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Ein Schritt nach dem anderen

von

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Kapitel 5

Kapitel 5

 

-Sanji-

Die nächsten zwei Tage verliefen relativ ereignislos.

Das Schiff segelte bei mäßigen Seegang immer der Richtung des Logports hinterher und brachte sie langsam aber sicher der Red Line näher.

Lysop und Franky waren immer noch die meiste Zeit in ihrer Werkstatt verschwunden und kamen nur zum schlafen oder essen heraus, Sanji bezweifelte sogar, dass sie duschten so wie sie rochen.

Ruffy verschwand immer wieder für wenige Stunden zum Schwertkämpfer ins Krankenzimmer, der dort den ganzen Tag verbrachte.

Der Koch hatte bemerkt, dass auch Robin viel Zeit im Krankenzimmer verbrachte, zwei Mal hatte er sie dort angetroffen. Sie hatte gelesen, einmal leise und einmal laut.

Und auch der Schiffsarzt besuchte seinen Patienten häufig, oft aus medizinischen Gründen, aber auch aus privaten Anlässen.

Selbst die Musik ihres Musikanten hatte Sanji beim Kochen einmal aus dem Nebenzimmer gehört.

Man konnte also nicht behaupten, dass der Schwertkämpfer viel allein war oder vereinsamen konnte.

Dementsprechend hatte Sanji auch kaum die Möglichkeit gefunden, mal allein mit dem anderen zu sprechen. Denn wenn mal niemand da war, und manchmal auch wenn ein anderer da war, schien er immer zu schlafen.

Selbst für den Marimo war die Menge an Schlaf die er zurzeit sammelte, ungewöhnlich hoch und das war nicht das einzige Problem.

Drei Mal am Tag brachte Sanji dem Spinatschädel ein Tablett mit Essen, drei Mal am Tag räumte er ein unberührtes Tablett ab.

Noch nicht mal das Glas Wasser oder Saft trank er, Alkohol war laut Chopper immer noch tabu, obwohl die äußeren Wunden wohl bereits verheilt waren.

Jedes Mal nahm Sanji sich vor den anderen gegen die nächste Wand zu kicken und ihm das Essen notfalls in den Rachen rein zu stopfen, aber jedes Mal traf er den anderen schlafend an.

Gerade war wieder ein solcher Moment.

Es war noch sehr früh am Morgen.

Er schlief nicht mehr besonders gut und daher hatte er sich bereits ans Frühstück gegeben, probierte ein paar sehr zeitaufwendige Kreationen aus, für die ihm sonst Ruhe und Muße fehlten.

Gerade hatte er das Frühstück gegen das Mahl vom vergangenen Abend ausgetauscht.

Im Krankenzimmer war es noch dunkel, bis auf das schwache Licht aus der Kombüse.

Im fahlen Schimmer schienen die Wangen des anderen leicht eingefallen, seine Haut wirkte gräulich.

Sanji kannte diese Anzeichen, noch nicht gefährlich, aber eindeutig Besorgnis erregend, und für jemanden wie ihn war die Vorstellung, dass der andere hungerte obwohl Nahrung vorhanden war, unvorstellbar und absolut nicht nachvollziehbar.

Zorros gelassene, gute Stimmung vom Anfang war wohl mittlerweile ganz verflogen. Aus den anderen Gesprächen hatte er entnommen, dass ihr Schwertkämpfer wenig bis gar nicht redete. Selbst bei Chopper antwortete er nur auf die nötigsten Fragen und tat kommentarlos, was der junge Arzt von ihm verlangte.

Keiner sagte es, keiner tat so als ob irgendetwas anders war, doch Sanji wusste ganz genau, dass sie sich alle Sorgen machten.

Doch wie bereits in den vergangenen Tagen entschied er mit einem stillen Seufzen den anderen schlafen zu lassen.

Vielleicht hatte er auch ein bisschen Angst vor der nächsten Auseinandersetzung, er hatte Angst was der andere sagen könnte aber auch was er selbst sagen könnte.

Das Frühstück lief genauso ab, wie schon die letzten paar Tage. Robin tauchte als erstes auf, gefolgt von Nami und Brook. Chopper und Ruffy kamen wenig später nachdem Brook sie geweckt hatte. Während die Schlacht ums leibliche Wohl bereits im vollen Gange war, kamen die beiden Bastler herein, immer noch wortkarg und arg konzentriert.

