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Crystal Eyes

reloaded
von

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Adam zog seine Jacke enger um sich und warf einen Blick nach oben. Die Wolken drohten bereits den nächsten Schauer an, aber es würde wohl noch ein wenig dauern. Ungeduldig trat er von einem Fuß auf den anderen und schaute zu Leon zurück, der im Inneren des Kinos stand und immer noch damit beschäftigt war, seinen Mantel zuzuknöpfen. Nebenbei flirtete er noch ein wenig mit der Kassiererin, also war es nicht wirklich ein Wunder, dass er so lange brauchte. Adams Laune sank jedoch. Er war mit IHM hier, musste er sich da an irgendwelche Frauen ranschmeißen? Und musste er selber wie eine eifersüchtige Ehefrau klingen? Maaaan...
 

Leicht verärgert stapfte er vorne dran in Richtung des Autos, ohne weiter darauf zu achten, ob Leon hinter her kam oder nicht. Der Abend war eigentlich völlig okay gewesen. Sie hatten kein einziges Mal gestritten. Nun, gut, sie hatten auch nicht viele Möglichkeiten dazu, da Leon ihn zu Hause abgeholt hatte und sie direkt zum Kino gefahren waren. Trotzdem, selbst in der filmfreien Zeit hatten sie sich normal unterhalten, nichts besonderes, nichts schlimmes, keine Zickereien oder sonst was. Und jetzt das! Verdammt, wieso war er denn nicht mit dieser Schnecke ins Kino gegangen, hm? Wieso?
 

Adam grummelte leise vor sich hin. Er versuchte erst gar nicht vor sich selber zu leugnen, dass er eifersüchtig war. Für heute Abend hatte er gehofft, Leon für sich zu haben. Und nicht mit irgendwelchen aufgetakelten Tussen teilen zu müssen.
 

Plötzlich wurde er an der Schulter gepackt und herum gerissen.
 

"Sag mal, wohin stampfst du denn so? Ohne mich bringt dir das Auto herzlich wenig."
 

Leon sah umwerfend aus. Das war das erste, was Adam in diesem Augenblick dachte. Einfach nur umwerfend, mit den von der Kälte leicht geröteten Wangen, den hochgesteckten Haaren und dem dunklen, engen Mantel. Fast ein bisschen weiblich, aber auf angenehme, höchst verführerische Art und Weise.
 

Adam zuckte nur mit den Schultern und sah ihn mit einem leicht schmollenden Gesichtsausdruck an.
 

"Konntest du dich endlich von deinem Flirt trennen? Ich frier mir hier sonst was ab."
 

"Na, na, so kalt ist es nun auch wieder nicht."
 

Leon grinste ihn wissend an und strich ihm durch die Haare. Adam schlug zwar seine Hand weg, doch ließ er sich davon nicht beirren, nahm ihm am Jackenärmel und zog ihn in eine andere Richtung.
 

"Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Die Kleine war wirklich nicht mein Geschmack."
 

"Ich bin nicht eifersüchtig! Wieso sollte ich denn bitte schön eifersüchtig sein? Du kannst schließlich machen, was du willst, ich werde mich sicher nicht einmischen.", entrüstete sich Adam und zog seinen Arm weg. „Ich wollte nur los...“
 

Gefährlich. Das, was er gerade gesagt hatte, war gefährlich. In Leons Augen blitzte es bereits hinterlistig, doch Adam hatte nicht vor, dieses Thema weiter zu vertiefen.
 

"Wohin gehen wir eigentlich?"
 

Vorsichtshalber trat er einen Schritt zur Seite und schaffte etwas mehr Distanz zwischen sich und Leon. Dieser quittierte Adams Handlung nur mit einem zufriedenen Lächeln.
 

"Ich dachte, wir könnten noch was trinken gehen. Hier in der Nähe ist eine nette, kleine Kneipe. Nicht viel besucht, aber mit sehr freundlichen Leuten. Schnuckelig."
 

