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Schicksalswege

von

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Wie im Pulverfass

André saß an der Theke, trank sein Bier und beobachtete seinen Freund, der in der Gaststube mit seinen Anhängern etwas Wichtiges besprach. Es hieß, die Königin hatte aus allen Ecken des Landes bewaffnete Truppen nach Paris herbeigerufen, um gegen die Aufständischen vorzugehen und zu zeigen, wer hier das Sagen hatte. Die ersten Soldaten des königlichen Regiments, waren bereits Anfang Juli eingetroffen und die ersten, entdeckten Volksversammlungen, wurden bereits auseinander geschlagen. Sie wurden strengstens verboten und wer sich nicht daran hielt, wurde aufs härteste bestraft. Die Soldaten verhinderten die nächtlichen Zusammenkünfte der Bürger und kontrollierten jede Straße von Paris - es herrschte Ausnahmezustand! Und deswegen waren die Anhänger seines Freundes am heutigen Spätabend hier, um zu beratschlagen, was nun zu tun sei.

 

André beteiligte sich nicht. Aber er lauschte aufmerksam, um seine eigene Schlüsse daraus zuziehen. Und zweitens dachte er ständig an Oscar. Was sie jetzt wohl machte? Wie ging sie mit all dem um?

 

Von der Befreiung von Alain und seinen elf Kameraden hatte er noch am selben Abend erfahren – von seinem Freund, bei dem er untertaucht war und der sich unter den Versammelten vor dem Gefängnis zuvor gemischt hatte. André war ihm überaus dankbar dafür und hoffte, dass Alain ein Auge auf Oscar haben würde. Sie brauchte zwar keinen Aufpasser - so mutig und kämpferisch wie sie selbst war, aber es beruhigte André ein wenig, dass sie trotzdem nicht ganz alleine da stand.

 

Die Gefolgsmänner von General de Jarjayes hatten nicht lange nach ihm gesucht. Schon am zweiten Tag gaben sie auf - mit der Begründung: Der Störenfried, der den General bedroht habe, hatte in der Tat die Stadt verlassen. Oscars Vater schien damit zufrieden zu sein und ihn schon bald vergessen zu haben, denn es folgten keine weiteren Fahndungen mehr nach ihm. Das hatte André heute Früh von einem der Anhänger seines Freundes erfahren. Und nun überlegte er sich die ganze Zeit, dass er Oscar vielleicht aufsuchen konnte wenn die sogenannte Gefahr vorüber war? Er hatte sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen und in diesen turbulenten Zeiten sorgte er sich immer mehr um ihr Wohlergehen...

 

In der Gaststube ging unerwartet die Tür auf und ein fremder Mann in Uniform kam herein. Flüchtig beschaute er alles um sich herum, entdeckte die kleine Schar, die sich um den Tisch versammelt hatte und bellte sich lauthals über die Schulter: „Hier ist noch eine Versammlung!“ Sofort drangen hinter ihm dutzende Soldaten in die Stube vor und stürzten sich auf André, seinen Freund und dessen Anhänger.

 

Als geübter Kämpfer und Söldner, hielt sie sich André gekonnt vom Leib und beförderte seinen ersten Gegner gleich zu Boden. Sein Freund hatte es dagegen etwas schwerer.

„Jean!“, schrie André und eilte ihm zu Hilfe - aber da stellten sich ihm weitere Soldaten in den Weg.

„Ergreift ihn!“, rief jemand einigen der Kameraden zu und drei weitere griffen André mit ihren Gewehren an.

„Wie ihr wollt...“, knurrte dieser bissig und ging in die Offensive. Er duckte sich unter dem gehobenen Bajonett des ersten Angreifers weg, jagte gleichzeitig dem zweiten seine Faust in die Magengrube, stieß den dritten von sich und bemächtigte sich mit dessen Gewehr. Damit konnte er sich nun besser verteidigen und zuzuschlagen! Und das machte er - mit Elan und unerschütterten Kampfesswillen! Es kamen jedoch immer mehr Gegner auf ihn zu und trotz seiner Stärke und seinen Mut, verlor er gegen die Übermacht – es waren einfach zu viele. Sie verwüsteten die Gaststube, schlugen die Anwesenden zusammen und beschlagnahmten alle Bierfässer.

