahmeverfügung nach Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO (keine Tatbestandserfüllung) gewesen.

IV. Strafart und Strafmass der im Eistee-Fall Abgeurteilten erscheinen angemessen.

V. Die Stigmatisierung der Abgeurteilten als Sexualstraftäter hingegen erscheint unangemessen, und ist insbesondere in Hinsicht auf die künftig damit verknüpften Massnahmen (Entzug der Lehrbefähigung, Eintrag in ein entsprechendes Register sowie Überwachung durch Staatstrojaner) klar sinnentstellend.
Es verstösst wohl auch gegen Art. 11 Abs. 1 BV.

Übrigens, wem die Grundaussage (schnelle Nichtanhandnahme statt langwieriger Einstellung = doppelplus sinnvoll) bekannt vorkommt, ja in einer ähnlichen Verfahrenskonstellation hat sich das L. auch schon mal dafür ausgesprochen...

Und nur um dies noch einmal klar zu stellen, das L. ist keineswegs gegen harte Bestrafung tatsächlicher Sexualstraftäter. So hat er sich etwa über dieses Urteil, welches gegen einen Mann, der durch Nötigung und geschickte Täuschung sexuelle Dienstleistungen von etlichen (männlichen!) Kindern erzwungen hat, eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängte, sehr gefreut. Das L. begrüsst den Entscheid sowohl im Ergebnis wie auch in der Begründung und von Strafart und Strafmass her in vollem Umfang.

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[1] Die Berichterstattung hierzu ist nicht sehr eindeutig. Laut einigen Medien wurde Y gar nicht erst strafrechtlich verfolgt, andere sprechen davon, das Verfahren sei (ohne Strafe) abgeschlossen, wieder andere halten eine künftige Verfolgung für ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich. Der Tenor der Kommentare jedenfalls drängt mehrheitlich auf Strafverfolgung von Y, was – wie im folgenden aufgezeigt – rechtlich wohl geboten wäre.

[2] Der bundesrätliche Entwurf samt zugehöriger Botschaft stammt aus dem Jahre 1985. (BBl 137 II 1091)
Laut Wiki begann der Aufstieg des Internets frühestens um 1993, es fand gegen Jahrtausendwende mehrheitliche Verwendung und soll sogar erst seit 2007 überwiegend allgemein verbreitet sein.

[3] Zustimmend NIGGLI/WIPRÄCHTIGER „Basler Kommentar, Strafrecht II“ S. 1197, REHBERG/SCHMID/DONATSCH „Strafrecht III“ S. 452

A.M. noch BGE 128 IV 201 E. 1.4.2 Satz 2, welcher m.E zu unrecht darauf abstellt, dass „Die Strafbarkeit pornographischer Darstellungen gemäss Art. 197 Ziff. 3 dem Schutz der öffentlichen Moral“ dient. (Und m.E ebenfalls zu unrecht subsumiert, der Verkauf harter Pornographie, die nicht unter Verletzung eines Rechtsguts hergestellt wurde, ausschliesslich an einen Kreis interessierter Erwachsener sei strafwürdig)

[4] Vgl. § 10 KO (und ja, das ist ein selbst gebasteltes Gesetz... ändert aber an der Grundaussage nichts^^)

[5] NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 1103 bezeichnen es als „mitwirkendes Opfer“

[6] Inwiefern solche Täuschungsmanöver allenfalls Einfluss auf die strafrechtliche Verantwortung des
zu Unrecht Überlassenden haben können und insbesondere, ob irgendwann der agent-provocateur Vorbehalt zu dessen Gunsten greift, ist eine sehr spannende Rechtsfrage, die im Rahmen dieses Beitrags jedoch nicht behandelt werden kann... Ideen dazu gerne in die Kommis^^

[7] So etwa BGE 131 IV 64, E. 11.2 Satz 3:
Spoiler
Das Verbot kann seinen Zweck in diesem Bereich daher nur umfassend erfüllen, wenn ein Werk in jedem Fall als kinderpornographisch betrachtet wird, sobald daraus erkennbar ist, dass seine vorsätzliche Herstellung in der Schweiz nach Art. 187 StGB strafbar wäre

Neuer auch BGE 133 IV 31, E. 6.1.2 Satz 2:
Spoiler
Ein Werk ist schon als kinderpornographisch zu betrachten, wenn daraus erkennbar ist, dass seine vorsätzliche Herstellung in der Schweiz nach Art. 187 StGB strafbar wäre.

