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Transformation

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry, dass es dieses Mal etwas länger gedauert hat, aber hier ist das nächste Kapitel!
Kann sein, dass ich Sonntag generell zum Upload-Tag machen werde. Freitag krieg ich aus verschiedenen Gründen nicht hin. ^^;

Nun ja, habt Spaß beim Lesen und hoffentlich... ist das Ganze nicht zu... komisch und eklig geworden. x,DDD
(Hinweis: Es wird im Verlauf der Geschichte nicht besser werden mit dem Ekelzeug. So viel kann ich verraten. x,D) Komplett anzeigen

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Kapitel 4

Kid

 

Als ich an der Wohnung des Vermissten ankam, war meine Wut auf Zorro verflogen und das Spurensicherungsteam bereits vor Ort. Von Shanks hingegen fehlte jede Spur, doch darüber wunderte ich mich gar nicht erst. Früher oder später tauchte der schon auf. Außer vielleicht, wenn er besoffen in den Graben gefahren war mit seiner Schrottlaube.

„n’Abend zusammen!“ Ich stieg über das Absperrband vor der Eingangstür hinweg und lief auch sogleich Corby über den Weg. Mit seinem dämlichen Haarschnitt erinnerte er mich immer ein wenig an einen rosaroten, bebrillten Champignon. „Wie sieht es aus? Schon irgendwelche bahnbrechenden Erkenntnisse gewonnen?“

„Oh. Hallo, Kid.“ Er begrüßte mich, indem er peinlich vor mir salutierte, dann zählte er auf: „Einpersonenhaushalt, keine Einbruchsspuren, keine Anzeichen für einen Kampf oder sonstige Gewalt, die Haustürschlüssel sind unauffindbar und alles in allem sieht es sehr danach aus, als hätte Herr Vinsmoke seine Wohnung aus freien Stücken verlassen. Außerdem glauben wir, dass er schwul ist.“

Wie und wozu auch immer sie Letzteres herausgefunden hatten – allmählich war mir das auch klar.

„War ein benutztes Kondom in irgendeinem der Mülleimer?“, fragte ich beiläufig, während ich mich in dem schmalen, aber penibel aufgeräumten Flur umsah. Wenn sich mir schon die Gelegenheit dazu bot, dann wollte ich auch ganz sicher gehen, dass Law die Wahrheit gesagt hatte. Nur, damit Zorro nachher die Klappe hielt und mich nicht mehr behandelte, als wäre ich geistig minderbemittelt.

„Ein, öh… ein Kon...“ Corby lief im selben Farbton wie seine Haare an, dann wandte er sich ab und rief in einen der offenstehenden Räume hinüber: „Helmeppo, kannst du die Mülleimer nach einem benutzten Kondom durchsuchen?“

Ein genervtes Stöhnen ertönte.

„Danke!“ Jetzt so rot, dass sich die Haare mit seiner Gesichtsfarbe bissen, sah er wieder zu mir auf. „Wozu überhaupt?“

„Willst du nicht wissen.“

Ich winkte ab und ließ ihn am Eingang stehen, um mir ein Bild von der restlichen Wohnung zu machen. Gerade stand mir nicht der Sinn danach, kleine, unschuldige Jungs zu verderben.

Da draußen die Dämmerung allmählich Einzug hielt und sich bisher noch niemand zuständig dafür gefühlt hatte, Lichter anzuschalten, wagte ich es und nahm meine Sonnenbrille ab. Kurz musste ich mich mit heftigem Blinzeln an den Helligkeitsunterschied gewöhnen, doch es war auszuhalten. Meine letzte Tablette hatte ich vor vierzehn Stunden zu mir genommen und allmählich geriet ich in jenen praktischen Zustand, in dem sich zwar meine Sinne langsam zu schärfen begannen, aber die zwangsläufig daraus resultierende sensorische Überlastung noch meilenweit entfernt war.

Ich betrat die erstaunlich geräumige Küche und ließ meinen Blick über die sorgfältig gepflegten Gerätschaften, einen kleinen Esstisch mit Aschenbecher und einen energisch blinkend seine Betriebsbereitschaft kundtuenden Feuermelder schweifen. Nichts hier war verdächtig. Von Grünzeug auf dem Fensterbrett bis hin zum Ticken der Wanduhr offenbarte sich ausschließlich Gewöhnlichkeit. Wie von Corby bereits angekündigt.