„Das wird euch Ungeziefer eine Lektion sein!“, kläffte der ranghöchster Offizier höhnisch und lachte die zusammengekrümmte Männer aus. „Seid froh, dass wir euch nicht gleich ins Gefängnis stecken! Da ihr uns so großzügig euer Bier überlassen habt, werden wir ein Auge zudrücken.“ Er wandte sich ab und marschierte hinter seiner Truppe aus der Gaststube.“

 

„Ihr Mistkerle!“ Jean glühte förmlich vor Hass und ihm dürstete nach Rache. Er sammelte seine letzten Kräfte, stand halb verkrümmt vom Boden auf und setzte ihnen hinkend nach. „Das werdet ihr mir büßen!“

 

„Nein!“ André versperrte ihm den Weg. Er war nicht minder zusammengeschlagen wie sein Freund. „Bist du Lebensmüde? Willst du, dass man dich tötet?“

 

„Lass mich durch!“, befahl Jean außer sich. Er wollte André zur Seite schieben, aber dieser packte ihn bei den Oberarmen und hielt ihn fest. Sie befanden sich nur zu zweit in der Gaststube - Jeans Anhänger hatten sich noch während des Kampfes nacheinander zerstreut, sobald die Möglichkeit dazu bestand. Jean konnte ihnen das nicht verübeln - er war sogar zum großen Teil erleichtert, sie in Sicherheit zu wissen. Nur André war noch da und sah nicht danach aus, als würde er ihn gehen lassen wollen. „Aus dem Weg!“, forderte er von ihm verbissen und versuchte sich aus seinem Griff zu entreißen. „Verschwinde! Und zwar weit weg von hier! Diese verruchten Königshunde können zurückkehren und dich festnehmen! Anscheinend hast du vergessen, dass du Vogelfrei bist!“

 

„Die haben andere Sorgen als mich!“, ließ André ihn nicht weiter ausreden und stieß ihn rüde zurück. „Die haben mich doch schon längst vergessen! Deswegen gehe ich nirgendwohin mehr und lasse auch niemanden mehr im Stich!“

 

„Du bist ein törichter Narr!“ Jean ballte seine bereits angeschlagenen Hände zu Fäusten. „Wenn du stirbst, dann war der ganze Aufwand umsonst und deine Kleine wird nichts mehr von dir haben! Oder soll ich mich um sie kümmern, wenn du tot bist?“

 

„Sprich nicht in diesem Ton von ihr!“ André schnaufte wütend und ballte auch seine Hände zu Fäusten. „Ich werde sie nie verlassen! Sie braucht mich! Es brechen große Zeiten an und du sagtest doch selbst, dass eine Revolution ausbrechen könnte!“

 

„Aber ohne dich! Du hast hier nichts mehr zu suchen! Deine Kleine wird bestimmt auch nicht wollen, dass du dein Leben riskierst!“

 

„Ich habe genauso ein Anrecht darauf, wie wir alle! Du kannst mich nicht davon abbringen! Wenn es dazu kommt, werde auch ich für die gerechte Sache kämpfen! Und auch für Oscar kämpfen, für unsere Zukunft, für unsere Freiheit!“

 

„Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dich schon zuvor umzubringen...“, murmelte Jean, aber verharrte noch reglos auf seinem Platz.

 

Die Gemüter waren schon genug angeheizt – durch das Eindringen der königlichen Soldaten, durch die beispiellose Schlägerei, durch die Unterdrückung der Mächtigeren und durch vieles andere mehr... Jean sah nur rot und André war auch der Kragen geplatzt. „Nur zu, aber merke dir: Mit mir ist nicht gut Kirschen essen...“

André ging auf Jean zu und dieser stürzte sich mit blanken Fäusten auf ihn. „Das weiß ich gut zu schätzen, mein Freund...“, war noch sein Knurren, bevor er die Faust seines Freundes spürte...

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

Es war schon fast eine Woche vergangen, als André wie vom Erboden verschluckt war. Kein Mensch wusste, wo er sich aufhielt und auch er selbst sandte niemanden eine Nachricht - weder seinen Freunden, noch Oscar. Und in dieser Woche seines spurloses Verschwindens, war vieles passiert: In Frankreich herrschte Ausnahmezustand: Tausende Soldaten aus verschiedenen Ecken des Landes, die zum Schutz der Königsfamilie beordert wurden, schikanierten und drangsalierten die Bevölkerung.

 

Oscar ersuchte die Königin und bat sie, die Soldaten abziehen zu lassen. Es konnte doch nicht wahr sein, dass die königliche Familie die Waffen gegen das eigene Volk richten ließ! Aber sie stieß dabei auf taube Ohren. Die Königin hielt an ihrem Entschluss hart und eisern fest. Oscar hatte sich demzufolge von ihr verabschiedet – für immer...

