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Mord-Semester

Magister Magicae 3
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Trigger-Warnung: Mord Komplett anzeigen

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Jagd

„... und dann hat er ihn einfach über´s Knie gelegt wie ein unartiges, kleines Kind“, gab Ruppert zum Besten.

Victor lachte herzlich und nippte an seinem Bier.

Ruppert tat es ihm gleich.

„War er ja im Prinzip auch. Wie alt war er da?“

„Hm, 9 oder 10, schätze ich.“

„Siehst du? Also wirklich ein kleines Kind“, entschied Victor und zwirbelte sein Glas mit beiden Händen auf dem Tisch als wolle er damit Feuer machen. Heute würde er bei Bier bleiben. Er konnte sich ja nicht immer mit dem harten Zeug die Kante geben. Ruppert schon, der becherte fleißig seinen geliebten Whisky und bekam schon langsam eine träge Aussprache, während er von Vladislav und seinem Sohn erzählte.

„Der Junge wäre jetzt inzwischen 19, wenn er noch leben würde. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Ein Jammer, daß er so früh gestorben ist.“

„Sag mal, wie alt war Vladislav, als er Vater geworden ist? Ich meine, wie alt ist Vladislav überhaupt? So alt sieht er doch noch gar nicht aus“, wollte der Vize wissen.

„Oh, Vladislav hat zeitig angefangen mit dem Kinder-machen. Er war selber erst 16, als sein Sohn auf die Welt kam. Jetzt ist er 35.“

Victor nickte nachdenklich. So in etwa hätte er den Boss auch geschätzt. Dann wurde er vom Fernseher abgelenkt, der hinter der Bar lief. Dort kamen offenbar gerade Nachrichten und es wurde ein brennendes Paketzentrum gezeigt. „He, um was geht es da?“, wollte er hellhörig geworden von Ruppert wissen. Die Nachrichten waren leider auf Englisch und er verstand kaum die Hälfte davon.

Ruppert schaute ebenfalls eine Weile dem TV zu. Es wurde ein Foto einer Frau eingeblendet, die griechisch oder zumindest wie jemand aus diesem geographischen Raum aussah. Dann ein Videokommentar von einem Mitarbeiter des Paketzentrums, der zwar Russisch sprach, aber vom englischen Dolmetscher übertönt wurde, so daß man ihn nicht mehr verstand. Ruppert runzelte die Stirn. „Also da ist in Moskau ein Paketzentrum abgefackelt worden. Von einer Chimäre, die Amok gelaufen ist, weil sie ein Paket haben wollte, das nicht mehr dort war. Es gab horrente Sachschäden und vier Mitarbeiter mussten mit Verbrennungen und Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Aber Tote gab es wohl zum Glück nicht. Die Chimäre wurde offenbar von einem unbekannten, schwarzen Greifen gestoppt, der sich danach sofort wieder vom Acker gemacht hat“, fasste er für Victor das Erzählte zusammen. „Derzeit läuft die Suche nach dem Greifen.“

„Warum?“, wollte Victor erschrocken wissen.

„Sie wollen ihn für Zivilcourage auszeichnen.“

„Gott sei Dank. Ich hatte jetzt schon Angst, die hätten mich wegen des Paralyse-Fluchs auf dem Kieker. So richtig erlaubt ist der, glaube ich, nicht.“

Ruppert sah ihn fragend an. „Warst du der Greif?“

„Ja. Ich war für Vladislav hinter dem gleichen Paket her. Ich kam dazu, als die Chimäre gerade das Paketzentrum abgefackelt und die Mitarbeiter gejagt hat.“

Ruppert schüttelte den Kopf und sah wieder zum Fernseher. Aber dort lief inzwischen etwas anderes. „Sehr diskret ist die ja nicht vorgegangen. Hätte die für die Motus gearbeitet, hätte Vladislav sie eigenhändig aus der Polizei-Haft geholt, um sie selber zu erschießen.“

„Ein Glück für sie, daß sie nicht für Vladislav arbeitet“, lachte Victor und trank wieder etwas von seinem Bier.

„Ja. Aber ich schätze, die bleibt jetzt für den Rest ihres Lebens weggesperrt.“

„Besser ist das. Chimären sind gefährliche Viecher. Wenn sie sich aufregen, werden sie schnell aggressiv. Und wenn sie erstmal angefangen haben, handgreiflich zu werden, dann rutschen sie schnell in einen Blutrausch hinein und haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Ich denke, bei ihr hat im Gehirn irgendwas ausgesetzt, als sie das Paket nicht bekommen hat. Das war kein berechnetes, beabsichtigtes Massaker. Sie hatte sich einfach nicht mehr im Griff. ... Nicht, daß das irgendwas besser machen würde.“

Ruppert nickte zustimmend und gönnte sich noch einen Schnaps.

