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Transformation

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Das heutige Kapitel ist ein wenig ruhiger als die zuvor. Mag aber auch am Charakter diesmal liegen. Hehe. ;)
Dafür kriegt man als Entschädigung ne Menge raus, denke ich. xD

Also, viel Spaß beim Lesen mal wieder. ^_^

Ach, eine kleine Ankündigung noch: Ich weiß nicht, wie oft ich in den nächsten Wochen zum Schreiben kommen werde, weil Renovierungsarbeiten anstehen. Kann also sein, dass ich unregelmäßiger Kapitel hochlade. Hoffe, ihr verzeiht mir das. :,D Komplett anzeigen

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Kapitel 5

Law

 

Immer noch wusste ich nicht, was mich geritten hatte, nachdem ich dem Hünen von Polizist aus der Vorlesung gefolgt war. Brav sein, ruhig bleiben, anstandslos kooperieren – gemeinhin war bekannt, dass man dem Gesetz mit dieser Taktik am wenigsten Angriffsfläche bot. Law Trafalgar allerdings hielt sich für clever und hatte mit erschreckender Selbstverständlichkeit den Kommissar, der nicht wirklich nach einem aussah, in einen Flirt verwickelt. In einen ernst gemeinten, wohlgemerkt. Und erfolgreich gewesen war ich damit auch noch.

Seit meiner Rückkehr in den Hörsaal starrte ich geistesabwesend auf meine Notizen, versuchte mich auf die Worte des Dozenten zu konzentrieren und hatte genau genommen nur Chaos im Kopf. Der heutige Abend meinte es einfach nicht gut mit mir. Erst dieser verhängnisvolle Kurs im Ultraschalllabor, dann ein rothaariger Riese, der mich auf mehr als nur einer Ebene durcheinander gebracht hatte, und Sanji war auch noch verschwunden.

„Psst, Law.“ Shachi, einer meiner Mitstudenten, mit dem ich öfter an Gruppenprojekten arbeitete, gab es einfach nicht auf, mich nach dem Grund für die polizeiliche Befragung zu löchern. „Was meinst du denn mit nicht so wichtig? Die Polizei holt einen doch nicht wegen etwas Unwichtigem aus einer Vorlesung.“

Ich seufzte auf und unterdrückte ein Augenrollen.

„Es hat nichts mit mir direkt zu tun. Die brauchten nur meine Zeugenaussage. Wie bereits erwähnt: Nicht so wichtig.“

„Aber…“

„Sei still, ich will zuhören.“

Es ging niemanden etwas an, dass ich diesem Eustass als Verdächtiger gegenübergestanden war. Der unverschämt glückliche Zufall hatte es schließlich so gewollt und meine Weste schneller rein gewaschen, als ich „Sanji“ sagen konnte. Kein Grund also, nachträglich die Pferde scheu zu machen. Nur meiner Schwester und unserer Katze war ich jetzt einiges schuldig.

Verbissen starrte ich die große Leinwand an, auf der wie immer irgendeine Powerpoint-Präsentation zur Schau gestellt wurde. Es war wichtig, dass ich das dargebotene Wissen wie ein Schwamm in mir aufsaugte, es war wichtig, dass ich mir zu allem eigene Gedanken und Aufzeichnungen machte, und es war wichtig, dass ich mit vollster Konzentration dabei war.

War ich aber nicht.

Noch nie zuvor hatte man einen meiner Sexpartner wenige Stunden, nachdem ich ihn verlassen hatte, bei der Polizei als vermisst gemeldet. Es beunruhigte mich und ich ertappte mich dabei, wie ich nervös mit meinem Kugelschreiber herumspielte. Unablässig ging ich die vergangene Nacht in Gedanken noch einmal durch. Gab es nicht irgendetwas, das ich übersehen hatte? Hätte ich vielleicht verhindern können, was auch immer Sanji zugestoßen war?

