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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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VORAHNUNGEN

 In unmittelbarer Nähe zum Raumgebiet, das seit dem Interstellaren Krieg von der Konföderation-Deneb beansprucht wurde, lag das vom Terranischen Imperium kontrollierte Delta-Cephei-System, oft auch einfach nur Cephei-System genannt.

Im Grunde hatte es sich bei dem Interstellaren Krieg um mehrere, mit aller Härte ausgefochtene, Kriege gehandelt, die geschichtlich später jedoch unter dem Begriff Interstellarer Krieg zusammengefasst worden waren, da sie sich direkt aneinander gereiht, oder teilweise sogar zeitlich überschnitten hatten.

Das Cephei-System bestand aus einem Doppelstern, der sich im Sternbild Kepheus befand, und zwölf Planeten, die den Doppelstern umliefen, von denen nur der dritte Planet für die Kolonisation durch Menschen geeignet war.

Auf einem Mond des sechsten Planeten des Systems, einem Gasriesen der etwa 20% größer war, als der solare Jupiter, befand sich die Sektion-Cephei, eine der insgesamt zwölf Zweigstellen der Terranischen Raumflottenakademie.

Der Doppelstern setzte sich aus folgenden beiden Komponenten zusammen: Zum einen aus einem Roten Überriesen - Cephei A - der die Roche-Grenze überschritt, wenn er seinem Partner – Cephei B - einem Blauen Riesen, am nächsten kam. Dann floss Materie von ihm zu seinem blauen Partner. Zum anderen aus besagtem, Blauen Riesenstern der zur Hauptreihe gehört, obwohl er aber bereits deutlich Masse von Cephei A entrissen hatte.

Da das System, nach Forschungsergebnissen terranischer Wissenschaftler, noch für mindestens 50.000 Jahre relativ stabil bleiben würde, und der dritte Planet nicht nur angenehme klimatische Verhältnisse aufwies, sondern auch sehr reich an Bodenschätzen war, wurde im Jahr 2514 beschlossen, in dem System eine Kolonie zu etablieren. Der dritte Planet wurde schließlich von der planetaren Regierung auf den Namen Outpost getauft.

Gegenwärtig gab es auf Outpost mehr als 700 Millionen Kolonisten.

Wegen seiner strategischen Bedeutung und seiner unmittelbaren Nachbarschaft zum Raum der Konföderation-Deneb, wurde Outpost, insbesondere nach dem Interstellaren Krieg, zu einer der stärksten Festungen des Terranischen Imperiums ausgebaut. Neben schweren Abwehr-Forts und, neben den zivilen Raumhäfen, drei großen, rein militärisch genutzten Raumhäfen, befand sich auf Outpost das Hauptquartier der gesamten, neunten Flotte des Imperiums, die permanent bei Cephei stationiert war. Momentan wurde sie durch die Vierte Flotte und die Achte Flotte unterstützt, wobei sich jedoch nur die Neunte Flotte innerhalb der Umlaufbahn von Outpost bewegte. Die beiden übrigen Flotten verteilten sich einige Lichtminuten außerhalb des Systems, in Richtung des Grenzsektors.

Trotz der erhöhten Alarmbereitschaft für die Imperiale Raumflotte ging das Leben auf Outpost gegenwärtig seinen normalen Gang. Auch die Flüge der Frachtraumschiffe, zwischen Outpost und den übrigen Welten des Imperiums, wurden in gewohntem, regelmäßigen Takt weitergeführt, denn die überall auf dem Planeten geförderten Rohstoffe wurden im gesamten Terranischen Imperium dringend benötigt.

Mit dem Eintreffen der Vierten Flotte hatte Generalleutnant Hilaria Inira Mbena, die an Bord des Flaggschiffes her gereist war, das Oberkommando über die gesamten Streitkräfte dieses Sektors übernommen. Die rundliche, dunkelhäutige Frau von Anfang Sechzig galt als einer der besten Flottenkommandanten des Terranischen Imperiums. Darüber hinaus stand sie in dem Ruf eine hervorragende Taktikerin zu sein. Dafür sprach auch ihr Abschluss an der Sektion-Terra, den sie, als eine der Wenigen, mit Auszeichnung absolviert hatte. Zu Beginn ihrer Karriere war sie gelegentlich wegen ihres mütterlich wirkenden Äußeren unterschätzt worden, ein Fehler den jene, die sie näher kennenlernten, garantiert nicht zweimal machten. Hilaria Inira Mbena wusste sehr genau, was sie wollte, und ihr messerscharfer Intellekt half ihr dabei, ihr jeweiliges Ziel, ohne Abstriche, zu erreichen.

Dabei hatte sich Hilaria Mbena erst recht spät, nach einem zivilen Studium als Raumfahrt-Ingenieur, für eine Karriere bei den Streitkräften der Raumflotte entschieden. Erst im Alter von siebenundzwanzig Jahren hatte sie ihren Abschluss an der Akademie gemacht, was der Grund dafür war, dass sie nicht längst den Rang eines Generals inne hatte. Ein paar ihrer Kollegen im Generalstab mutmaßten, dass sie wahrscheinlich mittlerweile Chef des Stabes gewesen wäre, hätte sie ihre Karriere eher begonnen.

Im Moment stand Hilaria Mbena vor der breiten Fensterfront des Quartiers, das sie vor drei Tagen bezogen hatte, und blickte hinaus über die weiten Ebenen zu den fernen, schneebedeckten Bergen. Die heraufziehende Morgendämmerung tauchte die Landschaft in ein unwirklich anmutendes Dämmerlicht.