Sie beteiligten sich kaum an den allgemeinen Gesprächen sondern setzten sich in eine Ecke und sprachen eilig und ernst.

Sanji beobachtete die anderen aufmerksam, es war gar nicht so anders als sonst, aber man merkte einfach, dass der griesgrämige Möchtegernsamurai fehlte.

Doch dieses Mal ging Ruffy nicht ins Krankenzimmer, nachdem er endlich aufgegessen hatte. Während Sanji und Brook die Teller abwuschen konnten sie ihren Kapitän hören, der Nami und Chopper dazu animieren wollte,  mit ihm Karten zu spielen.

Robin lachte leise und wies darauf hin, dass Nami jedes Spiel gewinnen würde, doch schließlich gaben alle nach und folgten dem Strohhut nach draußen.

„Wenn du willst, kannst du auch gehen“, bot Sanji dem Skelett an, „Den Rest schaffe ich auch alleine.“

„Wirklich?“ Brook sah so glücklich aus, wie ein Totenschädel nur aussehen konnte.

„Na klar. Nimm das Tablett da vorne mit, aber pass auf, dass Ruffy nicht alle auf einmal ist.“

Er deutete auf ein Tablett frischer Obsttörtchen, die er erst am frühen Morgen ausprobiert hatte. Sie waren recht gelungen für seinen ersten Versuch.

„Danke dir Sanji.“

Mit einem schallenden Lachen nahm der Musikant das hübsche Gebäck und eilte hinaus, zu den anderen.

Leise seufzend erledigte er den Rest alleine. Zwar war er dankbar für Brooks Hilfe, aber der Knochenmann war redlich umständlich wenn es zu Aufräumarbeiten kam. Nicht selten verfehlten seine knochigen Hände die Teller, die Sanji ihm reichte und nicht selten lachte er ausgiebig in den unpassendsten Momenten und erschreckte Sanji damit zu Tode.

Ganz anders als der schlecht gelaunte Schwertkämpfer, der einfach nur still und entnervt das tat, was man ihm sagte. Zorro mochte diese Arbeiten zwar nicht, aber sobald er ihnen einmal zugeteilt war, erledigte er sie ohne zu murren, naja ohne viel zu murren.

Endlich hatte Sanji die letzten Überreste des Frühstücks beseitigt. Müde ließ er sich auf einen Stuhl fallen und zündete sich eine bitter nötige Zigarette an, bereits seine vierte am noch jungen Tag.

Er musste eindeutig mehr schlafen wenn er noch von Nutzen sein wollte. So müde wie er war würde er keine Nachtwache durchhalten. Glücklicherweise hatten die Freizeitbastler die letzten Male übernommen, nicht dass er deswegen wirklich besser geschlafen hatte.

Bevor er wusste was er tat, zog er sich das Buch, welches Chopper auf dem Küchentisch vergessen hatte, näher und bettete seinen Kopf drauf. Nur wenige Sekunden später war er bereits eingenickt.

 

Als er aufwachte wusste er nicht wie viel Zeit vergangen war, doch er wusste, dass er nicht mehr alleine im Zimmer war. Langsam hob er den Kopf. Zorro saß ihm gegenüber, ein süffisantes Grinsen im Gesicht, welches er auf einer Hand abstützte.

„Wuaah!“

Er sprang zurück, beinahe vom Stuhl fallend.

Der Schwertkämpfer lachte böse.

„Nicht so schreckhaft Dornröschen.“

„Was zur Hölle tust du hier?“, fauchte er und zeigte mit ausgestrecktem Finger auf den anderen. Ihm fiel auf, dass er die noch vor sich hin kokelnde Zigarette immer noch hielt. Ein Wunder, dass nichts angebrannt war.

„Was soll das denn nun schon wieder bedeuten? Der Essensraum ist für alle da, nicht nur für dich, Prinzeschen.“

„Hör auf mich so zu nennen, du Moosbirne.“

„Was denn? Du hast doch selbst gesagt, dass du nur für Frauen ein Ritter in glänzender Rüstung abgibst. Für mich wirst du immer das blonde Prinzeschen vom Idiotenland sein.“

„Du Mistkerl!“

Bevor er überhaupt wusste was er tat, war er bereits aufgesprungen und kickte nach dem anderen.

