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Angel of Ashes

Wenn Engel die Welt beherrschen
von

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Feuer und Stolz

Ein wolkenloser Tag ging über in eine ebenso klare Nacht. Rosa stand an dem Tor, welches hinaus in den staubigen Hof führte und sah in den Himmel. Auch wenn sie wusste, dass es dort oben eine höhere Macht gab, war sie noch immer fasziniert von diesem Gedanken. Trotzdem spürte sie keinen Hass mehr, seitdem sie Michael kannte. Er hatte ihr die Hoffnung zurück gegeben, dass Gott kein Monster war. Nur menschlicher als sie immer gedacht hatten.

Menschlich genug, Fehler zu machen.

Hinter ihr saßen einige Engel um den massiven Holztisch versammelt und berieten sich über die Neuankömmlinge. Um es auf den Punkt zu bringen, sprachen sie über Sheena, die in ihrer Wut auf die Engel fast ihr Kind verloren hatte. Dies war bisher niemandem gelungen und nun saßen die Männer etwas ratlos zusammen.

Die anderen Frauen waren in ihre Zimmer geschickt worden, da sie nichts von dem Gespräch mitbekommen sollten. Rosa war von Anfang an in den Fall Sheena mit einbezogen worden und somit durfte sie auch anwesend sein.

Ihr Blick fiel auf Michael, der sehr ernst aussah, als er Japhet zuhörte, welcher Sheenas Zusammenbruch schilderte. Sie liebte den Mann, auch wenn sie wusste, dass er sie nicht als Frau im eigentlichen Sinne sah. Er respektierte sie als das, wofür er sie brauchte. Manchmal verletzte Rosa dieser Gedanke, dann wiederum war sie einfach nur froh, dass sie ihn hatte und dass er sich solche Mühe gab, ihr ein positives Gefühl zu vermitteln. Er suchte sie nur auf, wenn er darauf aus war, sie zu schwängern, doch er hörte ihr auch zu. Das war mehr als alles, was sie vorher gehabt hatte. Trotzdem wünschte sie sich manchmal, dass es mehr gab, was sie verband.

"Wenn sie sich weiterhin so gegen uns und unsere Aufgabe sträubt, wird sie sich und das Kind umbringen.", sagte Ignatius in dem Moment, als Rosa wieder zu den Engeln dazu stieß. Sie setzte sich nicht, sondern blieb hinter Michael stehen.

"Sie ist in diesem Zustand auch nicht für die Aufgabe brauchbar, die wir ihr zugedacht hatten.", gab Michael von sich.

Rosa wusste wovon er sprach, da er ihr das zuvor ausführlich erklärt hatte.

"Habt ihr mal daran gedacht, auf sie zu zugehen?"

Zehn göttliche Gesichter wandten sich ihr zu. Ihr schwaches menschliches Herz begann zu rasen, doch sie riss sich zusammen.

"Ihr habt sie in einer Situation größten Widerstands geschwängert. Sie weiß nicht wer der Vater ihres Kindes ist, sie weiß nicht, dass sich eine Allianz zwischen Frau und Engel bildet. Und ihr habt ihr einen Teil ihrer Familie geraubt."

Rosa konnte nicht verhindern, dass sie ebenfalls ein wenig Wut auf die Männer vor ihr verspürte. Sie wusste, dass die Engel dies an ihren Worten hörten.

"Unter diesen Umständen wird sie es schaffen, ihrem Leben und dem ihres ungeborenen Kindes ein Ende zu setzen. Nur weil ihr es für richtig haltet, ihr nicht die Wahrheit zu sagen."

Rosa sah in die Runde. Auch sie wusste nicht sicher, welcher Engel Sheena bei gelegen hatte, aber sie hatte eine Ahnung.

"Ihr habt ihr etwas für sie ganz wichtiges genommen, ihre Selbstbestimmung. Gebt ihr einen Teil davon zurück. Wenn sich ihr Partner outet, wird sich ihr Zorn wenigstens erstmal fast nur noch gegen ihn richten. Das ist mit Sicherheit besser, als das sie sich weiter in ihre Ablehnung hineinsteigert, bis sie tot ist."

