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Schicksalswege

von

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Die Männer

„André...“ Was für eine Überraschung! Oscar und die Brüder Jérôme und Léon konnten es kaum fassen, ihn zu sehen – er war doch untertaucht! Was suchte er denn hier?

 

Alain dagegen drehte sich um die eigene Achse und grinste, als wäre nichts passiert. „Ich habe es geahnt, dass du bei Jean untertaucht bist!“ Er hätte beinahe vor Freude losgelacht, aber stattdessen wurde er gleich ernst. „Wieso hast du dich dann aber mit Jean geprügelt?“

 

André sah nicht minder zugerichtet aus, wie sein Freund Jean. Er machte seinen Mund auf, um Alain die Frage zu beantwortet, als dieser rüde beiseitegeschoben wurde und Jean sich turmhoch vor ihm aufbaute. „Was hast du hier verloren! Hat es dir gestern nicht gereicht?! Musst du jetzt auch am helllichten Tag rauskommen und alle Aufmerksamkeit auf dich ziehen? Du sollst untertaucht bleiben!“

 

„Jean...“ André warf einen Blick auf die verblüffte Oscar und dann wieder auf seinen Freund. „...beruhige dich. Mich erkennt doch ohnehin niemand.“

 

„Ah, verstehe...“ Jean hatte seinem Blick gefolgt und ihm ging ein Licht auf: „Du wolltest dir nicht entgehen lassen, sie zu sehen...“ Zeitgleich spannten sich seine ohnehin schon genug strapazierte Muskel an. „Nun hast du sie gesehen, ihr fehlt nichts, wie du siehst...“ Jean sammelte erneut seine letzte Kraft und stieß André mit Wucht von sich. „...also verschwinde endlich von hier, bevor du von der königlichen Abordnung erwischt wirst!“

 

André schnappte heftig nach Luft, aber behielt sein Gleichgewicht. „Was soll das, Jean...“, schnaubte er gedämpft und verübte einen Gegenstoß auf seinen Freund.

 

„Sofort aufhören!“, schalte Oscars heisere Stimme im Hintergrund.

 

Alain folgte ihrem Aufruf und baute sich zwischen den beiden. „Es reicht, Männer!“

 

Und erneut wurde er von Jean beiseitegeschoben. „Mische dich nicht ein!“, hörte er ihn dabei murren und im nächsten Augenblick, entwickelte sich ein Kampf zwischen Jean und André.

 

Aber diesmal ließ sich Alain nicht zur Seite schieben! Er stürzte sich erneut zwischen die beiden und schlug sich gleich mit ihnen, um sie aufzuhalten. Die Brüder tauschten miteinander einen einvernehmlichen Blick aus und eilten Alain zu Hilfe, aber dieser war bereits zu sehr in die Schlägerei verstrickt. Jérôme war schneller im Rennen als sein Bruder und erreichte die drei tollwütige Freunde als erster. Er packte Alain, wollte ihn zurückziehen und spürte plötzlich dessen mächtige Faust in seinem Gesicht. „Was soll das?! Ich wollte dir nur helfen!“, schrie er und Alain hielt kurz inne. André und Jean nahmen nichts davon wahr und prügelten sich weiter. Jérôme schoss das Blut hoch, er hob seine Fäuste und zahlte es Alain für den Schlag heim. Alain wehrte dessen Fausthieb systematisch ab und schlug erneut zu. Léon kam angerannt und anstelle die Schlägerei auseinander zu bringen, half er seinem Bruder, Alain zu besiegen – dieser schlug sich wacker.

 

„Hört sofort auf!“ befahl Oscar erneut aufgebracht, aber ihre drohende Stimme zeigte keine Wirkung. Und dann traf sie eine gewisse Erinnerung aus längst vergangener Zeit wie ein harter Schlag: Sie hatte schon einmal so eine ähnliche Schlägerei gesehen – damals, als sie ihr einstiges Kindermädchen in Paris abgeholt hatte... Damals, als sie erst vierzehn Jahre war... Sie hatte in der Kutsche gesessen und fünf Knaben beobachtet, die sich wegen einem Livre schlugen... Eine normale Rangelei zwischen Halbwüchsigen, die am Ende nichts Ernstes war.... Wie gerne hätte sie mitgemacht, erinnerte sich Oscar an ihren damaligen Wunsch...

 

Oscar schüttelte sich. Nein! Die Zeiten hatten sich geändert, es war viel geschehen und sie alle waren erwachsen geworden! Sie musste diese sinnlose Schlägerei beenden! Aber wie? Die Männer wussten bestimmt selbst nicht mehr, wozu und wofür sie sich gegenseitig vermöbelten!

