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Crystal Eyes

reloaded
von

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Im Hintergrund lief leise Musik, zu leise, als das man den Text hätte mitverfolgen können, aber die Melodie wirkte beruhigend. Im Zimmer war es warm, aber man hörte draußen den Regen auf den Boden prasseln. So langsam bekam Adam das Gefühl, dass die Welt demnächst im Regen untergehen würde, so, wie es in den letzten Tagen geschüttet hatte. Zwar niemals wirklich viel, aber dafür stundenlang. Ihn fröstelte, wenn er daran dachte, dass er später in die Kälte raus gehen müsste. Auch wenn Leon ihn nach Hause fahren würde, er musste erst mal die Strecke zum Wagen zurücklegen, dieser würde erst mal warm werden müssen, und überhaupt... Bäh.
 

„Könntest du mal bitte dein Gesicht so lassen wie es ist?“ Leon zog leicht verärgert eine Augenbraue hoch.
 

„Darf ich nicht mal mehr denken, während ich hier sitze?“
 

„Doch, darfst du, aber musst du dabei dein Gesicht verziehen?“
 

„Ich hab mein Gesicht nicht verzogen.“
 

„Doch, hast du.“
 

„Nein, hab ich nicht.“
 

„Doch, ha...“ Leon seufzte. „Du bist echt ein kleines Kind, weißt du das?“
 

„Bin ich nicht.“ Adam zog einen Schmollmund.
 

Nicht, dass er es ernst meinte, aber er hatte sehr schnell gemerkt, dass Leon es nicht leiden konnte, wenn man ihm widersprach. Natürlich hatte er beim Gedanken an das Regenwetter das Gesicht unbegeistert verzogen. Und natürlich benahm er sich gerade wie ein kleines Kind. Aber wenn er damit den großen Maler ärgern konnte, nutzte er es mit Freuden aus. Und dass Leon verärgert war, konnte er überdeutlich an den rauchgrauen Augen sehen, die von einiger Entfernung her zu ihm rüber funkelten.
 

„Würdest du dich bitte in Position begeben?“ Er warf ihm einen unmissverständlich auffordernden Blick zu. „Wir haben nicht bis in alle Ewigkeit Zeit.“
 

„Natürlich, mein Meister, natürlich.“ Adam setzte sich etwas bequemer hin. „Schließlich werde ich auch irgendwann mal alt und runzlig und bin dann für dich nicht mehr zu gebrauchen, nicht wahr?“
 

Wie erwartet bekam er keine Antwort drauf. Wenn es um seine Arbeit ging, war Leon unerwartet konzentriert und ließ keine Späßchen zu. Erst nachdem er entschieden hatte, dass sie beide genug für den Tag gearbeitet hatten, konnte er wieder so locker sein wie sonst auch immer.
 

Adam musterte ihn unter leicht gesenkten Augenlidern. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie sich ein Mal die Woche für zwei bis drei Stunden treffen würden. Es war gerade mal die zweite Sitzung, doch während Adam einfach nur irgendwelche Posen einnahm, hatte er mehr als genug Zeit, Leon zu beobachten. Und einiges über ihn zu lernen. Zum Beispiel, wodurch er sich ärgern ließ. Oder dass er ein konzentrierter Arbeiter war. Oder dass er die Angewohnheit hatte, sich leicht auf die Unterlippe zu beißen, wenn er komplett in seine Zeichenwelt abgetaucht war. Die Art, wie er sich die Strähnen zurückstrich, die sich aus seinem lockeren Pferdeschwanz gelöst hatten. Oder wie er nervös mit dem Fingern auf einem Knie rumtippte, während er auf seinen Skizzenblock starrte und sich überlegte, was er an diesem und jenem Detail verbessern konnte. Adam hatte verflucht viel Zeit, um diese ganzen kleinen Dinge in sich aufzusaugen. Er hätte es fast genießen können.
 

Konnte er aber nicht.
 