Ein Paar Augen loderten mit einer solchen eisigen Kälte, dass Rosa sich bestätigt sah in ihrer Vermutung.

Doch es war Japhet, der das Wort an sie richtete: "Sie ist für die Botschaft Gottes nicht empfänglich. Selbst wenn sie weiß, welche Engel ihr Partner ist, wie willst du sie umstimmen?"

"Gar nicht!"

Die Engel tuschelten, einige warfen sich verwirrte Blicke zu. Manchmal waren sie den Menschen ähnlicher, als sie dachten.

"Keiner von uns ist in der Lage, ihre Ablehnung zu durchbrechen!"

Nun sah auch Michael sie an, als habe sie den Verstand verloren. Als Rosa nun weiter sprach, erhob sie die Stimme, mit der Genugtuung, den Engeln voraus sein zu können.

"Niemand außer dem Kind, welches sie unter dem Herzen trägt, denn sie ist immer noch eine Frau. Daher solltet ihr dafür sorgen, dass sie es nicht tötet."

Rosa wandte sich ab und verließ den Saal. Sie war Sheena in ihrer dickköpfigen Art fast dankbar, dass sie die Engel zwang, sich mit der Menschheit wirklich auseinander zu setzen. Und mit den Frauen, die hier lebten.
 

Als Sheena erwachte, klebte ihre Zunge an ihrem Gaumen und ihre Augen waren so schwer, dass sie sie kaum aufbekam. Ihr ganzer Körper schmerzte, doch der Durst war am Schlimmsten. Sie versuchte sich zu konzentrieren. Und schaffte nicht nur, ihre Augen zu öffnen, sondern auch einen Punkt des Zimmers zu fixieren, der wie ein Leuchtfeuer durch ihre Lieder drang.

Es war Ignatius.

Es saß auf einem der Stühle direkt bei ihrem Bett und lächelte sie so warmherzig an, dass Sheena ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte.

"Schön, dass du wach bist. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht."

"Um mich oder das Kind?"

Er lächelte.

"Du würdest sogar noch mit deinem letzten Atemzug gegen jeden positiven Gedanken kämpfen, nicht wahr?"

Sheena blieb ihm die Antwort schuldig.

Ignatius schien zu ahnen, wie sie sich fühlte und reichte ihr ein Tonbecher mit Wasser, welcher auf dem kleinen Tisch gestanden hatte. Sheena wollte gierig trinken, doch ihre Hände zitterten so sehr, dass sie es nicht schaffte den Becher anzusetzen. Ignatius nahm es ihr sanft aus den Händen und setzte ihn ihr dann an die Lippen. Es ging nicht ein Tropfen daneben.

"Ich sollte dir wohl danken.",brachte Sheena nur mit Mühe hervor.

"Du hast mich vor dem Verdursten bewahrt."

Ignatius hörte die Ironie in ihren Worten, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper.

"Gern geschehen. Darf ich dich trotzdem fragen, wie es dir geht?"

Sie war zu schwach um sich gegen eine so einfache Frage zu wehren.

"Zerschlagen. War es schlimm?"

Schlimmer als sie glaubte, denn ihr ganzer Körper schmerzte.

"Es hätte euch fast das Leben gekostet."

"Wenn du fast sagst, lebt scheinbar noch alles an und in mir."

Sie wagte es nicht, an sich hinunter zu sehen. Sie hatte nicht nur Schmerzen, sondern fühlte sich bereits unförmiger.

"Bereust du es so sehr?"

"Würdest du das nicht auch tun? Wenn man dir das aufgezwungen hätte."

"Diese Frage kann ich dir nicht beantworten, mir ist es nicht vergönnt ein Kind in mir zu tragen."

Er machte tatsächlich Witze. Sheena verzog das Gesicht.

