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Cold to the touch

Hamburg in den Schatten
von

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Run

Joanne konnte es nicht gänzlich unterdrücken: Sie war nervös. Immerhin war sie sich dessen bewusst, was alles schief gehen konnte – und sie hatte definitiv nicht vor an diesem Abend zu sterben.

Doch eine gut gezielte Kugel würde nicht fragen, was ihre Pläne für den Abend waren.

Sie ging den Gang im Hauptgebäude von International Shipping hinab und atmete noch einmal tief durch. Sie durfte sich ihre Nervosität nicht anmerken lassen!

So öffnete sie die Tür zum Aufenthaltsraum, und sah, dass einige Gesichter sie beinahe erschrocken ansahen. Sie hatte nicht drauf geachtet, was die Stimmen, die sie vorher gehört hatte, genau sagten, doch sie musste nur zu Dante schauen, der noch von der letzten Schicht da war, um zu wissen, dass er wohl wieder einmal über sie gelästert hatte.

Sie hob eine Augenbraue. „Guten Abend“, meinte sie. Aktuell waren tatsächlich acht ihrer Kollegen hier. Unter ihnen Dante, aber auch Frederik.

„Abend“, murmelte ein Teil ihrer Kollegen, während sie wieder zu ihrem Schließfach ging.

Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Dante. Auch wenn sie wusste, dass es falsch war, hoffte sie fast, dass er ihnen im Weg sein würde.

Vielleicht bemerkte der Elf neben Dante – ein Neuling namens Thomas, der ihr wie ein Ersatz für Daniels vorkam – ihre Nervosität oder nur ihren Blick. „Ist was, Metalgirl?“ Selbst den blöden Spitznamen hatte er übernehmen wollen.

Sie grummelte und nahm nur ihre Uniform aus dem Spint.

„Sind wir uns heute zu fein, um mit den Kollegen zu reden?“, meinte Dante.

„Wenn sie zu blöd sind, um das Reden es wert zu machen“, erwiderte Joanne und bemühte sich, ihm einen kühlen, aber festen Blick zu schenken.

Dante lachte. „Ich sehe, Jojo hat heute wieder beste Laune.“

Sie zuckte nur mit den Schultern und ging, um sich möglichst rasch umzuziehen und eine Nachricht an Serenity durchzugeben.

„Nicht mal eine freche Erwiderung?“, hörte sie Dante noch, doch erwiderte sie nichts – letzten Endes wäre die einzige Antwort, die ihr in den Sinn gekommen war, auf „Fick dich, Zwergenarsch“ hinaus gelaufen.

Im Nebenraum zog sie sich um, nur daraufhin um eine kurze Nachricht an Serenity über ihr neues Comlink abzusetzen: „Bin da.“ Dann ging sie in den Aufenthaltsraum, nur um überrascht festzustellen, dass Dante noch da war.

Umso besser, dachte sie sich, sollte es aber bald bereuen.

„Ich nehm' die erste Monitorschicht“, meinte sie.

Dante lachte. „Durchaus angemessen, Madame.“

„Klappe“, schnauzte sie und öffnete die Tür zum Monitorraum, so wie sie es mit Serenity abgemacht hatte.

Zu ihrer Überraschung fand sie Stefan hier vor, der offenbar die letzte Schicht übernommen hatte.

„Du kannst gehen“, meinte sie. „Ich übernehme.“

Stefan schien bereits in einen wohligen Halbschlaf versunken zu sein, während er wie hypnotisiert auf einen der Bildschirme starrte, und schreckte nun auf. „Was?“ Er sah sie an und es war seinem Gesicht anzusehen, wie die Bedeutung ihrer Worte nur langsam von seinem Gehirn übersetzt wurde. „Oh, super. Danke.“ Er gähnte herzhaft und stand auf.

„Du siehst aus, als könntest du einen Kaffee gebraucht“, scherzte sie.