Der Raum nebenan fungierte als Speisekammer und Wäschezimmer in einem. Staub wirbelte in groben Körnern durch das gedämpfte Abendlicht, begleitet vom intensiven Geruch eines Meeresbrise-Weichspülers und dem Gemecker von Corby, der am anderen Ende der Wohnung Helmeppo zur Arbeit anzutreiben versuchte. Ein Regal voller Akten und ein Schreibtisch, auf dem ein Computer stand, hatte man ebenfalls in das Zimmer gequetscht. Möglicherweise aus Platzmangel. Ein feines, elektronisches Summen lag in der Luft und gleich mehrere Lämpchen glühten mich in wütendem Rot an. Da hatte wohl jemand die schlechte Angewohnheit, nur auf Standby zu schalten.

Abgestandener Rauch mit einer süßlichen Kopfnote erwartete mich im Wohnzimmer, welches an der Stirnseite des Flurs anschloss und gesäumt war von einer unerträglichen Menge an Fenstern. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und verließ mich hauptsächlich auf meine restlichen Sinne. Da war das Brummen eines Fernsehers – ebenfalls auf Standby – Geraschel von einem auf Papier herumkrabbelnden Insekt und der Straßenverkehr, dessen Lärm bis hier hinauf in den dritten Stock tönte. Wer bitte zog freiwillig mitten an eine Kreuzung? Hinzu kam die penetrante Erkenntnis, dass Sanji Vinsmoke wohl Kettenraucher war, und weiterhin diese künstliche Süße, deren Ursprung ich nicht ausmachen konnte.

Das Badezimmer hatte kein einziges Fenster und war somit eine Wohltat für meine Augen. Die Tür hinter mir fast vollständig zugezogen betrachtete ich in der nicht annähernd konturlosen Dunkelheit säuberlich aufgereihte Pflegeprodukte, eine Tube Zahnpasta der Marke Duvaldent am Waschbeckenrand und noch nicht vollständig getrocknete Wasserspritzer in der Dusche. Es war nicht zu übersehen, dass sich hier jemand für seine Schicht ordentlich herausgeputzt hatte. Eine interessante Fülle an Gerüchen schien ebenfalls in der Luft zu hängen, doch dieses süßliche Etwas legte sich wie ein Schleier über den gesamten Rest und machte mir eine genaue Zuordnung unmöglich.

Als ich mich abschließend zu Corby und Helmeppo ins Schlafzimmer gesellte, fiel nicht nur irgendwo im Treppenhaus eine Tür ins Schloss, sondern ich wurde auch geradewegs ertränkt in – wie es schien – klebrig süßem Wassermelonen-Sorbet. Es war hier kühler als in den restlichen Räumen und der vorherrschende Geruch nicht unangenehm. Also, eben genauso unangenehm wie künstliche Gerüche es eben waren. Seine Heftigkeit hingegen vernebelte mich so sehr, dass ich für einen Moment glaubte, nicht einmal mehr klar sehen zu können.

„Kid, wir haben tatsächlich ein Kondom gefunden!“

Freudestrahlend präsentierte Corby mir das zugeknotete Ding, indem er es mir mit zwei behandschuhten Fingern entgegenhielt.

Schnurstracks war ich an ihm vorbei und packte seinen langen, dürren Kollegen mit dem blonden Pferdeschwanz und dem verdrießlichsten Gesicht der Welt bei der Schulter.

„Raus!“ In seiner Nähe war der sich durch die Wohnung ziehende, süße Geruch wie alles verschluckender Staubsaugerlärm. „Kau deinen Scheißkaugummi woanders!“

„Aber...“

Er beendete seinen begonnenen Satz nicht, sondern ließ sich wie der Schlaffi, der er war, zum Absperrband am Eingang bugsieren.