Generalleutnant Mbena atmete tief durch. Sie gehörte zu jener Art von Menschen, die selbst in Zeiten der modernen Raumfahrt, und als ein Mensch, der bereits unzählige Sterne gesehen hatte, einen heraufziehenden Sonnenaufgang als etwas Erhabenes betrachteten. Dabei war sie nicht bereits, sondern immer noch wach, denn ihr Körper hatte sich noch längst nicht dem planetaren Tag und Nacht Rhythmus angepasst, obwohl sie bereits seit mehr als drei Wochen in diesem System weilte. Zum Ende der dritten Novemberwoche war sie im Delta-Cephei-System angekommen, und auf Terra endete gerade der 13. Dezember.

Vorsichtig führte sie die Tasse in ihrer Hand zum Mund und nahm einen Schluck von dem heißen Tee, den sie sich vor etwa einer halben Stunde selbst, in der Küchennische ihres Quartiers, zubereitet hatte. Sie hielt ohnehin nichts davon, sich permanent von Ordonanzen bedienen zu lassen. In ihren Augen wurde man dadurch nur bequem, und das war ein Zustand, den sie für einen Soldaten im aktiven Dienst als höchst gefährlich ansah. Leider gehörte sie, ihrer Meinung nach, damit zu einer Minderheit im Stab der Flotte.

Draußen glitt ein Schwarm großer, flunderförmiger Tiere über den langsam heller werdenden Himmel und die Augen der dunkelhäutigen Frau wurden groß. Sie hielt sich zum ersten Mal in ihrem Leben auf Outpost auf und ein solches Spektakel am Himmel hatte sie bisher noch nie beobachten können. Mit beinahe angehaltenem Atem beobachtete sie den majestätischen Flug der Tiere, deren Spannweite sie auf mindestens sechzehn bis siebzehn Meter schätzte, bis sie außer Sichtweite gerieten.

„Was für Apparate“, flüsterte sie leise zu sich selbst und nahm einen weiteren Schluck Tee, wobei sie an den Besuch der Sektion-Cephei, am gestrigen Tag, zurückdachte. Sie hatte im Vorfeld darum gebeten, kein Aufheben darum zu machen, aber natürlich hatte der Leiter dieser Akademie-Sektion ein Aufheben darum gemacht. Das brachte ihre momentane Position als Sektoren-Kommandantin eben mit sich.

Mit einem schwachen Seufzen wandte sich Hilaria Mbena schließlich von der Fensterfront ab und schritt in den schwach erleuchteten Wohnraum hinein. Sie trank ihren Tee aus, stellte die Tasse auf dem niedrigen Tisch ab, der von zwei Couchen flankiert wurde, und setzte sich dann auf eine der Couchen. In der Mitte des glänzenden, weißen Tisches hatte sie ihr Schachbrett platziert.

Seit dem Beginn ihrer Karriere hatte sie es zu jedem Ort mitgenommen, an dem sie stationiert gewesen war. Die Felder des Brettes bestanden aus dünnen, weißen und schwarzen, Marmorplättchen, die von Pharran-Holz eingefasst wurden. Auf ihnen standen die Schachfiguren aus Zinn, die französischen und russischen Soldaten der napoleonischen Ära nachempfunden worden waren. Alle Figuren waren liebevoll von Hand bemalt. Ihr Großvater mütterlicherseits hatte diese Figuren, nach alten historischen Aufzeichnungen, selbst angefertigt und sie schließlich koloriert.

Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen erinnerte sich Hilaria Mbena daran, wie oft sie mit ihrem Großvater Schach gespielt hatte. Er war ein ausgezeichneter Spieler gewesen und er hatte ihr so manche Strategie beigebracht, die ein Durchschnittsspieler als höchst unkonventionell bezeichnet hätte. Es gab jedoch Momente, so wie diesen, in denen die Frau ihre Spielfiguren lieber in Ruhe betrachtete, als mit ihnen tatsächlich zu spielen.

Sich entspannend auf der Couch zurück lehnend überlegte Hilaria Mbena, dass die momentane militärische Lage sich gar nicht so sehr von der Ausgangssituation auf dem Schachbrett unterschied. Sie wartete momentan auf den Eröffnungszug ihres Gegners um zu erkennen was er vorhaben mochte. Etwas das ihr gar nicht behagte, denn sie war viel lieber Diejenige bei der die Initiative lag.

Vor zwei Wochen hatte sie die Kommandeure der drei hier zusammengezogenen Flotten, Claudine Poirot, Hu Xin Fo und Stuart Phillips, zu einer Besprechung der strategischen Lage getroffen. Sie kannte besonders Stuart Phillips sehr gut.

Mit Claudine Poirot hatte sie nur selten zu tun gehabt. Was Hilaria Mbena von ihr wusste war, dass sie auf diesem Planeten geboren und aufgewachsen war. Eingedenk dessen, was sie eben durch die Scheibe ihres Quartiers gesehen hatte, beneidete Generalleutnant Mbena ihre Kameradin deswegen ein Wenig.

Hu Xin Fo hatte sie, bis dahin, lediglich einmal kurz, während eines Kommandeurs-Treffens auf dem Mars, im Strategischen Hauptquartier der Flotte, gesehen. Er war bisher die unbekannte Größe für sie gewesen. Bei der Besprechung, vor zwei Wochen, hatte sich der Asiat als ziemlich ruhig erwiesen. Wenn er jedoch etwas sagte, so traf er genau den Kern der Angelegenheit, und so etwas mochte Hilaria Mbena bei ihren Untergebenen.

Nach der Besprechung hatte sie Generalmajor Hu mit seiner Vierten Flotte, und Generalmajor Poirot mit ihrer Achten Flotte in Marsch gesetzt. Sie sicherten momentan die Grenzsektoren, während sie die Neunte Flotte unter Stuart Phillips als Reserve im System zurückbehalten hatte. Danach hatte es geheißen abzuwarten – und sie hasste es abzuwarten.