"Es ist ja auch deine Aufgabe, diese Zucht zu befürworten."

Ignatius erhob sich vom Stuhl und setzte sich zu ihr. Wieso gingen diese Engel eigentlich immer so auf Tuchfühlung? Wahrscheinlich meinten sie, es würde sie ihrem Ziel näher bringen, sich so menschlich wie möglich zu verhalten. Da war er aber im falschen Zeitalter.

"Du wirst dich und das Kind töten, wenn du so weiter machst. Dein Kind hat sich gegen deine Einstellung gewehrt!"

Dann war es denn Engeln ähnlicher als mir. Unglaublich! Sollte das Kind nicht mein Verbündeter sein?!

"Und das wollt ihr natürlich um jeden Preis verhindern. Das passt nicht in euren Plan."

"Reden wir mal nur von mir."

Ignatius wirkte auf einmal so ernst, dass Sheena nicht anders konnte, als ihm ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken.

"Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert. Nicht um jeden Preis. daher möchte ich dir einen Vorschlag unterbreiten."

"Der auch nur von dir stammt?"

"Uns fällt es sehr oft schwer, wie ihr Menschen zu denken. Deshalb machen wir auch so viele Fehler."

Er spreizte seine Flügel, als ob er sich strecken müsste.

"Ich möchte dir ein wenig von uns erzählen."

Sheena verkniff sich eine sarkastische Bemerkung. Ignatius offenes Gesicht machte es ihr schwer, ihn abzuweisen.

"Die Engel waren schon immer ein wenig eifersüchtig auf die Menschen. Gott liebte sie mehr als uns, obwohl ihr immer schon schwach und ungehorsam gewesen seid. Trotzdem hat Gott euch immer wieder eine Chance gegeben, hat jahrelang nur Tränen vergossen, weil ihr euch gegenseitig mordetet und auch seine anderen Geschöpfe mehr und mehr die Existenz raubtet."

Er legte eine Hand auf ihren Arm, den sie nicht weg zog. Sein Gesicht schien umwölkt von all dem Schmerz der Welt.

Und er hatte Recht!

"Er entschied sich, dem ein Ende zu setzen. Doch er machte den größten Fehler seines Daseins. Er zerstörte das, was er am meisten liebte und verlor nicht nur die Menschheit, sondern auch die ganze Welt und viele seiner Engel. Das Leid was er sähte, erntete er tausendmal zurück."

Er lächelte traurig.

"Deshalb sind wir hier. Wir sind diejenigen, die ihm helfen gut zu machen, was er getan hat. Er hofft, dass das Gute in euch Menschen überlebt, mit unserer Hilfe. Und mit deiner."

Sheena runzelte die Stirn.

"Mit meiner Hilfe?"

"Du bist einer der Gründe, warum Gott die Menschen liebt. Du verkörperst die guten Eigenschaften, die er immer an euch bewundert hat und die wir nie hatten. Ich bitte dich daher, mir die Chance zu geben dir zu zeigen, was wir hier tun."

Einen Augenblick starrte sie den rothaarigen Engel an. War Ignatius vielleicht ihr Ausweg aus dieser Hölle? Wenn sie ihn zum Freund hatte, fiel ihr sicher auch die Flucht leichter, die sie früher oder später wagen würde. In ihrem Unterleib polterte es und Sheena konnte nicht umhin zu denken, dass sie da einen Verräter gebären würde.

"Ich bin für einen Deal!"

Ignatius wirkte verblüfft, wobei sich das sicher mehr darauf bezog, dass sie seinen Vorschlag nicht kategorisch ablehnte.

"Ich gebe dir, und nur dir, die Chance, mir euer Vorhaben zu erklären."

Der Engel nickte.

"Dafür wirst du dafür sorgen, dass ich erfahre, wer der Vater des Kindes ist, das ich gebären soll."

Ignatius grinste so erleichtert, dass es Sheena schwer fiel, nicht zu lächeln. Doch sie riss sich zusammen.

