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Cold to the touch

Hamburg in den Schatten
von

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Abschied

Joanne betrachtete die Runner, die sich – teilweise an die Wand gelehnt, teilweise auf Stühlen und zum Teil auch auf dem Boden sitzend – in dem Kellerraum versammelt hatten, der mit Waffen gefüllt war.

Ein Teil von ihr bereute bereits, dass sie sich auf die Sache eingelassen hatte, doch jetzt gab es kein zurück mehr, sagte sie sich.

Serenity war da, saß auf dem Boden und schien in der AR Daten zu bearbeiten. Doch war sie – natürlich – neben Förster die einzige Person, die Joanne kannte.

Außer ihr waren da noch gleich zwei Trolle, die beide an einer Wand lehnte. Beide waren breitschultrig und riesig, ganz wie man es von Trollen erwartete. Auch waren beide Glatzköpfig, doch während der eine nur ein ziemlich ausgebeultes Shirt trug und seine Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen hatte, trug der andere eine Panzerjacke und schaute griesgrämig in die Runde.

Wiederum recht glücklich sah ein hagerer Mensch mit kurzem schwarzen Haar und Bart aus, der auf einem Stuhl an Försters Schreibtisch saß. Er trug ein T-Shirt der neoanarchistischen Bewegung, was ihn irgendwie fehl am Platz wirken ließ.

Fraglos wirkte er jedoch nicht so fehl am Platz wie der menschlicher Teenager, der neben Serenity am Boden saß. Joanne schätzte ihn kaum älter als 14 ein.

Außer diesen fünf und Förster waren dann da noch ein Ork, der ein Schwert auf dem Rücken trug, und eine Zwergin mit Rasterlocken, die an einem Deck rumspielte.

Förster war an einer abgenutzt wirkenden Kaffeemaschine damit beschäftigt, sich einen Soykaf zu machen und schien darauf bedacht, die Unruhe, die zumindest einer der Trolle, der Ork und zweifelsohne auch Joanne verströmten zu ignorieren. Erst als die Maschine röchelnd den Kafee ausspuckte, drehte er sich mit der dampfenden Tasse in der Hand um und grinste in die Runde. „Freut mich, dass ihr alle gekommen seid!“

Joanne schnaubte und der Troll mit der Panzerjacke tat es ihr gleich.

„Ja ja“, beschwichtigte Förster sie, „ich komme schnell genug zur Sache.“ Er nahm einen Schluck Kaffee.

Derweil hatten auch Serenity und die Zwergin ihm ihre Aufmerksamkeit zugewandt.

„Das kurze Briefing kennt ihr ja eh alle“, meinte Förster weiter. „In zwei Tagen kommt eine Lieferung von Ares aus den USCA an, die einige interessante Waffen beinhalten soll und weiter verschickt werden soll. Nun haben sich jedoch ein paar Interessenten bei mir gemeldet...“

„Das wissen wir“, knurrte der Troll. „Komm zur Sache.“

„Ja ja, ich wollte nur noch einmal alle auf denselben Stand bringen“, meinte Förster abwehrend, schien dabei jedoch kaum von dem Troll eingeschüchtert. Langsam fragte Joanne sich, ob Förster einfach jene Stimme im Kopf fehlte, die einen vor gefährlichen Situationen warnte, oder ob er sich absichtlich hatte genmanipulieren lassen, um weniger Angst zu haben.

„Der Punkt ist“, fuhr Förster fort, „dass wir mit dem Run massig Kohle machen können, wenn wir die Ware den richtigen Interessenten zukommen lassen. Mit diesen Interessenten habe ich mich bereits in Verbindung gesetzt und ihr alle wisst, was es zu gewinnen gibt. Die Sache ist: Entweder wir kriegen den Kram und dafür das Geld – oder wir kriegen gar nichts.“

„Was ist mit Vorbereitungskosten?“, fragte der Mensch mit dem Neoanarchistenshirt.

„Ich kann ein wenig vorstrecken“, antwortete Förster. „Aber den Großteil in direkter Ware. Ausrüstung und dergleichen.“

„Das heißt also, keine Garantien“, murmelte Joanne.