Hilaria Mbena schloss die Augen und wollte sich gerade körperlich und seelisch fallen lassen, als an ihrem Multifunktions-Armband der Kontaktalarm ertönte.

Das klappt immer, dachte die Oberbefehlshaberin frustriert, bevor sie die Augen öffnete, ihren linken Arm anhob, und die Empfangstaste ganz leicht mit ihrem rechten Zeigefinger berührte. Mit rauer Stimme meldete sie sich: „Hier Mbena, wer spricht?“

„Generalleutnant, hier spricht Oberleutnant Galneran, Offizier vom Dienst in der Funkzentrale“, klang eine tiefe Stimme aus dem kaum sichtbaren Lautsprecher des Armbandgeräts. „Vor wenigen Augenblicken hat sich Generalmajor Hu gemeldet und darum gebeten, Sie zu benachrichtigen, dass er umgehend mit ihnen sprechen muss. Es klang ziemlich wichtig, Sir.“

Sich von der Couch erhebend erwiderte Mbena: „Sagen Sie dem Generalmajor, ich sei bereits unterwegs und in einer Minute da. Mbena, Ende.“

Die mollige Frau deaktivierte ihr Gerät und eilte zum Ausgang ihres Quartiers. Draußen auf dem Gang verfiel sie in einen Schritt, der halb Gehen halb Laufen war. Schon nach wenigen Augenblicken außer Atem wurde Hilaria Mbena langsamer und verwünschte nicht fitter zu sein. Im letzten halben Jahr hatte sie, zu ihrem Leidwesen, wieder ein Pfund zugenommen.

Vielleicht habe ich ja eine Drüsenkrankheit, von der ich nichts weiß, dachte sie, und gab einen Moment später ein spöttisches Schnaufen von sich. In Gedanken fügte sie hinzu: Ja klar, altes Mädchen, wenn eine Frau zunimmt, dann ist sie entweder schwanger, oder Drüsen-krank. Aber mach dir nichts vor, Hilaria, wenn eine Frau deines Alters zu dick ist, dann frisst sie zu viel. So sehen die Tatsachen aus, und nicht anders.

Etwas außer Atem erreichte Hilaria Mbena das Schott der Funkzentrale, blieb einen Moment durchatmend stehen und legte dann ihre Rechte auf den Öffnungssensor, der den Abdruck ihrer Hand identifizierte, und sie als zum Eintritt berechtigt akzeptierte.

Die beiden Schotthälften glitten, leise zischend, zur Seite und gemessenen Schrittes, wie es sich für eine Frau in ihrem Rang gehörte, trat sie in die Funkzentrale ein. Während sie zur Hologramm-Nische des Funkleitstandes schritt erkannte Mbena bereits das lebensgroße Abbild des asiatischen Generalmajors. Das Gesicht des holografischen Mannes wandte sich ihr zu, als sie in den Erfassungsbereich des Holo-Funk-Systems schritt. Der Generalmajor salutierte und begann ohne Umschweife zu erklären: „Generalleutnant Mbena, ich melde dass sich die Kampfverbände der Konföderation Deneb in Marsch gesetzt haben. Aber nicht in Richtung des Falken-Nebels, sondern in Richtung des Hantel-Nebels.“

Auch ohne Sternenkarten zur Hand zu haben wusste Hilaria Mbena, was diese Meldung besagte, und so fragte sie, mit gelinder Verwunderung: „Die drei Flotten der Konföderation ziehen sich tiefer in eigenes Territorium zurück? Was haben die vor?“

Die Qualität des Hologramms war so hervorragend, dass Hilaria Mbena das kaum merkliche Anheben der Augenbrauen von Hu Xin Fo bemerkte, als er erwiderte: „Es klingt beinahe so, als wären Sie enttäuscht, Sir?“

Die Frau schüttelte den Kopf und erklärte: „Nein, das trifft es nicht. Aber ich kann mir auf dieses Manöver absolut keinen Reim machen. Alle Anzeichen haben dafür gesprochen, dass die Konföderation sich auf einen Angriff vorbereitet. Und nun wollen die uns weismachen dass sie nur ein Großmanöver abgehalten haben? Halten Sie mich ruhig für einen unverbesserlichen Pessimisten, Hu, aber das nehme ich den Konföderierten nicht ab.“

„Darum habe ich einen Verband von zehn Einheiten, entlang der Grenze, hinterher geschickt, Sir. Sie sollen die Feindverbände, so lange es geht, per Hyper-Ortung verfolgen.“

Hilaria Mbena nickte nachdenklich. Dann sammelte sie sich und entschied: „Generalmajor, Lassen Sie ihren Verband mit Höchstgeschwindigkeit Fahrt aufnehmen. Sie fliegen einhundert Lichtjahre hinaus und beziehen Stellung an der Grenze, in Richtung, in der die Flotten der Konföderation aufgebrochen sind. Damit erweitere ich unseren Spielraum etwas und wir können unsere drei Flotten notfalls dennoch innerhalb eines halben Tages wieder vereinigen.“

Der Asiat bestätigte knapp und fragte dann: „Sir, darf ich, in Hinsicht auf die letzten bekannten Flottenaktivitäten der Farradeen-Allianz, vorschlagen, die Achte Flotte etwas zurückgesetzt zwischen Delta-Cephei und meiner Flotte zu stationieren? Damit hätten wir auch ein paar Augen in dieser Richtung.“

„Ein guter Vorschlag“, stimmte die Oberbefehlshaberin zu. „Ich werde die Kommandeurin der Achten Flotte im Anschluss unterrichten. Mbena, Ende.“

Hilaria Mbena beobachtete, wie der Generalmajor erneut salutierte. Sie erwiderte den militärischen Gruß und beobachtete, wie das Hologramm sich auflöste, bevor sie sich an den Funkoffizier wandte, um ihn anzuweisen, eine Verbindung zum Flaggschiff der Achten Flotte herzustellen. Dabei horchte sie in sich hinein und sie spürte tief in sich jenes ungute Gefühl, dass ihr bisher stets unangenehme Ereignisse vorausgesagt hatte.

