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Sintflut

von

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Hast du gerade Oskar gesagt?

"Hast du gerade Oskar gesagt?"
 

Mittlerweile sind jetzt schon über zwei Wochen wieder ins Land gezogen. Annabells kompletter Hausrat ist zwischenzeitlich schon angekommen und sie hat sich so gut wie möglich in ihrer neuen Bleibe eingerichtet. Auf Farbe hat sie bis jetzt größtenteils verzichtet, da sie einfach noch nicht richtig die Lust dazu hatte. Außerdem fehlen ihr noch ein paar Ideen, mit denen sie auch zu hundert Prozent zufrieden ist. Sie hat keine Lust ihre Wände mit allen möglichen Farben oder Mustern zu verzieren, was ihr nach ein paar Monaten vielleicht schon wieder missfällt. Da hebt sie sich das Umstylen ihrer vier Wände lieber für später auf, ist dann aber vollkommen zufrieden damit. Trotz allem stehen zumindest ihre mitgebrachten Möbel an den Orten, wo sie hingehören und zusätzlich haben sich noch ein paar Plätzchen ergeben, wo sie noch das eine oder andere Regal aufstellen kann, worin sie all ihre Bücher, CDs und DVDs verstauen kann, sobald sie sich um deren Anschaffung gekümmert hat. Vielleicht macht sie das mit ihrer Freundin Toni, welche heute noch bei ihr ankommen müsste. Diese konnte sich noch eine Woche frei nehmen und ist bereit ihr etwas unter die Arme zu greifen.
 

Annabell ist gerade vom Einkaufen wieder nach Hause gekommen und hat alles verstaut, da klingelt es auch schon an ihrer Wohnungstür. Das ist doch mal perfektes Timing. Mit großer Freude in sich drückt Annabell den Buzzer und bemüht sich gar nicht erst zu gucken, wer denn wirklich vor ihrer Tür steht. Im Internet bestellt hat sie nichts und auch so kennt sie noch niemanden, der ihr spontan einen Besuch abstatten könnte. Deswegen reißt sie auch ohne zu zögern ihre Wohnungstür wieder auf und wartet geduldig, bis die Schritte auf den Treppenstufen näher kommen, bis der braune Wuschelkopf ihrer Freundin Toni endlich erscheint.
 

„Bella!“, kreischt die eine und „Toni!“, quietscht die andere. Die letzten Meter sind dann rasch überbrückt und die Tasche von Toni einfach im Flur fallen gelassen, dann liegen die beiden Frauen sich schon in den Armen.
 

„Tut das gut dich zu sehen. Ich habe dich echt vermisst“, hört Annabell die Worte ihrer Freundin und sie muss schon arg mit den Tränen kämpfen, da es ihr ebenfalls so ergangen ist. Zwar hat sie sich selbst für diesen Umzug entschieden, dennoch vermisst sie ihre beste Freundin jeden Tag, da helfen die täglich geschriebenen Nachrichten auch nur minimal, denn das kann die Nähe zu der Person nur unzureichend ersetzen. Ganz automatisch schließen sich ihre Arme noch fester um ihre Freundin. Tief atmet Annabell den so bekannten Duft ein und bekommt langsam den Drang ihren Tränen freien Lauf zu lassen unter Kontrolle.
 

„Ich habe dich auch vermisst“, nuschelt sie und schnieft kurz, bevor sie ihren Klammergriff langsam wieder löst. „Jetzt komm aber erst mal rein“, schnappt sie sich selbst die Tasche ihrer Freundin, in der Annahme sie sogleich in die Wohnung tragen zu können, doch davon wird sie nun genau von eben dieser Tasche abgehalten.

„Himmel, Toni! Hast du Steine da drinnen? Du bleibst doch nur für eine Woche“, bekommt Annabell die Tasche nur mit Mühe und Not hoch und schleift sie mehr in ihren Flur, als dass sie die Tasche wirklich trägt.
 

„Was denn? Eine Frau muss nun mal auf alles vorbereitet sein“, zwinkert Toni ihr grinsend zu und Annabell kann nur mit dem Kopf schütteln.

„Du wolltest mir mit den neuen Möbeln helfen. Es war nie was anderes abgemacht.“

„Ach komm schon, Bella. Wir werden doch keine sechs Tage brauchen um ein paar Regale zu besorgen und diese aufzubauen. Du kennst uns doch.“

„Eben, da werden aus sechs Tagen gerne mal zwei Wochen, weil wir uns von allem möglichen Mist ablenken lassen. Ich meine es ernst, Toni. Zuerst die Arbeit und dann das Vergnügen“, hat Annabell jetzt einen ziemlich strengen Ton drauf, welcher Toni wiederum zum leidvollen Seufzen animiert.