Das Bundesgericht geht dabei jeweils davon aus, dass jede Darstellung, die nach Art. 197 Ziff. 3 StGB strafbar ist, von einem sexuellen Missbrauch nach Art. 178 StGB geprägt wird.

Und nur ums nochmal deutlich festzuhalten: Soweit es dabei um die bildliche Darstellung echten, sexuellen Missbrauch an kindlichen Opfern geht, hält das L. die Begründung für überzeugend und die Kriminalisierung für dringend geboten, lediglich die Bezeichnung als Pornographie ist dann halt immer noch verfehlt. (Die Piraten haben dafür mal „Dokumentierter Missbrauch“ als Straftatnamen vorgeschlagen...) Für den fiktionalen Rest gelten §§ 1f. KO und da ist die Begründung des Bundesgerichts dann Kokolores, weil offensichtlich unzutreffend.

[8] Sogar der unbefugten Veröffentlichung und Verbreitung des Videos kommt ganz streng genommen der Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 1 EMRK zu. Diese wird jedoch durch das Rechtsgüterschutzprinzip durchbrochen, weil gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK zum Schutz von Rechten anderer Einschränkungen der Meinungsäusserungsfreiheit zulässig sind und diese Einschränkung gem. des bedingten Anspruchs auf staatliches Handeln durch Art. 35 Abs. 1 BV i.v. mit der Informationellen Selbstbestimmung nach Art. 13 Abs. 1 BV auch tatsächlich erfolgen muss.

[9] Bevor jemand aufschreit, das ist ein altes StGB (2006), welche ohnehin schon fast auseinanderfällt und daher bedenkenlos für solche Zwecke benutzt werden kann *sonst ja recht penibel im Umgang mit Gesetzbüchern ist*

[10] Kapitelüberschrift der Artikel 187-200 des schweizerischen Strafgesetzbuchs.
Die Kapitelüberschrift zeigt jeweils das geschützte Rechtsgut an, hier die sexuelle Selbstbestimmung

[11] Die Strafbefreiung erledigt auch bei Einstellung des Verfahrens nicht die Tatbestandsmässigkeit. Rein formal gesehen hat Y demnach bei diesem Verfahrensausgang gegen Art. 197 Ziff. 3 StGB verstossen und ist demnach (obwohl noch selbst Kind!) Sexualstraftäterin geworden. Immerhin bleibt ihr dank fehlendem Urteil Art. 37 Abs. 1 Lanzarote-Konvention erspart. Zu diesem künftigen Nonsens sogleich Punkt 4 dieses Beitrags.

[12] Kapitelüberschrift der Artikel 173-179octis des schweizerischen Strafgesetzbuchs.
Die geschützten Rechtsgüter sind die Ehre, die Privatsphäre sowie die informationelle Selbstbestimmung

[13] REHBERG/SCHMID/DONATSCH S. 345 fordern Straflosigkeit bei Einwilligung der Betroffenen, geben als Beispiel aber nur „TV-Aufnahmen nach dem Muster <<Big Brother>>“ an, womit sie wohl aussagen möchten, dass sich die Einwilligung sowohl auf Aufnahme als auch auf Veröffentlichung/Verbreitung erstrecken muss.

NIGGLI/WIPRÄCHTIGER S. 946 stimmen bezüglich des Rechtsguts zu, geben auf S. 948 aber zu bedenken, dass Verbreitungen nur im Rahmen von Photokopierer, genutzt zur Vervielfältigung von Tagebüchern, Bildern oder Plänen als Aufnahmegeräte angesehen werden können.