 
 

* * *

 

Etwa zu derselben Stunde trafen sich Dean Corvin und Kimi Korkonnen, auf der Erde, in Madrid mit dem Geschäftsführer der Garrett-Hellmann Incorporated, Cole Hauser. Nachdem ihn Corvin, vor etwa einer Woche, zum ersten Mal, wegen der aktuellen Exportzahlen seiner Firma, kontaktiert hatte, empfing sie der mittelgroße Endvierziger in seinem geräumigen Büro, in der 102. Etage des Hauptfirmensitzes.

Cole Hauser schüttelte den beiden Offizieren der Terranischen Flotte die Hände, deutete dann auf eine gemütlich eingerichtete Sitzgruppe und bot ihnen Platz an.

Überwältigt von dem Ausblick, den man von hier oben hatte, folgten die beiden jungen Offiziere dem elegant gekleideten, dunkelblonden Mann, dessen harte, wasserblaue Augen von einem Leben voller geschäftlicher Anspannung und Verantwortung erzählten. Während sie Platz nahmen, blickte Hauser kurz zu seinem Sekretär, der sich bisher dezent im Hintergrund gehalten hatte und fragte seine beiden Gäste: „Darf ich Ihnen, bevor wir zur Sache kommen, einen Kaffee anbieten, meine Herren?“

Corvin und Korkonnen nickten einmütig und Cole Hauser gab seinem Mitarbeiter einen knappen Wink.

Sie warteten, bis der Sekretär die Getränke gebracht und sich entfernt hatte, bevor Hauser das Wort ergriff und direkt begann: „Meine Herren, ich kann Ihnen versichern, dass die Absatz-Zahlen für unsere Prozessoren, in den vergangenen Monaten, ebenso ein Rätsel für mich sind, wie für Sie beide. Natürlich freue ich mich über den gesteigerten Umsatz, das werden Sie sicherlich verstehen, doch eine solch signifikante Umsatzsteigerung wirft auch Fragen nach dem Warum auf. Was ich mich jedoch frage ist: Warum interessiert sich das Militär dafür? Unsere Prozessoren fallen nicht unter Exportartikel, die einer besonderen Kontrolle bedürfen.“

Dean Corvin räusperte sich und wechselte einen schnellen Blick mit seinem Freund, bevor er zugab: „Nun, im Grunde interessiert sich das Militär auch nicht dafür. Es ist vielmehr so, dass unser vorgesetzter Offizier meinem Drängen nachgab, in dieser Hinsicht ein paar Erkundigungen einzuziehen.“

Die beiden jungen Offiziere bemerkten die steile Falte, die sich auf Hausers Stirn bildete und Corvin fügte erklärend hinzu: „Wir konnten ermitteln, dass der Hauptanteil der exportierten Prozessoren in Richtung der Konföderation Deneb transportiert worden ist. Was uns ebenfalls bekannt ist, Sir, ist die Tatsache, dass es offensichtlich keinen speziellen, militärischen Verwendungszweck für diese Prozessoren gibt. Ich sage bewusst offensichtlich, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass möglicherweise Wissenschaftler der Konföderation doch einen solchen Zweck entdeckt haben könnten. Hauptsächlich darum haben Oberleutnant Korkonnen und ich um das Gespräch mit Ihnen gebeten. Sie kennen die Spezifikationen der Prozessoren bestimmt weitaus besser und könnten uns vielleicht einen Denkanstoß geben.“

Cole Hauser nahm einen Schluck von seinem Kaffee und blickte die beiden Besucher nacheinander an, bevor er sich etwas vorbeugte, die Fingerspitzen gegeneinander legte und erklärte: „Unsere Prozessoren können besonders eins sehr gut, Leutnant Corvin, und das ist die Synchronisation von komplizierten Schaltungen und maschinellen Abläufen. Insbesondere natürlich, wenn mehrere unserer Prozessoren in diesen Aggregaten miteinander vernetzt sind. Aber das können auch Prozessoren anderer Hersteller, nur eben nicht ganz so exakt, wie der Garrett-Hellmann Prozessor. Darum ist einer unserer besten Kunden das Militär, doch nach meinem Wissen werden die GH-Prozessoren in keinem ihrer Waffensysteme verbaut, meine Herren. Soweit mir bekannt ist, nutzt das Militär diese Prozessoren als Komponente für hochwertige Steueranlagen und zur exakten Ausrichtung von Scanner- und Ortung-Phalanxen jedweder Art.“

Dean Corvin wechselte einen ratlosen Blick mit seinem Freund, während Hauser zwei Daten-PADD´s vom Tisch nahm und sie den beiden jungen Männern reichte. Ich habe ihnen die wichtigsten Daten auf diese Padds überspielt. Sie können sie behalten und später die Informationen darauf in aller Ruhe studieren. Ich hoffe, das wird Ihnen weiterhelfen, oder belegen, dass Sie beide sich umsonst Sorgen machen.“

Während Corvin die Daten überflog, wandte sich Kimi Korkonnen an Hauser: „Was würde bei einem Ausfall der Prozessoren passieren, Sir?“

