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Der letzte Raubzug

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Und das nächste Kapitel.
Die Begeisterung meiner beiden Kommentatoren hat sich auch auf mich übertragen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Huch^^; Doch schon 1 Monat her seit dem letzten Teil. Aber mir ist zwischenzeitlich auch die Motivation zum umschreiben flöten gegangen. Na ja, überhaupt zum Schreiben.
Hab jetzt nicht mehr drüber gelesen. Sollten also Fehler gefunden werden, dann bitte unverzüglich melden ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich bin ehrlich: Ich hab keine Ausrede dafür, dass ich so lange gebraucht hat.
Demotivation in allen Lebenslagen -_-
Und wieder geschieht nichts spannendes >o< Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Scheiße kurz T_T Aber als Kapitel an sich stimmig.
Und ich hab ja schon so lange nichts von mir hören lassen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Yay, ich hab es wirklich noch vor Jahresende geschafft.
Was abzutippen. 3 Kapitel hab ich noch. Die folgen dann in nächster Zeit.
Euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Brecht euch nichts ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, bevor ich durch das Lernen für die Abschlussprüfungen nicht mehr dazu komme, bekommt ihr ein neues Kapitel. Ist auch im Moment, dass letzte, vollständige, das ich abgetippt habe. Bei den nächsten hab ich noch so ein paar Meinungsverschiedenheit mit mir selbst bzw. muss ich mir noch was für anlesen ^^
Wünsche trotzdem viel Spaß :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Doch noch ein wenig Zeit gefunden, was zu schreiben und abzutippen.
Auf einer der vielen, langen Zugfahrten in der letzten Zeit habe ich sogar mal sowas wie einen groben Plot anfertigen können xD Jetzt muss ich die Figuren nur noch dazu bekommen, dass sie dem auch folgen... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Kleine Anmerkung am Rande: Im Japanische gibt es zwar das Wort 'du' nicht direkt, aber es ändern sich einige Wortformen. Aber ich wollte das Verhältnis der Beiden zueinander so gern ein wenig vertrauter machen. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr habt echt lange warten müssen.
Wollt ihr die Erklärung lesen? (Wenn nicht einfach zum Kapitel runter scrollen):
Mein Netbook ist im Arsch.
Dann wurde ich von meinem Freund dazu genötigt mein WoW-Abo auch zu nutzen.
Und seit dem das ausgelaufen ist, belagert selbige Person meinen Rechner von früh morgens, bis in die Nacht hinein, zum zocken -_-

Aber heute hab ich ihn mal wieder *wuhooo* und konnte endlich mal wieder in Kapitel abtippen.
Ich werde auch alles dafür tun, damit ich die nächsten auch noch schaffe in der nahen Zukunft.
Und nu:
Viel Spaß :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Jaja, von wegen schneller... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wofür schreibe ich mir den ganzen Text eigentlich vor, wenn ich mich eh nicht dran halte?
Oder nicht halten kann, weil die Figuren mir wieder dazwischen funken....
Ist doch unfair sowas >.< Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Boah, endlich hab ich es geschafft ein neues Kapitel zu tippen. Hat ja lange genug gedauert, ne? Tut mir auch richtig Leid, dass ich das letzten Monat nicht geschafft habe >.< Schäme mich richtig. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal ein wenig früher, als gewöhnlich :) Ich gebe mir im Moment auch viel Mühe viel an dieser FF zu arbeiten Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Im Moment läuft es verdammt gut ><
Muse scheint zurück zu sein aus ihrem Langzeiturlaub. Das werde ich jetzt noch hoffentlich ne Weile ausnutzen können.
Zu eurer Freude, denke ich ;)
Mehr oder weniger jedenfalls.... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wehe es beschwert sich einer von euch über die Textlänge xDD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Jetzt gibt es ordentlich was zu lesen. Ich hoffe doch, dass es euch gefällt x3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich fasse mich mal kurz: Viel Spaß :) Komplett anzeigen

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Das erste Treffen

Er hatte einfach nicht widerstehen können. Gleich, als er diesen Mann das erste Mal gesehen hatte. Der feine Stoff, aus dem der dunkle Kimono war und dazu die drei hübschen, sehr anmutig wirkenden Geishas, an deren Haltung und Ausstrahlung man erkennen konnte, dass sie es weit gebracht hatten in ihrem Metier. All das stank geradezu nach Reichtum. Den ganzen Tag über war er ihnen so unauffällig wie möglich gefolgt. Hatte sich von einem Schatten in den nächsten geschlichen. Den Abend über verharrte er vor einem Theater, in dass sein Opfer mit seinen Begleiterinnen gegangen war. Was ihn nur wieder darin bestätigte, wie gut sein Instinkt für fette Beute war. Wer sich solche Karten -und dann auch noch gleich vier- leisten konnte, der musste nicht knausern. Ein wenig hoffte Camui auch, dass zumindest eine Dame mit ihm mal die Nacht verbringen würde. Aus freien Stücken. Allein eine Haarnadel würde ihm schon viel einbringen, wenn er sie veräußerte. Und das wiederum würde ein paar vernünftige Mahlzeiten und einen Platz zum Schlafen für die nächsten Tage bedeuten. Gerne wäre er ja auch näher an das Gebäude gehuscht, um mehr von dem Stück zu erleben. Ihn hatte es schon immer interessiert. Ein Mal so ein Stück sehen. Dann konnte auch er sich wie jemand fühlen, der aus einer besseren Schicht stammte. Nicht wie jemand, den alle mieden, nur weil er sich am Eigentum anderer bediente. Dabei nahm er prinzipiell nur von Leuten, die eh schon viel hatten.

Beinahe wäre er eingeschlafen von der langen Warterei und den spärlichen Energiereserven seines Körpers, aber endlich kamen die Menschen wieder heraus. Ziemlich schnell hatte er sein heutiges Opfer wieder gefunden. Kunststück, bei den Damen im Schlepptau. Die würden ihm, einem unbedeutenden, verdreckten Dieb, niemals auch nur einen Blick schenken, wurde ihm schmerzlich bewusst, während er sie beobachtete. Auch an dem hier hatten sie kein ehrliches Interesse. Sie sahen nur das Geld. Er knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken. Schnepfen. Er machte sich wieder an die Verfolgung, musste dann leider feststellen, dass sein Opfer dabei war, sich von den Damen zu verabschieden. Na prima. Konnte er die Nadeln also wirklich abschreiben. Trotz der immer schlechter werdenden Laune richtete er sein Augenmerk wieder auf sein eigentliches Ziel. Mit Staunen und einem gierigen Glitzern in den Augen betrachtete er das Haus, in welches der Mann ging. Hier gab es bestimmt einiges zu holen. Weiterhin im Schatten verborgen, wartete er darauf, bis alles dunkel und ruhig war, dann band er sich, zwecks Tarnung, ein Tuch um den Kopf. Leise und vorsichtig kletterte er hoch auf die Veranda des 1. Stocks, lauschte, ob er nicht doch von irgendwo noch ein Geräusch vernahm, was darauf schließen ließ, dass noch jemand wach war. Aber nichts. Das Glück war wohl ausnahmsweise auf seiner Seite. Jetzt musste er nur noch herausfinden, wo sich die wertvollen Sachen befanden. Gerade wollte er eine Tür öffnen, da legte sich ihm von hinten ein Messer an die Kehle.

"Für einen Dieb seid Ihr unheimlich schlecht darin euer Ziel unauffällig zu verfolgen."

So viel zum Thema Glück. Ein wenig in Panik geraten, schlug er die Hand mit dem Messer beiseite und hechtete vorwärts. Er musste es ja nur schaffen zum Geländer zu kommen und dann hinunter zu springen. War ja nicht sehr tief, aber es wagten nicht viele. Hoffentlich gehörte der Kerl nicht dazu. Zumal er ja nichts besaß mit dem er sich hätte verteidigen können. Der Dolch, der an seiner Seite hing war in erster Linie dazu da, Angst ein zu jagen, aber den richtigen Umgang hatte er nie gelernt. Also hatte er nur seine schnellen Beine. Gerade als er auf dem Geländer stand und zum Sprung ansetzte spürte er einen schneidenden Schmerz in seinem Rücken. Unkontrolliert fiel er nach vorne, schaffte es nicht einmal sich richtig abzurollen, damit seine Landung weicher ausfiel. Der Schmerz jagte ein Mal durch seinen ganzen Körper und für einen Moment war ihm, als wäre ihm durch den Aufprall sämtliche Luft aus den Lungen abhanden gekommen. Aber er musste hier weg, durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Mann von eben, der, den er schon den ganzen Tag verfolgte hatte, das Gesetz lieber selbst in die Hand nahm. Er biss die Zähne zusammen und rappelte sich wieder auf. So schnell es ging machte er sich daran von hier weg zu kommen, wobei der Schmerz in seinem Rücken es nicht gerade einfach machte. Wenige Meter lagen erst zwischen ihm und dem Haus, da hörte er Stimmen hinter sich und nachdem er einen Blick nach hinten geworfen hatte, musste er mit Schrecken erkennen, wie der Hausherr ihm mit einigen anderen bewaffneten Männern folgte. Das würde verdammt eng werden. Es war nicht leicht den Schmerz zu ignorieren, aber es musste sein. Würde er nämlich auf den Schmerz hören und stehen bleiben, so wäre das auf jeden Fall sein Ende. Lief er aber weiter so bestand die Chance, dass er es überlebte. Deshalb lief er in irgendeine Richtung davon, so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Bog immer wieder ab, um seine Verfolger abzuhängen.

'Nur nicht erwischt werden. Nur nicht erwischt werden', war der einzige Gedanke in seinem Kopf.

Mittlerweile war er etwas außerhalb der Stadt. Ein kleines bisschen war er schon stolz auf sich, dass er es bis hierhin geschafft hatte. Immer wieder war er um irgendwelche Ecken gehastet, hatte dabei auch fast die Orientierung verloren. Vor ihm tauchte ein kleiner Schrein auf. 'Seit gnädig mit mir, ihr Götter und gewährt mir Unterschlupf.' Hoffentlich fand er dort eine Möglichkeit sich zu verstecken, denn so langsam hatte er wirklich keine Kraft mehr. Immer weiter lief er. Erst durch den Torbogen, dann auf das kleine Gebäude hinter dem Opferstock zu, schob sich durch die Türe, sobald er sie geöffnet hatte. Oh je. Da war er doch glatt in den heiligsten Bereich des Schreins vorgedrungen. Und nun? Hinter die Statue! Nein, zu offensichtlich. Dann eben die Säule in der hintersten Ecke. Dort war es dunkel und die Stoffbahnen, die von der Decke hingen, würden ihm zusätzlichen Sichtschutz bieten. Schlitternd kam er hinter der Säule zum stehen, ließ sich einfach fallen. Jetzt musste er nur noch seine Atmung unter Kontrolle kriegen. Seine Verfolger suchten ihn bestimmt noch und niemand konnte ihm garantieren, dass sie nicht auch hier suchen würden. Als wenn ihn jemand bestätigen wollte, hörte er draußen seine Verfolger.

„Hier ist noch mehr Blut. Er muss in der Nähe sein.“

Blut? Natürlich, die Wunde auf seinem Rücken. War sie so schwer?

Und er hatte die Tür nicht richtig verschlossen. Ein weiterer, eindeutiger Hinweis darauf, dass er hier sein musste. Das war wohl doch nicht sein Tag heute. Jetzt konnte ihm nur noch ein Wunder helfen. Flehend sah er nach oben, in der Hoffnung, dass die Gottheit, der dieser Tempel gewidmet war, ihm seinen Wunsch erfüllen würde. Nicht, dass er besonders gläubig wäre, aber was sollte er in dieser Situation sonst machen?

Er hatte nur nicht gemerkt, dass sich noch jemand hier befand. Erst als seine kleine Ecke plötzlich erhellt wurde, wurde er sich dessen bewusst.

„I-Ihr seid verletzt.“ Es war ein junger Mann, gekleidet in schlichte, aber sehr gepflegte Kleidung und ordentlich gekämmten Haaren, der eine Kerze vor sich hielt. Ein völliger Gegensatz zu seinem eigenen Erscheinungsbild. Die Augen des Mannes weiteten sich geschockt, als er das Ausmaß der Verletzung erkannte. „W-Wir müssen hier weg. Ich kann Ihnen helfen. Aber nicht hier“, sagte er leise und sah zu dem Anderen. In seinen privaten Räumen hatte er Salben und Verbandsmaterial.

Helfen klang gut, aber... Abgehetzt sah der Dieb zu der Tür, stellte dabei fest, dass das keine gute Idee war, da ihm schwindelig wurde. Hatte er schon so viel Blut verloren? Und der Schmerz ließ ihn mittlerweile auch jegliches Gefühl für seinen Körper verlieren. Sie sollten wirklich von hier verschwinden. Das Licht lockte seine Verfolger bestimmt an. Das würde nicht gut enden. Es sei denn sie würden unbemerkt von hier weg kommen. Nur wusste er nicht, ob er diesem Mann hier vertrauen konnte. Vertrauen war rar in seiner Branche und man konnte es sich nicht immer leisten. Außerdem tat niemand etwas, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Da machte dieser Mann bestimmt keine Ausnahme.

Dennoch: Er wollte nicht sterben. Krampfhaft krallte er sich, so gut es seine schwindenden Kräfte jedenfalls zuließen, in den Ärmelstoff des anderen, ehe er unter Schmerzen aufstand. Der Kerl hatte wirklich gut getroffen. Der Andere kam ihm ein wenig zur Hilfe, stützte ihn. „Schnell... ich...“

In dem Moment wurde die Tür geöffnet. „Haben wir dich.“ Panisch riss er die Augen auf, als er die Umrisse seiner Verfolger in der Tür sah. Jetzt war seine letzte Stunde gekommen. Er würde hier und jetzt sterben. Sich innerlich schon auf sein Ende vorbereitend löste sich sein Griff und er sackte zusammen. Jetzt würde ihm niemand mehr helfen können.

Aber da hatte er die Rechnung ohne den Japaner neben ihm gemacht. Denn nachdem dieser sich nach der ersten Schrecksekunde erholt und realisiert hatte, was hier gerade geschah, holte er tief Luft und machte einige Schritte auf die Eindringlinge zu: „Was wagt ihr es bewaffnet das Innere dieses Schreins zu betreten? Schämt ihr euch denn gar nicht?“ Mit finsterem Blick und abweisender Gestik machte er ein paar weitere Schritte auf die kleine Gruppe zu. „Verschwindet! Na los! Und mögen die Götter euch diesen Frevel verzeihen.“ Es war schon ein wenig übermütig von ihm, sich allein einer Gruppe von Männern zu stellen, die größer und kräftiger waren, als er selbst. Nicht zu vergessen die Klingen, die sie bei sich trugen. Doch er vertraute drauf, dass sie es nicht wagen würden ihm weh zu tun. Die Götter hielten ihre schützenden Hände über ihn, dessen war er sich sicher.

Zufrieden stellte er fest, dass diese unhöfliche Bande von dannen zog, wobei er natürlich die Blicke bemerkte, die an ihm vorbei und zu der dunklen Ecke gingen, in der der verletzte Mann war. Was hatte jener getan, dass man so hinter ihm her war? Vielleicht etwas Unrechtes? War er am Ende gar ein Verbrecher? Seufzend schüttelte er den Kopf. Darum konnte er sich auch später Gedanken machen. Wichtiger war jetzt, dass er ihm half. Einer verletzten, hilflosen Person in seinem Schrein musste er einfach helfen. Schnell eilte er wieder zu dem Fremden. Er war bereits sehr schwach, wie er feststellen musste. Besorgt ließ er eine Hand sacht über die Wange des Mannes gleiten. Sie war kalt. Ob vom Schweiß oder weil er nahe des Todes war, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Er spürte nur, wie sich der Andere ein wenig gegen seine Handfläche schmiegte. In Gedanken sprach er ein Gebet. Er bat die Götter um Gnade. Sie durften ihn nicht sterben lassen. Nicht, nachdem er doch gerade gerettet worden war. Der Priester löste den Obi, der um sein Gewand gebunden war und half dann dem Fremden sich auf den Bauch zu legen, um den Stoff auf die Wunde zu pressen. Es würde sicher etwas schmerzen, aber die Blutung stillen.

„Ich lasse Euch nicht sterben. Die Götter werden Euch helfen. Ich verspreche es Euch“, flüsterte er leise. Er musste den Mann schnellstens behandeln. Dafür musste er jetzt her holen, was er an Salben und Tinkturen hier hatte. „Ich komme gleich wieder. Haltet durch. Ich werde mich auch beeilen“, meinte er etwas unsicher, da er fürchtete, dass sein Patient starb, sobald er von ihm weg ging.

Der Dieb bekam die Worte nur am Rande mit, da seine Sinne immer mehr schwanden. Die Aktion gerade und die Aufregung hatten seinen Zustand nur verschlimmert. Er lag hier gerade in einer Lache, die aus seinem Blut gemacht war. So würde er also sterben. Aber wäre das nicht im Endeffekt besser? Sein Leben war ein einziger Tiefpunkt gewesen. Nicht mal richtig stehlen konnte er. Wenn nicht die ein oder andere Frau gefallen an seinem Gesicht gefunden hätte, dann wäre er schon vor langer, langer Zeit gestorben. Obwohl... Eigentlich war er das ja. Seit er das erste Mal das Bett mit einer dieser fürchterlichen Frauen hatte teilen müssen. Eine sanfte Berührung an seinem Gesicht ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. „Es ist... zu spät für mich“, flüsterte Camui. Dessen war er sich sicher.

„Nein, ist es nicht!“ Schnell eilte der Priester von dannen. In seinen Räumlichkeiten angekommen suchte er alles zusammen, was er benötigen würde und legte es in eine große Schüssel. Neben Salben und Verbandsstoff kam auch noch ein Schwamm hinzu. Die Wunde musste unbedingt gesäubert werden, bevor er sie behandelte. Deswegen klemmte er sich die Schüssel unter einen Arm, während er mit der Hand des anderen nach einem gefüllten Wasserkrug griff. Nun etwas langsamer ging er zu seinem Patienten zurück. Die mitgebrachten Dinge stellte er neben dem Verletzten ab, dann holte er die Kerze von vorhin näher heran, damit er besser sehen konnte.

„Ich lasse Euch nicht sterben“, versprach er und leerte die Schüssel, stellte alles nebeneinander auf. „Und die Götter werden mir dabei helfen. Verlasst Euch darauf.“

Die Götter würden ihm helfen? Das hatten sie bis jetzt doch auch nicht, warum sollten sie also plötzlich damit anfangen? Hätte er noch genug Kraft gehabt, dann hätte er jetzt aufgelacht. Aber die hatte er einfach nicht mehr. Nein, er lag hier in seinem eigenen Blut, völlig verdreckt und verreckte. Immer mehr verlor er das Bewusstsein. Zwar versuchte er noch dagegen anzukämpfen, da eine Person in seiner Nähe war, der er nicht vertraute, doch bei dem Schmerz in seinem Rücken, klang Schlaf schon beinahe nach Erlösung.

Währenddessen machte sich der Priester daran die Wunde frei zu legen, wofür er den Stoff, den er vorhin darauf gepresst hatte entfernte und anschließend das Hemd des Mannes weiter aufriss. Doch er konnte bei all dem Blut und Schmutz nicht eindeutig erkennen, wie tief oder ernst die Wunde war. Darum ließ er das Wasser in die Schüssel laufen, tauchte dann den Schwamm hinein und begann dann erst großflächig um die Wunde herum zu waschen, ehe er sich näher heran wagte. Von seinem Vorgänger -und Lehrmeister in Sachen Medizin- hatte er gelernt, wie wichtig es war für Sauberkeit zu sorgen. Noch immer kam Blut aus der Wunde. Das bedeutete zumindest, dass noch Leben in dem Mann war. Nachdem er fertig mit säubern war, besah er sich die Verletzung erneut. Eine lange, gerade Linie. Eindeutig eine Schnittverletzung. Aber nicht sonderlich tief. Wenn er dafür sorgte, dass sein Patient ruhig lag und er selbst regelmäßig darauf achtete, dass sie behandelt wurde, dann wäre schon bald alles wieder verheilt. Entschlossen wählte er einen der kleinen Behälter neben sich auf, um dann vorsichtig die darin enthaltende Salbe auf das kaputte Fleisch aufzutragen, unterbrach hin und wieder, wenn der Körper unter seinen Fingern zusammenzuckte. Unnötigen Schmerz wollte er dem Mann möglichst ersparen. Den Verband allerdings konnte er nicht anlegen solange sein Patient lag.

An der Schulter rüttelnd wollte er die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich ziehen. „Mein Herr, wacht auf. Ihr müsst Euch aufsetzen.“ Zwecklos. Offensichtlich hatte er das Bewusstsein verloren. Dann musste er wohl die Nacht über auf bleiben und aufpassen, dass der andere sich nicht auf den Rücken drehte. Er selbst traute sich nicht ihn allein aufzusetzen. Wenn er es doch versuchte, würde er dem Fremden vermutlich noch mehr Schmerzen bereiten und die Verletzung noch verschlimmern. Vorher sollte er allerdings den dreckigen und vor allem stinkenden Stoff entfernen. Man konnte den Fetzen kaum noch als Kleidung bezeichnen. Zu retten war da auch nichts mehr. Nicht einmal mehr die eigentliche Farbe konnte man noch erkennen. Der Genesung tat es vermutlich auch nicht gut. Hauptsächlich wollte er es aber wegen des Gestanks los werden. So würde er es nicht die ganze Nacht aushalten. Um das zu schaffen, ohne den Fremden allzu viel zu bewegen holte er eine Schere. Bei dieser Gelegenheit entsorgte er auch das verunreinigte Wasser, dass er zur Säuberung benutzt hatte.

Wieder zurück im Altarraum machte er sich daran die Ärmel längs aufzuschneiden, anschließend drehte er den bewusstlosen Mann auf die Seite, um den restlichen Stoff unter ihm hinweg ziehen zu können. Was recht anstrengend war, obwohl der Fremde untersetzt war. Wobei er sich wieder die Frage stellte, was dieser Mann war. Mit einem entschlossenen Ruck schaffte er es dann doch das stinkende Übel an sich zu reißen. Bei dem Stück half nur noch verbrennen. Seufzend sah er auf den Mann hinab. Ungewaschen, mager, generell recht ungepflegt. Ein Mann der Unterschicht, ganz offensichtlich. Auf jeden Fall aber lag er hier auf dem blanken Boden.

„Ich sollte ihm eine Decke holen“, murmelte der Priester und rieb sich über die müden Augen. Das würde eine lange Nacht werden. Doch zuerst mussten noch einige Dinge, neben der Decke, erledigt werden: Er würde noch ein paar Kerzen brauchen, für sich selbst etwas Wärmendes zum anziehen, dazu essen und trinken. Am besten auch noch etwas zu lesen.

„Ich bin gleich wieder zurück. Stellt nichts dummes an.“ Mit einem leichten Lachen wandte er sich ab und eilte schnellen Schrittes davon, wollte seinen Schützling nicht zu lange alleine lassen.

Wunder. Sie geschehen

Als er wieder aufwachte war der Schmerz schon nicht mehr ganz so stark und es war hell. Seine Augen huschten suchend umher. Was war passiert? Warum lebte er noch? Er versuchte sich aufzurichten, da die Bauchlage mehr als unangenehm war, aber es gelang ihm einfach nicht. Sein Körper besaß keine Kraft dazu. Aber auch so erkannte er, dass er sich noch immer in dem Schrein befand, in den er geflüchtet war. Ein Zucken ging durch seinen Leib, als er eine Stimme hörte:

„Den Götter sei Dank. Ihr habt es geschafft.“

Er erkannte ein warmes Augenpaar, das auf ihn gerichtet war und nach einigen Momenten wurde ihm bewusst, dass er hier den Mann von vergangener Nacht vor sich hatte.

„Ihr habt sicher Durst“, lächelte dieser freundlich und half ihm dabei sich langsam auf die Seite zu drehen. Seine linke Hand behielt er an der Schulter des Patienten, auf dass dieser nicht wieder umfiel. Mit der Rechten griff er nach einer schlichten Tasse, in die er Wasser gefüllt hatte. Kurz testete er, ob der Fremde in dieser Position bleiben würde, dann wechselte die Tasse in die andere Hand, damit er den Kopf des anderen Mannes ein wenig anheben konnte.

„Trinkt“, sagte er sanft und setzte das Gefäß an dessen Lippen.

Das Angebot klang zu verlockend, um wahr zu sein. Doch sein Innerstes sträubte sich dagegen es anzunehmen. Er kannte keine Fürsorge. Und wenn das ganze ein Trick war? Und das Wasser vergiftet? Dann hätte der Priester sich aber auch die Mühe sparen können ihn erst am Leben zu halten. Das war doch ein Zeichen dafür, dass der Mann es ehrlich meinte. Gedanklich seufzte er. Wenn er nicht schon so viele geistliche Männer getroffen hätte, die von ihrem Weg abgekommen waren, dann würde es ihm einfacher fallen zu vertrauen. Aber bei dem Schmerz konnte es ihm eigentlich auch egal sein, ob er dem Tod nun nur Nahe war oder durch einen Schluck Wasser endgültig starb.

Mit großen, gierigen Schlucken trank er das Wasser, brannte sein Hals doch fürchterlich. Und da er den gestrigen Tag über nichts getrunken hatte, war sein Durst entsprechend groß.

Kaum geleert füllte der Priester bereits nach und reichte dem Liegenden die Tasse erneut dar, betrachtete das ganze zufrieden. „Wie fühlt ihr Euch jetzt?“

Verwirrt wanderte sein Blick über die Gestalt vor sich. Meinte der Andere die Frage ernst? Er schien zumindest auf eine Antwort zu warten. „B-Besser“, sagte er und behielt den Fremden genauestens im Blick.

„Ihr braucht keine Angst zu haben. Hier in meinem Schrein seid Ihr sicher und Ihr dürft gerne solange bleiben, bis es Euch besser geht.“

Mit einem Mal hatte er das Bedürfnis etwas zu sagen, ein Wort welches er kannte, nur schon lange nicht -oder noch nie?- benutzt hatte.

„A- Arigatou.“ Seine Stimme war leise, rau und trotz des Wassers tat sein Hals noch immer weh. Genau wie seine Augen. Er war müde. Obwohl er doch gerade erst aufgewacht war.

„Dankt nicht mir, sondern den Göttern. Dafür, dass sie Euch zu mir geführt haben in Eurer Not.“

Besorgt und neugierig sorgte der Priester dafür, dass sein Gast sich wieder hin legte, ließ seinen Blick anschließend zu der Wunde gleiten. In der vergangenen Nacht hatte er sie noch ein Mal mit der Salbe behandelt, die die Heilung förderte. Er sollte sie gleich erneut auftragen. Nach einem kleinen Frühstück und einer weiteren Waschprozedur für den Fremden. Obwohl ihm das 'fremd' schon ein wenig missfiel.

„Ihr seid bestimmt hungrig. Ich hole gleich etwas zu essen für uns. Doch vorher“, er musste sich unterbrechen, weil er den Drang zu gähnen verspürte. „Verzeiht“, lächelte er und fuhr dann fort: „Nun, vorher würde ich gerne Euren Namen erfahren. Ich würde doch zu gerne wissen, wen ich hier aufgenommen habe.“

Einige Momente lang haderte der Dieb mit sich selbst. Sollte er seinen richtigen Namen verwenden oder sich doch lieber einen ausdenken? Obwohl ihm bereits viele nicht abgenommen haben, dass er wirklich so hieß.

„Mein Name ist Ca- Camui. Einfach nur Camui“, sagte er schließlich und merkte die alte Angst in sich aufkommen. Wie jedes Mal, wenn er sich gezwungen sah etwas von sich Preis zu geben. Fühlte sich wieder ein Stück mehr ausgeliefert.

„Camui?“ Überrascht blinzelte der Priester. „Ein ungewöhnlicher Name.“ Von dem er sich sicher war, ihn bereits irgendwo schon ein Mal gelesen zu haben. „Dann bin ich für Euch einfach nur Hideto. Ich bin der Priester dieses Schreins.“ Ächzend und wankend erhob er sich. Die lange Nacht ohne Schlaf machte sich bemerkbar. „Ich hole uns schnell etwas zu Essen. Gerade Ihr braucht Kraft, um Euch besser zu erholen.“ Danach sollten sie sich ein paar Gedanken machen, wie es weiter gehen sollte. Schließlich konnte er den Anderen nicht weiterhin so hier liegen lassen. Auf dem harten Boden und bei dem Heiligtum. Da musste dringend eine andere Lösung her. Das hier war bedauerlicherweise nur ein sehr kleiner Schrein, der gerade genug Platz für ihn selbst bot. Doch ihnen würde schon etwas einfallen. In seiner Küche setzte er zuerst einen Kessel mit Wasser auf, um ihnen beiden einen Tee aufgießen zu können. Jetzt musste er nur noch aufpassen, dass er nicht im Stehen einschlief. Er war so müde. So unglaublich müde.

Camui ging es auch nicht besser. Auch er wollte schlafen. Aber nicht, um sich zu erholen, sondern um den Schmerzen zu entkommen. Da machte es ihm auch nichts, dass er hier auf einem Holzboden lag. Das war nicht das erste und bestimmt auch nicht das letzte Mal. Nur, dass er in diesem Fall ausnahmsweise eine Decke zu haben schien. Wenn er die schwere Wärme an seinen Beinen richtig interpretierte. Sehen konnte er in seiner Position nicht viel. Ob der Priester wirklich mit etwas zu Essen wieder kommen würde? Hunger hatte er ja schon. Gewaltigen, wo er doch seit ein paar Tagen keinen Bissen zu sich genommen. Tja, das Los eines Diebes. Eines erfolglosen Diebes. Doch was hätte er auch schon anderes werden können. Schon früh war er zur Waise geworden. Hatte seinen Vater nicht gekannt und seine Mutter verloren, als er erst einige wenige Jahre alt war. Ihr einziger Besitz war eine kleine, zugige Hütte gewesen, die sich jemand angeeignet hatte, kaum dass seine Mutter begraben worden war. Von da an heimatlos hatte sich niemand seiner annehmen wollen. So war er auf sich allein gestellt gewesen. Und dafür war er doch recht alt geworden. Wenn er so zurück blickte, war er dem Tod bereits einige Male so nahe gewesen. Er erinnerte sich an ein, zwei Momente, die sogar noch schlimmer gewesen waren, als jetzt. Wann lernte er nur die wichtigste Lektion dieses Lebens: Sich nicht in solche Situationen zu bringen.

Allmählich wurde die Position, in der er lag unangenehm, aber er schaffte er es ja nicht einmal den Kopf von einer auf die andere Seite zu drehen, so erschöpft war sein Körper. Bis Hideto-san zurück war, konnte er ja noch ein wenig schlafen. Also schloss er die Augen, verdrängte den Hunger und den Schmerz so gut es ging.

„Wir haben Glück. Er ist alleine.“

Und plötzlich war er hellwach. Diese Stimme gehörte zu einem der Männer von vergangener Nacht. Schon wurde er von zwei Paar kräftigen Armen auf die Beine gezerrt und aus dem Tempel heraus geschleift. Dabei wollte er sich doch gerade sicher fühlen. Grob drückten sie ihn auf dem Kiesweg in eine kniende Position, seine Arme noch immer fest im Griff, machten ihm so deutlich, dass er nicht einmal dann eine Chance auf Flucht hätte, wäre er bei Kräften.

„Hast du wirklich geglaubt, dass du mir entkommst?“, hörte er jemanden fragen und nachdem ihm jemand die Spitze eines Schwertes unters Kinn hielt und er so gezwungen war aufzusehen, erkannte er den Mann, den er gestern erst verfolgt hatte und dann vor ihm geflohen war. „Mach dich auf dein Ende gefasst.“

Starr vor Angst konnte Camui nur auf das schimmernde Metall sehen, welches erhoben wurde, bereit seinem Leben ein Ende zu setzen.

„Bitte nicht“, flüsterte er. „Bitte, bitte nicht.“

„Als würde ich auf Abschaum wie dich hören. Einen dreckigen Dieb wie dich, wird niemand vermissen.“ Dieser Mann machte ernst, das konnte Camui in dessen Augen sehen.

Ängstlich hatte er die Augen zusammengekniffen, er wollte seinen Tod nicht mit ansehen. Er war nur froh, dass er zumindest ein Mal in seinem Leben hatte erfahren dürfen, was Hilfsbereitschaft und Zuwendung war. Dieser Priester hatte ihn angelächelt und sich Sorgen gemacht. Er konnte sich ja nicht Mal daran erinnern, dass seine Mutter das jemals getan hatte.