„Natürlich nicht“, entgegnete Förster. „Woher auch?“

„Erscheint mir etwas riskant“, murrte der Ork. „Es gehen nur wenige Runs auf den Hafen gut. Von allem, was man hört, sind die letzten paar Teams entweder drauf gegangen oder im Willy gelandet.“

Joanne musste ihm zustimmen – immerhin stand bei ihr mehr auf dem Spiel als Geld und ihr Leben. Doch dann wiederum hatte sie sich entschieden hier zu sein und sie wusste genau, wie die Security des Hafens aufgebaut war.

„Es gibt einige Schwachstellen“, sagte sie. „Der Hafen ist weit weniger gegen Angriffe vom Hafenbecken aus gesichert, da sich Wuxing auf HanseSec verlässt – doch HanseSec ist auch nicht überall und agiert nicht mehr, sobald man einmal auf dem Gelände von Wuxing ist. Außerdem gibt es ein paar tote Winkel in der Kameraüberwachung. Außerdem werden die Kameras zur Zeit der Wachübergabe wenig überwacht. Zu der Zeit sind natürlich mehr Wachen auf dem Gelände, aber die meisten sind im Wachraum.“

„Und du bist?“, fragte der grummelige Troll und hob eine Augenbraue.

„Sie ist angeheuert, um uns unbemerkt reinzubekommen“, erwiderte Förster.

„Aha?“ Der Troll wandte sich wieder ihm zu.

Förster zuckte nur mit den Schultern und lächelte ihn auf eine übertrieben gewinnende Art an. „Ich denke, es ist Zeit für einen Role Call, eh? Seny, magst du anfangen.“

Auch Serenity zuckte mit den Schultern. „Mi hier“ – sie zeigte auf den Jungen, der hinter ihr saß – „und ich sind der Matrixsupport und werden uns darum bemühen, die Übersicht zu behalten. Ach ja, und ich bin Serenity, für die, die mich noch nicht kennen.“

„Ich bin der Astralsupport“, meinte der junge Mensch mit dem Anarchistenshirt nun. „Name ist Tiran.“

Obwohl die Trolle ihm am nächsten standen, schwiegen sie, bis schließlich die Zwergin etwas sagte. „Mich nennt man einfach nur Red. Ich bin der Transport. Kann auch 'nen Boot besorgen, wenn das gebraucht wird.“

Der Ork machte einen genervten Laut. „Falls das irgendjemanden noch nicht klar ist: Ich bin drauf, um jeden K.O. zu hauen, der sich mit uns anlegt. Kayden.“ Er sah zu den Trollen rüber. „Und ich nehme an, ihr seid da, um mir im Notfall zu helfen und den schweren Kram zu tragen?“

„So in etwa“, grummelte der Troll, der bisher geredet hatte. „Toby und Roby.“

Der Teenager bei Serenity – Mi – kicherte, als er die Namen der Trolle hörte, verstummte aber, als beide ihn gereizt ansahen.

Für einen Moment herrschte Schweigen im Kellerraum, so dass das Summen der Deckenbeleuchtung deutlich hörbar wurde.

Joanne merkte, dass sich nun die Blicke nach und nach ihr zuwandten. Sie verkniff sich ein Seufzen. „Ich soll dafür sorgen, dass ihr problemlos reinkommt. Im Notfall kann ich mich auch im Kampf nützlich machen.“ Sie zögerte. Förster hatte ihr gesagt, dass es besser wäre, wenn sie einen Decknamen verwendete, doch auch nachdem sie die letzten Tage Namen im Kopf hin- und hergewälzt hatte, war sie noch nicht ganz sicher. Sie hatte letzten Endes einen Namen gewählt, den sie bei einer Doku, die sie vor zwei Tagen im Trideo gesehen hatte, aufgegriffen. „Nennt mit Pakhet.“

Es sah so aus, als wollte der Ork – Kayden – etwas sagen, doch bevor er die Stimme erheben konnte, unterbrach Förster ihn schon:

„Okay. Also, um den Plan zusammen zu fassen: Wir greifen vom Wasser aus an. Um 22 Uhr. Red wird das Boot fahren und auch für ein wenig zusätzlichen Support sorgen. Seny und Mi schalten die Kameras aus und Pakhet wird dafür sorgen, dass die Wachen erst einmal abgelenkt ist. Wenn der Teil klappt, dann kommen wir in das Containerlager, ohne dass irgendjemand uns bemerkt.“

„Und wie will sie das machen?“, fragte Kayden.