 

Dich hat Ruffy aber auch das erste Mal hierher geschleppt. Wie heißt du?“

Law. Ich nehm noch einen Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.“

Sofort. Geht aufs Haus.“

Was verschafft mir die Ehre?“

Wenn mir jemand gefällt, dann kann ich erstaunlich spendabel sein. Sanji ist mein Name übrigens.“

Verstehe… Vielleicht bleibe ich doch noch etwas länger.“

Du wolltest schon gehen?“

Ich bin nicht so der Typ für Feierlichkeiten.“

Woher dann der plötzliche Sinneswandel?“

Die Aussicht ist gerade… um einiges attraktiver geworden.“

Oh, merci. Dabei habe ich noch gar nicht richtig angefangen.“

 

Unsere erste Konversation an jenem Abend und auch unsere erste Konversation überhaupt. Nichts an dieser Szene an der Bar kam mir verdächtig vor, aber wahrscheinlich war ich nicht dazu in der Lage, dies wirklich beurteilen zu können. Mein Fokus war einzig und ausschließlich bei mir gewesen und meine melancholischen Gedanken bei dem bevorstehenden Ultraschalllabor am nächsten Tag, auf das ich aus privatesten Gründen absolut keine Lust hatte. Sanji war lediglich willkommene Ablenkung für mich gewesen und ich hatte sie mit Handkuss angenommen.

 

Entschuldige, dass es so lange gedauert hat; ich musste noch ein Problem beim Kassenabschluss aus der Welt schaffen.“

Ich habe Zeit. Morgen muss ich erst nachmittags zur Uni.“

Zu dir oder zu mir?“

Zu dir. Ich wohne zu weit weg.“

Uni? Was studierst du?“

Medizin.“

Ein Arzt also. Wow, ich war noch nie mit einem Arzt im Bett.“

Das sagen sie alle…“

 

Der Weg zu Sanjis Wohnung war ein langatmiger an einer der Hauptstraßen entlang gewesen. Fortwährend hatte ich mir Sorgen, Probleme und andere Belanglosigkeiten anhören dürfen, die mich nicht im Geringsten interessierten. Sanji war von der gesprächigen Sorte und hatte zu meinem Leidwesen nur die üblichen Smalltalk-Themen auf Lager, weshalb ich nicht verwundert darüber war, dass auch in dieser Erinnerung der Fixpunkt bei mir lag. Nichts war mir in der Dunkelheit aufgefallen. Noch viel weniger hatte ich darauf geachtet, wer uns zu so später Stunde entgegenkam. Einzig der Verdruss über das sinnlose Gequassel und mein immer verzweifelt werdender Gedanke, dass ich doch eigentlich nur ficken wolle, waren allgegenwärtig. Wahrscheinlich hätte ein ganzes Heer uns verfolgen können und ich hätte es nicht bemerkt.

 

Du willst schon gehen?“

Über Nacht bleiben ist nicht mein Ding.“

Angst, ich könne Gefühle für dich entwickeln? Brauchst du nicht haben. Einmalige Sache ist einmalige Sache.“

Mag sein. Danke. Aber ich lehne ab.“

Wirklich?“

Wirklich.“

Tja, dann ist wohl nichts zu machen. Warte, ich komm noch mit zur Tür.“

 

Wir hatten ganz annehmbaren, für meinen Geschmack jedoch zu perfekten Sex gehabt. Sanji hatte sich bereitwillig ohne wenn und aber meinem Willen gefügt, ich war als aktiver Part wenigstens für einen kurzen Moment in der Lage gewesen, mich fallen lassen zu können, und im Anschluss hatten wir uns noch eine Zigarette geteilt. Nichts Besonderes also. Reine Befriedigung tief in mir sitzender Triebe.

Wobei sich mir die Frage aufdrängte, was gewesen wäre, hätte ich mich zum Bleiben entschieden. Wäre Sanji dann vielleicht nie verschwunden? War der Teil in mir, der es nicht auf bedeutungsvollen Körperkontakt ankommen lassen wollte, Schuld an allem?