 

Alain! André!“ Eine mädchenhafte Stimme drang sich unbewusst in Oscars Kopf hindurch und plötzlich bildete sie sich ein, das kleine Mädchen selbst zu sehen – nur wenige Schritte von dem Kampfgetümmel. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Zöpfchen gebunden, ihre dunkelbraune Augen hatten glückselig geleuchtet und ihre glockenhelle Stimme heuerte die beide Genannten immer wieder an. „Ihr schafft es! Alain! André! Gut so! Zeigt es ihnen!“

 

Oscar war wie vom Donner gerührt. „Diane...“ Dann schloss sie ihre Augen und atmete tief durch. Diane gab es nicht mehr! Schon fast seit einem Jahr ruhte sie unter der Erde irgendwo im Süden des Landes und von wo aus man das Meer erblicken konnte... Warum dann aber diese Illusion gerade eben? Das ergab keinen Sinn, aber es führte zu einer und derselben Erinnerung aus jenem Tag. Oscar öffnete die Augen wieder und sah auf die Stelle, wo sie geglaubt hatte sich eingebildet zu haben Diane als kleines Mädchen gesehen zu haben. Das Trugbild war nicht mehr da, aber dafür glänzte dort etwas auf dem Boden.

 

Wie benommen stieg Oscar von ihrem Pferd ab und ging zu der Stelle - die Schlägerei nebenan vergaß sie für einen kurzen Augenblick. Auf den Pflastersteinen lag ein Livre – mit Loch durchbrochen und an einem verfranzten Lederband befestigt. „Es ist ein Glücksbringer“, ging Oscar erneut Dianes Stimme durch den Kopf, aber diesmal in Form einer jungen Frau: „Mein Bruder hat es für mich gemacht und sich sogar mit seinen Freunden dafür geschlagen. André war auch dabei und hat ihm geholfen.“

 

Oscar hob den Livre auf, schloss ihn fest in ihrer Faust und richtete sich in ihrer ganzer Größe auf. Ihr Blick schweifte kurz über die fünf prügelnde Freunde und ihre freie Hand zog die Pistole. Langsam streckte sie den Arm gen Himmel, richtete den Lauf der Pistole nach oben und drückte ab. Der Schuss hallte ohrenbetäubend und setzte der Schlägerei sofort ein Ende. Alle fünf Männer starrten Oscar erschrocken, ungläubig und perplex an.

„Ihr benimmt euch noch schlimmer als ungezogene Knaben von einst!“, verlautete ihre eisige Stimme gleich darauf über deren Köpfe hinweg. „Ihr seid aber keine Knaben mehr! Ihr seid erwachsene Männer! Ihr seid Kameraden, Freunde und Gefährten! Vor uns liegt eine schwere Zeit und wir müssen zusammenhalten, um sie zu überstehen! Wir müssen uns gegenseitig stützen, aber stattdessen vernichtet ihr euch selbst! Ihr seid nicht besser wie diese verkommene Armee, die sich selbst uneinig ist! Alain! Wie kann bitte das Volk als Sieger hervorgehen, wenn in ihren eigenen Reihen ein Kampf herrscht? Das führt doch zu nichts!“ Oscar merkte genau, wie alle fünf hart schluckten - deren Kehlkopf und aufgerissene Augen, die Mischung aus Fassungslosigkeit und Faszination hervorbrachte, verriet sie. Oscar steckte ihre abgefeuerte Pistole wieder ein und bewegte langsam ihre Füße. Die Männer rappelten sich genauso langsam auf und verkniffen sich dabei verräterische Schmerzenslaute. Oscar blieb vor Alain stehen. Sie reichte ihm die geschlossene Hand und öffnete sie. Der Lederschnur baumelte sogleich herab und der Livre blitzte kurz auf. Oscar milderte ihren Tonfall: „Und so etwas Kostbares darf man nicht wegen so einer banalen Auseinandersetzung verlieren.“

 

Alain befingerte seine Uniform, überprüfte die Taschen und stellte erschrocken fest, dass der Glücksbringer seiner Schwester weg war! Beinahe verlegen und gleichzeitig erleichtert, nahm er den Livre aus Oscars Hand an sich. „Ich danke Euch, Oberst.“

 

„Und nun kehrt in die Kaserne zurück und lasst euch verarzten!“, wies sie Alain und die Brüder an. Ihr Blick schweifte weiter, auf André und Jean. „Und ihr geht lieber zu Rosalie und lasst euch von ihr helfen. Ihr könnt euch bei ihr für eine Weile verstecken. Ich komme später nach und dann entscheiden wir, wie es weiter geht!“

 

„Das ist eine gute Idee, Kommandant“, stimmte ihr Jean anerkennend zu und schielte zu seinem Freund.