Adam seufzte nur und strich sich die Haare zurück. Wieso eigentlich nicht? Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es erst kurz nach halb elf war. Der Abend war noch jung, er hatte wirklich nichts dagegen, noch ein bisschen mehr Zeit mit Leon zu verbringen. Auch, wenn er wieder mit irgendwelchen dahergelaufenen Weibern flirten sollte.
 

"Na, meinetwegen. Du gibst mir aber einen aus."
 

"Und was krieg ich dafür?" Sein Lächeln wurde etwas breiter.
 

Adam sah ihn leicht genervt an. "Du kommst etwas länger in den Genuss meiner Begleitung."
 

"Oh, du bist zu gütig." Er grinste schelmisch. "Wusste gar nicht, dass man deine Begleitung so billig kriegt. Hätte ich das früher gewusst, hätte ich es schon früher angeboten. Und wie viel kostet dann eine Nacht? Ein Abendessen?"
 

"Unverkäuflich."
 

Adams Gesicht lief rot an. Er fixierte einen Punkt in der Ferne und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch ihm war irgendwie klar, dass Leon ihm die Scham trotzdem ansah.
 

Dieser Gedanke wurde auch durch sein lautes Auflachen sofort bestätigt. Er wollte gerade was erwidern, als Leon ihn plötzlich in die Arme riss und ihm einen Kuss auf den Scheitel drückte.
 

"Du bist so grässlich süß, nicht zu fassen. Dass du wegen so was rot wirst."
 

"Wah, hör auf! Lass mich los!"
 

Atemlos stieß er ihn von sich und sah ihn finster an.
 

"Mach das nie, nie wieder, verstanden? Ich bin nicht irgendein Welpe, mit dem du spielen, ihn knuddeln und verarschen kannst, okay?"
 

"Hey, hey." Leon hob abwehrend die Hände hoch. "Nun sei nicht so empfindlich. Ich verarsche dich nicht. Ich mein das alles todernst. Du bist wirklich süß."
 

Sein Blick sagte aber etwas anderes. Adam schnaubte entrüstet.
 

"Danke, ich verzichte, süß genannt zu werden. Weder von dir noch von irgendwem sonst, kapiert?" Er sah sich mit gerunzelter Stirn um. "Wo ist denn jetzt diese dämliche Kneipe? Sie wird ja wohl nicht soweit entfernt sein."
 

"Nein, wir sind gleich da." Seine Stimme klang amüsiert. "Nur noch dort um die Ecke."
 

Arg, wieso verdammt musste er sich auch dauernd über ihn lustig machen? Die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, stapfte er neben ihm her. Er kam sich dabei zwar wie ein Elefant vor, der neben einer leichtfüßigen Gazelle hertrippelte, aber das war egal. Plötzlich breitete sich ein Grinsen seinem Gesicht aus, er warf einen Blick zu Leon und lachte dann laut los. Verwirrt starrte sein Begleiter ihn an.
 

"Alles okay? Hat dir die Kälte die Gehirnzellen eingefroren oder wieso lachst du plötzlich?"
 

"Nichts, nichts. Nicht so wichtig." Immer noch leise lachend winkte er ab.
 

Leon mit einer Gazelle zu vergleichen war wirklich so ziemlich das Unpassendste, was man machen konnte. Wenn er sich so eine Gazelle vorstellte, mit ihren großen, braunen, unschuldigen Augen, dem feingliedrigen Körper und den leichten Sprüngen, und dabei Leon anschaute... Nein, er war ein Panther, ein Tiger, ein Löwe, irgendein gefährliches Raubtier, das jederzeit zum Sprung bereit war, um seine Beute zu erlegen, aber gewiss keine unschuldige, süße Gazelle, die bei Gefahr davon lief.
 

Seine Laune hatte sich schlagartig verbessert, was mitunter auch an Leons komplett verwirrten Blick lag. Innerlich klopfte er sich auf die Schulter. Anscheinend war er doch in der Lage, den großen Meister aus dem Konzept zu bringen. Nicht immer, aber immer öfter.
 