Nein. Das ist dumm. Sanji hat seine Tür hinter dir abgeschlossen. Es wird ihn wohl kaum jemand aus seiner eigenen Wohnung gestohlen haben.

Zumindest hielt ich das für ganz und gar absurd. Wahrscheinlicher erschien es mir, dass es heute irgendwann tagsüber geschehen war, und in diesem Fall kam ich weder als Zeuge weiterhin in Frage, noch hätte sich durch eine Übernachtung etwas daran geändert.

Das applaudierende Trommeln unzähliger Knöchel auf Hörsaaltischen riss mich aus meinen privaten Ermittlungen und ich stellte missmutig fest, dass ich nicht nur das Ende der Vorlesung, sondern auch über eine volle Stunde Stoff verpasst hatte. Und wofür? Für die glorreiche Erkenntnis, dass ich Sanji nicht helfen konnte und ich als Detektiv schon längst an meiner eigenen Egozentrik gescheitert wäre.

„Law, hast du vielleicht Lust auf einen Spieleabend?“, meldete sich Shachi wieder zu Wort, während ich meine Sachen zusammenpackte. „Penguin hat doch erst neulich diesen Automechaniker kennen gelernt und der wohnt in einer WG. Die haben uns eingeladen. Wird sicher voll lustig.“

„Danke, nein.“ Nach allem, was heute passiert war, wollte ich einfach nur nach Hause. „Meine Vorlesungen fangen morgen um zehn an. Ich will ausgeschlafen sein. Aber euch viel Spaß.“

Damit ließ ich ihn stehen und entschwand noch möglichst vor all den anderen Studenten in die Dämmerung hinaus.

 

Das Universitätsgelände war weitläufig und grenzte mit den letzten, im Bauhausstil errichteten Verwaltungsgebäuden an den Stadtwald. Grüppchen von Jugendlichen fläzten auf Sitzbänken und Rasenflächen, genossen mit der ein oder anderen Flasche Bier den lauen Abend und waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass niemand mir Beachtung schenkte, wie ich den Kiesweg entlang auf den Wald zuschritt. Einer der sich zwischen alten Buchen hindurchschlängelnden Pfade war seit Jahren meine treue Abkürzung nach Hause in die Vorstadt hinüber. So mancher hielt mich deswegen zwar für verrückt, aber ich zog einen halbstündigen Fußmarsch der Fahrt im stickigen, überbesetzten Stadtbus definitiv vor.

Keine fünf Minuten dauerte es und ich hatte die Zivilisation mitsamt Bewohnern hinter mir gelassen. Es war still und dunkel, ein leises Rauschen ging durch das Blätterdach und irgendwo erklang der Ruf einer Eule. In dieser Ruhe fiel die Last des Tages von mir ab und noch nie war mir in den Sinn gekommen, ich müsse mich zwischen den behütend ihre Äste aufspannenden Bäumen vor irgendetwas fürchten.

Heute jedoch war mir zugegebenermaßen ein wenig mulmig zu Mute. Der Wald selbst stellte dabei das geringste Problem dar, denn immerhin wusste ich seine Gefahren einzuschätzen. Nachdem ich allerdings von Sanjis Verschwinden erfahren hatte, drängte sich mir die Vorstellung, dass ein verrückter Serienmörder hier sein Unwesen trieb, mehr auf als mir lieb war. Selbst wenn ich wusste, dass rein statistisch die Wahrscheinlichkeit überwog, im Wald von einem Baum erschlagen anstatt entführt und umgebracht zu werden.