„Was tut Ihr da?“

Überrascht öffnete er seine Augen, als er die, mittlerweile recht vertraute Stimme hörte. Jetzt versuchte dieser Mann schon wieder ihn zu retten. Dabei konnte er sich doch nicht einmal sicher sein, dass Camui ihm nicht mitten in der Nacht die Kehle durchschnitt und ausraubte, sobald er wieder genesen war. Was in dieser Zeit häufig passierte. Bewundernd starrte er den Rücken des Anderen an, nachdem dieser sich schützend vor ihn gestellt hatte, die Arme ausgebreitet. Hatte er nicht mitbekommen, dass es sich bei seinem Gast um einen Verbrecher handelte?

„Dieser Weg gehört zu meinem Schrein. Seid ihr wirklich gewillt Blut auf diesem heiligen Boden zu vergießen?“

Nur ganz so einfach, wie beim letzten Mal ließen sich die Männer nun nicht vertreiben.

„Dieser Mann hat ohne meine Erlaubnis mein Grund und Boden betreten und wollte dann auch noch etwas von meinem Eigentum entwenden.“

„Aber ich habe nichts mitgenommen“, rechtfertigte Camui sich. Er sah eine kleine Möglichkeit seine kaputte Haut noch zu retten.

Der reiche Schnösel schien daraufhin noch wütender zu werden, denn er schubste Hideto beiseite, der daraufhin verwundert liegen blieb. Noch nie hatte man ihm gegenüber Gewalt angewandt. Er festigte seinen Griff um das Schwert, um es wieder auf sein Opfer zu richten, woraufhin dieses wieder den Kopf heben musste. Etwas, dass ihn viel von seiner verbliebenen Kraft kostete.

„Du konntest nichts mitnehmen, weil meine Männer ihre Arbeit besser erledigen als du. Und nur weil du keinen Erfolg hattest, heißt das nicht, dass du es nicht vorgehabt hast. Ganz zu schweigen von den vielen Malen bei anderen Diebstählen, wo du vielleicht sogar erfolgreich warst. Einen Dieb will niemand haben. Und vermissen wird dich auch keiner. Die Stadt wird mir dafür danken, dass sie um einen Parasiten wie dich ärmer ist.“

Beschämt sah Camui zur Seite. Der Mann hatte ja Recht. Niemand würde ihn vermissen oder ihm nachtrauern. Jeder Bürger wäre froh, dass sie sich vor einem Gesetzeslosen weniger fürchten mussten. Hatte er nicht selbst immer mal wieder gedacht, dass es besser wäre, zu sterben?

„Heiliger Boden hin oder her. Wer gegen die Gesetze verstößt muss dafür bestraft werden“, hörte Camui den Mann sagen und sah, wie dieser dabei den Priester mit zornigen Augen anfunkelte. Der wollte wirklich jemanden tot sehen. Nein, nicht jemanden. Ihn, Camui.

Auch er legte seinen Blick auf den zierlichen Mann, der ihm in den letzten Stunden so sehr geholfen hatte. Er würde weinen, oder? Das würde er doch?

Ehrfürchtig sah er zum Himmel. Vielleicht ein letzter, kleiner Wunsch? Menschen taten doch viele verrückte Dinge, wenn sie wussten, dass es mit ihnen zu Ende ging. Und vielleicht gab es ja doch jemanden da oben. Sonst hätte er doch diesen hilfsbereiten, freundlichen Menschen niemals kennen gelernt.

'Du, Gott, dem dieser Schrein geweiht ist.' Es gab so viele, woher sollte er denn jetzt bitteschön wissen, welcher jetzt zu dieser Stätte gehörte. 'Ich weiß, dass ich das mit dem Beten und dem Glauben ziemlich vernachlässigt habe. Tut mir Leid. Aber du musst auch mich ein bisschen verstehen. Bei allem was mir passiert ist, kann man schon mal vom Glauben abfallen. Bitte, wenn du mir hilfst aus dieser Sache heraus zu kommen, dann verspreche ich, dass ich mich ändern werde. Ich höre auf mit dem Stehlen. Ich werde mir einen anderen Beruf suchen. Ich weiß zwar noch nicht was, aber ich werde mir größte Mühe geben. Versprochen. Bitte.' Er starrte in den mittlerweile grauen Himmel, bekam nichts von dem mit, was um ihn herum passierte.

„Bitte“, flüsterte er noch einmal ehrfurchtsvoll.

„Hört doch auf damit! Bitte!", flehte Hideto dagegen die Eindringlinge an. Er konnte nicht mit ansehen, wie dieser Mann den Tod finden würde. Das ging einfach nicht. Nein! Warum geschah denn nichts? Sahen die Götter denn nicht was hier geschah? Ein Leben war in Gefahr. Auch wenn dieser Mann ein Dieb war, wie es diese Männer sagten. So durfte er nicht sterben.

Nicht wissend, was er tat, griff er einfach nach dem Arm, der das Schwert hielt. Hauptsache war doch, dass er das ganze hinauszögern konnte.

Dann geschah es. Von einem Moment auf den anderen wurden die Wolken pechschwarz und Blitze durchzuckten den Himmel. Alle in der kleinen Gruppe schreckten zusammen. Ungläubig verfolgte Camui das Schauspiel am Himmel. War das sein Zeichen? Gab es da wirklich jemanden, der ihn erhört hatte?

Als einer der Blitze direkt zwischen ihm und seinem Henker in die Erde schlug, fiel er hinten über. Die beiden Männer, die ihn bis jetzt gehalten haben, waren vor Schreck zurück gestolpert und hatten sich dabei von ihm gelöst. Nur nebenbei bemerkte er, wie die Wunde auf seinem Rücken wieder stärker schmerzte und frisches Blut austrat. Zu gebannt war er von dem gerade geschehenen.

„Wir sollten gehen, Herr“, murmelte einer der Untergebenen. „Offensichtlich haben die Götter etwas dagegen, dass auf ihrem Grund und Boden Blut fließen soll.“

Der Herr, blass wie frisch gefallener Schnee, nickte. Eiligst zogen sie von dannen, rannten sobald sie ein paar Meter zwischen sich und dem Ort des Geschehens gebracht hatten. Kaum waren sie außer Sichtweite hellte sich der Himmel wieder auf und wie zuvor schien die Sonne.

Geschockt, paralysiert, aber vor allem erleichtert lag Camui auf dem Boden und starrte zum Himmel, bemerkte nicht einmal, wie sich die vielen kleinen Steinchen in seinen Rücken bohrten. Er würde leben. Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden wurde ihm gewährt zu leben. So etwas wie Götter gab es also doch. Das gegebene Versprechen musste er jetzt einhalten. Früher hätte er sich einen Plan überlegt, wie er sich aus dem Ganzen wieder heraus winden konnte, aber ein Versprechen brechen, dass man einem Gott gegeben hatte? Jetzt wo er festgestellt hatte, dass es so etwas wirklich gab, da konnte er es nicht tun. Das wäre Wahnsinn gewesen. Und man hätte ihm das gerettete Leben wieder genommen.

„Danke“, flüsterte er und fühlte wie sich seine Augen mit Tränen füllten. „Danke“, sagte er ein weiteres Mal, ehe er sich der Erleichterung hingab und einfach weinte. Nun konnte es doch nur bergauf gehen, oder?

Auch dem Priester wurde allmählich bewusst, was hier geschehen war. Ehrfürchtig blickte er zum Himmel und bedankte sich für dieses Wunder. Denn etwas anderes war es nicht. Noch immer überwältigt stand er auf und ging auf Camui zu, um sich nach diesem zu erkundigen. Für den anderen musste das Ganze noch aufregender gewesen als für ihn.

„Das war ein Wunder..ein wahres Wunder...“, murmelte er leise.

Oh ja, ein Wunder. Eines, dass er trotz allem noch nicht vollständig verstehen konnte. Sein Blick war noch immer zum Himmel gerichtet, der so klar und blau war, dass niemand auf den Gedanken kommen würde, dass hier noch vor wenigen Augenblicken ein Gewitter gewesen war. Ein paar Mal atmete er tief durch, ehe er seine Aufmerksamkeit auf den Mann neben sich richtete. Er versuchte sich an einem Lächeln, doch sein Körper baute das Adrenalin in seinen Adern zusehends ab, was dem Schmerz wieder erlaubte die Vorherrschaft zu übernehmen. So wurde aus dem Lächeln ein schmerzverzerrte Grimasse.

Genesung

„Wir sollten wieder hinein gehen. Dort kann ich mich wieder um Eure Wunde kümmern“, sagte der Priester besorgt und bedauerte, dass er nicht einmal versucht hatte einen Verband anzulegen. Denn nun war erneut Schmutz hinein geraten. Aber wer hatte schon ahnen können, dass sie in diese Situation geraten würden. „Habt Ihr noch Kraft zu gehen? Denn ich fürchte, dass ich selbst nicht stark genug bin, um Euch ganz allein zu tragen.“

„I-Ich weiß nicht.“ Nachdenklich sah er an dem Priester vorbei. „Ich fürchte, es ist doch zu weit.“ Dabei waren es eigentlich nur einige wenige Schritte. Nichts besonderes. Für einen normalen, nicht verletzten Menschen.

„Wir machen langsam und sobald Ihr merkt, dass es nicht mehr geht, machen wir eine Pause. Aber vielleicht motiviert es Euch ja, dass eine Mahlzeit dort auf uns wartet.“ Er war vorhin über den Hintereingang in den Raum mit der Statue gekommen und hatte erst einmal verwundert das Tablett abgestellt, auf welchem er das Essen und zwei Tassen Tee mitgebracht hatte. Danach erst hatte er durch die geöffnete Haupttür geschaut, wobei er sich schon gefragt hatte, warum diese nicht mehr geschlossen war. Dort war ihm diese schreckliche Szene aufgefallen.

„Kommt, ich helfe Euch auf.“ Er griff nach dem linken, von ihm am weitesten entfernten, Arm des Anderen und führte ihn zu seiner Schulter. „Haltet Euch fest. Geht das?“ Dass sich dessen Finger in den Stoff seines Gewandes gruben, reichte ihm als Antwort. „Gut.“ Lächelnd schob er seinen linken Arm unter den Rücken Camuis und verhalf diesem erst ein Mal in eine sitzende Position. „Es tut weh, ich weiß, doch das wird sich im Moment nicht ändern lassen.“

„Wie schade“, entgegnete Camui, während er sich mit zusammen gebissenen Zähnen fest an den Priester klammerte. „Aber es ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass ich noch lebe, nicht wahr?“ In der aufgerichteten Position verharrte er einige Atemzüge lang, wartete darauf, dass der Schmerz erträglicher wurde. „Vielen...Dank“, murmelte er, konnte den Priester dabei aber nicht ansehen.

„Wofür? Den Göttern gebührt Euer Dank, denn sie retteten Euer Leben.“

„Ja, das taten sie. Doch Ihr ward es, der neben mir gewacht hat. Ihr habt mich beschützt.“

Jetzt wurde der Kleinere doch ein wenig verlegen. Er hatte doch nur getan, was er für richtig gehalten hatte.

„Bereit aufzustehen?“

„Nicht wirklich. Doch ich werde wohl kaum den ganzen Tag hier sitzen können.“

„Dann versuchen wir es.“ Hideto erhob sich, weiterhin nach vorn gebeugt, damit der andere Mann den Halt nicht verlor. Kurz wurde ihm selbst ein wenig schwindelig dabei. Sein Körper strafte ihn dafür, nicht geschlafen zu haben. „Ich werde mich jetzt aufrichten und Ihr versucht Euch hoch zu stemmen, einverstanden?“

Camui nickte nur, konzentrierte, so gut es ging, seine Kräfte auf das Kommende, biss die Zähne zusammen, damit der Schmerz erträglicher wurde. Entschlossen verstärkte er seinen Griff in den Stoff, so stark, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Aber das half ihm, seine Konzentration dahin zu lenken, dass er den Schmerz ausblenden konnte. Mit letzter Kraft zog und stemmte er sich auf die Beine, war dankbar für den festen Griff des anderen Mannes, der ihn aufrecht hielt. Der Rausch, das Gefühl den Tod vor Augen zu haben, hatten ihm fast sämtlicher Kraft beraubt. So stand er jetzt hier mit zittrigen Beinen und kämpfte dagegen an das Bewusstsein zu verlieren. Was einfacher wäre, wäre da nicht dieser unglaubliche Schmerz.

„Lasst uns gehen, bevor Ihr gar nicht mehr stehen könnt.“

Camui nickte nur, aber jeder Schritt fiel ihm schwer. Immer wieder knickte er weg, was es weder ihm noch dem Priester erleichterte. Es waren nur ein paar Meter, doch für ihn fühlte es sich an, wie ein Tagesmarsch.

„Haltet durch. Ihr habt es gleich geschafft“, versuchte Hideto ihm gut zuzureden, doch es drang kaum zu ihm durch.

Das Einzige, was er mitbekam war, wie ihm etwas Warmes vom Rücken Richtung Bauch und auch die Beine hinab floss. Schweiß? Blut? Vermutlich eine Mischung aus beidem.

„Nur noch ein paar Schritte“, keuchte der kleinere Mann, der seine Mühe hatte den Verletzten weiterhin aufrecht zu erhalten. Der fehlende Schlaf und die Aufregung machten auch ihm zu schaffen. Sie hatten es bereits zur Tür geschafft, jetzt war es wirklich nicht mehr weit bis zu der Stelle, wo ihr Essen stand und wo er ihn in der vergangenen Nacht umsorgt hatte.

Kaum hatten sie diese Stelle erreicht, ließ Camui sich fallen. Völlig entkräftet und keuchend lag er auf dem Bauch.

Auch der Priester ging erst einmal in die Knie und schnappte nach Luft. Das zeigte ihm, dass das bisschen Arbeit im eigenen Garten ihm keine großen Kräfte verliehen hatte. Sein Blick richtete sich auf den Rücken des Anderen, wo das Blut in vielen kleinen Rinnsalen hinab lief. Kleinere Steinchen konnte er auch erkennen.

„Ich hole schnell Wasser“, teilte er ihm beim Aufstehen mit. Er nahm den Wasserkrug von vergangener Nacht mit und ging schnellen Schrittes zurück zu seinen Privaträumen. Von da aus zu dem kleinen Brunnen im Garten hinter dem Schrein. Immer wieder rieb er sich über die müden Augen, kämpfte gegen die Müdigkeit an. Aber ausruhen durfte er sich nicht. Sein eigenes Befinden musste er gerade hinten anstellen. Mühsam und mit einigen kleinen Pausen zog er den Eimer mit Wasser hoch, welches er in den Krug umfüllte. Wobei er diesen auch nur zur Hälfte füllte, damit er einfacher zu tragen war.

So vom Schmerz gefangen merkte Camui nicht einmal, dass er allein war. Sein Rücken pulsierte, nahm all sein Denken ein, während der Rest seines Körpers sich immer dumpfer, tauber anfühlte. Es sollte aufhören. Sein Leben behalten zu dürfen, war ein großartiges Geschenk, aber das hier ließ ihn seinen letzten Wunsch beinahe bereuen. Warum wurde es ihm erst geschenkt, wenn er doch dieser Wunde erliegen würde?

Etwas Kaltes ließ ihn aufschrecken und sorgte dafür, dass sein Kopf wie leergefegt war.

„Tut das gut“, flüsterte er, schloss genießend seine Augen. Die Kälte vertrieb den Schmerz.

Mit einem Lächeln führte Hideto seine Tätigkeit fort. Hin und wieder spülte er die Wunde ein wenig aus, um auch wirklich jeglichen Schmutz hinfort zu waschen. In dem gesäuberten Zustand konnte er sie auch besser beurteilen. Es sah schlimmer aus als gestern. Vielleicht wäre es besser, wenn er sie nähen würde. Allerdings hatte er noch nicht viele Gelegenheiten gehabt, um es zu üben. Meistens kümmerte er sich nur um leichte Verletzungen oder Erkältungen bei sich selbst. Das hier wäre etwas für jemanden, der sich jeden Tag mit Medizin beschäftigte. Für den Moment wollte er lediglich dem Anderen die Schmerzen so gut es ging nehmen oder zumindest lindern.

Nein, es wäre wohl das Beste, wenn er einen Arzt kommen lassen würde.

Fürs Erste würde er erneut die Salbe auftragen, die die Heilung anregen sollte. Vorsichtig trug er sie auf, hielt immer wieder inne, wenn er einen Schmerzenslaut des anderen Mannes hörte.

„Ich bin bald fertig. Danach sollten wir einen Verband anlegen.“

„In Ordnung.“ So lange es half, würde Camui vieles tun.

Nachdem er fertig war, unterdrückte er ein erneutes Gähnen. „Kommt, Ihr müsst Euch aufsetzen. Sonst wird das mit dem Verband nichts.“ Behutsam half er dem anderen sich auf die Seite zu legen, dann zog er ihn sacht in eine sitzenden Position. „Versucht möglichst aufrecht zu sitzen. Dann hält der Verband besser.“

Camui nickte, atmete mehrmals tief durch, während er sich langsam und vorsichtig aufrichtete. Der kalte Schweiß rann ihm die Stirn hinab und auch seine Hände wurden kalt und feucht, weil es ihn so viel Kraft und Konzentration kostete, um nicht laut aufzuschreien.

„Haltet durch. Sobald der Verband angelegt ist, könnt Ihr Euch wieder hinlegen. Ich weiß ja, dass dies angenehmer für Euch sein muss.“ Hideto legte ein großes Stück Stoff auf die Wunde, damit der Verband nicht gleich wieder voller Blut war, dann begann er den Brustkorb einzuwickeln. Straff genug, damit nicht gleich wieder alles hinab rutschte, aber dennoch so locker, dass sein Patient problemlos atmen konnte. Dabei fasste er auch den Entschluss, dass Camui dringend gewaschen werden musste, sobald sie ein bisschen Kraft gesammelt und Schlaf nachgeholt hatten. Dieser Geruch war eine Beleidigung. „Fertig.“

Fast augenblicklich sackte Camui in sich zusammen. Leider machte es den Schmerz nicht erträglicher, sondern schlimmer, weshalb er sich zur Seite neigte. Mit einer Hand abstützend ließ er sich langsam in eine liegende Position gleiten. Erleichtert atmete er aus. So war es gleich viel angenehmer und weniger kraftraubend.

Mit dem restlichen Wasser, welches noch im Krug war, wusch Hideto sich die Hände, danach setzte er sich Camui gegenüber. Die Decke von letzter Nacht faltete er zu einem kleinen Bündel zusammen und legte es dem Verwundeten als Kissen unter den Kopf.

„Ist das angenehm?“

„Ja.“

„Gut.“ Hideto wandte sich dem Frühstück zu, dass er vorhin gebracht hatte. Um zu überprüfen, ob das Essen noch warm war, nahm er eine der Schüsseln in die Hand. Sie strahlte tatsächlich noch ein wenig Wärme ab. Und der Tee? Der hatte jetzt die richtige Temperatur erreicht, um ihn ohne Probleme trinken zu können. Vorsichtig schob er eine Hand unter den Kopf Camuis, hob diesen etwas an, ehe er die Tasse an die Lippen des Verletzten setzte.

„Trinkt. Ihr braucht jetzt viel Flüssigkeit.“

Artig trank Camui den Tee. Es war ihm nur etwas unangenehm, dass bei jedem Schluck ein bisschen was daneben ging, angesichts seiner Lage.

„Ihr seid also ein Dieb?“, fragte Hideto und entfernte die Tasse ein wenig vom Gesicht des Liegenden, damit dieser ungehindert sprechen konnte.

Verschämt wandte Camui den Blick ab. Er mochte nicht darüber reden. Dabei sagte sein Verhalten doch bereits alles.

„Es stimmt also“, seufzte der Priester und blickte betroffen in die Teetasse, die er noch in den Händen hielt. Aber warum war er so enttäuscht? Dass Camui es nicht erwähnt hatte war doch verständlich. Diebe waren nicht gern gesehen. Schon gar nicht in solch kämpferischen Zeiten, wie diesen.

„Es... tut mir Leid“, hörte er den Anderen leise sagen. Erstaunt sah er auf, doch Camui wich seinem Blick aus, starrte stattdessen den Boden an.

Irgendwie hatte er das Bedürfnis reinen Tisch zu machen. Sein Gegenüber war so freundlich zu ihm gewesen, hatte sich um ihn gekümmert. Ihn nicht alleine gelassen. Bei jedem anderen Menschen hätte er kein Problem damit gehabt sich irgendeine Geschichte auszudenken, die alles erklärte und bei der er am Ende gut weg kam. Aber wenn er wirklich ein neues Leben beginnen wollte, warum dann nicht damit anfangen, dass er ehrlicher wurde? „Ich wollte euch nicht täuschen“, sagte Camui. „Es stimmt, dass ich ein Dieb bin. Nein. Ein Dieb war. Ich will ein solches Leben nicht mehr führen.“ Er pausierte, weil er merkte, wie sein Stimme zu zittern begann. „Ich habe es schon immer gehasst mein Leben auf Kosten anderer zu führen. Andere Menschen habe ich um einen Teil ihres Hab und Guts erleichtert. Mehr schlecht, als recht, wie ich gestehen muss. Sonst wäre ich vermutlich auch nicht hier.“ Während er erzählte schämte er sich gleich noch mehr. Bis jetzt hatte er noch nie etwas getan, worauf er stolz sein konnte. Wofür er sich im Endeffekt nicht selbst gehasst hatte. Langsam streckte er seine Hand nach denen seines Retters aus, klammerte sich fest. „Bitte.“ Endlich sah er wieder auf und dem Priester in die Augen. „Bitte schickt mich nicht weg. Ich kann nicht wieder nach da draußen gehen. Da will ich nicht wieder hin.“ Flehend sah er den anderen an. „Ich will mich ändern. Will meine Vergangenheit hinter mir lassen. Ich hatte nie eine Chance etwas anderes zu werden. Jetzt wurde mir eine gegeben. Da will ich sie doch nicht verstreichen lassen.“

Nachdenklich sah Hideto auf seine und des anderen Hand. Sollte er ihm vertrauen? Immerhin war er ein Dieb. Und die logen auch gerne mal. Sein Blick wanderte den Arm Camuis hinauf zu dessen Gesicht und seinen Augen. Der Ausdruck darin war ehrlich. Bis jetzt war er, streng genommen, auch gar nicht von ihm belogen worden. Aber viel Zeit zum Reden hatten sie auch noch nicht gehabt.

Hideto schüttelte den Kopf mit einem leichten Lächeln.

Neues lernen

Er sollte sich schämen. Hatte er nicht stets von sich selbst behauptet, dass er an den guten Kern in jedem Menschen glaubte? Zudem hatte er doch selbst vor wenigen Augenblicken dieses Wunder erleben dürfen. Wenn die Götter diesen Menschen am Leben erhalten wollten, dann bestimmt nicht, weil er von Grund auf böse war.

Mit einem warmen Lächeln stellte er die Tasse bei Seite und ergriff die Hand seines Patienten. „Ihr dürft gerne bleiben, Camui.“

Eben jenem fiel ein riesiger Stein vom Herzen, hatte er doch das Schlimmste erwartet, als er gesehen hatte, wie der Priester den Kopf schüttelte.

„Danke. Ich danke Euch vielmals.“

„Das Problem ist nur, dass dieser Schrein nicht besonders groß ist. Es dürfte also ein wenig schwierig werden einen Raum für Euch zu finden, den Ihr für Euch nutzen könnt.“

Einen Raum? Er sollte einen Raum für sich bekommen? Wo er auch bleiben durfte?

Hideto lachte ein wenig, als er die großen, funkelnden, ein wenig ungläubig drein blickenden Augen Camuis sah. „Leider wird es besser sein, wenn Ihr noch eine Weile hier liegen bleibt. Damit sich die Wunde schließen kann. Ich werde versuchen, es Euch hier so angenehm wie möglich zu machen. Und da dies hier zu meinem Bedauern kein viel besuchter Schrein kommen also nicht viele Leute hier her.“ Ein kleiner Seufzer floh über seine Lippen. Die fehlenden Gläubigen machten es ihm schon schwer seinen geliebten Schrein aufrecht zu erhalten. Dabei sollte man meinen, dass in Zeiten des Krieges die Menschen erst recht um die Gunst der Götter bitten würden.

Ein wenig gedankenverloren strich er über die Hand in seiner, schreckte allerdings auf, als er ein Magenknurren vernahm.

„Jetzt habe ich das Essen doch wieder vergessen. Aber das werden wir jetzt nachholen. Immerhin wäre keinem von uns beiden geholfen, wenn wir vor Hunger geschwächt sind.“ Er wandte sich den Schüsseln zu, nahm eine davon in die Hand und nahm mit den Stäbchen etwas von dem Reis auf. Lächelnd hielt er dem Anderen den Bissen vor die Nase.

In Camui rebellierte es. Sich füttern zu lassen wie ein alter Mann widerstrebte ihm. Aber da er sich nicht aufsetzen konnte, ohne die Wunde wieder zu verschlimmern, war es eine unangenehme Notwendigkeit.

„Na kommt. Es bleibt auch unter uns. Versprochen“, versicherte Hideto dem Größeren, um ihn zu ermutigen. Er selbst würde erst anfangen zu essen, wenn die Schüssel in seinen Händen leer war.

Endlich gab sich Camui einen Ruck -war ihm doch der Geruch von Essen in die Nase gestiegen und hatte seinen Überlebensinstinkt angesprochen- und öffnete den Mund, damit der Andere ihm den Bissen in selbigen legen konnte.

Auf diese Weise leerte sich die Schale nach und nach, bis Camui ein wenig schlecht wurde. Sein Bauch war das viele Essen kaum noch gewohnt.

Nachdem Hideto sich seiner Portion gewidmet und gänzlich aufgegessen hatte, stand er auf und kniete sich vor die Statue, die mitten im Raum stand. Er hatte heute noch nicht gebetet und nach allem, was passiert war empfand er es als umso dringender und notwendiger.

Interessiert beobachtete Camui seinen Retter. Fragte sich, worum dieser die Götter bat und warum er dieses Leben führte. Doch er fühlte sich immer noch schwach, konnte kaum die Augen offen halten.
 

Einige Tage später tat die Wunde nicht mehr ganz so sehr weh und Camui konnte sich in guten Momenten von allein aufsetzen. Ein erstes, grobes Bad hatte er auch schon erhalten, damit er nicht mehr ganz so wild aussah und fürchterlich roch. Statt der alten, dreckigen Kleidung hatte er einen schlichten Kimono mit passendem Obi seines Retters bekommen. Er war ihm ein wenig zu klein, aber um einiges besser, als das, was er bis dahin getragen hatte.

Dafür sah Hideto mit jedem Tag schlechter aus. Neben der Pflege des Patienten musste ja auch noch die Tempelanlage ordentlich halten. Dazu kam, dass er sich unglaubliche Sorgen machte, obwohl es dem Größeren ja immer besser ging. Das einzige große Problem neben der Verletzung war weiterhin die zukünftige Unterbringung. Räume waren da. Nur eben sehr kleine. Man konnte niemandem zumuten darin zu wohnen. Selbst fürs Schlafen würde er es niemandem zumuten.

Es war noch recht früh am Morgen als der Priester mit dem Frühstück in das Heiligtum kam. Zu seinem Erstaunen war der andere Mann bereits wach, hatte sich aufgesetzt und starrte vor sich hin.

„Konnichiwa, Camui-san.“

Der Angesprochene blinzelte einige Male, ehe er ins hier und jetzt zurück kam, um den Gruß zu erwidern.

Das Tablett mit dem Essen wurde auf dem Boden neben seinem Nachtlager gestellt. „Gibt es einen Grund, weswegen Ihr bereits so früh wach seid? Ist es wegen Eurer Wunde?“

„Auch. Aber in erster Linie konnte ich einfach nicht mehr liegen.“

„Ist der Schmerz sehr schlimm?“

Langsam schüttelte der ehemalige Dieb den Kopf. „Es ist zu ertragen.“

„Gut. Wenn ihr mögt“, sagte Hideto und nahm eine der beiden mit Reis gefüllten Schüsseln, welche er vor seinen Gast stellte, „könnt Ihr bereits mit dem Essen anfangen.“ Er selbst stand auf, nur um sich wenige Schritte weiter wieder vor der Statue nieder zu lassen. Erst wollte er ein Gebet sprechen.

Neugierig beobachtete Camui das Verhalten seines Gastgebers, sah den glücklichen und zufriedenen Ausdruck in dessen Gesicht. Lag das am Beten?

„Worum bittet Ihr?“ Er brauchte ein paar Ideen und einen Anreiz. Seit dem Vorfall hatte er nicht einmal gebetet. Obwohl er es sich doch vorgenommen hatte.

Einige wenige Sekunden später drehte sich der Angesprochene zu seinem Gast um. Erst hatte er sein Gebet vollenden wollen. Lächelnd hockte er sich zu ihm, strich sein Gewand glatt. „In erster Linie danke ich den Göttern dafür, dass sie über mich und diesen Schrein wachen. Dann bitte ich sie darum dies auch weiterhin zu tun.“

„Ach so?“ Unruhig und nachdenklich flackerte sein Blick auf den schlichten, aber schönen Altar. „Und Ihr glaubt wirklich, dass sie das tun?“

„Ja, das glaube ich.“

„Was macht Euch da so sicher?“

Jetzt musste Hideto doch ein wenig Lachen. „Wie könnte Ihr das fragen, wo ihr doch vor wenigen Tagen selbst ein Wunder erlebt habt, dass nur durch die Macht von Göttern möglich war?“

Da war etwas Wahres dran, wie Camui sich eingestehen musste. Ein unbestreitbares Argument.

Unsicher und wackelig, ob des schmerzenden Rückens und dem vielen Liegen, rappelte er sich auf und stolperte die paar Schritte, die es brauchte, um zu seinem Ziel zu gelangen. Verstörend für ihn, wie viel Kraft ihn dies bereits gekostet hatte. Aus irgendeinem Grund war er unheimlich nervös. Womit fing man an? Ah, ja. Die Hände. Zittrig legte er sie aneinander und schloss die Augen. Und was sagte er jetzt? Oder besser: Dachte?

Plötzlich legte sich etwas Warmes um seine Hände. Erschrocken riss er die Augen auf, beruhigte sich jedoch wieder schnell, als er erkannte, dass sein Retter sich neben ihn gekniet und die eigenen Hände auf seine unruhig zitternden gelegt hatte.

„Ganz ruhig. Ein Gebet sollte niemandem Angst machen.“ Lächelnd sah Hideto in Camuis Gesicht, zuckte jedoch ein wenig zusammen, als der Blick des Anderen seinen eigenen traf. Aber warum? Sie hatten sich bereits häufiger angesehen. Doch erst jetzt fielen ihm die hellen Punkte in dem dunklen Braun der Iriden auf. Er musste sich regelrecht zwingen sich wieder davon zu lösen und sich auf das konzentrieren, was er ursprünglich vor hatte. „Denkt nicht so viel nach. Überlegt euch worum Ihr bitten wollt. Dann braucht Ihr Eure Bitte nur noch zu formulieren und sie an die Götter zu richten.“

Er löste seine Hände wieder, denn das hier musste der Andere allein machen. Lächelnd betrachtete er dessen Mimik. Wie nervös er doch wirkte. Plötzlich sahen ihn wieder diese ungewöhnlichen Augen an.

„U-Und?“ Wieder war Hideto so unkonzentriert. „Worum habt Ihr gebeten?“ Schließlich hatte er selbst auch erzählt.

„Ich... habe sie darum gebeten mir bei meinem Neuanfang zu helfen. Mit ihrer Unterstützung sollte es doch einfacher werden, nicht wahr?“ Verunglückt lächelnd stand er auf. Sein Appetit war erwacht. Nicht zuletzt dadurch, dass ihm der Geruch des Frühstücks in die Nase gestiegen war. Sofort war der etwas kleinere Geistliche an seiner Seite, damit er nicht gleich wieder einknickte. Seine Beine waren in den letzten Tagen erstaunlich wackelig geworden. Weil seine Wunde all seine Energie beanspruchte, wie ihm der Mann neben ihm erklärt hatte.

Schweigend nahmen sie ihr Frühstück zu sich, hingen ihren Gedanken nach. Hideto über den Grund, weshalb ihn die Augen seines Patienten so verwirrten, während jener hoffte, dass ihm seine Wünsche erfüllt wurden. Erzählt hatte er nämlich nur die Hälfte. Sein weiterer und dringenderer Wunsch war, dass die Götter ein Auge auf seinen fürsorglichen Retter warfen, damit dieser sich selbst nicht mehr so vernachlässigte.

