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Was bisher geschah – Ein kleiner Rückblick mit Ausblick Bundegericht, eidgenössisches, Kantonsratswahl, Recht, Verfassungsbeschwerde, Volksinitative

Autor:  Eru-Jiyuka
Wer in den letzter Zeit aufmerksam diesen Blog verfolgt hat, wird gemerkt haben, dass er erstaunlich leer geblieben ist. Ja, das liegt daran, dass ich meine juristischen Artikel mittlerweile auf den Seiten des Bündnis für sinnvolle Rechtssetzung veröffentliche, welche auch unter meiner Verwaltung steht. Aufgrund der Arbeit dafür und der nicht geringen Belastung durch das Studium (ja, auch Sprachen lernen kostet Zeit, wer hätte es gedacht...) habe ich Animexx leider etwas vernachlässigt.

Das sollte eigentlich nicht passieren, ist nun aber halt geschehen. Ich schiebs mal auf meine nicht vorhandene Informationspolitik und gelobe Besserung...
Ich hoffe, ich kann meine Leser, so ich denn noch welche habe, mit diesem Rückblick etwas versöhnen, der einen kleinen Überblick geben soll, was ich in den letzten 7 Monaten so geschrieben habe und was in nächster Zukunft ansteht:


1. Erfolgreiche Beschwerde gegen das Zürcher Polizeigesetz (Bundesgericht)

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Am 1. Oktober 2014 hat das eidgenössische Bundesgericht die von mir eingereichte Beschwerde gegen das Zürcherische Polizeigesetz öffentlich beraten und ist dabei zur Erkenntnis gelangt, dass § 32f PolG ZH, welcher die Ausspähung von Internet-Foren ohne richterliche Kontrolle erlaubt hatte, gegen Art. 13 BV, Art. 8 EMRK und Art. 179octis StGB verstösst und deshalb als verfassungswidrig aufgehoben werden muss.

Damit ist mir also das Kunststück gelungen, vor einem nationalen Höchstgericht im schwierigsten Verfahrenstyp überhaupt, nämlich der abstrakten Verfassungsbeschwerde, Recht zu erhalten.

Soviel also zu den „Rechtsexperten“ hier, die meinten, ich verstünde nichts von öffentlichem Recht. Nehmt dass, ihr Unwissenden! Und macht's erst mal besser, bevor ihr weiter rumstänkert. (Und ja, ein Prozess vor dem Bundesgericht zu gewinnen ist schwer, weil das Bundesgericht noch wesentlich seltener aufhebt als das Bundesverfassungsgericht, und schon dort sind die Quoten geglückter Beschwerden nur so um die 2% rum! Kein Wunder also, dass mir nicht nur Kommilitonen, sondern auch Rechtsanwälte zu diesem Erfolg gratuliert haben.)

Alle Unterlagen (138 Seiten!) zu diesem Fall, vom Erlass der Gesetzesnormen an bis zur vollständigen Ausfertigung des Urteils, sowie alle Argumente für und wider der angegriffenen Arikel, die im Laufe des Prozesses vorgebracht wurden, können auf der Seite des Bündnis für sinnvolle Rechtsetzung eingesehen werden: http://bvggchem.twoday.net/stories/bge-140-i-353-dokumentation-einer-erfolgreichen-verfassungsbeschwerde/

Die Dokumentation ist auch deshalb besonders umfangreich, weil ich einmal exemplarisch von A-Z aufgezeigt haben wollte, welche Schritte bei der Beschwerdeführung im Einzelnen konkret zu unternehmen sind, und wie die amtlichen Schriftstücke dazu aussehen. Seltsamerweise steht das, obwohl für die Praxis durchaus nicht unwichtig, nämlich in keinem Lehrbuch beschrieben.