Um mich abzulenken, kramte ich mein Smartphone aus der Umhängetasche hervor. Ich schaltete es an und wurde augenblicklich von einer Unmenge an eintrudelnden Nachrichten erschlagen. Die meisten davon kurze Sätze in Großbuchstaben, die Ruffy mir über einen Zeitraum von mehreren Stunden hinweg geschickt hatte, wie ich mit einem genervten Seufzen feststellte. Der hyperaktive Sportstudent wohnte nicht nur mit seinen beiden Brüdern bei meinen Eltern in der Dachwohnung zur Untermiete, sondern bestand auch steif und fest darauf, dass wir unbedingt Freunde sein mussten. Ich ließ ihn in dem Glauben, mied ihn aber, so gut ich konnte. Er war mir ganz einfach zu anstrengend.

Schnell hatte ich den einseitigen Chat überflogen und als einzige neue Information für mich herausgefiltert, dass man von mir erwartete, an einer Plakataufhängeaktion teilzunehmen.

Vermisstenplakate? Wirklich? Funktioniert das überhaupt? Die meisten Leute laufen doch nur blind daran vorbei.

Ich lehnte höflich ab, versicherte Ruffy, dass ich nichts über Sanjis weiteren Verbleib wusste und mahnte ihn, die Suche auf jeden Fall der Polizei zu überlassen. Alle daraufhin erscheinenden Antworten ignorierte ich. Wenn man selber nicht aufhörte, gingen Konversationen mit Ruffy bis ins Unendliche.

Nachdem das Lästigste erledigt war, scrollte ich durch die restlichen Chats und konnte nicht umhin, ein schiefes Schmunzeln zuzulassen. Hier hatte einer von Ruffys Freunden versucht, mich zu erreichen, dort sorgten sich meine Mutter und meine Schwester um mein Wohl. Hätte ich gewusst, was dieser One-Night-Stand nach sich ziehen würde – ich hätte Sanji am gestrigen Abend gemieden wie die Pest.

Schnell hatte ich beschwichtigt, wer es zu beschwichtigt werden wert war, sendete nach Hause außerdem die Anmerkung, dass ich mich bereits auf dem Weg befand, und hielt dann inne. Mein Blick war auf die Telefonnummer gefallen, die man mir mit spürbarer Genugtuung auf der Handinnenfläche hinterlassen hatte.

Kommissar Kid Eustass tauchte vor meinem inneren Auge auf und jetzt, da ich völlig alleine war, spürte ich bei dem Gedanken an ihn Hitze in meine Wangen kriechen. Er war wie ich. Daran bestand überhaupt kein Zweifel, denn ich hatte sie gesehen; seine Ohren. Anstatt die viel zu spitze, schwungvoll Richtung Kopf gebogene Oberkante unter Haarsträhnen zu verstecken wie ich es tat, hatte er sie offen zur Schau gestellt. Noch zusätzlich unterstrichen davon, dass er seine wilde Frisur mit einem zum Band zusammengerollten Tuch im Zaum hielt.

Vielleicht war es das gewesen, was mich zu meinem Flirt bewegt hatte: Das unterbewusste Verlangen nach dem Austausch mit einem Gleichgesinnten und die Angst, ich könne diese Begegnung ungenutzt lassen. Möglicherweise aber hatte der stechende Blick zweier orangeroter Augen ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen und wahrscheinlich traf die unleugbare Spannung zwischen uns die meiste Schuld. So oder so war Kid in jeglicher Hinsicht zu interessant für mich, um ihn nicht sofort anzuschreiben.

Ein selbstzufriedenes Lächeln, in welches manch einer Sadismus vom Feinsten hineininterpretiert hätte, machte sich auf meinem Gesicht breit, als ich nach kaum einer Minute eine Antwort erhielt.

 

(21:53) Kid: Samstagnachmittag um fünf. Ich hol dich ab. Weiß ja, wo du wohnst~

(21:53) Ich: Ganz schön anmaßend, das nicht als Frage zu formulieren.

(21:54) Kid: Sagt der, der nichtmal hallo schreiben kann. >:D

(21:54) Ich: Wusste nicht, dass dir höfliche Umgangsformen so wichtig sind.

(21:54) Ich: Aber ja, Samstag um fünf geht klar.