 

Alain begleitete sie wie ein treuer Gefolgsmann überall hin. Auch die Brüder Jérôme und Léon gehörten mit dazu. Nach Alains Freilassung und nach dem die ganze Söldnertruppe erfahren hatte, was mit André passiert war, hatten die drei Freunde selbst sich dazu entschlossen - für André und dem anerkennenden Respekt zu Oscar.

 

„Oberst, unser Aufenthalt in Paris scheint mehr als sinnlos zu sein“, teilte Alain bei einer der Patrouillen durch die Stadt mit. „Das königliche Regiment hat an jeder Straßenecke Position bezogen. Wir sind hier nur ein Verkehrshindernis.“

 

Oscar gab ihm Recht. „Was ist, wenn die Lage sich zuspitzt? Was geschieht mit der Bevölkerung?“, fragte sie ihn stattdessen aus.

 

„Das bleibt abzuwarten“, gab Alain überlegend die Antwort: „Wenn die bewaffnete Truppen nicht endlich aus Paris abziehen, werden sie ihr blaues Wunder erleben.“

 

„Ihr meint also, es kommt zum Aufstand?“, vermutete Oscar mit gewisser Besorgnis.

 

„Aufstand?“ Alain verengte seine Augen zu Schlitzen. „Ich nenne das Revolution.“

 

Oscar warf auf ihn einen entsetzten Blick. „Revolution?“

 

Jérome und Léon nickten bestätigend mit ihren Köpfen. Oscar war noch entsetzter, aber was konnte sie schon dagegen tun? Mit der Königin erneut zu reden und sie über Rückzug der Truppen aus der sowieso schon hungernden Stadt zu bitten, würde nichts nützen. Zumal sie schon heute Morgen daran gescheitert war und sich endgültig von der Königin losgesagt hatte...

 

 

 

Zu viert patrouillierten sie weiter. Hier und da rannten die aufgebrachten Menschen fort von den postierten Soldaten. Oscar steuerte mit ihren Männern den Kurs in die entgegengesetzte Richtung an, bis sie auf eines dieser Regimente stießen.

„Anhalten, sofort!“, befahl deren Anführer und richtete sein Gewehr gegen sie. „Dieser Platz ist für euch gesperrt, reitet woanders lang! Das ist ein Befehl!“ Hinter ihm standen seine Kameraden aufgereiht.

 

Die Vier zügelten ihre Pferde und Oscar versuchte vernünftig mit ihnen zu reden: „Wir sind nicht zu unserem Privatvergnügen hier! Wir reiten Patrouille! Bitte gebt den Weg frei!“

 

„Irrtum!“ Der Soldat beharrte auf seine Forderung: „Wir haben hier schon alles Kontrolliert! Wir brauchen eure Hilfe nicht!“

 

Alain ließ sowas nicht auf sich sitzen und mischte sich unverfroren ein: „Sperrt gefälligst eure Augen auf! Wir sind Soldaten der französischen Armee, genau wie ihr!“

 

Dem königlichen Soldaten passte seine Einmischung ganz und gar nicht. „Verflucht noch mal, wir führen hier nur unser Befehle aus, also verschwindet endlich!“

 

Alain geriet in Rage. Gereizt stieg er von seinem Pferd ab und marschierte auf den Sprecher los, dabei krempelte er seine Ärmel hoch. „Kommt mir nicht auf die blöde Tour!“

„Lass ihn, Alain, dann nehmen wir einen Umweg!“, hörte er Oscar hinter sich befehlen, aber sie hielt ihn nicht auf. Er packte den Soldaten und stieß ihm mit seinem Knie in die Magengrube. „Ich hoffe, du hast jetzt Bauchschmerzen!“ Er ließ von ihm ab als dieser sich krümmte.

 

„Das wirst du mir büßen, du eingebildeter Schurke!“, knurrten die Kameraden und marschierten auf Alain los. Dieser schien nur darauf zu warten und stürzte sich mit ihnen auf einen Faustkampf.

 

„Alain!“, ermahnte Oscar, aber zwecklos. „Jérôme! Léon! Holt ihn daraus!“

 

„Jawohl, Kommandant!“ Die Brüder ließen sich das nicht zwei Mal sagen, stiegen aus dem Sattel und eilten ihrem Freund und Kameraden zu Hilfe.