Die Augen, die stets auf ihm ruhten, machten ihn mehr als nur ein wenig nervös. Sie durchdrangen seinen Körper, fuhren in jede Spitze seines Seins und saugten jegliche Information auf, die sie fanden. Zumindest kam es ihm so vor, obwohl ihn Leon nur mit den neutralen Augen eines Künstlers betrachtete. Aber sein Blick war sehr intensiv, intensiver als gut für Adam war. Das merkte er immer mehr und mehr. Die Gänsehaut, das Zittern, die innere Erregung. Auch wenn er Leon nicht anschaute, auch, wenn er gelangweilt eine Zimmerecke, den Boden oder die Decke musterte, spürte er ihn. Deutlich. Mit jeder Pore. Und das nervte ihn tierisch.
 

Trotz der Ausstrahlung, die er bereits von Anfang an von Leon hatte ausgehen spüren, hatte er sich noch der Illusion hingegeben, dass er dagegen halten konnte. Dass er ihm nicht wie ein kleines, naives Häschen verfallen würde. Er seufzte leise.
 

"Verdammt, Adam!!!"
 

Adam zuckte leicht zusammen. Seine Mimik hatte sich wohl wieder verändert. Leon sah aus, als ob er kurz davor war, den Stift samt Block und Stuhl durch den Raum zu werfen.
 

"Du bist echt anstrengend, weißt du das?"
 

Leon strich sich durch die Haare, legte seinen Block und den Stift auf den Boden und starrte Adam einen Augenblick an, die Ellbogen auf die Knie gestützt und die Finger ineinander verschränkt. Dann schloss er kurz die Augen und stand mit Schwung auf.
 

"Machen wir eine Pause. Anscheinend kannst du dich ja grad nicht konzentrieren." Er löste das Haarband aus seinen Haaren, das er immer benutze, um sie zurückzuhalten, und warf Adam einen Blick zu. "Hast du Lust auf einen Tee? Oder heiße Schokolade? Bei dem Wetter schadet was Warmes nicht."
 

Ohne eine Antwort abzuwarten schritt er voran und verließ das Atelier. Adam blieb noch einen Augenblick auf dem Sofa sitzen und sah ihm verdattert nach. Typisch. Mal wieder absolut typisch. Wenn ihm etwas nicht passte, entschied er selbst, was man tun würde. Wer hatte denn bitte behauptet, er würde eine Pause brauchen? Hä, wer zum Teufel nochmal? Und vielleicht wollte er ja eiskalte Cola statt heißer Schokolade. Verdammt noch mal, konnte der Kerl nicht mal zumindest so tun als ob ihn interessieren würde, was andere dachten? Konnte er nicht einmal fragen "Und was hältst du davon?"? Wütend griff Adam nach dem nächstbesten Kissen und pfefferte es quer durch das Atelier. Wenn es so weiterging, würden sie nicht mehr lange zusammen arbeiten. Und das schon nach der zweiten Sitzung.
 

Verärgert stapfte er nach unten in die Küche. Leon hatte bereits zwei Tassen auf den Tisch gestellt. In einer hing ein Teebeutel, die andere war mit Schokopulver gefüllt.
 

"Und was, wenn ich auch 'nen Tee gewollt hätte?" Die Stirn leicht gerunzelt starrte Adam in seine Tasse.
 

Leon zog ein wenig überrascht eine Augenbraue hoch.
 

"Ich dachte, du magst es süß? Heiße Schokolade ist definitiv süßer als Tee. Aber ich kann dir auch Tee machen, wenn du willst. Kamille, mit drei Zucker?"
 

"Nein, nein, schon okay, ich trink Schokolade."
 

"Gut."
 

Was war denn das gewesen?
 