(21:55) Kid: Weiß auch schon nen geilen Ort für die Untersuchung. ;)

(21:55) Ich: Seit wann sucht der Patient das Sprechzimmer aus?

(21:55) Kid: Glaub mir, nen Patienten wie mich hast du noch nie erlebt~

(21:56) Ich: Und du einen Arzt wie mich auch noch nie.

(21:56) Kid: Ist das eine Drohung? >:D

(21:56) Ich: Ja. :)

(21:56) Kid: Ich liebe Drohungen. >:P

(21:56) Kid: Muss aufhören. Die Arbeit ruft.

(21:57) Ich: Viel Erfolg.

 

Er war ungemein schlagfertig und ich konnte nicht leugnen, dass mich unsere Konversation in eine kurzzeitige Hochstimmung versetzt hatte, gegen die der Sex mit Sanji nicht im Geringsten ankam. Die Fähigkeit, sich mit mir auf einem Level unterhalten zu können, ein gewisser Widerstand und das Spiel um Dominanz waren für mich die größten Anreize, um mehr über eine Person erfahren zu wollen. Wobei ich zugeben musste, dass Kid rein oberflächlich betrachtet zudem auch noch auf eine verruchte Art und Weise verdammt heiß aussah. Das fing bei den breiten Schultern und dem durchtrainierten Körper an, setzte sich fort bei Motorradkleidung aus schwarzem Leder, welche ich eher einem Punk denn einem Polizisten zugeordnet hätte, und endete mit feuerroten Haaren, aus irgendeinem Grund inexistenten Augenbrauen und einer markanten Nase, die aussah, als habe er sie sich mindestens einmal gebrochen. Hinzu kam die ungewöhnliche Farbe seiner Augen und ein breites, selbstgefälliges Grinsen.

Der typische Badboy eben. Law, was bist du? Sechzehn Jahre alt, pseudoerwachsen und weiblich?

Ich schmunzelte in mich hinein, während ich einigen tiefhängenden Zweigen auswich. Zur Rettung meines angekratzten Egos konnte ich als stärkstes Argument immer noch vorbringen, dass ich das erste Mal in meinem Leben jemanden getroffen hatte, der sich mit derselben Krankheit wie ich herumschlagen musste. Zu solch einer Bekanntschaft sagte man nicht nein. Grundsätzlich nicht. Und wenn man dann auch noch Sex mit ihr haben konnte, war das mehr wert als ein Lottogewinn.

 

Noch bevor ich unsere Haustür gänzlich geöffnet hatte, ertönte ein erleichtertes „Law!“ und im nächsten Moment wurde ich von meiner Schwester beinahe über den Haufen gerannt.

„Lamy, es ist alles in Ordnung mit mir.“ Mit einem überforderten Lächeln tätschelte ich ihren Rücken, während sie mich zerquetschte. „Das mit der Polizei ist so weit geklärt. Ich…“

„...kann froh sein, dass meine Schwester gehört hat, wie ich von einem kleinen Abenteuer heimgekommen bin?“

Frech grinsend sah sie zu mir auf. Jetzt, da ich in Person vor ihr stand, gehörten Sorgen um mich der Vergangenheit an, und man konnte mich getrost wieder necken.

„Danke, Lamy“, erwiderte ich ehrlicherweise. „Und danke auch an Bepo. Hätte nicht gedacht, dass ein fetter, nerviger Kater mir mal den Arsch rettet.“

Wir lachten beide auf, dann ließ Lamy mich endlich los.

„Verschwinde bloß nicht gleich wieder in deinen Keller; Mama hat Forellen gebacken.“

Gleichbedeutend mit: „Unsere Eltern haben sich auch Sorgen gemacht. Bitte zeig allen, dass du noch am Leben bist.“ Ich versteh schon.

Natürlich folgte ich ihr in die Parterrewohnung hinein. Immerhin gehörte meine Familie zu der ausgewählten Elite, die mir wirklich etwas bedeutete, und außerdem war Fisch mein Lieblingsgericht.