Cole Hauser lächelte ungläubig und seine Haltung entspannte sich etwas. „Sprechen Sie von einem Ausfall aller GH-Prozessoren? Da kann ich Sie in zweifacher Hinsicht beruhigen, Oberleutnant. Einerseits könnte das zwar vorkommen, aber sicherlich nicht bei allen Prozessoren. Andererseits wäre ein Austausch oder eine Überbrückung jederzeit möglich und sehr einfach auch durch nicht speziell geschultes Personal durchzuführen. Aber selbst bei einem Totalausfall würden die betroffenen Aggregate funktionsfähig bleiben, wenn auch mit spürbar weniger Effizienz.“

Hauser trank seinen Kaffee aus und sagte dann nachdenklich: „Der einzige, reale Grund, den ich persönlich mir für den gesteigerten Bedarf an GM-Prozessoren der Konföderation vorstellen kann ist, dass die Konföderierten ihr Militär und sämtliche Anlagen ihrer Stützpunkte in großem Stil modernisiert und ausbaut.“

Corvin wollte etwas darauf erwidern, doch er unterließ es, als Kimi ihn mit dem Fuß unauffällig anstieß.

Korkonnen, der Hausers Haltung zu deuten wusste, sagte schnell: „Mein Kamerad und ich danken Ihnen dafür, dass Sie sich etwas von Ihrer kostbaren Zeit für uns genommen, und uns die Daten-PADD´s überlassen haben, Sir. Wir möchten jetzt nicht noch mehr Ihrer Zeit in Anspruch nehmen.“

Damit erhob sich der Finne und Dean Corvin tat es ihm nach.

Sie reichten sich die Hände. Dabei fiel Dean Corvins Blick auf Hausers goldenen Siegelring mit dem verschlungenen Buchstaben N darauf, dem er bislang keine Beachtung geschenkt hatte. „Ein interessanter Ring, Sir. Was bedeutet das N darauf?“

Hauser lächelte verbindlich. „Es steht für den Namen Nimrod. Ein Familien-Erbstück meines Großvaters. Er bedeutete ihm viel. Ich trage ihn aus sentimentalen Gründen.“

Dean Corvin nickte. „Ich verstehe. Vielen Dank nochmal für Ihren Zeitaufwand.“

Hauser begleitete die beiden Offiziere bis zum zentral gelegenen Aufzug des Geschäftsgebäudes.

Als sie auf dem Weg nach Unten waren, meinte Korkonnen leise: „Vielleicht hat Hauser Recht. Vielleicht steckt wirklich nicht mehr dahinter, als dass unsere Freunde von der Konföderation ihren Laden auf Vordermann bringen.“

Corvin hob seine Augenbrauen. „Auf Vordermann bringen?“

Der Blonde lächelte entschuldigend und erklärte: „Ein Sprichwort, dass ich mal bei Jayden aufgeschnappt habe, in der Zeit, als du um Andrea und ihn einen weiten Bogen gemacht hast.“

Corvin schluckte, bei dem Gedanken an die Freunde, die sie beide jetzt seit zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen hatten. Die letzte Videoverbindung mit ihnen lag ebenfalls bereits einige Wochen zurück.

Erst als die beiden Flottenoffiziere das Gebäude verlassen hatten, und die breite Allee entlang schritten, an der die Hauptniederlassung der Garrett-Hellmann Incorporated lag, ergriff Dean Corvin wieder das Wort. „Vielleicht haben wir das Ganze falsch angefangen.“

Kimi blickte den Freund fragend an. „Wie meinst du das?“

Na ja, wir haben uns bisher nur auf die Prozessoren konzentriert. Vielleicht sind die ja nicht das Einzige, was von den Konföderierten vermehrt importiert wird.“

„Da könntest du Recht haben“, sinnierte der Blonde. „Aber darum können wir uns kümmern, sobald wir wieder auf Titan sind. Zuerst statten wir Don Rodrigo, auf dem Mond, einen Besuch ab. Ich habe ihm unser Kommen angekündigt.“

Dean Corvins Miene hellte sich auf. „Wird Zeit, dass wir ihn endlich mal treffen, nachdem wir uns in den letzten beiden Jahren ständig verpasst haben.“

Kimi Korkonnen grinste breit. „Da sagst du was. Und in drei Tagen erreicht der Zerstörer AURORA das Sonnensystem und nimmt Nachschubgüter und Ersatzteile bei uns auf. Dann werden wir auch Miriam wiedersehen.“

Dean Corvin grinste wissend und fragte scheinheilig: „Darum bist du also seit Tagen so unverschämt gut gelaunt, oder irre ich mich?“

„Als ob du das nicht sehr genau wüsstest“, versetzte Korkonnen ironisch. „Was ist eigentlich mit Dir, mein Freund? Ist Dir in den letzten beiden Jahren, auf Titan, noch keine Frau über den Weg gelaufen die Dein Interesse geweckt hat? Immerhin sind wir an den Wochenenden oft genug unterwegs gewesen.“

Corvin seufzte schwach in der Erinnerung an das kürzliche Gespräch mit Tabea Carrick, und zögerlich meinte er: „Tabea und ich haben uns, letzten Monat, über das Warum und Wieso unterhalten.“

Er bemerkte den verwunderten Blick des Freundes und hob die Hände, als er schnell hinzufügte: „Zwischen mir und Tabea läuft nichts – wir kamen nur auf genau dieses Thema zu sprechen, als sie mir gestand, dass es mit Manu aus sei.“

„Ach so“, machte Kimi, und fragte dann nachdenklich: „Warum versuchst du denn nicht Dein Glück bei Tabea, jetzt, da sie wieder zu haben ist. Ihr versteht euch doch hervorragend, oder nicht?“

