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DEAN CORVIN: 01. Das Ende des Imperiums

von

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KRIEGSVORBEREITUNGEN

 Die tiefstehende, blau-weiße Sonne des Systems schien durch die gewaltigen, hohen Fenster des Büros, in dem der Diktator der Konföderation Deneb hinter einem wuchtigen Schreibtisch stand, der diese Bezeichnung kaum verdiente. Das ausladende Möbelstück erinnerte mehr an eine geschwungene Raumschiffskonsole, was kaum verwunderlich war, denn in diesem gewaltigen Arbeitsraum liefen die Fäden eines Sternenreiches zusammen, welches aus 42 besiedelten Sternensystemen bestand. Dazu kamen schwer befestigte Flottenbasen in 73 weiteren Systemen, die keine geeigneten Planeten zur Kolonisierung besaßen, jedoch taktisch günstig an den Grenzen des Sternenreiches lagen.

Die gepflegten, kräftigen Hände auf den Rücken legend schritt der hochgewachsene, hagere Mann zu einem der Fenster, die vom Boden des zehn Meter hohen Raumes bis zur Decke hinauf reichten. Markante Linien hatten sich in das schmale Gesicht des Mitfünfzigers eingegraben und verliehen den ohnehin energischen Zügen zusätzlich eine ernste Note.

An den Schläfen des Mannes wies sein nussbraunes Haar bereits einige graue Strähnen auf. Anfangs hatte sich Laskarin Carom darüber geärgert, mittlerweile machte es ihm nichts mehr aus. Hauptsächlich deswegen, weil er sehr schnell festgestellt hatte, dass diese Äußerlichkeit ihn bei der Frauenwelt eher interessanter gemacht hatte.

Carom hätte es nie von sich aus zugegeben, doch eine gewisse Eitelkeit war ihm nicht abzusprechen. So war es keine Seltenheit, dass er sich dreimal am Tag umzog. Dabei bevorzugte er dunkle Farbtöne was seine Kleidung betraf – helle oder knallige Farben waren nicht sein Fall.

Laskarin Carom besaß allgemein etwas, das Frauen an ihm liebten, und ihn in ihren Augen interessant machte – und er war sich dessen bewusst. Dabei hatte er sich jedoch nie dazu überwinden können zu heiraten und eine Familie zu gründen. Nach seiner Ansicht verloren Männer, sobald sie erst einmal verheiratet waren, jegliche Eigeninitiative. Falls sie dann doch irgendwann einmal etwas Wesentliches auf den Weg brachten, so konnte man sich dessen sicher sein, dass die Ehefrau hinter dieser plötzlichen Initiative steckte. Nein – zu einem solchen Pantoffelheld zu werden, soweit wollte es Carom niemals kommen lassen. Ganz abgesehen davon liebte Carom die Abwechselung und hätte es bei einer einzigen Frau nicht sehr lange ausgehalten.

Ohne es bewusst wahrzunehmen strich sich der unumschränkte Herrscher der Konföderation Deneb über das linke Schulterstück seiner schwarzen Tunika, zu der er eine, ebenfalls schwarze Hose trug. Seine Füße steckten in halbhohen, dunkelbraunen Stiefeln, die farblich zu dem weitärmeligen Hemd passten, das Carom unter seiner Tunika trug. An den Handgelenken waren Diamantfäden in die Ärmel des Hemdes eingewebt, die im Licht der untergehenden Riesensonne funkelten wie flüssiges Silber.

Die harten, grauen Augen des Mannes blickten, zwischen den schmalen Schlitzen der verengten Lider hindurch, auf die großzügig und beinahe kreisrund angelegte Millionenmetropole der Stadt, in dessen Zentrum der Regierungspalast sich erhob. Die Hauptstadt von Denebarran, wie die ersten Siedler diesen Planeten getauft hatten, ließ vergessen, dass diese Welt, mit gerade einmal zwei Milliarden Bewohnern, in den meisten Gegenden nur sehr dünn besiedelt war.

Von Innen gezählt war Denebarran der neunte von insgesamt 28 Planeten, die Deneb umliefen. Denebarran war die, für Menschen, einzige bewohnbare Welt des Deneb-Systems. Analysen der geologischen Zusammensetzung, die von den ersten Siedlern des Planeten erstellt wurden ergaben, dass es sich bei Denebarran nicht nur um eine relativ alten Welt handelte, sondern dass sie älter war, als sein Zentralgestirn. Es handelte sich ohne Zweifel um einen Irrläufer, der irgendwann von Deneb eingefangen worden war. Auch die Neigung der Planetaren Umlaufbahn von 17 Grad zur mittleren Ekliptik der übrigen 27 Planeten zeugte von dieser Tatsache.

Während er in die Ferne sah, dachte Laskarin Carom daran, dass das Deneb-System, wegen seiner großen Distanz zum Sol-System erst im Jahr 2625 besiedelt worden war. Dies war während des Höhepunktes der Zweiten großen Expansionsphase der Menschheit, zwischen den Jahren 2570 und 2648 geschehen. Zwar endete damit die Auswanderungswelle von Terranern nicht, doch ab diesem Zeitpunkt wurden, bis zum heutigen Tag, nie wieder so viele verschiedene Gebiete des bekannten Weltalls innerhalb so relativ kurzer Zeit kolonisiert.

Auch gegenwärtig war dieses Sternensystem noch immer das am weitesten von Terra, entfernte System, das von Menschen kolonisiert worden war. Dabei war Carom froh um jedes der 2107 Lichtjahre, die zwischen Deneb und Sol lagen, denn er hasste das Zentrum eines Sternenreiches, das sich, nach seiner Ansicht, selbst überlebt hatte. Das Terranische Imperium hatte den Rubikon längst überschritten, ohne dass es den Verantwortlichen klar war. Anders als die Konföderation Deneb, die er, Laskarin Carom, zu wahrer Größe zu führen gedachte.

Nach dem Ausbruch des Interstellaren Krieges, im Jahr 2950, der bis dahin geeinten Menschheit, kam es im Deneb-System zum politischen Umsturz und eine straffe, militärisch organisierte Diktatur ersetzte die bis dahin gültige Demokratie. Im Zuge dieser Entwicklung lösten sich die Menschen des Deneb-Systems politisch vom Terranischen Reich und gründeten die Konföderation Deneb, zu dessen politischen und wirtschaftlichen Zentrum das Deneb-System bis heute geworden war. Und hier auf dem vierten Planet dieses Systems, liefen alle Fäden der Konföderation zusammen – sprich: bei ihm.