In der Küche wurde ich sofort von meiner Mutter in die Arme geschlossen und meinem ebenfalls auf das Essen wartenden Vater musste ich versichern, dass ich wirklich nichts angestellt hatte und nach wie vor der brave Sohnemann war.

Anschließend saßen wir zu viert um den Esstisch, redeten, aßen und lachten und gaben das perfekte Bild einer glücklichen Durchschnittsfamilie ab. Ich kam stark nach unserem Vater und Lamy mit ihren beiden braunen Zöpfen und den dunklen Augen nach unserer Mutter. Sie war Arzthelferin in einer Tierklinik, ich studierte Chirurgie und unser Vater war als Forscher bei Don Quichotte Pharma angestellt, während unsere Mutter im Pflegedienst arbeitete. Medizin war seit Generationen das Fachgebiet der Familie Trafalgar und ich konnte zurückblicken auf eine lange Linie an erfolgreichen Ärzten und Entdeckern als Vorfahren. Wobei man mir allerdings niemals das Gefühl gegeben hatte, ich müsse diesem Ruf unbedingt gerecht werden. Unsere Eltern hielten von Druckmacherei nicht viel und so konnte man durchaus behaupten, dass wir nicht nur den Anschein einer glücklichen Familie erweckten, sondern schlicht und ergreifend eine waren. Durchschnittlich allerdings… hörte spätestens bei mir auf.

„Entschuldige bitte, Law.“ Meine Mutter sah bestürzt den Teller an, den ich bis auf den letzten Rest fein säuberlich leer gegessen hatte. „Hätte ich gewusst, dass du zum Essen vorbeikommst, hätte ich mehr Fisch und weniger Soße dazu gemacht.“

„Schon in Ordnung. Ich bin satt. Außerdem hab ich bei mir unten noch Reste von gestern. Aber danke, Mama.“

Soßenbinder zählte zu den Nahrungsmitteln, von denen mir selbst nach geringem Verzehr speiübel wurde. Auch Getreide jeder Art, Industriezucker und Alkohol bekamen mir nicht. Schimmel hingegen vertrug ich selbst in den wüstesten Formen und mit Sicherheit hatte ich auch schon mehr als einmal abgelaufenes Fleisch zu mir genommen. Ohne jegliche Probleme. Ob es Kid genauso ging? Und erntete er ähnlich scheele Blicke dafür?

Wieder stieg die Wärme in meine Wangen. Es war peinlich, wie sehr mich das Aufeinandertreffen mit dem Kriminalbeamten beschäftigte.

Gut, dass mein Vater mich an noch viel Peinlicheres erinnerte.

„Wie war das Ultraschalllabor heute eigentlich, Law? Gestorben bist du daran ja nicht, wie ich sehe.“

„Papa!“, rügte ihn Lamy und auch meine Mutter zog ein missbilligendes Gesicht.

„Gestorben nicht, nein“, sagte ich mit einem tonlosen Seufzen. Jetzt, da es vorbei war, konnte ich die erniedrigende Erfahrung in jene Schublade meines Gehirns verbannen, auf der stand: „Traumata. Bitte nicht vergessen, sondern zu Anlässen wie Familienfeiern, ersten Dates und Vorstellungsgesprächen unbedingt wieder hervorholen.“

„So schlimm?“, hakte mein Vater nach und bewies damit, dass er doch kein Idiot ohne Einfühlungsvermögen war.

„Ich werd darüber hinwegkommen.“ Mir war nicht danach, ins Detail zu gehen. Immerhin wusste ein jeder hier am Tisch über meine Besonderheit Bescheid und konnte sich somit vorstellen, was mir widerfahren war. „Außerdem muss ich morgen früh aufstehen und sollte jetzt besser ins Bett.“

„Du gehst schon?“

„Sicher, dass du nicht darüber reden möchtest?“

Ich erhob mich mit einem schwachen Lächeln und schüttelte den Kopf.