„Kid! Jetzt sei doch nicht gleich so grob!“, plärrte Corby und wuselte uns aufgeregt fuchtelnd hinterher. „Willst du dir nicht lieber das Kondom ansehen?“

„Nein! Nicht jetzt! Wenn der mich ablenkt, kann ich nicht arbeiten!“

„Ich kann den Kaugummi auch wegwerfen...“

„Hey, Kinder!“ Eine vierte Stimme unterbrach uns, wir hielten in der Bewegung inne und unsere Köpfe wandten sich wie auf Kommando der Treppe zu. Herauf kam – heiter grinsend und die Ruhe weg – Shanks. „Macht doch mal ein bisschen leiser. Ab zwanzig Uhr gilt Zimmerlautstärke. Das hier ist immerhin ein Mehrfamilienhaus.“

Mir entwich ein Schnauben. Zu dem künstlichen Wassermelonenaroma hatte mir ganz gewiss kein Alkoholgestank gefehlt und im Gegensatz zu Helmeppo wusste Shanks eigentlich, dass er mir damit meine Arbeit unnötig erschwerte. Zumindest hatte ich bereits mehrmals lautstark versucht, das in seinen verkaterten Schädel zu hämmern.

Er kam näher und musterte uns interessiert, wie wir uns zu dritt im Eingang drängten.

„Kid, du musst Helmeppo schon loslassen, wenn du willst, dass er draußen wartet.“

Seine halb belustigte, halb väterliche Tonlage ließ meinen Blutdruck in unermessliche Höhen schnellen. Am liebsten hätte ich daraufhin die Schulter unter meiner Hand zerquetscht, bis es krachte, doch ich begnügte mich damit, Helmeppo unsanft von mir zu stoßen.

„Hey! Ich… ähm…“ Weiterhin auf seinem Kaugummi herumschmatzend fing er sich nach einigen Schritten, dann zog er eine unmotivierte Grimasse. „Ich warte unten. Kommst du, Corby?“

„Gleich! Ich muss doch noch…!“

„Das nenne ich mir löblich, Kleiner!“, unterbrach ihn Shanks, der das Kondom entdeckt hatte, und haute ihm lachend auf den Rücken. „Mit Verhütung sollte man früh anfangen! Sonst setzt man lauter vaterlose Kinder in die Welt und ertrinkt in den Unterhaltskosten!“

„Das ist nicht von mir!“, quiekte Corby und wurde tatsächlich schon wieder rot. Wie alt war der bitte?

„Das ist ein Beweisstück!“, fauchte ich Shanks an. „Geh nen Meter bei Seite, du stinkst nach Schnaps!“

„Stinken ist nun wirklich übertrieben nach ein, zwei Gläschen. Der Hausherr Vinsmoke hat eine eigene Brennerei. Da habe ich mir natürlich ein paar Flaschen geleistet; waren nicht billig. Eine echt hübsche Tochter hat er außerdem…“ Ich durchbohrte ihn mit einem bitterbösen Blick. „Okay, okay, ich geh ja schon.“

Er zog sich einige Schritte in den Flur zurück, dann hakte er unsicher nach: „Du tust jetzt aber nicht das, was ich denke, dass du gleich tun wirst?“

Ohne ein weiteres Wort griff ich nach Corbys Handgelenk, um das Kondom in unmittelbare Reichweite vor mein Gesicht zu ziehen. Corby selber kapierte natürlich nichts, sondern beschwerte sich nur, dass ich nicht so fest zupacken solle, doch davon ließ ich mich nicht beirren.

Ich schloss die Augen, dann sog ich konzentriert durch die Nase Luft ein.

„Komm schon, Kid! Pfui, aus! Abgetrennte Körperteile und verschimmelte Sanitäranlagen sind ja irgendwo noch in Ordnung. Aber das – das ist eklig!“

„Schnauze!“

Shanks hatte überhaupt keine Ahnung davon, wie viele Dinge ihren Ekelfaktor verloren, sobald man tief in jede einzelne Geruchsebene eindrang. Außerdem war es ja nicht gerade so, als würde ich das Kondom ablecken.

Das erste, was sich mir scharf und unnatürlich aufdrängte, war das Gummi. Offenbar bevorzugte hier jemand die synthetische Variante. Hinzu kam ebenso künstlich das reichlich undefinierbar einparfümierte Gleitmittel, von dem ich nur erahnen konnte, dass es wohl möglichst erfrischend riechen sollte. Darunter hingegen offenbarte sich mir das eigentlich Interessante: Eiweiß, Salz und ein vielschichtiges Gewirr an Hormonen und Pheromonen, welches zu entschlüsseln nun meine Aufgabe war.