Laskarin Carom atmete tief durch und straffte sich. Wie so oft, wenn er diesen Gedanken nachhing, überkam ihn das Bewusstsein unumschränkter Macht, und er liebte dieses Gefühl. Mehr, als er alles andere was er liebte.

Ein beinahe diabolisches Lächeln überflog das Gesicht des Diktators, denn er gedachte, diese Macht schon sehr bald signifikant zu erweitern. Darum hatte er auch die wichtigsten Kommandeure der Kriegsflotte, die aus beinahe eintausend Einheiten bestand, für heute in den Regierungspalast einbestellt. Die Flotte der Konföderation war momentan die größte aller fünf Sternenreiche, und hinsichtlich der Pläne, die Carom momentan verfolgte, war das auch dringend notwendig. Denn schon bald würde die Hälfte diese Flotte zum Einsatz kommen, gegen eben jenes Sternensystem, in dem momentan der 17. November 3220 geschrieben wurde.

Der Diktator wurde in seinen Gedankengängen unterbrochen, durch das typische, leise Zischen des Panzerschotts, dass seine Zimmerflucht vom Vorraum trennte. Er brauchte sich nicht umzuwenden, um seine Rechte Hand, Aylana Beringaar, am Rhythmus ihrer Schritte zu erkennen. Sie war zudem die Einzige, die außer ihm selbst den Code kannte, um dieses Schott, ohne Risiko für Leib und Leben, öffnen zu können.

Laskarin Carom warf einen letzten Blick auf die unter ihm liegende Stadt, bevor er sich umwandte und Aylana ein sanftes Lächeln schenkte.

Wie immer saß ihre Kleidung, in diesem Fall ein blass-gelbes Trägerkleid das bis zu ihren Knien reichte, tadellos. Es schmiegte sich fließend um ihren schlanken Körper und brachte ihre weiblichen Vorzüge zur Geltung, was Carom nur unterbewusst zur Kenntnis nahm, da er daran längst gewöhnt war.

Laskarin Carom legte großen Wert darauf, dass eine Frau eine gewisse Affinität zu Stil und gutem Geschmack besaß, und in dieser Hinsicht hatte er sich bei Aylana nie beschweren können. Sie wusste die jeweilige Mode immer mit ihrem persönlichen Stil zu kombinieren.

Die, zu ihrem Kleid farblich passenden, hochhackigen Riemensandalen besaßen eine Schnürung, die über die straffen Waden der Frau, bis eine Handbreit unter ihre Knie reichte. Eine Kette aus dünnen Goldschnüren, die ein kompliziertes Muster auf ihrem Dekolleté bildeten, und zwei breite, dazu passende, ebenfalls goldene, Reifen, die sich aus filigranen Formen und Symbolen zusammensetzten, an den Handgelenken, rundeten das Erscheinungsbild der selbstbewusst wirkenden Frau ab.

Ihr langes, schwarzes Haar fiel in einer sanften Welle über ihrer rechten Schulter bis über die Brust hinab, und für wenige Augenblicke betrachtete der Diktator, wie es im Licht der untergehenden Sonne, beinahe metallisch schimmerte. Im nächsten Moment konzentrierte er sich ganz auf ihre sphinxhaften, grünen Augen.

„Aylana, was gibt es?“, fragte Laskarin Carom mit sonorer Stimme, obwohl er die Antwort darauf natürlich längst kannte. Er selbst war es gewesen, der die Mittdreißigerin mit den feingeschnittenen Gesichtszügen, angewiesen hatte, ihn nicht zu stören bis die Flottenkommandeure vollzählig eingetroffen waren. Er hätte mit keiner anderen Person in dieser Form Konversation gemacht, doch bei Aylana machte er eine Ausnahme, und das hatte einen einzigen Grund. Er mochte sie von Herzen.

Etwas, das einmalig war.

Dabei hegte er keinerlei romantische Gefühle für diese Frau. Aylana Beringaar war für ihn das, was einer platonischen Freundin am nächsten kam. Mochte ihm auch sonst jeder Mensch im Universum herzlich egal sein, für Aylana galt das nicht. Sie stand nun schon seit rund fünfzehn Jahren in seinen Diensten, und mittlerweile wusste Carom ganz sicher, dass sie keinerlei Machtambitionen besaß. Auch nicht die Ambition ihm menschlich näher zu kommen, als es bis heute der Fall war. Vielleicht war es genau das, was Carom besonders an ihr mochte. Ihr einziger Ehrgeiz bestand darin, ihren Posten als seine Rechte Hand pflichtbewusst und gewissenhaft zu erfüllen – und das tat sie.

Aylana Beringaar war, in der kurzen Liste von Caroms Vertrauten, die einzige Frau, und darüber hinaus die einzige Person, die nicht zum Militär gehörte. Anfangs hatte es deswegen einige Diskussionen mit seinen männlichen Vertrauten gegeben, doch Carom hatte seinen Kopf durchgesetzt, und Aylana hatte die Richtigkeit dieses Verhaltens bereits oft unter Beweis gestellt. Abgesehen davon war sie momentan der einzige Mensch, mit dem er sich duzte, und der ihn mit seinem Vornamen ansprechen durfte.

Mit einem feinen Lächeln ihrer geschwungenen Lippen andeutend, dass sie sein kleines Manöver ihrerseits durchschaut hatte, antwortete die hochgewachsene Frau mit glasklarer Stimme: „Die geladenen Generale sind vollzählig im kleinen Konferenzraum versammelt, Laskarin. Bis auf General Raskallan machen die Herren einen ziemlich angespannten Eindruck.“

Carom erlaubte sich ein fast jungenhaftes Grinsen und blickte über den Schreibtisch hinweg zu Aylana, die, wie schon so oft zuvor, drei Schritte vor dem Möbelstück stehengeblieben war, und ihre Hände vor dem Körper gefaltet hatte. Auch dieses gelöste Verhalten des Diktators wäre in der Gesellschaft keines anderen Menschen vorgekommen.

„Weißt du, wie oft ich mir schon gewünscht habe, den alten Haudegen Raskallan einmal wild zu erleben, Aylana? Ich gäbe etwas dafür, ihn nur ein einziges Mal richtig außer sich zu sehen, doch ich denke, diese Hoffnung wird sich niemals erfüllen.“

Grübchen bildeten sich auf der samtbraunen Haut ihrer Wangen, als Aylana Beringaar sich auf die Unterlippe biss, um ihre Heiterkeit im Zaum zu halten.

„Überschäumende Emotionen konnte man General Raskallan noch nie vorwerfen. Doch ich schätze, dass er ebenso gespannt darauf ist zu erfahren, wann genau Operation Schwarzer Stern abrollen soll. Er verbirgt es nur besser, als seine Kollegen.“

Das anfängliche Lächeln des Diktators vertiefte sich.