Beim Abfassen der Beschwerde habe ich mich übrigens an das Schema in „Einführung in das öffentliche Recht – Band I“ von MARANTELLI-SONANINI gehalten. Da diese Struktur offenbar, obwohl ursprünglich für die inzwischen obsolete „staatsrechtliche Beschwerde“ entworfen, vom Bundesgericht gerne angenommen wird, kann man das genannte Werk wohl uneingeschränkt weiterempfehlen^^


2. Ungenügender Rechtsschutz bei unwürdiger Behandlung durch die Polizei (Petition geplant)

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Ein anderer Artikel beschäftigt sich mit der – von einem Forenpost aufgeworfene – Frage, wie es die Schweiz denn so mit dem Verfolgung von Polizeigewalt hält. Dazu habe ich hier geschrieben: http://bvggchem.twoday.net/stories/zur-durchsetzbarkeit-des-folterverbotes-in-der-schweiz-kurzanalyse/

Auch wenn die Situation als nicht derart dramatisch herausgestellt hat, wie befürchtet wurde, muss doch festgehalten werden, dass der erwähnte Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO durchaus das Potential dazu hat, Grundrechte zu beschädigen, insoweit als der Staat hiermit seine Schutzpflicht verletzt, Folter und ähnlich gravierende Verletzungen des Rechtsguts auf Leben und körperliche Unversehrtheit strafrechtlich zu ahnden.

Dass seither nichts mehr passiert ist, lag hauptsächlich daran, dass mich die Grippewelle voll erwischt und zwischen Anfang Februar bis Mitte März vollständig lahm gelegt hat (im wahrsten Sinne des Wortes, war da nicht zu mehr fähig als Medikamente zu schlucken und zu schlafen, soweit es die Schmerzen zuliessen...).

Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO ist aber noch immer ein Stachel im Fleisch des Rechtsstaates, weil er es erlaubt, die Frage strafrechtlicher Schuld, also eine zutiefst juristische Materie, vom Entscheid eines rein politischen Gremiums abhängig zu machen, das regelmässig nicht aus genügend Juristen, oder zumindest nicht aus genügend kompetenten Juristen besteht, um eine juristisch fundierten Entscheidung treffen zu können. Vielmehr wird in solchen Gremien rein nach politischem Gusto abgestimmt, was in Strafsachen rechtsstaatlich untragbar ist. Der besagte Artikel sollte deshalb bei Gelegenheit abgeschafft werden. Eine entsprechende Petition ist in Planung.

Die Petition, so denn mal formuliert, ist selbstverständlich zur Mitunterzeichnung offen. Wen also auch stört, dass noch immer viele Strafverfahren gegen Polizisten politisch niedergeschlagen werden (können), ist herzlich eingeladen, mitzuzeichnen, ein entsprechendes Formular stelle ich bei Bedarf gerne zur Verfügung.


3. Kandidatur für den Zürcher Kantonsrat (Alternative Liste – AL)

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Am 12. April hat das Zürcher Stimmvolk über die Neubesetzung seines politischen Personals im kantonalen Parlament abgestimmt und ich hatte dabei die Ehre, einer der insgesamt 1733 Kandidaten zu sein. Dabei habe ich allerdings lediglich knapp hundert Stimmen erhalten und wurde somit klar nicht gewählt. Man kann jetzt natürlich argumentieren, dass das ein reiner Schuss in den Ofen war.

Ähm... nö, dem ist nicht so. Einen Platz im Kantonsrat zu ergattern, war von Anfang an illusorisch.
Aber, um als willige Schachfigur zu dienen und so einer Partei etwas Aufwind zu verleihen, welche die Grundrechte noch immer als wichtigen Programmpunkt versteht, und deren Vertreter gerade eben noch mehr sinnbefreite Überwachung standhaft abgelehnt haben, hat's dann doch gereicht.

Die AL ist nämlich, nun mit zwei Sitzen mehr (von 3 auf 5) direkt nach der FDP der grosse Wahlsieger geworden. Auch in unserem Bezirk, der weitgehend bürgerlich/religiös dominiert ist, ist es immerhin gelungen, die Stimmen für die AL mehr als zu verdoppeln. Das gab zwar keinen Sitz, ist aber doch ein schöner Achtungserfolg.

Ausserdem konnte ich mir, quasi im Vorbeigehen, das persönliche Vertrauen Markus Bischoffs sichern, sodass wir künftig neben den Piraten eine zweite Partei haben, die uns zuhört und unsere Rechtsverbesserungsvorschläge mit dem nötigen Wohlwollen behandelt.

Selbstverständlich werde ich auch der AL auf die Finger hauen, sollten sie sich dazu versteigen, Unfug in die Gesetzgebung einbringen zu wollen. (Eine konkrete Gefahr sehe ich da allerdings nur für das Bankgeheimnis als Teil der Privatsphäre, und auch die ist eher illusorisch...)

