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Der Sanftmütigen Erbe

von

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"Nathan Cassian Pevensie, gib' mir den Brief!"

„Liebe Base, liebe Vettern,

endlich komme ich dazu, euch unbeobachtet zu schreiben. Ich will euch von jemandem grüßen, den wir alle kennen und dem ich auf gewisse Art und Weise eine ähnliche Lektion zu verdanken habe, wie du, Edmund. Es ist Zeit ins Land gestrichen, seit der Entdeckungsfahrt, so viel Zeit, dass ich den einzigen alten Freund, den ich zu Gesicht bekam, nicht erkannte. Zwei andere wurden mir mit Namen genannt, doch sie habe ich nicht gesehen. Es war wohl weniger ein Zufall, als wieder ein Ruf, der mich dorthin brachte, denn ich – und jemand, der diese Reise zum ersten Mal machte – wurden gebraucht. Ich-“
 

„Tante Lucy, was liest du da?“
 

Die Stimme ihrer Nichte ließ Lucy aufblicken. „Der Brief ist von Onkel Eustachius“, erklärte sie der mittlerweile Zehnjährigen und wollte schon weiterlesen, da griff eine blitzschnelle Hand von hinten nach dem Papier und zog es ihr aus den Fingern. Triumphierend wedelte ihr Neffe mit seiner ‚Beute‘.

Lucy bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen. „Gib‘ ihn mir wieder her, Nath“, bat sie und streckte die Hand aus.

Der Zehnjährige, dessen dunkle Haare wild nach allen Seiten abstanden, blitzte sie trotzig an. „Warum?“, wollte er provozierend wissen.

Lucy stemmte nur die Hände in die Hüften. „Nathan Cassian Pevensie. Gib‘ mir den Brief“, sagte sie strenger und der Junge gab nach. Die Lippen zu einem Schmollmund verzogen, der jeden, der ihn nicht genau kannte, auf der Stelle erweicht hätte, reichte er den Brief zurück.

„Danke sehr“, meinte Lucy nur, ganz als ob sie nicht erst hatte drohen müssen. Dass sie ihren Neffen mit seinem kompletten Namen ansprach, kam nämlich nur vor, wenn sie es wirklich ernst meinte. Und in diesem Falle meinte sie es ernst. Auch wenn Eustachius sehr verschlüsselt schrieb, wenn er jenes Thema ansprach, von dem die Kinder besser nichts wissen sollten, so war es gefährlich, den Brief den Kindern zu überlassen.

„Wo ist Edmund eigentlich?“, fragte sie, um abzulenken.

„Onkel Edmund ist beim Nachbarn, die feiern irgendetwas politisches“, erwiderte Nathan. Obwohl er sehr ernst sprach, war ihm anzumerken, wie wenig er damit anfangen konnte.

Lucy aber erinnerte sich jetzt, dass Edmund so etwas heute Morgen bereits erwähnt hatte. Die britische Regierung hatte unterzeichnet, dass sie irgendwo ihre Militärs abziehen würde. Lucy interessierte sich nicht wirklich dafür, aber sie wusste, dass Edmund und einige andere in der Nachbarschaft dieserart Ereignisse gern als persönlichen Triumpf sahen. Das Problem war nur, dass sie so vermutlich gar nicht erst vor dem späten Abend mit Edmunds Rückkehr rechnen musste.

Seufzend legte sie den Brief beiseite und stand auf.

Sie würde wohl später zu Ende lesen müssen.

„Was haltet ihr davon, wenn wir in den Park gehen?“, wollte sie von den beiden Kindern wissen, während sie mit einer beiläufigen Geste ihren Rock glattstrich.

„Nehmen wir den Ball mit?“, wollte Nathan aufgeregt wissen.

„Solange du mich nicht zum Mitspielen zwingst“, erwiderte Lucy nur, blickte dann zu ihrer Nichte. „Einverstanden, Emily?“

Das Mädchen nickte.
 

Kurz darauf hatten sie auf einer Wiese, die am Rande des Parks lag, Rast gemacht.

Nathan hatte nicht lange gebraucht, um ein paar andere Kinder zu finden, die seinen Ball, seinen größten Schatz, ebenso toll fanden, wie er selbst und nun spielten sie lautstark quer über die Wiese.

Nathans Zwillingsschwester Emily dagegen saß nicht weit von Lucy entfernt im Gras und starrte träumend in die Wolken.

Lucy, die am Stamm eines uralten Baumes lehnte und die beiden im Auge behielt, kam nicht umhin, es ihrer Nichte für einen Moment nachzumachen. Und wie immer dauerte es nicht lang, bis sie eine Wolke ausmachte, in deren Form sie einen Löwen zu erkennen glaubte. Rasch senkte sie wieder den Blick. Es war nicht gut, wenn sie in Gedanken war, nachher würde sie sich nur verplappern.

Fast fünf Jahre hatten sie alle es jetzt durchgehalten. Peter, Edmund und sie arbeiteten Hand in Hand, den beiden Kindern ein möglichst angenehmes Leben zu ermöglichen, in einer Welt, die sich nach dem Ende des Krieges langsam wieder zu normalisieren begann.