„Du sagst es, Aylana. Bitte unterrichte die Generale davon, dass ich in zwei Minuten bei ihnen sein werde.“

Mit einem angedeuteten Kopfnicken wandte sich die Frau ab und schritt, auf ihre unvergleichlich anmutige Weise, zum Schott hinaus, wobei Carom erst jetzt den raffiniert schrägen, tiefen Rückenausschnitt des Kleides zu sehen bekam. Im nächsten Moment schloss sich das Schott automatisch hinter Aylana Beringaar.

Laskarin Carom blickte sinnend auf das Schott, und wie schon so oft fragte er sich auch diesmal, warum er nie etwas mit Aylana angefangen hatte. Die Antwort war dieselbe, wie sonst auch: Weil ihm die Freundschaft mit ihr zu wichtig war, um sie auf solcherlei Art aufs Spiel zu setzen. Diese Freundschaft war etwas Besonderes, denn sie war echt.

Der Diktator sammelte sich. Er umrundete den Schreibtisch und folgte Aylana nun mit energischen Schritten.

Nachdem er den Vorraum passiert hatte, erwiderte er den militärischen Gruß der beiden Wachen, die zu beiden Seiten des Schotts standen, als er auf den Gang hinaus trat, und bog nach Rechts ab. Mit jedem Schritt den er ging verhärteten sich seine Gesichtszüge und nahmen jenen unnahbaren Ausdruck an, den man von ihm gewohnt war. Der umgängliche Laskarin Carom, der durchaus menschlich sein konnte, blieb auch weiterhin allein Aylana Beringaar vorbehalten. Diese Wandlung des Mannes war schon unzählige Male vor sich gegangen, immer dann, wen er sich mit Aylana unter vier Augen unterhalten hatte, und auch dieses Mal nahm er es nicht bewusst wahr.

Als Laskarin Carom wenig später jenen Konferenzraum betrat, in dem für gewöhnlich die wichtigsten, militärischen Entscheidungen fielen, erinnerte nichts mehr an den Mann, der er für die Augen einer hübschen Frau noch vor wenigen Momenten gewesen war. Nun war er wieder der fanatisch ambitionierte Diktator der Konföderation Deneb.

Die fünf Anwesenden, alle die perlnachtblaue Uniform der Konföderation Deneb tragend, erhoben sich bei seiner Ankunft, wie auf ein geheimes Signal hin, beinahe gleichzeitig und salutierten dem Protokoll entsprechend.

Laskarin Carom begab sich zum Kopfende des länglich ovalen Besprechungstisches, in dessen Zentrum ein Hologramm-Projektor installiert war, der von jedem Platz aus aktiviert und genutzt werden konnte. Als er sich setzte gab er den Generalen mit einer knappen, herrisch wirkenden, Geste zu verstehen, es ihm gleichzutun.

Flottengeneral Orson Brent Raskallan, der Carom gegenüber am anderen Ende des Tisches saß, legte seine großen Hände auf die Tischplatte und erwiderte den Blick seines höchsten und zugleich einzigen Vorgesetzten, mit verschlossener Miene. Der vierschrötige, wuchtig gebaute, Mann war sich seiner Stellung als zweitmächtigster Mann innerhalb der Konföderation bewusst und entsprechend selbstsicher war sein Auftreten. Die Ansichten des Diktators in Bezug auf feste Bindungen nicht teilend, war Raskallan nun seit mehr als fünfundzwanzig Jahren verheiratet und Vater von insgesamt vier Kindern.

Ein wenig hatte es Laskarin Carom immer gewurmt, dass ausgerechnet Raskallan seine Ansicht, was verheiratete Männer betraf, Lügen strafte. Carom sagte sich dabei jedes Mal, dass der Flottengeneral die berühmte Ausnahme der Regel war. Dennoch passte es ihm nicht so recht, und er hätte es den hoch aufgeschossenen, breitschultrigen Mann ganz sicher spüren lassen, wäre er nicht ein so brillanter Raumstratege gewesen.

Der Blick des Diktators wanderte vom Chef des Stabes zu dessen Stellvertreter, General Arne Riekenbrauk, einem hageren, hoch aufgeschossenen Mann mit eingefallenen Wangen und schlohweißem Haar.

Rechts von Riekenbrauk saß Generalmajor Tarun Al-Misra, ein mittelgroßer, etwas fülliger, Mann in mittleren Jahren, dessen harmlos wirkendes Äußeres über seine, teilweise perfide, Raffinesse hinwegtäuschte. Er führte den Geheimdienst der Konföderation Deneb.

Zu Raskallans Linker hatte sich, wie schon zu vielen anderen Meetings diese Art, General Nor Zul Kurumu, ein dunkelhäutiger Riese, von über zwei Metern Körpergröße, niedergelassen. Gegen ihn wirkte selbst Raskallan klein. Kurumu kommandierte und führte die gesamte Kriegsflotte der Konföderation. Der Riese hatte mehr Zeit seines, beinahe sechzigjährigen, Lebens auf Raumschiffen verbracht, als auf Planeten der Konföderation.

Den Letzten im Bunde bildete Generalleutnant Thore Grenqvist, ein relativ junger, aufstrebender Flaggoffizier, der erst seit Kurzem den Oberbefehl über die Raumlandetruppen der Konföderation übernommen hatte. Sein schulterlanges Haar war fast ebenso hell, wie das von Riekenbrauk, nur nicht weiß, sondern weißblond.

Zuletzt richtete sich Laskarin Caroms Blick wieder auf Flottengeneral Raskallan und der Diktator sagte auffordernd: „General Raskallan, bitte geben Sie uns einen Überblick, in wie weit unsere Kriegsflotte bereit zur Eroberung des Sol-Systems ist.“

Der Angesprochene aktivierte den Holo-Projektor. Eine drei Meter durchmessende Hologramm-Kugel entstand über dem Projektor und zeigte einen Bereich des Weltraums, dessen Durchmesser bei 5000 Lichtjahren lag. Eine Besonderheit dieses Projektor-Systems war, dass alle Beteiligten die gezeigte Szene aus derselben Perspektive sahen.

Im Zentrum des gezeigten Bereichs lag das Sol-System. Anders, als die restlichen terranischen Sternensysteme leuchtete sein Symbol nicht in Gelb, sondern in reinem Weiß, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein Angriffsziel handelte. Raskallan nahm einige schnelle Einstellungen vor und drei Sternensysteme der Konföderation, an der Grenze zum Terranischen Imperium, die rot dargestellt wurden, begannen zu blinken.