Nun seufzte Joanne wirklich. „Ich arbeite in der Security von Wuxing.“ Doch eigentlich fragte sie sich tatsächlich, was sie tun sollte, wenn jemand merkte, dass etwas mit den Kameras nicht stimmte.
 

Wenn Joanne darüber nachdachte, dann war ihr noch immer mulmig dabei. Michael hatte sich mit jemanden in Verbindung gebracht, der sie unter neuem Namen im System eintragen würde. Auch ein Teil ihrer – ohnehin wenigen – Möbel waren bereits zwischengelagert und wenn sie in ihrer nun beinahe komplett leeren Wohnung war, kam sie nicht umher, sich damit konfrontiert zu sehen, dass es wohl kein Zurück mehr gab.

Eigentlich wollte sie auch nicht zurück, doch natürlich gab es eine Stimme in ihrem Kopf, die fragte, ob sie es früher oder später nicht bereuen würde. Immerhin gab sie damit jede Sicherheit für ihr Leben auf. Und dann war da auch noch Robert.

Robert, der ihr nun gegenüber saß und sie misstrauisch ansah. „Womit habe ich das ganze eigentlich verdient?“

Es war nicht das erste Mal an diesem Abend, dass er dies fragte, doch sie konnte ihm die Wahrheit nicht sagen. „Wie gesagt, ich habe einen kleinen Bonus bekommen und wollte dir etwas gutes tun.“

Die Wahrheit war natürlich, dass sie ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber hatte. Immerhin würde sie in zwei Tagen einfach verschwinden und sie konnte nicht riskieren, ihm zu sagen warum. Nicht nur, dass sie mit ihm nicht drüber diskutieren wollte, ob es die richtige Entscheidung war, sie wollte ihn auch nicht in Gefahr bringen. Immerhin wusste sie nicht, ob man nach ihr suchen würde.

Sie konnte nur hoffen, dass sie ihm nach ein paar Wochen, vielleicht eher Monaten eine Nachricht zukommen lassen konnte. Obwohl er ist bester – und eigentlich auch ihr einziger Freund war.

Doch bis sich alles geklärt hatte, war es besser, ihn im Dunkeln zu haben. Und genau deswegen hatte sie ihn heute – am Tag vor dem Run – zum Essen eingeladen. Echte Pizza, kein künstliches Soy-Zeug.

„Irgendwie glaube ich das nicht ganz“, murmelte Rob, während er die Gabel zum Mund führte. Er kaute und sah sie dabei nachdenklich an. Eine Augenbraue hatte er hochgezogen und er musterte sie eindringlich. „Irgendetwas ist los.“

„Ich weiß nicht, wie du drauf kommst“, erwiderte Joanne und wandte sich ihrer eigenen Pizza zu.

Robert kannte sie zu gut. Nun, er kannte sie auch seit beinahe 15 Jahren. Es wahr entsprechend wohl kaum ein Wunder.

„Vor ein paar Tagen warst du noch so angespannt...“ Sie konnte seinen Blick förmlich auf sich spüren. „Und jetzt... Wirkst du vollkommen anders.“

„Das bildest du dir ein“, murmelte sie. Wahrscheinlich gab es keine klischeehaftere Antwort auf seine Aussage.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das nicht tue“, erwiderte er. „Aber wenn es dir besser geht, soll es mir recht sein.“

Joanne lächelte matt. Nun, zumindest das konnte sie nicht verleugnen: Egal wie nervös sie war, die Aussicht darauf, Dante verflucht noch einmal nie wieder sehen zu müssen, brachte sie dazu entspannter zu sein, als sie es seit Monaten gewesen war.

Selbst wenn Kayden ihr recht klar gemacht hatte, dass es genug Runner geben würde, die ihr genau so auf den Nerv gehen würden. Doch immerhin hatte sie als Runner die Freiheit, diesen aus dem Weg zu gehen, wenn sie einen Auftrag abgeschlossen hatte.