Leon drehte sich wieder zum Schrank und kramte ein wenig darin rum, während Adam seinen Rücken förmlich durchbohrte. Wann zum Teufel nochmal... Woher wusste er, dass er Kamillentee nur mit drei Mal Zucker wollte? Oder dass er es süß mochte? Hatte er das mal erwähnt? Und selbst wenn, das wäre nur nebenbei gewesen. Völlig unwichtig. Und so was merkte sich der Kerl? Etwas hilflos ließ er sich auf einen Stuhl plumpsen. Kaum zu glauben. Absolut nicht zu glauben. Er achtete doch tatsächlich auf seine Umwelt. Ab und zu zwar nur, wie es schien, aber immerhin. Besser als nichts. Wie konnte man da denn bitte noch wütend sein?
 

Mit einem Seufzer ergab sich Adam in sein Schicksal und nahm die Tasse entgegen, die Leon ihm einige Augenblicke später reichte. Der Dampf der heißen Schokolade stieg ihm ins Gesicht und er wärmte seine kühlen Finger daran. Im Vergleich zum Atelier war die Küche recht kalt. Draußen regnete es immer noch und würde wohl auch nicht so schnell aufhören. Innerhalb einiger weniger Wochen war der Herbst eingebrochen. Die Bäume verfärbten sich bereits und verloren ihre Blätter, der Himmel blieb grau und die Stimmung im Allgemeinen trüb. Trotzdem, irgendwie, wenn man eine heiße Schokolade in der Hand hielt, nichts zu tun hatte und einfach aus dem Fenster starrte, war es sogar ein recht angenehmes Gefühl.
 

Ein warmes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, bis er plötzlich bemerkte, dass Leon ihn beobachtete.
 

"Woran denkst du?"
 

Er lehnte ruhig an der Küchentheke, die schlanken Finger um die Teetasse geschlungen. Seine Haare fielen ihm in seidigen Strähnen über eine Schulter, während sich seine Muskeln unter dem enganliegenden, weinroten Rollkragenpullover abzeichneten. Die rauchgrauen Augen, deren Lider leicht gesenkt waren, musterten Adam mit dem Blick eines Panthers, der kurz davor war, seine Beute anzuspringen.
 

Adam schluckte schwer und fixierte einen Ast, der von Außen gegen die Fensterscheibe stieß.
 

"An nichts... nur, wie angenehm es ist, wenn's draußen so schlechtes Wetter hat, drinnen zu sitzen und was Warmes zu trinken."
 

Er sah nicht hin, jedoch merkte er, wie Leon sich von der Theke abstieß und sich ihm gegenüber an den Tisch setzte, den Stuhl mit der Lehne nach vorne. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Irgendwie wusste er immer, wenn sich der Künstler zu nah bei ihm aufhielt. Wie jetzt. Selbst wenn sie ein Tisch trennte, es war nah, gefährlich nah. Er brauchte sich nur vorbeugen und die Hand ausstrecken um ihn zu berühren. Mehr nicht.
 

Er tat es aber nicht.
 

Es wunderte Adam nicht wirklich, dass er darüber ein wenig Bedauern verspürte. Er war ihm verfallen, schon längst. Die Frage war nur noch, wie lange er ihm stand halten würde. Wie lange es dauern würde, bis Leon aus seinen Neckereien und Spielchen ernst machen würde.
 

"Stimmt."
 

Leons Stimme klang ruhig, verträumt.
 

Ein kurzer Blick Adams zeigte ihm, dass auch dieser aus dem Fenster starrte, versunken in irgendwelche Gedanken. Es war jedoch nur ein kurzer Moment, bevor er abrupt den Kopf wegdrehte. Einen Augenblick lang lag auf seinem Gesicht ein schuldbewusster Ausdruck, bevor dieser Entschlossenheit wich. Adam schluckte. Er konnte nicht sagen, ob er wirklich wissen wollte, was in Leons Kopf vorging. Manchmal, ganz selten, ganz kurz, hatte er einen Ausdruck in den Augen, der Adam eine eiskalte Gänsehaut verursachte. Ganz selten, ganz kurz. Aber intensiv genug, um ihm Angst einzujagen.
 

"Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich."
 

Adam zuckte zusammen. Hatte er gerade laut gedacht? Nein.
 

Überrascht schaute er zu Leon, der mit einem Ruck aufgestanden war.
 