"Deal!"
 

Verkrampft presste Sheena ihre schweißnassen Hände auf die Tischplatte und versuchte die gellenden Schreie auszublenden, die durch die Burg hallten. Die Nacht war bereits hereingebrochen und sie saß alleine in der großen Halle, während eine junge Frau einige Etagen über ihr eins dieser Mischlinge zur Welt brachte. Sie kannte ihren Namen nicht, aber sie war kaum älter als Sheena und gebar bereits ihr drittes Kind.

Ignatius war die letzten zwei Tage kaum von ihrer Seite gewichen. Gemäß ihres beiderseitigen Versprechens, hatte Sheena versucht dem Engel zuzuhören. Ziemlich bald musste sie feststellen, dass sie den Rotschopf mochte. So sehr, dass sie ihn immer weniger als Monster und vielmehr als Mann sah.

Vielleicht, weil er ihr so ehrlich vorkam. Was aber wirklich das Eis gebrochen hatte, war die Art, wie er mit seiner Auserwählten umging.

Ignatius hatte Sheena noch am selben Tag mit Alira bekannt gemacht. Einer sehr jungen, dunkelhaarigen und zierlichen Frau, deren braune Augen beim Anblick des Engels aufleuchteten und permanent an seinen Lippen hingen. Sheena hätte die junge Frau für ihre Anbetung verachtet, wenn sie bei Ignatius nicht genau dieselbe Veränderung beobachtet hätte.

Fasziniert und auch gleichzeitig verwirrt hatte sie die beiden angestarrt, als sie sich fast liebevoll begrüßten.

Alira hatte erst vor kurzem entbunden und sie zeigte Sheena stolz ihren winzigen, rosigen Sohn. Das erste Kind, welches sie zur Welt gebracht hatte und sie war noch nicht wieder schwanger, wie sie Sheena anvertraute.

„Ignatius möchte sicher gehen, dass es mir gut geht. Daher warten wir noch.“

Sie sah ihrem Erwählten nach, der gerade Saal durchschritt um mit Sem zu sprechen. Alira und sie standen in der Nähe des unglaublich großen Kamins, dessen düstere, rachenartige Öffnung Sheena einen Schauer über den Rücken jagte.

Sheena versuchte die Anwesenheit des dunklen Engels zu verdrängen, welcher mit leicht geneigtem Kopf seinem rothaarigen Bruder zuhörte, daher musterte sie Alira genau.

Das Leben in diesem Gefängnis aus Stein tat dieser Frau gut. Sie strahlte und wirkte glücklich und das Baby in ihren Armen schien so unglaublich normal. Sheena hatte noch nicht gewagt, einem der Kinder nahe zu kommen, so stark war ihre Abscheu. Doch dieses kleine Wesen in den Armen seiner Mutter sah überhaupt nicht besonders aus. Sie hatte alles Mögliche erwartet, aber nicht dieses süße unschuldige Kind. Ein Mensch, kein Monster.

Es wurde eng in Sheenas Brust und sie musste den Blick abwenden.

Eine weiche, leichte Hand legte sich über die ihre.

„Verschließe die Augen nicht vor etwas so schönem!“, flüsterte Alira und ihr Blick war so durchdringend und ehrlich, dass Sheena ihm nicht standhalten konnte.

„Ich kann das nicht. Das ist nicht das Leben, was ich mir ausgesucht hätte. Niemals!“, flüsterte sie.

Alira lächelte sanft und entblößte eine Brust um ihren Sohn anzulegen.

„Die Wahl fällt niemandem leicht, auch wenn du das vielleicht denken magst. Aber ich sehe auch in deinen Augen Einsamkeit, Sheena.“

Überrascht hielt Sheena den Atem an. Alira lächelte auf ihr Kind hinab.

„Warum sollte es bei dir anders sein? Nur weil du eine Gruppe einer solchen Größe durchgebracht hast, heißt das nicht, dass du anders fühlst. Ich glaube sogar, dass man gerade dann besonders alleine ist.“

Sie hatte so recht und genau das wollte Sheena nicht zugeben.