[14] „Kombinierte Rechtsfolge“ ist kein eigentlicher juristischer Terminus, sondern ein vom L. geschaffener Neologismus. Er erscheint jedoch insofern passend, als dass er den Sinn, nämlich den nicht mehr allzu seltenen Fall, dass eine Norm bei Erfüllung der Voraussetzung für ihre Anwendung nicht nur die von ihr selbst vorgeschriebenen Auswirkungen (Rechtsfolgen) zeigt, sondern auch diejenigen anderer Gesetzesartikel auslöst, klar wiedergibt und gleichzeitig sowohl kurz als auch prägnant ist.
Wie immer, falls jemand ne bessere Bezeichnung für das Phänomen hat, immer her damit^^ Vorschläge werden dankend angenommen...











Für einen kurzen Abriss zu den Kommentaren des letzen Blogeintrags:


PS: An alle „Dagegen“-Schreier vom letzten Weblogeintrag (einschliesslich der Kommentare bei Major zum Thema). Die vom L. gegen die Umsetzung der Lanzarote-Konvention gerichtete Petition hat einen ersten Achtungserfolg erzielt, die Beratung des Gesetzes wurde vorübergehend ausgesetzt und wird erst im Herbst wieder aufgenommen. Offensichtlich erscheinen dem Parlament die Argumente nicht derart abwegig, wie ihr da so ausgiebig herbeigeredet habt...

Und nur weil es das L. wirklich genervt hat: Dass Pornographie unter die Meinungsäusserungsfreiheit und Informationsfreiheit fällt ist nun einfach mal eindeutig ausjudiziert und es wird von Lehre und Rechtsprechung einhellig bejaht. Wenn ihr dem L. schon nicht glauben wollt, wie wäre es dann mit den einschlägigen Staatsrechtsbüchern und Strafrechtskommentaren? (Ob seine Herleitung dessen so gelungen war, darüber lässt sich natürlich streiten, wobei er diese auch bei mehrmaligem Nachlesen immer noch nicht für vollständig unhaltbar erachtet.)

BIAGGINI/GÄCHTER/KIENER (Staatsrecht, 2011) schreiben zur Meinungs-, Informations- und Kunstfreiheit etwa ausdrücklich:
Spoiler
Eine Meinung fällt unabhängig von ihrem Inhalt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. ... Garantiert ist das Recht der Rezipienten, verschiedene Nachrichten und Meinungen ohne Eingriffe der Behörden zu empfangen, aus allgemeinen zugänglichen Quellen aktiv zu beschaffen und die Informationen weiterzuverbreiten. ... Daher liegt es auf der Hand, dass die Erzeugnisse der Künstler unter Umständen schockieren und Empörung auslösen, weil sie Anstössiges vornehmen. Die Kunstfreiheit schützt die Künstler speziell in dieser Dimension von Kunst: Dem Staat ist es verwehrt, über die Beschränkung der Kunstfreiheit für <<brave>>, <<angepasste>> und <<stromlinienförmige>> Kunst zu sorgen.


HÄFELIN/HALLER/KELLER (Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 2008) halten zum Thema insbesondere fest:
Spoiler
Als Mittel der geschützten Meinungsäusserung kommen grundsätzlich alle Äusserungsmöglichkeiten in Frage, namentlich Mitteilungen im Internet. ... Auch staatliche Massnahmen, die eine abschreckende Wirkung in dem Sinne aufweisen, dass Personen sich nicht mehr getrauen, von ihrer Meinungsäusserungsfreiheit Gebrauch zu machen, weil sie staatliche Sanktionen befürchten, stellen einen Eingriff in Art. 10 EMRK dar.


FROWEIN/PEUKERT (EuropäischeMenschenRechtsKonvention, 2009) stellen klar:
Spoiler
Zu diesem Zweck müsse es die Möglichkeit haben, Beziehungen verschiedenster Art, einschliesslich sexuelle Beziehungen, zu anderen Menschen aufnehmen. ... Es ist klar, dass mündliche, schriftliche und gedruckte Äusserungen ebenso wie die mit den Mitteln der Kunst in der Meinungsfreiheit im engeren Sinne enthalten sind.


REHBERG/SCHMID/DONATSCH (Strafrecht III, 2003) erklären:
Spoiler
Nunmehr nimmt das Gesetz den engeren Begriff der Pornographie zum Bezugspunkt; immerhin bleibt das Zugänglichmachen sowie teilweise der Erwerb, das Beschaffen und des Besitz sog. <<harter>> Pornographie schlechthin verboten. Zwar wird durch diese Norm die Freiheit der Meinungsäusserung gemäss BV Art. 16, EMRK Art. 10 sowie IPBPR Art. 19 tangiert, jedoch ist deren Einschränkung in gewissem Umfang zulässig.


So auch NIGGLI/WIPRÄCHTIGER (Basler Kommentar - Strafrecht II, 2007):
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Das BGer hat zu Recht in BGE 128 IV 201 festgestellt, dass der Verkauf pornographischer Darstellungen unter den Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit von EMRK Art. 10 fällt, selbst wenn sie keinen informativen Gehalt aufweisen, sondern rein kommerziellen Zwecken dienen.


Wenns was aktuelleres sein darf, kann das L. auch noch diese Publikation (2012) des Dekans der zürcherischen Rechtsfakultät anbieten:
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Einerseits erfordert der Jugendschutz, dass ein effektives Zugangskontrollsystem eingerichtet wird, welches den Schutz der gefährdeten Personengruppen gewährleisten kann, andererseits muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Medien- und Wirtschaftsfreiheit der Anbieter (Art. 17 und 27 BV) sowie die Meinungs- und Informationsfreiheit der Erwachsenen nicht verletzt wird (Art. 16 BV; Art. 10 Ziff. 1 EMRK).
Zwischen diesen widerstrebenden Interessen muss ein Ausgleich gefunden werden.
Dabei wäre es unverhältnismässig, „zum Zwecke des Jugendschutzes auch sämtlichen Erwachsenen den Zugang zu weicher Pornographie per se zu verunmöglichen.“

Gleichermassen hat die Europäische Kommission für den Bereich des Internets schon 1996 festgestellt, dass (straf-)rechtliche Einschränkungen zum Schutz von Jugendlichen und Kindern nicht dazu führen dürften, die Internetverbreitung bestimmter Informationen, die Erwachsenen über andere Medien frei zugänglich sind, völlig zu verbieten.


Oder vielleicht findet das Bundesgericht mehr Anklang? Auch das hat schon mehrfach entschieden, dass Pornographie unter Art. 10 Abs. 1 EMRK fällt.

So etwa
BGE 128 IV 201 E.1.4.1:
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Auch pornographische Darstellungen
werden von Art. 10 EMRK erfasst, selbst wenn sie keinen informativen Gehalt aufweisen, sondern rein kommerziellen Zwecken dienen. Denn die genannte Konventionsgarantie schützt – ohne Wertung des Inhalts – alle Formen der Äusserung. Dementsprechend wird auch der von den Beschwerdeführern vorgenommene Verkauf pornographischer Magazine und Videokassetten durch Art. 10 EMRK geschützt.


BGE 133 II 136 E. 7:
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Zwar erstreckt sich die Meinungsäusserungsfreiheit von Art. 10 EMRK auch auf pornographische Darstellungen, die keinerlei informativen Gehalt aufweisen und rein kommerziellen Zwecken dienen, doch räumt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den nationalen Behörden in diesem Zusammenhang einen relativ grossen Beurteilungsspielraum ein , der hier nicht überschritten wurde. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.


BGE 114 IV 23 E. 4:
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[1]Unter Hinweis auf Art. 10 i.V. mit Art. 8 EMRK beruft sich der Beschwerdeführer auf einen menschenrechtlichen Anspruch auf Zugang zur Pornographie, welcher sich aus der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens herleiten lasse; die Meinungsäusserungsfreiheit wolle die Auseinandersetzung und dürfe nur dort eingeschränkt werden, wo echte öffentliche Interessen (öffentliche Gesundheit oder Moral) oder ein "dringendes soziales Bedürfnis" auf dem Spiele stünden.