Deshalb habe ich auch darauf bestanden (gut, so viel zu bestehen gab's da gar nicht, denn sie haben erst gar nicht darauf gedrängt...), mit meiner Kandidatur nicht gleichzeitig in die Partei einzutreten.

Ich werde auch weiter Einladungen zur Kandidatur von politischen Parteien annehmen, sofern diese die elementaren Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in unseren Grundrechten zum Ausdruck kommen, anerkennen und sich für deren Umsetzung einsetzen. (für die SVP wärs also im Moment eher schlecht denkbar...)


4. Arbeit: Let's Play, Hacks und Recht (Gastbeitrag für Domtendo)

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Der Let's Player Domtendo (ehemals Geilkind), hat in seinem Video zur Super Mario 64 HD Tech Demo eine äusserst spannende Rechtsfrage aufgeworfen, nämlich danach, ob, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen sogenannte Hacks, also von Fans erstellte, modifizierte Varianten bekannter Computerspiele, urheberrechtlich zulässig sind.

Darüber hinaus hat er sich, in einem früheren Video zu Mario Kart 8 Online, über das Nintendo Creators Programm, ein m.E ziemlich obskures Vertragsmachwerk dass in Sachen Rechtsgültigkeit EAs Origins-AGB-Vertrag in nichts nachsteht, stark ablehnend geäussert, was mich auf die Idee brachte, mal zu untersuchen, was eigentlich die gegenwärtige Rechtslage im Urheberrecht generell so zum Thema Let's Plays meint.

Da es schade wäre, wenn das dann hinterher kaum jemand liest, wenn ich mir schon extra die Mühe mache, habe ich Domi-kun angeschrieben und gefragt, ob er einen solchen juristischen Beitrag erwähnen und verlinken würde. (Ich hab dabei auch versucht, ihm den Unsinn mit der Berufung auf die Meinungsfreiheit auszutreiben. Ob ich's geschafft hab, bin ich noch nicht so ganz sicher...)

Nun, er hat zugestimmt, also bin ich momentan fleissig am Urheberrechtsbücher wälzen^^
Der Rechtskomplex der freien Bearbeitung ist nämlich ein äusserst spannender, den ich mir eigentlich für die Masterarbeit aufsparen wollte, doch dann kam ja Lanzarote dazwischen... Deshalb hier dann dargestellt am Beispiel von Let's Plays statt wie mal geplant, von Doujinshis.

Ich rechne mit einem Abschluss der Arbeit gegen Ende Mai.

Auch wenn schliesslich daraus „nur“ zwei schlanke allgemeinverständliche Leitfäden mit konkreten Hinweisen auf Erlaubtes und Verbotenes werden sollen, bedarf der theoretische Unterbau, der dogmatisch richtig untersucht und nach Lehre und Rechtsprechung begründet werden will, halt relativ viel Zeit.

Dafür dürften wir dann aber auch fürs erste mal abschliessend geklärt haben, wie die Rechtslage der von Computerspielen abgeleiteten Werke genau aussieht, und das ist ja auch was von Wert...


5. Abschaffung der Menschenrechte (EMRK) in der Schweiz gefordert (Selbstbestimmungsintiative)

Spoiler
Erinnert sich noch jemand daran, dass ich bei Lanzarote angemerkt hatte, dass das nur der Beginn für eine kommende, diktatorische Entwicklung des Rechts darstellt? Auch diese Prophezeiung hat sich mittlerweile erfüllt. Nun haben wer den Salat.

Mit der sogenannten „Selbstbestimmungsinitiative“, ein Name, der inhaltlich kaum falscher sein könnte, versucht die SVP, unsere Verfassung zu ändern oder eigentlich eher, in ihren Grundfesten auszuhebeln. Das Problem liegt konkret in einer auf den ersten Blick relativ harmlos klingenden Änderung, nach dem Art. 190 BV so geändert werden, dass künftig nicht mehr „Völkerrecht“ sondern nur noch „völkerrechtliche Verträge, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat“ für die Gerichte als anwendbares Recht gelten soll.

Verträge, welche diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sollen schliesslich, so will es die Änderung von Art. 56a BV, gekündigt, also auch ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung enthoben werden.