„Sie sind meine Familie!“

„Die sofort mit den Engeln gegangen sind, als sie die Wahl hatten.“

Bevor Sheena protestieren konnte, fügte die junge Frau noch hinzu:„Auch in dieser Gemeinschaft wird viel geredet. Jeder weiß was passiert ist.“

Sheena warf Ignatius einen bösen Blick zu. Also tratschten auch Engel.

„Einsamkeit, Trauer Verzweiflung. Das haben die Gefallenen zurückgelassen, Sheena. Welcher Mensch kann so leben? Die Engel haben uns einen Teil davon zurückgegeben, für einen lächerlich geringen Preis. Der mag dir jetzt noch hoch vorkommen, aber der Moment wird kommen, wenn du dein Kind in den Armen hältst und du wirst es verstehen.“

Sheena senkte den Blick und suchte das Gefühl wieder zu finden, welches sie gegen das Glück dieser Frau wappnete. Unwillkürlich strich sie über ihren Unterleib. Sheena konnte es nicht einmal mehr richtig benennen. Sie wusste sie hasste die Engel, aber auch nicht bedingungslos alle. Ignatius schien ihr menschlicher, als sie sich eingestehen wollte.

Sie wusste, dass sie dieses Vorhaben verabscheute, aber sie sah, dass es nicht nur Unglück hervorrief.

Doch am Ende des Tages wusste sie auch, dass all die guten Vorsätze für sie nicht ausreichten. Nicht unter diesen Vorraussetzungen.

„Ich danke dir Alira. Für die Zeit, die du dir für mich genommen hast.“

Sie wandte sich bereits ab und Sheena konnte in der betroffenen Mine der jungen Frau sehen, dass sie wusste, sie hatte versagt.

„Ich hoffe, dass du mit Ignatius als deinen Auserwählten glücklich bist. Er ist einer der Wenigen, der weiß, was seine Erwählter für ihn tut.“

Alira hielt sie nicht auf, als sie die Halle durchquerte um in den Innenhof zu gelangen.
 

Wolkenloser, blauer Himmel und warme Sonnenstrahlen. Dies war das erste Mal seit vielen Jahren, dass Sheena sie genoß. Sie lag rücklings im Staub und ihre Gedanken wanderten mit Frank und den anderen, die hatten zurückbleiben müssen. Für sie war dieser Himmel Todbringend, für Sheena jedoch barg er keine Gefahren mehr. Dieser Umstand konnte sie einfach nicht glücklich machen.

Tränen ließen den Himmel verschwimmen.

„Shee!!!“

Polly und Amaras kleinen runden Gesichter erschienen in ihrem Blickfeld. Sofort fuhr Sheena hoch. Sie hatte ihre Freunde seit ihrer Ankunft nicht mehr gesehen, und sie in ihrem Unglück auch sträflich vernachlässigt.

„Oh Gott. Ihr Süßen!“

Sie umarmte die beiden Mädchen und die kleinen Körper schmiegten sich liebevoll an sie.

„Wo habt ihr den gesteckt? Geht es euch denn gut?“

Sie küsste jedes Kind auf die Wange und musterte sie dann besorgt. Beide Kinder wirkten gesund und zufrieden.

„Sie haben im Berg eine Spiellandschaft für alle Kinder, Shee.“

Amara wickelte sich begeistert ihre blonden Locken um die Finger, während sie Sheena von den vielen Wundern erzählte, die die Engel für sie erschaffen hatten.

„Kaja ist dann diese Wasserrutsche runter und der Engel Konstantin hat sie aufgefangen! Sie haben wirklich immer Zeit für uns.“

„Ist das so?“

Sheena blickte in Pollys sonst so verschlossenes Gesicht, doch auch die Kleine strahlte begeistert.