„Ich werde mich gleich um den Garten kümmern. Soll ich euch derweil etwas zu lesen geben, damit Ihr euch nicht langweilt?“

„Ähm...“

„Ich habe da ein gutes über Pflanzen und ihre heilende Wirkung. Ihr hattet ja gesagt, dass Ihr gerne etwas über Medizin erfahren würdet.“

„Das ist wahr. Das habe ich gesagt.“ Beschämt sah Camui nach unten und stocherte mit seinen Stäbchen im Rest seines Essens herum. „Und ich würde dieses Buch wirklich gerne lesen...“

„Aber?“

„Genau das ist das Problem. Ich...Ich kann nicht lesen.“ Das hatte ihm niemand beigebracht. Lesen, Schreiben, Rechnen. Keiner hatte sich die Zeit genommen und für einen Lehrer hatte er nie Geld gehabt. Und wer hätte einem Straßenkind schon etwas umsonst beibringen sollen? Immer nur war er fort gejagt worden.

„Nun, dann werde ich es euch lehren.“

Mit großen Augen sah Camui auf. Er konnte kaum glauben, dass ihm gerade so ein Angebot gemacht wurde, wo er doch bereits so viel von dem anderen Mann erhalten hatte.

„Das ist sehr nett von Euch.“

Wie sehr sich sein Gast darüber freute, erwärmte das Herz des Kleineren. Doch diese Kenntnisse würden jenem helfen, bald eine anständige Arbeit zu finden.

„Würdet Ihr mir dann gleich Gesellschaft leisten? Solche Arbeiten gehen leichter von der Hand, wenn man jemanden bei sich hat, mit dem man reden kann.“

„Sehr gerne.“
 

Geschützt von dem Dach der Terrasse auf der Rückseite der Anlage, saß Camui an einen Pfeiler gelehnt und sah seinem Gastgeber zu, wie er die Beete harkte, ungewollte Pflanzensprösslinge aus der Erde zupfte und seine Zöglinge goss.

„Hier wachsen Rettiche. Rätselhafte kleine Dinger, weil man vorher nie weiß, wie groß sie geworden sind, bevor man sie erntet. Genau wie die Karotten dort drüben“, wurde ihm lachend erklärt. „In der Hinsicht sind mir meine Kohlköpfe viel lieber.“

„Ihr habt viele Pflanzen hier. Viel Gemüse.“

„Nun, dies ist ein kleiner Schrein. Es kommen nicht viele Besucher her und deshalb habe ich auch nicht viel Geld. Darum habe ich hier so viel angepflanzt.“

„Und der Reis? Ich sehe hier keinen.“

„Den ertausche ich mir auf dem Markt. Genauso wie ein paar andere Dinge. Für Tiere habe ich leider keinen Platz, sonst würde ich welche halten. Um jederzeit Eier oder Milch zu bekommen.“

„Und den wenigen, den Ihr habt, werde ich jetzt beanspruchen. Genauso, wie Euer Essen.“

„Das lasst mal meine Sorge sein. Werdet Ihr nur gesund.“

Seltsam

Später am Tage saßen sie nebeneinander auf einer Decke in einer unbepflanzten Ecke des Gartens, wo Hideto mit einem Stock Schriftzeichen in den Boden malte.

„Ich muss zugeben, dass dies hier eine ungewöhnliche Methode ist, um jemanden das Schreiben zu lehren, aber Papier und Tinte sind kostspieliges Gut.“

„Ihr braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. Für jemanden, wie mich ist das hier völlig ausreichend.“

Dazu sagte der Kleinere nichts, seufzte nur. Stattdessen begann er ein paar erste Zeichen in den Sand zu malen. „Ich selbst kenne auch nicht alle Zeichen, aber genug, um die meisten Schriften lesen und auch selbst verfassen zu können. So gut ich kann werde ich Euch alle lehren.“
 

Einige Zeit war vergangen und die Sonne verschwand immer mehr hinter dem Horizont.

„Für heute soll es reichen“, beschloss Hideto. „Ihr seht auch schon reichlich erschöpft aus.“

„Mir schwirrt nur der Kopf“, gestand Camui und hielt sich selbigen. So viel, was er sich merken musste. Linien, Bedeutungen und Reihenfolgen. Und sie waren erst am Anfang der Lektionen, soweit er verstanden hatte. Bisher waren es auch nur einzelne Silben. Er öffnete die Augen und betrachtete die Linien im Sand. Ob er sich die irgendwann alle würde merken können?

„Na kommt, ich bringe Euch hinein“, bot Hideto ihm an, aber er schüttelte nur den Kopf.

„Ich würde gerne noch ein wenig hier sitzen bleiben und die letzten Sonnenstrahlen genießen.“

Tatsächlich wurde er von seinem Gastgeber allein gelassen. Die Augen schließend wandte er sein Gesicht der Sonne zu. Dies hier war eine andere Stille, als die im Heiligtum, doch bei weitem angenehmer. Einige Minuten lang genoss er die Klänge der Natur. Das Rascheln der Blätter, wenn der Wind sie bewegte. Den Gesang der Vögel. Dann sah er wieder auf die Linien zu seinen Füßen. Mit seinem Zeigefinger fuhr er die Zeichen im Sand nach, murmelte ihre Bedeutungen leise vor sich hin. Aber ihm schwirrte so der Kopf, dass er sich gar nicht mehr richtig konzentrieren konnte. Müde rieb er sich über die Augen. Nein, für heute war genug. Ein wenig umständlich erhob er sich und streckte seine Glieder. Zumindest soweit es die Verletzung erlaubte. Langsamen Schrittes wanderte er durch den Garten, betrachtete die einzelnen Pflanzen. Der Geistliche hatte wirklich allerhand hier. Als sein Blick über den Brunnen wanderte, bemerkte er erst, wie durstig er doch eigentlich war. Ob er es versuchen und sich etwas frisches Wasser hoch holen sollte? Wenn er darauf achtete, dass der Eimer nicht voll war, schaffte er es vielleicht sogar. Mehr als versuchen konnte er ja nicht. Mit einem kleinen Schubser verschwand der Behälter im Brunnenschacht und kurz darauf hörte man ihn bereits auf das Wasser platschen. Sogleich nahm er das Seilende in die Hand, bevor zu viel in den Eimer floss. Sich bereits darauf einstellend, dass sich gleich wieder unhaltbarer Schmerz in seinem Rücken ausbreitete, zog er an. Doch es blieb bei einem ertragbaren Ziehen. Darum machte er weiter, Zug um Zug.

„Was tut Ihr da?“

Vor Schreck löste er seinen Griff um das Seil, woraufhin der Eimer binnen Sekunden erneut im Wasser landete. Geschockt sah er in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und sah den etwas kleineren Priester auf sich zu eilen.

„Ihr sollt Euch noch nicht anstrengen. Das könnte Euren Heilungsprozess verlangsamen.“

„Gomen nasai. Ich wollte nur etwas trinken. Ich hab gedacht, dass ich einen nur zum Teil gefüllten Eimer schaffen sollte.“ Schuldbewusst sah er zur Seite, konnte dem vorwurfsvollen und besorgten Blick des Anderen nicht wirklich ertragen.

„Dann hättet Ihr mich aufsuchen sollen. Ich hätte Euch etwas gegeben.“ Kopfschüttelnd, aber lächelnd stand er da, die Hände in die Hüften gestemmt. „Oder einfach noch einen Moment warten, denn dass Essen ist fertig und ich habe auch frischen Tee aufgesetzt.“

„Oh, gut.“

Doch bevor sie gehen konnten, musste der Eimer aus dem Brunnen geholt werden. Also ergriff der kleinere Mann das Seil und zog ihn nach oben. Die ganze Zeit im Wasser zu liegen würde weder dem Seil, noch dem Holz gut tun. „Na kommt. Lasst uns hinein gehen.“
 

Camuis Heilung schritt ungewöhnlich schnell voran, was vor allem den Gläubigen wunderte. Er wusste, was seine Medizin bewirkte und dass eine Verletzung wie diese weitaus länger brauchte, um so gut auszusehen. Statt ein paar Wochen waren jedoch erst ein paar Tage vergangen.

Und noch etwas anderes war ihm aufgefallen. Die hellen Sprenkel in den Augen seines Gastes waren mehr geworden. Warum, das verstand er nicht. Handelte es sich dabei um eine ihm unbekannte Krankheit? Hideto beschloss, dass er darauf achten sollte. Hin und wieder betrachtete er seine eigenen Augen, in einem kleinen Spiegel, den er besaß, aber bei sich konnte er bisher keine Veränderung feststellen.

Weil die Wunde so gut heilte, sorgte Hideto dafür, dass sein Gast ein richtiges Bad bekam. Camui musste ganz schön schrubben, um den vielen Schmutz von seiner Haut zu bekommen. Die langen Haare hatten dabei leider dran glauben müssen. Bedauerlicherweise waren sie so verfilzt gewesen, dass man sie nicht mehr hatte kämmen können. Im Austausch gegen ein paar Lebensmittel hatten sie Kleidung erhalten, die dem jungen Mann besser passte, als das, was er von Hideto geliehen bekommen hatte. Etwas einfaches, schlicht dunkelblaues mit hellblauem Bambus, mit einem einfarbig hellbraunen Obi und Unterwäsche. Ein Paar einfache Strohsandalen gab es von einem anderen Händler für ein paar Münzen. Schließlich sollte Camui nicht barfüßig durch die Gegend laufen. Mal davon ab, dass sein altes Schuhwerk auch genau das war: Alt. Und reichlich abgenutzt.

Das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen. Unter all den Zeichen der Verwahrlosung hatte sich ein recht hübscher junger Mann versteckt.

Welcher dazu auch noch sehr wissbegierig und unglaublich hilfsbereit war. Er half beim Kochen, bestand darauf bereits kleinere Arbeiten im Garten zu erledigen und lernte eifrig die Schriftzeichen, die ihm beigebracht wurden.

Als Unterkunft war von Hideto eigentlich einer der derzeitigen Lagerräume vorgesehen gewesen. Einziges Problem: Er wusste nicht, wo er die Sachen darin sonst unterbringen sollte. Eine andere Lösung musste also her. So hatten sie in dem Raum, in dem der Geistliche bisher seinen Schlafplatz gehabt hatte, ein wenig umgestellt, um Platz für einen zweiten Futon zu schaffen.

Dass der kleine Schrein einen neuen Bewohner hatte, sprach sich erstaunlich schnell herum. Die Tatsache, dass dieser auch noch ansehnlich war, sogar fast noch schneller, wodurch spürbar mehr Besucher diesen Ort aufsuchten. Wobei vor allem die Anzahl der Frauen erheblich gestiegen war.

Hideto kam es einigermaßen gelegen, denn durch die vielen Besucher hatten sie ein paar Münzen mehr in der Kasse. Auch die kleinen Sachspenden waren gern gesehen. Dennoch wurde er allmählich misstrauisch. Dass all dies nur geschah, weil Camui hier war, war ihm schon bewusst. Schließlich war er weder blind, noch dumm. Wenn sie in die Stadt gingen, um Einkäufe zu tätigen, merkte er schon, wie viele Leute seinen Begleiter ansahen. Teilweise regelrecht anstarrten. Und dass die Leute zu einem hübschen Menschen nett waren, war auch eine Geschichte, so alt wie die Menschheit selbst. Doch dieser Mann besaß eine Aura, die er sich nicht wirklich erklären konnte. Am schlimmsten war dabei sowieso, dass er sich schon selbst das ein oder andere Mal dabei erwischt hatte, wie er seinen Gast länger betrachtet hatte, als es schicklich war.

„Sagt, Camui-san“, sprach er ihn eines Tages neugierig an.

„Ja, Hideto-san?“ Mit großen, neugierigen Augen sah der größere Japaner von seinen Schriftübungen im Sand auf. Die mittlerweile fast blauen Augen, die einen so völlig in ihren Bann zogen. Augen, aus deren Blick all das Traurige und Leidende verschwunden war.

„Eure Wunden. Sind die schon immer so schnell verheilt?“

„Iie. Aber normalerweise hatte ich auch keinen Zugang zu Medizin. Dann habe ich sie meist nur ausgewaschen und verbunden. Warum?“, stellte er die Gegenfrage. Es gab bestimmt einen Grund, weshalb sein Retter ihn das fragte.

„Nun, versteht mich bitte nicht falsch, aber Wunden wie Eure verheilen eigentlich nicht innerhalb von zwei Wochen. Schon gar nicht vollständig. Aber auf Eurem Rücken ist nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen. Deshalb meine Frage.“

Verwirrt zog Camui die Augenbrauen zusammen und sah wieder auf seine Zeichnungen. „Ist das wahr?“

„Hai.“

„Hm. Ich dachte, dass es so schnell besser geworden ist liegt daran, dass Ihr euch darum gekümmert habt.“ Das hatte er wirklich angenommen. Deswegen gab es doch Medizin, nicht wahr? Damit man dem Körper eines Menschen helfen konnte gesund zu werden. Wieso verwunderte es dann den Anderen, dass es seinem Körper wieder so gut ging? „Aber was weiß ich schon von Medizin.“ Unsicher sah er wieder zu dem Mann neben sich. „Ist meine rasche Heilung denn so ungewöhnlich?“

Als Antwort bekam er ein Nicken.

Nachdenklich starrte Camui wieder den Boden an, fuhr die Zeichen immer wieder mit einem kleinen Ast nach, ohne sie wirklich wahr zu nehmen. Was stimmte nicht mit ihm? Was war falsch? Von den sich verfärbenden Augen -was er erst durch einen heimlichen Blick in einen Spiegel hatte glauben wollen- mal abgesehen. Besaß er irgendeine ungewöhnliche Krankheit? War doch gut möglich. Eine Krankheit, die bewirkte, dass sich die Augen änderten und man so schnell keine Wunde fürchten musste. War doch nichts schlechtes. Zumindest sah er es so.

„Wisst Ihr, was am Seltsamsten im Moment ist?“ Fragend sah er zu dem Anderen, der verneinend den Kopf schüttelte. „Gerade noch haben mich die Leute gehasst, mich verjagt sobald sie mich sahen. Wollten mich am liebsten tot sehen. Und nun bringen sie mir freiwillig schöne Dinge und Essen. Das ist schon... eigenartig. Findet Ihr nicht?“ Das war eine Situation, mit der er nicht umgehen konnte. Sie war ihm so fremd, dass sie ihn sogar ein wenig ängstigte. Darum hatte er auch schon mehrmals ablehnen wollen, wenn jemand auf ihn zugekommen war, um ihm ein Geschenk zu überreichen. Er kannte es nicht, wusste aber, dass die Menschen in der Regel eine Gegenleistung erwarteten, wenn sie etwas gaben. Aber was könnte jemand wie er schon geben, außer sich selbst. Und das war etwas, was für ihn nie wieder in Frage kam. Gleichzeitig wusste er aber auch, wie kostbar Kleidung und Essen waren. Gerade ein Stück Fleisch oder Fisch. Deshalb nahm er an. Um dem Priester nützlich zu sein, in dem er auf diese Weise etwas zu den Mahlzeiten dazu steuerte beziehungsweise diesem gerne die Kleidung überließ, die ihm selbst nicht passte. Es gab ihm das Gefühl etwas von seiner Schuld zurückzuzahlen.

„Es stimmt schon. So, wie es jetzt ist, ist es bestimmt das völlige Gegenteil von dem, was Ihr bisher erlebt habt. Allerdings: Die Meinung der Menschen kann wandelbar wie das Meer sein. In dem einen Augenblick stürmt ein fürchterlicher Orkan, der das Wasser zu meterhohen Wellen aufpeitscht und nur Sekunden später ist es wieder ruhig und glatt, als wäre nie etwas gewesen. Seien wir doch froh, dass wir im Moment windstille haben.“

Für ein paar Momente verfielen sie beide in Schweigen.

„Nun denn. Führen wir Eure Übungen fort.“ Um ihre Gedanken wieder in angenehmere Bahnen zu lenken. „Was war die Bedeutung von dem Zeichen hier?“

Camui sah zu den Strichen, auf die der Mann neben ihm zeigte. „Das war...“ Er war so raus, dass er ernsthaft nachdenken musste. „Ka?“

„Fast. Ki.“

„Ki. Gut.“ Schien als würde er die Lektion noch einmal beginnen müssen.

Was geschieht mit mir?

'Jetzt sind sie ganz blau', stellte Camui fest, als er am Morgen in die kleine, spiegelnde Scheibe blickte. Besorgt sah er zu dem, noch immer schlafenden, anderen Mann. Er hatte es sich nicht anmerken lassen wollen bei ihrem Gespräch gestern, aber Angst hatte er schon. Davor, dass diese Augen wirklich ein Anzeichen für eine Krankheit waren. Würde er vielleicht doch noch sterben müssen? War seine Zeit gekommen? Nun, dann sollte es so sein. Zumindest hatte er dann für eine Weile erlebt, wie schön das Leben doch eigentlich sein konnte. Dennoch empfand er es als Schade, dass er wohl bereits gehen musste. Leise und vorsichtig legte er den Spiegel wieder zurück an seinen Platz, schlich sich dann nach draußen. Ein paar Augenblicke wollte er für sich allein haben. Mit dem Blick zum Garten, ließ er sich auf der Terrasse nieder. Es gab da noch etwas, das ihm an seinem Körper aufgefallen war. All die Narben, die er sich von Verletzungen in der Vergangenheit zugezogen hatte, waren verblasst. Aber darüber sorgen, machte er sich erst seit gestern. Seit ihn der Andere darauf hingewiesen hatte, dass es ungewöhnlich war.

Seufzend wanderte sein Blick über all die Pflanzen. Es war so schön friedlich hier. Wenn er schon sterben musste, dann war dies hier ein guter Ort dafür. Gerade jetzt. Wo der Tag erwachte und sich die Sonnenstrahlen in dem Tau brachen und alles funkeln ließ. Wo die Blüten aus ihrem Schlaf erwachten und sich anschickten sich der Sonne entgegen zu strecken. Die ersten Käfer und Vögel waren bereits unterwegs. Tief atmete Camui die klare Luft ein und schloss genießend die Augen. Plötzlich verspürte er den Drang, etwas zu tun, was er noch nie vorher getan hatte. Von dem er auch nie gedacht hatte, es eines Tages zu tun. Inspiriert von den Gesängen der Vögel, begann er zu summen und einige ihrer Melodien nachzuahmen. Sie sangen so wunderschön. Camui wollte es ihnen gleich tun. Bessere Lehrer gab es nicht. Zudem fällten sie kein Urteil über das, was er hier versuchte. Auch sonst niemand, denn er war ja alleine. So wurde er selbstsicherer, fließender, bis sich ganz von allein eine eigene Melodie entwickelte.

Irgendwie war es ihm vertraut. Als ob singen etwas ganz natürliches für ihn wäre. Doch es fehlte noch etwas: Worte. Dann wäre es richtiger Gesang. Aber die Frage war doch, was er singen sollte. Langsam öffnete er die Augen.

Woher kam nur dieser Drang? Nur ganz selten in seinem Leben hatte er die Chance gehabt in Ruhe der Musik auf Festen zuzuhören und sie auch zu genießen. Jedoch hatte er eine Ahnung, dass es ihn nicht mehr los lassen würde, wenn er es jetzt nicht versuchte. Was lächerlich war, wo er doch niemals gelernt hatte, wie das ging. Niemand hatte ihm ein Lied beigebracht.

Wie ein Fisch musste er aussehen, wenn er den Mund so wie jetzt immer wieder öffnete und gleich darauf wieder schloss, weil er sich nicht traute. Dabei mussten es doch keine Worte sein. Vielleicht würde es auch schon reichen, wenn simple Laute über seine Lippen kamen.

Sehnsüchtig sah er den Vögeln zu. Wie sie durch den Garten flatterten, auf der Suche nach Futter. Lauschte ihrem Zwitschern. Wieder ahmte er ihre Melodie durch Summen nach. Wie in Trance teilten sich seine Lippen und die ersten richtigen Töne verließen seine Kehle. Es waren wirklich nur Laute bisher, aber sie beruhigten das Verlangen nach richtigem Gesang für einen Moment. Leider wirklich nur für einen Moment.

„Unter... den ersten Strahlen... des Tages...breitet jeder kleine Vogel... seine Flügel aus.“ Das mit dem Texten sollte er noch mal üben. Aber fürs Erste muss es reichen, wenn er einfach darüber sang, was ihm gerade durch den Kopf ging. Zumindest besänftigte es das seltsame Verlangen in ihm. „Mit dem Wind... fliege ich.. übers Land. Fang einen Käfer hier und dort. Mach mir ums Leben keine Sorg'.“ Das war ein Reim, oder? Wie interessant. „Fällt der Regen auf mich herab, dann suche ich mir einen Platz. Hoch oben in einem Baum, kann ich dann auf die Welt hinaus schau'n.“

„Ihr singt wirklich schön.“

Schreckhaft sprang er auf und fiel dabei beinahe von der Terrasse. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Zuhörer an. Camui hatte gar nicht mitbekommen, wie sich ihm jemand genähert hatte. Früher hätte es ihn das Leben gekostet, wenn seine Sinne so nachlässig gewesen wären. Eigentlich war er sich sicher gewesen, dass er das nie mehr verlernen würde, wo es ihm doch so in Fleisch und Blut übergegangen war. Doch da war er gerade eines besseren belehrt worden.

„I-Ihr habt mich erschreckt.“ Noch immer pochte sein Herz aufgeregt in seiner Brust, während er sich wieder aufrappelte und seine Kleidung richtete. „Ha-Hab ich Euch geweckt?“

„Nicht ganz“, lächelte der Kleinere und setzte sich zu seinem Gast. „Ich stehe immerhin immer um etwa diese Zeit auf. Aber ich gebe zu, dass ich noch nie von einer so hübschen Gesangsstimme geweckt worden bin. Ich wusste gar nicht, dass Ihr das könnt.“

„Nun, ich auch nicht. Das war heute das erste Mal“, gestand er und blickte verlegen auf das Holz unter ihm. „Ich hatte aber auch nicht mit Zuhörern gerechnet.“

„Wie kommt es, dass Ihr schon wach seid?“, wechselte Hideto das Thema. Normalerweise musste er seinen Gast wecken.

Dieser zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ist einfach so geschehen.“

Für ein paar Momente blieben die beiden Männer dort sitzen und beobachteten den beginnenden Morgen.
 

Später am Tag war Camui damit beschäftigt den Platz vor dem Schrein zu kehren. Es hatte sich allerhand Laub angesammelt, was keinen guten Eindruck machte. Vor allem nicht bei den vielen Besuchern. Jeden einzelnen, der an ihm vorbei ging und zu dem kleinen Opferstock wollte, begrüßte und verabschiedete er freundlich. Was er von den jungen Damen halten sollte, die hinter ihren vorgehaltenen Fächern kicherten, wenn er sie ansah, wusste er dann allerdings auch nicht. Ein Stück weit war es ihm unangenehm. Sowohl ihre Blicke, als auch ihr Kichern. Er war einfach anderes gewöhnt.

Während er seiner Tätigkeit nachging, behielt er, aus der Gewohnheit heraus, sein Umfeld im Blick. Nicht, dass ihm doch noch jemand nach dem geschenkten Leben trachtete. Dabei fiel ihm ein sehr nervös wirkender Junge auf. Wie er sich umschaute... Gehetzt, ängstlich. Dieses Verhalten kannte er nur zu gut. Aus seiner Vergangenheit. Unauffällig näherte er sich dem Kind, tat so, als hätte er ihn noch gar nicht bemerkt. Was hatte der Kleine vor? Beten schon mal nicht. Wenn man das vor hatte, dann schlich man nicht so herum. So viel wusste er dann selbst. Nicht einmal er hatte sich bei seinem ersten Gebet so aufgeführt. Als der Junge seine Hand zwischen die Stäbe des Opferstocks schob, reagierte er blitzschnell. In wenigen Schritten war er bei ihm, hielt ihn am Handgelenk fest.

„Die Götter zu bestehlen macht sich nicht gut, Kleiner.“

Panisch wurde er von dem Kind angesehen. Der Junge zitterte am ganzen Körper. Dem dünnen, ausgemergelten Körper.

„Lass das Geld wieder fallen“, sagte er sanft. „Komm schon. Ich will dir auch nicht weiter weh tun.“

Man sah deutlich den Zwiespalt in den Augen des Jungen. Gedanken, die er selbst noch zu gut in Erinnerung hatte. Oft hatte er den Satz selbst gehört damals. Und auch wenn er der Anordnung folge geleistet hatte, Prügel hatte er dennoch bezogen. Der Junge musste die Münzen allerdings wieder fallen lassen. Mit der geschlossenen Faust kam er sonst nicht wieder aus den Stäben heraus.

„Du hast Hunger, nicht wahr?“ Würde ihn jedenfalls nicht wundern. „Lass das Geld fallen und ich gebe dir etwas. Einverstanden?“

„Ich glaube dir nicht!“

Ah, da hatte jemand seine Sprache wiedergefunden. „Ich kann verstehen, dass-“

„Monster!“

„Nani?“ Geschockt und verwundert sah er das Kind an.

„Du bist ein Monster. Du, mit deinen komischen Augen.“

Jetzt war er verletzt. Die ganze Zeit hatte es doch niemanden gestört und plötzlich wurde er als Monster bezeichnet? „Ich bin kein-“

„Monster! Lass mich los!“

„Das geht nicht.“

„Du sollst mich los lassen!“

Das konnte er nicht. Denn dann würde er doch nur versuchen mit den Münzen abzuhauen. Er konnte doch nicht zulassen, dass sein Gastgeber Schaden nahm. Zudem konnte er die Götter, die ihn errettet hatten, nicht enttäuschen. „Ich lasse dich los, wenn du los gelassen hast.“

„Du hast doch keine Ahnung, Monster.“

„Was ist hier los?“

Verschreckt sahen die beiden zu dem Priester, der gerade aus dem Hauptraum kam.

Noch bevor Camui sich erklären konnte, versuchte der Junge seinen Arm zu befreien und fing an zu zetern. Die Münzen hatte er dann doch fallen lassen. Deren Klappern hatte der Größere gar nicht gehört.

Mit gerunzelter Stirn kam der Herr dieser Stätte näher, sah fragend zu seinem Gast.

„Ich habe den Jungen dabei erwischt, wie er Geld aus dem Opferstock stehlen wollte“, berichtete er demütig und aus Respekt für seinen Retter.

Seufzend beugte sich der Kleinere zu dem Jungen herab: „Wofür brauchst du denn das Geld, hm?“ Für ihn stand außer Frage, dass Camui ihn belog. Es gab auch keinen Grund für diese Annahme. Trotzig wurde er von dem Jungen angesehen. Nein, von dem würde er kein Wort hören.

„Camui-san?“, fragte er und sah diesen direkt an. „Bring unseren Gast doch bitte hinein.“ Er selbst würde eine Kleinigkeit zu Essen für jenen holen. Schließlich war er ja nicht dumm. Konnte sehen, warum der Junge hatte stehlen wollen. So ging er selbst schon einmal vor, während er überlegte, was er anbieten könnte.

Camui nickte auf den Vorschlag hin, stellte den Besen an die Seite und hob den Jungen auf seine Arme, der daraufhin wild protestierte. Die lauten Schreie ignorierte er und ging mit seiner Fracht in den hinteren Teil des Tempels, wo er ihn auf der Kante der Terrasse absetzte, ihn jedoch an den Handgelenken fest hielt, damit er nicht floh.

„Du brauchst keine Angst haben. Hideto-san ist ein sehr netter Mensch. Er hilft den Leuten.“

„Lügner!“ Wütend wurde er angestarrt. „Du lügst.“

„I-Iie, ich-“

„Du hast gesagt, du würdest mir nicht mehr weh tun, wenn ich die Münzen fallen lasse, aber jetzt tust du es doch.“

In dieser Sache hatte der Junge recht. Jedoch: „Ließe ich dich jetzt los, würdest du nur weglaufen. Ich bin mir aber sicher, dass dies zu deinem Nachteil wäre.“

„Womit er auch völlig recht hat“, mischte sich der Geistliche ein und stellte ein kleines Tablett neben die Beiden. „Es war so oder so Zeit für eine kleine Pause. Und eine kleine Stärkung.“ Er ließ sich nieder. „Ich denke, Ihr könnt ihn jetzt los lassen.“

Camui nickte und tat wie geheißen. Der Junge blieb tatsächlich sitzen, starrte die gebrachten Reisbällchen an. Anscheinend überlegte er, ob er eines mitnehmen sollte oder ob sie vergiftet waren.

„Such dir eines aus.“ Große Augen richteten sich auf den etwas kleineren Mann, der aber nur sanft zurück lächelte. „Für jeden ist eine Tasse Tee und ein Reisbällchen da. Greif also ruhig zu.“ Misstrauisch sah der Junge zwischen den beiden Männern und dem Essen hin und her. Man merkte schnell, dass er gelernt hatte nicht jedem auf Anhieb zu vertrauen. Schon gar nicht, wenn ein Fremder derart freundlich war.

„Nichts davon ist vergiftet“, versuchte Camui das Kind zu beruhigen. „Und als Beweis werde ich das essen und trinken, was du für mich aussuchst.“ Ruhig saß er da und wartete. Aber sein Vorschlag schien dem Jungen nicht ganz geheuer zu sein.

„A-Also gut“, kam es dann nach reichlicher Überlegung. „Du wirst dieses Reisbällchen essen und aus der Tasse trinken.“

„Einverstanden.“ Ohne zu zögern griff er zu, biss auch gleich in seinen Imbiss, um zu zeigen, dass es keinen Grund gab, misstrauisch zu sein.

Hideto hatte sich alles stillschweigend angesehen. Wenn einer dieses Kind verstand und zu ihm durchdringen konnte, wäre sein Gast wahrlich die bessere Wahl. Er konnte sehen, wie sehr sich der Junge dagegen sträubte, diese gut gemeinte Geste an zu nehmen. Einen Moment alle aufgebauten Schutzwälle des Misstrauens zu missachten. „Und welches soll ich nehmen?“, stieg er in das Spiel mit ein.

Zögerlich zeigte der Jüngste unter ihnen auf die Dinge, die er erwählt hatte.

„Nun, denn. Wie du willst.“ Lächelnd nahm er, was für ihn ausgesucht worden war und tat es Camui gleich, in dem er ebenfalls gleich begann zu essen.

„Siehst du?“, mischte sich Camui in das Gespräch ein, nachdem er den letzten Rest seiner Zwischenmahlzeit gegessen hatte. „Nicht vergiftet.“ Zu seinem Gastgeber gewandt meinte er dann: „Gochisousama deshita, Hideto-san.“

Lächelnd wurde das Lob entgegen genommen. Dass sich der andere Mann für ein derart einfaches Mahl bedankte. „Was habt ihr vor?“, fragte er, als sich sein Gast erhob.

„Nun, ich bin bei meiner Arbeit unterbrochen worden. Jetzt würde ich sie gerne beenden.“ Schließlich hatte er das Gefühl, dass er sein Leben hier damit rechtfertigen konnte. In dem er die aufgetragenen Arbeiten erledigte und so seinem Gastgeber eine Hilfe war. Das war seine Art sich dafür zu bedanken, dass er hier leben durfte und zu essen und zu trinken bekam. Außerdem war ein Leben mit Sinn und einem geregelten Tagesablauf sehr angenehm. Zumindest für jemanden, der bisher nur rastlos durchs Leben gewandert war.

„Bleibt doch noch sitzen. Wir haben nicht mehr viele dieser herrlichen Tage. Wir sollten uns die Zeit nehmen und sie genießen.“

Erst wollte Camui protestieren. Sagen, dass sich das ganze Laub ja nicht von alleine fort bewegen würde, aber die ruhige Stimme und die wohlige Ausstrahlung des freundlichen Mannes brachten ihn dazu, sich wieder zu setzen und sein Gesicht den angenehm warmen Sonnenstrahlen zuzuwenden.

Der Junge dagegen hatte seine Portion immer noch nicht angerührt.

„Wie heißt du?“, fragte Camui in dem Versuch dem kleinen Menschen die Situation erträglicher zu machen.

„H-Hiro.“

„Gut, dann Hiro-kun.“ Er war sich recht sicher, dass dies nicht der echte Name des Kindes war. Seinen hatte er ja auch nie gesagt. Bis auf ein paar Ausnahmen. „Weißt du, Hiro-kun, vor nicht allzu langer Zeit steckte ich in der selben Lebenslage, wie du. Darum möchte ich dir einen kleinen Ratschlag geben.“

Misstrauisch, aber auch mit einer gehörigen Portion Neugier wurde er von oben bis unten betrachtet. Man sah es ihm aber auch wirklich nicht mehr an.

„Ein Geschenk wie dieses hier ist selten genug. Menschen wie Hideto-san sind noch rarer. Wenn sich dir also die Gelegenheit bietet ein Geschenk von jemandem wie ihm zu bekommen, dann nimm es an. Sie haben nur dein Bestes im Kopf.“ Eindringlich sah er den kleinen Dieb an. „Ignorieren wir die Tatsache, dass sich niemand die Mühe machen würde teures Gift an einen wertlosen Dieb zu verschwenden, wäre dann nicht selbst vergiftetes Essen besser als keines?“ Er schob das Tablett näher an das Kind heran. „Und nun iss! Du brauchst das. Es bedeutet einen weiteren Tag, den du leben wirst.“

Unsicher spielte der Junge mit seinen Fingern und sah zu Boden. Einzelne Tränen tropften von seinen Wangen, ehe er nach dem Reisbällchen griff und hinein biss.