Soweit der Beschwerdeführer damit geltend macht, das Bundesgericht habe Art. 204 StGB konventionswidrig ausgelegt, kann auf das Rechtsmittel eingetreten werden, nicht dagegen auf die Rüge einer unmittelbaren Verletzung der EMRK.

Bundesgesetze sind verfassungskonform auszulegen, sofern nicht der Wortlaut oder der Sinn des Gesetzes etwas anderes gebietet. Nach dem Wortlaut von Art. 204 Ziff. 1 Abs. 3 StGB macht sich u.a. strafbar, wer unzüchtige Objekte "öffentlich oder geheim verkauft". Diese Regelung ist klar und eindeutig und lässt für Auslegung keinen Raum. Auch dem Sinn des Gesetzes lässt sich nichts anderes entnehmen, als dass jeder Handel mit pornographischen Erzeugnissen verboten werden sollte. Ob die Strafbestimmung als solche mit der Menschenrechtskonvention in Einklang steht, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Auf diese Frage aber läuft die Begründung der Beschwerde letztlich hinaus, so dass in diesem Umfang darauf nicht eingetreten werden kann.


BGE 114 IV 116 E. :
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Nach Art. 10 Ziff. 1 EMRK habe jedermann Anspruch auf freie Meinungsäusserung. Der Begriff "Meinung" sei weit zu fassen, und es seien darunter auch "das Kunstschaffen und dessen Hervorbringungen zu verstehen". Genau genommen sei die "Äusserungsfreiheit schlechthin" bzw. die "umfassende Freiheit individueller Kommunikation" garantiert. Da es sich vorliegend um einen Film handle, sei auch bei unzüchtigem Inhalt "grundsätzlich von einem Kunstwerk im weitesten Sinn auszugehen“.(Zitat der Entscheidung vom Zürcher Obergericht, das Bundesgericht hat damals die Frage noch offen gelassen)


Oder falls das als Beleg immer noch nicht genügt, es gibt auch Urteile des europäischen Menschenrechtsgerichtshof zum Thema, wo dies ausdrücklich bejaht wird, etwa


EGMR 10737/84 E. 14/33:

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Nach Auffassung des Strafgerichts des Bezirks Saanen hatten die Bilder einen Inhalt (bildliche Darstellung von Sodomie, Fellatio, Bestialismus, erigierte männliche Geschlechtsorgane), der sie für die Mehrheit der Bevölkerung moralisch grob anstößig erscheinen lasse.

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In diesem Zusammenhang muss der Gerichtshof wiederholen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung, wie sie in Art. 10 Abs. 1 verankert ist, einen der Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft darstellt, eine der Grundvoraussetzungen für ihren Fortschritt und für die Entfaltung eines jeden Einzelnen. Vorbehaltlich der Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 gilt dieses Recht nicht nur für die günstig aufgenommenen oder als unschädlich oder unwichtig angesehenen „Informationen“ oder „Ideen“, sondern auch für die,
welche den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen. So wollen es Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es eine „demokratische Gesellschaft“ nicht gibt. Wer Kunstwerke schafft, interpretiert, verbreitet oder ausstellt, trägt zum Austausch von Ideen und Meinungen bei, der für eine demokratische Gesellschaft wesentlich ist. Deshalb ist es eine Verpflichtung des Staates, deren Meinungsäußerungsfreiheit nicht unangemessen zu beeinträchtigen.


EGMR 5493/72 E. 20/32/49 :

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Das Kapitel über Schüler enthielt einen 26 Seiten langen Abschnitt über „Sex“, in dem es folgende Unterabschnitte gab: Onanie, Orgasmus, Beischlaf und Petting, Verhütungsmittel, Feuchte Träume, Menstruation, Kinder-Schänder oder „alte Schweine“ („dirty old men“), Pornographie, Impotenz, Homosexualität, Normal oder abnorm, Finde mehr heraus, Geschlechtskrankheiten, Abtreibung, Legale und illegale Abtreibung, Denk daran, Abtreibungsmethoden und Nützliche Adressen für Hilfe und Rat in Sachen Sex. In der Vorbemerkung hieß es: „Dieses Buch ist als Nachschlagebuch gedacht. Lies es nicht auf einmal durch, sondern benutze das Inhaltsverzeichnis, um herauszufinden, was Dich interessiert und worüber Du mehr wissen möchtest. Selbst wenn Du in einer besonders fortschrittlichen Schule bist, dürftest Du in diesem Buch eine Menge Ideen finden, um die
Dinge zu verbessern.“