Der Chef des Stabes deutete auf die drei blinkenden Symbole und erklärte, mit gewohnt rauer Bass-Stimme: „Die Einheiten der Kriegsflotte befinden sich in voller Gefechtsbereitschaft. Das Gros der Flotte verteilt sich auf drei Bereitstellungs-Sektoren, wobei die Erste, Sechste und Siebente Flotte in der Nähe von Delta-Cephei manövriert. Diese Ballung an Kriegsschiffen hat, soweit der Geheimdienst korrekte Daten geliefert hat, wunschgemäß unsere terranischen Nachbarn nervös gemacht. Die Terraner haben zumindest ihre Präsenz in Richtung des Sektors auffallend erhöht. Es handelt sich, nach Auswertung der neuesten Daten um etwa drei Flotten, also rund dreihundert Kriegsschiffe. Danach wurde die restliche Flotte der Terraner zu weiteren, strategisch wichtigen, Randsektoren des Terranischen Imperiums beordert.“

Flottengeneral Raskallan nahm einige weitere Schaltungen vor und gelbe Symbole, von denen jedes für eine terranischen Flotte stand, leuchteten, mit Entfernungsangaben die besagten, dass sie sich zwischen 600 und knapp 900 Lichtjahren vom Sol-System entfernt, aufhielten. Dabei leuchteten drei gelbe Symbole dicht bei Delta-Cephei auf.

Raskallan deutete auf diese drei Symbole und fuhr fort: „Der terranische Flottenstab reagiert damit wunschgemäß. Ein günstiger Nebeneffekt ist, dass die Farradeen-Allianz zwei Flotten aus den Randsektoren zu den Plejaden zurückbeordert hat. So richtet sich die Aufmerksamkeit der Terraner nicht allein auf uns, denn für die Terraner muss das so aussehen, als habe die Allianz auch etwas vor.“

Raskallan ließ zwei weitere Flottensymbole, diesmal in Blau gehalten, aufleuchten. Dann ließ er eine Kursmarkierung für die drei eigenen Flotten bei Delta-Cephei erscheinen und bewegte sie zu einem Punkt, der um rund dreißig Grad versetzt, auf halbem Weg zwischen den drei Flotten und Deneb lag.

„Sobald unsere Flotten, die bei Delta-Cephei stehen dann zunächst Fahrt in Richtung Hantelnebel aufnehmen, und wir uns somit scheinbar tiefer in unser eigenes Territorium zurückziehen, wird die Allianz von den Terranern umso argwöhnischer beäugt werden. Dass unsere drei Flotten im Hyperraum den Kurs wechseln, und direkt nach Sol vorstoßen werden, das werden die Terraner im günstigsten Fall erst dann mitbekommen, wenn sie bereits tief in deren Territorium eingedrungen sind. Wenn überhaupt. Zwei weitere Kriegsflotten, die Zweite Flotte und die Dritte Flotte, werden sich so in Marsch setzen, dass sie kurz nach diesen drei Flotten bei Sol erscheinen.“

Orson Brent Raskallan deaktivierte den Holo-Projektor und blickte auffordernd zum Chef des Geheimdienstes.

Tarun Al-Misra verstand den Wink und räusperte sich. Er gab sich Mühe seine Stimme ruhig und tief klingen zu lassen. Wie schon so oft misslang der Versuch.

Zu Laskarin Carom gewandt begann er, den kleinen Seitenhieb Raskallans zurückgebend: „Nun, die Berichte meiner Agenten sind absolut korrekt, Erhabener. Der Flottenstab der Terraner rechnet nicht mit einem Angriff auf das Herz ihres Reiches. Im Gegenteil, unsere Agenten haben durch gezielte Desinformation Gerüchte geschürt, wir würden einen Angriff auf die Farradeen-Allianz planen. In wie weit diese Aktion ein Erfolg ist lässt sich aber erst in zwei bis drei Wochen erkennen. Der Leiter der Sektion-Mars hat Kontakt zu einem Offizier der Terranischen Flotte aufgenommen, der von ihm rekrutiert werden konnte. Er wird, zusammen mit zwei weiteren Überläufern, dafür sorgen, dass unser Angriff erfolgreich verläuft.“

„Ich traue keinen Verrätern, die sich für Geld kaufen lassen“, warf Raskallan mit einem giftigen Blick auf den Befehlshaber des Geheimdienstes polternd ein. „In welchem Bereich der Terranischen Flotte sind diese drei Überläufer tätig?“

Al-Misra grinste süffisant, fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel, und erwiderte: „Das wird Ihnen gefallen, Herr Kollege. Alle drei Überläufer sind Offiziere des Terranischen Geheimdienstes. Alle drei Offiziere wollen keine Bezahlung sondern die Zusage, unserem Geheimdienst beitreten zu dürfen, jeweils im Rang eines Majors.“

„Das besagt nichts darüber, ob man ihnen trauen kann“, beharrte Raskallan.

Laskarin Carom beobachtete abwartend, wie Tarun Al-Misra sich im Sessel zurück lehnte und die Hände über dem Bauch verschränkte. Er gewann den Eindruck, als habe der Chef des Geheimdienst die eigentliche Bombe noch nicht platzen lassen, und er sollte nicht enttäuscht werden.

Der Beleibte blickte lächelnd zu Raskallan und gab zurück: „Was würden Sie sagen, wenn uns einer dieser Überläufer bestätigt hätte, was mehrere unserer eigenen Agenten, in den vergangenen Monaten, schon mehrfach andeuteten? Nämlich, dass die Terraner kurz vor der Fertigstellung eines neuen Kreuzer-Prototyps stehen. Dieser Überläufer hat den Kreuzer nicht nur mit eigenen Augen, in einer hoch geheimen Luna-Werft, gesehen, sondern er weiß auch, wo auf dem Erdtrabant die Geheimbasis liegt. Nach letzten Berichten werden die Systeme des Experimental-Kreuzers momentan getestet und der erste Testflug ist, nach mehreren, kleinen Sabotagen an den Schiffssystemen, für den Beginn des neuen Jahres anberaumt worden. Wir sollten von daher möglichst den Angriffstermin zum Jahreswechsel einhalten, damit uns der Kreuzer in die Hände fällt. Wenn möglich, auch seine Entwickler. Falls dieser Überläufer nicht übertrieben hat, so ist die Schlagkraft dieses Prototyps enorm. Sofern wir ihn und die Pläne erbeuten können, wäre das von entscheidender Bedeutung für alle Unternehmen, die wir in Zukunft auszuführen gedenken.“

Für einen langen Moment blieb es still am Tisch, nachdem der Beleibte geendet hatte.