„Eine gute Wahl, Hiro-kun.“

Stimmen

Summend harkte Camui die Beete. Normalerweise war das eine der wenigen Arbeiten, die Hideto gerne persönlich übernahm, aber er hatte zu einem Mann eilen müssen, der im Sterben lag. Hier und da zupfte er kleine Pflanzentriebe heraus, dass sie hier nicht erwünscht waren. Es war kühl und der Himmel grau von den dicken Wolken, die Regen versprachen. Durch das Auflockern der Erde würde das Wasser gut zu den Wurzeln der Pflanzen gelangen können. Kurz hielt er mit seiner Arbeit inne, ließ seinen Blick über den Garten wandern, in dem es überall farbenprächtig leuchtete. Schon bald könnten sie mit der Ernte beginnen.

Camui seufzte. Bei diesem Wetter würde er nur leider keine Schreibübungen machen können. Wo er die Zeichen doch gerne noch etwas üben wollte. Bestimmt gab es aber noch ein paar Aufgaben, die es innerhalb des Schreins zu erledigen galt und ihn so ein wenig ablenken würden.

Plötzlich war ihm, als hörte er jemanden nach ihm rufen. Verwundert sah er sich um, konnte aber niemanden erkennen.

„Seltsam“, murmelte er.

Als Camui sich sicher war, dass sich hier niemand aufhielt, widmete er sich wieder seiner Arbeit. Schon alleine, weil er nicht nass werden wollte, wollte er sie ganz gerne bald beendet wissen.

Es verging keine Minute, da hörte er wieder eine Stimme. Dieses Mal deutlicher. Erschrocken drehte er sich um. Doch wieder war niemand zu sehen.

„Was ist das für ein unangebrachter Scherz?“ Ein wenig ungehalten drehte er sich ein paar Mal um sich selbst, betrachtete seine Umgebung ganz genau. Doch auch jetzt konnte er weder jemanden erkennen, noch spüren.

„Was ist nur hier los?“ Wer hörte denn zwei Mal in Folge eine Stimme, die nach ihm rief? Wieder ein Mann. Bildete er sich das etwa ein?

„Wer ist da?“, rief er und drehte sich langsam um sich selbst. Ohne Ergebnis. War das ein schlechter Scherz von jemandem? Oder wurde er doch verrückt? Verzweifelt rieb er sich die Stirn.

„Camui~“ Erschrocken drehte er sich um.

„Camui.“ Von links. Dieses Mal die Stimme einer Frau.

Und mit einem Mal war ihm, als würden ihn hunderte Stimmen aus allen möglichen Richtungen rufen.

„Camui.“

„Camui.“

„Camui!“

„Aufhören. Aufhören!“ Von der Situation völlig überfordert ließ er die Harke fallen, presste sich die Hände auf die Ohren und hockte sich hin. „Hört auf!“ Die Stimmen und ihr Rufen waren das Einzige, was er noch hörte. „Hört auf!“, flehte er. Sein Kopf schmerzte. Sie sollten endlich aufhören. Wer immer auch dafür verantwortlich war. Warum auch immer sie das taten. „Hört doch bitte endlich damit auf.“ Unter der Last der Stimmen brach er zusammen, presste die Hände immer fester auf die Ohren. Aber umsonst. Es war, als wären diese vielen Stimmen direkt in seinem Kopf. Nur warum und woher sie kamen, das verstand er nicht. Nur warum hörten sie nicht wieder auf?

„Camui-san?“

„Nicht! Hört auf! Hört auf mich zu rufen!“ Tränen der Verzweiflung sammelten sich in seinen fest geschlossenen Augen. „Onegai.“

„Camui-san? Hört Ihr mich denn nicht?“

Natürlich hörte er. Er hörte sie alle. Sein Kopf dröhnte. Schmerzte. Gab es denn nichts, was er dagegen tun konnte?

„Camui-san, redet mit mir!“

„Was willst du, Stimme? Warum quälen du und die anderen mich?“

„Die Anderen? Welche Anderen? Hier bin nur ich, Camui-san.“

Der junge Mann spürte, wie etwas versuchte seine Hände von seinen Ohren zu entfernen. Erschrocken sah er auf, keuchte schwer. Blass vor Angst klebten einige verschwitzte Strähnen auf seiner Haut. Es dauerte einige Momente, bis er seinen Retter als eben jenen erkannte. „Hideto...-san?“

„Hai, soudesu. Habt Ihr denn jemand Anderen erwartet?“ Besorgt wurde er angesehen, während sich der Kleinere zu ihm hockte. „Was ist passiert?“ Fürsorglich legte dieser seinem Gegenüber eine Hand auf die Stirn, sah ihm genau in die Augen, um zu erkennen, was jenem denn fehlte.

„Ich weiß nicht, wie ich Euch das erklären soll.“ Verwirrt und beschämt wandte Camui seinen Blick ab. Schließlich war das, was da eben geschehen war, verrückt. Und das bedeutete auch, dass er selbst verrückt sein musste.

„Versucht es“, forderte der kleinere Japaner auf.

„Da... Da waren Stimmen. Und sie haben mich gerufen.“ Nervös biss er sich auf die Unterlippe. „Aber da war niemand.“ Ängstlich hob er seinen Blick. „Bin ich dem Wahnsinn verfallen?“

Einige Momente lang sah ihn sein Retter nachdenklich an, überlegte sich seine Worte ganz genau. „Es ist ungewöhnlich, doch zu sagen, dass Ihr wahnsinnig seid, dafür ist es noch zu früh. Und vielleicht war es ja doch nur ein dummer Scherz, den sich jemand mit Euch erlaubt hat.“

„Aber es waren so viele.“ Von sich selbst unbemerkt war er versucht seine Ohren wieder zu verdecken, um sie vor einem erneuten Angriff der Stimmen zu bewahren. „So unglaublich viele.“

„Ist gut. Ich verstehe Euch. Was haltet Ihr davon, wenn wir hinein gehen? Ihr beruhigt euch und ich setze uns einen Tee auf. Wir können Eure Gedanken ja ein wenig zerstreuen, in dem ich Euch noch ein wenig unterrichte.“

Camui nickte einverstanden und ließ sich beim Aufstehen helfen. Er fühlte sich gerade so schwach und verletzlich, wie schon seit langem nicht mehr. Nur wegen ein paar Stimmen, die nicht existierten. „Ich bin nicht verrückt“, murmelte er.

„Ich weiß, Camui-san.“

Sie lassen nicht locker

Eine Tasse Tee später war Camui weitaus ruhiger geworden. Mit seinen Gedanken jedoch war er immer noch bei diesem seltsamen Ereignis. Beinahe wünschte er sich, dass es nur ein reichlich gemeiner Scherz gewesen war. Allerdings wüsste er niemanden, der ihm solch einen Streich spielen würde, geschweige denn einen Grund, weshalb man dies tun sollte. Sicherlich gab er den ein oder anderen Menschen aus seiner Vergangenheit, der ihm bestimmt noch böse war, doch diese Menschen würden sich eine ganz andere Form der Rache überlegen. Eine Hand auf seinem Unterarm ließ ihn aufschrecken und in das lächelnde Gesicht seines Retters blicken.

„Hört auf Euch weiterhin so den Kopf zu zerbrechen. Dadurch werdet Ihr auch keine Lösung finden, fürchte ich. Wenn Ihr möchtet können wir gleich wieder hinausgehen und schauen, ob wir irgendwelche Spuren finden, die uns sagen können, was geschehen ist. Einverstanden?“

Der Größere nickte sacht. Vermutlich hatte der Andere Recht. Ohne Hinweise würde er sich nur im Kreis drehen. Gab es überhaupt welche? Immerhin hatte sein Retter doch gesagt, dass er nichts gehört habe? „Einverstanden“, murmelte er schließlich noch. Hoffentlich fanden sie wirklich etwas, denn es würde bedeuten, dass er nicht verrückt wurde oder bereits war.

Hideto leerte seine Tasse, nahm seinem Gast seine ab und spülte beide kurz aus.

„Lasst uns gehen, Camui-san“, forderte er ihn anschließend auf, woraufhin sich der Größere schwermütig erhob.

Stumm und niedergeschlagen folgte der Blauäugige ihm nach draußen und in den Garten, von wo aus sie ihre Suche starteten.

Doch entgegen all ihrer Hoffnungen fanden sich rundherum keine Fußspuren, die nicht von ihnen waren. Keine kaputten Äste in den Büschen, die darauf hinwiesen, dass sich jemand in ihnen versteckt hatte.

„Ich bin also doch verrückt.“ Seufzend setzte sich Camui auf die Terrasse und legte seinen Kopf auf seinen Händen ab.

„Nicht doch“, versuchte Hideto zu beruhigen und ließ sich neben ihm nieder. „Das seid Ihr nicht. Niemand, der den Verstand verloren hat, sagt, dass das so ist. Natürlich ist es ungewöhnlich, dass wir nichts gefunden haben, wenn es doch so viele gewesen sein müssen. Es muss aber nichts heißen.“ Einige Momente ließ er seine Worte wirken. „Wollt Ihr mich auf meinem abendlichen Rundgang begleiten?“ Es war noch ein wenig zu früh dafür, jedoch sahen die Wolken so aus, als würde es jeden Augenblick anfangen zu regnen. So dunkel waren sie.

„Hai, sehr gerne.“

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, um wie den Opferstock und den kleinen Brunnen zur rituellen Reinigung vor dem Beten zu leeren. Anschließend zündeten sie im Schreininneren noch ein paar Räucherstäbchen und um die Gebäude herum Lampen an, damit die Besucher auch zu später Stunde noch ihren Weg fanden.

Während sie ihren Aufgaben nachgingen sah sich Camui immer um, in der Angst, dass die Stimmen wieder auftauchten.

„Beruhigt Euch doch bitte. Es wird bestimmt nicht noch einmal passieren.“

„Und wenn doch?“

„Dann werde wir den oder die Schuldigen finden und zur Rede stellen.“

„Wenn wir sie denn erwischen.“

Seufzend stemmte der Geistliche die Hände in die Hüften „Ihr seid heute wirklich missmutig.“

„Wäret Ihr denn besserer Laune? Wenn es Euch widerfahren wäre?“ Mit den blauen Augen sah er traurig zu dem Anderen. Jeder wäre doch bedrückt, wenn die eigenen Sinne anfingen einen im Stich zu lassen. „Was wird eigentlich aus mir, wenn es wirklich bergab mit mir geht?“

Man hörte einfach so selten etwas über Menschen, die derart verwirrt waren. Sie waren nie zu sehen, obwohl man wusste, dass auch sie existierten.

„Nun... wenn ich ehrlich bin... dann kann ich Euch nichts dazu sagen.“

„Soudeshita...“ Somit war die Zukunft des ehemaligen Diebes noch unklarer. Nachdenklich schritt er auf den Schrein und den Opferstock zu, wo er verharrte, das kleine Glöckchen erklingen ließ und die Hände zum Gebet zusammenlegte. Vielleicht mochten die Götter ihm ein weiteres Mal helfen. Und dieses Unglück von ihm abwenden.
 

Camuis Schlaf war unruhig. Ständig drehte er sich von einer Seite auf die andere. In seinem Traum wurde er von den Stimmen verfolgt. Dieses Mal riefen sie mehr als nur seinen Namen.

„Komm zu uns, Camui.“

„Wach auf, Camui.“

„Komm heim.“

„Komm zu uns.“

„Erwache endlich.“

„Camui.“

„Camui.“

„Geht weg von mir!“, wehrte er die Stimmen ab, wollte sie zum Schweigen bringen.

„Aber Camui. Hast du uns etwa vergessen?“

„Wie traurig.“

„Komm nach Hause.“

Aber wo war dieses zu Hause? Er hatte doch schon lange keines mehr. Wo sollte er also hingehen?„Wer seid ihr?“, schrie er in die Leere, die ihn umgab. Für einen Moment herrschte Stille.

„Er hat uns vergessen!“

„Er war zu lange unter ihnen.“

„Wir hätten ihn früher aufsuchen sollen.“

„Bestimmt sind seine Erinnerungen noch da, nur hat er keinen Zugang zu ihnen.“

Zustimmendes Gemurmel, weshalb sich der Schwarzhaarige wieder mehrfach um sich selbst drehte. Wovon redeten diese Stimmen? Was wussten sie über ihn? Und warum sagten sie es ihm nicht?

„Armer Kerl. Seht nur, wie verwirrt er ist.“

„Er hat wirklich keine Ahnung, wer wir sind.“

„Aber er muss zurück. Ich vermisse seinen Gesang.“

„Das Geplärre kann er von mir aus sein lassen. Aber er war jetzt wirklich lange genug in der Welt der Menschen.“ Diese Stimme war tief und Respekt einflößend, was Camui ein wenig in sich zusammensacken ließ. „Wenn er nicht bald wieder in unsere Welt kommt, verlieren die Menschen den Glauben an ihn. Dann stirbt er.“

Sterben? Den Zusammenhang verstand er nicht. „Wovon redet ihr? Erklärt es mir. Beantwortet mir doch bitte meine Fragen.“

„Wenn du Antworten willst, dann erlange deine Erinnerungen zurück.“

„Außerdem“, eine Frauenstimme, ganz nah an seinem Ohr und am Kichern, „solltest du aus unseren Gesprächen bereits herausfinden können, wer du bist und was du bist.“

„Genau.“ Eine andere Frauenstimme, ebenfalls am Kichern. „Denk einfach noch ein bisschen nach.“

Und mit einem Mal war es still. Totenstill, wie man so gerne sagte. Camui konnte fühlen, dass er allein war. Hinzu kam das Gefühl der Angst, die immer größere wurde, bis er glaubte, von ihr verschluckt zu werden.

Schweißgebadet wachte er auf, saß schwer atmend auf dem Futon. Der Blauäugige strich über sein Gesicht und die feuchten Strähnen von der Stirn. Mit seinem Verstand ging es rapide ab. Erst hörte er nur Stimmen und nun träumte er sogar von ihnen. Dazu unterhielten sie sich mit ihm. Nur, dass ihre Worte in seinen Augen und Ohren keinen Sinn ergaben.

Wackeligen Fußes stand er auf und taumelte zur Tür, die er einfach aufriss und auch nicht wieder verschloss, nachdem er den Raum verlassen hatte. Der Schwarzhaarige hielt sich den Kopf, der ihm von dem wirren Zeug schon schmerzte, und machte sich auf Richtung Brunnen. Klares, kaltes Wasser sollte ihm helfen.

Das Ächzen des Seils und der Winde war unheimlich laut in der nächtlichen Stille. Erst jetzt fiel ihm auch wieder ein, dass ja immer einen Krug mit frischem Wasser in ihrem Wohnraum stand. Eben für den Fall, dass man in der Nacht Durst bekam. Aber er hatte auch einfach aus dem Raum gemusst, dessen Wände mit jedem Augenblick näher gekommen waren.

Endlich war der Eimer wieder oben und sogleich tauchte er beide Hände hinein, um mit dem geschöpften Wasser sein Gesicht zu benetzen. Es war eisig kalt. Genau richtig für seine Zwecke. Ein paar Mal wiederholte er dies, ehe er sich wirklich erfrischt fühlte. Mit dem Saum seines Obergewandes trocknete er grob sein Gesicht und seine Hände. Tief durchatmend ließ er sich neben dem Brunnen nieder und starrte den Boden zu seinen Füßen an.

„Was für eine seltsame Nacht.“ Wollte er den Worten glauben? Konnte er ihnen glauben? Was wollte sein Wahnsinn damit bezwecken?

'Du gehörst nicht in diese Welt.' Tat er das wirklich nicht? Dabei war er doch gerade dabei sich hier heimisch zu fühlen. Diesen Ort als seinen Platz in der Welt zu bezeichnen.

„Ich gehöre in diese Welt. Hier ist mein Platz.“

„Das freut mich zu hören.“

Erschrocken sah er auf, konnte Hideto-san im Schein einer Kerze, die jener bei sich trug erkennen.

„Was macht Ihr hier?“

„Dasselbe könnte ich Euch auch fragen.“ Langsam ließ sich der Priester neben seinem Gast nieder. „Warum seid Ihr nicht in Eurem Bett? Was hat Euch dazu gebracht, mitten in der Nacht zum Brunnen zu gehen und ihn zu betätigen?“

Camui vermied es seinem Retter in die Augen zu schauen. Ihm war die Antwort unangenehm.

„Ihr macht Euch immer noch Gedanken wegen der Stimmen heute Nachmittag, habe ich recht?“

„Es hat damit zu tun, ja.“ Beschämt zog der größere Japaner die Beine an, umschlang sie mit seinen Armen. „Aber auch wegen dem, was mir die Stimmen vorhin in meinem Traum erzählt haben. Ich weiß nicht, ob ich ihnen glauben soll oder kann. Weil sie doch nicht wirklich sind.“ Ob ihm da überhaupt jemand eine Antwort geben konnte?

Der Mann neben ihm legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hört nicht auf die Stimmen. Dann werden sie bestimmt wieder verschwinden.“

„Aber sie sagen, dass ich sterben werde, wenn ich nicht herausfinde, wer ich bin.“

„Was für merkwürdige Stimmen. Ihr wisst doch, wer Ihr seid. Was wollt Ihr da noch herausfinden?“

Hideto-san hatte recht. Er wusste es doch. Wer er jetzt und wer er in der Vergangenheit gewesen war. Über diese Dinge musste er nicht mehr nachdenken.

„Ihr habt recht, wie immer, Hideto-san. Ich mache mir wahrlich zu viele Gedanken.“

Zuversichtlich wurde er angelächelt. „Nun, ich habe nicht immer recht, aber ich befürworte Eure Einstellung. Und nun lasst uns wieder zu Bett gehen. Wir haben noch ein paar Stunden, bevor ein neuer Tag für uns anbricht.“

Zufall?

Tags darauf besuchten die beiden Männer das Händlerviertel in der Stadt, wo sie sich mit neuen Lebensmitteln, wie Reis und Eiern, eindecken wollten. Auf ihrer Suche kamen sie an einem Händler mit Büchern und Schriftrollen vorbei, was den Geistlichen dazu brachte stehen zu bleiben.

„Sumimasen. Was ist das für ein Buch?“

„Das ist eines über Medizin. Das Wissen darin stammt aus dem Westen. Die Holländer in Deshima haben es mitgebracht.“

„Wirklich?“

„Nun, es ist eine Abschrift. Aber viele der Begriffe wurden dabei ins Japanische übersetzt. Ihr dürftet also keine Schwierigkeiten haben beim Lesen.“

Nachdenklich sah der Kleinere das Buch an. Er wollte schon gerne dieses neue Wissen erlangen. Von diesen Büchern hatte er vieles gehört.

„Ikura desuka.“

„Nur einhundertzwanzig Yen, mein Herr.“

Hideto musste stark überlegen. Wenn er dieses Buch mitnehmen wollte, dann würden sie bei ihrem weiteren Einkauf Einschränkungen machen müssen. Zwar besaß er mehr in seinen Taschen, seitdem der Größere bei ihm lebte, dennoch achtete er auf jede Münze, weil es trotz allem oft vorne und hinten kaum reichte.

„Nehmt es mit“, flüsterte Camui ihm zu, weshalb er kurz überrascht angeblinzelt wurde.

„Nein, das geht nicht. Wir können sonst nicht-“

Dem Kleineren wurde das Wort abgeschnitten, als der Blauäugige meinte: „Nehmt es! Ich merke doch, wie gerne Ihr dieses Wissen haben wollt. Außerdem weiß ich, wie es ist zu...fasten. Und ich bin gerne bereit es zu tun.“

Dennoch haderte er mit sich, wenngleich er auch ein wenig gerührt war von diesem Angebot.

„Na los“, forderte der Japaner mit den blauen Augen ihn noch einmal sanft auf.

Aber noch immer zögerte er, sah das Buch erneut an.

„Könnte ich vielleicht erst einmal einen Blick hinein werfen?“

„Natürlich, mein Herr. Seht nur, seht.“ Sich bereits auf ein Geschäft freuend, überreichte der Händler das Werk, wartete ungeduldig auf das Ergebnis.

Währenddessen wurde Hideto-sans Interesse erst recht geweckt. „Welch unglaubliche Erkenntnisse diese Holländer doch haben. Das geht doch weit weg von dem, was ich gelernt habe.“

„Dann ist es als nicht so gut?“

„Das kann ich so noch nicht sagen, Camui-san. Es ist eine völlig andere Herangehensweise, als das, was ich kenne. Aber es würde mein Wissen vertiefen. Wodurch ich den Menschen womöglich noch weitaus besser helfen könnte, als bisher.“

Auf Camui wirkten die Zeichnungen in dem Buch eher erschreckend und auch ein wenig verstörend, aber die Begeisterung seines Retters steckte auch ihn ein bisschen an. Jetzt mussten sie es erst recht kaufen. Wenn er dem Anderen irgendwie eine Freude machen konnte, dann verzichtete er gerne auf ein paar Mahlzeiten.

„Es ist wirklich interessant.“ Zögerlich sah er zu seinem Begleiter hoch. „Und ihr seid wirklich sicher bereit ein Opfer zu bringen? Nur damit ich...?“

„Hai.“

Hideto seufzte, lächelte ihn dann aber dankbar an. „Dann kaufe ich es.“

„Wie Ihr wünscht, mein Herr.“ Immer wieder verbeugte sich der Händler, als er das Geld entgegen nahm. „Ich wünsche den werten Herren noch einen angenehmen Tag.“

Sie erwiderten, dann zogen sie weiter, um ihre eigentlich Besorgungen zu erledigen.

Während sie die Straße entlang gingen und sich an verschiedenen Ständen umsahen, besprachen sie, was sie wirklich brauchten und auf was sie notfalls auch verzichten konnten, sollte ihr Geld einfach nicht für alles ausreichen. So kauften sie bei mal hier, mal da und Camui versuchte sich sogar am Handeln,

„Wir haben Reis und Essig bekommen, sowie ein paar Eier, etwas Tofu und Sojasoße. Für mehr wird es heute nicht reichen.“

„Das macht doch nichts“, lächelte der Größere. „Es ist doch immer noch eine ganze Menge.“ Was er nicht nur deshalb sagte, weil der Sack Reis auf seiner Schulter so schwer war. „Und das, was wir am dringendsten brauchen.“

„Das stimmt.“

„Camui!“

Erschrocken blieben die beiden Männer stehen und sahen sich um.

„Camui! Du kannst nicht gehen.“

Misstrauisch blickte der Gerufene sich um, bis er an einem Straßenkünstler hängen blieb, der Kindern mit Hilfe von Bildern eine Geschichte erzählte. Ein älterer Mann, der schon leicht gebeugt stand. Erste graue Strähnen zogen sich durch sein langes, schwarzes Haar, welches er in seinem Nacken zu einem Zopf gebunden hatte. Typisch für jemanden, der viel umherzog, trug er mehrere Lagen Kleidung. Sauber, aber abgenutzt. Nur seine Augen wollten nicht ganz dazu passen. Sie waren klar, strahlten die Weisheit von vielen Jahrzehnten aus und wirkten dabei frisch, wie die eines jungen Mannes.

„Aber der Gott der Musik wollte unbedingt auf die Erde. Er wollte Leben, wie ein Mensch, um neue Lieder schaffen zu können.“

Angezogen von der Stimme des Straßenkünstler und seinen bunten Bildern ging der ehemalige Dieb näher heran. Aus irgendeinem Grund wollte er mehr hören. Über die Figur, die denselben Namen trug, wie er.

„Niemand konnte ihn davon abhalten zu tun, was er wollte. Also verließ er die wunderbare Welt der Götter und betrat unsere.“

„Und hat er seine Lieder gefunden?“, fragte eines der Kinder, die vor dem Geschichtenerzähler auf dem Boden saßen.

„Das weiß niemand.“

„Warum nicht?“

„Nun, weil er bereits einige Male wiedergeboren wurde. Er hat ein paar sehr kurze Leben geführt. Vielleicht wandert er hier durch unsere Straßen und ihr seid ihm schon einmal begegnet.“ Ein aufgeregtes Flüstern ging durch die Reihen. „Aber durch die Wiedergeburten hat er sein Gedächtnis verloren.. Und damit auch die Lieder, die er gefunden haben könnte.“

„Wie schade“, kam es mehrfach von den Kindern.

„Ja, sehr schade. Denn einige der anderen Götter würden sie sehr gerne hören.“

„Ich auch“, stimmten die Kleinen im Chor ein.

„Was passiert“, fing Camui an zu fragen, „wenn er seine Erinnerungen nicht wieder bekommt? Wenn er sich nicht daran erinnert ein Gott zu sein?“

Lächelnd räumte der Mann seine Sachen ein. „Götter leben, weil wir an sie glauben. Tun wir das nicht, so sterben sie.“

„Wie verlieren die Menschen ihren Glauben?“, erkundigte er sich weiter.

„Wenn de Menschen spüren, dass der Gott, den sie anbeten, nicht mehr zuhört. Wenn sie keine kleinen Wunder mehr erleben, die sie auf diesen zurückführen können.“ Der Geschichtenerzähler hatte zu Ende gepackt und sah wieder auf. „Wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“ Interessiert und eindringlich musterte der Wanderer den neugierigen Zuhörer.

„Mein Name ist Camui.“

Gemurmel entstand unter den Kindern. Währenddessen musste der Erzähler lachen. „Welch ein Zufall. Dann verstehe ich eure Neugier. Sagt, wo kommt Ihr her? Eure Augen sind sehr ungewöhnlich. Habt Ihr vielleicht europäische Wurzeln?“

Camui wurde verlegen und ihm rutschte der Reissack von der Schulter. „I-Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts, weil ich sehr früh zur Waise geworden bin.“ Vielleicht stimmte es ja und er hatte wirklich Wurzeln im Ausland. Eine Möglichkeit war es. „Könntet Ihr mir die Geschichte vielleicht ganz erzählen?“

„Tut mir Leid, aber ich muss leider weiter.“ Der Fremde schulterte seine Tasche mit all seinem Hab und Gut, verabschiedete sich und verschwand in der Menge.

„Wir können dir die Geschichte erzählen, Onkel.“ Freudig grinsend sammelten sich die Kinder um ihn herum.

„Das wäre sehr nett von euch, Kinder. Aber ich muss zum Schrein zurück.“

„Können wir mitkommen?“

Unsicher sah Camui zu Hideto, schließlich war es immer noch dessen Haus und somit seine Entscheidung. Die Kinder taten es ihm gleich, allerdings weitaus bittender.

„Wie kann ich da 'Nein' sagen?“, lachte der Priester.

Während die Kinder in Freudenschreie ausbrachen, schulterte Camui den Sack wieder und alle zusammen machten sich auf den Weg zum Schrein. Die Kinder konnten es kaum erwarten die eben gehörte Geschichte weiter zu erzählen und fingen sofort an los zu plappern.

Von einer Seitengasse aus wurde der kleine Trupp von dem Geschichtenerzähler beobachtet. Er lächelte. „Tja, Camui-dono, damit habe ich Euch nicht nur ein bisschen mehr Zeit verschafft, sondern hoffentlich euren Erinnerungen auch einen Anstoß gegeben wieder zu erwachen.“ Als er sich umdrehte, um zu gehen, verwandelte sich seine Gestalt in die eines Fuchses, der sich nach wenigen Schritten in Luft auflöste.

Manchmal braucht man einen Schubs

Ein völlig unsinniger Gedanke hatte sich in seinem Kopf festgesetzt: Dass er einmal ein Gott gewesen sein könnte.

Wie sollte er den nur wieder los werden? Wie kam sein Kopf überhaupt zu solch einer Schlussfolgerung? Das war doch ein wenig zu weit hergeholt. Zumindest hatte er die Stimmen nicht mehr gehört, was ihn ungemein erleichterte. An seinem Verstand zweifelte er dennoch.

Heute half er Hideto bei der Ernte des Apfel- und des Birnenbaums, in deren großen Kronen unzählig viele Früchte hingen. Vieles davon würden sie heute erst Mal lagern und in den nächsten Tagen auch verarbeiten. Ein weiterer Teil wurde verkauft oder getauscht. Dasselbe würden sie auch mit ihrer restlichen Ernte aus dem Garten machen. Auf jeden Fall würde es ein Winter mit viel eingelegtem und vielleicht auch eintönigem Essen werden. Für Camui war es allerdings der Erste, in dem er wusste, dass er nicht verhungern oder erfrieren würde.

„Gut, dass wir bereits warme Kleidung haben für Euch. Bis auf ein warmes Schuhwerk. Hoffentlich werden wir da noch fündig. Erfrorene Füße sind kein schöner Anblick und sehr unpraktisch.“

„Ja, das sind sie.“ In seinem doch recht jungen Leben hatte er viele 'Kollegen' erlebt, die Zehen und Finger oder eben ganze Hände und Füße verloren haben, weil ihnen die passende Kleidung oder zumindest ein warmer Platz fehlte.

„Aber Winterschuhe sind nicht gerade günstig und wir brauchen alles, was wir zur Zeit haben, um noch Dinge für den Winter zu besorgen. Das sollten wir nicht für mich verschwenden.“

„Camui-san, ich bitte Euch. Es ist etwas, das notwendig ist. Macht Euch deshalb keine Gedanken. Es wird Winter werden und den werdet ihr auf diese Weise unbeschadet überstehen.“

„Und wenn es ein besonders harter, langer Winter ist?“ Es wäre zumindest nichts ungewöhnliches. „Selbst wenn. Wir werden den Frühling erleben. Ohne, dass uns etwas passiert. Dessen bin ich mir sicher. Immerhin sind die Götter auf unserer Seite.“

„Woher wollt Ihr das wissen?“, fragte der Blauäugige und verstaute eine Birne in dem bereits halb vollen Korb auf seinem Rücken.

„Weil ich“, antwortete der andere Mann mit einem, ihm so eigenen, Lächeln, „einen festen Glauben habe. Abgesehen davon, war ich Zeuge eines Leibhaftigen Wunders.“ Lachend kletterte Hideto zwei Sprossen weiter raus auf seiner Leiter. „Außerdem habe ich einfach das Gefühl beschützt zu werden.“

„Dann fehlt mir wohl, trotz allem, noch ein fester Glaube, denn ich kann nicht so empfinden.“

„Wie schade. Aber ihr werdet bestimmt noch so fühlen können.“

Camui nahm diese Aussage fürs Erste einfach so hin. Schließlich vertraute er seinem Retter und dessen Vertrauen in die Götter.
 

Lange Zeit schwiegen sie während ihrer Tätigkeit, bis der Größere unbewusst anfing zu summen. Eine unbestimmte Melodie, die ihm gerade so in den Sinn kam. Bis er nach kürzester Zeit sogar wieder sang. Es machte ihn glücklich und das Arbeiten auch um einiges leichter.

Hideto unterbrach seine Tätigkeit und erlaubte sich für einige Zeit einfach nur zuzuhören. Sein Mitbewohner besaß wirklich eine angenehme Stimme.

„Habt Ihr vielleicht einmal darüber nachgedacht Euch einer Gruppe von Musikern anzuschließen? Oder ans Theater zu gehen?“, fragte er deshalb.

„Nani?“

„Wenn Ihr zu Eurer Singstimme auch noch ein wenig schauspielern könnt, dann wäret Ihr vielleicht ganz gut beim Kabuki aufgehoben.“

„Kabuki, hm?“Eine ungewöhnliche Überlegung. Seit langem wollte er so eine Aufführung Mal sehen. Bei einer mit zu wirken, darüber hatte er noch nie nachgedacht.

„Stellt Euch doch einfach mal dort vor. Singt etwas und es wird kaum einen Grund geben Euch nicht aufzunehmen.“ Zwar kannte er als Diener der Götter nicht die Kriterien, die man für das Theater erfüllen musste, einen Versuch wäre es, seiner Meinung nach, jedoch alle Mal wert.

So überzeugt wie sein Retter war Camui von dieser Idee nicht. Aber er würde darüber nachdenken.

Nach einer Weile stieg er von der Leiter, um seinen schweren Korb abzusetzen. Das Gewicht ließ seine Schultern schmerzen. Sorgfältig betrachtete er die Krone des Baumes, um abschätzen zu können, wie viel noch zu ernten war. Schlussendlich kam er bei 'reichlich' an. Eine kurze Verschnaufpause später hievte er den Korb wieder auf seinen Rücken. Er trug ihn hinein in ihre Vorratskammer, wo er die Birnen vorsichtig auf ein großes Stück Stoff auf dem Boden verteilte, damit die Früchte nicht allzu viele matschige Stellen bekamen. Mit dem geleerte Behälter ging es zurück zu den Obstbäumen, um die nächste Ladung zu ernten. Auf halbem Wege kam ihm Hideto entgegen.