Immer noch ein Grinsen auf den Lippen kamen sie schließlich bei der Kneipe an. Es sah von außen sehr unscheinbar aus. Normalerweise wäre Adam wohl komplett blind dran vorbei gelaufen. Das Schild mit dem Namen war unleserlich und die eine Fensterscheibe wirkte verraucht und verstaubt. Es wunderte ihn ein bisschen, dass Leon, der immer fein gekleidet war und wie jemand wirkte, der nur die gepflegtesten und edelsten Etablissements aufsuchte, so eine Kneipe kannte oder gar selber besuchte. Im Inneren setzte sich der Eindruck des Äußeren fort, billig, unscheinbar, unwichtig. Der Raum war, bis auf zwei, drei Besucher, komplett leer. Am Tresen stand ein älterer Herr mit einer schwarzen Weste, der gelangweilt ein paar Gläser putze und wohl den Barkeeper darstellte, und unterhielt sich mit einer ebenso gelangweilten Kellnerin, die sicher bereits Ende 40 war und sich einen ganzen Schminkkasten ins Gesicht geklatscht zu haben schien. Billig, absolut billig.
 

Adam rümpfte leicht die Nase, während Leon sich davon nicht stören ließ, mit großen Schritten zur Theke schritt und die Kellnerin in seiner Umarmung halb zu Tode drückte. Sie gab einen überraschten Laut von sich und japste elendig nach Luft, brach dann jedoch, als sie erkannte, wer es war, in ein unangenehm lautes, aufdringliches Lachen aus, das in einem Raucherhusten endete.
 

"Mein süßer, kleiner Leon, Schätzchen, das du hier mal wieder auftauchst." Sie gab ihm zwei dicke Schmatzer auf die Wangen und einen auf den Mund. "Lange nicht gesehen, mein Zuckerherzchen. Wie geht's dir, alles in Ordnung?"
 

"Nu', jetzt lass den arm'n Jung'n doch mal zu Atem komm'n, Maria." Der Pseudo-Barkeeper lächelte die zwei freundlich an und klopfte Leon auf die Schulter. "Der Bub is' scho' ganz blau im G'sicht."
 

Leon lachte auf, nahm seine Hand und zog ihn in eine kurze Umarmung, während Adam bedröppelt dran stand. Das gab's doch nicht. Schätzchen? Zuckerherzchen? Bub? Das waren nun wirklich keine Substantive, die er mit Leon in Verbindung gebracht hätte. Und eigentlich hätte er auch erwartet, dass dieser dagegen heftigst protestiert würde, anstatt es mit einem Lachen hinzunehmen. Verrückte Welt. Und sie wurde immer verrückter, je länger er Leon kannte.
 

Etwas fehl am Platz stand er einige Schritte entfernt und sah den Dreien zu, wie sie die neuesten Neuigkeiten austauschten, über irgendwelche schlimmen Rückenleiden stöhnten und sich dabei immer wieder anlachten. Da fiel der Blick der Kellnerin plötzlich auf ihn, und er wusste plötzlich nur zu gut, wie sich ein Kaninchen im Angesicht der Schlange fühlte.
 

"Oh du meine Güte, Herzchen, wieso sagst du denn nicht, dass du Begleitung hast?"
 

Wie ein Kampfschiff steuerte sie auf ihn zu und betrachtete ihn von allen Seiten, fast wie ein Pferd, das zum Verkauf stand. Fehlte nur noch, dass sie seinen Mund öffnete und die Zähne testete.
 

"Mei, mei, mei, da hast du aber ein hübsches Exemplar von Mann aufgetrieben." Sollte man das als Kompliment ansehen? "Frisch und knackig. Zum Anbeißen!" Vom Pferd zum Obst. "Aber etwas schweigsam, ne?" Na, wie sollte man da denn auch bitte was sagen? "Wie ist er denn im Bett?"
 

"Ich war mit ihm noch nicht im Bett!!!" Adam sah sie entrüstet an. Wie unverschämt konnte man eigentlich sein?
 

Leon lachte nur auf und zog eine Augenbraue spöttisch hoch. "Noch nicht?"
 

"Und ich werde es auch nie sein, verdammt." Er wendete sich Maria zu und sah sie fest an. "Wir sind nur Geschäftspartner."
 

"Was, Geschäftspartner?" Sie sah ihn halb geschockt an und wendete sich dann Leon zu. "Du kaufst dir deine Begleitungen bereits? Herzblatt, dass hast du doch gar nicht nötig."
 

Adam riss fassungslos seinen Mund auf, während Leon sich an der Theke festhalten musste, um vor Lachen nicht zusammen zu brechen. Wütend trat der Kleine zu ihm ran, packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich heran.
 

"Würdest du das bitte, bitte aufklären? Ohne, dass die gute Frau", er nickte kurz zu Maria rüber, "es nochmal missversteht."
 

"Ja, klar doch, klar doch." Leon schnappte kurz nach Luft, ohne das sein fettes Grinsen verschwand, legte einen Arm um Adams Schultern und zog ihn zu sich heran. Mit einem treuherzigen Blick sah er Maria an. "Ja, ich bezahle ihn, aber nur, weil seine Familie einen Haufen Schulden hat und er sich sonst nicht mit mir treffen könnte. Aber er ist genial im Bett, um auf deine Frage von vorhin zurückzukommen."
 

"LEON!!!"
 

Leon lachte, wich jedoch nicht schnell genug aus und kassierte einen Stoß von Adams Ellbogen. Seine leicht schmerzende Seite reibend grinste er Maria frech an.
 

"Nein, nein, alles gelogen. Er steht mir Modell und ich bezahl ihn dafür. Und heute waren wir nur im Kino. Zusammen im Bett waren wir leider auch noch nicht."
 

"Na, du hast mich jetzt aber erschreckt." Halb entrüstet, halb amüsiert hielt sie sich theatralisch die Hand aufs Herz. "Und ich dachte schon, mein armer, kleiner Leon, so tief abgerutscht. Ne, ne, das geht ja mal gar nicht, ne."
 

Trotz Adams bösem Blick lachte Leon wieder, ein warmes, fröhliches Lachen. Eins, das Adam bei ihm noch nicht gehört hatte. Von der Seite her musterte er ihn einen Augenblick. Seine grauen Augen strahlten, sie hatten einen ehrlichen Glanz von Übermut und Freude. Ein leises Seufzen entwich ihm. Er hätte nicht gedacht, dass Leon zu so etwas in der Lage war. Wie viele verschiedene Seiten hatte der Künstler noch an sich?
 

„Jetzt“, er drehte Leon zu sich herum, „darfst du mir zwei Getränke ausgeben. Dafür, dass du nichts besseres zu tun hast als mich zu verarschen. Mich und die arme Frau da.“
 

Er warf noch einen kurzen Blick zu Maria, die immer noch leicht kicherte. Sonderlich beleidigt wirkte sie ja nun wirklich nicht. Anscheinend waren der Barkeeper und sie schon an Leon und seine Späßchen gewöhnt.
 

„Ja, der Kleine hat Recht. Du solltest ihm wirklich einen ausgeben.“ Maria lächelte Adam an und bugsierte die beiden zu einem Tisch, der in einer gemütlichen Ecke stand. „Ihr wollt bei dem Wetter doch bestimmt was Warmes haben, nicht wahr? Was willst du denn, Kleiner?“
 

„Eh, ne heiße Schokolade.“ Er runzelte die Stirn. „Und, ich heiße Adam. Nicht ‚Kleiner’!“
 

Sie grinste ihn an. „Adam, so, so. Gut, eine heiße Schokolade. Und dir, Leon? Wir haben Himbeer-Kirsche-Tee, wie wär’s damit?“
 

„Oh, ja, sehr gerne.“
 

„Jut, jut, ich bin dann gleich wieder da.“
 

Wie ein behäbiges Wiesel wuselte sie davon und ließ die beiden wieder allein. Mit einem Seufzen setzte sich Adam auf die Eckbank, hielt einen Moment inne, bis sich auch Leon nieder gelassen hatte, und funkelte ihn dann zornig an. Nun ja, halbwegs zornig, aber man konnte ja mal so tun als ob.
 

„Sag mal, was sollte das denn?“
 

„Na, na, nimm das doch nicht so ernst.“ Leon lehnte sich zurück, nahm einen Bierdeckel in die Hand und drehte ihn zwischen den Fingern hin und her. Er warf Adam einen verschmitzen Blick zu. „Ich hab doch nur ein bisschen rumgeblödelt, mehr nicht. Maria hätte das nie ernsthaft geglaubt, das hast du ja selbst gesehen. Und Jefferson genauso wenig.“
 

Leon und rumgeblödelt? Das waren zwei Wörter, die Adam bis jetzt nicht in einem Satz zusammen benutzt hätte. Man lernte nie aus.
 

„Trotzdem, lass es das nächste Mal bleiben, okay? Ich lege wirklich keinen Wert darauf, von irgendwem für schwul gehalten zu werden.“, knurrte er leise, während er die Hände um den Zuckerbehälter gelegt hatte und ihn anstarrte. Irgendwie brauchte er immer irgendwas zum Anstarren und Festhalten, wenn er mit Leon redete.
 

„Wieso?“ Gleichgültig zündete dieser sich eine Zigarette an und legte den Kopf leicht schief. „Kann es dir nicht egal sein, was andere denken? Jedenfalls hab ich dich bis jetzt so eingeschätzt, dass du dich nicht sonderlich um die Meinung anderer kümmerst. Hab ich mich etwa geirrt?“
 

„Nein, hast du nicht.“ Adam zog die Augenbrauen zusammen. Er wusste nicht, ob er aufbrausen sollte wegen dem provozierenden Unterton in Leons Stimme, oder ob er ruhig und ernsthaft auf diese Frage antworten sollte. Die Entscheidung fiel auf letzteres. „Aber ich mag es nicht, wegen irgendetwas beurteilt zu werden, was ich gar nicht bin. Wenn man eine schlechte Meinung von mir hat, dann soll die doch bitte auch mit Tatsachen untermauert sein.“
 

Leon starrte nachdenklich dem Zigarettenrauch hinterher. „Und es ist keine Tatsache, dass du schwul bist?“
 

„Nein, ist es nicht.“
 

„Woher weißt du das?“ Er drehte seinen Kopf zu Adam. „Hattest du schon mal eine Freundin? Hast du es schon mal mit einem Mann probiert? Irgendwas von beidem?“
 

Adam schnaufte auf. „Was hat das damit zu tun? Ich hatte weder Interesse bis jetzt an einer Frau noch an einem Mann.“ Gut, letzteres stimmte nicht so ganz, aber das musste er Leon ja nicht unter die Nase reiben. Schließlich saß ja genau der Mann, an dem er Interesse hatte, genau vor ihm.
 

„Eben. Deswegen kannst du ja wohl auch nicht wissen, was du bist. Es gibt so viele Möglichkeiten, und du hast ja anscheinend noch keine einzige ausprobiert. Außerdem bist du gerade mal Siebzehn, du bist noch nicht mal ganz aus der Pubertät raus, du kannst ja noch gar nicht wissen, was du willst.“
 

„Behandle mich nicht wie einen kleinen, unreifen Jungen!“ Adam wurde einen Ton lauter. „Nicht nur werde ich sehr, sehr bald Achtzehn, ich denke, ich bin auch reif genug, um einschätzen zu können was ich will oder nicht will.“
 

„Ich behandle dich nicht wie einen kleinen Jungen.“ Leon seufzte auf, als ob er ein bockiges Kind vor sich hätte. „Ich lege nur die Tatsachen dar. Auch wenn du rein vom Gesetz her bald erwachsen bist, macht es dich hier“, er tippte sich an die Stirn, „und hier“ sein Finger berührte die Herzgegend, „noch lange nicht erwachsen.“
 