„Law Trafalgar schließe ich bis auf Weiteres als Täter aus.“

Er hatte die Wahrheit gesagt. Sein verführerisch herber Geruch verdrehte mir sogar in dieser Form den Kopf und beinahe hätte ich ein angetanes Schmatzen von mir gegeben. Rechtzeitig erinnerte ich mich allerdings daran, dass ich nicht alleine in Vinsmokes Wohnung herumstand.

Atemzug für Atemzug bahnte ich mir einen Weg durch mich frech umspielende Duftschwaden, kämpfte mit der unweigerlich in mir aufsteigenden Lust und entdeckte schließlich etwas, das für meinen Körper zwar weit weniger aufregend, aber den Fall betreffend ein Lottogewinn war.

Sanji Vinsmoke… ganz schwach nur. Salzig kühl und trotzdem zurückhaltend. Eine Spur Schärfe ist da auch…

„Kann mir bitte irgendwer erklären, was hier passiert?“

Auf Corbys verwirrte Worte hin öffnete ich die Augen und sah ihn mit Nachdruck an.

„Nein.“ Ich ließ seine Hand los. „Und denk nicht einmal daran, irgendwem davon zu erzählen. Verstanden?“

„Ver-verstanden!“

Er reagierte mit einem erneuten Salut, ich hingegen wandte mich Shanks zu.

„Ich hab alles, was ich brauche. Schnelle Lagebesprechung?“

„Familie Vinsmoke scheint Sanji regelrecht zu hassen und die Bande zu ihm gekappt zu haben“, begann er sofort und bewies damit, dass zur rechten Zeit eben doch Verlass auf ihn war. „Sie dachten sogar, er befände sich im Ausland. Allerdings traue ich der Tochter nicht; die hat mir eindeutig etwas verschwiegen. Ob sie das verdächtig macht, kann ich dir zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht sagen. Selber?“

„Trafalgar hat nen geilen Arsch und ein lupenreines Alibi. Er und Vinsmoke hatten einen One-Night-Stand, danach ist er heimgegangen und hier in der Wohnung gibt es keinen einzigen Hinweis auf eine Entführung. Nach allem, was ich herausgefunden habe, halte ich es für am wahrscheinlichsten, dass Vinsmoke etwas auf dem Arbeitsweg zugestoßen ist.“

„Dann gehen wir?“

Ich nickte und setzte meine Sonnenbrille wieder auf. Draußen war es mir doch noch eine Spur zu hell.

„Hallo?“, rief Corby, den wir kommentarlos im Eingang stehen ließen. „Was soll ich denn jetzt mit dem Kondom machen?“

„DNS-Analyse!“ Ich war mir dessen bewusst, dass meine Methoden erstens keinerlei Aussagekraft als Beweis besaßen und zweitens verboten waren. „Sonst glaubt mir wieder keiner!“

Wir verließen das Gebäude, dann standen wir direkt an der vielbefahrenen Kreuzung, wo ein gelangweilter Helmeppo vor dem schlecht geparkten Polizeiwagen auf und ab schlurfte. Ich blinzelte in den sich langsam violett färbenden Abend hinein, kramte in meiner Hosentasche herum und gab währenddessen ein Minimum an Anweisungen.

„Shanks, du hältst mindestens zwei Meter Abstand, wenn du mir gleich folgst. Helmeppo, dich und Corby brauchen wir heute sicher noch; haltet euch bereit.“

Zustimmung von beiden Seiten erfolgte, woraufhin ich den unsäglichen Stadtlärm mit Ohrstöpseln aus meinem Kopf verbannte und erneut die Augen schloss. Jeder überflüssige Reiz musste ausgeblendet werden, damit ich meine Konzentration voll und ganz auf das Netzwerk aus Gerüchen lenken konnte, welches sich wie eine zweite Realität durch die Straßen zog. Nachdem ich mir oben in der Wohnung eine ganze Geruchskartei über Vinsmoke angelegt hatte, wusste ich nun genau, wonach ich suchte. Mit ein wenig Glück wurde ich zwischen abertausenden von chemischen Fußabdrücken fündig und konnte seinen Weg zur Arbeit rekonstruieren.

Zigarettenrauch, Meeresbrise, Duvaldent, salzig scharfe Kühle… Sanji Vinsmoke… wohin bist du verschwunden?