Er gähnte noch einmal und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“

Joanne holte tief Luft, ehe sie sich auf dem Stuhl niederließ und ebenfalls die Monitore beobachtete. Jedoch war das nicht das einzige, was sie in ihrem Sichtfeld sah, da dank der AR-Kontaktlinsen, die sie trug, nun die Antwort Serenitys aufblinkte: „OK. Legen los.“

Noch immer hörte sie aus dem Nachbarraum die Stimmen ihrer Kollegen. Joanne achtete jedoch kaum darauf, was sie sagten, da es ihr an diesem Abend nun wirklich egal war. Sie würde keinen von ihnen wiedersehen.

Doch da hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde und sah sich gezwungen, sich umzusehen.

Es war Thomas, der grinste und schon den Mund öffnete, als sie ihn unterbrach.

„Hör zu, Kid, wenn du deine Eier irgendwem demonstrieren willst, dann schlage ich dir vor, dich draußen hinzustellen und zu hoffen, dass jemand auf dich schießt.“ Da der Elf – wie es Elfen so an sich hatten – noch immer ein eher jugendlich wirkendes Gesicht hatte und ohnehin zwei Jahre jünger war, als sie, empfand sie die Anrede als äußerst angemessen.

„Halt's Maul, Bitch“, kam es sofort giftig zurück.

Diese Beleidigung war so simpel, dass sie nicht umher kam, die Augen zu verdrehen. „Ich würde dir raten, vorsichtiger zu sein, mit wem du dich anlegst, Kid“, meinte sie, die Stimme vor sarkastischer Verachtung triefend.

„Jojo, du bedrohst unseren Neuzugang doch nicht etwa“, kam es von Dante aus dem Aufenthaltsraum.

Ihr Tonfall wurde gleich noch sarkastischer. „Bedrohen? Ich doch nicht!“

Eine weitere Nachricht blinkte in ihrem Blickfeld auf: „Sind drin.“

Innerlich fluchte sie. Wenn etwas schief ging, könnte es fatal sein, wenn Dante etwas davon mitbekam – sofern er es nicht als technische Störung abtat.

„Hau ab, Kid“, knurrte sie daher. „Wäre mir nicht bekannt, dass ich hierfür Hilfe brauche.“

„Jetzt sei nicht so unfreundlich zum Newbie“, meinte Dante und erschien nun auch an der Tür.

„Wald. Echo. Und so“, murmelte sie und sah kurz zu den Monitoren.

Als hätten diese darauf gewartet, lief ein kurzes Flackern über drei der Bildschirme.

Scheinbar hatte auch Dante dies bemerkt. „Was war das?“, fragte er, die Stimme auf einmal angespannt.

Joanne wusste, dass sie sich nicht zu auffällig verhalten durfte. Zu gern hätte sie Serenity eine Nachricht zukommen lassen, doch solange Dante und Thomas anwesend waren, hatte sie kaum eine Möglichkeit dazu. „Wahrscheinlich wieder ein Wackelkontakt“, meinte sie und bemühte sich, ihrer Stimme nichts anmerken zu lassen.

„Die Dinger laufen Wifi“, knurrte Dante.

Sie stöhnte genervt auf. „Was weiß ich! Die machen das öfter. Was du natürlich nicht weißt, da du nie Monitordienst schiebst.“

Prüfend sah Dante sie an und für einen Moment schien es, als würde er es ihr glauben, wäre da nur nicht der dämliche Elf gewesen.

„Schon wieder“, meinte er und sah nun ebenfalls misstrauisch auf den Bildschirm.

Dante sah auf die Bildschirme, wo nun weitere Geräte kurz aufflackerten – vermutlich, weil Serenity und Mi eine Zeitschleife setzten. „Da hackt jemand das System...“

Joanne fluchte innerlich. Was musste ihr der verfluchte Zwerg ausgerechnet jetzt auf den Zeiger gehen?