Nun muss man dazu wissen, dass die europäische Menschenrechtskonvention, obwohl schon 1950 beschlossen, in der Schweiz erst relativ spät, nämlich 1974, ratifiziert wurde und dass diese Ratifizierung aufgrund der grossen allgemeinen Zustimmung im Parlament mit einem einfachen Bundesbeschluss vollzogen wurde, der seinerseits nicht dem Referendum unterstellt wurde, offenbar nur deshalb nicht, weil niemand daran dachte, dass es gegen die Menschenrechte ernsthafte Opposition geben könnte.

Ob das damals demokratisch gesehen wirklich so toll war, ist eine andere Frage, jedenfalls hat die SVP der EMRK selbst freudig zugestimmt
(«Die Fraktion ist der Auffassung, dass die Menschenrechtskonvention, ein wirksameres Mittel darstellt, um dem Gedanken an ein geeintes Europa zu dienen.» und dass «wir durch die Ratifizierung der Konvention ein Bollwerk gegenüber den Staaten setzen sollen, die die Menschenrechte mit Füssen treten.», so Elisabeth Lardelli, damalige Fraktionssprecherin der SVP), sodass die Berufung auf das fehlende Referendum als Demokratiedefizit jetzt zumindest treuwidrig im Sinne des Widerspruchs zum früheren Verhalten (venire contra factum proprium) ist.

Das Hauptproblem liegt denn auch in einem grundlegenden Denkfehler der SVP. Sie gehen davon aus, (oder behaupten dies zumindest), dass ihre Initiative die Volksrechte stärken und die Grundrechte nicht behelligen würde. Beides ist schlicht falsch.

Man stärkt die Volksrechte nicht dadurch, dass man sie dem Volk entzieht. Muss das Parlament nicht mehr befürchten, dass ihre Beschlüsse von richterlichen Behörden überprüft werden können, so besteht natürlich irgendwann auch kein Anreiz mehr, die Beschlüsse vom eigenen Volk überprüfen zu lassen. Dass die SVP auch überhaupt kein Problem damit hat, Volksrechte abzubauen, zeigte sich etwa 2012 bei der Abschaffung des konstruktiven Referendums, die massgeblich von der SVP vorangetrieben wurde und (darum?) letztlich leider erfolgreich war.

Aber auch die Argumentation über die Grundrechte ist verfehlt. Zwar sind diese auch in der Bundesverfassung gewährleistet, doch ist aufgrund des Anwendungsgebots von Art. 190 BV dem Bundesgericht ja gerade NICHT möglich, die eigenen Grundrechte auf das eigene Bundesrecht anzuwenden, weshalb es sich überhaupt erst der Krücke mit der Anwendung der höherstehenden Menschenrechte der EMRK behelfen muss.

Es ist auch sehr bedauerlich, dass die SVP die Chancen der EMRK, gerade für eine EU-kritische Partei nicht sieht. Nicht nur, dass es möglich wäre, die nationale Ausgestaltung unliebsamen EU-Rechts zum Gegenstand einer Staatenbeschwerde gem. Art. 33 EMRK zu machen, liessen sich auch viele unnötige Bürokratienormen, die aufgrund unvernünftiger EU-Richtlinien (*hust* europäisches Chemikalienrecht *hust*) erlassen werden, mit Hilfe der EMRK schlicht und einfach effektiv wegklagen, gäbe es denn die Möglichkeit eines solchen abstrakten Verfahrens, welches die SVP seit Jahrzehnten offenbar aus Angst vor den eigenen Richtern verhindert.

Dass die EMRK der SVP deshalb nicht nur helfen könnte, ihre (verfassungskonformen) politischen Ziele zu erreichen, sondern auch noch dabei nebenbei Wählerstimmen zu sammeln, das merken sie in ihrer blinden Wut gegenüber den „fremden Richtern“ offenbar gar nicht.

Das Resultat der „Selbstbestimmungsinitiative“ wäre jedenfalls, dass mit dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine wichtige Kontrollinstanz für Menschenrechtsverletzungen in der Schweiz wegfallen würde.

Die EMRK müsste gekündigt werden, was – weil sie Grundbedingung für den Eintritt ist – gleichzeitig bedeuten würde, dass die Schweiz aus dem Europarat auszutreten hat.