„Soll ich Euch beim Ausleeren helfen?“, bot er an.

„Nein, danke.“ Der Kleiner lächelte ihn an. „Ich schaffe das auch alleine. Außerdem ist mein Korb ja gar nicht so voll.“

„Gut, wie ihr meint.“

Hideto sah seinem Gast nach. Immer wieder staunte er über die Hilfsbereitschaft und die Selbstlosigkeit dieses Mannes, der bisher ein ganz anderes Leben geführt hatte. Eines, wo einem diese Eigenschaften nicht weiterhalfen, sondern eher hinderlich gewesen sein mussten. Dennoch war er froh eine helfende Hand bei der Ernte zu haben. So ging es doch viel schneller. Er wollte ihm nur nicht zumuten sein Leben hier zu verbringen, weil er sich ihm gegenüber schuldig fühlte. Diesem Mann standen seit seinem Wandel einige Türen offen. Er sah sie nur nicht. Deswegen zeigte er ihm gerne ein paar andere Möglichkeiten auf.

Seine gepflückten Äpfel verteilte er ebenfalls auf dem Fußboden, wobei er seinen Gedanken erlaubte ein wenig abzuschweifen. Bis jetzt hatte er sich nichts anmerken lassen, doch er dachte immer wieder über die Stimmen nach, die der Andere gehört hatte. Nachdem sie keine Spuren gefunden hatten, hatte er selbst immer weniger an einen Streich geglaubt. Zumal er vorher ja auch nichts gehört hatte. Nur das Schreien von Camui. Er wollte es sich nur nicht anmerken lassen, weil sein Gast ein wenig labil gewirkt hatte in der Zeit danach. Aber trotz reichlicher Überlegungen kam er bedauerlicherweise immer wieder zu dem Schluss, dass es der Verstand des Größeren gewesen sein musste, der diesen Streich gespielt hatte. Eine Erkenntnis, die er als sehr Schade empfand. Es wäre ein Verlust. Der Verlust eines gutherzigen Menschen.
 

In den nächsten Tagen ernteten sie die Früchte der anderen Bäume und das erste Gemüse aus dem Garten, welche sie zum Teil auf dem Markt gegen Reis, Krüge zum Einmachen und auch noch ein paar warme Schuhe für Camui eintauschten. Obwohl dieser immer wieder versucht hatte es zu verhindern.

„Anstatt Euch Gedanken über eine unwichtige Sache, wie den Kauf von ein Paar Schuhen zu machen, solltet Ihr sie lieber auf den Vorschlag mit dem Theater lenken. Ich glaube, Euch gut genug zu kennen und kann deshalb mutmaßen, dass Ihr das noch nicht getan habt.“

Ertappt schwieg Camui, während er den Karren zog, auf dem ihre Einkäufe untergebracht waren.

„Warum wollt Ihr denn nicht? Immerhin habe ich Euch bereits singen hören. Ihr singt sehr gut. Lasst es doch auf einen Versuch ankommen.“ Noch immer kein Wort von dem Größeren. „Wovor habt Ihr Angst?“

„Nun...“

„Ja?“

„Ich habe Angst.“

„So weit waren wir schon. Doch wovor?“

„Davor, dass ich abgelehnt werde.“

„Doch Ihr habt es dann versucht. Und sollte es mit dem Gesang nicht klappen, dann gibt es bestimmt auch noch eine andere Arbeit, die Ihr verrichten könnt. Ihr seid ein geschickter Mann und Ihr lernt sehr schnell.“ Ganz eindeutig stellte der Größere sein Licht unter den Scheffel.

„Ich bin aber gerne bei Euch und bin Euch auch bei der anfallenden Arbeit gerne behilflich. Außerdem habe ich noch lange nicht alles gelernt, was Ihr mich lehren könnt.“

„Das kann ich Euch immer noch lehren. Wenngleich es auch nicht mehr viel ist.“

„Wollt Ihr mich so dringend los werden?“, fragte Camui und blieb stehen.

„Nani?“ Geschockt drehte er sich zu dem Anderen um. „Aber nicht doch“, beschwichtigte er schnell. „Ich bin Euch dankbar für Eure Hilfe und ich empfinde Eure Gesellschaft als sehr angenehm. Jedoch solltet Ihr lernen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Wer weiß, ob es nicht irgendwann notwendig ist, Euch ein eigenes Leben zu ermöglichen. Wollt Ihr Euch erst dann nach eine Arbeit umsehen? Und so unter uns: Wenn Ihr Euer eigenes Geld verdient, dann braucht Ihr auch kein schlechtes Gewissen mehr wegen ein paar Schuhen haben.“

In dem Punkt musste Camui seinem Gegenüber bedauerlicherweise zustimmen. Jedoch fühlte er sich noch nicht selbstsicher genug, um alleine zu leben. Gleichzeitig ängstigte ihn auch der Gedanke, dass er in sein altes Leben verfallen könnte, wenn die Dinge nicht so liefen, wie erhofft.

„Kopf hoch, Camui-san. Ich hab schließlich nicht gesagt, dass Ihr bei einer Arbeit auch gleich eine neue Bleibe suchen müsst. Und selbst wenn Ihr Euch eine gesucht habt, so seid euch gewiss, dass Ihr jederzeit ein willkommener Gast bei mir seid.“

Das war aufmunternd, aber es gab viele Dinge, die die Selbstständigkeit mit sich brachte und ihm Sorgen bereitete. Andererseits...

„Ich denke, Ihr habt erneut recht. Ich sollte mir nicht allzu viele Gedanken über Dinge machen, die noch weit entfernt liegen, sondern überhaupt erst einmal den ersten Schritt tun.“

Camui lächelte erleichtert. Es stand ja noch gar nichts fest. Noch musste er keine Entscheidungen treffen, für die noch nichts in die Wege geleitet war.

„Na also. So ist es schon besser. Und jetzt sollten wir unseren Weg fortsetzen. Ich möchte den Schrein nicht länger ohne Aufsicht lassen.“

Der Blauäugige nickte zustimmend und setzte sich und den Karren wieder in Bewegung.

'Du'

Dicke, weiße Flocken fielen sanft vom Himmel, machten alles langsamer und ruhiger durch ihre kalte Decke, zu der sie sich zusammenschlossen. Der kleine Shinto-Schrein von Hideto verschwand beinahe gänzlich darunter. Einzig der Weg, den die beiden Bewohner immer wieder frei legten, durchbrach den einheitlichen Anblick.

Genau jene saßen derzeit im Inneren bei einer wärmenden Tasse Tee und einer deftigen Suppe. Das Feuer der Kochstelle wurde fleißig mit Holz gefüttert, damit es hier drin schön warm blieb.

„Ich werde gleich noch ein bisschen Holz hereinholen.“

„Das ist eine gute Idee, Camui-san.“

Der am Morgen angelegte Stapel hatte sich gut verringert im Laufe des Tages.

„Camui-san?“

„Hai?“

„Ich habe gestern zwischen meinen Büchern eines mit alten Geschichten gefunden. Soll ich es Euch geben, damit Ihr das Lesen noch ein wenig üben könnt? Bei schwierigen Worten helfe ich Euch auch gerne so gut ich kann.“ Irgendwie mussten sie sich die Zeit schließlich vertreiben, nachdem sie vorhin gerade erst wieder den Weg frei geräumt und nun frühstückten.

„Sehr gerne. Ich danke Euch vielmals.“

Der Größere bekam leuchtende Augen, was dem Geistlichen ein kleines Lächeln auf die Lippen zauberte. Wie jedes Mal, wenn er die kindliche Freude bei ihm sah.

„Ich hoffe, dass ich die Zeichen überhaupt noch erkenne. Ich habe sie schon lange nicht mehr geübt.“ Unsicher griff er sich in den Nacken.

„Es wird Euch auch immer schwerer fallen, wenn Ihr noch mehr Zeit verstreichen lasst“, sagte Hideto und lachte ein wenig, meinte es aber gar nicht böse. „Außerdem haben wir jetzt im Winter nicht viel zu tun. Da bleibt genügend Zeit für das Studium. Ich selbst werde das Buch über den menschlichen Körper eingehender studieren. Es sind viele Begriffe darin, die neu für mich sind, ich mir aber gerne merken würde.“

„Dann lasst uns zu Ende essen und während ich mich um weiteres Holz kümmere, könnt Ihr die Bücher holen gehen.“

„Einverstanden.“

Die beiden Männer leerten ihre Schüsseln dennoch ohne Hast. Es gab schließlich keine Notwendigkeit für Eile.

Hideto erklärte sich bereit das wenige Geschirr alleine zu spülen, empfand es nicht als notwendig, dass sie beide sich damit beschäftigten.

In der Zwischenzeit zog sich der Blauäugige seine warme Kleidung über, bevor er mit einem großen Korb in der Hand hinausging. Mittlerweile war er auch sehr froh darüber, dass sie diese Stiefel gekauft hatten. Bei dem hohen Schnee bewiesen sie sich jedes Mal aufs Neue als eine gute Investition. An dem großen Holzhaufen aus fein gestapelten Scheiten angekommen, stellte er den Korb auf eine Stelle, wo er bereits einiges an Brennmaterial weggenommen hatte und begann damit, diesen mit Holz zu füllen, auf dass ihnen noch bis in die frühen Morgenstunden und darüber hinaus warm war.

Beladen mit dem schweren Gut machte er sich auf den Rückweg, stockte auf halbem Wege zur Tür, weil vor ihm ein Fuchs saß und den Pfad versperrte.

„Nanu? Wo kommst du denn her? Und was machst du hier?“ Normalerweise hielten sich diese scheuen Tiere nicht in der Nähe von Menschen auf oder verschwanden, sobald sie einen witterten. Vielleicht war dieser hier aber auch sehr hungrig. „Tut mir Leid, Kleiner. Ich habe nichts bei mir.“

Doch das Tier wich nicht vom Fleck, starrte ihn einfach an. Starrte ihn sehr eindringlich an, wie Camui fand. Dann schüttelte es den Kopf. Jedoch nicht wie ein Tier, das den Schnee aus seinem Fell haben wollte, sondern in einer sehr menschlichen Art und Weise. Als hätte man ihn enttäuscht. Danach drehte er sich um und sprang eiligst von dannen.

„Seltsames Tier“, murmelte der Japaner und sah selbigem stirnrunzelnd hinterher.

Weil der Korb mit jeder Sekunde schwerer und ihm trotz der warmen Sachen kälter wurde, setzte er seinen Weg gleich darauf fort. Wieder im Inneren stellte er das mitgebrachte Holz neben die Eingangstür der Küche, nachdem er sich etwas entkleidet hatte.

„Da war gerade ein Fuchs.“ Sorgsam schichtete er die Holzscheite bei dem Vorrat auf.

„Ein Fuchs?“, fragte Hideto, der den Anderen bereits erwartet hatte, nach. „So nah am Schrein?“

„Hai. Und er ist nicht weggelaufen, nachdem er mich erblickt hatte.“

„Ungewöhnlich.“

„Finde ich auch.“ Fertig mit seiner Aufgabe, ließ Camui sich an dem wärmenden Feuer nieder. „Jetzt ist er jedenfalls weg. Vielleicht sorgt er ja gerade dafür, dass wir keine Mäuse oder andere Nager im Lagerraum vorfinden.“

Hideto lächelte. „Das wäre sehr nett von diesem Fuchs.“ Der Kleinere griff neben sich und nahm ein kleines, gebundenes Buch an sich, welches er an Camui weiter reichte. „Hier ist das Buch mit den Märchen, von dem ich vorhin gesprochen habe.“

Ehrfürchtig nahm der größere Japaner das Dargereichte entgegen. „Arigatou Gozaimasu.“ Sacht strich er über den Einband. „Wäret Ihr mir böse, wenn ich gleich mit dem Lesen anfangen würde?“

„Nein, macht nur. Deswegen gab ich es Euch ja.“ Kurz lächelte Hideto, wurde dann aber sehr ernst. „Aber...“

„Ja?“ Neugierig sah Camui seinen Retter an. Was das wohl für ein Einwand war? Ein wenig Angst verspürte er, bedeutete so ein Anfang meist nichts Gutes für ein weiteres Gespräch.

„Wir kennen uns nun doch schon eine Weile, nicht wahr, Camui-san?“

„Ja, das tun wir.“ Ein paar Wochen waren es bestimmt schon.

Hideto holte tief Luft, wurde mit einem Mal doch nervös. „Ich... Ich würde Euch deswegen gerne das 'du' anbieten.“

Camui war sprachlos. Mit so einem Angebot hatte er nicht gerechnet. Auch noch nie bekommen. Verlegen kratzte er sich an der Wange, überlegte. „Ich nehme dieses Angebot sehr gerne an. Jedoch“, fügte er hinzu und verbeugte sich vor dem Kleineren, „habe auch ich eine kleine Bedingung. Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn auch Ihr mich 'duzen' würdet.“

Nach einem kleinen Schock fing Hideto an sanft zu lächeln, wurde sogar etwas verlegen. Er legte eine Hand auf Camuis und sagte: „Dann ist das also beschlossene Sache.“ Als nächstes langte er nach dem vorbereiteten Teekessel. „Möchtest du noch eine Tasse?“, probierte er auch gleich die neue Anrede aus.

Camui richtete sich glücklich wieder auf, griff nach seinem Becher und hielt ihn dem Anderen entgegen. „Sehr gerne. Vielen Dank.“
 

Von angenehmem Schweigen und dem Knistern des Feuers umhüllt waren beide Männer in ihr eigenes Buch vertieft. Wobei beide ihre Schwierigkeiten mit ihren Texten hatten. Camui musste ein Lachen unterdrücken, als er den kleineren Mann beobachtete, wie dieser sich mit den Fingern seiner rechten Hand beschäftigte. Ein recht amüsanter Anblick.

„Was tut I- was tust du da?“, korrigierte er sich.

„Nani? Anoo... Ich versuche mir die Bezeichnungen für die einzelnen Handknochen einzuprägen, aber es ist nicht leicht, bei all diesen merkwürdigen Begriffen.“

„Vielleicht könntest du sie dir besser merken, wenn du sie mir zeigst und erklärst“, schlug Camui vor.

„Meinst du?“

„Ja, meine ich. Außerdem verstehe ich einige der Geschichten nicht. Vielleicht lese ich einige der Zeichen falsch.“

„Sollen wir uns dann nicht lieber darum kümmern?“

„Warum? Wir haben doch genug Zeit für beides.“

„Also gut“, seufzte Hideto und gab sich geschlagen. Viel lieber hätte er sich jetzt um die unverständlichen Kanjis gekümmert, aber er wollte das hier auch gerne verstehen. Mitsamt dem Buch rückte er näher an Camui heran.

„Gib mir deine Hand“, bat er, woraufhin ihm sein Gast auch gleich seine Linke hin hielt. „Hm, ich habe hier nur eine Zeichnung von der rechten Hand.“ Nachdenklich blätterte er ein paar Seiten vor und zurück. „Aber ich glaube, dass die Bezeichnungen für beide Seiten gelten.“

„Das kann ich Eu- dir nicht sagen. Du hast mehr Ahnung davon.“

„Aber nicht in diesem Bereich der Medizin.“ Mit einem entschuldigenden Lächeln rückte er noch ein wenig näher an den Größeren heran, schob das Buch so zurecht, dass er gut daraus lesen konnte und nahm Camuis Hand in seine, nicht wissend, was er dadurch in jenem auslöste.

Ein Kribbeln entstand auf dessen Haut und ihm wurde ganz warm, als ob das Feuer noch einmal stärker geworden war. In seiner Brust fühlte er sein Herz ein wenig schneller pochen, als wäre er gerannt. Wie merkwürdig. Doch er entschied sich dafür, nichts davon seinem Retter zu erzählen. Denn irgendwie empfand er es als angenehm und fürs Erste wollte er nicht, dass etwas dagegen unternommen wurde.

Noch mehr 'ungewöhnliches'

Am nächsten Morgen musste der Weg wieder freigelegt werden. Unaufhörlich war der Schnee auch in der vergangenen Nacht gefallen. Erst am späten Morgen hielten die Wolken inne und machten sogar der Sonne ein wenig Platz, was die Arbeit ganz angenehm machte. Unermüdlich schaffte Camui die Unmengen an Schnee beiseite und Hideto verteilte großzügig ein Gemisch aus kleinen Steinchen und getrockneter Erde, welches den Boden weniger rutschig machen sollte.

„Entschuldige mich kurz“, kam es nach einer Weile von dem etwas kleineren Mann.

„Hm?“

„Ich hole dir nur schnell etwas zu trinken.“

„Aber das kann ich doch selbst tun“, entgegnete der Größere.

„So hart, wie du arbeitest, brauchst du etwas zu trinken. Außerdem habe ich ja gerade nichts zu tun, weil meine Aufgabe, im Gegensatz zu deiner, ja recht einfach ist. Tut mir übrigens sehr Leid, dass du diesen schweren Teil der Aufgabe machst. Wir können auch gerne tauschen.“

„Aber nein, nicht doch. Ich mache das gerne für dich. Es ist zudem ein gutes Training. Dann bleibt mein Körper fit.“ Der Japaner mit den blauen Augen hob den Arm und ließ die Muskeln unter seiner Jacke ein wenig spielen, was den Kleineren zum Lachen brachte.

„Eine sehr positive Einstellung, die du da hast.“ Kurz darauf beruhigte er sich wieder. „Ich werde trotzdem reingehen und etwas zu trinken holen. Dann stehe ich hier nicht unnütz herum.“

„Wenn du meinst...“ Camui sah seinem Retter noch hinterher, bis jener aus seinem Sichtfeld verschwunden war. Es war noch immer ungewohnt das 'du' zu benutzen, aber es wurde immer vertrauter. Gleichzeitig fühlte er sich dem Anderen selbst näher. Ob er ihn irgendwann 'Freund' nennen durfte? Ein schöner Gedanke, wo er doch noch nie einen hatte. Sich an diesen Gedanken klammernd, wandte er sich wieder seiner Arbeit zu, damit sie bald beendet war. Gerade steckte er die Schippe in den Schnee, als sein Blick auf etwas ungewöhnliches fiel.

„Du schon wieder?“

Da saß der Fuchs von gestern. Zumindest war er sich sicher, dass es derselbe war. Er starrte nämlich genauso.

„Du verhältst dich wirklich nicht wie ein normaler Fuchs, weißt du das?“

Camui versuchte, sich ein genaueres Bild von dem Tier zu machen. Er reckte den Kopf, beugte sich nach links und nach rechts, konnte aber nichts erkennen, weswegen man besorgt sein müsste.

„Verletzt bist du offensichtlich nicht. Ich sehe jedenfalls kein Blut.“ Aber vielleicht war es eine Verletzung, die er nicht erkennen konnte. Wohlgenährt war er allerdings. „Was ist dann mit dir?“, fragte sich der Japaner leise und hockte sich hin, sah dem Fellträger tief in die Augen. „Wenn du mir sagen könntest, was los ist, dann könnte ich dir helfen.“

Das Tier gab einige kläffende Laute von sich, weshalb Camui grinsen musste. Als ob das Tier ihn verstanden hätte.

„Hm, da sprechen wir wohl nicht dieselbe Sprache. Tut mir Leid.“

„Mit wem redest du da?“

Erschrocken drehte sich Camui um, wo er Hideto entdeckte, der ein kleines Tablett mit einer Tasse darauf, aus der Dampf aufstieg, trug.

„Oh, ist das der Fuchs, von dem du mir gestern erzählt hast?“

Der Größere nickte als Antwort.

„Er ist aufgetaucht, kurz nachdem du weg warst.“ Allmählich wurde er neugierig. Ob sich der Fellträger anfassen ließ?

„Was hast du vor?“, fragte Hideto ein wenig geschockt, als er sah, wie der Andere die Hand ausstreckte.

„Ich möchte nur sehen, ob er sich streicheln lässt.“

„Aber Füchse sind oftmals die Verkörperung eines Gottes. Du kannst doch nicht einfach einen Gott anfassen.“

An diesen weit verbreiteten Glauben hatte er gerade gar nicht mehr gedacht. „Oh“, machte er deshalb, sah zu dem Fuchs, der herausfordernd zurück starrte, und ließ seine Hand sinken. „Wenn du wirklich ein Gott bist, dann entschuldige bitte meine Unverfrorenheit.“ Während er sprach legte er seine Handflächen aneinander und senkte den Kopf, wartete einen Moment, ehe er nach oben schielte, um die Reaktion des Fellträgers zu prüfen. Stattdessen sah er gerade noch, wie der puschelige Schwanz aus seinem Sichtfeld verschwand.

Die beiden Männer sahen dem Tier hinterher, bis es ganz unter den tief hängenden Ästen der nahegelegenen Bäume verschwunden war.

„Wirklich seltsam dieser Fuchs“, murmelte der Größere und erhob sich, ließ dabei jedoch die Stelle bei den Bäumen nicht aus den Augen. „Glaubst du wirklich, dass das ein Gott in Tiergestalt war?“

Freundschaftlich legte Hideto dem Anderen eine Hand auf die Schulter, worauf dieser den Kopf zu ihm drehte.

„Nun, wissen tue ich es natürlich nicht, aber die Möglichkeit besteht und daran glaube ich.“

„Trotzdem verwunderlich, dass dieser Fuchs mir so nahe kommt. Und wenn er ein Gott oder eine Göttin ist, dann erst recht.“

„Götter tun, was sie tun wollen. Verstehen müssen wir sie nicht. Möchtest du jetzt deinen Tee? Bevor er gleich kalt ist.“

Nickend nahm der Mann mit den blauen Augen die Tasse von dem Tablett und leerte sie, sehr zum Wohlgefallen des fürsorglichen Kleineren.
 

Nach Beendigung ihrer Arbeit gönnte sich Camui seine wohlverdiente Pause. Leicht verschwitzt und außer Puste saß er auf der Veranda und schöpfte Kraft, während er sich von den Sonnenstrahlen verwöhnen ließ. So ließ sich der Winter doch aushalten. Im vergangenen hatte er in einer verlassenen Erdhöhle gewohnt, etwas außerhalb einer anderen Stadt, welche etwa zwei Tagesreisen zu Fuß von hier entfernt lag. Ein ausgedienter Tierbau war es gewesen. Bei der Bleibe hatte er keine Angst haben müssen, dass er sie allzu schnell wieder verlor, weil er davon getrieben wurde. Der Geruch von Menschen schreckte Tiere zum Glück ab und Menschen selbst hätten sie nur schwerlich gefunden. Er selbst hatte sie nur durch Zufall entdeckt und dann selbst dafür gesorgt, dass sie nahezu unsichtbar blieb. Bei Hunger war er dann in die Stadt und auf Streife gegangen. Bei der Jagd nach Wildtieren war er noch nie sehr erfolgreich gewesen. Auch wenn er es immer wieder probiert hatte.

Camui seufzte. Er wollte nicht mehr an diese Zeit und auch nicht an all die Male davor denken, wo er immer wieder befürchtet hatte, dass sein Ende gekommen war. Zuversichtlich sah er in den blauen Himmel mit den weich aussehenden, weißen Wolken. Jetzt ging es ihm besser als jemals zuvor und er wollte darum kämpfen, dass es dabei blieb. Seine Augen schlossen sich, damit er ungestört die Wärme genießen konnte.

Ihm war aber auch bewusst, dass er nicht für immer hier bleiben konnte. Irgendwann war auch bestimmt Hidetos Gutmütigkeit an ihrem Ende gelangt. Zwar tat er schon so viel, um hilfreich zu sein und dieses Ende hinaus zu zögern, aber das würde nicht ewig klappen. Sollte er es also vielleicht doch mit dem Theater versuchen? Brauchte man dort überhaupt eine Gesangsstimme? Er hätte aber auch wirklich kein Problem damit etwas Anderes zu tun. Es musste nicht unbedingt das Theater sein.

„Camui-kun?“

Langsam öffnete der Angesprochene die blauen Augen und sah zur Seite.

„Was meinst du? Wollen wir den Tempel nach dem Essen für eine Weile alleine lassen und gemeinsam ein wenig durch die Gegend streifen? Den Tag einfach genießen?“

„Hört sich gut an“, antwortete der Größere, lächelte.

Mit Hideto verbrachte er gerne Zeit.

Rettung

Die sonst so dunklen Wälder waren richtig hell durch den vielen Schnee. Allerdings war es nicht so einfach hindurch zu wandern, weil es keine richtigen Pfade mehr gab. Doch Hideto wollte nicht umkehren. Er wusste, wie der große, nahegelegene See aussah, wenn er fast vollständig zugefroren war und die Sonne darauf schien. Vor allem von seinem Lieblingsplatz aus, wo man in der Ferne noch die Stadt sehen konnte. Diesen Anblick wollte er so gerne mit dem Anderen teilen. Auch, wenn es ein Kampf war hinauf zu kommen.

„Hideto-kun, verzeih mir die Frage, aber... Ist es noch weit?“

Mittlerweile ging es nämlich reichlich bergauf.

„Wir müssen bis zur Kuppe, wo der Wald endet. Außerdem liegt hier doch weniger Schnee, als weiter unten.“

„Das macht es aber nicht einfacher.“

Bergauf gehen und dann nicht sehen, wo man hintrat war eine Herausforderung.

„Wir sind gleich da“, rief Hideto aufgeregt, rutschte im gleichen Moment aber etwas weg. Zum Glück fand er gleich wieder Halt, sodass er nicht allzu weit hinab rutschte.

Ein Stück unter ihm atmete Camui hörbar erleichtert aus, fragte: „Dajoubu desuka.“

„Hai, daijoubu desu.“

Nur der Schreck saß ihm noch in den Gliedern. Ans Umkehren dachte der Kleinere trotzdem nicht, dafür waren sie ihrem Ziel schon zu nahe. Er wollte ihm diesen wunderbaren Ausblick zeigen. Und er wollte ihn auch nur mit ihm teilen. Hideto atmete einmal tief durch, ehe er seinen Weg fortsetzte. Weitaus vorsichtiger dieses Mal.

Oben angekommen wartete er auf seinen Begleiter, der kurz danach ebenfalls ihr vorläufiges Ziel erreichte.

„Komm“, sagte der Kleinere und winkte ihm zu, als Aufforderung ihm zu folgen. Er führte sie ein Stück weit aus dem Wald hinaus zu einem der vorspringenden Felsen.

„Pass auf. Der ist vom Schnee bestimmt sehr rutschig.“

„Ich bin vorsichtig“, lächelte Hideto und bewegte sich Schritt für Schritt auf die Spitze zu. Und dann endlich hatte er sein Ziel erreicht. „Sieh nur, Camui-kun. Diese wunderschöne Aussicht. Komm her.“ Mit einem Lächeln wandte er sich nach hinten, winkte den Anderen zu sich, welcher mit einem reichlich mulmigen Gefühl einige vorsichtige Schritte in Richtung Felsspitze tat.

Geduldig wartete Hideto bis sein Begleiter bei ihm war.

„Und? Was sagst du?“

Sprachlos und mit staunendem Blick ließ der Größe seine blauen Augen über die schöne, schneebedeckte Welt unter ihnen wandern. Im Schein der Sonnenstrahlen schimmerte und funkelte alles wie ein großer Schatz. Zumindest wie einer, wie ihn Camui sich oft vorgestellt hatte.

„Unglaublich schön. Ich verstehe, warum du so gerne herkommen wolltest.“

Hideto lächelte erst, bevor er Seufzen musste und etwas verlegen nach unten sah.

„Ich bin während meiner Ausbildung sehr oft hergekommen. Aber du bist der Erste, den ich jemals mit hierher genommen habe.“

„Wirklich? Jetzt fühle ich mich geehrt“, antwortete er sanft und sah sich weiter um. Jetzt war es gleich noch schöner, durch diese besondere Komponente.
 

Eine geraume Weile standen sie da und betrachteten die Welt zu ihren Füßen. An dem leichten Rot, welches den Horizont und somit auch Schnee und Eis einfärbte, bekam dieser Ort eine magische Ausstrahlung. Verriet den beiden Männern jedoch auch, dass die Sonne im Begriff war ihre Arbeit zu beenden.

„Wir sollten wieder zurück“, sagte der Größere wehmütig, fand er es doch schade, dass sie das hier nicht weiter genießen konnten. Im Dunkeln jedoch mochte er den Weg nicht zurück legen. Durch den Schnee wurde das wenige natürliche Licht zwar verstärkt und man konnte mehr sehen als sonst in der Nacht, doch sie mussten zuerst einen Abhang hinunter und der Abstieg war mit Tageslicht wahrlich einfacher zu schaffen.

„Wir können ja an einem anderen Tag wieder her kommen“, schlug der Größere vor.

Ein wenig enttäuscht war Hideto schon. Da waren sie doch gefühlt gerade erst hier oben angekommen und sollten schon wieder gehen. Dabei waren die Sonnenuntergänge von hier aus auch immer wieder ein schöner Anblick.

„Müssen wir wirklich schon gehen?“

„Schon, denn der Gedanke, bei Nacht dort hinunter zu gehen, der... macht mir ein wenig Angst. Und ich fürchte, dass nicht nur Tiere im Wald sind.“

„Vermutlich hast du recht.“ Der Kleinere gab sich geschlagen. Wenn auch nur ungern. „Dann gehen wir wieder.“

Noch während er sich wieder um- und somit von der Aussicht abwandte, rutschte er mit einem Fuß weg.

„Wa-?“, wollte er fragen, als er auch schon bemerkte, was eigentlich passierte. Geschockt griff er nach Camuis Arm, bekam aber erst die Hand zu greifen. Der plötzliche Ruck brachte jenen aus dem Gleichgewicht. Überrascht ging er zu Boden, wurde von Hidetos Gewicht mit Richtung Kante gezogen. Instinktiv versuchte er Halt an irgendetwas zu finden, aber unter dem Schnee fand sich vor allem blankes Eis.

„Lass mich los“, rief Hideto plötzlich. Er hatte furchtbare Angst, erkannte aber auch, was ansonsten unweigerlich geschehen würde.

„Was? Doshite?“, fragte Camui erschrocken, während er noch immer versuchte sich irgendwo gegen zu stemmen.

„Weil du dann nicht weiter hinab gezogen wirst. Dann kannst du dich retten.“ Wenn die Götter wollten, dass er zu Tode kam, sollte es so sein.

„Kommt nicht in Frage!“, schrie der Mann mit den blauen Augen. Er würde doch den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte, nicht sterben lassen! Um jeden Preis würde er das verhindern. Sofern er denn eine Idee hätte. Noch immer rutschten sie. Nicht viel, aber wenn auch er erst einmal zu weit über dem Rand war, war es vorbei. Wie weit ging es denn hinab? Camui sah an dem verzweifelten Gesicht des Anderen vorbei und musste schlucken. Doch verdammt tief. Und wenig Gestrüpp. Dafür viele Felsen, die mitunter scharfe Kanten haben konnten. Dort wollte er absolut nicht hinunter fallen. Es lag zwar auch auf ihnen reichlich Schnee, ob dieser ihren Sturz ausreichend dämpfen würde wagte er zu bezweifeln.

Ratlos sah er sich um. Nur die Ruhe. Sonst konnte er nicht klar denken.

Ein Stück weiter links von sich entdeckte er einen kleinen Vorsprung am Fels. Etwas unterhalb der Kante und gerade breit genug, um sich daran festhalten zu können.

„Hideto-kun, ich werde dich jetzt ein wenig hin und her schwingen. Meinst du, du kannst dich dort vorne festhalten?“ Mit einem Nicken seines Kopfes wies er zu dem Vorsprung.

Suchend ging der ängstliche Blick des Anderen in die gezeigte Richtung. Es brauchte einen Moment, bis er ihn aus seiner Position heraus entdeckte. Aber er verstand.

„Ich versuche es.“

„Also gut.“

Es war anstrengend den Anderen überhaupt erst einmal zum Schwingen zu kriegen. Wurde allerdings schnell einfach, nachdem er ihn überhaupt in Bewegung bekommen hatte. Sie rutschten jetzt auch nicht mehr so stark. Sehr zu ihrem Vorteil.

Sobald er einigermaßen in Reichweite war, versuchte Hideto den kleinen Vorsprung irgendwie zu erreichen, schaffte es aber lediglich den Schnee darauf weg zu wischen.

„Nur noch ein bisschen.“

Camui nickte und legte noch mehr Kraft in sein Tun. Der nächste Versuch scheiterte auch nur knapp. Doch es war jetzt ihr einzige Chance.

„Geschafft!“, rief Hideto, als er endlich Halt gefunden hatte. Ein wenig erleichtert atmeten beide Männer aus.