Seit einigen Monaten war jetzt nicht einmal mehr das Fleisch rationalisiert. Peter und Edmund hatten beide Arbeit und wenn das nicht reichte, nähte oder flickte manchmal sie etwas gegen ein wenig Geld, sie kamen zurecht. Edmund hatte sich zwar für kurze Zeit den ‚Mods‘ angeschlossen, das aber nach einer Standpauke seitens Peter schnell wieder sein gelassen. Edmund hatte inzwischen gelernt, dass Peters Ansichten ihn schon manches Mal aus Schwierigkeiten rausgehalten hätten.

Und mindestens Nathan war nichts mehr davon anzumerken, dass beide Kinder nach dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter traumatisiert gewesen waren. Der Zehnjährige war fröhlich und in der Schulklasse anscheinend auch beliebt.

Emily war verschlossener, träumerischer – und fantasievoller.

Lucy war manchmal der Meinung, ihre Nichte würde viel mehr ihr selbst ähneln, als der stets pragmatischen Susan. Aber vielleicht lag das auch daran, dass sie sich gerade in der ersten Zeit besonders um Emily hatte kümmern müssen. Das Mädchen war oft krank gewesen, immer leicht angreifbar. Die Ärzte sagten, dass das noch mit dem Trauma zusammenhängen könnte. Inzwischen hatte sich das gebessert, aber der stille, manchmal zerstreute, Charakterzug war Emily erhalten geblieben.
 

„Tante Lucy?“, fragte Emily da plötzlich.

Angesprochene stieß sich von dem Baumstamm ab und kam auf ihre Nichte zu, hockte sich neben ihr ins Gras, froh darum, dass es trocken war. So würde der neue Mantel keinen Schaden nehmen. „Was hast du denn?“

„Kannst du auch Bilder da oben sehen?“, fragte die Zehnjährige und zeigte mit dem ausgestreckten Arm in den Himmel.

Lucy zuckte leicht zusammen, besann sich aber wieder. Diese Frage ihrer Nichte war vermutlich absolut harmlos. „Jeder kann das, Emily. Jeder, der ein bisschen Fantasie hat“, erwiderte sie also etwas ausweichend.

„Und Papa? Wenn er von oben runterguckt, kann er dann auch die Bilder sehen?“

Lucy hielt aus mehreren Gründen die Luft an. Nicht nur, dass diese Frage eindeutig zu der Fraktion gehörte, die niemand mit Gewissheit beantworten konnte… es fiel ihr mit jedem Mal schwerer, Emily anzulügen.

Obwohl das Mädchen und ihr Bruder nie etwas anderen zu hören bekommen hatten, als dass ihr Vater bereits vor ihrer Geburt verstorben sei, so schien Emily eine instinktive Bindung zu besitzen, die Lucy fast Sorgen bereitete. Die ständigen Fragen… aber sie wollte ihre Nichte nicht enttäuschen, also antwortete sie: „Sicherlich könnte er das. Aber er hat bestimmt nur Augen für dich und deinen Bruder“

Wenn er überhaupt von euch wüsste. Was Caspian wohl dazu gesagt hätte?

Lucy verdrängte den Gedanken.

Sie würde nie die Gelegenheit bekommen, Caspian zu fragen, insofern war es besser, solchen Überlegungen erst gar keinen Raum in ihrem Denken zu lassen. Erleichtert nahm sie derweil zur Kenntnis, dass die Zehnjährige tatsächlich mit der Antwort zufrieden gestellt schien. Lucy war beruhigt. Sie erhob sich und hielt ihrer Nichte die Hand hin. „Komm‘, wir sollten nach Hause gehen. Ehe Peter kommt, wollen wir doch das Essen fertig haben, oder?“, wollte sie wissen.

Bereitwillig rappelte sich auch das Mädchen auf. „Natürlich, Tante Lucy“

Lucy lächelte nur, ehe sie sich nach ihrem Neffen umsah.

„Nath! Zeit nach Hause zu gehen!“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Bisher sieht's ja aus, als hätten sie das Beste draus gemacht^^
Fällt eigentlich jemandem was an Nathans Namen auf?

Kleine Historie nebenbei:
Das was Edmund da mit den Nachbarn feiert, ist tatsächlich geschehen: Am 19.10.1954 stimmte die britische Regierung zu, ihr Militär vom Suez-Kanal abzuziehen.
Im Juli desselben Jahren wurde tatsächlich die Rationierung von Fleisch aufgehoben.
Und auch die angesprochene 'Mod'-Bewegung gab es. Das waren vorzugsweise junge Männer aus der Mittelschicht, die etwas radikal für mehr Mitbestimmung eingetreten sind und dabei den Dandy-Stil aus dem 18. und 19.Jahrhundert wieder ausgruben.

Narnia Historie: Der Brief oben spielt natürlich auf "Der silberne Sessel" an... Komplett anzeigen

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