 

„Oscar...“, flüsterte André angetan. Nur für kurz glomm ein lieblicher Glanz in ihren kühlen Blicken. Sie musste jetzt objektiv denken und das verstand er sehr wohl. In solchen Situationen standen die Liebesfloskeln an zweitrangiger Stelle, egal wie lange sie sich nicht gesehen hatten. Trotzdem wollte er etwas zusätzlich sagen, aber ergab sich gleich. „...in Ordnung.“

 

„Gut.“ Oscar tat ihr Geliebter leid, aber sie musste auch an die anderen denken. Bei Rosalie würde sie ihn noch einmal sehen und dann könnte sie etwas netter zu ihm sein. Jetzt galt es die Ordnung unter ihnen allen zu bewahren.

 

Jérôme klopfte Alain halbherzig auf die Schulter. „Oh, Mann, du siehst aber aus! Und ich habe dir ein hübsches Veilchen verpasst. Tut mir leid.“

 

„Ach, was!“ Alain winkte ab. „Ich habe dir sogar zwei davon verpasst!“

 

André, Jean und Léon sahen die zwei verdattert an. Dann brachen alle fünf in schallendes Gelächter. „Oh, Gott, wie dämlich wir damals waren!“, meinte dabei Léon und stützte sich an Andrés Schulter ab. „Es tut mir leid André, aber deine Großmutter bleibt für uns bis in alle Ewigkeit als Feuerdrache in Erinnerung.“

 

„Das stimmt.“ Jean hielt sich die Seiten und aber hörte als erster langsam mit Lachen auf. Er lehnte sich lässig auf Andrés Schulter von der anderen Seite an, so dass diesem unter dem Gewicht seiner Freunde beinahe die Knie einknickten. „Aber Schluss damit!“ Jean sah auf die verdutzte Oscar. „Diese Tage sind vorbei und wir haben andere Zeiten. Damals waren wir alle auf die eine oder andere Weise unbeschwert und sorglos. Wir sollten lieber nach vorn schauen, uns verbünden und nicht gegenseitig zerschlagen. So wie sie es bereits gesagt hatte.“

 

Oscar erwachte aus ihrer Starre, aber zum Wort kam sie nicht. Ein Pferd preschte im schnellen Galopp heran. „Oberst! Kommandant!“ Das war Lassalle und er sah alarmierend aus. Er zügelte sein Pferd rüde vor Oscar und für einen Wimpernschlag starrte er erschrocken die fünf verprügelte Männer hinter sie. Diese ließ ihn nicht länger darin verweilen. „Erzähle, was ist passiert?!“, verlangte sie von ihm in ihrem altbekannten, herrischen Ton. Ihre feine Nackenhärrchen sträubten sich, als würde jetzt etwas Unheilvolles passieren. Auch die andere stellten sich auf eine unerfreuliche Nachricht ein und spitzten aufmerksam ihre Ohren.

 

Lassalle entriss sich den durchbohrenden Blicken und vom angeschwollenen Antlitz seiner Kameraden. Er brachte in der Tat schlechte Neuigkeiten. Aber die musste raus! Es würde sich ohnehin bald wie ein Lauffeuer verbreiten und jeder Mensch würde betroffen sein. „Kommandant!“ Er schluckte hart, um deutlicher sprechen zu können: „Die Königin hat den Finanzminister Necker entlassen, der auf unserer Seite war! Der König hat uns den Krieg erklärt und Robespierre ruft das Volk zu den Waffen!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Soraya83
2016-03-24T19:17:52+00:00 24.03.2016 20:17
Ach immer dieses Spielkind im Manne, die finden immer irgendeinen Grund zum prügeln... mit der Erscheinung von Diane, hat Oscar zu wenig geschlafen oder zu viel Wein getrunken? XD
Antwort von:  Saph_ira
25.03.2016 16:29
Hihi, zum prügeln findet sich immer ein Grund, aber auch ohne Grund scheinen sie auf Prügelei zu stehen. XD Und Oscar hatte definitiv zu wenig Schlaf in letzter Zeit bekommen - bei so viel Sorgen und Erreignissen ist ja kein Wunder. XD
Dankeschön für dein Kommentar und ich wünsche dir schöne Ostern. :-)
Von:  YngvartheViking86
2016-03-24T09:44:32+00:00 24.03.2016 10:44
Wow ein starkes Kapitel.
Der Auftritt mit Diane war richtig gut und nun versteh ich, warum du sie hast sterben lassen.
Weiter so, kanns kaum erwarten :)
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
25.03.2016 16:26
Dankeschön! :-)
Ja, deshalb musste Diane dranglauben... Aber es freut mich, dass du so eifrig weiterliest und lade schon mal das nächste Kapitel. ;-)
Liebe Grüße und frohe Ostern,
Ira


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