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„Sei Du selbst“ (…)
„Vielleicht rauchst Du Haschisch oder schläfst mit Deinem Freund oder Deiner Freundin – und sagst Deinen Eltern oder Lehrern nichts davon, weil Du Dich nicht traust oder es einfach für Dich behalten willst. Schäme Dich nicht und fühle Dich nicht schuldig, wenn Du Dinge tust, die Du wirklich willst und für richtig hältst, nur weil Deine Eltern oder Lehrer sie missbilligen könnten. Eine Menge von diesen Dingen wird für Dich im späteren Leben wichtiger sein als die Dinge, die ‚gebilligt‘ sind.“

„Pornographie“ (…)
„Aber es gibt auch andere Bilder – zum Beispiel solche, die Geschlechtsverkehr mit Tieren zeigen, oder solche von Leuten, die sich irgendwie Schmerzen zufügen. Pornogeschichten beschreiben dieselben Sachen. (…) Pornos sind ein harmloses Vergnügen, wenn man sie nicht zu ernst nimmt oder gar glaubt, dass sie das wirkliche Leben beschrieben. Wer dies tut, wird sehr enttäuscht sein.
Doch ist es sehr wohl möglich, dass Du einige gute Ideen bekommst und vielleicht etwas entdeckst, was interessant aussieht und was Du noch nicht versucht hast.“

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Seine Kontrollfunktion gebietet dem Gerichtshof, den Grundsätzen, die eine „demokratische Gesellschaft“ ausmachen, größte Aufmerksamkeit zu widmen. Das Recht der freien Meinungsäußerung stellt einen der Grundpfeiler einer solchen Gesellschaft dar, eine der Grundvoraussetzungen für ihren Fortschritt und für die Entfaltung eines jeden Einzelnen. Vorbehaltlich der
Bestimmung des Art. 10 Abs. 2 gilt dieses Recht nicht nur für die günstig aufgenommenen oder als unschädlich oder unwichtig angesehenen „Informationen“ oder „Ideen“, sondern auch für die, welche den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen. So wollen es Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es eine „demokratische
Gesellschaft“ nicht gibt. Daraus folgt insbesondere, dass jede „Formvorschrift“, „Bedingung“, „Einschränkung“ oder „Strafdrohung“ in angemessenem Verhältnis zum verfolgten rechtmäßigen Ziel stehen muss.


Wenn ihr auch dem EMRG nicht glaubt, nun dann lässt sich da kraft vollständiger Beratungsresistenz auch nichts mehr dran ändern... Für die Zukunft also, bitte diesen wertvollen Ratschlag von NUHR beherzigen, ja?^^

Und bringt BITTE keine Hinweise oder Behauptungen zum deutschen Recht vor, wenn das L. über die schweizerische Rechtslage schreibt. Ob Art. 2 Abs. 1 GG allenfalls der Ausübung von Art. 5 Abs. 1 et 3 GG durch Besitz, Konsum und Verbreiten von fiktiver Pornographie entgegensteht (was es offensichtlich nicht tut, ansonsten wäre dieser BGH-Entscheid nicht möglich, zumal Art. 2 Abs. 1 GG m.E keine Bindungswirkung auf den höherstehenden Art. 10 EMRK hat) ist völlig irrelevant, weil das GG auf eidgenössischem Grund und Boden nicht anwendbar ist. Wir haben dafür die BV und die hat keinen Sittenvorbehalt...