Zudem fällt der Grundrechtsschutz auf Bundesebene völlig dahin, weil dieser zur Zeit nur durch die ERMK gewährleistet ist.


Damit wäre die Schweiz dann rein rechtsstaatlich gesehen in etwa auf einer Stufe mit 中国|China, einem Staat mit dem wir als aufrechte Demokraten sonst zu recht nicht besonders gerne verglichen werden.

Und ja, wir reden hier tatsächlich über ALLE Menschenrechte, also namentlich:
- Recht auf Leben
- Verbot der Folter
- Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
- Recht auf Freiheit und Sicherheit
- Recht auf ein faires Verfahren
- Keine Strafe ohne Gesetz
- Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
- Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
- Freiheit der Meinungsäußerung
- Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
- Recht auf Eheschließung
- Recht auf wirksame Beschwerde
- Diskriminierungsverbot
- Verbot der Todesstrafe
- Non-Refoulement-Gebot
- Garantie der Rechtsmittel in Strafsachen
- Recht auf Entschädigung bei Fehlurteilen
- Verbot der Doppelbestrafung
- Gleichberechtigung von Ehegatten.

Da das Recht auf Leben, das Verbot der Folter und der Todesstrafe sowie das Non-Refoulement-Gebot mittlerweile wohl überwiegend als zwingendes Völkerrecht angesehen werden, besteht allerdings die Chance, dass zumindest solche krasse Menschenrechtsverletzungen auch zukünftig dem Bundesparlament nicht erlaubt sein sollen, hält doch auch die Initiative fest, dass im geänderten Art. 5 Abs. 4 BV zumindest der Vorbehalt des zwingenden Völkerrechts gewährleistet sein soll. (Allerdings hatten wir erst vor kurzem ein Versuch zur Einführung der Todesstrafe! -> https://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis392t.html)

Sicher ist aber nicht einmal das. Wie soll denn das Bundesgericht das zwingende Völkerrecht anwenden, wenn ihm die Arbeit mit denjenigen Verträgen, welches dieses als Recht verbriefen, versagt ist? Natürlich ist es möglich, das als Richterrecht sui generis (und dann contra legem) zu entwickeln, doch sinnvoll begründbar ist das nicht, wenn doch schon ein Vertrag besteht, der eine intra legem Auslegung ohne weiteres ermöglichte...

Insofern wird mit der „Selbstbestimmungsinitiative“ auch die Rechtsfindungsreihenfolge nach Art. 1 Abs. 1 ZGB auf den Kopf gestellt.

Insgesamt gesehen liegt in dieser Initiative damit die grösste akute Bedrohung für die Menschenrechte seit dem Fichenskandal (1990) und dem Propagandabeschluss des Bundesrats (1948) und es ist zwingend erforderlich, dieser Bedrohung eine rechtsstaatliche Alternative entgegenzustellen. Dazu gleich mehr...


6. Eigene Initiative zum Schutz der Menschenrechte (Grundrechtsinitiative, Konzeptionsphase)

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Wo die Politik versagt, müssen die Bürger selbst dafür sorgen, dass ihre elementaren Rechte gewahrt werden. Damit dies demokratisch erfolgt, werden wir selbst eine Volksinitiative ausarbeiten, die grundrechtsfreundlich ist und die Rechte des Bürgers angemessen erweitert, gegen Menschenrechtsverletzungen des Staates vorzugehen.

Die Initiative soll bewusst nicht kompetitiv, sondern ergänzend zur „Selbstbestimmungsinitiative“ angelegt werden, sodass selbst im Wurst-Käse-Fall, also bei Annahme der SVP-Initiative durch unsere Hilfe ein Rest Rechtsstaat verbleiben kann.

Insofern sind also auch SVP-Anhänger und Politiker herzlich eingeladen, die kommende Grundrechtsinitiative zu unterzeichnen und zu unterstützten, geht es doch schliesslich auch um ihre Menschenrechte!

Zeitlich ist angedacht (hängt neben der persönlichen Arbeitsbelastung auch ein bisschen davon ab, wie lange die Vorprüfung durch die Bundeskanzlei dauern wird...) die Initiative Mitte bis Ende Juni zu lancieren. Der Beginn der Unterschriftensammlung dürfte dementsprechend wohl auf Anfang Juli fallen.