Zorro grinste nur noch breiter, sprang ebenfalls auf und blockte seinen Fuß mit beiden Händen, ehe er sich über den Tisch warf und ihn angriff.

Adrenalin pumpte durch seinen Körper, ihr letzter guter Kampf lag schon Tage zurück und er…

Warte mal.

„Wie ist das möglich?!“

Er sprang zurück und brachte zwei Meter zwischen sich und den Schwertkämpfer.

„Ziemlich einfach, Kartoffelschäler, du bist blond und ein...“

„Darüber rede ich nicht!“, brüllte er den anderen an, „Du stehst! Du kannst laufen! Du bist gesund!“

Zorro ließ beide Arme sinken und legte den Kopf schräg.

„Ja, ich kann laufen, na und?“

Der Grünhaarige sah aus, als würde er sich wirklich Sorgen machen.

„Seit wann? Wie? Was hast du…?“

„Was ist denn los Koch? Schlecht geträumt? Kommt bestimmt vom vielen Rauchen.“

Wieder lachte der Schwertkämpfer leise feixend und ging erneut in Kampfposition.

„Aber das ist noch lange kein Grund für mich, dir es einfacher zu machen.“

Langsam verstand Sanji, es war nur ein Traum gewesen, ein furchtbarer, schrecklicher Traum.

Erleichterung machte sich in ihm breit während er den Angriff des anderen abwartete. Zorro war gesund, er war nicht gelähmt, er war immer noch in der Lage seinen Traum zu verfolgen und zu erreichen. Es war alles gut. Es war alles gut.

„Wer hat denn gesagt, dass ich es dir einfach machen werde?“, entgegnete er ebenso feixend.

Noch einmal grinsten sie einander an, ehe es zum nächsten Schlagabtausch kam.

Diesmal jedoch härter, unnachgiebiger. Das hier war echt! Es war kein blöder Traum, keine hilflose Hoffnung, sein Lieblingsfeind war wieder da und er würde ihn diesmal besiegen!

Lachend gab sich Sanji ganz dem Kampfesrausche hin, steckte ein und teilte aus.

So sollte ein Kampf sein!

Plötzlich gab Zorros Bein nach und er stürzte.

„Na, was war das denn für ein schwaches Ausweichmanöver?“

Doch zu seiner Überraschung sah der andere ihm unglaublich zornig aber auch panisch an.

„Was hast du getan?!“, knurrte der Schwertkämpfer und stützte sich mit beiden Händen ab.

„Was redest du? Was ist los?“ Verwirrt sah er auf den am Boden hockenden Mann.

„Meine Beine. Ich spür meine Beine nicht!“ Zorros Stimme war wütend aber auch gemischt mit Verzweiflung. „Was hast du getan Koch? Was hast du mir angetan?!“

Sanji stolperte einen Schritt zurück.

„Was? Aber ich…“

„Du warst das.“ Zorro versuchte sich hinzuknien, aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen.

„Du hast mich von der Klippe gestoßen! Das ist deine Schuld!“

„Hat er Recht?“

In der Tür stand auf einmal Ruffy und sah ihn fassungslos an.

„Hast du Zorro den Abhang runter gestoßen?!“

Ohnmächtig sah er zwischen den liegenden Schwertkämpfer und seinem Kapitän hin und her.

„Aber… aber…“

„Stimmt es?! Ist es deine Schuld?!“

Doch bevor er antworten konnte, spürte er den Schlag gegen die Schläfe.

Hart schlug er auf dem Boden auf.

Er erwartete einen Schrei, laute Stimmen, Brüllen, irgendetwas, doch alles war still.

Nur sein Herz schlug unnachgiebig.

Verwirrt sah er sich um.

Er lag im Esszimmer, der umgekippte Stuhl neben ihm, eine abgebrannte Zigarette in seiner Hand.

Ansonsten war niemand da. Kein Schwertkämpfer, kein Strohhut.

Er war alleine.

Langsam setzte er sich auf. Er war eingeschlafen, es war nur ein Traum gewesen.

Noch immer atmete er schnell.

Es war nur ein Traum gewesen.

Von draußen konnte er Ruffys lachende Stimme hören, der irgendwelche Spiele spielte und Zorro lag auf der anderen Seite der hölzernen Wand im Bett.

Es war nur ein Traum gewesen.