Es war Arne Riekenbrauk, der schließlich das Schweigen durchbrach. Der einschmeichelnd angenehme Klang seiner Stimme war dabei dazu angetan, Uneingeweihten den scharfen Intellekt des Generals zu verschleiern.

„Ich teile General Raskallans Bedenken. Wer sagt Ihnen, dass das Ganze nicht eine Falle ist, die der Terranische Geheimdienst ausgelegt hat?“

Tarun Al-Misras Augenlider verengten sich etwas. Dann antwortete er: „Lassen Sie es mich so sagen: Ich verstehe etwas von meinem Handwerk. Aber zu Ihrer Beruhigung: Mein Sektionsleiter auf dem Mars wird die drei Überläufer auf Herz und Nieren prüfen. Er wird deren Gesinnung definitiv feststellen, und ich versichere Ihnen, alle Drei werden von unseren Leuten ordentlich in die Mangel genommen. Die drei Überläufer haben sich ihrerseits damit einverstanden erklärt. Sollten Zweifel aufkommen, werden sie liquidiert und meine eigenen Agenten übernehmen die Aufgaben der Überläufer. Stellt Sie das zufrieden?“

Arne Riekenbrauk nickte unmerklich und wechselte schnelle Blicke mit General Raskallan und dem Diktator.

Laskarin Carom erwiderte die Blicke seiner beiden höchsten Offiziere und meinte dann bestimmt zum Chef des Geheimdienstes: „Machen Sie es so.“

Generalleutnant Thore Grenqvist, der bisher, so wie General Nor Zul Kurumu auch, geschwiegen hatte, beugte sich etwas im Sessel vor. Die kurze Pause nutzend wandte er sich zu Al-Misra und fragte knapp, wie es seine Art war: „Kennen ihre eigenen Agenten die Anlage, in der besagter Prototyp gebaut wird, genauso gut, wie die Überläufer, und wäre es ihnen, oder besagten Überläufern, möglich, noch vor dem Angriff einen Grundriss der Geheimwerft, inklusive aller gangbaren Zugänge, zu besorgen?“

„Daran habe ich bereits selbst gedacht und sie besorgen lassen. Übrigens von besagten Überläufern. Sie werden diese Unterlagen, im Anschluss an diese Besprechung bekommen, Grenqvist“, versprach der Beleibte.

Thore Grenqvist blickte mit leisem Unglauben zu Al-Misra.

„Haben Sie diese Unterlagen geprüft? Was macht Sie sicher, dass sie echt sind, und keine Falle der Terraner darstellen?“

Tarun Al-Misra beugte sich etwas in seinem Sessel nach vorne und antwortete überlegt: „Die junge Frau, die nach der Meinung unseres Mannes auf dem Mars am wertvollsten für unsere Pläne ist, hat ihn, vor wenigen Wochen, in den Luna-Komplex mitgenommen, als einen ihrer Untergebenen getarnt. Er konnte sich also ein ungefähres Bild des Komplexes machen und er ist sich sicher, dass diese Pläne keine Falle sind.“

Weitgehend überzeugt nickte Grenqvist und stellte eine Frage, die sich auch auf den Gesichtern der übrigen Anwesenden abzeichnete.

„Warum überhaupt ein Risiko mit den Überläufern eingehen?“

„Weil sich die drei Überläufer einerseits besser vor Ort auskennen, und sie effektiver die Abwehr des Sol-Systems sabotieren können, als meine eigenen Agenten. Das Risiko wäre ohne die Überläufer größer, als mit ihnen.“

Nor Zul Kurumu, der die Unterhaltung aufmerksam verfolgt hatte, wandte sich direkt im Anschluss an Grenqvist: „Generalleutnant, ich schlage drei Trupps vor, die auf meinem Flaggschiff und auf zwei meiner Geleitkreuzer stationiert werden. Ihre Teams und die Crews der Schiffe können dann das Landemanöver gemeinsam trainieren und sich so auf einander einspielen, bevor es ernst wird.“

Carom ergriff das Wort und sagte, an die beiden Generale gewandt: „Besprechen Sie bitte die Einzelheiten später, meine Herren.“

Er blickte hinüber zu Riekenbrauk und Raskallan, bevor er hinzufügte: „Ihre grundsätzliche Planung ist genehmigt, meine Herren. Ich werde sie später noch einmal zusammenrufen, sobald auch die Einzelheiten festgelegt sind. Generalmajor Al-Misra, Sie bleiben noch einen Moment lang hier, der Rest von Ihnen, meine Herren, kann wegtreten.“

Tarun Al-Misras Offizierskollegen verstanden den Wink und verließen den kleinen Konferenzraum.

Nachdem sie gegangen waren blickte Laskarin Carom den Chef des Geheimdienstes prüfend an und sinnierte: „Da haben sie Riekenbrauk eben ganz hübsch sarkastisch was vor den Latz geknallt, mein Lieber. Dabei hat der General lediglich das ausgesprochen, was auch ich mich insgeheim gefragt habe. Sie sollten sich einen Mann wie Arne Riekenbrauk nicht zum Feind machen, Al-Misra.“

Die zur Schau gestellte Überraschung des Geheimdienst-Chefs wirkte echt, als er ruhig erwiderte: „Es war absolut ernst gemeint, Erhabener. Ich bin mir vollkommen sicher, dass die offiziellen, terranischen Stellen keine Ahnung von dem haben, was passieren wird.“

Laskarin Carom erhob sich aus seinem Sessel, und der Chef des Geheimdienstes tat es ihm gleich. Langsam näherte sich der Diktator dem Beleibten und legte ihm seine rechte Hand auf die Schulter, wobei er sich etwas vorbeugte und fast flüsternd sagte: „Das hoffe ich für Sie, Generalmajor, denn falls Sie sich irren, wird es Sie den Kopf kosten. Und das meine ich durchaus wörtlich. Wir verstehen uns?“

Al-Misra fröstelte leicht, bei dem kalten Ausdruck in den Augen des Diktators. Er schluckte, nickte leicht und erwiderte mit kratziger Stimme: „Ja, Erhabener.“

„Dann will ich Sie nicht länger von ihren Pflichten abhalten, Generalmajor.“

Tarun Al-Misra salutierte und der Diktator blickte dem Beleibten sinnend hinterher, als dieser sich hastig entfernte. Eine Weile verharrte Carom so, scheinbar abwesend, bis ein leichtes Lächeln seine Lippen überflog und er sich ebenfalls zum Ausgang begab. Wie immer, nach solchen Zusammenkünften war ihm danach, mit Aylana über den Verlauf der Besprechung zu diskutieren, und ihre Meinung dazu zu hören.