„Gut. Dann... Meinst du, du kannst dich mit der anderen Hand ebenfalls festhalten?“

„Ja, aber nicht für lange.“

„Nicht schlimm. Das musst du auch nicht, wenn es jetzt schnell geht. Also: Bereit?“

Der Kleinere fragte gar nicht erst, wie genau der Plan seines Begleiters aussah. Er vertraute ihm einfach. Die rechte Hand ließ er noch ein wenig weiter nach rechts wandern, damit er wirklich genug Platz für die andere haben würde.

„Ich bin bereit.“

„Ich lasse los in: Drei... Zwei... Eins!“

Noch während dem Braunäugigen ein leichter Schreckenslaut entfuhr, machte sich der Größere daran auf alle Viere zu kommen, nur um sich dann keinen Meter weiter wieder auf dem kalten Stein fallen zu lassen.

„Da bin ich wieder.“ Glücklich wurde er angestrahlt von dem Geistlichen. „Jetzt, wo du ein bisschen Halt hast, sollte es einfacher werden.“ Wieder streckte er einen Arm aus. Dieses Mal jedoch seinen linken, der noch nicht so müde war. Sofort wurde seine Hand ergriffen.

Mit den Füßen suchte der Hängende nach einer Möglichkeit sich darauf zu stellen, was bei der nahezu senkrechten Fläche nahezu sinnlos war.

„Beweg dich bitte nicht so viel. Ich kann dich sonst nicht lange halten.“

Camui presste seine Kiefer aufeinander, während er sich daran machte den Anderen hinauf zu ziehen. Er hatte eine sichere Position gefunden, die er nutzen konnte, um sich fest zu halten gleichzeitig aber verhinderte, dass er wieder wegrutschen konnte. Seine freie Hand stemmte er in eine kleine Kuhle, was ihm ungemein dabei half sich dem Gewicht an seiner anderen entgegen zu stemmen. Tief sah er in die flehenden, braunen Augen. So viel Angst war in ihnen. Nein, heute würde er nicht zulassen, dass dieser Mensch starb. Camui spürte ungeahnte Kraftreserven in sich aufsteigen. Entschlossen stemmte er sich erneut gegen den Fels. Langsam und Stück für Stück schaffte er es, sich selbst nach hinten und den Kleineren nach oben zu ziehen.

Jener suchte mit seinen Fingern fieberhaft nach einer Möglichkeit sich fest zu krallen, sobald sich sein Kopf oberhalb des Randes befand, damit auch er seine Kraft einsetzen konnte. Er wollte einfach nur wieder festen Boden unter den Füßen spüren. Je weiter er auf den Felsen gezogen wurde, umso leichter wurde es für beide. Als sicher war, dass Hideto nicht wieder hinabrutschen konnte, drehte sich Camui erschöpft auf den Rücken und rang nach Luft. Die Herzen der beiden Männer schlugen heftig gegen ihren Brustkorb, das Blut rauschte nur so durch ihre Körper. Und erst langsam drang der Gedanke in ihre Köpfe, dass sie beide außer Gefahr waren.

Heim

Leises Schluchzen zog seine Aufmerksamkeit auf sich, weshalb er sich aufsetzte.

„Hideto-kun?“

Langsam bewegte er sich auf den anderen Mann zu, der ihm aus heiterem Himmel in die Arme fiel.

„Ich hatte solche Angst“, gestand der Gottesfürchtige, während er sich ganz fest an den Größeren presste. „Ich habe gedacht, ich müsste sterben.“

Nach einem kurzen Moment der Überraschung legte Camui zögerlich seine Arme um ihn und strich ihm behutsam über den Rücken.

„Ich weiß.“

Aber zum Glück lebten sie beide noch. Wer weiß, ob sie jemals gefunden worden wären, wenn sie hier heruntergefallen wären.

Eine Weile saßen sie einfach nur da, versuchten ihre schnell schlagenden Herzen zu beruhigen, während die Sonne immer weiter hinter dem Horizont verschwand und es immer kälter wurde.

„Wir sollten uns auf den Rückweg machen, Hideto-kun. Die Dämmerung ist gleich zu Ende. Wer weiß, wie gut wir den Weg zurück bei Nacht finden.“ Gerne würde er ihm erlauben sich die Zeit zu nehmen, bis er sich beruhigte. Es war nur zu befürchten, dass sie so im Dunkeln in eine ähnliche Situation geraten würden.

Hideto war sehr bemüht sich wieder zu sammeln. Weinen konnte er später noch. Immerhin sah auch er ein, dass es wirklich Zeit wurde aufzubrechen. Wehmütig bewunderte er ein letztes Mal die Aussicht. Sein einstiger Lieblingsort hatte sich in einen Platz gewandelt, den er so schnell nicht wieder sehen wollte. Seufzend rappelte er sich vorsichtig auf, um nicht wieder weg zu rutschen, klopfte sich ein wenig Schnee von seiner feuchten Kleidung.

Camui, der es ihm gleich getan hatte, ging zwei Schritte voraus und hielt ihm nun eine Hand hin, an der er sich festhalten sollte. Was er auch bereitwillig tat und, so ungern er es auch zugeben wollte, ihn ungemein erleichterte. Diese Hand hatte ihm das Leben gerettet. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte er den Größeren damals nicht bei sich aufgenommen und gesund gepflegt. Bestimmt wäre er auch alleine hier hoch gekommen. Und dann... Dann wäre das eben nicht so gut ausgegangen. Dankbar drückte er die Hand, die seine hielt und schloss schnell zu dem anderen Mann auf.

Vorsichtig schlitterten sie den Hang hinab, was mindestens ebenso die Nerven flattern ließ, wie die Situation vorhin da oben. Sicher unten angelangt klammerte sich der Gottesfürchtige an den Größeren. Den Halt brachte er gerade. Und auch, wenn hier noch weitere Leute gewesen wären, so wäre Camui der einzige gewesen, an den er sich hätte klammern wollen.

„Danke, Camui-kun.“ Erneut war er den Tränen nahe, weshalb er sein Gesicht ein wenig in dem dunkelgrauen Stoff der Jacke vergrub. „Und tut mir Leid, dass ich uns hier her gebracht hab.“

„Nicht doch. Die Aussicht war wirklich schön“, lächelte er. „Ich bin auch unglaublich froh darüber, dass ich noch genug Kraft in den Armen hatte, um dich zu halten.“

„Nicht nur du“, murmelte der Kleinere und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. „Wollen wir weiter? Bevor mir doch noch die Beine weg knicken.“

„Natürlich.“

Von dem Tageslicht war hier unten nicht mehr viel über. Eigentlich gar nichts mehr. Zu ihrem Pech war der Mond zur Zeit auch nichts weiter als eine dünne Sichel am Firmament, die nicht wirklich viel Licht spenden konnte. Da half auch der helle Schnee nicht mehr viel. Ungefähr wussten sie ja die Richtung. Dennoch, es war kein einfaches Unterfangen.
 

„Was für ein Sturkopf“, grummelte der Gott. War aber insgeheim froh, dass beide überlebt hatten. „Ich habe ja gesagt, dass es eine dumme Idee ist unter den Menschen zu wandeln.“

„Aber wenn er wieder kommt, hat er bestimmt ein paar schöne, neue Lieder“, schwärmte eine der Göttinnen.

„Das ist nur leider das Problem: Wenn. Wenn er sich nicht erinnert hört er auf zu existieren. Dann kannst du ihm nie wieder zuhören.“

„Ich wüsste ja zu gern“, unterbrach eine recht tiefe Frauenstimme die Unterhaltung, „was es ist, das er sucht. Was der Schlüssel zu seinen Erinnerungen ist.“ Mit Genuss dachte sie daran, wie das kleine Goldkelchen ihr persönlich vorgesungen und ihr dabei schöne Augen gemacht hatte. Ihr bestätigt hatte, dass sie schön und begehrenswert war.

„Ja“, hörte man es verächtlich aus einer anderen Ecke schnauben, „das wüsste ich auch zu gerne. Man sollte meinen, dass er es bei der langen Zeit, die er schon da unten herumläuft, längst gefunden hat.“

„Und mehr, als einen Denkanstoß wie den von neulich, können wir auch nicht machen“, war fein anderer Gott ein.

„Warum eigentlich noch mal nicht?“

„Wegen dem Bann, den dieser Schwachsinnige über sich gelegt hat, du Dummkopf. Er war der Überzeugung, wenn er es nicht schafft zu finden, was er sucht, dann hat er es nicht verdient, weiterhin ein Gott zu sein. Und dass auch seine Erinnerungen von allein wiederkehren müssen, sonst löst er sich sofort in nichts auf.“

„Und genau das ist das eigentliche Problem“, hörte man eine Frau mit einer melodischen, besorgten Stimme sagen. Es war das erste Mal, dass sie ihre Stimme bei diesen Gesprächen verlauten ließ. Sofort verstummten alle anderen und sie wurde von allen Anwesenden ehrfürchtig angesehen. „Wir verlieren immer mehr unserer Verbündeten und unserer Freunde. Unsere Reihen werden von Jahrhundert zu Jahrhundert lichter.“ Sie erhob sich von ihrem Platz und setzte erhaben einen Fuß vor den anderen, als sie in die Mitte des Raumes schritt, in dem sie sich befanden. Von hier aus betrachteten sie über eine große Kugel die Geschehnisse auf der Erde. Und seit neuestem ganz besonders die von Camui.

„Dieses Sterben ist eine Tatsache, die ich nicht mehr mit ansehen will. Gerade darum ist es umso wichtiger, dass wir ihn nach Hause holen. Zu uns.“ Traurig sah sie hoch zu der Kugel, legte vorsichtig eine Hand darauf und betrachtete den Mann, um den sie sich alle sorgten.
 

Camui war mehr als nur erleichtert als sie wieder am Schrein ankamen. Ihr Weg hatte sich als sehr beschwerlich erwiesen. Ein Glück, dass sie irgendwann die Musik aus dem Vergnügungsviertel der Stadt hatten hören können, der sie dann auch gefolgt waren.

Auf dem gesamten Weg zurück hatte sich Hideto an ihn geklammert. In den letzten Monaten hatte er gelernt, dass sein Retter ein sehr sensibler Mensch war. Diese Nah-Tod- Erfahrung musste ihm daher sehr schlimm zugesetzt haben. Deswegen ließ er ihn sich auch so fest halten. Außerdem war es auch ihm lieber, wenn jemand in seiner Nähe war, wo so ein dunkler Wald doch immer wieder für Gefahren gut war. In der Stadt fiel dann kaum jemandem auf, dass sie so durch die Straßen liefen und so lange Camui seinen Blick gesenkt hielt, zogen sie auch keine große Aufmerksamkeit auf sich. Als ob seine blauen Augen der einzige Grund dafür waren, dass die Leute ihn manchmal so anstarrten.

Erleichtert konnten sie irgendwann den Umriss des Torii wahrnehmen.

„Wir sind da“, flüsterte Hideto erleichtert. Jetzt fühlte er sich schon sicherer. Hier war er behütet groß geworden und musste kein Leid fürchten.

An der Schiebetür zu ihren privaten Räumen blieb Camui stehen.

„Soll ich noch eben die Lichter rund um den Schrein entzünden?“, fragte er den kleineren Mann neben sich, aber dessen zögerlicher Blick verriet ihm, dass es wohl besser war ihn nicht allein zu lassen. „Schon gut, ich komme mit rein. Wir können uns ja noch einen Tee aufsetzen. Klingt das gut?“

„Hai“, kam es gehaucht von dem Anderen, der sich, sobald sie im Eingangsbereich standen, immer noch etwas abwesend benahm. Daher übernahm Camui dann die Aufgabe ihn aus Winterjacke und Schuhen zu befreien und ihn anschließend in den Wohnraum zu führen, wo er ihn an die Feuerstelle setzte. Als nächstes schichtete er ein wenig Holz auf und entfachte die Glut mit etwas getrocknetem Gras von neuem, damit es warm hier drinnen wurde und er Wasser für den Tee kochen konnte. Aus einem Krug, den sie am morgen erst mit frischem Wasser gefüllt hatten, schüttete er etwas in einen Kessel, den er sogleich über das Feuer hängte. Als nächstes bereitete er zwei Tassen mit grünem Tee vor, die er mit zur Feuerstelle nahm. Ganz nah bei dem Anderen ließ er sich nieder. Nach einem Blick zu jenem musste er etwas seufzen. Noch immer sah Hideto etwas blass und abwesend aus.

Schweigend sah Camui in das Feuer, welches immer stärker wurde, und bekam gar nicht mit, wie das Wasser anfing zu brodeln.

„Du kannst das Wasser jetzt herunter nehmen“, hörte er jemanden plötzlich neben sich sagen.

„Wie? Ah... Wakarimashita.“ Sofort tat der Blauäugige, wie ihm geheißen. Mit einer Stange zog er den Kessel von der Feuerstelle weg und hob ihn, die Hand mit ein paar Tüchern umwickelt von dem Haken, goss ihnen beiden dann den Tee auf.

Noch während er das tat, spürte er, wie sich jemand an ihn lehnte. Die Kanne hängte er wieder auf den Haken und er löste das Stofftuch von seiner Hand.

„Hier“, sagte er sanft und stellte eine Tasse vor Hideto.

„Danke“, hörte er ihn flüstern, merkte aber auch, wie jener nach seiner freien Hand tastete. Ohne zu zögern, legte er seine auf die des Kleineren, hielt sie sanft fest.
 

Als Camui am nächsten Morgen erwachte, traute er für einen Moment seinen eigenen Augen nicht. Schnell erschien jedoch ein wissendes, sanftes Lächeln auf seinen Lippen. Beschützend legte er seine Arme um den zierlichen Körper, der sich in der Nacht mit unter seine Decke geschlichen hatte und zog ihn etwas enger an sich. Er freute sich, dass er ein wenig von der Fürsorge, die er hier von dem Anderen erfahren hatte, zurück geben konnte. Seine Augen schlossen sich wieder. Ein bisschen konnten sie noch schlafen. Es würde ihnen jedenfalls nicht schaden.

Ein wertvolles Geschenk

Der Schnee war etwas zurück gegangen und ließ einen matschigen Boden zurück. Das hielt Camui aber nicht davon ab, ein paar Ausbesserungen an dem Zaun, der ihren Gemüsegarten umgab, vorzunehmen. Einige der Bretter waren mehr als nur morsch und hatten durch die Last der Flocken Risse bekommen. Und warum noch länger warten. Wie so oft begann er, von sich selbst unbemerkt, zu Summen. So ging ihm die Arbeit leichter von der Hand.

„Ah, hier seid ihr, Camui-san“, ertönte eine Frauenstimme, gefolgt von einem leichten Kichern. Der Angesprochene unterbrach seine Arbeit und drehte sich um, wo er eine junge Frau in einem winterlichen Kimono entdeckte. Wegen ihrer Kleidung und ihrer Haltung wirkte sie unglaublich vornehm und edel. Da war das kleine Mädchen neben ihr richtig unscheinbar. Obwohl auch sie sehr hübsch gekleidet war. Ihr fehlte nur ganz offensichtlich das Selbstbewusstsein, welches ihr eine ähnliche Ausstrahlung wie der Frau geben dürfte.

„Ich habe gehört, dass Ihr eine sehr schöne Singstimme haben sollt“, säuselte die junge Frau. „Gibt es zu der Melodie von eben auch einen Text, mit dem Ihr es beweisen könntet?“ Mit einem süffisanten Lächeln hinter ihrem erhobenen Ärmel kam sie ihm näher, während er sie immer noch verwirrt und zugleich fasziniert ansah. Einer so hübschen Frau war er noch nie so nahe gekommen. Zumindest nicht auf diese Weise. Sie war auf keinen Fall eine einfache Bauersfrau, bei der Kleidung, gepaart mit den hochgesteckten Haaren und dem Make-up in ihrem Gesicht. Ob sie eine Geisha war, die gerade Freizeit hatte?

„Würdet Ihr etwas für mich singen?“

„Eto...“ Wieso wollte sie, dass er etwas sang? Und woher wollte sie wissen, dass er eine schöne Stimme hatte? Ganz zu schweigen von seinem Namen... „Ich würde sehr gerne, aber...“

„Seid doch nicht so schüchtern. Irgendein Lied. Was immer euch auch einfällt.“

„Tut mir Leid, mir fällt nur gerade nichts ein.“

„Ein Kinderlied? Oder ein Volkslied?“, versuchte sie es weiter.

Doch Camui konnte nur den Kopf schütteln und verlegen den Blick senken. „Ich kenne keine. Mir wurden nie welche beigebracht.“

„Wirklich nicht? Sannen desune.“ Sie sah wirklich enttäuscht aus. Da war sie extra den Weg hierher gekommen und bekam nicht, was sie wollte. „Ich habe dennoch etwas für Euch.“

„F-Für mich?“ Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?

Ein kleiner Wink von der Dame und das kleine Mädchen trat hervor, hielt ihm eine große Schachtel mit einer Schnürung entgegen.

Ehrfürchtig und mit einer tiefen Verbeugung nahm er sie entgegen.

„Arigatou goazaimasu“, sagte er erst zu der Kleinen, dann noch einmal zu der Frau.

„Es ist nichts besonderes“, kicherte sie. „Aber es dürfte ihnen gefallen.“ Mit einem letzten neckischen Leuchten in den Augen und einem Kopfnicken wandte sie sich ab. Das Mädchen folgte ihr, nachdem es sich noch schnell verbeugt hatte. Die schöne Frau und ihre kleine Begleiterin entschwanden erhabenen Schrittes in die Richtung, aus der sie wohl gekommen sein musste.

Zurück blieb Camui, der wieder einmal die Welt nicht verstand. So viele Fragen und keiner, der ihm auch nur eine einzige Antwort geben konnte.
 

Nach dem Mittagessen half er Hideto beim Verpacken von kleinen Holztalismanen. Während jener jedes einzelne Täfelchens beschriftete, versah Camui jedes mit einem Band und steckte es anschließend in einen eigenen kleinen Stoffbeutel. Und damit man später noch wusste, welcher Talisman in welchem Beutel war, hatte jede Kategorie ihre eigene Bandfarbe. So mussten sie nicht erst in die Beutel hinein sehen, um zu wissen, ob sie jetzt einen für 'Glück', 'Gute Ernte' oder 'Erfolg' hatten. Zu den Neujahrsfeierlichkeiten in einer Woche würden sie diese Glücksbringer für ein paar Yen an die Besucher des Schreins verkaufen.

„Welche schreibst du jetzt?“, fragte der Größere irgendwann, hatte er doch immer noch Schwierigkeiten mit manchen Zeichen.

„Auf diese hier schreibe ich gerade 'Liebe'. Die sind gerade bei den Frauen immer sehr beliebt. Danach fehlt nur noch 'Gesundheit' und wir haben Talismane für die wichtigsten Bedürfnisse der Menschen.“

„Ah. In Ordnung.“ Das war ja nicht mehr viel. „Uhm... Hideto-kun?“

„Hai?“

„Darf ich einen der Talismane für 'Gesundheit' für mich behalten?“, fragte er schüchtern.

„Natürlich darfst du.“ Hideto fiel jedenfalls kein Grund ein, der dagegen sprach. Bei dem nächsten Täfelchen zog er die Striche besonders sorgsam. Er wollte, dass es besonders schön aussah. Weshalb er es sich genau ansah, nachdem er den Pinsel abgesetzte. Ja, damit war er zufrieden. Mit einem freudigen Lächeln legte er den Pinsel zur Seite und hielt das kleine Holzstück dem Größeren hin. „Bitte sehr. Das hier ist speziell für dich.“

Überrascht sahen ihn ein paar blaue Augen an. „Eh? Oh.“ Vorsichtig nahm er es aus den Händen Hidetos.

„Ich danke dir“, sagte er und wurde ein wenig verlegen.
 

Einige Zeit später war jedes Holztäfelchen in einem Stoffbeutel verstaut und alles auf zwei Körbe aufgeteilt. Nach einer entspannenden Tasse Tee würde Hideto sie noch segnen, auf dass sie auch wirkten.

„Willst du denn die Schachtel nicht öffnen, die du vorhin bekommen hast?“, fragte der Kleinere und hing den Wasserkessel ins Feuer.

„Schon.“ Neugierig war er dann doch. Dementsprechend stand er auf und holte die Schachtel, ließ sich anschließend wieder an seinem vorherigen Platz nieder. Das Geschenk stellte er zwischen sich und Hideto.

„Wo hast du die eigentlich her?“

„Als ich vorhin den Zaun ausgebessert habe, kam eine junge Frau auf mich zu. Sehr hübsch und in teurer Kleidung. Sie bat mich etwas zu singen, aber das konnte ich in dem Moment beim besten Willen nicht. Und ich kenne ja auch keine Lieder.“ Irgendwie stimmte ihn diese Tatsache traurig. Musik löste etwas in ihm aus und machte ihn glücklich. Aber er kannte einfach kein einziges. Betrübt strich er über den Deckel der Schachtel.

„Trotzdem wollte sie mir das hier schenken. Ich war aber auch von der ganzen Situation zu überfordert, weshalb ich es auch nicht ablehnen konnte.“

„Das wäre auch sehr unhöflich von dir gewesen.“

„Ich hatte nur nicht das Gefühl, dass ich es verdient habe.“

Zuversichtlich lächelte Hideto seinem Gegenüber zu. „Sie wird einen Grund gehabt haben es dir zu schenken.“

„Ja, wahrscheinlich“, seufzte der Japaner mit den blauen Augen und zog an den Enden der Schnur, um die Schleife zu lösen. Den Atem anhaltend hob er den Deckel an, linste dann daran vorbei, um einen ersten, zaghaften Blick auf den Inhalt werfen zu können. Er sah etwas Dunkles. Und es schimmerte ein wenig. Langsam hob er ihn ganz an.

„Was ist das?“, flüsterte er, legte den Deckel neben die Schachtel und befühlte den Stoff, der in der Schachtel lag. Für einen Moment fühlte er sich ganz kalt an.

„Das sieht aus, wie Seide.“ Neugierig war Hideto näher gerutscht.

Camui griff nun langsam in die Schachtel hinein und hob den Stoff an. Er musste sogar aufstehen, um den Gegenstand im Ganzen bewundern zu können. Es war eine Art Mantel aus dunkelblauem Stoff und am unteren Saum waren wunderschöne, goldene Verzierungen aufgestickt.

„Atemberaubend“, kam von dem Kleineren. „Das sieht aus wie etwas, das Adelige über ihrer Kleidung tragen, wenn sie an Feierlichkeiten teilnehmen.“

„Wie?“ Ja, es sah aus, als würde es einem Mann von Adel gehören. Aber wie war die Frau da ran gekommen? Camui konnte seinen Blick kaum abwenden, so sehr faszinierte ihn das Kleidungsstück.

„Irgendetwas ist seltsam“, meinte Hideto einen Augenblick später und sah recht nachdenklich aus.

„Was meinst du?“

Der Kleinere stand auf, stellte sich neben seinen Gast und schnupperte an dem Stoff. „Seltsam.“

„Was denn?“ Jetzt wollte Camui ist noch dringender wissen.

„Der Mantel riecht nach Räuchwerk. So wie das, was ich hier im Schrein verwende. Und auch ein klein wenig... nach dir.“

„Ich halte es ja auch in der Hand.“ Er verstand nicht, auf was der Mann neben ihm hinaus wollte.

„Du hast es gerade erst angefasst. Doch gerade hier am Kragen ist der Geruch ganz deutlich.“
 

Unruhig warf sich Camui in dieser Nacht auf seinem Futon hin und her. In seinem Traum sah er sich selbst. Er saß auf einer Bühne und spielte auf einer Shamisen. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Und er trug die Kleidung, die er am Nachmittag in der Schachtel gefunden hatte. Den dunkelblauen Mantel, der auf dem Boden um ihn herum ausgebreitet war, darunter den elfenbeinfarbenen Kimono, mit den goldenen Stickereien und um seine Taille den hellblauen, schlichten Obi. Zu dem Spiel auf dem Instrument schien er zu singen. Aus ganzem Herzen und mit einer Freude in seinen Augen, die er so gar nicht kannte. Sein Haar war viel länger als jetzt und fiel offen über seine Schultern.

Die Leute im Publikum und auf den Rängen trugen alle festliche Roben, noch viel aufwendiger und edler, als seine und sie waren behangen mit Gold und Juwelen. Zwischen ihnen hockten kleinere, unauffälligere Wesen, die aber dennoch herausgeputzt waren. Ähnlich, wie das kleine Mädchen, das ihm das Geschenk überreicht hatte. Doch sie sahen merkwürdig aus. Manchen wuchsen Hörner aus ihren Köpfen oder Klauen statt Händen. Einige sahen im Ganzen aus wie Tiere. Manche, wie Fische. Alles wirkte sehr skurril.

Eine Person stach ihm aber ganz besonders ins Auge. Eine Frau, die ihm genau gegenüber in einer prachtvollen Loge saß. Sie hatte einen sehr kaiserlich wirkenden Sitzplatz und eine Ausstrahlung, die einer Herrscherin würdig war. Ob das an dem sanften Leuchten lag, das von ihr ausging? Denn obwohl ihre Kleidung von den Farben gelb, rot und gold dominiert war, so war ihm, als ginge es von ihrer ganzen Person aus. Und auch ihre Augen... Traf man ihrem Blick war da sofort ein Gefühl der Geborgenheit. Ihr Haarschmuck glänzte und funkelte, als sie ihm sacht zu nickte.

Ganz allein saß er auf der Bühne. Nur er wurde von den Leuten angesehen. Und sie sahen glücklich aus. Wegen seinem Gesang?

Sein Lied endete und alle fingen an ihm zu applaudieren. Das war ein schönes Gefühl. Suchend wanderte wieder zu der leuchtenden Frau. Sie lächelte und sagte: „Gut gemacht, Camui.“ Ihre Stimme war sanft und auch ein wenig mütterlich. Er senkte seinen Kopf dankbar in einer Verbeugung.

Der Vorhang schloss sich, die Szene dunkel.

Sein Bewusstsein kehrte zurück und ließ ihn erwachen.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die die Welt verändern

Eifrig damit beschäftigt den Schrein für den Beginn des neuen Jahres und den dazugehörigen Feierlichkeiten herzurichten, sah man die beiden Männer in den verschiedenen Ecken des Geländes Lampions aufhängen, Schnee weg fegen und alles noch mal schön herrichten. Mit Einbruch der Dunkelheit würden sie alle Kerzen entzünden, damit die Menschen auch zu ihnen fanden. Während den Feierlichkeiten würden sie dann hier auf dem Hof stehen und ihre Talismane an die Leute verkaufen.

„Das war die letzte Laterne.“ Zufrieden ging Camui ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk. Das konnte sich doch sehen lassen.

„Bist du fertig, Camui-kun?“

„Hai. Und du?“

„Auch. Wollen wir dann reingehen und uns stärken, bevor unsere Besucher kommen?“ Immerhin würden sie bis spät in die Nacht beschäftigt sein. Zwischendurch einfach in den Wohnraum gehen und in Ruhe essen wäre nicht mehr drin.

„Gerne.“
 

In der Dämmerung entzündeten sie dann gemeinsam die Kerzen rund herum. Die ersten Besucher trafen auch bereits ein, welche sie natürlich respektvoll begrüßten.

„Camui-kun? Würdest du bitte die Körbe mit den Talismanen holen? Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um die letzten Lichter.“

„Hai.“

Sofort machte sich der größere Japaner auf den Weg in den hinteren Bereich. Ein wenig nervös war er schon. Noch nie hatte er ein Neujahrsfest von dieser Seite aus erlebt. Der fröhlichen. Wie viele Glücksbringer er wohl verkaufen konnte? Hoffentlich machte er keine Fehler. Hideto war zwar so freundlich gewesen mit ihm in den letzten Tagen ein paar Grundlegende Dinge über das Rechnen beizubringen, damit er dieser Aufgabe nachgehen konnte. Dennoch ließ es sich nicht vermeiden, dass er am ganzen Körper zitterte. Im Wohnraum angekommen, verharrte er einen Moment. Er musste sich beruhigen. Sonst würde er erst recht Fehler machen. Sorgfältig kontrollierte er noch einmal den Sitz seines Kimono. Er hatte den aus der Schachtel angezogen. Zusammen mit dem Obi. Schließlich wurde heute das neue Jahr begrüßt. Zu diesem Anlass konnte man sich schon mal ein wenig herausputzen.

Seufzend sah er nach oben.

„Gebt mir bitte Kraft für heute Nacht.“ Vielleicht half es ja was.

Camui bückte sich und griff nach den Körben. In jeder Hand einen trat er den Rückweg an und zurück auf dem Vorplatz ging es auch gleich zu Hideto.

„Dozo“, sagte er und hielt dem Kleineren einen der beiden hin.

„Ah, Domo.“ Lächelnd nahm der Priester Camui etwas von seiner Last ab, wurde aber gleich ein wenig besorgt. „Was ist los? Du zitterst ja.“

Verlegen fing der Blauäugige an, sich am Hinterkopf zu kratzen. „Nur ein bisschen nervös. Das ist alles.“

Aufmunternd wurde er mit der Schulter angestupst. „Bleib fürs Erste einfach in meiner Nähe. Bis du nicht mehr nervös bist.“
 

Einige Zeit später war Camui schon weitaus ruhiger, wenngleich die Kundschaft immer mehr wurde. Das mit dem Rechnen war auch nicht so schwer. Für gerade mal 50 Yen fand jeder kleine Beutel einen neuen Besitzer, dem er mit seinem Inhalt Hilfe für das neue Jahr versprach. Mit manchen Menschen unterhielt er sich auch ein wenig, merkte gar nicht, dass er und Hideto schon recht weit auseinander standen. Die Unterhaltungen waren für ihn noch immer ungewohnt, sprach er doch in erster Linie mit seinem Lebensretter, als mit anderen Menschen. Alle waren jedoch sehr freundlich. Wenn auch zum Teil etwas zurückhaltend, nach einem Blick in sein Gesicht. Ein Verhalten, welches der doch recht große Japaner auf die Farbe seiner Augen zurückführte.

Ein leichtes Zupfen an seinem Ärmel ließ ihn irritiert nach unten sehen, wo er in die schüchternen Augen eines kleinen Mädchens blickte. Mit einem sanften Lächeln kniete er sich hin, um besser mit ihr reden zu können.

„Konbanwa. Na? Was kann ich für dich tun?“

Für einen Moment starrte sie ihn einfach nur mit großen Augen an. Eine Reaktion, die er bereits zur genüge kannte, weshalb er einfach wartete, ob sie nicht doch noch das sprechen anfing.

„Ich“, begann sie dann zögerlich, „hätte gerne einen Talisman.“

„Gerne doch. Welcher soll es denn sein? Einer für Glück?“ Suchend sah er schon mal in seinen Korb und hielt Ausschau nach einem lilanen Band.

„Für Gesundheit bitte.“

„Wie du wünschst.“ Camui griff nach einem Beutel mit einem grünen Band. „ Bitte sehr.“

„Kannst du es noch segnen?“, fragte sie.

„Nani?“ Was sollte die Frage?

„Segne es bitte. Dann wirkt der Talisman bestimmt noch besser.“ Sie hielt den Glücksbringer fest in ihren, von Arbeit gezeichneten, kleinen Händen, hielt ihn mit flehendem Blick dem Erwachsenen ihr gegenüber entgegen.

„Die sind alle bereits gesegnet worden“, erklärte Camui verwirrt. „Heute Mittag erst von-“

„Aber“, unterbrach die Kleine ihn, „du bist ein Gott. Wenn du es segnest, dann wird mein Papa viel schneller gesund.“

Sprachlos und völlig überfordert starrte er das Kind an.

„Bitte, Kami-sama.“ Flehend sah sie ihn mit großen, traurigen Augen an. „Mein Papa ist sehr krank. Mit einem von dir gesegneten Talisman wird er ganz sicher wieder gesund.“ Eine erste Träne löste sich und lief über ihre Wange. „Onegai.“

Um sie beide herum waren immer mehr Menschen stehen geblieben und starrten sie verwundert an, was Camui reichlich nervös werden ließ. Was machte er denn jetzt? Sie würde nicht locker lassen, das hatte er im Gefühl. Zitternd er ihr den kleinen Beutel ab, führte ihn an seine Lippen, weil er nicht wusste, was er sonst machen sollte und flüsterte: „Nimm alles Schlechte von dem Vater dieses Mädchens, damit er wieder gesund wird.“ Unsicher küsste er den kleinen Gegenstand, wusste nicht, was er sonst hätte tun sollen. Mit zittrigen Händen reichte er den Talisman an das Kind weiter, dessen Augen vor Freude strahlten.