Ein Schmunzeln umspielte den Mund des Kanadiers. „Oh, Tabea hat mir recht deutlich zu verstehen gegeben, dass wir den Punkt, an dem wir ein Paar hätten werden können, lange hinter uns gelassen haben – und sie hat Recht damit, Kimi. Diese Freundschaft ist auch mir zu wichtig geworden, als dass ich sie auf´s Spiel setzen möchte. Es würde wohl auch nicht gutgehen, fürchte ich.“

„Tja, du wirst wohl als Junggeselle draufgehen, fürchte ich.“

Sie erreichten den Platz, an dem sie den Raumgleiter abgestellt hatten, mit dem sie von Titan zur Erde geflogen waren. Während sie einstiegen, knurrte Corvin finster: „Du hast eine seltsame Art, einen Freund aufzumuntern. Lass das gefälligst, und fahr uns lieber zum Mond. Da kannst du Don Rodrigo mit solchen Sprüchen traktieren.“

Der Finne gab ein glucksendes Geräusch von sich und setzte sich an die Steuerkonsole des Gleiters. Mit einem amüsierten Gesichtsausdruck aktivierte er die Systeme des Gleiters und hob ihn vom Boden ab.

 
 

* * *

 

Auf Luna Rodrigo empfing Esteban seine Freunde aus Akademietagen mit großem Hallo, als sie in sein Büro eintraten. Überschwänglich nahm er beide Kameraden in die Arme und klopfte ihnen herzhaft mit der Hand auf den Rücken. Als er seine überbordenden Emotionen wieder unter Kontrolle hatte, blickte er den Freunden abwechselnd in die Augen und erklärte, immer noch etwas gerührt: „Mann, ich kann euch beiden gar nicht sagen, wie sehr ich euch vermisst habe. Schön, dass ihr beide nicht erst zu Silvester hier aufgetaucht seid, sondern dass euch euer Vorgesetzter auch diesen Flug nach Terra gestattet hat.“

Dean Corvin, der ebenso ergriffen war, wie seine beiden Freunde, nickte, sah sich in Rodrigos Büro um, machte schließlich eine umfassende Geste und meinte dann: „Wie ich sehe, hast du es geschafft. Das ist es doch, was du immer haben wolltest, oder sollte ich mich da geirrt haben?“

„Du hast Recht“, stimmte der Spanier zufrieden zu. „Doch damit meine ich weniger dieses Büro, als viel mehr die Aufgabe, die ich hier habe. Ihr wisst ja, dass es zu Akademiezeiten mein größter Wunsch war, an neuen Raumschiffsvarianten mitzuarbeiten. Und hier habe ich nun die Gelegenheit dazu. Es ist fantastisch.“

Dean Corvin und Kimi Korkonnen beobachteten den Freund dabei, wie er eine verschwörerische Miene aufsetzte und dann etwas leiser sagte: „Hört zu, momentan befindet sich hier ein Leichter Kreuzer in der Endphase seiner Fertigung. Ein absolut heißes Stück. An so einem Raumer mitarbeiten zu können ist natürlich ein Traum. Allerdings gab es Probleme, die den Start auf Beginn des nächsten Jahres verschieben werden. Ich hätte mir nichts weiter dabei gedacht, wenn ihr Zwei mir nichts von den seltsamen Prozessor-Lieferungen erzählt hättet. Es war also mehr Zufall, dass ich eine meiner besten Technikerinnen damit vertraut habe, jene technischen Schaltungen zu kontrollieren, die angeblich bereits vor ihrer Lieferung zu dieser Werft kontrolliert und als fehlerfrei funktionierend deklariert worden sind. Feldwebel Onoro fand prompt einige fehlerhafte Schaltmodule.“

„Mit fehlerhaft arbeitenden Garrett-Hellmann Prozessoren“, orakelte Dean Corvin.

„Nein, eben nicht.“ Rodrigo Esteban schüttelte den Kopf. „Trotzdem habe ich da ein sehr komisches Gefühl, Freunde. Denn wenn jemand Sabotage betreiben wollte, so würde es bessere Ansatzpunkte geben. Ein Projekt, wie dieses, das sich über Jahre hin gezogen hat, um lediglich mehrere Wochen zu verzögern ist die Mühe nicht wert. Und genau das irritiert mich im Moment, denn Rian Onoro ist fest der Meinung, dass es sich nicht um Produktionsfehler handelt, sondern dass die Schaltmodule erst im Nachhinein manipuliert wurden.“

„Was, schätzt du, bedeutet das?“, warf Kimi Korkonnen ein.

Rodrigo Esteban seufzte schwach und hob die Schultern. „Das versuche ich noch herauszufinden, Freunde. Jetzt jedoch, da wir die Module durch fehlerfreie ausgetauscht haben, gehen die Arbeiten an der NOVA SOLARIS zügig voran.“

Dean Corvin fragte erwartungsvoll: „Dürfen wir vielleicht mal einen Blick auf diesen neuen Leichten Kreuzer werfen?“

Rodrigo Esteban grinste verschmitzt und beeilte sich zwei Legitimationskarten für Besucher aus einer seiner Schreibtischschubladen zu holen. „Ich dachte mir schon, dass euch der Kreuzer interessieren würde, darum habe ich diese Legitimationen für euch beide bereits gestern besorgt.“

Er heftete den Freunden die handtellergroßen Kunststoffkarten an die Brust und warnte eindringlich: „Bleibt bitte in meiner Nähe und versucht keine Alleingänge, denn ich habe keine Lust auf einen Vollalarm innerhalb der Basis, kapiert? Manche Abteilungen dieser Werft dürft ihr nämlich selbst mit diesen Sonderausweisen nur in Begleitung des Werft-Personals betreten.“

Sie verließen das Büro.