Nochmal für alle, die nicht glauben können, dass dieses Gesetz massive Auswirkungen haben wird, im Sommer 2009 hat die Staatsanwaltschaft Zürich die folgenden Bücher der Belletristik beschlagnahmt und als verbotene Pornographie bezeichnet: (Bericht der Justiz-Posse bei NZZ und ausführlicher (dafür unbelegt) bei Pastebin, Auszüge aus den Werken zur eigenen Beurteilung gibt's bei der AZ, das komplette erste Werk ist – abgelaufenes Urheberrecht sei dank – hier auf Projekt Gutenberg-DE zu bewundern)

WEDEKIND, Frank (1891) „Frühlings Erwachen“
ZÜRN, Unica (1969) „Dunkler Frühling“
EUGENIDES, Jeffry (1993) „The Virgin Suicides“, deutsche Übersetzung „Die Selbstmord-Schwestern”
VETERANYI, Aglaja (1999)
HAUSHOFER, Marlen (1968) „Menschenfresser“ in „Schreckliche Treue – Erzählungen“

Das Verfahren wurde zwar erstinstanzlich durch das Bezirksgericht mit Freispruch bzg. der Bücher beendet, (angekündigtes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wurde in letzter Minute zurückgenommen) doch war bereits genug Schaden angerichtet. Die bei solchem Quatsch nahe zu immer erfolgte obligatorische Hausdurchsuchung (die sogar von 3! Oberrichtern durchgewunken wurde o.O) blieb für die anordnende Staatsanwältin wie immer folgenlos und die mediale Vorverurteilung schlug in vollem Ausmass durch, sodass dienstrechtliche Konsequenzen (Suspendierung durch Bildungsdirektion) unausweichlich waren und die Arbeitsstelle damit schon mal weg war. Im Ergebnis hat die Staatsanwaltschaft hier es geschafft, trotz Freispruch eine zerstörte Existenz zu hinterlassen. Ganz toll gemacht, Jungs! -.-

Und eigentlich ist das Verfahren auch nur daran gescheitert, dass die Staatsanwälte (trotz dreijährigem Verfahren) etwas zu eilig waren. Nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes nämlich hätten sie Recht bekommen müssen, weil es nach der Lanzarote-Konvention in Verbindung mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung genügt, (auch fiktive) Jugendliche in irgendeinen Zusammenhang mit Nacktheit oder Sexualität zu setzen...

Übrigens hat das L. das erste der genannten Werke auch in der Schule gelesen. Seine ehemalige Deutschlehrerin wäre damit nach Ansicht der Zürcher Staatsanwaltschaft und der neuen Rechtslage also auch eine Sexualstaftäterin und ihr wäre nach künftigem Kombinationsrecht voraussichtlich umgehend die Lehrberechtigung zu entziehen... o.O Das wird sie sicherlich freuen zu hören, wenn er ihr das bei Gelegenheit mal mitteilt^^ *ironie versprüh* Das Buch steht auch noch immer hier rum, nur falls die Staatsanwaltschaft nochmal will...

Das hier soll dann voraussichtlich auch die Bemerkungen zum letzten Weblogeintrag abschliessen.
Das L. bleibt an der Sache dran und es wird noch spannend^^ Nach wie vor erscheint das Gesetz m.E klar verfassungswidrig... Eine ergänzende Petition zu problematischen Kombinationswirkungen mit anderen Gesetzen sowie der Möglichkeit der Ratifizierung unter Vorbehalt der Straflosigkeit für Anime/Manga ist in Arbeit und wird dem Parlament demnächst (Mitte dieses Monats) vorgelegt.

(Sry für die lange Wartezeit, das letzte halbe Jahr war für das L. mit zwei Beschwerden, einer Seminararbeit und 20 Klausuren ein ganz klein wenig stressig, sodass der Weblog etwas vernachlässigt werden musste... Danke nochmal an Major für die erstklassige Vertretung sowie wertvolle Argumente und auch an Ringotan für die Verlinkung und das bisschen Ehrenrettung^^)

Wenn jetzt noch jemand was daran zu meckern hat, soll er das in den Kommis hier tun oder ne ENS schreiben, dann können wer da lustig weiter streiten^^

Ach ja, und der Wettbewerb von wegen KT's und so für's Alter raten wird hiermit offiziell beendet.
(Hat sich ja sowieso niemand für interessiert...)


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