Über alle weiteren Schritte zur Grundrechtsinitiative wird hier selbstverständlich beizeiten ausführlich berichtet werden. Auch die Unterschriftenliste und das dazugehörige Argumentum werden wir so online zugänglich machen.


7. Das Rachepornourteil (Bezirksgericht Lenzburg)

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Das Bezirksgericht Lenzburg hat am 23.04.2015 eine Strafsache verhandelt, in welcher es u.a darum ging, wie sogenannte „Rachepornos“ strafrechtlich zu qualifizieren sind. Weil mich das Urteil und die nachfolgende Berichterstattung ein gaaanz klein bisschen geärgert haben, gibt es dazu nun folgende Zeilen zu lesen...

Erstmal: Darf ich anmerken, dass der Begriff „Racheporno“ äusserst unsinnig ist? Den packt man am besten zu den – ebenfalls unsinnigen – Begriffen „Killerspiel“ und „Raubkopie“ in eine grosse Kiste, schliesst sie ab, wirft sie in den nächstbesten See und löst den Schlüssel vorsorglich in Salpetersäure auf...

-> ach nein, das darf man ja bald auch nicht mehr, denn schon der Besitz von Salpetersäure (und noch harmloseres) wird 2016 für „Mitglieder der Allgemeinheit“ zur Straftat...

Wo war ich? Ach ja, bei der Begriffskritik. Das Problem ist, dass dieser Begriff, der es bedauerlicherweise schon in einige Rechtsordnungen geschafft hat, das eigentliche Rechtsproblem nicht wiedergibt. Wie so oft ist das Problem – obwohl sich die Medienberichterstattung daran aufgehangen hat – kein sexuelles, denn die sexuelle Integrität der Beteiligten wird durch die Aufnahme einvernehmlichen sexueller Handlungen schon rein logisch natürlich nicht berührt.

Das Problem ist vielmehr eines des Persönlichkeitsrecht, denn als Privatperson habe ich den grundrechtlich geschützten Anspruch darauf, selbständig bestimmen zu dürfen, wer über welche meiner Lebenssachverhalte wieviel wissen darf. Dies gilt insbesondere bei „heiklen“ Themen wie der Sexualität, die zweifellos zur persönlichkeitsrechtlichen Intimsphäre zu zählen ist und deshalb besonderen Schutz gegenüber Ausspähung bedarf.

Verletzt jemand dieses Selbstbestimmungsrecht, so wird er dafür folgerichtig bestraft.

Der richtige Begriff wäre i.c. also „unerlaubte Veröffentlichung intimer Tatsachen“, dem das Rechtsgut der Persönlichkeit (und nicht der Ehre!) zugeordnet ist. Soweit das Bezirksgericht dann ausführt: „Pornografie ist an sich nicht ehrverletzend“, liegt es damit fraglos richtig.

An Pornographie als solches ist nämlich nichts böses, ich sag das gerne immer wieder^^
(Und freue mich jetzt schon auf alle, die von diesem Eintrag genau nur diesen einen Satz lesen...)

Jedenfalls ist trotzdem nicht nur der Begriff sondern auch das Urteil falsch. Warum dem so sein muss, kann meinen Anmerkungen zum „Eistee“-Fall entnommen werden, an dieser Rechtslage hat sich nichts geändert.

In diesem Sinne muss allen Beteiligten (ausser dem Verteidiger) eine Tischplatte zum Anbeissen gereicht werden, denn eigentlich hat hier jeder versagt:

Der Staatsanwalt dadurch, dass er Art. 179quater StGB nicht (auch) zum Gegenstand seiner Anklage gemacht hat;

Der Geschädigtenanwalt dadurch, dass er eine mangels ehrverletzender Tatsachenbehauptung völlig unzutreffende Norm, nämlich das Verbot der üblen Nachrede nach Art. 173 StGB anwenden wollte;

Das Gericht dadurch, dass es die Anklage nicht nach Art. 329 StPO zur Verbesserung zurückgewiesen hat;

Die Politiker, weil sie Gesetze fordern, die wir seit 46 Jahren haben und die lediglich mal bekannt gemacht und angewendet werden müssten;

Die Gesellschaft, weil hier ein Straftäter weitgehend unbehelligt geblieben ist, obwohl es einen klaren Rechtsgrund für seine (weitergehende) Verurteilung gegeben hätte;