 
 

* * *

 

In der ewigen, sternengesprenkelten Schwärze des Weltalls, nur wenige Dutzend Lichtjahre außerhalb des Cephei-Systems, glitt die Armada von annähernd dreihundert Kriegsschiffen der Konföderation Deneb, in weit auseinandergezogener Formation dahin.

Die kleinsten Einheiten der drei Flotten bildeten die schnellen Fregatten, mit einer Länge über Alles von 147 Metern. Neben einem der gewaltigen Schlachtkreuzer, mit einer lichten Länge von 952 Metern die größten Kriegsschiff-Einheiten der fünf Sternenreiche, wirkten sie beinahe verloren, und doch waren sie, in kleinen Gruppen, ein ernst zu nehmender Gegner, selbst für die unbezwingbar erscheinenden Schlachtkreuzer.

Daneben gab es noch drei weitere Schiffsklassen, die Zerstörer, mit einer Länge von insgesamt 254 Metern, die Leichten Kreuzer, ebenso lang, wie ihre Gegenstücke aus den anderen Sternenreichen, und die Schweren Kreuzer, mit einer Gesamtlänge von 648 Metern. Alle Schiffsklassen wiesen, etwas aus der Mitte, nach hinten versetzt, eine leichte Einschnürung auf. Zu dieser Einschnürung hin, die etwa ein Siebtel des gesamten Schiffes ausmachte, und zu beiden Enden der Raumer, wiesen alle diese Kriegsschiffe eine leichte Abschrägung auf.

Im horizontalen Graben, der den gesamten Schiffskörper umlief, waren die lateralen Schildemitter, Torpedo-Abschussröhren, diverse Sensoren und letztlich auch die seitlichen Antriebsaggregate integriert. Vier längliche Antennen-Pods ragten weit nach vorne, wobei die beiden größeren, außen liegenden Pods, die Scannereinheiten zum Flug im Hyperraum beinhalteten, während die Scanner in den kürzeren und weniger durchmessenden Pods dazwischen, für die Navigation im Normalraum gebraucht wurden.

Eine Phalanx von drei Antennen, für Normal- und Hyperfunk, erhob sich aus dem oberen Bereich der Schiffseinschnürung eines jeden Kriegsschiffs.

Sämtliche Einheiten waren mit phasengesteuerten Plasmakanonen und Weltraum-Torpedos, die über ein ausgeklügeltes Zielsuchsystem verfügten, bestückt. Auf einigen der älteren Flotteneinheiten gab es zudem noch einige, mittlerweile veraltete, Railguns, die Explosiv-Projektile mit annähernd Lichtgeschwindigkeit verschossen.

Geschützt wurden die Kriegsschiffe von so genannten Dual-Schilden. Dabei handelte es sich um einen hochgespannten Energieschild mit einer zweifachen Staffelung. Im Normalbetrieb diente der äußere Schild der Abwehr von festen Objekten, wie Torpedos, oder anderweitigen Waffen-Projektilen, während der innere Schild Explosions- und Waffenenergie abwies. Diese Zweifachstaffelung war notwendig, da einfache Energieschilde, selbst die neuester Fertigung, nicht Energiestrahlen und Projektile gleichzeitig abwehren konnten.

Die Dual-Schilde der Schiffe wurden dabei von lateralen Schildemittern erzeugt und so der Form des zu schützenden Objektes angepasst, dass zwischen Raumschiff und Schild nicht mehr als zehn Meter Distanz entstand. Die doppelt gestaffelten Schilde konnten notfalls so umgeschaltet werden, dass beide Schilde nur Energie oder nur feste Objekte abwehren konnten. In Notfällen darum, weil es zwar einerseits den Schutz gegen Waffenenergie oder Projektile verdoppelt, andererseits aber das zu schützende Objekt für eine der beiden Bedrohungen verwundbar machte. Zudem nahm das Zurückschalten in den Normalmodus einige Sekunden in Anspruch, was das zu schützende Objekt in dieser Zeit angreifbar machte.

Schwerkraftgeneratoren, an Bord der Raumschiffe sorgten dabei für eine konstante Gravitation von einem Gravo. Dieses System bestand im Grunde aus zwei getrennten Komponenten. Dem eigentlichen Generator zur Erzeugung, schnell in der Polarität wechselnder, Elektro-Magnet-Felder, und flache, elastische Emitter in Wabengitter-Form.

Die nur wenige Millimeter hohen Wabengitter waren in die Böden der Raumschiffs-Decks eingelassen. Wurden die Emitter aktiviert, so entstand durch die schnell fluktuierenden Magnetfelder, zu den Emitter-Gittern hin, eine künstliche Raumkrümmung, wobei die Wabenstruktur dafür sorgte, dass diese Krümmung gleichmäßig erfolgte, und nicht zu einem einzelnen, bestimmten Punkt des Emitters hin. Eine spezielle Verbundlegierung auf einer Seite der Waben-Emitter sorgte dabei dafür, dass der Raum nur auf einer Seite der Emitter zu ihnen hin gekrümmt wurde, und nicht auf beiden Seiten.

Über die Steuerung des eigentlichen Generators konnte stufenlos ein Gravitationswert zwischen -2,7 Gravos und +2,7 Gravos eingestellt werden.

Zusätzlich wurden die Besatzungen der Raumschiffe durch ein System von Andruck-Neutralisatoren vor den Beharrungskräften bei hohen Beschleunigungen geschützt. Dieses sehr wichtige System war redundant ausgelegt, weshalb es, seit dem Bestehen bewaffneter Raumverbände, ab dem Jahr 2400, noch nie zu tödlichen Unfällen aufgrund zu hoher Beschleunigungskräfte an Bord eines Raumschiffs gekommen war.

Rein äußerlich glichen die Kriegsschiffe der Konföderation weitgehend ihren Pendants der anderen vier Sternenreiche, bis auf die blutroten Hoheitsabzeichen und Einheits-Markierungen auf der Panzerplattierung. Dabei stachen zehn der Kriegsschiffe durch jeweils drei zusätzliche, vertikale Streifenmarkierungen heraus. Bei diesen Kriegsschiffen handelte es sich um die Garde-Flottille, an deren Spitze General Nor Zul Kurumus Flaggschiff stand. Die blutroten Markierungen standen für den Elitestatus ihrer Besatzungen, die als die besten und loyalsten der Konföderation galten, und das nicht zu Unrecht.