Ganz vorsichtig richtete er sich auf und stellte auch den Stuhl wieder hin.

Er musste wirklich dringend wieder besser schlafen.

Sein Blick wanderte durch den Raum, blieb auf dem Buch hängen, auf dem er geschlafen hatte. Ein Medizinbuch, es musste von Chopper sein. Langsam hob er es hoch, studierte die aufgeschlagene Seite.

Eine Stelle war bunt markiert und wild unterstrichen und obwohl er nicht viel von dem Fachlatein verstand begann er zu lesen. Das meiste war unverständliches Kauderwelsch aber er verstand genug.

Genug um aufzuspringen und in den anliegenden Raum zu rennen.

Und dort stand er und starrte den Schwertkämpfer an. Dieser war wieder bei seinen seltsamen Übungen, die wirklich nicht lächerlicher hätten aussehen können.

Für eine Sekunde sagte niemand etwas.

„Was willst du, Koch?“, murrte der andere wie immer äußerst freundlich.

Er nickte nur zum Tablett auf dem Nachtischchen hinüber, welches wie immer nicht angefasst war.

„Du solltest was essen“, antwortete er anstatt auf die Frage einzugehen.

„Kein Hunger.“ Der andere sah ihn noch nicht einmal an, sondern vollführte seine Dehnübungen.

„Dein Körper braucht Nahrung um zu genesen.“

„Ich weiß, was mein Körper braucht. Ist nicht dein Bier.“

Er war offensichtlich gereizt, doch Sanjis Herz rannte immer noch auf Hochtouren. 

„Doch, als Schiffskoch geht es mich sehr wohl an, ob die Crewmitglieder ordentlich ernährt sind.“

„Na zum Glück werde ich bald nicht mehr…“

„Sprich ja nicht weiter!“

Bevor er sich bremsen konnte, hatte sein Bein bereits die Luft zerborsten.

Im letzten Moment packte die Hand des anderen seinen Fuß, die grünen Augen blitzten ihn wütend an.

„Meine Beine mögen nutzlos sein, aber ich bin noch lange nicht hilflos. Unterschätze mich ja nicht.“

„Vor allem deine Blödheit sollte ich nicht unterschätzen“, knurrte er und riss sein Bein zurück.

„Warum hast du schon aufgegeben?!“

Zorros Augen wurden groß, für eine Sekunde schien er nicht zu verstehen, doch dann wurde sein Blick ernst, als wüsste er genau, was durch Sanji’s Kopf ging.

„Du hast mit Chopper gesprochen?“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich hab es in einem seiner Bücher gelesen.“

Er zog sich den Schemel heran. „Warum hast ausgerechnet du aufgehört zu kämpfen?! Du wolltest dir sogar die Füße abhacken. Warum gibst du auf, wenn es doch noch eine Chance…“

„Es gibt keine.“

Zorro seufzte und senkte seine Arme. Seinem Körper fehlte die gewohnte Spannung.

„Was? Aber in dem Buch…“

„Du bist kein Arzt, Koch. Du hast keine Ahnung. Es gibt keine Chance mehr.“

„Aber, wieso…?“

„Du hättest erst mit Chopper sprechen sollen.“

Nun klang Zorro entspannt, beinahe zu gelassen, während er selbst das Gefühl hatte von innen heraus zu zerbersten.

Erneut seufzte der Schwertkämpfer und lehnte sich gegen die Wand. Dann sprach er:

„Wenn das Rückenmark nicht komplett durchtrennt ist besteht die Möglichkeit, dass es zwar verletzt ist, sich jedoch bis zu einem gewissen Grad regenerieren kann. Darauf spielst du an, nicht wahr?“

Sanji nickte.

Ein leises, schauderhaftes Lachen erfüllte den Raum.

„Ja, davon hat Chopper mir auch erzählt. Und zu welcher Wahrscheinlichkeit ich einen Wirbelbruch oder aber eine Prellung haben könnte. Und er hat mir gesagt, dass je länger die Lähmung andauert, desto unwahrscheinlicher ist die Genesung.“

Sanji sah ihn an.

„Hätte es eine Chance gegeben, wäre ich beim Aufwachen bereits nicht mehr gelähmt gewesen. Aber der Unfall ist nun eine Woche her und…“

Er beendete seinen Satz nicht und sah Sanji einfach nur an.