Ob meine Art, eine Fährte aufzunehmen, wirklich der eines Hundes nahe kam, wusste ich natürlich nicht. Fakt war einzig, dass es funktionierte. Trotz der unvorstellbaren Anstrengungen, die es mich kostete, aus einem Sumpf aus Abgasen, Fastfood-Fett und Deodorants den einen Hauch des Gesuchten herauszufiltern.

So knapp vor dem Hauseingang stieß ich verständlicherweise auf gleich mehrere von Vinsmoke hinterlassene Spuren. Die einen waren älter, die anderen so frisch, dass sie womöglich noch vom heutigen Tage stammten. Ich folgte ihnen ein Stück, bemerkte aber schnell, dass sie sich direkt an der Ecke des Gebäudekomplexes aufteilten und jeweils über eine andere Straße führten.

Kurz hielt ich inne und schloss wieder die Augen. Rechts von mir war die Fährte schmäler und unregelmäßiger. Links hingegen wirkte sie breit ausgetreten wie ein oft genutzter Pfad. Ein Blick in beide Richtungen lieferte mir die nötige Zusatzinformation, dass sich rechts ein Supermarkt befand und man sich links auf die Fußgängerzone zubewegte, wo wir vor zwei Stunden noch in Jeff’s Bar Zeugenaussagen aufgenommen hatten. Meines Erachtens nach rochen die Spuren in diese Richtung minimal aktueller als die anderen.

Zielstrebig überquerte ich die Fahrbahn und tat mein Bestes, Vinsmokes Fährte in den sich überlagernden Geruchsschichten des Straßenverkehrs nicht zu verlieren. Immer wieder blieb ich dabei an Ecken stehen, musste mit geschlossenen Augen feinjustieren oder kniete mich zweimal sogar hin, um dem Boden näher zu sein. Es fühlte sich an, als suche man in einem Ameisenhaufen nach dem einzigen Exemplar mit kürzeren Fühlern.

An der letzten befahrenen Straße vor der Fußgängerzone schließlich stieß ich auf etwas, das mir einen unerwarteten Adrenalinkick verpasste: Vinsmoke hatte seinen Arbeitsweg verlassen. Und er war nicht länger alleine. Neben seiner unverkennbaren Fährte war eine zweite aufgetaucht; die einer Frau.

Meine Schritte wurden schneller und mein Fokus schärfer. Die vor wenigen Stunden hinterlassene Duftspur war nicht länger schwer zu erkennen, sondern stach so klar und deutlich hervor, dass ich sie beinahe zu sehen glaubte. Sie verlief schnurgeradeaus den Bürgersteig entlang, erreichte eine schmale, unscheinbare Seitengasse und bog tatsächlich in diese ab.

Müllcontainer, Dreck und ein Eisentor am anderen Ende waren alles, was mein heftig atmendes Selbst erwartete, als ich direkt vor der Einfahrt zum Stehen kam. Ich pulte die Stöpsel aus meinen Ohren, dann sah ich mich ungeduldig nach Shanks um. Er war mir wie abgemacht mit großem Abstand gefolgt und schlenderte nun ungläubig die Brauen hochziehend auf mich zu.

„Da drin?“

„Zu hundert Prozent.“

Auch er wagte einen Blick in die Gasse hinein, dann kommentierte er: „Na, ich kann mir schönere Entführungsorte vorstellen. Wälder zum Beispiel sind wenigstens in freier Natur.“

„Vinsmoke war mit einer Frau hier“, beugte ich weiterem Blödsinn vor. „Nicht zum Vögeln, versteht sich. Ihre Spur führt nur...“, ich ging auf einen Stapel Rohre zu, „...bis hierhin. Vinsmoke dagegen kann ich nahezu überall riechen. Außerdem noch zwei andere Typen.“

Aufgeregt pulsierte das Blut durch meine Adern. Der Zustand, in dem ich mich gerade befand, hielt zwar nie lange an, doch machte er das Fährtenlesen zum Kinderspiel. Nichts – nicht einmal Shanks’ Schnapsfahne – konnte mich von meiner Beute abbringen und bereits einigen Flüchtigen hatte ich damit gehörig Angst eingejagt.

Auf der Suche nach weiteren Anhaltspunkten durchstreifte ich die Gasse. Warum war Vinsmoke hier einmal im Kreis gelaufen? Wieso tauchten die Fährten der beiden unbekannten Männer wie aus dem Nichts knapp vor dem Tor auf? Und was hatte es so Besonderes mit dem Haufen Rohre auf sich, dass sich dort alle vorhandenen Spuren trafen?