„Ach, du bist aber mit einen 23 Jahren hier und hier“ Adam wiederholte seine Geste mit funkelnden Augen, „etwa erwachsen, oder was? Wem willst du das bitte erzählen? Du hältst dich vielleicht dafür, du wirkst vielleicht so, aber ich wette, du bist es nicht. Ich wette, du bist noch weit davon entfernt, nicht wahr? Und du tust nur so, als ob du erwachsen bist. In Wahrheit bist du ein mindestens genauso kleiner, bockiger Junge wie ich.“
 

Leons Augen blitzten auf. Anscheinend hatte Adam es geschafft, ihn wütend zu machen, aber er bereute es kein bisschen. Von diesem notgeilen Sack brauchte er sich wirklich nichts sagen und sich schon gar nicht als kleinen Jungen bezeichnen lassen.
 

„Na, wen haben wir denn da?“
 

Sowohl Adam wie auch Leon zuckten beide bei der unerwarteten Stimme zusammen. Noch bevor einer von beiden reagieren konnte, hatte die zugehörige Person Leon einen kurzen Kuss auf die Lippen gedrückt und lächelte Adam fröhlich an.
 

„Was für ein Zufall, dass ich euch beide hier treffe. Na, wie geht’s? Was dagegen, wenn ich mich dazu setze?“
 

Ohne auf eine Antwort zu warten, ließ sich Sachiko auf einen Stuhl gleiten und schaute neugierig von einem zum anderen.
 

„Was ist denn los? Hab ich euch etwa so überrumpelt oder was?“
 

Leon fasste sich als erster. Er schüttelte kurz den Kopf und sah sie dann misstrauisch an.
 

„Woher kennt ihr euch denn? Wüsste nicht, dass ich dir was von Adam erzählt hätte.“
 

„Wir haben uns in der ‚Vitreous Cabin’ getroffen, als er sich deine Ausstellung angesehen hat. Er ist mir gleich aufgefallen, ich hab ihn angesprochen und wir sind einen Kaffee trinken gegangen. Mehr nicht, also brauchst du gar nicht eifersüchtig sein.“
 

„Ich bin nicht...“ Er seufzte auf. „Okay, schon gut. Interessant.“
 

Es klang nicht wirklich, als ob er es interessant finden würde. Sein Blick wanderte zu Adam, der unzufrieden auf seiner Unterlippe kaute.
 

„Schön, dich zu sehen, Sachiko.“, brachte der Junge etwas gequält raus. Ihm war es eindeutig unangenehm, dass sie so plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. „Eh, ich komm gleich wieder. Wo sind die Toiletten?“
 

Er brauchte ein bisschen Luft zum Atmen, ganz eindeutig. Nachdem Sachiko ihm mit einem verwunderten Blick die Richtung gewiesen hatte, flüchtete er halbwegs und ließ die Beiden allein.
 

Es herrschte einige Augenblicke Stille. Leon rauchte seine Zigarette fertig und zündete sich gleich darauf eine neue an, während Maria kurz vorbei kam, den Tee, die heiße Schokolade und zwei warme Waffeln mit Sahne und Erdbeeren vorbei brachte und Sachikos Bestellung aufnahm. Dann war es wieder ruhig.
 

„Misch dich nicht ein.“ Leon kippte ein wenig Zucker in seine Tasse und rührte fast schon gelangweilt um.
 

Sachiko lächelte ihn unschuldig an. „Ich habe kein Wort gesagt.“
 

„Brauchst du auch nicht.“ Er warf ihr einen kurzen, intensiven Blick zu. „Ich seh's dir an. Und ich kenn dich lange genug. Misch dich nicht ein.“
 

„Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du mit den Jungen spielen könntest. Er hat es nicht verdient.“
 

„Ich spiele nicht mit ihm.“ Er gab einen milden Knurrlaut von sich.
 