„Tut mir leid deine kleine Hoffnung zerstört zu haben.“

„Aber in dem Buch…“, begann er in einem letzten schwachen Aufbäumen.

„Koch.“ Er sah den anderen an.

Zorro lehnte sich zur Seite und griff nach der Gabel vom Tablett.

Im nächsten Moment stach er sie mit voller Kraft in seinen rechten Oberschenkel, die Zinken gruben sich bis zum Anschlag ins Fleisch, feine Blutlinien bildeten sich und verfärbten die Hose.

„Was tust du denn da?!“ Er war aufgesprungen.

„Verhindern, dass du dir noch einmal Hoffnung machst.“

„Was?“

Sein Blick wechselte zwischen der Gabel im Bein und dem ernsten, viel zu ruhigen Blick des Schwertkämpfers hin und her. „Was redest du denn da?“

Er versuchte nach der Gabel zu greifen, doch der Grünhaarige hielt ihn problemlos zurück.

„Du solltest jetzt gehen, Koch.“ Seine Stimme war aalglatt. „Und du solltest nie wieder mit einem Funken Hoffnung herein kommen.“

Ihre Blicke trafen sich.

Das ist deine Schuld!

„Verschwinde!“

Und dann floh er. Erst oben im Badezimmer blieb er stehen, der einzige Raum neben der Vorratskammer, der abgeschlossen werden konnte.

Für eine weitere Sekunde stand er da und dann brach er zusammen und weinte.

 

-Zorro-

Mit einem ekelhaften Schmatzen zog er die Gabel wieder aus seinem Bein.

Für eine Sekunde meinte er das Stechen zu fühlen.

Sein Geist erinnerte sich an den Schmerz den er fühlen sollte, aber er fühlte nichts.

Es war nichts weiter als die Erinnerung an ein Gefühl, welches ihm nun fremd war.

Er konnte sehen wie das Blut in seine Hose sickerte, aber es war nicht besonders viel und es kümmerte ihn nicht wirklich.

Desinteressiert warf er die blutige Gabel zurück aufs Tablett.

Er wusste, dass er unfair gewesen war, gemein, fies. Er hatte der Kringelbraue einen gehörigen Schrecken eingejagt, dabei hatte der andere nur nett sein wollen. Ihm nur Hoffnung schenken wollen.

Und das war ihm gelungen. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er tatsächlich geglaubt, dass er vielleicht noch kämpfen könnte, vielleicht noch für etwas kämpfen könnte.

Doch der Schmerz des Erwachens war wieder einmal bittersüß gewesen.

Schon wieder war sein Traum gestorben, wieder einmal hatte er sich von ihm verabschieden müssen.

Vielleicht war er gegenüber dem Koch unfair gewesen, aber das, was der Blonde ihm unbewusst angetan hatte war viel schlimmer.

In seinen Versuchen ihn aufbauen zu wollen, verletzte er ihn nur noch mehr.

„Du solltest nicht so hart zu Sanji sein.“ Er sah nicht auf sondern blieb so liegen wie er war. „Und erst recht solltest du nicht so hart mit dir selbst ins Gericht gehen.“

„Ich brauche deine Glückskeksweisheiten nicht.“

Der andere lachte leise und warf sich auf den Schemel.

„Ich glaub es tut dir nicht gut, den ganzen lieben langen Tag im Bett zu liegen und nichts zu tun. Du solltest mal raus gehen.“

„Willst du mich eigentlich verarschen?!“, fauchte er den anderen an und richtete sich auf. Einen Moment konnte er Angst in den dunklen Augen aufblitzen sehen, eine Emotion die ihm Genugtun verschaffte. „Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, ich kann nicht gehen! Ich kann dieses verdammte Bett nicht verlassen! Ich kann nicht raus!“

Der andere seufzte und tippte sich an seine Nase. „Manchmal bist du echt schwer von Begriff, was?“

„Hör auf mich zu reizen oder ich reiß dich in Stücke!“

Der andere hob beruhigend und auch ein bisschen verängstigt beide Arme und nickte dann zu seiner neusten Bastelkreation hinüber, die er herein geschoben hatte.