 

Alain aus der Schlägerei herausziehen war nicht gerade einfach. Besonders wenn die Gegner auch nicht klein beigaben. Aber mit ach und Krach, schafften sie es und unter Beschimpfungen des Regiments hinter ihren Rücken, brachten sie Alain fort.

 

 

 

An der Seine, weit weg von irgendwelchen königlichen Soldaten und laufenden Menschen, saß Alain am Ufer und betupfte seine Schramme im Gesicht mit einem angefeuchteten Taschentuch. „Das brennt...“, zischte er.

 

„Alles in Ordnung?“, fragte Léon besorgt. Er stand mit seinem Bruder hinter ihm.

 

Oscar saß nicht weit von ihnen auf ihrem prächtigen Schimmel. Es war genug der Patrouille! Um noch so eine Auseinandersetzung zu vermeiden, ordnete sie ihren Männer den Rückzug an: „Wir kehren zurück in die Kaserne! Es ist wie Ihr es vorhin gesagt habt: Unsere Anwesenheit ist hier sinnlos!“

 

Alain stand auf und drehte sich um. Er sah Oscar offen und direkt an. „Erlaubt mir, dass ich Euch noch etwas sage! Wenn eine Revolution losbricht, wird das Volk als Sieger da stehen! Seht Euch doch bloß diese verkommene Armee an. Sie sind uneinig und werden nichts gegen das Volk ausrichten können!“

 

„Ich verstehe, was Ihr meint...“ Wie erdrückend es auch war, aber Oscar gab Alain insgeheim Recht. Das Volk erhob sich mehr und mehr. Es fehlte nur noch ein Funke, um das Fass zum überlaufen zu bringen. Und immer häufiger dachte Oscar an André. Sie sorgte sich um ihn und hoffte, dass er in Sicherheit war und es ihm an nichts fehlte.

 

„Hey, Alain!“ Jérôme stupste seinen Freund an der Schulter und wies mit seinem Kinn in eine bestimmte Richtung. „Schau, da! Das ist doch...“

 

Nicht nur Alain, sondern auch Léon und Oscar folgten seinem verwunderten Blick. Einige Meter von ihnen entfernt, saß ein Mann am Ufer der Seine, schöpfte mit der Hand das Wasser und wusch sich das angeschwollene Gesicht. Seine bürgerliche Kleidung war an manchen Stellen gerissen, die sichtbare Haut trug frische Kampfspuren und er selbst sah ziemlich zugerichtet aus. Alain riss überrascht seine Augen auf, als er den Mann nach genauem Betrachten erkannte: „Jean!“ Er eilte unverzüglich zu ihm.

 

Jean schreckte hoch. „Alain!“ Was für ein Zufall! Es war lange her, dass er ihn zuletzt gesehen hatte. Beinahe krächzend und mit schmerzenden Knochen erhob er sich.

 

Alain erreichte ihn und beide drückten sich kräftig die Hand. Alain lachte dabei trocken. „Oh, Mann! Haben dich etwa die königlichen Soldaten so zugerichtet?“

 

„Zum Teil ja...“ Jean verzog sein Gesicht. „Sie sind gestern bei mir im Gasthof eingefallen, wie Heuschrecken... und haben alles verwüstet... Sie haben meine Existenz vernichtet...“

 

„Diese Bastarde...“, knurrte Alain und dann fiel ihm der erster Satz seines Freundes ein. „Zum Teil? Und wem verdankst du den anderen Teil?“

 

„Na wem schon...“, zischte Jean und sah an ihm vorbei.

 

„Mir!“, sagte eine altbekannte Stimme hinter Alain.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  YngvartheViking86
2016-03-21T23:46:12+00:00 22.03.2016 00:46
Ich hatte Andre bei Rossi vermutet :D
Der letzte Abschnitt hat mir gut gefallen und ich konnte mir ein grinsen nicht verkneifen, wenn ich an einen krumm geprügelten Kneipenwirt denke :D
Ich bin im nächsten Kapitel gespannt wie die Anderen, insbesondere Oscar, auf Andre reagieren.
Antwort von:  YngvartheViking86
22.03.2016 00:46
Ach verdammt. Das sollte Rosali und nicht Rossi heißen :D
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
23.03.2016 19:30
Schon ok, kann passieren. ;-) Bei Rosalie wäre interessante Theorie, allerdings hätte Bernard dann Oscar verraten können, dass er dort ist. ;-) Dankeschön sehr für dein Kommentar. :-)
Liebe Grüße
Ira


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