Sie trugen schlichte braune, aber saubere Leinenkleider und alles an ihnen strotzte nur so vor Energie. Es war eine Ewigkeit her, dass Sheena sie so gesehen hatte.

„Du musst dir das unbedingt einmal anschauen kommen, Shee. Mama und die anderen machen jetzt ganz viel Urlaub und schlafen viel. Aber sie haben sich auch schon gefragt, wo du bist.“

Pollys Mutter hatte sich bisher nie wirklich an dem Gruppenleben beteiligt, daher konnte Sheena nur mit Mühe eine skeptische Bemerkung unterdrücken. Außerdem musste sie den Gedanken verdrängen, was die Engel vielleicht mit den älteren Frauen sonst so taten.

„Ich komme ganz bestimmt mal vorbei, mein Herz.“, versicherte sie mit soviel Begeisterung, wie sie aufbringen konnte.

Aber sie war noch nicht bereit dazu, sich erneut mit einem positiven Aspekt dieser neuen Welt auseinander zu setzen. Die Kinder würden ihre ablehnende Haltung nicht verstehen. Sie waren glücklich.

Sheena hievte sich vom Boden und fragte sich, wann sie so ungelenk geworden war. Man konnte jedenfalls noch nicht viel von der Schwangerschaft sehen.

Sie reichte den Mädchen die Hände.

„Kommt. Wir schauen einmal, was es für uns zum Mittagessen gibt.“
 

Die Sonne war ein Mysterium und Sheena fragte sich, ob Gott auch über diesen mächtigen Stern herrschte. Jetzt jedenfalls küsste sie die Erde um sich zur Ruhe zu begeben. Entschied Gott, wann sie sich schlafen legte? Schob er sie vielleicht über den Himmel?

Sheena lehnte Gedankenversunken in ihrem Fenster.

Welche Macht hatte Gott wirklich? Er hatte diese unheilvollen, geflügelten Wesen ebenso erschaffen wie die Menschen und wenn sie genau darüber nachdachte, unterschieden sich beide Arten kaum voneinander. Auch die Menschheit war grausam und rücksichtslos gewesen. Das war ja auch der Grund, warum sie jetzt nicht mehr existierte.

Aber was sagte das über Gott aus?

Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel riss sie aus ihren Gedanken.

Ein Stöhnen entfuhr ihr.

„Du bist lästig.“

Sem verzog keine Miene, sondern trat in den Raum ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Und du stellst zu viele Fragen.“

Ungläubig starrte sie ihn an.

„Du willst mir doch nicht sagen, dass du Gedanken lesen kannst.“

Sem antwortete nicht, sondern lehnte sich nur gegen die Wand, keine zwei Schritte von ihr entfernt. Seine silbernen Augen fühlten sich auf ihrer Haut an wie Eisregen.

Bewusst dachte sie, was sie von ihm hielt. Es zuckte kaum merklich um seinen Mund.

Unglaublich!

Sheenas Herz schlug hart in ihrer Brust. Was kam als nächstes? Ein Röntgenblick oder Zauberkräfte?

„Wir sind nicht allmächtig.“, erwiderte er auf die nichtgestellten Fragen.

„Verschwinde hier!“, zischte sie wütend.

„Keiner von euch hat das Recht in meinen Kopf zu schauen. Wollte ihr mir wirklich alles nehmen, was mir gehört?“

Nahm das denn gar kein Ende? Ausgerechnet der Engel, den sie am meisten verabscheute, nahm ihr ihr letztes Eigentum. Ihre Gedanken.

„Ich kann dich nicht klar hören. Es sind nur Wellen, die mich erreichen, doch je emotionaler deine Gedanken sind, desto mehr verstehe ich.“, sagte er in einem solch unbekümmerten Ton, dass Sheena ihn nur noch mehr hasste.

„Dann sag ich es dir auch gerne deutlich. VERSCHWINDE!“, presste sie wütend hervor.

Sie brachte etwas mehr Raum zwischen sich und diesen dunklen Engel, der sie Stück für Stück einem Tobsuchtsanfall näher brachte. Sem rührte sich nicht vom Fleck. Seine Erscheinung war wieder so unglaublich präsent, dass sie ihn nicht länger ansehen wollte.

„Ich kann nur dich hören.“

Sheenas Kopf ruckte hoch, hatte sie sich verhört?

„Wieso?“

Er zuckte unmerklich mit den Schultern.

„Ich konnte das von Anfang an. Ich habe dich gefunden! Auch wenn ich es mir nicht ausgesucht habe.“

Sheena musste hart schlucken, während sie merkte, dass alles Blut aus ihrem Gesicht wich.

„Wieso kannst du nur mich hören?“

„Nenn es eine Laune der Natur. Auch wir haben keinen Einfluss darauf.“

Er ließ sie nicht aus den Augen und Sheena konnte sich nicht aus seinem Silberblick befreien. Doch er hatte ihre Frage nicht beantwortet.

„Wer kann das noch?“

Irrte sie sich oder war der Engel doch nicht ganz so gelassen, wie er sich gab. Sem erschien ihr auf einmal wachsam und seine bisher legere Haltung wirkte plötzlich angespannt.

„Jeder, der gebunden ist.“

Sheena sog zischend die Luft ein.

„Gebunden?“, presste sie hervor.

Ihre Gedanken und ihr Herz zerrissen sich fast gegenseitig, während sie die ganze Wahrheit begreifen wollten. Sie keuchte.

„Nicht du!“

Glühendheißer Zorn kochte hoch und sie ballte ihre Hände zu Fäusten, obwohl der Wunsch auf ihn einzuschlagen übermächtig war.

„Sag mir, dass nicht du es bist!“

Sem löste sich von der Wand. Seine Haltung verriet ihr, dass er ihr ab diesem Zeitpunkt alles zutraute.

„Du weißt es doch schon die ganze Zeit.“, sagte er leise.

Deshalb ihre innere Abscheu. Ja, sie hatte es gewusst, denn es war das naheliegendste. Doch jetzt wollte sie ihn tot sehen.

Sheena wusste nicht wie, aber in nächsten Moment hielt sie den tonernen Wasserkrug in der Hand und warf ihn in Sems Richtung. Natürlich konnte der Engel ausweichen, sodass der Krug an der Wand zerschellte. Womit er jedoch nicht rechnete war, dass sie in dem gleichen Moment auf ihn losging.

Sheena warf sich nach vorne und rammte ihm ihre Schulter in den Bauch. Schmerz explodierte und erschütterte ihren ganzen Körper, doch sie hörte auch Sem ächzen. Wahrscheinlich mehr aus Überraschung als dass sie ihn wirklich verletzt hatte, doch Sheena war das in ihrem rasenden Zorn eine Genugtuung ihn aus der Fassung gebracht zu haben.

Obwohl der Schmerz in der Schulter Pünktchen vor ihren Augen tanzen ließ, traktierte sie ihn weiter mit allem was ihr zur Verfügung stand, wobei sie ihr Messer schmerzlich vermisste.

Sie erlangte noch einige Treffer gegen seine Beine und eine schallende Ohrfeige, bevor Sem sie geschickt abwehrte und sie im nächsten Moment, gefangen von seinen Armen mit dem Rücken an ihn gepresst, daran hinderte weiter zu zuschlagen.

„Verdammt noch mal.“, fauchte Sheena.

Blind vor Zorn, versuchte sie sich zu befreien, aber ihr hätte von Anfang klar sein müssen, dass sie gegen den Engel keine Chance hatte. Dieser Bastard las ihr Gedanken, er wusste wie sehr sie ihn verabscheute und er wusste, dass sie ihn am Liebsten von dieser Erde getilgt hätte dafür, dass er ihr ihre Freiheit geraubt hatte.

„Beruhige dich!“, zischte er ihr ins Ohr und sein warmer, aber auch hektischer Atem im Nacken verursachte ihr eine Gänsehaut.