„Es ist in Ordnung. Danke für das Essen, Mama. Und gute Nacht.“

Wahrscheinlich wäre es ihnen lieber gewesen, ich hätte mich ein wenig mehr geöffnet, doch ich wollte nicht. Dass ich mich als Vorzeigeobjekt des Jahrzehnts hatte benutzen lassen, war meine eigene Schuld. Ich hätte mich schließlich auch weigern können.

Was tut man nicht alles für die Forschung…

Erfüllt von einer seltsam nostalgischen Melancholie machte ich mich auf den Weg ins Untergeschoss und betrat meine eigene bescheidene Wohnung. Sie war nichts Besonderes. Die Möbel stammten zum Teil aus meinem ehemaligen Zimmer, zum Teil von meinen Eltern und Bekannten. Nichts passte wirklich zusammen, doch immerhin hatte ich es geschafft, dem Ganzen eine persönliche Note zu verleihen. Hier war endlich Platz für meine endlosen Sammlungen an Büchern, alten Münzen, Comics und Actionfiguren in Originalverpackung.

Ohne Zwischenstopp schlich ich ins Bad, warf noch im Gehen meine Klamotten von mir und stellte mich unter die Dusche. Das heiße Wasser prasselte wohltuend auf mich nieder und vermochte dennoch nicht die Bilder des heutigen Ultraschalllabors aus meinem Kopf zu verdrängen.

Wir hatten in Zweierteams jeweils an einem Ultraschallgerät gearbeitet und uns gegenseitig untersucht. Mein Partner war dabei Penguin gewesen. Seine zurückhaltende Art, so hatte ich geglaubt, werde mich davor bewahren, irgendwie in den Mittelpunkt zu geraten. Dumm nur, dass in dem Augenblick, als ich den Patienten gespielt hatte, die Dozentin an unserer Station vorbeigekommen war. Voller Begeisterung hatte sie sofort die restlichen 28 Studenten auf den Plan gerufen, damit sie alle einen Blick auf das unbrauchbare Chaos an Organen in meinem Bauchraum werfen konnten.

Alkanthiolurie.

Meine Diagnose seit ich denken konnte und in meinem speziellen Fall nicht einmal vererbt, sondern eine vom Schicksal als Partygag veranlasste Spontanmutation. Wobei ich bisher nicht realisiert hatte, dass ich mich innerlich wirklich so sehr von anderen Menschen unterschied. Heute jedoch hatte ich es selbst gesehen.

Der Magen war das einzige meiner Verdauungsorgane mit halbwegs korrekter Lage und Form. Daneben und darunter schlossen sich scheinbar unwillkürlich aneinandergereiht Leber, Bauchspeicheldrüse und Galle an und waren alle drei nicht einmal annähernd wiederzuerkennen. Dazu kamen zwei weitere Gebilde ohne Namen und mit unklarer Funktion.

Mein Darm war kurz und zudem sinnlos, da er an keines der anderen Verdauungsorgane anschloss. Es war der Brüller auf jeder Feier mit gekippter Stimmung, wenn man verlauten ließ, dass man noch nie in seinem Leben auch nur einen Stuhlgang hatte.

Den restlichen Platz in meinem Bauch nahm ein einziges, mit Flüssigkeit gefülltes Organ ein, von dem die Wissenschaft behauptete, es handle sich um die Blase. Warum dann im Leistenbereich weitere paarige Organe daran anschlossen und eine Verbindung zum Magen bestand, wurde in keinem einzigen Fachbuch auch nur im Ansatz erwähnt.

Stumm starrte ich auf meinen Bauch hinab, berührte ihn voller Zweifel und fuhr dann fort, mich zu waschen.

Wieso bin ich nicht längst tot? Können einfache Tabletten ein solch kaputtes System wirklich am Leben erhalten?