Und schliesslich ich, weil ich die Zeit verschwende, über den Fall zu berichten, anstatt etwas sinnvolles zu tun, wie etwa Hearthstone zocken gehen^^


8. Das Facebook Urteil (Bundesgericht)

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Kommen wer damit schliesslich noch zu einem weit wichtigeren Urteil, das (hoffentlich) mindestens die selbe weit wirkende Reichweite erlangen kann wie das von mir erstrittene. Der Fall ist auch ähnlich alt wie meiner, wobei der Betroffene hier durch drei Instanzen durch musste, um Recht zu erhalten, im Gegensatz zu meinem erstinstanzlichen Sieg vor Bundesgericht.

Zum Fall: Am 22. März 2012 hat ein Maturand auf Facebook aus Verärgerung darüber, dass ihm niemand zu seinem Geburtstag gratuliert hat, seinen 290 Freunden folgenden Text gesendet ->„Freut sich heute niemand, dass ich geboren worden bin. Ich schwöre, ich zahle es euch allen zurück!!! Es ist nicht eine Frage der Höflichkeit, sondern von Respekt und Ehre. Ich vernichte euch alle, ihr werdet es bereuen, dass ihr mir nicht in den Hintern gekrochen seid, denn jetzt kann euch niemand mehr schützen ... Pow!!!! Pow!!!! Pow!!!!“

Zweifellos keine hohe Lyrik oder sonst irgendwie hochstehend noch sinnvoll, für die Umgangsformen im Internet aber doch eine relativ „normale“ Äusserung, wie sie so oder gar härter wohl täglich mehrfach vorkommt.

Das sah ein Mitglied der Zürcher Staatsanwaltschaft – wer hätte es gedacht – allerdings ganz anders und stellte einen Strafbefehl wegen Schreckung der Bevölkerung gem. Art. 258 StGB aus. War wohl ein „Neuland“-Beamter...

Jedenfalls, der Maturand wollte den Strafbefehl nicht anerkennen, hat Widerspruch eingelegt und... wurde vom Einzelrichter verurteilt. So weit, so schlecht, aber noch nicht wirklich besonderes skurril.

Interessant ist, was nun kommt. Nicht nur, dass der Betroffene 21 Tage in Untersuchungshaft schmoren durfte, wofür mir bei der Verfolgung eines Äusserungsdelikts nun beim besten Willen kein Grund einfällt, es wurde auch ein psychologisches Gutachten angefertigt, das zwar bestätigt hatte, was der Maturand seit Beginn des Verfahrens ausgesagt hat, nämlich das er keineswegs in irgendeiner Form gefährlich ist, ihm aber dann im Berufungsprozess vor dem Obergericht trotzdem in voller Höhe als Kostenfolge zur Last gelegt wurde. (Wohlgemerkt, wir sprechen hier von Kosten in Höhe von 12'000 Franken, was für einen Maturanden, der (noch) kein eigenes Einkommen aufweisen kann, natürlich mehr als ruinös ist.)

Das Obergericht hat es in einem bemerkenswert blödsinnigen Entscheid, geschafft, nicht nur an den Rügen der Verteidigung und der zitierten Rechtsprechung, sondern auch am Fall sachlich vollkommen vorbeizuschreiben und damit die unnötigen Kosten auf 18'000 Franken erhöht.

Dass dagegen die Beschwerde ans Bundesgericht ergriffen werden musste, war aus juristischer Sicht klar. Es ist dann zum Glück auch tatsächlich erfolgt. (Fragt mich bitte nicht mit welchen Geldmitteln, ich hab keine Ahnung...) Das wohl nicht nur der offensichtlich unhaltbaren finanziellen Situation des Beschuldigten wegen, sondern auch deshalb, weil das Urteil des Obergerichts noch löchriger ist als unser im Ausland angeblich so beliebter Käse.

Nun, auch das Bundesgericht hatte offenbar Appetit und hat das Urteils des Obergerichts mit Entscheid vom 08.04.2015, der am 29. April veröffentlicht wurde (und noch als Leitentscheid publiziert werden wird) genüsslich zerfetzt.