"Hä?"
 

"Das hat mir mal eine Freundin gesagt. Keine Ahnung, ist mir grad nur so eingefallen." Er lächelte Adam an, dieses Lächeln, das spielte. Ein komplett falsches Lächeln. "Nicht so wichtig. Gehen wir lieber wieder hoch, ich will heute noch ein bisschen weiterkommen."
 

Ohne ein weiteres Wort stellte er seine Tasse ab und ging voraus.
 

"Eh... eh, ja, warte mal."
 

Adam tat es ihm leicht verwirrt gleich und folgte ihm. Mal wieder hatte sein geliebter Künstler selbständig entschieden, dass es Zeit war, weiterzumachen. Er sollte sich eigentlich schon dran gewöhnt haben. Hatte er aber nicht. Trotzdem war er im Moment nicht sonderlich verärgert. Vielleicht war es tatsächlich besser, Leons Blicke auf sich zu spüren statt mit ihm an einem Tisch zu sitzen. So konnte er zumindest eine gewisse Distanz zu ihm halten. So gehörte ihm seine gesamte Aufmerksamkeit. Ohne dass er an irgendwelche Freundinnen dachte.
 

Ergeben postierte er sich wieder auf dem Sofa, während Leon seinen Stift und Block wieder aufnahm und sich auf dem Stuhl niederließ. Er regulierte seine Pose nach seinen Anweisungen noch ein bisschen, und dann verfielen sie beide wieder in tiefes Schweigen.

Nicht, dass sie sonst sonderlich viel reden würden, aber diesmal war es irgendwie unangenehm. So als ob irgendwas in der Luft liegen würde. Adam konnte es beim besten Willen nicht benennen, er konnte nichts sonderbares an ihrer vorherigen Unterhaltung erkennen, und trotzdem, es war unangenehm. So als ob er Leon ernsthaft verärgert hätte. Verdammt.
 

"Hast du diesen Samstag frei?"
 

Leon sah gar nicht von seinem Block auf, als er diese Frage stellte, und bemerkte deswegen auch nicht, wie Adam überrascht zusammen zuckte. Die Augen auf einen Punkt im Zimmer gerichtet, verkrampfte er sich ein wenig.
 

"Kommt drauf an. Weswegen?"
 

"Ich würde gern ins Kino gehen." Mit zwei Fingern strich er sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, schaute dann etwas verwundert auf und griff nach dem Haarband. Während er sich die Haare zurückband, den Bleistift zwischen den Zähnen, warf er Adam von unten her einen fragenden Blick zu. "Mir ist eigentlich egal, welcher Film. Aber da läuft ein neuer, irgendein Fantasy. Magst du doch, oder? Und da ich keine sonderlich große Lust habe, allein hinzugehen..."
 

Er zuckte vielsagend mit den Schultern und ließ seinen Zopf los. Adam starrte den Boden an. Es klang wie ein Date. War es natürlich nicht, schließlich hielt er nur als Ersatz für fehlende Datinggenossinnen her. Aber es klang zumindest danach.
 

"Hast du keine Weiber, die mit dir da hin gehen wollen?" Ihm gefiel der Gedanke nicht, ein Ersatz zu sein.
 

Erstaunlicherweise hörte er ein leises Lachen. Leise und spöttisch.
 

"Hätte ich mit einem 'Weib' hingehen wollen, hätte ich eines gefragt. Ich will aber mit dir hin."
 

Adam drehte langsam den Kopf zu Leon. Sein Lächeln war diesmal ehrlich. Gefährlich, berechnend, aber ehrlich. Boom. Bang. Mauer gefallen. Abwehr zerstört. Schutz nicht mehr vorhanden.
 

"Meinetwegen."
 

Das Lächeln wurde zu einem siegessicheren, vorfreudigen Grinsen.
 

"Du wirst es nicht bereuen."
 

Adam sah ihn einen langen, langen Moment an. Wieso zweifelte er nur an diesen Worten?



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