Hin und wieder schimmerte der Lichtreflex einer nahen, namenlosen Sonne, in deren Nähe sich die drei Flotten aufhielten, auf den mittelgrauen Oberflächen der Raumschiffe, die aus einer exotischen Stahl-Kunststoff-Legierung bestanden. Ansonsten hoben sich die Kriegsschiffe nur durch das typische, blaue Leuchten der Antriebsaggregate von der Schwärze des Weltalls ab.

Die Besatzungen der drei Flotten warteten – doch nur eine Handvoll von hohen Offizieren an Bord des Flaggschiffs PANDORA wusste worauf. Einerseits, weil das geplante Unternehmen naturgemäß der absoluten Geheimhaltung unterlag, um dem Gegner keine Gelegenheit zu geben etwas darüber herauszufinden. Andererseits, um die eigenen Truppen nicht frühzeitig in eine hysterische Stimmung zu versetzen. Gerüchte gab es ohnehin mehr als genug an Bord der Kriegsschiffe. Jeder der Raumfahrer ahnte, dass eine Großaktion bevorstand. Die meisten von ihnen glaubten jedoch an ein Großmanöver, um bei den terranischen Handelspartnern Vergünstigungen für die Wirtschaft der Konföderation durchzusetzen, was nicht zuletzt daran lag, dass General Kurumu genau dieses Gerücht gezielt hatte streuen lassen.

Die Kommandanten der Kriegsschiffe ließen ihre Bordtechniker beinahe rund um die Uhr an sämtlichen Aggregaten arbeiten, damit sie die volle Leistung bringen konnten, sobald der Einsatz startete. Allein für die Strecke von etwa 1200 Lichtjahren, den Haken, den die Einheiten in Richtung des Hantelnebels schlagen würden, mit eingerechnet, brauchten die Flotten der Konföderation rund 14 Tage, bei etwa 95 Prozent der maximalen Leistung, der Überlichttriebwerke. Die Einheiten mussten also spätestens am 17. Dezember aufbrechen, wollten sie, wie geplant, zum Jahreswechsel das Sol-System erreichen.

Um ganz sicher zu gehen, rechtzeitig vor Ort zu sein, hatte General Kurumu den Starttermin dieser Flotten, auf den 14. Dezember festgesetzt und Generalleutnant Thania Selaris, die Kommandeurin der Ersten Flotte, dahingehend informiert. Momentan erfüllte sie, während Kurumus Abwesenheit, dessen Funktion als Oberkommandierender.

Neben den technischen Arbeiten standen für die Besatzungen des Weiteren Drillübungen, und für die Brückenoffiziere schnelle Formationswechsel, auf dem Programm. Alles sollte am Ende reibungslos funktionieren. So trieben die zuständigen Offiziere und Unteroffiziere ihre Untergebenen immer wieder an und hielten sie auf Trab.

Ein nützlicher Nebeneffekt dieser Schinderei war, nach Ansicht der führenden Köpfe des bevorstehenden Unternehmens, der, dass Niemand die Zeit fand zu viel zu Grübeln, oder Fragen zu stellen. Die Militärdoktrin der Konföderation besagte unter Anderem, dass ein einfacher Soldat weniger zu fragen, als zu funktionieren habe. Natürlich wollte man in der Konföderation keine stupiden Befehlsempfänger, aber andererseits auch nicht zu viel Eigeninitiative. Dies war seit Jahrtausenden die größte Angst diktatorischer Regierungen, und die Regierung der Konföderation Deneb bildete diesbezüglich keine Ausnahme.

Nachdem General Kurumu seine Stellvertreterin, per abhörsicherem Richt-Hyperkom-Spruch, davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Diktator die grundsätzliche Angriffsplanung genehmigte, hatte Thania Selaris die zwei übrigen Flottenkommandeure zu sich auf das Flaggschiff gebeten und hatte mit ihnen, wie von Kurumu während der Hyperkom-Unterredung angeordnet, nochmal sämtliche Details des geplanten Angriffs auf das Sol-System erörtert. Während dieser Zusammenkunft hatte Selaris ihren beiden Kollegen zusätzlich die vorläufigen Angriffsziele der einzelnen Flottenverbände genannt, mit dem Hinweis, dass diese sich noch in den Details geringfügig ändern könnten.

Die letzten Grundsätzlichkeiten waren damit erledigt. Nun konnte man nur noch an den letzten Details arbeiten und darauf warten, dass der Einsatz beginnen würde.

 
 

* * *

 

Auch an einem anderen Punkt des Weltalls, auf Seiten der Farradeen-Allianz, dicht an der Grenze zum Raumgebiet des Terranischen Imperiums, in Richtung des Falkennebels, gab es Raumsoldaten, die warteten.

Einer der Ungeduldigsten unter ihnen war Generalmajor Arolic Traren, Kommandeur der Sonnenwind-Flotte. Bereits kurz nach dem Krieg von 2950 war auf Seiten der Farradeen-Allianz die Durchnummerierung der verschiedenen Raumflottenverbände, zugunsten einer individuellen Namensgebung, aufgegeben worden.

Traren, ein breitschultriger, untersetzter Mann im Alter von vierundfünfzig Jahren, nach Terra-Standard gerechnet, wanderte ruhelos in der Kommandozentrale des Flaggschiffs der Flotte, dem Schlachtkreuzer STELLARIS, auf und ab. Gelegentlich warf er, über die Schulter des Ortungsleit-Offiziers hinweg, einen Blick auf dessen Displays, um seine Wanderung durch das Kommandozentrum des Schlachtkreuzers danach wieder aufzunehmen.

Oberst Chiara Halloran, die eigentliche Kommandantin des Flottenflaggschiffs, die den Generalmajor nun seit fast einer halben Stunde bei seinem Tun beobachtete, erlaubte sich ein feines Schmunzeln. Sowohl optisch, wie auch charakterlich schien sie das genaue Gegenteil des Flottenkommandeurs zu sein. Mit einer Körpergröße von knapp 1,90 Metern überragte sie den Generalmajor um gut eine Handbreit. Ihre Geduld war scheinbar unbegrenzt, ganz im Gegensatz zu Traren, mit dessen Geduld es in den meisten Fällen nicht allzu weit her war.

Trotzdem verstand sich Chiara Halloran mit dem Generalmajor ausgezeichnet. Zehn Jahre jünger als Arolic Traren, wirkte die Kommandantin mitunter abgeklärter, besonders in Phasen wie gerade eben jetzt, wo Traren wirkte, wie ein eingesperrter Tiger.

Langsam erhob sich Chiara Halloran aus ihrem Kommandosessel, fuhr sich mit der linken Hand durch das schulterlange, dunkelbraune Haar und näherte sich Traren.