„Aber ernst meinst du es auch nicht.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. Sie beugte sich vor und legte ihre Finger auf Leons Handgelenk. „ Ich will nicht, dass du ihn zerstörst. Er ist jung, er ist naiv. Er lässt mit sich spielen. Ist das wirklich nötig? Es gibt da draußen genug andere Häschen, mit denen du dich vergnügen könntest.“
 

„Ich spiele nicht mit ihm. Wie oft soll ich das wiederholen, bis du es verstehst?“
 

„Nein?“ Sie zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Das denkst du vielleicht, aber du merkst nie, wann etwas für dich Spiel und wann etwas Ernst ist.“ Die Arme verschränkend lehnte sie sich wieder zurück. „Ich weiß, wieso du das tust. Wieso er dich interessiert. Deswegen wirst du ihn zerstören. Deswegen meinst du es nicht wirklich ernst mit ihm.“
 

„Sachiko!“ Leon fixierte sie und ließ es nicht zu, dass sie ihren Blick abwendete. „Wir kennen uns lange und du bist mein bester Freund. Ich vertraue dir in allen Dingen. Aber du hast kein Recht, so weit zu gehen. Misch dich nicht ein und zieh keine Schlüsse, die aus der Luft gegriffen sind. Verstanden? Das ist meine Angelegenheit, und nur meine. Du hast damit nichts, rein gar nichts zu tun.“
 

Sie senkte ihren Blick auf ihre Hände, die ein wenig unsicher mit der Tischdecke spielten.
 

“Ich mach mir nur Sorgen.“, meinte sie leise, so leise, dass es fast nicht zu hören war. „Nicht nur um ihn. Auch um dich. Vor allem um dich.“
 

Er wendete seinen Blick ab, die Hand mit der Zigarette gegen die Wange gelehnt, und beobachtete Maria, wie sie mit Jefferson schäkerte.
 

„Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Ich brauch kein Kindermädchen, sondern einen Freund.“
 

Es trat wieder Stille ein. Eine ruhige Stille, die zwar nicht angenehm, aber auch nicht unangenehm war. Sie wurde erst durch Adams Auftauchen unterbrochen. Er blieb einen Moment stehen und schaute sie etwas erstaunt an.
 

„Ihr habt euch ja nicht sonderlich viel zu sagen.“ Verwirrt setze er sich und zog die heiße Schokolade zu sich heran, ohne Leon auch nur eines Blickes zu würdigen. So schnell verrauchte seine Wut nicht.
 

„Wir haben schon miteinander gesprochen.“ Sachiko zwinkerte neckisch. „Weißt du, wir kennen uns schon so lange, da können wir auch mal schweigend beieinander sitzen, das macht auch nichts.“
 

„Oh, ja, ach so, okay.“
 

Adam verzog kurz das Gesicht, als ob es ihm egal wäre, und zuckte dann zusammen. Leon hatte ihn an der Schulter angetippt und deutete auf den Teller mit den Waffeln.
 

„Die hat uns Maria spendiert. Geht aufs Haus, also kannst du dir eine nehmen.“ Er wendete sich an seine Freundin. „Kannst die andere haben, ich hab momentan keinen Hunger.“
 

„Oh, du bist ein Schatz, Leon. Du weißt ja, wie sehr ich die Teile liebe.“ Sie nahm sich die eine und schob die andere Adam zu, wieder neckisch zwinkernd. „Lass es dir schmecken, Adam. Wenn Leon schon mal so großzügig ist, sollten wir das ausnutzen. Schließlich ist er das nicht allzu oft.“
 

Sie lachte kurz leise auf und stürzte sich auf ihre Portion, während Adam es ihr etwas gemütlicher und gesitteter gleich tat. Sein Blick schweifte inzwischen doch wieder zu Leon, der immer noch mit der Zigarette in der Hand ins Leere starrte. Bei diesem Anblick kühlte sein Ärger noch ein wenig mehr ab. Nicht komplett, aber wenn er ihn so anschaute, nahm er es ihm nicht mehr wirklich übel, dass er sich wie ein kleiner Junge benommen hatte. Solche oder ähnliche Auseinandersetzungen würden wohl noch öfter kommen. Er seufzte mal wieder innerlich. Was soll’s, das Leben wäre langweilig, wenn’s einfach wäre.
 