Draußen auf dem Gang nahm Kimi Korkonnen den Faden wieder auf und fragte: „Don Rodrigo, du kennst dich doch auch einigermaßen mit den Spezifikationen des GM-Prozessors aus. Glaubst du, dass man diese Prozessoren zu einer finsteren Sache missbrauchen könnte?“

Sie bogen in einen Seitengang ein und der Freund erwiderte: „Na ja, es hat schon Leute gegeben, die mit Büchern erschlagen wurden. Missbrauchen kann man fast alles. Aber wenn du auf spezielle Eigenschaften der Prozessoren anspielst, so bin ich geneigt diese Frage zu verneinen. Es handelt sich nicht um Technologie, die speziell zum militärischen Einsatz entwickelt worden ist. Wenn du mich fragst, so halte ich offen gestanden nicht viel von Deans Vermutung, dass die Konföderierten mit dem Ankauf von übermäßig vielen GM-Prozessoren irgendwelche Teufeleien verfolgt. Entschuldige Dean, aber so sehe ich das.“

Dean Corvins Miene war nicht zu entnehmen, was er bei den Worten des Freundes dachte. Neugierig erkundigte er sich: „Was denkst du denn, haben die Brüder mit all diesen Prozessoren vor?“

Rodrigo Esteban antwortete prompt: „Ich halte es für am wahrscheinlichsten, dass die Konföderierten ein umfassendes Modernisierungsprogramm in allen Bereichen ihrer Wirtschaft angekurbelt haben. In den letzten Jahren haben die viele Marktanteile an die Farradeen-Allianz und an den Bund von Harrel verloren. Das werden sie natürlich auch bemerkt haben, und bei ihrem vermutlich horrenden Militärbudget können sie sich das im Grunde nicht leisten.“

Corvin pfiff durch die Zähne und machte ein erstauntes Gesicht. „Seit wann bist du denn unter die Wirtschafts-Experten gegangen?“

„Jayden hat mich während des letzten Jahres an der Akademie darauf gebracht“, erklärte Esteban. „Wie ihr beide wisst besitzen seine Eltern eine der zehn größten Unternehmensgruppen im Bereich Energieregulator-Technik im gesamten Imperium. Er hat zwar, anders als seine beiden Geschwister, nicht das unternehmerische Interesse seiner Eltern geerbt, doch er hat mir dennoch bei einigen Referaten zu diesem Thema, die ich im letzten Jahr an der Akademie geschrieben habe, sehr geholfen. So ganz kann er dann die Abstammung von seinen Unternehmer-Eltern doch nicht verleugnen.“

Kimi Korkonnen wechselte einen vielsagenden Blick mit Dean und erklärte dann zu Rodrigo Esteban gewandt: „Der Besuch bei Cole Hauser, auf der Erde, hat in dieser Hinsicht auch keine weltbewegenden, neuen Erkenntnisse gebracht. Im Übrigen äußerte sich Hauser ganz ähnlich in Bezug auf einen wahrscheinlichen Verwendungszweck der Prozessoren.“

Als sie sich an der nächsten Gangkreuzung nach Rechts wandten und zwanzig Meter weiter erneut nach Links abbogen erkundigte sich Dean Corvin launig bei Esteban: „Wie kommst du hier ohne irgendwelche Navigationshilfsmittel zurecht? Dieses Labyrinth ist ja der reine Wahnwitz.“

„Alles Gewohnheit. Am Anfang habe ich mich einige Male verlaufen.“

Sie lachten und schritten weiter.

Einige Minuten später erreichten sie ein Panzerschott und Rodrigo Esteban hielt seine Legitimationsmarke vor die Lesefläche des Schott-Scanners. Er bedeutete seinen beiden Freunden es ihm gleichzutun. Es dauerte einen Moment, bis sich die beiden schweren Schotthälften auseinander schoben und den Blick in eine gewaltige Hangarsektion freigaben.

Kaum in die riesige Hangarsektion eingetreten blieben Dean Corvin und Kimi Korkonnen einige Meter hinter dem Panzerschott stehen und sahen sich staunend um. Vor ihnen, nicht mehr als zwanzig Meter entfernt, erhob sich die NOVA SOLARIS wie ein Gebirge aus Metall, im grellen Licht der Tiefenstrahler, die in der Hallendecke und den Seitenwänden eingelassen waren. Seitlich ein Stück vor dem Bug des Kreuzers stehend erkannten die beiden Freunde Estebans, dass es neben dem Leichten Kreuzer einen Bereich für ein zweites Raumschiff derselben Klasse gab, der jedoch momentan unbenutzt war. Der brandneue Kreuzer vor ihnen ruhte auf seinen großen Landeschoren, die aus dem mittigen, unteren Einschnitt ausgefahren waren, und ihn so weit über den Hallenboden erhoben, dass die Panzerung der unteren Geschütztürme immer noch gut drei Meter über ihren Köpfen lag. Durch diesen mittleren Einschnitt, der vom Bug bis zum Heck reichte, wirkte das Raumschiff von unten so, als habe es Kufen. Kufen mit Energiegeschützen. Auf den Innenseiten dieser Kufen lagen die Mannschleusen, die über ausfahrbare Rampen erreicht werden konnten. Mittig, zwischen den Landeschoren, lagen die Fracht- und Hangarschleusen in denen die drei kleinen, bewaffneten Beiboote des Leichten Kreuzers starten, landen oder bei Bedarf ihre Ladung löschen konnten.

Kimi Korkonnen blickte an der bläulich-silbernen Panzerhülle hinauf zur Namensplattierung und meinte, seinen Blick nicht von dem Kreuzer lassen könnend, zu seinem besten Freund, Dean: „Der Name des Schiffes gefällt mir. Irgendwann möchte ein solches Schiff kommandieren, Alter.“

Seine Worte hallten in dieser riesigen Sektion seltsam nach.