„Du meinst es also tatsächlich ernst. Dabei habe ich mich schon auf ein wenig Spaß gefreut“, sieht Annabell ihrer Freundin sofort die gespielte Theatralik an, wohingegen sie nur die Augen verdrehen kann.

„Na gut, dann zeig mir mal dein bescheidenes Reich und danach werde ich dir so viele Vorschläge machen, dass du dir wünschst mich nie eingeladen zu haben“, grinst Toni breit und hakt sich dann bei Annabell unter, welche sie dann auch wirklich durch die Wohnung führt.
 

Nach dem kleinen Rundgang hat Annabell wirklich eine sprachlose Toni neben sich stehen und sie kann sich das breite Grinsen da nur sehr schwer verkneifen. Wahrscheinlich sah sie vor knapp drei Wochen genauso aus wie ihre Freundin jetzt. Der Mund leicht aufgeklappt und der Blick in den Augen leicht verklärt und höchstwahrscheinlich auch recht ungläubig.
 

„Die Bude sieht exakt so aus wie das Apartment, welches wir im Januar gemietet hatten“, spricht ihre Freundin das aus, was auch Annabell sich am Tag ihres Einzuges gedacht hat. Es fehlen lediglich zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer, dann ständen sie wirklich in ihrer damaligen Urlaubsunterkunft.

„Jap. Es fühlt sich ehrlich gesagt noch immer ein bisschen wie Urlaub an, obwohl ich ja weiß, dass ich hier nun wohne und nicht nur für ein paar Tage raste“, muss sie zugeben.

„Das würde mir wahrscheinlich genauso gehen“, stimmt Toni ihr nickend zu. Als das dann auch geklärt ist, wuchten sie die schwere Reisetasche in Annabells Schlafzimmer und Toni kann sich zumindest mit ihren Kosmetikartikeln häuslich einrichten, für mehr gibt es leider noch keinen Platz. Schlafen wird Toni mit bei Annabell im Bett. Erstens ist es dafür groß genug und zweitens haben sie das schon immer so gemacht und wenn nicht gerade ein Mann mit drinnen liegt, handhaben sie das auch weiterhin so.
 

Am Abend – sie haben sich Pizza vom Lieferdienst bringen lassen – lümmeln sie auf Annabells großer Couch, die wie angegossen in das schöne offene Wohnzimmer passt. Der Fernseher spielt irgendeine sinnlose amerikanische Sitcom ab und die beiden Mädels lassen sich die fettige Pizza schmecken. Jeder ist zunächst mit ihrem Essen beschäftigt und sie kümmern sich weder um den Sitznachbarn, noch um die sinnlosen Witze in der Glotze. Annabell ist gerade mit ihrem letzten Stück beschäftigt, da wischt sich Toni schon ihre Finger an der Serviette ab und durchbricht dann die angenehme Stille zwischen ihnen.
 

„Gibt’s eigentlich etwas Neues von deinem Traumprinzen?“ Prompt verschluckt sich Annabell an ihrem letzten Stück und muss für einen Moment stark um ein bisschen Luft für ihre Lungen kämpfen.
 

„Er ist nicht mein Traumprinz“, keucht sie wenige Minuten später recht atemlos und muss sich tatsächlich ein paar Tränchen aus den Augenwinkeln tupfen. Himmel noch eins. Das kann Toni doch nicht einfach so machen. Annabell mag es gar nicht so unvorbereitet darauf angesprochen zu werden, doch wie immer ignoriert ihre Freundin diese Tatsache geflissentlich.
 

„Von wegen, ich muss dich ja nur an deinen Mister Right erinnern und schon glänzen deine Augen“, grinst sie ihr überlegen entgegen und Annabell kann nichts anderes machen und sich mit einem Seufzen ergeben, da ihre Freundin recht hat.
 

