Zum Inhalt der Seite

Der Sanftmütigen Erbe

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

„Wir müssen die beiden […] auf alle Fälle von Narnia fernhalten“

„Können Sie beweisen, dass Sie mit Miss Susan Pevensie verwandt waren?“
 

Wortlos legte der Älteste der drei Personen, die in das Vorzimmer des Waisenhauses gekommen waren, ein Bündel Dokumente auf den Tisch. Die Kinderschwester auf der anderen Seite des windschiefen Tisches, der als Empfangstresen diente, blätterte kurz durch die Papierstücke durch, dann erhob sie sich. „Kommen Sie“, forderte sie ihre Besucher auf.

Weiterhin wortlos folgten die drei, nicht ohne die Dokumente im Vorbeigehen wieder einzustecken.
 

Sie wurden durch einen kleinen Raum in einen großen Saal geführt, vorbei an mehreren Reihen Strohsäcken und notdürftig zusammengezimmerter Gitterbetten. Der letzte große Angriff war erst wenige Wochen her.

Lucy schluckte, als sie sich umsah. All diese Kinder hatten ihre Eltern verloren, viele von ihnen waren selbst verletzt, manche für ihr Leben gezeichnet.

Sie konnte einen höchstens sechsjährigen Jungen erkennen, der an einem der Fenster hockte, ungerührt von dem Lärm im Saal. Er strahlte Einsamkeit aus. Die Kinderschwester schien den Blick der Besucherin bemerkt zu haben, denn sie winkte ab. „Bill ist seit über einem halben Jahr hier. Er war nur wenige Meter entfernt, als eine dieser Bomben hochging. Seit dem hört er nichts mehr“ Lucy schwieg dazu, aber der Junge tat ihr Leid – ebenso wie all die anderen Kinder hier.

Am Liebsten hätte sie alle mitgenommen. Ihnen das gegeben, dass den meisten von ihnen wohl verwehrt sein würde: Ein Zuhause. Aber das war unmöglich. Die einzigen, die sie mitnehmen konnten, waren ihr Neffe und ihre Nichte.

Susans Kinder…

Lucy schüttelte innerlich den Kopf. Bis vor wenigen Tagen hatte sie nicht einmal etwas von der Existenz der beiden gewusst.

Vor allem war sie – wie jeder andere auch – der Meinung gewesen, zwischen ihrer jetzt verstorbenen Schwester und Caspian sei es nie zu mehr gekommen als dem verzweifelten Abschiedskuss am Portal.
 

„Da sind die beiden. Seid behutsam mit ihnen, sie sind noch sehr verstört“, riss die leise Stimme der Kinderschwester sie aus ihren Gedanken und sie folgte mit den Augen der Geste der älteren Frau.

In einem der Gitterbetten saßen zwei kleine Kinder, an die fünf Jahre alt und schauten, kaum dass sie zu bemerken schienen, dass ihnen die Aufmerksamkeit aller galt, furchtsam zu ihnen auf. Beide hatten nicht das glatte Haar ihrer Schwester, sondern das wellige, dichte von Caspian.

Für einen Augenblick war Lucy wie erstarrt.

Dafür trat Peter langsam an das Bett heran und kniete sich daneben, um mit den beiden auf Augenhöhe zu sein. „Ich weiß, ihr habt mich nur einmal gesehen, aber erinnert ihr euch? Ich bin Peter, euer Onkel“, sprach er behutsam auf die Kleinkinder ein.

Der Junge blieb weiterhin zurückhaltend, aber das Mädchen streckte etwas die Hand aus. „Pete?“, fragte sie mit glockenheller Stimme.

Peter nickte leicht und griff behutsam nach den Fingerchen der Kleinen, die sich ihm durch die Gitterstäbe entgegen streckten.

Jetzt näherten sich auch Edmund und Lucy.

Sofort zog das kleine Mädchen ihre Finger zurück. „Wer… du?“, fragte sie. Sie schien zu verschüchtert, um einen vernünftigen Satz über die Lippen zu bringen.

Lucy bemühte sich um ein freundliches Lächeln jenseits des Mitleids, das sie empfand. Die Atmosphäre in diesem Saal erdrückte sie fast. „Ich bin Lucy, deine Tante. Und das ist Edmund. Auch ein Onkel“, erklärte sie leise.

Das Mädchen reagierte nicht ganz so zutraulich wie bei Peter, als zu mindestens sah sie jetzt mehr neugierig aus, als skeptisch.
 

Peter sah zu der Kinderschwester auf. „Wir nehmen sie mit uns. Das sind wir unserer Schwester schuldig“, erklärte er und kam wieder auf die Beine.
 

Zwei Stunden später saß die nunmehr fünfköpfige Gruppe im Zug. Lucy und Edmund auf einer Bank, Peter auf der gegenüberliegenden, die beiden Kleinkinder bei sich. Obgleich sie ihn nur ein einziges Mal gesehen hatten, schienen sie ihm bisher am Meisten zu vertrauen.

Lucy lehnte die Schläfe an das Abteilfenster und sah auf die vorbeisausende Landschaft. Peter vermittelte sowieso schnell Vertrauen, auch Wildfremden – und anscheinend auch kleinen Kindern. Er hatte einen gewissen Stolz und eine Ausstrahlung, die einem Geborgenheit gab. Der Prächtige…, dachte sie stumm. Das war sein Beiname gewesen. In einer anderen Welt, die doch ebenso zu ihnen gehörte, wie die, in der sie sich gerade befanden.