„Fahr zur Hölle!“

Sheena strampelte, trat Sem, doch er ließ nicht von ihr ab und bald verließ sie die Kraft und auch ihre Wut konnten ihr keine Reserven mehr entlocken. Trotzdem lockerte Sem seinen Griff nicht.

„Du wirst mir jetzt zuhören.“

Sein Gesicht lag an ihrer Wange und sein Mund streifte ihr Ohr, während er leise, aber eindringlich sprach. Alles in Sheena schrie, weil seine Nähe ihr unerträglich war, aber sie brachte keinen Ton heraus.

„Wir sind füreinander auserwählt worden. Gott hat das so gewollt und wir werden uns fügen. Hast du mich verstanden?“

Als wäre das ein Grund. Sheena verspannte sich wieder und sofort verstärkte sich der Griff. Ihr entfuhr ein ersticktes Wimmern.

„Ich bin der Engel, der bei dir liegen wird, wann immer er es für notwendig hält. Du wirst meine Kinder gebären. Das ist der Plan. Wenn du dich nicht fügen willst, werde ich dafür sorgen, dass du permanent in genau dem Zustand sein wirst, in dem ich das erste Mal bei dir war.“

Nebel. Das war das, was von dieser Erinnerung übrig war. Sie würde wie unter Drogen dahin siechen und er konnte sich bedienen wann er wollte.

„Genau so wird es sein, Sheena.“

"Verschwinde aus meinem Kopf!", brachte sie gepresst hervor. Seine Arme schnürte ihr die Luft ab.

„Es muss nicht so sein, weißt du. Gib nur ein wenig nach und es wird leichter.“

„Nicht in diesem Leben.“, entfuhr es ihr böse und Sheena vernahm wütendes Zähneknirschen.

„Sem! Lass sie los!“

Sem und Sheena fuhren beide herum. Ignatius und Japhet standen in der Tür. Während Japhet interessiert aber emotionslos das Schauspiel verfolgte, wirkte Ignatius eher wütend.

„Das geht dich nichts an, Bruder.“

Sheena konnte Sems Gesicht nicht sehen, aber er schien nicht gerade erfreut über Ignatius Einmischung. Der ließ sich jedoch nicht beirren. Er betrat den Raum, während der dunkle Japhet sich keinen Meter rührte, und legte Sem beschwichtigend eine Hand auf den Arm.

„Vergiss nicht, wofür wir dies alles tun. Lass deine Wut nicht an ihr aus.“

Überrascht und gleichzeitig verwirrt lauschte sie den Engeln. Sem ließ sie so augenblicklich los, dass sie ins Stolpern geriet und sich am Bettpfosten festhalten musste. Ihr Körper schmerzte an den Stellen, in denen ihr Blut wieder zu zirkulieren begann. Ihre Schulter musste schlimm geprellt sein. Doch sie konnte die Augen nicht von diesen unterschiedlichen Männern lassen, die sich wie Duellanten gegenüber standen.

„Ich tue das, was man von uns verlangt. Ich verdiene deine Kritik nicht!“, zischte Sem.

In seinen Augen züngelte kaltes Höllenfeuer. Ignatius dagegen war die Ruhe in Person.

„Du tust es mit einer solchen Abscheu, dass du es deiner Auserwählten nicht gerade einfacher machst. Vergiss nicht, wer sie ist.“

„Als könnte ich das vergessen.“, der Sarkasmus war nicht zu überhören und Sheena hätte nur zu gerne nachgehakt, aber dafür interessierte sie das Schauspiel zu sehr.

Sem schob sich wortlos erst an Ignatius und dann an Japhet vorbei. Die Resignation in beider Blicke sprach Bände. Diese Auseinandersetzung hatten sie bereits des Öfteren geführt, das war eindeutig.

Sprachlos blickte sie Sem hinterher. Das veränderte die Ausgangslage und sie wusste noch nicht wirklich, wie sie damit umgehen sollte.



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