„Mich wundert´s, daß Chimären nicht auf der schwarzen Liste stehen.“

„Oh, die Liste wird ständig erweitert, so ist das nicht“, lenkte der Finanz-Chef ein. „Wirst du dir den Zivilcourage-Preis abholen?“

„Gott, nein. Den hab ich nicht verdient. Ich bin der Vize-Chef eines Verbrecher-Kartells, das mordet und Sklaven handelt. Ich glaub, Zivilcourage ist das letzte, was man mir nachsagen kann. Ich werd schön die Klappe halten und hoffen, daß die mich schnell wieder vergessen.“
 

Der Vize schlenderte bei Sonnenuntergang gemütlich die Hauptstraße entlang und schaute sich die Umgebung genau an. Er wollte das Revier kennen, bevor es losging. Er hatte sich Verstärkung mitgebracht, aber dem unablässigen Geplapper seines Kollegen Iwan Pawlowitsch, dem 'Rollenden Rubel', hörte er schon lange nicht mehr zu. Stattdessen ging er im Geiste nochmal sein Wissen über Rotkappen durch. Sie waren böse, kleine Feen, die zumeist in Burgruinen oder anderweitig verfallenen Gemäuern lebten und nach Dunkelwerden Menschen erschlugen. Sie färbten ihre Mützen mit dem Blut ihrer Opfer rot, daher hatten sie ihren Namen. Und sie mussten regelmäßig ein neues Opfer finden. Angeblich bevor das Blut an ihren Mützen getrocknet war, sonst gingen sie selber ein. Das hielt Victor zwar für eine Übertreibung, denn Blut war binnen weniger Minuten geronnen. So schnell konnten Rotkappen gar keine neuen Opfer herbeischaffen. Aber nichts desto trotz war es eine Tatsache, daß sie regelmäßig neue Opfer brauchten, wenn sie nicht selber sterben wollten. Sie hatten da also nicht unbedingt eine Wahl. Nur, die Menschen waren damit natürlich trotzdem nicht einverstanden.

Iwan Pawlowitsch war ein Russe, der von der Motus hierher nach England abgestellt war, um Rotkappen zu jagen. Noch ein Iwan. Dieser Name war in Russland echt ein Sammelbegriff. Iwan kannte sich sowohl mit den Viechern als auch mit den örtlichen Gegebenheiten bestens aus, daher war er für Victor die bestmögliche Hilfe. Aber nach allem, was Victor von ihm wusste, konnte er den Kerl nicht ausstehen. Von den Sklavenhändlern war er wieder abgezogen worden, weil er seine Opfer auf brutalste Weise misshandelte, so daß sie danach nicht mehr als Verkaufsware zu gebrauchen waren, oder sie auch gern mal direkt umbrachte, wenn er entschied, daß sie ohnehin keinen guten Preis erzielen würden. Aufgrund seiner bestialischen Ader war er zu den Killern gesteckt worden. Da war er besser aufgehoben.

Eine Frau kam ihnen auf dem Fußweg entgegen gehinkt. Sie hatte mindestens einen verkrüppelten Arm und ein steifes Bein, ging gebeugt, und an ihrem leicht entstellten Gesicht bemerkte Victor, daß sie wohl auch geistig behindert war. Er warf ihr nur einen gleichgültigen Blick zu, kaum daß er sie ernsthaft wahrnahm, machte etwas Platz, um sie vorbei zu lassen, und wollte eigentlich weitergehen. Sein Begleiter entschied aber merklich, sich näher mit der armen Frau zu befassen, also blieb Victor augenrollend stehen und wartete.

Iwan verstellte der Frau den Weg, begann sich über sie lustig zu machen und wurde dabei schnell grober.

Die Behinderte versuchte hilflos irgendwie an ihm vorbei zu gelangen.

„Jetzt komm schon, wir wollen weiter“, warf Victor genervt aus dem Hintergrund ein.

Der Motus-Häscher störte sich aber gar nicht daran, sondern ergriff das Weib bei den Jackenaufschlägen und bedrängte sie.

Sie zeterte und wehrte sich linkisch, da sie aber alleine auf der Straße waren, war keiner da, der davon Notiz hätte nehmen können.

„Lass doch die Frau, die interessiert uns nicht!“, verlangte Victor abermals, jetzt schon deutlich strenger und befehlender. Als sein Helfer ungerührt Anstalten machte, die Behinderte schlagen zu wollen, reichte es ihm. Er setzte dem Kerl seine Pistole an die Schläfe. „Lass ... sie ... in Ruhe!“, betonte Victor. Er ließ die Lippen offen und atmete durch den Mund, um genervter auszusehen. Um böser und ernsthafter auszusehen.

Iwan schielte ihn entgeistert aus dem Augenwinkel an und traute sich nicht mehr sich zu bewegen. Auch die Frau war augenblicklich still. „Bist du verrückt?“, raunte Iwan fassungslos.

„Ich könnte es nicht ernster meinen!“

„Du wirst mich doch nicht umbringen!?“

„Willst du es wirklich drauf ankommen lassen?“

„Schon gut, Mann“, hauchte der Motus-Häscher vorsichtig und ließ den Jackenstoff der Behinderten durch seine Finger rutschen.

Schlecht gelaunt steckte Victor die Pistole wieder unter die Jacke, hinten in seinen Hosenbund, wo sie immer war, und bedeutete der behinderten Frau mit einer Kopfbewegung, sich zu trollen. Sie ließ sich auch kein zweites Mal bitten. Dann wandte sich Victor um und ging weiter.

„Sie wird uns verraten!“, heulte Iwan protestierend.

„Was soll sie denn verraten? Daß du wehrlose Frauen schlägst? Soll sie mal machen!“

„Nein, daß du mit einer Knarre rumläufst!“

„Sie ist geistig verwirrt. Was denkst du, wer ihr glauben soll?“, hielt Victor seelenruhig dagegen, ohne sich aufhalten zu lassen.

„Setz mir nie wieder eine Pistole an den Kopf, das sag ich dir, du Wichser!“, drohte Iwan wütend und marschierte eilig hinterher, um den Anschluss nicht zu verlieren. Der junge Gestaltwandler wartete ja nicht auf ihn. „Sonst werde ich das mal ganz im Vertrauen dem Boss erzählen!“

„Klar. Und vergiss nicht, es auch deiner Mami zu erzählen“, lästerte Victor sorglos.

„Du hältst dich wohl für was Besseres und denkst, du hättest mir was zu sagen, du arrogantes Arschloch!? Ich bin älter als du und schon viel länger hier! Rennst hier rum und fuchtelst mit ner schicken 45´er ...“

„Es war eine 39´er“, warf Victor stoisch ein.

„... und sagst mir, was ich zu tun und zu lassen habe!? Du scheiß ...“

„Iwan!“, unterbrach er seinen Kollegen, blieb stehen und sah ihn böse an. „Falls die Informationskette bei dir noch nicht angekommen ist: Ich bin der Vize-Boss! Ich bin der zweitoberste Mann in der ganzen Motus. Ja, du hast mir zu gehorchen, wenn ich dir sage, was du zu tun und zu lassen hast. Und vor diesem Hintergrund würde ich dich bitten, deine Wortwahl nochmal zu überdenken. Sonst hast du vielleicht keine Gelegenheit mehr, Vladislav noch IRGENDWAS zu erzählen.“

Der Kerl hielt schockiert die Klappe. Das hatte er sichtlich nicht bedacht.

„Und bevor du zu Vladislav petzen gehst, rufe dir auch lieber nochmal ins Gedächtnis, was der mit Befehlsverweigerern macht“, fügte Victor an. Er war ja bisher immer darum bemüht gewesen, mit seinen Untergebenen gut auszukommen und humaner mit ihnen umzuspringen als Vladislav es tat, aber sowas hier ging ihm dann doch gegen den Strich. Nur weil er nicht den gnadenlosen Tyrannen raushängen ließ, ließ er sich das nicht gleich als Schwäche auslegen.

„Tut mir leid, Boss ...“, murmelte er schuldbewusst. „Kommt nicht wieder vor.“
 

„Also!“, begann Iwan euphorisch, als sie vor der Kirchen-Ruine ankamen. Der weiträumige, verfallene Gebäudekomplex, von dem größtenteils nur noch die Mauern ohne Dach standen, war von einem grünen Park umgeben, der jetzt schon geschlossen hatte. Es war schon spät und ziemlich dunkel. „Das hier ist das St.-Dunstan-in-the-East. Hier findet man immer mal wieder eine Rotkappe. Keine Ahnung, wo die immer wieder herkommen oder warum es sich bei denen noch nicht rumgesprochen hat, daß die Rotkappen hier nicht lange leben. Die Ruine scheint jedenfalls ein sehr beliebter Wohnsitz für die zu sein. Knallt man eine ab, kann man drauf wetten, daß binnen ein bis zwei Monaten eine neue hier lebt. Wir haben also gute Chancen, hier eine für dich zu finden“ Er sah Victor prüfend von der Seite an. „Und du bist dir sicher, daß du eine Rotkappe lebend fangen willst?“

„Um´s 'wollen' geht es hier leider nicht“, seufzte Victor. „Ich könnte mir schönere Aufträge vorstellen, um ehrlich zu sein.“

Iwan nickte und schaute aufmerksam erst durch den drei Meter hohen Metallzaun nach drinnen und dann nochmal in die Umgebung, ob sie auch nicht von zufälligen Passanten beobachtet wurden. Das war zwar unwahrscheinlich, denn die Leute wussten um die Rotkappen-Aktivitäten in dieser Gegend und mieden das Gelände nach Dunkelwerden, aber sicher war sicher. „Gut, dann rein da!“ Er griff nach den Metallstreben des Zauns und begann behände wie ein Affe hinüber zu klettern.

Victor zog die Pistole, die er von Ruppert bekommen hatte, aus dem Hosenbund, schob sie durch den Zaun, damit er sie nicht verlor, und verwandelte sich danach in einen Greifen, um mit ein paar kräftigen Flügelschlägen hinüber zu fliegen. Drüben nahm er wieder seine menschliche Gestalt an. „Gibt es irgendwas, was ich über Rotkappen wissen sollte, bevor es losgeht?“

Iwan wog überlegend den Kopf hin und her. „Sie sind schnell und garstig. Wenn sie jagen, sind sie immer in ihrer wahren Gestalt unterwegs. Da sehen sie aus wie kleine Gnome. In dieser Gestalt sind sie flinker und wendiger und können sich leichter verstecken. Die fallen dich aus dem Hinterhalt an und bringen dich schneller um, als du reagieren kannst. Also halt die Augen offen, damit du sie rechtzeitig entdeckst.“

„Wie bringen sie ihre Opfer denn um?“

„Mit einem Werkzeug. Meistens haben sie ein Messer, das sie versuchen, dir in den Hals zu rammen“, erklärte Iwan. „Sie haben es immer auf irgendwelche leicht zu erreichenden Pulsschlagadern abgesehen, weil sie an dein Blut ranwollen.“

„Beherrschen die auch Magie?“, wollte Victor wissen.

„Ich weiß nicht. Auf magische Duelle habe ich mich mit denen noch nicht eingelassen. Ich knippse sie mit meiner Pistole ab und dann ist Ruhe. Aber wenn ich das richtig verstanden habe, sind sie gegen die meisten Elemente immun. Mit Feuer- oder Eis-Zauber haben die keine Probleme.“

„Solange sie nicht gegen Bann-Marken immun sind, ist ja alles gut“, seufzte Victor unwohl und hielt nach einer geeigneten Stelle Ausschau, um seinen Plan umzusetzen. „Also hör zu. Ich werde mir eine hübsche Deckung suchen und du spielst meinen Lockvogel.“

„Wieso ich!?“, wollte Iwan empört wissen.

„Weil ich der Vize-Chef bin und es sage!“

„Du bist ein quergeficktes Arschloch!“, fluchte der Rotkappenjäger derb.

„Meinetwegen. Und jetzt an die Arbeit. Ich pass schon auf dich auf.“
 

Caleb strolchte wie in so vielen Nächten durch die Straßen Londons. Als obdachloser Waisenjunge, der aus dem Waisenhaus abgehauen war, musste er ja nicht zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein. Er wanderte oft spät abends noch durch die Straßen und genoss die Ruhe. Und er war, was das St. Dunstan-in-the-East anging, auch völlig schmerzfrei. Er glaubte nicht an die Spukgeschichten, denen zufolge es hier Rotkappen geben sollte. Außerdem fand er die Kirchenruine im knochenbleichen Vollmondlicht äußerst reizend. In hellen Nächten kam er öfter hier her, um sie sich anzusehen. So wie heute. Er suchte gerade nach seiner üblichen Stelle am Zaun, von wo er die beste Sicht hatte, als ihm ein Aufschrei durch Mark und Bein ging. Caleb rannte um die nächste Ecke, wo er den Ursprung des Schreis vermutete, und sah im Park einen Mann mit einer kleinen, gnomenhaften Kreatur ringen, die ihm auf dem Rücken baumelte. Der Mann drehte sich panisch im Kreis, um das blutrünstige Vieh wieder abzuschütteln, das ihm mit scharfen Krallen und Zähnchen am Hals hing. Und griff verzweifelt über die Schulter nach hinten, um es zu fassen zu kriegen und von seinem Rücken nach vorn zu zerren. Dann gingen beide zu Boden und rangen im Liegen weiter.

Trotz des Vollmondes am wolkenlosen Himmel war es zu dunkel, zu weit weg und zu hektisch, um Details zu erkennen. Aber ... war das etwa wirklich eine Rotkappe, wie die Erwachsenen ihm immer einreden wollten? Caleb fragte sich, wie der Mann eigentlich in den Park gekommen war und was er da zu suchen hatte. Der war doch schon seit Stunden abgesperrt. Der Junge fuhr herum, als plötzlich jemand von hinten eine Hand auf seine Schulter legte. Hinter ihm stand Victor.

Der Gestaltwandler schaute mit auf die Szene, als wäre er selbst gerade erst dazugekommen. „Hast du gesehen, was passiert ist?“, fragte er auf Englisch.

Caleb starrte ihn wie im Delirium an. Er stand wohl ein wenig unter Schock. Aber trotzdem nickte er vorsichtig. „Ja.“

„Schlecht für dich, Kumpel.“ Victor zog seine Pistole und verpasste ihm einen Kopfschuss. Und fluchte dann leise, weil der Schuss wie ein Peitschenknall durch den ganzen Park hallte. Diese blöde Waffe, die er von Ruppert bekommen hatte, hatte keinen Schalldämpfer. Hoffentlich hatte das keiner gehört. Er nahm seine Greifengestalt an, packte die Leiche am Schlawittchen, bevor sie hier alles verräterisch vollblutete, und flog mit ihr in den abgesperrten Park des St. Dunstan-in-the-East. Dort äscherte er sie an einer unauffälligen Stelle mit seinem üblichen Feuerzauber restlos ein, mit dem er immer Leichen beseitigte, die verschwinden mussten. Um die Asche kümmerte sich der Wind, aber er musste einen Untergrund finden, auf dem keine schwarzen Brandflecken zurückblieben, und das war nicht immer einfach.

Iwan kam nach einem Moment sauer hinzu. „Du Penner hast mich mit der Rotkappe alleine gelassen! Sagtest du nicht, du würdest aufpassen?“

„Und hast DU nicht gesagt, hier wäre um diese Uhrzeit keiner mehr?“, gab Victor kühl zurück. In seiner Position als Vize-Chef ließ er sich bestimmt keine Vorhaltungen von einem wie ihm machen. „Wie du siehst, musste ich mich um Zeugen kümmern.“

Iwan grummelte nur etwas Unverständliches.

Victor ließ den Blick emotionslos auf die brennende Leiche des Jungen gerichtet. „Was ist mit der Rotkappe passiert?“

„Ich hab ihr einen Backstein über den Schädel gezogen.“

„Lebt sie noch?“

„Weiß ich nicht. Müssen wir gucken.“

Nun sah Victor ihn doch missbilligend an. „Du lässt sie unbeaufsichtigt rumliegen?“

„Machen tut sie jedenfalls nichts mehr.“

Kopfschüttelnd drehte der Gestaltwandler sich um und ging los. Zurück zu der Stelle, wo er Iwan und die Rotkappe zuletzt hatte kämpfen sehen. Herr Gott, er hatte einen Jungen erschossen, weil der zuviel gesehen hatte. Einfach so. Er war selber erschrocken, wie leicht und selbstverständlich ihm das alles hier inzwischen von der Hand ging. Hätte er es nicht erstmal mit dem Gedächtnis-Löschzauber versuchen können, den er neulich gelernt hatte? Einen Moment lang fragte er sich, ob er eigentlich noch auf der richtigen Seite stand und noch irgendwas Humanes an sich hatte, oder ob er schon komplett von der Kriminalität verschlungen worden war und sein Gewissen längst verloren hatte. Hatte er schon vergessen, warum er eigentlich hier war?



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