Der Generalmajor, momentan in einem Zustand, in der er alles sah und hörte, drehte seinen Kopf in Richtung der Kommandantin und warf ihr einen fragenden Blick zu. Seine großen Hände auf den Rücken legend erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme bei ihr: „Was halten Sie von dem massiven Aufmarsch der Konföderierten, Chiara?“

Die schlanke Mittvierzigerin sah dem Generalmajor auch heute seine Marotte nach, alle seine Untergebenen beim Vornamen zu nennen, und erwiderte mit sanfter Stimme: „Ich bin mir immer noch nicht recht im Klaren darüber, was die Flotten der Konföderation-Deneb bei Delta-Cephei wollen, General.“

Die dunklen Augen des Flaggoffiziers, die in eigenartigem Kontrast zu seinen grauen Haaren standen, funkelten wie glühende Kohlen, als er entgegnete: „Was sollen die da wohl wollen, Chiara. Die sind auf dem Sprung zum Falkennebel, und dann weiter, zu uns.“

„Sind wir es denn, die angegriffen werden sollen, falls das Ganze nicht doch nur ein groß angelegtes Manöver ist?“

Traren blickte seinen Oberst an, wie ein Wundertier, bevor er sinnend antwortet: „Eine wirklich hervorragende Frage, Chiara. Sie haben absolut Recht, vielleicht gilt dieser Aufmarsch jemand ganz Anderem. Aber in dem Fall sehe ich keinen Sinn in der Positionierung der konföderierten Flotten. Momentan sieht die Lage leider ganz so aus, als wolle man doch uns an den Kragen. Und darauf müssen wir vorbereitet sein.“

„Eine Reaktion unsererseits, die vielleicht genau so von der Konföderation beabsichtigt ist“, gab Chiara Halloran zu bedenken.

Trarens Miene drückte Zweifel aus. „Das wäre meiner Meinung nach nicht sehr klug. Warum sollten die uns alarmieren? Unvorbereitet wären wir doch ein viel leichteres Opfer.“

Die Schiffskommandantin nickte. „Dieser Widerspruch behagt Ihnen nicht.“

Auf der Stirn des Generalmajors bildete sich eine steile Falte. „Wer hat Ihnen erlaubt in meinen Gedanken zu lesen, Oberst Halloran?“

Die grauen Augen der Kommandantin blitzten vergnügt auf. Sie kannte den Generalmajor lange genug um zu wissen, dass er sie nur mit Titel anredete, wenn er sich einen Scherz erlaubte.

„Sie denken zu laut“, konterte die Frau trocken. Wieder ernster werdend und dabei zufrieden registrierend, dass Traren längst nicht mehr so nervös wirkte, wie noch vor wenigen Minuten, meinte sie dann: „Sie befinden sich nun seit mehr als zehn Stunden in der Zentrale, wie mir bei Dienstbeginn gemeldet wurde, Sir. Sie sollten sich vielleicht etwas ausruhen. Ich werde Sie rechtzeitig informieren lassen, falls sich die strategische Lage ändern sollte.“

Es schien zunächst so, als wolle der Generalmajor widersprechen, doch dann nickte er zustimmend und erklärte: „Sie haben Recht, Chiara. Was nützt ein übermüdeter General, der im Stehen einschläft, falls es ernst werden sollte?“

Eben, Sir!“

Arolic Traren warf der Kommandantin, ob der letzten Bemerkung, einen langen Blick zu und wandte sich schließlich ab.

Nachdem er die Zentrale, durch das Steuerbord-Schott verlassen hatte, marschierte er durch den, von indirekten Lichtquellen, angenehm beleuchteten, weißen Gang, in Richtung Bug. Obwohl es ein System von Lifts an Bord gab, benutzte Traren, knapp zwanzig Meter weiter, eine der, über das gesamte Schiff verteilten, Nottreppen, um zu seinem Quartier zu gelangen, das ein Deck unter dem Hauptdeck lag. Auch das gehörte zu seinen Marotten – um nicht zu träge zu werden, wie er stets sagte.

In seinem Quartier nahm der Generalmajor an seinem Schreibtisch Platz und aktivierte das Taktik-Holo. Er blendete die bekannten Positionen der Konföderierten Flotten ein. Danach die der Allianz. Für eine Weile blickte er vorgebeugt auf die Abbildung und lehnte sich dann im Sessel zurück, ohne das Holo aus den Augen zu lassen. Grübelnd legte er die Fingerspitzen gegeneinander.

Nach Arolic Trarens Meinung fiel der Bund von Harrel als potenzielles Angriffsziel aus, denn in diesem Fall hätte die Konföderation ihre Flotten anders positioniert. Um das Antares Sternenreich anzugreifen würden die Flotten der Konföderation den gesamten Raum des Terranischen Imperiums durchfliegen müssen, doch das würde einer Kriegserklärung gleichkommen, und für derartig wahnsinnig hielt Traren nicht einmal Diktator Carom. Sowohl die Raumsoldaten des Imperiums, als auch deren Kriegsschiffe, galten als die besten aller fünf Sternenreiche. Und das Imperium selbst zu überfallen kam, nach der Meinung von Traren, ebenfalls nicht in Frage. Dazu waren die imperialen Kolonien, insbesondere aber das Sol-System selbst, viel zu gut befestigt. Die planetaren Forts und die orbitalen Verteidigungsplattformen, bestückt mit den modernsten Waffen, würden allein schon ausreichen, um allen eventuellen Angreifern eine sehr nachhaltige Lektion zu verpassen.

Traren atmete tief durch, deaktivierte das Hologramm und schloss für einen Moment die Augen. Chiara Halloran hatte Recht gehabt – Der Widerspruch im Verhalten der Befehlshaber von der Konföderierten Deneb störte ihn. Oder gab es eine Unbekannte in der Gleichung, an die er bislang nicht einmal im Entferntesten gedacht hatte?

Nun, in wenigen Stunden würde die Sternenlicht-Flotte zu ihnen stoßen, um die Grenze, bei einem möglichen Angriff der konföderierten Flotten zusätzlich zu sichern. Alle übrigen Flotten befanden sich momentan in erhöhter Alarmbereitschaft, darauf vorbereitet einzugreifen, falls es zum Angriff kam.

Die Farradeen-Allianz war bereit.

Je mehr Traren darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher schien ihm ein solcher Angriff. Vermutlich hatte Halloran Recht, und es handelte sich bei den Manövern der konföderierten Flotten um nicht mehr, als ein erneutes Säbelrasseln in Richtung der Terraner.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte Arolic Traren noch nicht, wie sehr er sich irren sollte.



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