Dean Corvin, dessen Blicke ebenfalls an dem nagelneuen Kreuzer hafteten und der bei diesem Anblick dasselbe gedacht hatte, ballte seine Hände zu Fäusten und erwiderte gepresst: „Dank einer gewissen Person wird es noch eine Weile Dauern, bis wir überhaupt an Bord eines solchen Raumschiffes gelassen werden.“

Er ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, wie sehr er sich in dieser Hinsicht irren sollte.

Rodrigo Esteban räusperte sich, mit einem verständnisvollen Lächeln auf den Lippen und sagte mit bedauerndem Tonfall: „Leider darf ich euch zwei nicht ins Innere des Kreuzers lassen. Aber außer einigen leichten Modifikationen der Konsolen und dem Maschinenraum gäbe es da ohnehin nicht viel Interessantes zu sehen.“

Die Freunde wandten sich zu ihm um und Kimi antwortete: „Danke für den Versuch uns aufzumuntern, Don Rodrigo. Und danke dafür, dass wir diesen Kreuzer überhaupt sehen durften, das entschädigt etwas für die vergangenen zweieinhalb Jahre.“

Dean Corvin, dessen Aufmerksamkeit sich auf den oberen Bug gerichtet hatte, las die Identifikationsnummer und meinte nachdenklich: XLC-H-01 – der Kreuzer gilt also als Experimental-Raumschiff. Hoffentlich bedeutet das nicht, dass sich die zukünftige Crew der NOVA SOLARIS auf ein Himmelfahrtskommando begibt.“

Rodrigo Esteban lachte erheitert. Aber nicht die Spur. Diese Klassifizierung als Experimentalschiff ist lediglich deshalb erfolgt, weil es einige grundsätzliche Verbesserungen an Bord des Kreuzers gibt, die jedoch noch nie praktisch getestet wurden. Die Systeme als solche sind absolut sicher und werden die Besatzung nicht gefährden. Es geht lediglich darum herauszufinden, ob sie wirklich so leistungsstark sind, wie erhofft.“

„Das wollen wir hoffen“, murmelte Dean Corvin und riss sich endlich vom Anblick des Kreuzers los und sah auf das Chrono-Feld seines Multifunktions-Armbandes. In seinen Augen spiegelte sich Begeisterung und Bedauern gleichzeitig, als er meinte: „Schade, dass wir nicht mehr länger bleiben können.“

Kimi nickte zustimmend und stellte eine letzte Frage, auf die externen Versorgungs- und Datenleitungen deutend. „Wie lange bleiben die denn noch dran?“

Rodrigo Esteban erwiderte: „Am ersten Januar werden wir sie feierlich abkoppeln. Bis dahin werden die letzten Daten extern übertragen und dann ist der Kreuzer auf dem allerneuesten Stand, was seine Programme und Datenbanken betrifft.“

Rodrigo Esteban blickte seine Freunde fragend an und erkundigte sich: „Was haltet ihr von einer Tasse Kaffee in meinem Büro, bevor ihr wieder zum Titan zurückfliegen müsst?“

Dean wechselte einen schnellen Blick mit Kimi. „Den nehmen wir noch mit.“

Auf dem Weg zurück in Rodrigo Estebans Büro erkundigte sich dieser bei seinen Freunden: „Es bleibt aber trotzdem dabei, dass ihr zu Silvester hierher kommt?“

Kimi Korkonnen bestätigte: „Ja, es sei denn, die Crew der NOVA SOLARIS kann auf die letzte Lieferung von Spezialwerkzeugen und Instrumenten verzichten, die wir extra vor ihrem Start vom Titan hierher liefern werden.“

„Der Kommandant würde euch was erzählen“, konterte der Spanier grinsend.

Sie erreichten das Büro und traten ein.

Während sich Rodrigo Esteban darum kümmerte den versprochenen Kaffee zuzubereiten fragte er mit veränderter Stimme: „Wie geht es übrigens Nayeli? Bleibt es dabei, dass ihr sie zu Silvester mitbringt.“

Kimi und Dean, die dem Freund bisher bewusst kein Wort über die Mexikanerin erzählt hatten, blickten sich verschwörerisch an. Dean Corvin überließ es dem Finnen Rodrigo die frohe Nachricht zu verkünden.

Kimi Korkonnen hüstelte unterdrückt und erklärte: „Nun, ich habe mich vor einiger Zeit mit Nayeli darüber unterhalten, ob sie nicht vielleicht einen Versetzungsantrag zu den lunaren Werften stellen möchte. Die schlechte Nachricht ist, dass Dean und ich, mit Beginn des nächsten Jahres, eine nette Kollegin verlieren werden. Die gute Nachricht ist, dass du dafür diese nette Kollegin zur Unterstützung deiner technischen Teams bekommen wirst.“

Rodrigo Esteban ließ den Löffel fallen, den er in die Hand genommen hatte und sah seine beiden Freunde mit ungläubiger Miene an. „Nayeli wird nach Luna versetzt?“

„Gestern Nachmittag erhielt sie den Bescheid, dass ihrem Versetzungsantrag stattgegeben worden ist“, bestätigte Dean Corvin, hob den Löffel auf und reichte ihn dem Freund. „Wir haben sie darum gebeten, nicht mit dir in Kontakt zu treten, damit wir dich heute damit überraschen können.“

„Das ist euch gelungen.“ Der Spanier strahlte über das gesamte Gesicht. „Eine tollere Nachricht hättet ihr mir gar nicht bringen können.“

Dean Corvin konnte sich vorstellen, was der Freund momentan empfand und er hoffte in seinem tiefsten Innern, dass er irgendwann eine Frau kennenlernen würde, die ebensolche Gefühle in ihm hervorrufen würde.



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