„Sag mal, Kid, als was würdest du das hier bezeichnen?“

Shanks stand ausgiebig einen Container betrachtend da und hatte nachdenklich Daumen und Zeigefinger an sein Kinn gelegt. Ich kam näher und warf einen Blick auf die Stelle, die er meinte.

„So sieht das aus, wenn einer bescheuert genug ist, zu glauben, er könne ein Auto in eine enge Seitenstraße wie diese hier quetschen“, war mein ganzer Kommentar dazu. Die Schleifspuren, die Metall auf Metall hinterließ, erkannte ich mittlerweile im Schlaf.

„Dasselbe dachte ich auch gerade. Die Frage ist nur, wie lange sieht der Container schon so aus?“

„Ruf Corby und Helmeppo hierher; das herauszufinden wäre deren Job.“

„Schon dabei.“ Grinsend zückte Shanks sein Funkgerät. „Und du tu mir den Gefallen und stell dich ein wenig abseits, wenn du schon so schwitzen musst.“

Er wedelte mit der freien Hand vor seiner Nase herum und augenblicklich durchfuhr mich die Wut wie ein gleißender Blitz. Konnte ich etwas dafür, dass die Adrenalinschübe mit vermehrter Schweißproduktion einhergingen? Nein. Konnte ich etwas dafür, dass mein Körper ohne Smile ein ganzes Waffenarsenal an Schwefelverbindungen herstellte, sobald ich schwitzte? Auch nein!

Ich presste die Zähne aufeinander und versenkte die Hände in den Hosentaschen, um mich selber vor einer Dummheit zu bewahren. Seinen Weg nach draußen fand mein Zorn trotzdem, als ich mich schwungvoll von Shanks abwandte und der nächstbesten auf dem Boden herumliegenden Dose einen Tritt verpasste. Sie flog im hohen Bogen davon, bruchlandete in einem Kartonstapel und riss diesen erbarmungslos um. Sollte sie doch!

Als würde ich stinken! Pah! Die haben doch alle keine Ahnung!

Schmollend trollte ich mich zu den Kartons hinüber. Klar war mir dabei natürlich, dass es sehr wohl die anderen waren, die eine Ahnung hatten, und nicht ich. Während ich nämlich den scharfen Geruch von Alkohol in seinen reineren Formen zum Abgewöhnen fand, regte sich bei mir absolut nichts, sobald es um Schwefelverbindungen ging. Ich nahm sie wahr – das schon – doch sie störten mich nicht. Meist war sogar das Gegenteil der Fall und wahrscheinlich hätte man mich zur Entspannung in eine Wanne voll fauler Eier legen können. Immerhin aß ich die Dinger auch. Zum Entsetzen meiner Mitbewohner zwar, aber in noch keinem einzigen Fall mit Nachwirkungen.

Was soll’s, Kid? Ob mit oder ohne Tabletten – du bist seltsam und wirst es auch bleiben. Sieh das endlich ein.

Meine Kindheit hatte ich in einem Waisenhaus verbracht, weswegen ich nicht einmal wusste, wem ich die wie ein Fluch auf mir lastende Erkrankung zu verdanken hatte. Freunde waren damals rares Gut für mich gewesen, denn Smile vermochte nicht schon immer den heftigen Geruch zu neutralisieren, den mein Körper produzierte. Zunächst hatte man mich dafür drangsaliert und ausgelacht, später dann gemieden und gefürchtet, da ich noch nie der Typ gewesen war, der Ersteres auf sich sitzen ließ. Narben hatte das Ganze dennoch hinterlassen. Deswegen auch meine so heftige Reaktion auf Shanks’ verhältnismäßig höflich formulierte Bitte.

Ein plötzlich aufleuchtender Lichtschein irgendwo zwischen den Kartons riss mich aus meinen trüben Gedanken. Hatte da nicht etwas vibriert?

Mit einem Fuß schob ich die nächstbeste Kiste bei Seite, dann noch eine. Die dritte knickte ein, brachte die darüber liegende ins Rutschen und veranstaltete mit hohlem Gerumpel noch mehr Chaos.