„Könntest du bitte aufhören so zu tun, als ob ich dein Feind wäre. Ich bin auf deiner Seite, wir alle sind auf deiner Seite.“

Entnervt aufstöhnend ließ er sich zurück fallen. Die anderen wollten oder konnten nicht verstehen, dass es hier nicht um Seiten ging, nicht um Kämpfe oder um Gemeinschaft. Ausnahmsweise ging es mal nicht darum, was die Crew tun konnte, was jeder einzelne von ihnen tun konnte, wie stark ihr Zusammenhalt war.

Es gab keinen dunklen, bösen Gegner auf der anderen Seite.

Keinen gefährlichen, aussichtslosen Kampf zu bestreiten.

Und es ging nicht um ihre Gemeinschaft, um etwas, was sie gemeinsam schaffen konnten.

„Du hast doch keine Ahnung“, murrte er nur und verdeckte seine Sicht mit einer Hand.

„Was meinst du? Diese Hilflosigkeit während meine Freunde Hilfe brauchen? Diese Ohnmacht während meine Freunde stark genug sind die Welt zu verändern? Oder meinst du diese andauernde nicht enden wollende Angst während meine Freunde mutig genug sind ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen?“

Langsam ließ er die Hand sinken und sah den Lockenkopf an, der leicht grinste.

„Genau, diese Gefühle sind gerade mir, dem großen Käpt’n Lysop, natürlich völlig fremd. Nie befand ich mich in einer hoffnungslosen Situation oder hab meine Freunde beneidet, für die es so einfach scheint ihre Träume zu verfolgen. Dementsprechend habe ich wirklich keine Ahnung.“

Für einen Moment musterte er den anderen.

So hatte er das noch nie gesehen.

Dann schüttelte er den Kopf.

„Das ist was ganz anderes, du Idiot.“

Mühsam rappelte er sich wieder auf.

„Bei dir ist es nichts Physisches. Sobald du nur deine Angst überwunden hast, steht deinem Traum nichts mehr im Weg. Aber bei mir…“

Nur deine Angst?! Hast du sie noch alle?!“

Überrascht sah er den Lügenbaron an, der sich auf beiden Knien abstützte und vorgebeugt hatte.

„Klar, ist es einfach für jemanden wie dich sowas zu sagen. Nur deine Angst, tze.“

Er machte einen abfälligen Laut und schüttelte den Kopf.

„Für jemanden wie dich, der jeden Morgen tausend Liegestütze macht, der jeden Tag einen überlegenen Gegner herausfordert und besiegt, der jede Sekunde seines Lebens sich eine neue Herausforderung sucht und besteht. Für dich ist es wohl einfach die eigene Angst zu überwinden. Du und Ruffy, manchmal zweifel ich sogar daran, ob ihr so etwas wie Angst besitzt.“

Für einen Moment schwiegen sie beide.

„Lysop, ich…“

„Du verstehst es wirklich nicht, oder? Wenn du einen Berg siehst, fragst du dich wie lange du brauchst, bist du ihn erklommen hast. Ruffy fragt sich das noch nicht einmal sondern rennt einfach los. Wenn ich einen Berg sehe, fallen mir innerhalb einer Sekunde hundert Möglichkeiten ein, beim Aufstieg zu sterben. In meinem Kopf berechne ich innerhalb eines Atemzugs die Wahrscheinlichkeit es unbeschadet zu überstehen. Bei jedem Schritt, jedem Handgriff weiß ich genau, wie viel schief gehen kann. Und da ist die Sorge um meine Freunde noch nicht mal erwähnt. Angst ist für mich viel mehr als nur ein Gefühl, Zorro. Sie ist für mich genauso real wie deine gelähmten Beine.“

Verwirrt sah er den anderen an. Die Wut und Verzweiflung von vor wenigen Minuten waren verflogen. Ihm war wirklich nie bewusst gewesen, wie sehr den anderen seine Ängste und Sorgen beeinträchtigten. Für ihn war es eigentlich immer eine Art Ausrede gewesen um einen einfacheren Weg zu finden. Dafür hatte er den Lockenkopf zwar nie verurteilt, aber ihn schon manchmal belächelt.

„Warum erzählst du mir das?“, fragte er schlicht. „Was willst du mir damit sagen?“

Lysop lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme.

„Ich hab meiner Angst oft nachgegeben, sogar bis zu dem Punkt, wo ich meinen eigenen Traum aufgegeben habe.“

Sie beide wussten genau welchen Moment er meinte.