Mit der Abgrenzung zwischen öffentlich und privater Äusserung haben sie sich dabei gar nicht erst aufgehalten.
Denn, so das Bundesgericht, darauf kommt es überhaupt nicht an. Schliesslich steht in Art. 258 StGB nicht „Öffentlichkeit“ sondern „Bevölkerung“ als Tatbestandsmerkmal und das darf man nicht einfach überlesen oder miteinander gleichsetzen.

Solange man sich dabei nicht an die Bevölkerung wendet, darf man also auch öffentlich Angst und Schrecken verbreiten, was m.E aufgrund der EGMR-Rechtsprechung zum Schutz „irgendeines Teils der Bevölkerung verletzenden“ Äusserungen nach Art. 10 EMRK zwar durchaus richtig ist, sich als Erkenntnis eines Bundesgerichtsurteils aber doch zumindest interessant liest.

Jedenfalls hielt das Bundesgericht weiter fest, dass das Obergericht Tatbestandsmerkmale des Rassendiskriminierung nach Art. 261bis StGB mit dem hier in Frage stehenden Art. 258 StGB (Schreckung der Bevölkerung) verwechselt hat und deshalb eine fehlerhafte Prüfung des objektiven Tatbestands vornahm. Das dies nicht Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung sein durfte, und diese daher aufgehoben werden musste, liegt auf der Hand.

Die Bundesrichter weisen dem Obergericht sodann, unter anderem mit Verweis auf den DUDEN, die Brockhaus Enzyklopädie und Meyers Lexikon auch noch nach, dass es den Begriff der „Bevölkerung“ nicht einmal im Ansatz begriffen hat, und stellen abschliessend fest, dass:

„Hingegen kann der Personenkreis, mit welchem der Urheber einer Äusserung durch Freundschaft oder Bekanntschaft im realen oder virtuellen Leben verbunden ist, nicht als "Bevölkerung" im Sinne von Art. 258 StGB angesehen werden, zumal hier ein Bezug zu einem bestimmten Ort fehlt.“ [E. 2.3.4 Satz 4]

Entgegen der Berichterstattung, die nicht mal das Urteil richtig lesen kann (das Bundesgericht hat an keiner Stelle nahegelegt, eine Verurteilung wegen Drohung nach Art. 180 StGB sei möglich, eigentlich sagt [E. 2.1] es sogar genau das Gegenteil, weil keine erfolgte Drohung vorliegt, ist überhaupt nur Schreckung der Bevölkerung als Sonderfall denkbar), hat dieser Entscheid sehr wohl Fernwirkung, denn er entwickelt den rechtsstaatlichen Schutz der Freiheit im Internet weiter.

Nicht nur, dass das Bundesgericht mit diesem Entscheid einmal mehr eine Meinungsäusserung im Internet schützt, es stellt auch klar, dass der Entscheid des Obergerichts keinen Freibrief für die Staatsanwaltschaften zum Abschuss von Internet-Kommentaren darstellen kann, sodass künftige Strafbefehle, die sich auf angeblich strafbare Äusserungen im Internet beziehen, deutlich besser begründet werden müssen, wollen sie denn rechtsgültig sein.

Auch Rechtsanwälte hat der Fall übrigens aufs Glatteis geführt: RA Steiger hat sich im Laufe dieses Verfahrens schon mal medienwirksam dazu verstiegen, zu behaupten, man müsse vor jedem Posting im Netz erst einmal die innere Schere im Kopf anwerfen und ist erst jetzt umständlich und auch nur teilweise zurückgerudert. Dass in diesem Fall ausgerechnet der PC-Tipp die fundierteste Meinung gedruckt hatte, erstaunt mich persönlich immer noch...

Übrigens wäre dieser Fall ein gutes Argument dafür, Art. 258 StGB ersatzlos zu streichen, wenn er denn wie hier belegt statt zum Abwehr von Terror doch nur zur Medienzensur und zur wirtschaftlichen Existenzvernichtung durch unnötige psychologische Gutachten dienen soll...

Soweit erst mal davon. Ich hoffe, es war wenigstens teilweise interessant, und nicht allzu ermüdend zu lesen. Sollte das Anklang finden und gewünscht sein, kann ich auch gerne – dann etwas regelmässiger – in diesem Stil weiter kurz darüber berichten, was sich in 政界と法律, also in der politischen Welt und der Rechtsordnung jeweils so ereignet. Meinungen dazu bitte in die Kommentare^^


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