„Dumm nur, dass Oskar gar nicht weiß, dass ich überhaupt existiere“, nuschelt sie es mehr zu sich und nicht zu ihrer Freundin, aber natürlich hat sie es genau gehört. Wenn die Frau will hat sie echt Ohren wie ein Luchs…
 

„Hast du gerade Oskar gesagt? Da gibt’s ja doch was Neues“, strahlt sie und Annabell seufzt. Vorgestern war sie mal wieder in der Sintflut essen und da diesmal nur noch ein Platz an der Bar frei war, konnte sie so ziemlich jedes Gespräch verfolgen, welches eben hinter dem Tresen geführt wurde und da ist des Öfteren der Name Oskar gefallen. Es hat dann nicht mehr viel gefehlt, da konnte Annabell sich denken, wer denn nun Oskar ist, zudem dessen Kollegin ihn ziemlich oft gerufen hat und es sich so immer mehr hinaus kristallisierte. Genau so erzählt sie es dann auch ihrer Freundin und diese hat plötzlich ein ganz gefährliches Grinsen im Gesicht. Das kann wirklich nichts Gutes bedeuten und Annabell bekommt es ein wenig mit der Angst zu tun.
 

„Na ja, da du sagst, er weiß nicht, dass du existierst, ich würde sagen, dass wir das ändern werden“, spricht Toni das aus, was Annabell schon befürchtet hat.

„Oh nein, du lässt da schön deine Finger aus dem Spiel“, wehrt sie sofort aber, aber Toni schüttelt nur ihren braunen Wuschelkopf.

„Dann wird das doch nie was zwischen euch. Nur vom Warten wird der Mann nicht auf dich aufmerksam. Du kannst mir nichts vormachen, ich weiß ganz genau, dass du dich tierisch in ihn verknallt hast, auch wenn du es die ganze Zeit abstreitest oder herunter spielst, Bella“, sieht Toni Annabell ernst an, zusätzlich beherrscht sie noch die Möglichkeit ihn gleichzeitig etwas vorwurfsvoll werden zu lassen.
 

„Ich kann nun mal nicht so konkret auf Männer zu gehen wie du. Außerdem weiß ich doch gar nicht, ob er überhaupt Single ist. Bei meinem Glück ist der Mann verheiratet und schon dreifacher Vater“, ruft Annabell aus und lässt ihr letztes Stück Pizza in den Karton zurück fallen, sie hat jetzt keinen Hunger mehr.

„Du wirst es aber auch nie herausfinden, wenn du deinen Oskar nur von einem Tisch im Gastraum aus anschmachtest. Der kommt nicht von alleine zu dir und sagt: Hi, ich bin Oskar und Single, du hast nicht zufällig gerade Zeit und willst meine Freundin sein? Du musst auch ein bisschen Eigeninitiative ergreifen, zumindest ein Anfang muss gemacht werden, der Rest läuft ja meistens dann wirklich von alleine“, hält Toni ihr schon einen regelrechten Vortrag und Annabell kommt sich vor wie ein kleines Kind, dabei ist sie selbst schon eine Frau von neunundzwanzig Jahren. Aber es kann auch nicht jeder so offen und extrovertiert wie Toni sein, denn das ist Annabell bei weitem nicht.
 

„Eigeninitiative. Das sagt sich so leicht, du kennst mich doch“, murmelt Annabell und stiert auf ihre übrig gebliebene Pizza.

„Deswegen helfe ich dir ja auch, da klappt das schon“, strahlt Toni übers ganze Gesicht und Annabell weiß jetzt schon, dass sie versuchen wird die Sintflut in der Zeit zu meiden, so lange ihre Freundin bei ihr Urlaub macht.
 

„Genau das macht mir ja Angst, du hast immer gleich ein bisschen zu viel Eigeninitiative.“

„Ach was, ich bin dieses Mal auch wirklich ganz subtil und du wirst gar nicht merken, dass ich was gemacht habe, da wirst du mit deinem Traumprinzen schon regen Kontakt haben.“

„Das hast du das letzte Mal auch gesagt und du weißt selbst, wie das ausgegangen ist“, brummt Annabell und sieht ihre Freundin vorwurfsvoll an.

„Paperlapap, der Typ hat eh nicht zu dir gepasst. Das sagt doch schon alles, dass er dich als Schutzschild genommen hat, anstatt sich wie ein wahrer Held sich für dich unter die abfallende Dachlawine zu stürzen, vor der er dich eigentlich – laut meinem Plan – retten sollte. Sie froh, dass da nie was Ernstes gelaufen ist, der lässt sich bestimmt von Mama höchstpersönlich noch den Arsch abwischen“, macht Toni eine wegwerfende Handbewegung. Zwar hat sie auch recht, aber ihre Methoden sagen Annabell nicht immer zu, wer kommt schließlich schon auf die Idee im Winter auf ein Dach zu klettern und die dortigen Schneemassen runter zu treten, nur damit endlich mehr Körperkontakt entsteht als Küsschen links und rechts? Richtig, Toni. Und dabei ist es ihr egal, dass das Ergebnis nicht so ausgefallen ist wie erwünscht.
 