„Aber dann habe ich entschieden, dass mein Traum größer ist als meine Angst. Ich habe meine Angst überwunden. Das hört sich jetzt ganz leicht an, aber das war es nicht. In dem Moment habe ich akzeptiert, dass ich vermutlich sterben würde und hab’s trotzdem getan, obwohl ich so große Angst vor dem Sterben habe.“

Er seufzte einen Moment.

„Nachdem ich meiner Angst nachgegeben hatte musste ich meine Komfortzone verlassen um sie doch noch zu überwinden. Ich musste Dinge tun, die ich mir nie zugetraut hätte. Ich hab mich entschieden das zu tun, was keiner aus unserer Crew tun konnte, auch wenn ich dabei sterben könnte, auch wenn ich vor Angst einen Herzinfarkt kriegen würde. Verstehst du?“

Zorro sah ihn nur an.

„Es ist nicht einfach. Es ist nicht so, als ob ich mit einem Klick ein anderer Mann wäre. Ich muss meine Angst jeden Tag wieder überwinden, muss meine Komfortzone andauern verlassen. Selbst vor diesem Moment hier hatte ich panische Angst. Trotzdem bin ich hier. Ich hab nicht aufgegeben.“

Langsam verstand er.

„Dinge, die für mich ein Weltuntergang sind, erregen noch nicht einmal deine Aufmerksamkeit. Du bist stark, mutig, diszipliniert und so weiter...“

Der andere lachte leise.

„Aber selbst du hast eine Komfortzone. Sie mag größer sein, hart erarbeitet und weitläufig, aber selbst du hast deine Grenzen. Und ich denke, dass das hier, deine Verletzung, so schlimm sie auch sein mag, dich einfach nur aus deiner sicheren Umgebung geworfen hat und meiner Meinung nach liegt es an dir, ob du einfach aufgibst oder ob du weiter machst.“

„Das hört sich bei dir ziemlich leicht an. Als wäre das hier nur eine Kleinigkeit.“

„Oh nein. Leicht ist es ganz gewiss nicht und ich mag auch gar nicht klein reden, was dir passiert ist. Du stehst vor den Scherben deines Lebens. Du hast die Grenze deiner Komfortzone nicht mit der Zehenspitze überquert sondern bist wie eine Kanonenkugel rausgeflogen. Aber das ist noch lange kein Grund Robin darum zu bitten ihr Versprechen zu halten!“

Geschockt starrte er den anderen an.

„Was? Woher…?“

„Ach, ich bitte dich, so betrunken war ich damals echt nicht. Ich hab gedacht, das wäre nur ein Scherz gewesen, zu viel Alkohol und ihr wart ja noch nicht wirklich warm miteinander. Hat mich echt geschockt, vorgestern, wo sie da so weinen vor dir kniete. Hätte dich echt nicht für so feige gehalten.“

Bevor er auch nur was sagen konnte war der andere aufgestanden und zeigte auf sein Mitbringsel.

„Damit blockierst du die Räder, den Rest erklär ich dir später wenn du willst. Ich geh jetzt mal was essen und dann was pennen. Ich bin totmüde.“

An der Tür drehte der andere sich nochmal um.

„Es ist eine Chance, Zorro. Du hättest genauso gut sterben können. Du hättest alles verlieren können, hast du aber nicht.“

Fassungslos starrte er den anderen an.

Sie ist tot, Zorro! Sie ist die Treppe runter gestürzt.

Er hatte gedacht, dass er alles verloren hätte. Aber er hatte noch…

„Lysop!“, rief er dem anderen nach, der bereits durch die Türe hindurch war.