Sie bemerkte, dass Robert sie immer noch musterte und konnte sich ein teils amüsiertes, teils genervtes Schnauben nicht unterdrücken. „Himmel, Rob, kannst du aufhören, mich anzustarren? Langsam wird es gruselig!“

„Sorry“, murmelte Robert und wandte sich ganz seiner Pizza zu.

Doch während er sich bemühte, seinen Blick gesenkt zu halten, kam sie nicht umher, ihn zu beobachten. Sie hasste es wirklich, dass sie ihm nicht sagen konnte, was los war. „Es tut mir leid“, flüsterte sie, bevor sie sich zurückhalten konnte, was ihn natürlich dazu brachte wieder aufzusehen.

Sie zwang sich, seinem Blick nicht aufzuweichen. „Ich meine, dass ich in letzter Zeit so gereizt war. Das dumme Zwergenarsch ist mir echt auf den Keks gegangen.“

Es war ihm deutlich anzusehen, dass ihm die andere Intention hinter ihrer Entschuldigung bewusst war, doch er sagte dazu nichts. „Das macht doch nichts. Ich kann es ja verstehen. Nur warum du bleibst...“ Er trank einen Schluck seiner Cola, ehe er das Glas plötzlich sinken ließ und sie erneut musterte. „Du planst doch keine Dummheit, oder?“

Sie verstand seine Frage, wie er sie meinte: „Du planst nicht, den Zwerg zu töten?“ So wie er die Frage allerdings stellte, war ein „Nein“ nicht unbedingt die ehrliche Antwort. Doch was sollte sie sonst antworten?

„Natürlich nicht“, meinte sie und bemühte sich ihrer Stimme einen beleidigten Unterton zu geben.

Dabei konnte sie nicht einmal auf die gemeinte Frage ehrlich mit „Nein“ antworten. Denn einer Sache war sie sich sicher: Wenn es bei dem Run Probleme gab und sie gegen Dante kämpfen musste, würde sie sich die Chance nicht entgehen lassen, ihn zu töten.

Ein Teil von ihr fragte sich, ob sie wirklich so skrupellos war, doch hier machte sie sich nichts vor: Wenn es um den Zwerg ging, war sie es. Zu lange schon hatte er ihre Nerven überstrapaziert, sie fertig gemacht und sie gierte nach Rache.

Für einen weiteren Moment sah Robert sie an. Dann seufzte er lang. „Nun gut. Jo. Ich weiß, dass du ein guter Mensch bist und...“

„Bitte keine Moralpredigt, Robert!“, grummelte sie.

Er lächelte sie matt an. „Entschuldige.“

Joanne schüttelte den Kopf. „Schon gut. Ich weiß schon, was du sagen willst.“ Und es würde doch nichts ändern.

Beinahe überraschte sie es, dass Robert danach seine Pizza schweigend aß, aber er schien zu befinden, dass er alles gesagt hatte, was er sagen konnte.

Wie lange würde es wohl dauern, bis sie ihn wiedersehen konnte?

Dieser Gedanke ließ sie nicht los, während sie den Rest der eigenen Pizza verspeiste. Doch blieb sie dabei und sagte nichts.

Und so zahlte sie schließlich und verließ zusammen mit Robert das Restaurant.

Sie hatte schon ihre Motorradjacke übergezogen, als Robert stehen blieb. „Hey, Jo?“, meinte er.

Sie sah sich zu ihm um. „Hmm?“

„Danke für die Pizza“, sagte er und lächelte, wenngleich noch immer sehr matt.

„Kein Problem“, seufzte sie und schloss die Jacke.

Er umarmte sie kurz. „Bis die Tage, Jo.“

„Bis die Tage“, meinte sie, erwiderte die Umarmung kurz und sah ihn dann noch einmal kurz in die Augen, ehe sie ihren Helm aufsetzte.

Robert wandte sich ab, um zu seinem Auto, mit dem er hergekommen war, zu gehen. Für einen Moment sah sie ihm hinterher, während sie ein Bein über ihr Motorrad schwang. Doch als sie den Motor startete, konnte sie sich doch nicht länger beherrschen. Irgendetwas musste sie ihm sagen. „Hey, Robert!“, rief sie ihm hinterher. Als er sich umdrehte, senkte sie die Stimme. „Wenn du in den nächsten Wochen nichts mehr von mir hörst... Mach dir keine Sorgen, okay?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr sie los.



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