Mein Vater wusste mit Sicherheit mehr darüber. Er arbeitete immerhin genau dort, wo Smile hergestellt wurde. Leider aber unterlag er absoluter Schweigepflicht, was seine Forschungen anbelangte, und seine einzige Antwort auf Fragen war stets, dass ich mich für mehr Informationen selbst Don Quichotte Pharma anschließen müsse. Was ich im übrigen auch vorhatte nach meinem Studium. Ich wollte den Weg der Organtransplantation gehen, um Leuten wie mir zu einem Leben ohne Medikamente zu verhelfen. Nach dem heutigen Tag erschien mir mein Vorhaben allerdings als geradezu utopisch. Es grenzte ja bereits an einem Wunder, dass Smile half.

Nicht mehr nur verwirrt, sondern auch noch niedergeschlagen schlurfte ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Vielleicht brauchte ich Schlaf. Vielleicht konnte ich die ganze Sache morgen klarer betrachten.

Mein Bett wartete bereits auf mich, als ich mich ausgelaugt und müde hineinfallen ließ. Eigentlich war es für zwei Leute konzipiert und die Menge der Kissen und Decken, die es beherbergte, wahrscheinlich sogar für fünf. Doch ich brauchte es genau so. Ich musste mir ein riesiges Nest bauen und dann bevorzugt nackt darin schlafen. Etwas in mir fand nämlich nur dann zur Ruhe.

So rollte ich mich zwischen meinen vielen Decken zusammen, schloss die Augen und musste auf einmal wieder an Kid denken.

Brauchte er auch ein Nest? Konnte er auch zwei Liter am Stück trinken? Hatte er als Kind ebenfalls unter der Bloßstellung gelitten, weil die Medikamente damals den widerlichen Geruch von Schweiß und ganz besonders Urin nicht zu neutralisieren vermochten? War auch er heute noch das Gespött aller Bekannter, weil er einen üblen Geruch nicht als solchen identifizieren konnte? Und nahm er womöglich dieselben weiß-blau verpackten Tabletten wie ich?

Fragen über Fragen, die mich letzten Endes mit einem Lächeln einschlafen ließen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  TK-Rabe
2020-11-21T20:05:30+00:00 21.11.2020 21:05
Ein wunderbarer Law. :3
Bin gespannt wie du das alles aufklärst und erklärst höhöhöh *____*
Antwort von:  SimonStardust
27.08.2022 10:52
Da bin ich selber gespannt x,DDD
Von:  Maire
2020-08-02T12:53:51+00:00 02.08.2020 14:53
Also ich muss gestehen ich mag es sehr wie du Law schreibst. Äußerlich so kalt und verschwiegen, überspitzt gesagt und im Inneren... tja totales Chaos (und damit mein ich jetzt nicht nur seine Organe XD (und ja das is auch echt ziemlich krass))

Dieser Innere Dialog in seinem Kopf is total genial, nicht nur mit der Sache wegen Sanji, sondern auch wenn es um Kid geht.

Das seine Familie komplett in der Medizin tätig ist, wundert mich nicht wirklich, aber... das sie so.. perfekt is irgendwie schon XD Aber ok, wunder gibt es immer wieder.

Jetzt freue ich mich total auf Samstagnachmittag <3 oh bin schon richtig gespannt, was bis dahin allgemein so passiert ^^'

Wahrscheinlich heißt es aber noch ein wenig warten auf das nächste Kapitel, doch ich hoffe deine Renovierungsarbeiten laufen alle so wie du es wolltest =D

Bis ganz bald
Maire
Antwort von:  SimonStardust
02.08.2020 22:04
Vielen lieben Dank. Ich schreibe Law auch ziemlich gerne. xD

Ja, das mit Laws Familie... ich denke, ich wollte wenigstens ein einziges Mal eine Geschichte schreiben, in der sie noch am Leben ist. Einfach... WEIL! xDDD

Oh ja, ich kanns ehrlich gesagt auch kaum erwarten, das zu schreiben. Aber bis dahin passieren schon noch ein paar Dinge~

Bisher klappt alles ganz gut. Danke für die Nachfrage. :3

LG
Simon


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