Schon hatte der Zwerg ein Comlink am Ohr. „Wir haben jemanden im System. Schmeißt den raus. Sofort!“, bellte er hinein, als er vermutlich mit der TecSec telefonierte. Offenbar ohne auf eine Antwort zu warten, machte er einen Rundruf. „Es wird wahrscheinlich bald jemand auf das Gelände kommen. Haltet die Augen auf und gebt Alarm!“

Dann drehte er sich zum Aufenthaltsraum um. „Okay, alle raus. Irgendjemand kommt.“ Noch einmal sah er sich zu Joanne um. „Du bleibst hier und schaust auf die Monitore. Denkste, du kriegst das hin, Jojo?“

Joanne antwortete nicht, sondern schnaubte nur wütend, was allerdings Dante nicht zu stören schien. „Gut. Los.“

Und innerhalb weniger Sekunden leerte sich der Aufenthaltsraum.

„Ja, natürlich“, grummelte Joanne und holte das Comlink hervor. „Sie haben euch bemerkt“, schrieb sie an die Gruppe. „Ihr bekommt gleich Gesellschaft.“

„Bleib wo du bist“, kam bald eine Antwort.

„Sicher nicht“, schrieb Joanne zurück.

Sie schloss ihre Weste und rannte los, verharrte jedoch im Gang vor dem Aufenthaltsraum, um sicher zu gehen, dass Dante und die anderen sie nicht sahen. Sie würde sicher nicht hier warten und nichts tun! Immerhin war sie nicht nur da, um für Ablenkung zu sorgen – denn das hatte nun schon einmal nicht geklappt.

Als sie sich sicher war, dass Dante und die anderen ausreichend Vorsprung hatten, lief sie los. Dank der Kontaktlinsen erschien eine Karte des Hafens am Rand ihres Blickfeldes.

Der rote Punkt, der den kleinen Frachter Reds darstellte, näherte sich dem Wuxing-Gelände rasch. Es hatte keinen Sinn die Aktion jetzt abzubrechen. Eine zweite Chance würden sie wohl nicht bekommen.

Also würden sie wohl kämpfen müssen – denn sie machte sich nichts vor: In der Zeit, die es brauchte, um den entsprechenden Container zu verladen, würde irgendwer sie sehen.

Als sie den Pier erreichte, sah sie den sich nähernden Frachter. Ohne ein Wort fing sie das Tau, dass Kayden ihr zuwarf, und vertaute es am Hafenanker.

„Was machst du hier?“, rief Kayden ihr zu.

„Helfen!“, erwiderte sie.

Toby und Roby standen bereits an Deck und sprangen, kaum dass das kleine Schiff nahe genug am Hafenrand war, an Land.

„Wo ist der Kram?“, knurrte einer von ihnen. Beide trugen beinahe das identische Outfit mit schweren Panzerjacken und Sonnenbrillen.

„AR, Jungs“, rief Kayden ihnen zu.

Einer der beiden Trolle knurrte, doch etwas zielstrebiger liefen sie los und verschwanden zwischen den Containern.

Joanne folgte ihnen und sah sich um. „Seid vorsichtig. Es kann sein, dass ihr auf jemanden von der Sec trefft.“

„Solltest du die nicht ablenken?“, grummelte Kayden, der nun ebenfalls folgte. Er trug eine Motorradkluft, inklusive Helm und hielt nun eine Automatikpistole in der Hand.

„Manchmal funktionieren Pläne halt nicht“, erwiderte Joanne nüchtern. „Und jetzt sei ruhig, bevor uns jemand hört.“

Kayden murmelte etwas gehässiges, sagte es aber nicht laut und Joanne hatte kein Interesse daran nachzufragen. Stattdessen sah sie sich aufmerksam um, in der Hoffnung zu sehen, wenn sich jemand anderes näherte.

Die Sonne war bereits untergegangen, doch ein schwaches letztes Licht breitete sich vom Horizont im Westen über den Hafen aus, so dass die Schatten zwischen den Containern nur umso dunkler wirkten.

Joanne sah auf die Karte, wo auch für sie der entsprechende Lagerplatz markiert worden war. Leider war er ein ganzes Stück vom Hafenufer entfernt, was hieß, dass die beiden Trolle, wenn sie den Container einmal trugen, ziemlich offen für Angriffe waren. Wenn sie richtig informiert war, hielten sich aktuell neben ihr zwölf Sicherheitsleute im Hafen auf, da Dante die Reste der letzten Schicht mit herausgeschickt hatte.