Für einen Moment sah der andere ihn an, dann grinste er nur und streckte einen Daumen nach oben, als würde er genau wissen, was Zorro sagen wollte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Trafalgar_D_Alina
2018-02-13T02:03:19+00:00 13.02.2018 03:03
Oha, dieses Kapitel war wirklich sehr, sehr tiefgründig.
Lysops Worte haben mich echt berührt, weil ich genau weiß, wie es gemeint ist.
Hast du echt super geschrieben 💪
Von:  pbxa_539
2017-07-16T12:01:56+00:00 16.07.2017 14:01
Bin kaum mit dem Sprachlos-Kapitel durch, da kommst du schon mit dem nächsten daher. Fleißig, fleißig.
Ich geb meiner Vorrednerin Recht, deine Geschichten sind einfach nur fesselnd.
Ich glaub, das hatte ich schon öfter erwähnt. Macht aber nix, muss immer mal wieder gesagt werden.
Lysop als Motivator, das hat schon was. Aber wenn man seine Worte genau beleuchtet, stimmt es.
So, wie er seine eigenen Gefühle beschrieben hat, schätze ich ihn auch ein.
Wobei mich jetzt auch interessiert, wie Franky ihm den Rollstuhl hätte verkaufen sollen, denn einen solchen haben sie ja wohl gebaut, oder etwa nicht?
Tja, Sanji und sein Traum. Das beweist einmal mehr, dass er sich alleine die Schuld für Zoros Zustand gibt.
Aber "was wäre wenn", hilft niemandem weiter. Nicht ihm, nicht Zoro und auch in der Realität hilft es nicht.
Man muss das beste aus dem machen, was das Leben einem zur Verfügung stellt.
Das durfte ich die vergangenen Jahre auch auf die harte Tour lernen.
Antwort von:  Sharry
22.07.2017 14:35
Hey^^
danke dir vielmals für deinen Kommi und danke für das Lob.
Ja, ich versuche halt einen wöchentlichen Rythmus beizubehalten, damit ihr nicht zuuuu lange warten müsst.
Tatsächlich hatte ich diese Szene auch mal mit Franky durchgespielt und eigentlich klappte das auch ganz gut. Franky ist da halt etwas resoluter, er hätte Zorro einfach gepackt und auf dem Stuhl festgebunden. Aber Lysop war mir dann doch etwas einfühlsamer ;-)

Es tut mir leid, dass du es nicht immer einfach hattest im Leben. Ich hoffe, dass du diese schlimme Phase überstanden hast und nun stärker und vor allem glücklicher als zuvor bist.
Du hast Recht, das Leben ist nicht immer einfach und manchmal auch ganz schön unfair und hart, aber es ist immer noch das einzige Leben das wir haben und das sollten wir wertschätzen.

Alles Liebe und ganz viel Gutes
Sharry
Von:  miladytira
2017-07-15T20:18:25+00:00 15.07.2017 22:18
Ich verfolge die Story jetzt seit Anfang an und ich muss echt sagen: WOW!
Heikle wie ich bin mit Geschichten, brauche ich lange bis mich was fesselt >~< Aber du bist echt super. Dieser Schreibstil ist echt genial von dir. Er zieht mich komplett an und ich lese jede Zeile mit Spannung mit :3
Also echt grosses Lob!

Zu dem Kapitel. ENDLICH. Ich hab nur darauf gewartet das Lysop endlich mal kommt. Er hat vielleicht oft Angst, aber wenn es um solche Sachen geht ist er echt der beste Motivator wo es gibt. Ich hoffe Sanji bekommt die Gedanken los das er Schuld sein könnte und ich hoffe auch das Zorro auf die Beine kommt >.< Ist mein totaler lieblings Charakter, ich mags nicht ihn so niedergeschlagen zu sehen! T_T
Und zu dem vorherigen Kapitel. Zuerst dachte ich echt es wäre Nami wo so mit ihm redet und dann... bäm Robin. Dass die versucht ihr Versprechen einzuhalten. Schock pur.

Freu mich schon auf das nächste Kapitel!

greez sternii
Antwort von:  Sharry
22.07.2017 14:30
Hey,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar und es freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt.
Ich danke dir sehr für so viel Lob^^

Oh, ich weiß genau, was du wegen Nami meinst, allerdings bezweifle ich stark, dass sie so knallhart ist, wie sie immer tut. Ich glaube nicht, dass sie je in der Lage wäre einen anderen Menschen zu opfern, geschweige denn einen Freund zu töten.
Robin und Zorro auf der anderen Seite sind da beide doch etwas rationaler und "erwachsener". Ich fand es sehr spannend, dass Zorro ihr am Anfang so misstraut hat, als einziger aus der Crew (mit Ausnahme von Lysop, aber der mistraut ja jedem zunächst ;-P)
Und wenn wir schon beim Lügenbaron sind, so stimme ich dir da auch hundert Prozent zu. Früher fand ich ihn nur nervig, aber wennman sich mal mit ihm auseinandersetzt, merkt man wie tief sein Charakter ist^^

Nochmal vielen lieben Dank und liebe Grüße
Sharry


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