Mit neuem Elan wendete er sich Sachiko zu und verstrickte sie in ein Gespräch über Waffeln, Süßigkeiten und Filme. In der ganzen Zeit saß Leon nur dabei und hörte schweigend zu, doch hatte Adam nicht das Gefühl, dass es ihm nicht gefiel, deswegen ließ er sich nicht in der Konversation stören.
 

Schließlich, es waren mehrere Stunden vergangen, trennten sie sich mit dem Versprechen, sich mal wieder zu sehen. Adam und Leon liefen still nebeneinander her zum Wagen und sagten auch wegen der Fahrt zu Adams Haus kein einziges Wort. Es war jedoch ein angenehmes Schweigen und keiner von beiden sah einen Grund, es zu stören. Nur ab und zu spürte Adam Leons Augen auf sich ruhen, verbunden mit einem seltsamen Gefühl, dass er beim besten Willen nicht einordnen konnte.
 

Vor der Hauseinfahrt parkte Leon schließlich und stieg aus. Überrascht folgte ihm Adam.
 

„Du musst mich nicht bis zur Tür bringen, das schaff ich schon alleine.“
 

Leon schwieg und lächelte ihn nur an. Wieder dieses falsche, fast schon Angst einflössende Lächeln. Adam erschauderte kurz und lief die Einfahrt hoch, in der Hosentasche nach dem Schlüssel kramend. Vor der Tür blieb er stehen und blickte Leon entgegen, der die Hände in den Manteltaschen vergraben hatte und ihm folgte, als ob er alle Zeit der Welt hätte.
 

„So. Ehm... danke fürs Herbringen. Der Abend war eigentlich ganz nett, können wir ja irgendwann mal wiederholen.“, stotterte Adam vor sich hin. Leon hatte so einen seltsamen Blick drauf. Er verhieß nichts Gutes.
 

„Ich würde gerne auf das zurückkommen, was du vorhin gesagt hast.“, meinte er mit leiser, rauchiger Stimme.
 

„Was ich gesagt habe? Was hab ich denn gesagt?“ Adam lachte nervös auf. Was zum Teufel hatte er gesagt?
 

„’Du kannst machen, was du willst’.“
 

Noch bevor Adam reagieren konnte, hatte Leon sich bereits vorgebeugt und drückte seine Lippen sanft auf Adams Mund.
 

Die Zeit blieb stehen.
 

Adam konnte nicht mal die Augen schließen. Im Hintergrund begann es leise zu regnen. Leons Augen waren geschlossen, die dichten Wimpern berührten fast seine Wangen. Einige Strähnen fielen ihm in die Stirn. En Auto fuhr vorbei und beleuchtete sein Gesicht kurz mit den Scheinwerferlichtern. Die Räder auf der Straße waren noch lange nach seinem Verschwinden zu hören. Adam umklammerte seinen Schlüssel etwas fester. Sie waren nur durch die Lippen verbunden. Ihr einziger Berührungspunkt. Es dauerte nur Sekunden.
 

Die Zeit lief weiter.
 

Leon löste seine Lippen wieder von ihm und lächelte ihn an, das Gesicht immer noch nah bei ihm.
 

„Bis Donnerstag. Sei pünktlich.“
 

Ohne ihn noch einmal zu berühren, drehte er sich um und schlenderte gemächlich zu seinem Auto. Einige Augenblicke später hörte Adam nur noch ein Türeklopfen, das Starten des Motors und wie Leon schließlich weg fuhr. Erst jetzt löte er sich aus seiner Erstarrung und wendete seinen Blick in seine Richtung. Seine Augen schweiften von einem Gegenstand zum anderen, wussten nicht, woran sie sich festhalten sollten. Langsam sank er nach unten auf die Treppenstufe, den Schlüssel immer noch fest umklammert. Sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklicher, er begann die Regentropfen zu beobachten.
 

Die Mauer des Widerstandes bröckelte immer mehr.



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