Annabell sagt dann auch nichts mehr dazu. Sie räumt lieber die leeren Pizzakartons weg und lässt sich mit einer Flasche Cola und zwei Gläsern neben ihrer Freundin auf dem Sofa fallen. Für einige Minuten genießen sie die Stille und lauschen nur dem Gelaber der Sitcom, welche noch immer über den Bildschirm flimmert. Dabei versucht Annabell zu verdrängen, das Toni ihre Drohung wahr machen wird und sie wohl wirklich mindestens einen Verkuppelungsversuch über sich ergehen lassen muss. Dabei sollte sie sich eigentlich freuen, denn sie will ja wirklich in ein Gespräch mit Oskar kommen – zumindest ein Gespräch worin es um mehr als ‚Was darf es sein?‘ Oder ‚Hat es dir geschmeckt?‘ geht. Sofort spürt sie eine Aufregung in sich, welche ihr feuchte Hände beschwert.
 

Alleine der Gedanke daran sich mit ihm zu unterhalten macht sie ganz hibbelig und genau diese Aufregung wird ihr bei Männer meistens immer zum Verhängnis, da sie dann irgendwas sinnloses vor sich hin plappert, oder gar kein Wort erst heraus bekommt und viel lieber die Flucht ergreift. Was das angeht muss sie sich wirklich ändern. Annabell hat ja schon den Schritt in eine neue Stadt gewagt, da kann sie doch eigentlich auch gleich mal versuchen ein bisschen selbstbewusster zu werden, was das Ansprechen von Männern betrifft. So wie sie sich kennt, wird es aber wohl nur beim Versuchen bleiben.
 

„Hast du dich denn eigentlich schon wegen einem Job umgehört?“, durchbricht Toni irgendwann wieder die Stille und Annabell nimmt erst einen Schluck aus ihrem Colaglas zu sich, bevor sie bereit ist ihrer Freundin darauf zu antworten. Gemäßigt stellt sie das Glas zurück auf ihren Tisch, dann dreht sie sich um.
 

„Ich habe schon einige Bewerbungen raus geschickt. Es gibt hier in der Gegend leider nicht so viele Kindergärten, deswegen musste ich auch die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern ebenfalls mit in meine Auswahl nehmen. Der Kindergarten hier gleich um die Ecke hat sich aber schon mal mit Interesse gemeldet und mir für übernächste Woche ein Vorstellungsgespräch zugeschickt. Nun muss ich abwarten ob ich noch weitere Rückmeldungen bekomme und auch wie nun das Gespräch laufen wird“, erzählt Annabell. Zwar könnte sie sich theoretisch noch einige Zeit auf der faulen Haut ausruhen, doch erstens will sie ihr ganzes Vermögen nicht bis zum Letzen ausschöpfen und zweitens fehlt ihr auch die Arbeit mit den Kindern. Denn im Gegensatz zu Männern, ist es bei Kindern ein leichtes sie anzusprechen und bis jetzt hat sich auch noch keiner über ihre Arbeit beschwert, weswegen Annabell mal ganz dreist behauptet, dass sie auch sehr gut in ihren Beruf ist.
 

„Mit deinem Arbeitszeugnis solltest du ja keinerlei Probleme haben etwas neues zu finden, da mache ich mir persönlich keine Sorgen“, schmunzelt Toni ihr entgegen. Sie beide sitzen dann noch eine ganze Weile auf dem Sofa, schauen Fern und trinken Cola, bis Annabell merkt, dass Tonis Augen immer wieder von alleine zufallen. Schmunzelnd schaltet sie kurzerhand das Fernsehgerät aus und scheucht ihre Freundin hoch. Diese guckt erst ein wenig verdattert, da Annabell sie aus einem Sekundenschlaf gerissen hat, doch dann streckt die Brünette sich und trottet hinter ihr her. Sie schickt Toni zuerst ins Bad und Annabell zieht sich währenddessen um. Es dauert nicht lange, da tapst ihre Freundin ohne Make Up im Gesicht zurück ins Schlafzimmer. Unter einem langanhaltenden Gähnen zieht diese sich um, woraufhin Annabell sich grinsend aus dem Zimmer stielt und nun ihrerseits im Bad verschwindet und sich fürs Bett fertig macht.
 

Keine zehn Minuten später liegen sie nebeneinander in Annabells großen Bett und wünschen sich gegenseitig eine gute Nacht. So dauert es auch nicht überraschend lang, bis absolute Stille einkehrt und nur noch das Atmen zwei Personen zu hören ist.



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