Und doch können wir nie wieder zurück… oh, Aslan… ich vermisse dich so… Wehmütig dachte Lucy an den riesigen Löwen, den eigentlichen Herrscher Narnias. Es war gut drei Monate her, dass auch sie und Edmund sich endgültig von Narnia – und von Aslan – hatten verabschieden müssen, aber noch immer fuhr ihr der Schmerz darüber tief ins Herz. Für Peter war noch längere Zeit vergangen.
 

„Lucy? Lucy, hörst du mir zu?“, holte die Stimme ihres älteren Bruders sie aus ihren Erinnerungen.

Mühsam riss Lucy sich los und richtete den Blick auf den Blondhaarigen. „Entschuldige bitte“, bat sie und war sich dabei im Klaren darüber, dass Peter ganz genau wusste, wo ihre Gedanken gewesen waren, auch wenn er kein Wort darüber verlor.

„Es ist so… unsere Aufgabe ist nicht nur, den beiden ein besseres Leben zu geben, als sie es im Waisenhaus je gehabt hätten. Wir haben noch etwas Wichtigeres zu tun“, sagte Peter ernst und sofort hatte er Lucys volle Aufmerksamkeit. Worauf wollte ihr ältester Bruder hinaus? Seine nächsten Worte überraschten sie noch mehr: „Wir müssen die beiden, wenn sie älter sind, auf alle Fälle von Narnia fernhalten“

Lucy zuckte zusammen und auch Edmund schien nicht ganz zu verstehen. „Aber warum? Die beiden sind direkter mit Narnia verbunden, als wir es jemals waren“

Peter versicherte sich mit einem kurzen Blick, dass beide Kinder schliefen, ehe er knapp sagte: „Eben“ Doch als er merkte, dass seine jüngeren Geschwister ihn nicht ganz verstanden, fuhr er fort: „Ihr habt erzählt, Caspian habe sich neu verliebt, nicht wahr? Sicher wird er dieses Sternenmädchen geheiratet haben. Sie ist nun Königin von Narnia. – Diese beiden hier sind Caspians Kinder. Und sie sind in jedem Falle älter, als ein Kind von Caspian und seiner Gemahlin je sein könnte. Versteht ihr?“

Lucy schloss kurz die Augen, als sie verstand. Peter hatte Recht. Wenn die beiden jemals nach Narnia gelangen sollten, konnte das einige Schwierigkeiten nach sich ziehen. Ihre Blutsverbindung dorthin würde vielleicht nicht einmal vor der Zeitverschiebung halt machen.

„Dann werden sie auch nie erfahren dürfen, wer ihr Vater ist“, mischte sich Edmund ein.

Peter nickte etwas. „Soweit ich weiß, wollte Susan ihnen erzählen, ihr Vater sei nicht mehr am Leben. So sollten wir es auch halten“
 

„Sag‘ mal, Peter, woher wusstest du eigentlich von den beiden?“, wollte Lucy da wissen. Diese Frage brannte ihr schon seit dem Tag von Susans Beerdigung, als Peter ihnen von den Zwillingen erzählt hatte, unter den Nägeln.

Wie so oft, wenn Peter nachdenklich war, schien er mehr durch sie hindurch zu sehen, als dass er sie ansah. „Zufall, Lucy. Sie hat sich nach unserer Rückkehr ja so von uns entfremdet… ich wäre genauso wenig wie du jemals darauf gekommen, dass es diesen Grund hat. Sie ist nie mit in Amerika gewesen. Das hat sie uns weisgemacht – und unseren Eltern hat sie erzählt, sie würde mich zum Professor begleitet.

Naja, ich habe vor einiger Zeit einen Kameraden im Lazarett besucht – und sie hat dort als Krankenschwester ausgeholfen, um an ein bisschen Geld zu kommen. So bin ich ihr über den Weg gelaufen. Als ihre Schicht zu Ende war, bin ich einfach mit ihr mitgegangen, zu ihrer Unterkunft. Erst wollte sie mich abweisen, aber dann kam ihre Nachbarin ihr schon entgegen – mitsamt den beiden. Da musste sie mir dann die Wahrheit sagen. Aber sie hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich es für mich behalte – und ich habe zugestimmt, unter der Bedingung, dass sie es wenigstens euch erzählt. Wozu sie dann aber wohl nicht mehr gekommen ist“ Er senkte etwas den Kopf. „Ich bin mir sicher, seit damals hat sie den Namen ‚Caspian‘ nie mehr in den Mund genommen. Sie hat ihn und Narnia nicht vergessen, auch wenn sie es wollte, aber sie hat die Existenz beider verdrängt. Sie glaubte nicht mehr daran. Es war für sie, als hätten die beiden hier niemals einen Vater gehabt“
 

Da begann das Mädchen im Schlaf leise vor sich hinzuweinen.

Kurzerhand sprang Lucy auf, ungeachtet des ruckelnden Zuges, und zog die Kleine an sich, wiegte sie behutsam im Arm. Leise begann sie zu summen, eine Melodie, die keiner ihrer beiden Brüder kennen würde und die sich doch tief in ihrem Herzen verankert hatte. Jenes kleine Lied, das Herr Tumnus damals für sie gespielt hatte, als sie selbst als Achtjährige zum ersten Mal nach Narnia gekommen war.

Langsam beruhigte sich das Mädchen in ihren Armen und schlief schließlich wieder ruhig.

Auch Lucy selbst war eingedöst. Und im Halbschlaf meinte sie eine goldene Silhouette zu sehen, deren dichtmähniger Kopf ihr freundlich zunickte. Aslan… du und Narnia, ihr werdet für mich nie vergessen sein…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Auch eine Art von Patchworkfamilie... Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück