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Jedes Ende bringt auch einen neuen Anfang

von

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Wenn das neue Jahr anbricht, so hat man im besten Fall mit alten Dingen abgeschlossen und blickt der Zukunft mit Wünschen, Hoffnungen und Vorsätzen entgegen.

Was mich betrifft, verlief es jedoch genau andersherum: Kaum war der Januar da, hatte sich herausgestellt, dass rein gar nichts in Ordnung oder abgeschlossen war.

Ich seufzte tonlos und nahm einen Schluck von meinem Vanillelatte. Durch die großen Café- Glasscheiben auf die Hauptstraße blickend, stieg mir der Dampf des süßlichen Getränkes in die Nase. Dieser Geruch hätte mich lächeln lassen, doch bei meiner jetzigen Stimmung zuckten meine Mundwinkel nicht einmal.

Meine Hand reichte zum Sitzplatz neben mir, in meine dort liegende Tasche, und zog mein Smartphone hervor.

Keine weitere Nachricht.

Was hatte ich auch erwartet? Ich war eh schon überrascht gewesen, dass sie zugestimmt hatte.

... Nein, falsch. Ich war von mir selbst überrascht gewesen, dass ich sie noch einmal um ein Gespräch gebeten hatte.

Ich wollte es ruhen lassen – die ganze Zeit – aber spätestens, als ich zu meiner Lieblingsserie im TV zappte und sich dort verschiedene Abschiede ereigneten, wurde mir wieder die Wichtigkeit eines sauberen Abschlusses bewusst. Das und... der winzige Funken Hoffnung, den man immer irgendwo mit sich trug.

Mein Handy wieder in die Tasche verstauend, rührte ich mit dem Löffel den Latte um, starrte dabei missmutig nach draußen.

Es nieselte. Obwohl es bereits März war, war es kalt und die Sonne rar.

„Entschuldigung, ich bin mit der Bahn stecken geblieben.“

Ich ließ bei ihrem plötzlichen Auftreten beinahe den Löffel fallen.

Mich langsam umdrehend, sah ich sie nun nach vier Monaten wieder vor mir stehen. Sie hatte sich nicht groß verändert – ihre Haare waren länger geworden, trugen einen etwas anderen Farbton. Sie war nicht bedeutend dünner oder dicker geworden, hatte vielleicht etwas im Gesicht abgenommen.

Anders als sonst wirkte sie müde und angestrengt. Es war der typische Ausdruck, wenn irgendwo etwas am Dampfen war. Ganz anders als ich, die zunächst in solchen Situationen eine neutrale Maske beibehielt.

„Hallo“, entgegnete ich zu meiner eigenen Überraschung jedoch mit recht dünner Stimme. Meine Tasche vom Hocker nehmend, nahm sie Platz.

Schweigen drohte sich über uns zu legen. Dabei gab es genug zu reden, aber die Tatsache, dass wir überhaupt wieder miteinander sprachen, war einschüchternd genug.

„Es tut mir leid“, kam da doch ganz plötzlich von ihr und das sehr klar und deutlich, „Ich meine das ernst. Es tut mir wirklich leid, wie es gelaufen ist.“

Sie sah langsam zu mir auf, nahezu ängstlich, wie ich wohl reagierte.

„Das glaube ich dir, aber... das ist nicht das Problem.“

„Ich hätte mich bei dir melden sollen.“

„Schon, aber das meine ich auch nicht.“ Ich atmete einmal durch und versuchte eine bessere Erklärung zu finden: „Du hast gesagt, dass du das Gefühl hast, etwas hätte sich geändert. Das hat es auch.“ Ihr Umgang mit bestimmten Leuten seit letztem Jahr hatte sie negativ beeinflusst. Alles andere war wichtiger als ihre Freunde... mal wieder. „Ich... denke aber nicht, dass du die einzige bist, die sich verändert hat.“ In den fünf Jahren, die wir uns kannten, war in unser beider Leben zu viel passiert, als dass es keine Spuren hinterlassen hatte. Gemeinsame Wege konnten sich trennen oder weiterhin mit geringer Distanz nebeneinander existieren. Wir befanden uns gerade an der Weggabelung dieser beiden Optionen...

„Ich vermisse unsere Freundschaft“, sprach sie dann schließlich mit einem kaum hörbaren Seufzer in der Stimme.

„Ich auch...“, musste ich zustimmen, weitaus leiser als zuvor.

Natürlich vermisste ich diese.

Vermisste sie.

Sie war mir wichtig geworden.

Sehr wichtig.

Unsere Blicke kreuzten sich. Trotzdem schwiegen wir aber daraufhin.

Wussten wir nicht, wohin es uns führte? Oder... wussten wir es sogar zu genau?

Ich blickte nicht auf die Uhr, aber schätzte anhand der aus den Lautsprecher kommenden Musik, dass wir gut fünf Minuten unseren eigenen Gedanken nachgingen.

Ich schaute wieder zum Fenster hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne wagte sich hervor. Die letzten Strahlen, bevor sie für heute untergehen würde. Der Lichtkegel legte sich auf die Bäume am Straßenrand und beleuchtete die Äste, welche kleine, noch nicht erblühte Knospen trugen.

Es war beinahe wie ein Wink – der unumstößliche Hinweis zum Ende zu kommen.

Und ich verstand es...

Wir standen nicht an der Weggabelung.

Wir befanden uns jede auf ihren eigenen Pfad mit größer werdende Distanz zueinander.

Nur für diesen Moment stehengeblieben. Unsere Entscheidung hatten wir längst getroffen.

Die Stille zwischen uns war für mich jetzt Anlass genug, meine Tasche zu nehmen und aufzubrechen.

„Vielleicht... sieht man sich mal. Danke, dass du dir Zeit genommen hast.“

Und selbst jetzt kam kein weiterer Ton von ihr.

Ich überlegte, noch einmal einen Blick zurückzuwerfen, aber entschied mich dagegen. Stattdessen stand ich auf und verließ ruhigen Schrittes das Café.

Ich verspürte keinen Schmerz, keine Trauer – stattdessen aufkommende Erleichterung. Als ich draußen auf der Straße stand und die frische Frühjahrsluft einatmete, ging diese komplett auf mich über. Die Sonnenstrahlen wärmten meine Haut. Ich genoss dieses Gefühl, schloss deshalb einen Moment lang die Augen.

Besser...

Ich fühlte mich noch nicht gänzlich befreit, aber zumindest weitaus mehr als in den letzten vier Monaten. Beschwingter. Nicht mit dieser Last auf dem Herzen und in meinem Kopf.

Es würde noch einige Situationen geben, in denen ich grübeln würde oder etwas traurig wäre. Das war normal. Trotz allem war dies ein längst überfälliger Abschluss, den ich gebraucht hatte.

Ich sah wieder vor mir, sah zu den Baumkronen auf, auf denen ein paar Vögel Platz gefunden hatten. Mit zarten Ziepen riefen sie einander zu, riefen nach dem Frühling.

Der Frühling, welcher zu lange auf sich hatte warten lassen.

Aber selbst wenn das Wetter auch weiterhin so regnerisch bliebe... ich würde nicht mehr zulassen, dass sich jener auch auf mich auswirkte.

Zeit, weiterzugehen.

Zeit, sich wieder wie die Bäume, das Gras, die Blumen erneut zu erheben und dem neuen Jahr entgegenzublicken.

Diesmal wirklich..



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kerstin-san
2017-06-21T16:52:58+00:00 21.06.2017 18:52
Hallo,
 
wirklich ein schöner One-Shot. Trotz der Kürze hast du es trotzdem geschafft die Emotionen und Gefühle glaubhaft rüber zu bringen und was mir auch sehr gut gefällt, ist die Ich-Perspektive, weil ich die nämlich allgemein recht gerne lese.
 
Den Wunsch mit dem sauberen Abschluss kann ich sehr gut nachvollziehen, weil ich vor einiger Zeit in einer ähnlichen Situation war und genau diesen Abschluss verpasst hab. Im Nachhinein hab ich mich wahnsinnig darüber geärgert und würde es auch kein zweites Mal mehr so laufen lassen, aber hinter her ist man ja immer schlauer.
 
Man merkt auf jeden Fall, dass die beiden sich mal viel bedeutet haben und das es beiden Seiten nicht leicht fällt sich diesen endgültigen Bruch einzugestehen. Dieses Fünkchen Hoffnung, das zu Beginn des Gespräches noch kurz aufgeflackert ist, fand ich sehr nachvollziehbar, weil fünf gemeinsame Jahre einen eben verbinden. Die kann man nicht einfach von heute auf morgen auslöschen. Ganz stark fand ich auch den Moment, als die Ich-Erzählerin erkennt, dass die beiden zukünftig definitiv getrennte Wege gehen werden, weil sie sich einfach nichts mehr zu sagen haben.
 
Der Übergang zu diesem Gefühl des Befreit-seins fand ich auch gut dargestellt, weil er nicht zu abrupt kam, sondern mit dem Wissen, dass ab und ab immer mal wieder die Melancholie durchscheinen wird. Auch schön, wie du das mit dem Frühling und dem aufblühen der Natur verbunden hast. Die Geschichte hat mir wirklich sehr gut gefallen :)
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  Ikeuchi_Aya
22.05.2018 21:45
Oh je, ich habe diesen Kommentar nie gesehen ... Kerstin-san

vielen lieben Dank an diese Stelle und entschuldige meine späte Rückmeldung!!
Ich freue mich sehr, dass die Geschichte Anklang gefunden hat und dass die Gefühle entsprechend auch so rübergekommen sind, wie ich gehofft habe. Vor allem bezogen auf das, was die beiden einmal hatten.
Ich finde es persönlich immer schwierig, den Moment zu erkennen, wie es realistisch gesprochen aussieht. Was geht und was nicht. Oftmals ist der Funken Hoffnung genau das, was einen ja immer und immer wieder in dieselbe Situation schlittern lässt. Schreiben kann man ja viel - erfahren und tun hingegen anderes. xD

Vielen lieben Dank für deinen Kommentar!
Es hat mich ehrlich gefreut, da auf nicht-Serienbezogene Geschichten (ob nun FF oder Doujinshi) seltener Rückmeldung erfolgt~ :)

Ganz liebe Grüße


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