„Hey, lass den Tatort ganz!“, rief Shanks mir zu, der damit beschäftigt war, unserem Spurensicherungsteam eine genaue Wegbeschreibung durchzugeben.

Ich ging nicht darauf ein, sondern starrte das an, was mir soeben vor die Schuhe gefallen war.

„Shanks!“ Manchmal gelangen einem eben doch Glücksgriffe. „Wir haben hier ein Handy!“

 

Es war viertel vor zehn, als wir zur Wache zurückkehrten. Corby und Helmeppo verschwanden sofort mit dem üblichen Gewusel und Geschleppe in den Laborräumen, das sorgfältig eingetütete Smartphone fand seinen Weg zu Bartolomeo, unserem Technikspezialisten, und Shanks und ich machten den Pausenraum unsicher. Klar hätten wir auch fleißig wie Zorro jeder einen Zwischenbericht schreiben können, aber eine Kleinigkeit zwischen die Zähne war nach so viel Anstrengung die klügere Option.

„Also, um alles noch einmal knapp zusammenzufassen“, zählte Shanks auf, der auf dem Sofa lümmelte und einen doppelten Cheeseburger in sich hineinstopfte. „Sanji hatte Sex mit dem Typen, den du flachlegen gehst, sobald sich die erste Gelegenheit dazu bietet, ist dann nicht zu seiner nächsten Arbeitsschicht erschienen, sondern stattdessen mit einer unbekannten Frau in eine Seitengasse verschwunden, und ab dem Zeitpunkt fehlt jede Spur von ihm. Richtig?“

„Da waren noch die zwei anderen Kerle.“ Mit dem offenen Fenster im Rücken, an welches man mich zum Auslüften verbannt hatte, machte ich mich halb verhungert über mein Hühnchen her. „Sie könnten Vinsmoke niedergeschlagen haben.“

„Und dann haben sie sich alle vier in Luft aufgelöst?“

„Warten wir die Laborergebnisse ab. Wenn die Spuren am Container nicht von einem an der Tat beteiligten Fahrzeug stammen, fress ich nen Besen.“

Shanks zuckte die Schultern.

„Das ist ja alles schön und gut, aber weißt du, was uns nach wie vor fehlt? Ein Motiv.“

„Vielleicht müssen wir größer denken.“ Ich massierte mir eine Schläfe, da sich – ausgelöst durch die auch nach der Fährtensuche nicht nachlassende Reizüberflutung – Kopfschmerzen anbahnten. „So viele von Vinsmokes Bekannten wie möglich ausfindig machen und befragen. Wenn er wirklich ein solches Flittchen ist wie Zorro behauptet, kann ich mir nicht vorstellen, dass es niemanden gibt, der schlecht auf ihn zu sprechen ist.“

„Zorro kennt ihn?“

„Flüchtig“, nickte ich und behielt den pikantesten Teil für mich. Gewisse Dinge tat selbst ich nicht und dazu gehörte ausplaudern, auf wen der beste Kumpel stand. „Und ich glaube, er hat irgendwann mal erwähnt, dass er auch diesen Typen mit dem Strohhut kennt, den wir in Jeff’s Bar getroffen haben. Geht wohl öfters feiern mit dem.“

Daraufhin lachte Shanks lauthals auf.

„Ruffy kennt jeder! Eigentlich wäre er der ideale Kandidat für dein Vorhaben, noch mehr Bekannte von Sanji aufzutreiben. Oh, hallo, Smoker.“

Die Tür hatte sich aufgetan und Kommissar Whitehunter kam zielstrebig wie eh und je herein, um die Kaffeemaschine in Beschlag zu nehmen. Er warf uns nur einen kurzen Blick aus seinen wachsamen, dunklen Augen zu, dann brummte er „Abend“ und beließ es dabei.

Im Gegensatz zu Shanks war Zorros Vater genau das, was man als Vorzeigepolizist bezeichnen konnte: Pünktlich, methodisch und kompromisslos. Sein kurzes, frühzeitig ergrautes Haar war dynamisch zurechtgetrimmt und sein Körper durchtrainiert von unzähligen Einsätzen, welche jedoch auch anderweitig Spuren auf ihm hinterlassen hatten wie beispielsweise eine Narbe, die sich über die rechte Stirnseite bis zum Augenwinkel zog. Selten sah man ihn ohne Zigarre im Mund und den Dickschädel, den ich bereits von seinem Sohn kannte, hatte er auch.