Sie erreichten eine Kreuzung der Gassen zwischen den Containern, als einer der beiden Trolle stehen blieb.

„Weiter“, drängte Joanne, als einer der beiden Trolle mitten auf der schmalen Kreuzung stehen blieb.

Doch der Troll starrte die kreuzende Gasse hinab und als sie um die Ecke sah, erkannte Joanne auch wieso.

„S-Stehen bleiben!“, rief eine Stimme, die sehr verunsichert wirkte.

„Oh, der verfluchte Elfenjunge...“, grummelte sie, da sie die Stimme Thomas' erkannte.

„Bleiben Sie sofort stehen!“, hörte sie nun auch eine andere Stimme rufen. „Sie haben keine Berechtigung hier zu sein.“ Das musste einer ihrer älteren Kollegen sein.

„Drek“, murmelte sie, doch Kayden neben ihr schien bei weitem nicht so entgeistert.

Sie konnte ein Grinsen unter dem Motorradhelm erkennen, als er aus dem Schutz der Container heraustrat und seine Waffe zum Zielen hob.

„Hey, wa...“ Weiter kam Joanne nicht. Eigentlich hatte sie „Warte!“ rufen wollen, doch noch bevor sie das Wort beende konnte, feuerte der Ork eine Salve die Gasse hinab.

Sie hörte Schreie.

Jemand war getroffen worden.

Kayden feuerte eine weitere Salve ab und die Schreie verklangen.

Joanne spürte Wut in sich hochkochen. Sie lief zum Ork, riss ihm seine Waffe auseinander. „Denkst du überhaupt nach?“, rief sie.

„Noch Mitleid mit deinen Kollegen?“, fragte Kayden.

Die ehrliche Antwort wäre wohl ein „Ja“ gewesen – sie hatte niemanden, außer vielleicht Dante, tot sehen wollen. Selbst wenn sie den Elfenjungen nicht ausstehen konnte, so war er noch so verflucht jung gewesen. Doch das konnte sie hier und jetzt nicht eingestehen. „Nein. Aber dank dir ist wirklich jeder im Hafen alarmiert.“

Der Ork antwortete mit einem selbstgefälligen Grinsen. „Na umso besser.“

Joanne schnaubte. „Halt dich verflucht noch einmal zurück.“

„Du bist hier nicht der Chef.“ Kayden ging an ihr vorbei und folgte den Trollen, die nun weiter trabten.

Noch immer innerlich kochend lief auch Joanne hinterher. Wieso musste es eigentlich überall solche selbstgefälligen Arschlöcher geben und wieso musste ausgerechnet sie sich immer mit diesen herumschlagen? Konnte es nicht mal jemand anderen treffen?

Doch es hatte keinen Sinn darüber zu fluchen. Immerhin hatte das Leben als Shadowrunner einen Vorteil: Sie würde mit diesem Idioten nach diesem Run nicht mehr zusammenarbeiten müssen.

Da leuchtete eine neue Nachricht in ihrem Sichtfeld auf: „Ihr bekommt Gesellschaft.“ Auf der Karte erschienen weitere Punkte.

„Drek“, flüsterte Joanne.

Sie hörte Schritte auf Blech und sah, als sie aufblickte, Tiran, den Magier, der über die Container auf sie zugelaufen kam.

„Was macht ihr für einen Krach?“, rief er und landete neben ihnen.

„Ruhig jetzt“, meinte Joanne. Die roten Punkte auf der Karte näherten sich ihnen. „Wir brauchen Feuerschutz.“ Doch wirklich gute Deckung gab es hier nicht.

Da hörte sie ein Rufen: „Da sind sie!“ Und im nächsten Moment hörte sie, wie eine weitere Kugelsalve abgefeuerte wurde – und dieses Mal war es nicht Kayden, der feuerte.



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