Den kleinen Gegenstand fest an sich gedrückt verbeugte sie sich tief vor ihm. „Domo arigatô gozaimasu Kami-sama.“

„Scho-schon gut. Gern.. geschehen..“, stammelte der Blauäugige. Sie reichte ihm ihre Münzen, verbeugte sich noch einige Male, während sie sich rückwärts entfernte, nur um nach einem angemessenen Abstand Richtung Heimat zu laufen. Ganz offensichtlich wollte sie den Glücksbringer so schnell wie möglich Heim bringen, in der Hoffnung, er würde wirklich besser wirken, weil er irgendetwas gesagt hatte.

Dabei hatte er womöglich gerade die Wirkung von Hideto-kuns Segnung aufgehoben. Warum hatte er das eigentlich getan? Er war nur ein einfacher Mann. Kein Priester mit einem guten Draht zu den Göttern. Geschweige denn ein Gott! Warum die Kleine das wohl gedacht hatte? Vielleicht wegen seiner andersartigen Augen? Wenn er sie doch nur nicht hätte.

Erst jetzt bemerkte er, wie ihn die Menschen, die hier auf dem Platz versammelt waren, begafften und ungeniert tuschelten.

Den Blick beschämt zu Boden gerichtet, stand er wieder auf. Diese Situation war ihm unangenehm. Ihm war, als würden sie ihm gerade in die Seele sehen können und wüssten von all den hässlichen Dingen, die er in seiner Vergangenheit getan oder erlebt hatte. Langsam ging er ein paar Schritte rückwärts, fühlte sich aber mit jedem einzelnen nur noch unwohler. Er musste weg von diesen Blicken. Musste für ein paar Momente allein sein. Schnellen Schrittes eilte er auf die nächste Hausecke zu, die Schutz vor den unangenehmen Blicken versprach. Schwer atmend stützte er sich an der Hauswand ab. Sein ganzer Leib zitterte und immer noch hatte er das Gefühl, dass er beobachtet wurde. Plötzlich jagte eine Welle des Schmerzes durch seinen Kopf, die ihn in die Knie zwang. Ihm erschienen Bilder. Bilder, wie er selbst die Stirn oder die Hand von irgendwelchen Leuten berührte, deren Gesichter er nicht kannte. Und obwohl sich ihre Augen weiteten und ihre Mimik Freude zeigte, schienen sie ihn nicht wahrzunehmen. Dafür fingen sie an auf ihren Instrumenten zu spielen oder zu singen. Aber es waren so viele. So unglaublich viele Menschen. Wer waren all diese Personen nur? Und warum berührte er sie?

„Wer oder was bin ich?“, fragte er sich und zweifelte wieder einmal an seinem Verstand.

„Wehre dich nicht gegen deine Erinnerungen.“

Erschrocken drehte er sich herum, aber außer Dunkelheit, Schnee und ein paar Pflanzen konnte er in seiner unmittelbaren Umgebung niemanden ausmachen. Um sich selbst zu beruhigen atmete er bewusst mehrere Male tief ein und aus, auf dass sein nervöses Herz langsamer wurde. Die Stimme gerade. Ihr Klag war so vertraut gewesen. Wie die von... der leuchtenden Frau. Ja, genau. Der erhabenen, schönen Frau aus seinem Traum vor einer Weile. Aber was machte ihn da so sicher? Wo er sie weder kannte, noch jemals in den Genuss ihrer Stimme gekommen war?

„Was, bei allen Göttern, ging hier nur vor sich?“
 

Die Augen voller Sorge schaute Hideto zum wiederholten Mal in die Richtung, in die sein Helfer verschwunden war. Wenn hier nicht noch so viele Besucher wären, die alle mit ihm reden oder ihren persönlichen Glücksbringer erwerben wollten, dann wäre er ihm schon längst gefolgt. Ihm war das Gespräch zwischen dem Kind und dem Anderen natürlich nicht entgangen. Warum das Kind Camui als Gott angesprochen hatte, lag sicherlich an dessen Augenfarbe. Woher sollte die Kleine auch wissen, dass sie kein Zeichen von Göttlichkeit waren? Warum aber hatte er sich so panisch zurück gezogen? Machten ihm die die Blicke der Menschen immer noch so viel aus? Er hatte einem Kind einen Gefallen getan. Da war doch nichts Schlimmes bei, wie er fand.

Dennoch sollte er bald mal nach ihm sehen, wenn es etwas ruhiger wurde. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Größere Beistand gebrauchen konnte.

„Finden Sie es nicht anmaßend von dem jungen Mann, den Sie aufgenommen haben, sich als Gott auszugeben?“

Hideto musste seufzen. „Tut mir Leid, nein. Er wollte nur nett zu dem Kind sein. Mit keiner Silbe hat er von sich aus behauptet ein Gott zu sein. Camui-san hat es nur gut gemeint.“ Auf den Anderen ließ er nichts kommen. Seine Vergangenheit mochte eine dunkle sein. Sein Leben jetzt dagegen war ein friedliches, gutes.

Es gab da nur diese Momente, in denen auch er ins Grübeln kam. Immer dann, wenn Camui ihm von den Stimmen und den seltsamen Träumen erzählte. Jedoch musste es auch dafür einen guten Grund geben.

Eine ganze Weile noch sprach der Herr des Schreins mit den Leuten, verkaufte noch den ein oder anderen Talisman und wünschte jedem ein gutes, neues Jahr. Als er dann spürte, wie sich ihm eine vertraute Aura näherte, musste er erleichtert Lächeln.

„Geht es dir wieder besser?“

Camui, der noch überlegt hatte, wie er sich bemerkbar machen sollte, zuckte ein wenig zusammen, bevor er sich verlegen in den Nacken griff. „Ein wenig. Aber ich kann dich die ganze Arbeit auch nicht alleine machen lassen“, nuschelte er schuldbewusst.

„Schon gut.“ Mit seinem typischen, sanften Lächeln drehte sich der kleinere Japaner um und legte seinem Gegenüber mitfühlend eine Hand auf den Oberarm. „Magst du mir erzählen, was los war? Warum bist du verschwunden?“ Trotz des gesenkten Kopfes konnte er deutlich erkennen, dass sein Gegenüber aufgewühlt war und auch einige Tränen vergossen haben musste.

„Weil... irgendwie...“, stammelte der Größere auf der Suche nach den passenden Worten. „Die Situation hat mich überfordert. Weiß auch nicht warum.“

„Das reicht mir schon als Antwort“, entgegnete Hideto und griff in Camuis Korb, um seinen eigenen Bestand ein wenig aufzustocken.

Ein Knall zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und den Himmel über der Stadt. Wenige Sekunden später war der Nachthimmel bereits von einem prächtigen Feuerwerk erleuchtet.

„Ein gutes, neues Jahr, Camui-kun. Mögen sich deine Wünsche erfüllen.“ Glücklich seufzend lehnte er sich sacht gegen den Größeren.

„Danke, Hideto-kun“, kam es von dem Blauäugigen, der die Berührung sehr genoss. „Möge es auch für dich ein schönes, neues Jahr werden, in dem sich deine Wünsche und Träume erfüllen.“

Dein Leuchten

Es war spät in der Nacht -oder früher Morgen?- und während sich Hideto bereits schlafen gelegt hatte, saß Camui in einem der Obstbäume und starrte in den Himmel, wo immer Mal wieder Sterne durch die Wolkendecke blitzten. Für ihn war an Schlaf noch lange nicht zu denken. So viele Dinge, die durch seinen Kopf schwirrten und ihm schwindelig werden ließen. So viele Fragen sehnten sich nach Antworten. Seit er hier her gekommen war, passierten Dinge, die er sich nicht erklären konnte. Angefangen bei den Stimmen, die er hörte, über die Verfärbung seiner Augen und dem seltsamen, teuren Geschenk, bis hin zu dem kleinen Mädchen vor einigen Stunden. Vielleicht irrte sie sich auch und er war kein Gott, sondern ein Dämon.

Seufzend strich er sich über seinen steif gewordenen Nacken. In dieser Hinsicht war sein altes Leben wesentlich unkomplizierter.

Warum gab es denn niemanden, der ihm sagen konnte, was los war? Als Strafe für all die schlechten Dinge, die er getan hatte, war es dann doch zu albern.

Ein Geräusch ließ ihn aufschrecken und nach unten sehen. Im Schein eines Lampions erspähte er, wie sich etwas unterhalb von bewegte. 'Sein' Fuchs, wie er nach genauerem Hinsehen erkannte.

„Hast du mich erschrocken.“

Der war wohl auf Futtersuche. Aber Antworten würde er ihm auch keine geben können. Seufzend richtete er seinen Blick wieder gen Himmel, zu den Sternen.

'Aber der Gott der Musik wollte unbedingt auf die Erde.'

Wie oft war ihm diese Geschichte durch den Kopf geschwirrt? Konnte sie vielleicht doch etwas mit ihm zu tun haben? So musikalisch war er aber nicht. Zumindest nicht, wenn er wirklich etwas anderes als ein Mensch sein sollte. Nein, er war kein Gott. Er war kein Gott! Es war nur ein dummer Zufall, dass er den selben Namen trug. Er war kein Gott. Er war nicht dieser-

„Camui-kun?“

Selbiger zuckte so stark zusammen, dass er das Gleichgewicht kurzzeitig verlor, konnte sich aber zu seinem Glück gerade noch an einem nahen gelegenen, dickeren Ast festhalten.

„Camui-kun? Daijoubudesuka?“ Besorgt trat Hideto näher an den Baum heran, hatte den Drang dem Anderen dort oben in irgendeiner Form zu helfen.

„H-hai. Daijoubu.“ Dabei war ihm das Herz fast in die Hose gerutscht. Langsam und vorsichtig richtete er sich wieder auf. Der Kleinere hatte wirklich ein unsagbares Talent dafür ihn zu erschrecken.

„Komm doch bitte da runter, bevor du dir weh tust.“ Mit einem Seufzen versuchte der Mann mit den braunen Augen sein Herz zu beruhigen. „Willst du nicht endlich schlafen kommen? Du musst doch müde sein nach so einem langen Tag.“

„Ich fürchte“, gestand Camui, „ich kann einfach noch nicht schlafen. Mein Körper mag müde sein, aber mein Geist ist von all den Fragen in meinem Kopf so verwirrt, so wach, dass ich nicht zur Ruhe kommen würde, selbst wenn ich wollte.“

„Magst du nicht trotzdem von dem Baum runter kommen? Bevor du doch noch einschläfst und wirklich fällst.“ Flehend sah er nach oben.

Camui gab sich geschlagen. Sein Retter sah so besorgt aus, dass er ihm nicht widersprechen konnte. Also machte er sich wieder an den Abstieg, wobei ihm der Kleinere eifrig mit seiner Laterne leuchtete, damit er sicheren Halt fand. Kaum hatte er sicheren Boden unter den Füßen, bekam er von Hideto dessen Decke umgelegt. Sein warmes Lächeln kam jedoch ins stocken, als er von dem Größeren angesehen wurde.

„Warum hast du denn geweint?“ Behutsam strich er ihm die nassen Pfade von den Wangen.

„Ich weiß es nicht“, flüsterte der Andere und schien etwas neben sich zu stehen. Dafür schmiegte er sich etwas in die warme Hand, die über seine Haut streichelte. Wie kam es eigentlich, dass er sich bei ihm immer so wohl und vor allem geborgen fühlte? Jedes Mal, wenn er das Gefühl hatte, dass alles aus den Fugen geriet, reichte eine Berührung von ihm und die Welt wirkte wie bei den ersten Sonnenstrahlen nach einem dunklen Gewitter. Eine bewundernswerte Gabe, wie Camui fand. Auf jeden Fall eine angenehmere, als das andere Talent. Sanft legte er seine Hand, auf die in seinem Gesicht, damit er ihre Wärme noch ein wenig länger spüren konnte.

„Geht es wieder?“

„Ja“, hauchte er, hatte seine Augen aber immer noch genießend geschlossen.

„Komm mit rein. Dort ist es wärmer.“

Mit dem Vorschlag einverstanden, nickte er langsam, machte aber keine Anstalten sich auch zu bewegen. Viel zu sehr genoss er das gerade.

Warum wehrst du dich so dagegen?“

Geschockt öffnete er die Augen. Das gerade war die Stimme der leuchtenden Frau gewesen. Dessen war er sich sicher.

„Was hast du?“

„N-Nichts“, wehrte er ab, wollte dem Anderen nicht noch mehr Sorgen bereiten.

Fragend legte Hideto seinen Kopf schief. Man sah ihm an, dass er gerne nachhaken wollte. Doch dem würde er zuvor kommen. Er entfernte die Hand von seiner Wange, ergriff sie aber mit seiner anderen Hand, um den Kontakt zu bewahren. Schweigend, aber mit einem Lächeln zog er den kleineren Japaner mit sich auf das Gebäude zu.

Als er die Türen hinter ihnen wieder schloss, konnte er die Augen des Fuchses im Licht blitzen sehen, wie sie ihn anstarrten. Gleich darauf hörte er noch einen missfallenden Laut von dem Tier, bei dem ihm ein Schauer über den Rücken lief.

 

Die Woche darauf verbrachte Camui zumeist damit in den Himmel zu starren, stets in der Hoffnung, dass er antworten finden würde. Zwar tat Hideto, was er konnte, aber auch er schaffte es nicht, die Lethargie vollständig aus dem Blauäugigen zu bekommen. Den üblichen Schreinpflichten ging er deshalb weites gehend alleine nach. Gerade leerte er den Opferstock, der jetzt zu Beginn des Jahres immer gut gefüllt war, als er von einem Mann angesprochen wurde.

„Sumimasen“, sagte dieser und verbeugte sich höflich. „Ich suche den Mann, der meiner Tochter vor einigen Tagen einen Talisman für Gesundheit verkauft hat.“

Hideto, der die Geste erwiderte, grübelte. „In den letzten Tagen haben hier viele Menschen derartige Glücksbringer gekauft.“

„Das ist er nicht, Chichi.“ Ein Mädchen war hinter dem Bauern aufgetaucht und zupfte jenem leicht am Ärmel. „Der Mann, von dem ich dir erzählt hatte, hatte doch blaue Augen.“

„Blaue Augen? Dann meint ihr sicherlich Camui-san.“ Jetzt erkannte er auch das Kind wieder. „Ich bringe euch zu ihm.“

„A-Arigatou“, bedankte sich der Mann, der ganz offensichtlich eher zu den Bauern gehörte, und ergriff die Hand seiner Tochter, ehe er dem Priester folgte, welcher sie in den hinteren Teil des Grundstücks führte. Hier fanden sie auch den Mann mit den blauen Augen, welche glasig in die Ferne starrten. Schon vor einigen Stunden hatte ihm Hideto eine Decke um die Schultern gelegt, aber seitdem hatte er sich nicht das kleinste bisschen bewegt.

„Camui-kun? Du hast Besuch.“ Langsam schritt der Kleinere auf seinen Mitbewohner zu, damit sich jener nicht allzu sehr erschreckte, wenn er aus seiner Trance erwachte. „Camui-kun, wach auf. Hier ist jemand, der dich sprechen möchte.“ Er stellte sich nun genau in das Blickfeld des Größeren, in der Hoffnung, dass jener ihn endlich wahrnahm. „Camui?“, hauchte er besorgt und legte seine Hände an die Wangen des Anderen. Wenige Augenblicke später fing jener an zu blinzeln und seine Augen klärten sich.

„Hideto-kun?“

„Da bist du ja wieder.“ Lächelnd strich er ihm über das Gesicht, freute sich wirklich, dass er erkannt worden war. „Du hast Besuch.“ Er tat einen Schritt zur Seite, um so den Blick auf den Mann und das Kind frei.

„Das ist er, Chichi“, raunte das Mädchen ihrem Vater zu, sah aber mit ehrfürchtigem Blick zu dem Mann, den sie 'Gott' genannt hatte.

Nach einem Moment der Verwunderung und des Zögerns -war jeder Besuch, den er in letzter Zeit bekommen hatte ein recht merkwürdiger gewesen- erkannte auch Camui das Kind wieder. Vorsichtig fragte er: „Was kann ich für euch tun?“ Um nicht unhöflich zu wirken, erhob er sich und wollte einen Schritt auf die beiden zu machen, als sie sich auch schon zu Boden warfen.

„Ich danke Euch, Kami-sama. Nur dank Eures Segens bin ich dem Tode entkommen und kann mich weiterhin um meine Familie kümmern.“

 

Hast du das Mädchen dort hin geführt?“

Aus dem Fuchs wurde wieder ein Gott, sobald die Besitzerin der Stimme neben ihm stand. Trotz seiner menschlichen, hoch gewachsenen Gestalt, die sehr hübsch war, wiesen seine Gesichtszüge immer noch Ähnlichkeiten mit dem Tier auf, in welches er sich so gerne verwandelte.

Ja, habe ich. Seid doch froh, dass ich mich daran erinnert habe, dass es sie und ihre Gabe gibt.“

Für diesen Spruch bekam er von der Frau einen versucht bösen Seitenblick zugeworfen.

Achte auf deine Wortwahl! In deiner Position solltest du dir das eigentlich gar nicht erlauben.“

Nun seid doch nicht so streng. Ihr seid mir doch nur böse, weil mir diese Idee zuerst gekommen ist. Dabei habt Ihr selbst sie mit dieser Gabe ausgestattet. So, wie einige andere Kinder auch. In der Hoffnung, dass wir ihn schneller finden.“

Sie holte gefährlich tief Luft. „Du nimmst dir eindeutig zu viel raus. Hoffe lieber, dass dein schöner Plan auch funktioniert, sonst wirst du für diesen unverschämten Ton richtig leiden müssen.“

Warum sollte er nicht?“, stellte er ungerührt die Gegenfrage. „Im Grunde können wir das Bankett für seine Rückkehr getrost vorbereiten.“

Freue dich nicht zu früh. Noch hat er seine Erinnerungen nicht wieder.“

Schmollend sah der Fuchsgott ihr hinterher, als sie ging. „Für die Göttin der Sonne seid Ihr reichlich pessimistisch.“

 

Unverständlich, doch auch panisch sah Camui die beiden Menschen vor sich an. Warum nannte dieser Mann ihn nun ebenfalls so?

„Ste-Steht doch bitte wieder auf. Ich... Ich bin kein Gott“, stammelte er. In ihm stieg die Panik und löste ein beklemmendes Gefühl aus, das ihm so gar nicht gefiel. „Es ist sicherlich nicht mein Verdienst. Wenn, dann müsst ihr euch bei Hideto-kun für seine Segnung bedanken.“

„Iie, Kami-sama.“

Camuis Augen schnellten zu dem Mädchen.

„Ich habe die Gabe, die Auren von Menschen zu sehen“, begann sie zu erklären und richtete sich etwas auf. Hielt ihren Blick aber weiterhin gesenkt. „Normale Menschen, wie mein Vater und ich leuchten in einem schwachen blau. Menschen, die etwas großartiges vollbracht haben oder werden, schimmern grünlich. Diejenigen, die in Tempeln, Schreinen oder dergleichen leben haben in ihrer Aura ein wenig gelb.“

„Nani? Was erzählst du da Kind? Auren. Leuchten. Das ist doch-“

„Das ist meine Gabe, Kami-sama. Eine Gabe, die mir die Göttin Amaterasu selbst gab, als ich noch jünger war. Darum kann ich auch dein Leuchten sehen. Es ist nicht so hell, wie ihres damals, aber es weißt dich eindeutig als das aus, was du bist, Kami-sama.“ Sie hatte bei ihm zwar auch ein schwaches blau festgestellt, aber woran das lag konnte sie sich durch das Verhalten dieses Wesens erklären.

Derweil suchte der Größte unter ihnen verzweifelt nach Worten. Nervös drehte er sich zu Hideto um, hoffte, dass jener ihm helfen konnte. Ganz dringend brauchte er jetzt dessen beruhigende Berührung. Was er jedoch bei ihm sah, war dieselbe Unsicherheit, die er selbst fühlte. Von oben bis unten musterte der Andere ihn, dann verschwand dieser Ausdruck mit einem Mal und wich dem der Erkenntnis. Das war gut. So wusste wohl zumindest einer von ihnen, was hier vor sich ging. Gerade als er ihn bitten wollte, sein Wissen zu teilen, musste er geschockt mit ansehen, wie sich der Kleinere ebenfalls langsam auf die Knie begab.

„Hi-Hideto-kun? Was machst du da?“ Er stürzte auf ihn zu, packte ihn an den Oberarmen. „Steh wieder auf. Bitte, steh wieder auf. Was machst du denn da?“

Widerwillig richtete sich der Schreinpriester etwas auf, behielt aber den Kopf gesenkt, da es sich nicht gehörte ein höheres Wesen so direkt anzuschauen.

„Warum tust du das?“, hörte er ihn fragen.

„Weil ich dem Kind glaube. Und weil es Sinn macht. Eure Augen. Eure rasche Heilung damals. Eure Träume. Und die Stimmen, die Ihr immer wieder hört, sind bestimmt die der anderen Götter.“

Als wenn ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen hätte und er einfach nur noch fiel, so fühlte sich der blauäugige Japaner nun. Entsetzt starrte er auf das gesenkte Haupt Hidetos. Wieso machte dieser ihn nun auch zu Etwas, dass er doch gar nicht war? Und dieses höfliche Gerede... Es machte ihn krank, den Anderen so reden zu hören. Es baute eine Distanz zwischen ihnen auf, die er nicht haben wollte. Mit Hideto hatte er das erste Mal in seinem Leben eine Person gefunden, der er hatte vertrauen können. Bei der er sich hatte fallen lassen können. Und jetzt kam einfach ein Kind daher, behauptete, es könne die Auren von Menschen sehen und er wäre ein Gott. Was für ein ausgemachter Blödsinn. Blödsinn, wegen dem er alles, was er nun hatte, verlieren würde.

„Nein!“, brüllte er und krallte seine Finger fest in die Arme, die er hielt. „Es gibt bestimmt noch andere Gründe auf dieser Welt, warum meine Verletzungen so schnell heilen. Warum ich diese Stimmen höre und warum ich diese Augen bekommen habe. Aber doch nicht der, dass ein Kind hier her kommt und uns eine Geschichte für wahr erklären will, die so unglaublich klingt.“ Camui war den Tränen nahe. Hideto sollte ihn ansehen. Ihn anlächeln und sagen, dass alles wieder gut werden würde. Aber das tat er nicht. Und er würde es wohl nie wieder tun.

„Wieso glaubst du ihr?“, schrie er. In ihm stieg Wut auf. Wut auf Hideto, auf das Kind und auf die ganze Welt. „Verdammt! Wäre ich ein Gott, dann wäre ich doch nie ein Dieb gewesen! Dann müsste ich mich doch daran erinnern!“

Balsam

In seinen Ohren rauschte das Blut und in der Stille des Waldes war sein schneller Atem unglaublich laut. Doch das hielt Camui nicht davon ab weiter zu rennen. Man hielt ihn für einen Gott. Wie lächerlich. Selbst Hideto -ausgerechnet Hideto- hatte sich in den Dreck gekniet, um ihm zu huldigen.Tränen nahmen ihm zunehmend die Sicht und egal wie oft er sie weg wischte, sein Blick wurde nicht klarer. Ein Ziel hatte er nicht, dennoch rannte und rannte er. Denn seine einzige Zuflucht, sein einziges Heim hatte er durch diese Lüge verloren. Den Ort auf dieser Welt, an dem er sich seit sehr, sehr langer Zeit das erste Mal geborgen gefühlt hatte.

 

Er hatte noch überlegt ihm zu folgen, doch er wusste nicht, ob es angebracht war. Bis zum Torii war er noch gelaufen, aber etwas in ihm hatte ihn anhalten lassen. Obwohl sich ein großer Teil in ihm sehnlichst wünschte dem Anderen zu folgen, wenn ein Gott gehen wollte, dann hielt man ihn als einfacher Sterblicher nicht auf. Allerdings machte er sich Sorgen um den Menschen, den er kennen gelernt hatte. Aufgewühlt, verwirrt und alleine war er da draußen. Und zum Abend hin wurde es immer noch sehr kalt. Die Arme vor der Brust verschränkt, fuhr er sich über seine Oberarme und blickte traurig den Weg hinab, flüsterte: „Hoffentlich findet er einen sicheren Ort.“

Aus dem Augenwinkel sah er das Mädchen und ihren Vater, wie sie neben ihm zu stehen kamen.

„Es tut mir sehr Leid. Ich dachte, er wäre sich dessen bewusst gewesen.“

„Schon in Ordnung. Wenn es wahr ist, was du sagst, dann ist es vielleicht besser wenn er endlich weiß, wer er wirklich ist.“

Seufzend sah er wieder in die Ferne. So oft hatte er gehört, wie Camui sich diese Frage schon gestellt hatte. Die beiden Besucher verabschiedeten sich von Hideto und machten sich auf den Weg nach Hause, wo der Rest ihrer Familie sie bereits erwartete.

Der zurück gebliebene Japaner sah ihnen noch ein paar Momente hinterher, seine Gedanken jedoch waren immer noch bei dem Anderen dort draußen. Sollte er ihm nachgehen? Oder sollte er bleiben? Plötzlich spürte er einen Schubs, der ihn einen Schritt nach vorne gehen ließ, damit er das Gleichgewicht nicht völlig verlor. Überrascht drehte er sich um, konnte aber niemanden sehen. Also wer-?

„Wakarimashita“, meinte er, als ihn die Erkenntnis traf. Das war das Zeichen eines anderen Gottes gewesen. Sofort eilte Hideto los, um sich auf die Suche zu machen.

'Führt mich zu ihm. Ich will ihm helfen!'

 

Schmerz zwang ihn in die Knie. Während seine rechte Hand Halt an der Rinde eines Baumes suchte, krallte sich seine linke in den Stoff über seiner Brust. War er so aus der Übung, dass er nach dem bisschen Laufen bereits solche Schmerzen bekam?

„Ah...“

Solches Stechen hatte er doch früher nicht gehabt. Gebeutelt von der Pein sank er zusammen. Das konnte nicht nur vom Laufen kommen. Schließlich hätte es jetzt, wo er stehen geblieben war, besser werden müssen und nicht noch schlimmer. Was war hier los?

Trotz der Schmerzen schlug sein Herz wie wild. Als wenn es wegen irgendetwas ganz aufgeregt wäre.

„Camui“, drang es leise, doch vertraut an sein Ohr. Oder hatte er sich das wieder nur eingebildet?

 

Auf seiner Suche wurde er von dem Fuchs geleitet, der immer ein paar Schritte vor ihm lief. Immer wieder gab dieser einen Laut von sich, damit Hideto wusste, wo das Tier war. Er konnte nicht genau sagen warum er diesem Tier folgte, aber er war sich sicher, dass es ihn zu dem Mann führte, den er suchte. Nachdem er bereits eine Weile gelaufen war, begann er den Anderen zu rufen, hoffte von Herzen, dass man ihm antworten würde.

Es dauerte noch eine Weile, bis er jemanden schmerzerfüllt aufschreien hörte.

„Camui-sama?“

„Du sollst... mich nicht so nennen.“

Es klang gequält, doch es war eindeutig seine Stimme. Erleichtert atmete Hideto auf. Er hatte ihn wirklich gefunden.

„Domo arigatou gozaimasu, Kitsune-sama“, bedankte er sich noch schnell bei dem Tier, ehe er dem schnellen Atem und gequälten Lauten folgte. So groß die Freude war ihn gefunden zu haben, so besorgt war er auch wegen dem, was er da hörte.

„Camui...-kun“, verbesserte er sich noch schnell, hoffte, dass ihn der Andere dadurch eher in seine Nähe ließ, „was habt... was hast du?“ Mit gebührendem Abstand ließ er sich neben der Gestalt nieder, die er in der zunehmenden Dunkelheit gerade noch so ausmachen konnte. Wenn er schon nicht die angemessene Ansprache verwendete, wollte er dem möglichen Gott zumindest diesen Respekt entgegen bringen. „Hast du dich verletzt?“

„Nein, aber ich hab so wahnsinnige Schmerzen in der Brust.“ Hilfe suchend griff der Größere nach dem Vertrauten. „Es tut so furchtbar weh.“

Kurz haderte jener mit sich selbst, aber letztendlich siegte sein angeborener Drang Anderen zu helfen. Fürsorglich nahm er den Mann vor sich in seine Arme, drückte ihn an sich. Viel mehr konnte er aber auch gerade nicht tun.

„Könntest du aufstehen?“, fragte er leise, doch entgegen seiner kleinen Hoffnung, schüttelte sein Gegenüber den Kopf. Das erschwerte natürlich alles. Mit sich selbst hadernd und überlegend, was er denn nun machen sollte, drückte er ihn noch etwas fester an sich und strich ihm übers Haar, ohne dass er es selbst groß merkte.

Glpcklicherweise nahmen die Schmerzen in Camuis Brust stetig ab, weshalb sich auch seine Atmung immer weiter normalisierte. Hatte er also doch nur eine längere Pause gebraucht. Oder gab es möglicherweise noch einen anderen Grund? Neugierig löste er sich aus der Umarmung und sah dahin, wo Hidetos Gesicht in etwa sein müsste. Jetzt stach es wieder ein wenig in seiner Brust. Ohne um Erlaubnis zu bitten zog er den Kleineren einfach in seine Arme, presste ihn regelrecht an sich.

„Camui-kun? Was-?“

„Shhh“, unterbrach er ihn leise, da er sein Gesicht in den weichen Haaren des Anderen mehr und mehr vergrub. „Lass mich dich bitte für ein paar Momente halten. Es... tut mir gerade so gut.“ Auch, weil er froh über dessen Anwesenheit war und wieder mit ihm sprach, wie er es sonst auch tat.

Still ergab sich Hideto seinem Schicksal. Es war die Bitte eines Gottes. Wie könnte er sich da nur erdreisten zu widersprechen? Außerdem... tat es ihm ebenfalls gut. So fest in Camuis Armen zu sein, gab ihm das Gefühl, dass ihm nichts auf der Welt jetzt noch etwas anhaben konnte. Die Augen schließend schmiegte er sich an den anderen Mann. Unter seiner Hand konnte er dessen Herzschlag spüren. Er wusste gar nicht, dass Götter auch einen hatten. Oder waren sie alle im Irrtum und Camui war doch nur ein einfacher Mensch?

'Durch die vielen Wiedergeburten hat er seine Erinnerungen verloren', spukte ihm durch den Kopf. Diese Geschichte schaffte es wirklich immer wieder einen Weg in ihre Gedanken zu finden. Nur, weil der Gott darin den gleichen Namen, wie sein Mitbewohner hatte.

Er wollte aber auch gar nicht, dass Camui ein Gott war. Denn dann würde er jemanden verlieren, den er sehr gerne und mit dem er sich seit langer Zeit nicht mehr so alleine in dem Schrein gefühlt hatte.

„Sind die Schmerzen noch schlimm?“, erkundigte er sich, fühlte aber den ruhigen Herzschlag unter seiner Hand.

„Nein“, antwortete der Größere ihm flüsternd, „sie sind nämlich weg.“

„Wirklich?“ Hideto merkte, wie der Größere nickte. „Das sind gute Nachrichten.“

 

Kein Wunder, dass ich bei diesem Mann nie sehen konnte, wen ich zu ihm schicken sollte.“

Skeptisch sah der Fuchs zu der großen Erscheinung neben sich.

Wie darf ich das verstehen, Aizen Myoo-dono?“, fragte er den Gott neben sich verwirrt.

Dieser musste lachen, ehe er sich erklärte: „Ich kann bei jedem Menschen, auf den ich mich konzentriere, ein Band sehen, welches ihn mit der Person verbindet, die das Schicksal für ihn oder sie vorher bestimmt hat. Und seit dieser Mensch in das irdische Leben von Camui-kun getreten ist, habe ich mir aus reiner Neugier erlaubt einmal nachzuschauen. Doch sein Band verlief im Nichts. Bis jetzt jedenfalls. Denn ich sehe, wie sich das Ende Camui-kuns Herzen zuwendet.“

Aber das würde ja heißen...!“

Ja, ganz recht. Das würde es.“

Nachdenklich sah das Tier wieder zu den beiden Männern. „Könnte es sein, dass es das ist, was er sucht? Die Person am Ende seines Fadens? Wenn das die Lösung ist, um seine Erinnerungen zu wecken, dann...“

 

„Wir... sollten langsam zurück kehren. Die Nächte sind immer noch recht kalt, findest du nicht?“

„Schon“, stimmte der Größere zu, der die Kälte auch allmählich in seine Glieder eindringen spürte. Genauso wie er merkte, dass sein Retter angefangen hatte zu zittern. Es wurde wohl wirklich Zeit. Er lockerte seinen Griff, damit dieser aufstehen konnte, zögerte allerdings es ihm gleich zu tun.

„Hideto-kun?“

„Hai?“

„Wenn ich... wirklich das bin, was... Wenn ich wirklich ein Gott sein sollte, was erwartet mich dann?“ Es war vielleicht nicht die wichtigste Frage von allen, aber irgendwo musste er ja anfangen.