„Wie geht’s, wie steht’s denn so?“, laberte Shanks ihn sogleich voll und schien unsere vorangegangene Konversation vergessen zu haben.

Auch gut.

Ich hielt meinen Mund, stopfte Hühnerfleisch in mich hinein und versuchte einen Blick auf Smokers Pistolengriff zu erhaschen, während die beiden Veteranen abgelenkt waren. Was sich nur leider aus diesem Winkel heraus als gar nicht so einfach entpuppte. Ein Tisch blockierte meine direkte Sichtlinie.

Bevor ich mich dazu entschließen konnte, meinen Strafplatz am Fenster einfach aufzugeben, meldete sich allerdings mein Handy zu Wort. Dem Geräusch nach zu schließen wegen einer WhatsApp-Nachricht.

Ich wischte meine fettigen Finger am scheußlich grau gemusterten Vorhang ab, dann zog ich das Telefon aus der Hosentasche. Ein einziger prüfender Blick genügte und mein breites Grinsen kehrte zurück.

 

(21:52) Law: Wie sieht es jetzt aus mit einem Termin? Am Wochenende hätte ich Zeit.

 

Als ich die Antwort tippte, flog mein Daumen geradezu über die Tasten. Wenn er einen Patienten wollte, dann sollte er ihn haben. Einen Patienten, wie er noch keinen zuvor erlebt hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  TK-Rabe
2020-11-21T18:42:30+00:00 21.11.2020 19:42
Spannend, spannend. Da ich aber schon ein Gewisses "Vorwissen" habe, kann ich einiges schon zusammen reimen und komponieren. Da habe ich anderen einiges Vorweg.
Megaaaa gut bisher. Schöner Schreibstil. Tolle Details. Und du schreibt einen überragenden Kid. Du verkörperst ihn richtig.
Mach Spaß zu lesen. Du bist noch besser geworden. UND ICH LIEBE SMOKER!
Antwort von:  SimonStardust
27.08.2022 10:52
Dankeschön. :3
Ich schreibe Kid ja auch viel zu gerne, wie du weißt. x,D
Und Smoker... ja, der IST HALT AUCH TOLL! Da muss man ihm gerecht werden und ihn auch so schreiben. ^^
Von:  Maire
2020-07-16T20:22:17+00:00 16.07.2020 22:22
Ja ich gestehe. Ich konnte das Kapitel jetzt nicht einfach ungelesen in die Nacht entlassen.
Und wow..
Es ist richtig krass wie sehr Kid einem Spürhund ähnelt XD Ich würde auf jedenfall sagen das er denen Konkurrenz machen kann.
Shanks macht hier auf jedenfall mal eine leicht bessere Figur. Immerhin hat er fein aufgepasst.

Hoffentlich finden sie nun heraus das der Lieferwagen dort stand und es der selbe ist von dem anderen fall... und auch das ganz viele nachrichten von Rejiu Vinsmoke auf dem Handy sind und sie somit noch mal in den Fokus gerückt wird. Ach es macht Spaß mit zu rätseln, was passiert ist und wieso, wo doch Sanji keinen Kontakt zu seiner Familie hatte. Sofern das denn alles stimm!

Ach und ganz wichtig zu erwähnen. Ich freue mich schon sehr auf den "Termin" ^.^

Ich hoffe bis ganz bald
Maire <3
Antwort von:  SimonStardust
17.07.2020 10:23
Alleine das ist schon ein Kompliment an sich - es ist zu spannend geworden, um einfach aufzuhören. xD Dankeschön. :3
Joar... ich hoffe, da noch mehr von einbauen zu können - von dem Spürhund-Kid. xD
Das stimmt. Er ist nicht so doof wie er rüberkommt. :,D

Ich kann zumindest so viel verraten: Die beiden nächsten Kapitel werden aufschlussreich. Also... bis zu einem gewissen Punkt immerhin. ^^

Kid freut sich auch drauf... und ich auch. xDDD
Und wenn wir etwas Glück haben... Law auch. x,D

Ich versuche generell Sonntag zum Upload-Tag zu machen.
Also, bis dahin und danke für deine lieben Kommentare. Das bedeutet mir einfach so unglaublich viel. :3

LG Simon


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