„Hm, lass mich überlegen.“ Während er nachdachte zog er den Größeren auf die Beine. „Auf jeden Fall wirst du ein Leben führen, welches dein bisheriges um ein Vielfaches in den Schatten stellt.“ Dessen Hand behielt er in seiner, als sie sich auf den Rückweg machten. „Du müsstest keine Krankheiten mehr fürchten.“ Auf der Suche nach Wärme, drückte er die Hand in seiner noch ein wenig fester. „Um nichts müsstest du dir Sorgen machen, weil alles auf deinen Wunsch hin erfüllt werden würde.“

Fest klammerte sich Camui an die Hand, die seine hielt. Er wollte nicht von hier weg. Wegen Hideto.

„Das.. mag ja alles wunderbar und erstrebenswert sein, aber wenn ich mein Leben, wie es jetzt ist, mag? Wenn ich es gar nicht mehr anders haben will?“ Seufzend setzte er einen Fuß vor den anderen. „Ich will das alles nicht. Es macht mir Angst. Zudem kann ich nicht einmal selbst daran glauben. Und das sollte ich doch, wenn es die Wahrheit wäre.“

Beschämt richtete der Kleinere seinen Blick nach unten. „Ich muss gestehen...Dass ich mir wünschte, du würdest nur ein einfacher Mensch sein.“

„Nande?“ Das überraschte den Mann mit den blauen Augen doch etwas.

„Weil du als Mensch einfach bei mir bleiben könntest. Es würde sich nichts ändern.“ Verlegen klammerte er sich an den Arm des vermeintlichen Gottes. Ihm doch egal, dass sich das vielleicht nicht gehörte. Er wollte nur noch ein wenig von dessen Nähe spüren. „Das.. Das fände ich schön.“

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her, bis sie in der Ferne die Umrisse des Torii ausmachen konnte.

„Hideto-kun?“

„Hm?“

„Bevor wir durch das Tor schreiten, darf ich dich etwas fragen?“ Zum Ende seines Satzes war er stehen geblieben, sah seinen Begleiter nun an.

„Das tust du doch schon.“

Nun musste er ein wenig Schmunzeln. Schnell aber wurde er wieder ernst, denn was er fragen wollte, konnte für sein Gegenüber nicht leicht zu erfüllen sein. „Können wir vielleicht einfach so weiter machen, wie bisher? So tun, als wäre dieses Kind nie hier gewesen und hätte das alles nie behauptet?“

„Ich weiß nicht“, murmelte er unsicher. Ging das denn so einfach? Nachher waren die anderen Götter noch böse auf sie deswegen.

„Ich bitte dich als meinen Freund.“

„Freund?“ Noch nie war er von jemandem als solcher bezeichnet worden. Mit großen, vor Freude auch ein wenig glänzenden Augen, sah er zu dem anderen hoch, dessen Gesicht er leider nur schemenhaft erkennen konnte. „Meinst du das ernst?“

„Natürlich. Für mich bist du einer. Zumindest fühlt es sich für mich so an. Wobei ich gestehen muss, dass ich da keine Erfahrung habe. Wo ich doch noch nie jemandem so vertrauen konnte wie dir“, gestand er und wurde doch ein wenig verlegen. „Oder ist dir das unangenehm?“

„Nein, nein“, widersprach Hideto sofort und hob abwehrend die Hände. „Es ist nur... du hast mich noch nie so genannt. Deshalb war ich gerade etwas überrascht.“

„Oh, stimmt. Hab ich wirklich noch nicht. Darf ich denn?“

„Uhm.. ja, natürlich darfst du.“ Verlegen lachte er etwas. „Dann würde ich dich auch gerne in Zukunft als Freund bezeichnen.“

„Das würde mich sehr freuen.“

Kurz herrschte eine doch etwas verlegene Stille zwischen ihnen. Insgeheim freuten sie sich jedoch darüber endlich einen Freund gewonnen zu haben.

„Ah.. Anô... Erfüllst du mir nun meine Bitte?“ Flehend sah er zu dem Jüngeren, welcher das zwar bei der Dunkelheit nicht erkennen konnte, aber versuchen konnte man es ja. „Würdest du mich weiterhin behandeln wie einen ganz normalen Menschen?“

Hideto steckte in einer Zwickmühle. Wäre Camui wirklich ein Gott, dann musste er sich ihm gegenüber auch so verhalten. Sonst wären die anderen Götter bestimmt böse auf ihn. Das konnte er sich, auch des Schreins wegen, nicht erlauben. Andererseits jedoch... Er würde dem Wunsch eines höheren Wesens nachkommen. Das konnte er doch nicht verwehren.

Und wenn sich herausstellen würde, dass all diese Gedanken unnötig gewesen waren, so hätte er keinen Frevel begangen. Also doch keine Zwickmühle.

Derweil war Camui ein wenig nervös geworden, weshalb er von einem Bein aufs anderen trat.

„Und?“

„Also gut“, sagte der Kleinere endlich und lächelte. „Ich erfülle dir deine Bitte.“

„Ich danke dir“, meinte der Blauäugige freudig. „Ich danke dir vielmals.“

Musik in meinen Ohren

„Vielen Dank für Ihren Besuch.“

Gerade verabschiedete sich Hideto von einem Bauern, der darum gebeten hatte ins Innere des Schreins zu dürfen, um eine kleine Opfergabe als nachträglichen Dank für die reichliche Ernte des vergangenen Jahres zu hinterlassen, wie er es seit vielen Jahren tat.

Für ein paar Augenblicke sah ihm der junge Japaner noch nach, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder zurück in den Raum warf. Hier war er zum ersten Mal auf Camui getroffen. Von einem Moment auf den anderen war sein gewohnter Trott völlig auf den Kopf gestellt worden.

Eine letzte Verbeugung Richtung Heiligtum, dann schloss er die Shogi.

Wo er mit den Gedanken schon mal bei -nein, eigentlich kreisten sie seit Kurzem immer nur ihn- Camui war, so konnte er auch gleich zu ihm gehen. Auf dem Weg nach hinten blieb er jedoch noch einen kleinen Moment stehen und lauschte, als er Vogelgezwitscher vernahm.

„Der Frühling kommt.“ Wenn man genau hinsah, dann erkannte man auch bereits die ersten grünen Triebe an den Bäumen. In wenigen Wochen würde alles wieder in einem leuchtenden, lebensbejahenden Grün erstrahlen. Aus irgendeinem Grund freute er sich gerade bereits darauf sich zusammen mit Camui die Kirschblüten anzusehen. Mit diesem schönen Gedanken führte er seinen Weg fort. Erzählen würde er seinem Freund davon aber noch nichts. Schließlich dauerte es bis dahin noch ein wenig. Beschwingt von der Vorstellung öffnete er die Tür zu ihrem Privatbereich, wo er Camui entdeckte, der mit angestrengtem Blick in das Buch sah, welches er ihm vor einer Weile geschenkt hatte. Vor einiger Zeit hatte er ihm bei schwierigen Kanji die Lesung darüber geschrieben, damit es dem Anderen leichter fiel die einzelnen Geschichten zu lesen. Er musste an einer spannenden Stelle sein. Dieses konzentrierte Gesicht kannte er so gar nicht an ihm. Doch irgendwie fand er es faszinierend. Um ihn nicht zu erschrecken blieb er stehen, wo er gerade war und beobachtete den Mann mit den blauen Augen. Wie sich seine Stirn kräuselte, sich seine Lippen bewegten, während er las und das schöne Blau über das Papier huschte, gierig nach den Worten, die dort standen. Ein Anblick, den der Kleinere unglaublich fand. Unglaublich ansprechend.

Viel zu bald war sein Freund mit dem Text fertig und er klappte das Buch zu. Anscheinend dachte er noch ein bisschen über das eben gelesene nach, so wie er in das Feuer vor sich starrte. Dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. Camui griff nach seiner Tasse und füllte sich zufrieden neuen Tee ein. Erst jetzt wanderte sein Blick durch den Raum, welcher auch gleich an Hideto hängen blieb.

„Oh, du bist zurück?“

„Ganz offensichtlich, hai.“

„Wie lange stehst du denn schon da?“

„Noch nicht so lange.“ Hideto trat näher und ließ sich in der Nähe seines Mitbewohners nieder. „Ich wollte dich nicht erschrecken, darum habe ich dort gewartet.“

„Ah. Lieb von dir.“

Mit einem wohligen Seufzer lehnte sder kleine Japaner seinen Kopf an die Schulter seines Sitznachbarn. „Magst du mir etwas vorlesen?“

„Eh... Wenn du das möchtest.“ Er nahm das Buch wieder zur Hand. „Irgendeine bestimmte Geschichte?“

„Iie. Such du ruhig eine aus.“

„In Ordnung.“ Also blätterte er zu einer zufälligen Stelle und von dort aus zum Anfang des Textes. Ein wenig nervös war er. Laut vorgelesen hatte er schon lange nicht mehr. Aber da nur Hideto ihn hören würde, verging das auch schnell wieder, nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte. Also begann er zu lesen.
 

Das Feuer knisterte nur noch leicht, als Camui mit dem Buch durch war. Er hatte immer weiter lesen müssen, da ihn der Andere darum gebeten hatte. Irgendwann hatte er dann auch einfach nur noch gelesen und es als sehr angenehm empfunden, dass sein Retter ihm so nah war. Er bemerkte aber auch erst jetzt, dass genau dieser den Weg ins Reich der Träume gefunden hatte. Mit einem sanften Lächeln legte er die Schrift bei Seite. Vorsichtig brachte er den Körper des kleineren Mannes in eine liegende Position. Sollte er ruhig ein wenig schlafen. Den Abendrundgang würde er auch alleine schaffen. Doch zuerst: „Zuerst sollte ich dir aber eine Decke besorgen.“ Und noch mal etwas Holz ins Feuer legen, bevor es ganz aus ging. Ein weiterer Scheit landete in der Feuerstelle, um dem wärmenden Element ein wenig Appetit zu machen. Anschließend holte er aus ihrem Schlafzimmer eine Decke, die er nun über den Anderen legte. „Ich bin bald wieder zurück“, sagte er noch leise und strich ein paar Strähnen aus dem schlafenden Gesicht.
 

Als Hideto erwachte, war er alleine in dem Raum und das Feuer knisterte nur noch schwach. Sich müde über die Augen reibend, sah er sich um, konnte in dem recht dunklen Raum nicht viel erkennen. Nur eben, dass der Andere nicht da war.

„Camui-kun?“, fragte er dennoch. Vielleicht befand sich der Gesuchte ja noch in Hörweite. Keine Antwort. Also schlug er die Decke, die ihm über gelegt worden war, zur Seite und stand auf. Wo könnte sein Freund nur sein? Um das Feuer hatte sich jedenfalls schon eine Weile niemand gekümmert. Doch wenn er genauer hinhörte, dann vernahm er ganz leise etwas Musik. Das kam von draußen. Jetzt wurde er neugierig. Er ging zur Tür, wo er sich seine Schuhe anzog und den Raum verließ. Hier draußen war es schon etwas lauter. Und es schien von dem Platz vor dem Schrein zu kommen. Tatsächlich wurde die Musik immer deutlicher, je näher er dem vorderen Bereich kam. Dazu konnte er Gesang hören.

„Eh?“, verwundert blieb er stehen. Die eine Stimme kam ihm vertraut vor. Er setzte seinen Weg schneller fort, bis er um die letzte Ecke sehen konnte. Ah, daher kam die Musik. Etwas abseits vom Torii saß eine Gruppe Musiker und unter ihnen befand sich Camui. Daher war ihm diese eine Stimme so bekannt vorgekommen. Er hielt eine Shamisen in seinen Händen und bekam von den Männern und Frauen um sich scheinbar das Spielen auf dem Instrument, sowie Gesang beigebracht.

Langsam näherte er sich der ausgelassenen Gruppe, die sich um den Mann mit den blauen Augen gescharrt hatte und ihm aufmerksam beim Spielen zuhörten.

„Und Ihr wollt mir erzählen, dass ihr noch nie auf diesem Instrument gespielt habt? Das glaube ich nicht.“

„Doch, doch. Ich sage die Wahrheit. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie die Chance gehabt irgendein Instrument zu spielen.“

„Dann seid Ihr einfach ein Naturtalent. So etwas hab ich noch nie gesehen.“

Verlegen kratzte sich Camui am Hinterkopf. Solche Komplimente war er nicht gewohnt. „A- Arigatô.“

„Kommt, wir singen noch ein Mal das Lied, dass wir euch beigebracht haben.“

Hideto war in einiger Entfernung stehen geblieben und erlaubte sich zu lauschen. Er mochte die Singstimme seines Freundes. Da wollte er natürlich in den Genuss davon kommen, wenn sich die Gelegenheit schon mal bot.

Es war ein einfaches Volkslied und Camui sah so glücklich aus, wie er dort mit den Anderen sang. Das Spiel auf dem Instrument forderte zwar noch seine Konzentration, doch alles zusammen wirkte bei ihm so natürlich. Sein Freund sollte wirklich überlegen das auch weiterhin zu machen. Schließlich bereitete es ihm Freunde und schien ihn auch von anderen Dingen abzulenken.

'Gott der Musik', schoss es ihm durch den Kopf, was ihn den Gesang leider nicht mehr genießen ließ. War er also doch göttlicher Abstammung? Unweigerlich stellte er sich den Größeren wieder in der feinen Kleidung vor, die dieser vor einiger Zeit geschenkt bekommen hatte. Hideto merkte, wie sehr ihn diese Vorstellung faszinierte und ein leichtes Rot legte sich auf seine Wangen, weil er merkte, dass er ins Schwärmen geriet.

In der Zwischenzeit war er von Camui entdeckt worden, der sein Spiel unterbrach und zu ihm herüber kam.

„Hideto-kun, du bist wieder wach?“

„Uhm... Hai.“

„Haben wir dich geweckt?“, fragte er nach und sah ihn schuldbewusst an.

„Oh nein. Nein, das habt ihr nicht. Ich bin von alleine wieder wach geworden. Ich habe mich lediglich gewundert, wo du bist.“

„Entschuldige. Ich war los gegangen, um die Lichter zu entzünden und bin dabei auf die Gruppe Musiker getroffen, die ein Gebet gesprochen hat. Wir sind dann ins Reden gekommen und irgendwie dann auch zur Musik.“ Darüber hatte er völlig die Zeit vergessen. Aber es hatte viel Spaß gemacht. Wobei er mindestens ebenso erstaunt war, dass ihm das Spielen auf der Shamisen so leicht fiel. „Das war schön.“

„Das freut mich für dich.“

„Oi, Camui-san. Wollen wir noch weiter machen?“, rief ihm ein junger Mann hinterher.

Er wollte schon gerne, aber... „Magst du dich mit zu uns setzen, Hideto-kun?“

„Gerne doch, wenn die Anderen nichts dagegen haben.“

„Bestimmt nicht.“ Vor Freude strahlend ergriff Camui das Handgelenk des Freundes und zog ihn mit zu den wandernden Musikern, nicht merkend, wie verlegen der Kleinere wurde, da er ein Kribbeln in seinem Bauch spürte. Dieses ehrliche, strahlende Lächeln hatte ihn gerade einfach umgehauen.

Ich kenne es

Mit den wärmeren Temperaturen kamen auch wieder mehr Besucher in ihren Schrein. Einige brachten auch wieder kleine Geschenke für Camui. Wobei sich manche Leute noch ehrfürchtiger verhielten, als er es aus der Anfangszeit gewohnt war. Ob das Mädchen ihre Behauptung auch anderen erzählt hatte? Und diese wenigen Menschen glaubten das? Fragen tat er jedoch keinen nach dem Grund.

Es gab aber auch genug Ablenkung. So hatte er durch Hidetos Hilfe und Unterstützung eine kleine Arbeit bei einem Papiermacher gefunden, wo er für ein paar Stunden am Tag mit anpackte. Es war nicht viel Lohn, den er dort jede Woche erhielt, doch Camui war nach dem Erhalt seines ersten Geldes beinahe geplatzt vor Stolz. Dies hier war ehrlich verdientes Geld und niemand würde ihn deswegen schief ansehen können.

Ihm war bei einem Instrumentenbauer in der Stadt auch schon etwas ins Auge gefallen, das er sich von diesem Geld gerne kaufen würde: Eine Shamisen. Seit er auf einer hatte spielen dürfen, verspürte er zunehmend mehr das Verlangen danach dies erneut tun zu können. Jedoch war es ein kostspieliger Traum. Zudem gab er jede Woche freiwillig einen nicht gerade kleinen Teil seiner Entlohnung an Hideto weiter, damit sie Essen und andere Notwendigkeiten kaufen konnten.

Dagegen hatte sich der Kleinere allerdings zu Anfang vehement gewehrt.

„Es hat doch auch bisher gereicht“, war seine Begründung gewesen.

Doch der Blauäugige war stur geblieben. Er wollte das gute Gefühl haben auf diese Weise etwas zu ihrer kleinen Gemeinschaft beitragen zu können. Zudem machte es ihr Leben doch auch ein wenig leichter.

Irgendwann war sein Retter dann doch eingebrochen und hatte sich dem Willen seines Freundes gebeugt. Und weil die blauen Augen, die am Ende ausschlaggebend gewesen waren, so geleuchtet hatten vor Freude, fand er seine Niederlage auch nicht sehr schlimm.

Überhaupt verlor er sich zunehmend mehr und öfter in dem Anblick seines Mitbewohners, wie Hideto sich eingestehen musste. Das konnte doch nicht noch immer daran liegen, dass sie sich nun 'Freund' nannten. Es war zwar noch immer ungewohnt für ihn einen anderen Menschen so zu nennen, doch jedes Mal, wenn er an diesen einen dachte, dann musste er lächeln und in seinem Inneren kribbelte es so seltsam. Vielleicht waren das auch nur erste Anzeichen für eine Krankheit. Nur welche?

„Hideto-kun?“ Jetzt machte sein Herz schon einen Hüpfer, nur weil der Größere seinen Namen rief. Aber wie konnte er seinen Namen rufen, wenn er doch bei der Arbeit sein müsste? Suchend sah er sich in dem Garten, in dem er sich befand, nach dem anderen Mann um. Vergessen war die Arbeit, die er hier hatte erledigen wollen. „Hideto-kun?“, hörte er erneut und er konnte spüren wie sein Herz schneller schlug.

„H-Hier!“, rief er, damit er schneller von dem Anderen gefunden wurde. Gleich darauf trat Camui auch schon hinter einer Ecke hervor. In dem Kleineren breitete sich ein wohliges Gefühl aus, als er den vertrauten Anblick sah. Was jedoch nicht lange hielt, sobald er den verbundenen Arm bemerkte. Sofort ließ er die Harke, mit der er den Boden hatte bearbeiten wollen, fallen und stürmte auf den Größeren zu. „Was ist passiert?“ Besorgt huschte sein Blick über den Verband hin zu den blauen Augen.

„Das ist nichts schlimmes. Ein kleiner Unfall bei der Arbeit“, erklärte Camui. „Ein Arzt hat sich das bereits angesehen. Er meinte, dass ich den Arm ruhig halten soll und dass er sich in den nächsten Tagen wohl auch noch etwas blau färben wird.“ Er lachte etwas verlegen. „Aber das ist ja auch nichts Neues bei mir, nicht wahr?“ Irgendwie ließ ihm der besorgte Blick des Kleineren das Herz schwer werden. „Damit es nicht noch schlimmer wird, durfte ich heute auch eher gehen und soll mich auch die nächsten beiden Tage nicht dort blicken lassen. Auf das es besser heilt.“

„Gut“, murmelte Hideto und strich vorsichtig über den Stoff, der sich um den Arm des Anderen wand, „dann sollten wir auch dafür sorgen, dass du ihn ruhig hältst.“

Camui nickte und freute sich ein wenig darüber, dass es jemanden gab, dem sein Wohlbefinden so am Herzen lag. Wenngleich ihm die Sorge im Gesicht des Freundes irgendwie ein schlechtes Gewissen machte. Da fiel ihm ein...

„Ich habe auf dem Heimweg noch eine Kleinigkeit besorgt.“ Zum Beweis hielt er den anderen Arm hoch und zeigte dem Anderen ein hübsch verpacktes Bündel. „Sakura-Mochi. Ich habe gedacht, die wären ganz passend, wo doch jetzt überall die Kirschblüten fallen.“

„Ja, das sind sie wirklich“, stimmte Hideto ihm zu, klang aber immer noch ein wenig bedrückt.

„Ano... Magst du mit mir zum Hanami gehen?“, fragte der Mann mit den blauen Augen vorsichtig, weil er nicht voraussagen konnte, wie sein Freund auf diese Frage reagieren würde.

„Zum Hanami?“ Dieser Vorschlag kam doch etwas überraschend für den Kleineren. Dabei hatte er vor wenigen Wochen doch selbst noch daran gedacht dieses Fest mit Camui zu begehen. „Uhm.. Gerne. Sehr gerne sogar.“

„Hontou? Großartig.“ Camui strahlte übers ganze Gesicht. „Wollen wir dann zum See? Ich mag es, wenn die Blütenblätter auf das Wasser fallen und sich dann darauf treiben lassen.“ Er wusste von alten Streifzügen her, dass dort viele Kirschbäume standen. Außerdem hatte er die Leute auf der Straße davon reden hören.

Mit einem Mal hatte der Kleinere einfach vergessen, wie man atmete. Diese ehrliche Freude ließ es in seinem Körper kribbeln und er hatte mit einem Mal Schwierigkeiten sich auf den Beinen zu halten. Zudem könnte er schwören, dass er gerade nicht wusste, wie man 'Nein' sagte.

„Zum See klingt gut. Vielleicht finden wir noch einen schönen Platz.“ Irrte er sich oder war die Freude des Anderen gerade noch größer geworden? „Ich hole uns nur schnell eine Decke, auf die wir uns dann setzen können.“ Vorausgesetzt er wurde wieder Herr über sich selbst und schaffte es, seinen Körper wieder in Bewegung zu setzen.

„Gut, ich warte hier. Beeil dich.“ Jetzt konnte Camui es kaum noch erwarten. Ungeduldig sah er Hideto hinterher. Am liebsten wäre er gleich los gegangen. Auf eine so vernünftige Idee wie mit der Decke wäre er derzeit nicht gekommen.
 

Unter einem Kirschbaum, der etwas Abseits der anderen lag, fanden sie noch ein Plätzchen, um sich nieder zu lassen. Dafür hatten sie einen recht guten Blick über die anderen Bäume und einen Teil des großen Sees, während sie sich von den Blütenblättern berieseln ließen.

„Ich habe irgendwie ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, dass ich die nächsten Tage nicht arbeiten kann. Das ist immerhin die erste richtige Arbeit, die ich habe und die anderen, die dort arbeiten sind sehr freundlich. Zudem bin ich Hagate-san sehr dankbar dafür, dass er jemanden wie mich überhaupt erst genommen hat. Dass ich jetzt für ein paar Tage ausfalle, ist bestimmt nicht besonders gut.“

„Mach dir darüber doch keine Gedanken. Wenn ich überlege, wie schnell dein Rücken damals verheilt ist, dann dürfte das mit deinem Arm bereits übermorgen wieder in Ordnung sein.“ Zuversichtlich lächelte Hideto seinem Begleiter zu, dann wandte er seinen Blick wieder hinaus auf das Meer an rosa Blüten, die sich in dem sanften Wind wiegten und zu Boden tänzelten.

„Die Männer bei mir auf der Arbeit waren vor ein paar Tagen alle sehr erstaunt, als ich ihnen sagte, dass es in meinem Leben kein Mädchen oder eine Frau gab“, begann Camui ein neues Thema. „Sie meinten jemandem wie mir, müssten sie scharenweise hinterher laufen.“ Nachdenklich sah er in dieselbe Richtung wie der Kleinere und biss in ein weiteres Mochi.

„Du ziehst ja auch viele Blicke auf dich.“

„Mag ja sein, aber … Da war auch bisher niemand. Ich habe nie dieses Gefühl erlebt, dass sich 'Liebe' nennt. Und wenn ich jemanden frage, dann kommen so unterschiedliche Beschreibungen dabei heraus. Manchmal antworten die Leute auch nur: Du wirst es wissen, wenn du es fühlst. Aber so war es bisher noch nie.“ Traurig senkte er den Blick. Er hatte Menschen sagen hören, dass es neben Ehre und Stolz ein sehr wichtiges Gefühl sei. Ehre kannte er in Ansätzen. Stolz begriff er erst seit einigen Monaten. Nur Liebe war ihm immer noch ein Geheimnis. In den Geschichten in seinem Buch hatte er oft davon gelesen. Aber er hatte sich nicht vorstellen können, was in diesen Figuren vorgegangen war.

„Ist es dir so wichtig das zu erfahren?“, fragte Hideto und musterte den Mann neben sich mit versteckter Neugier.

„Schon. Ich kann dir nicht sagen warum, aber ich fühle mich irgendwie unvollständig ohne dieses Wissen.“ Seine niedergeschlagenen blauen Augen blickten, leicht beschämt, zu seinem Freund. „Kennst du es denn?“

Eine gute Frage. Kannte er es? Grübelnd sah er zu Boden. Ein wenig wusste er darüber schon, aber hatte er es jemals gefühlt? Man sollte ja Herzklopfen bekommen, wenn die geliebte Person bei einem war. Frauen sagten, dass man dazu auch noch ein Kribbeln in seinem Bauch spürte. Zudem fühlte man sich immerzu glücklich. War es ihm jemals so ergangen?

„Ich-“, begann er und sah zu Camui, dessen Anblick ihm wieder einmal die Sprache verschlug. Er hatte verneinen wollen, aber jetzt wurde ihm bewusst, dass er doch bereits unter diesen Symptomen litt. Darum konnte er nicht anders, als leise zu sagen: „Ich kenne es.“

Kribbeln im Bauch

Bewundernd sah Camui den Anderen an. „Du kennst es? Fühlt es sich wirklich so fantastisch an?“

„Uhm... Hai, das tut es.“ Hideto traute sich kaum zu sprechen. Am Ende entfloh ihm noch einer der Schmetterlinge durch den Mund. Wie sollte er das dann nur erklären? Das könnte er ja gar nicht.

Die blauen Augen schweiften wieder auf den See und die darauf schwimmenden Blüten hinaus. „Ich möchte es auch kennen. Irgendwann werde ich das doch, oder?“

„Sicherlich“, antwortete Hideto, spürte aber, wie ihm ein drückendes Gefühl den Hals zu schnürte. Jetzt hatte er schon erkannt, dass er dem Mann neben sich verfallen war, aber auch, dass es nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Wenn du es sagst, dann wird es auch so kommen“, sagte Camui zuversichtlich und sah lächelnd zu dem Kleineren, stockte kurz und begann dann zu lachen. „Du hast ja eine richtige Blütenkrone auf dem Kopf.“ Er nahm ein paar der rosa Blüten aus dem schwarzen Haar, betrachtete sie versonnen. So schön zart und weich, strahlten zeitgleich Ruhe und Frieden aus. Eine aufkommende Brise streifte an ihnen vorbei, wehte die Blüten Richtung See. Camui entließ die in seiner Hand und sah ihnen hinterher.

Nervös, aber mutig rutschte Hideto an den Größeren heran, sah in dieselbe Richtung. „Schön, dass wir Zeit gefunden haben hierher zu kommen.“

„Hai. Und ich wäre mit niemandem lieber hier, als mit dir. Meinem Freund.“ Mit einem strahlenden Lächeln sah er zur Seite, was Hideto wieder dieses Kribbeln in den Bauch gab. Es war wirklich unwiderruflich um ihn geschehen.

„Geht mir genauso“, murmelte er verlegen.
 

In dieser Nacht konnte der Herr des Schreins nicht ein Auge zu tun. Alles nur wegen dem Mann, der friedlich schlummernd auf dem Futon neben seinem lag. Mit traurigem Blick und schwerem Seufzen griff er sich an die schmerzende Brust.

„Warum du?“, fragte er leise, obwohl er wusste, dass er keine Antwort erhalten würde. Weder von dem jungen Mann mit den blauen Augen, noch von sonst jemandem. Sanft strich er über die Wangen des Anderen. „Was mache ich nur, wenn du wirklich ein Gott bist? Oder schlimmer: Niemals so für mich fühlst?“ Wobei er auch noch nicht ganz verstand, warum es ein Mann war, bei dem er so fühlte. Zwar hatte er sich nie groß Gedanken um Dinge wie Liebe, Heirat und eine eigene Familie gemacht, aber er war doch irgendwie davon ausgegangen, dass es bei ihm genauso wie bei vielen anderen auch sein würde. Dass er irgendwann eine Frau an seiner Seite hatte und mit ihr Kinder zeugte, die sein Werk fortsetzten.

Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sich etwas in ihm für ihn entschieden hatte? Er war hübsch, das stand außer Frage. Das hatte er damals schon bemerkt, nachdem sie den Schmutz von seiner Haut geschrubbt hatten. Doch damals war sein Herz noch ruhig gewesen und hatte nicht so aufgeregt geschlagen, wie es das nun immer wieder tat.

„Ob das ein gutes Ende nimmt?“

Traurig zog er seine Hand zurück. Irgendwie bezweifelte er das. Zumal es auch wider der Natur war. Und überhaupt: „Warum sollte sich ein Gott auch in einen Menschen verlieben?“

Seine Augen begannen zu brennen, doch er wollte nicht weinen. Am Ende wachte Camui davon auf und das wäre ihm zu peinlich. Denn dann müsste er sich ja erklären. Nein, besser er versuchte es zu unterdrücken. Vergeblich, denn die ersten Tränen liefen bereits. Verzweifelt biss er sich auf die Unterlippe, damit ihm zumindest kein Laut über die Lippen kam. Sehr bald spürte er jedoch, dass auch dies zum Scheitern verurteilt war. Hastig stand er auf und presste eine Hand auf seinen Mund, ehe er stolpernd den Raum verließ.
 

Mit einem kräftigen Gähnen betrat Camui am nächsten Morgen den Wohnraum, wo er Hideto mit einer Tasse Tee in der Hand und den Blick starr in die Feuerstelle gerichtet vorfand.

„Ohayou, Hideto-kun“, sprach er ihn an, bekam aber keine Reaktion. „Hideto-kun?“ Sonst sah er ihn doch immer mit einem Lächeln an und fragte, wie er denn geschlafen hätte. Misstrauisch trat er näher an den Kleineren heran, um heraus zu finden, was denn los war. Noch während er sich neben den Kleineren kniete, bemerkte jener ihn und sah auf.

„Ohayou, Camui-kun. Hast du gut geschlafen?“, fragte er auch gleich. Wie sonst. Nur würde er ihm heute ausnahmsweise nicht wie sonst antworten können.

„Schon, aber was ist mit dir? Du siehst nicht so aus, als hättest du viel Schlaf bekommen. Was ist los?“ Irgendetwas bedrückte ihn doch. Das konnte man deutlich sehen. Er mochte seinen guten und einzigen Freund nicht so abgekämpft und erschöpft sehen.

„Es ist nichts“, kam es leise von dem Mann mit den braunen Augen. „Ich hab einfach nur nicht richtig schlafen können. Das ist alles.“

Diese Antwort stellte ihn nicht wirklich zufrieden, aber mehr würde er wohl nicht mehr von ihm erfahren. Zumindest jetzt nicht. Wie bedauerlich. Doch leider nicht zu ändern.

„Ist heute denn viel zu tun? Ich habe doch noch frei und kann dir helfen“, wechselte er das Thema, damit der Andere einfach weiter sprach. Vielleicht munterte es ihn wieder auf.

„Demô... was ist mit deinem Arm? Der ist doch immer noch verletzt.“

„Ist schon in Ordnung. Er tut kaum weh. Außerdem habe ich doch noch einen gesunden Arm. So oder so werde ich schon ein paar Dinge erledigen können.“ In dem Punkt war er zuversichtlich. Bisher hatte er doch auch immer helfen können bei den vielen Arbeiten.

Fürsorglich legte der Kleinere eine Hand auf den verbundenen linken Arm seines Gegenübers, fragte: „Soll ich mir die Verletzung noch mal ansehen?“

„Anô, wenn du magst. Ich werde dich nicht davon abhalten.“ Vorsichtig entfernte sein Freund den Verband und staunte, sobald die Haut zum Vorschein kam.

„Oh, das ist ja gar nicht so verfärbt, wie ich gedacht habe. Normalerweise müsste das viel schlimmer aussehen. Sehr viel schlimmer, wenn es wirklich geprellt ist.“ Grübelnd strich er über die nur leicht verfärbte Haut, was Camui ein Kribbeln durch den Körper jagte. „Eigentlich ist dann alles in einer dunklen Mischung aus rot, blau und violett gezeichnet. Das hier ist sehr ungewöhnlich. Es sieht mehr aus, als hättest du dich einfach gestoßen.“ Von dem Trübsinn war kaum noch etwas auf dem Gesicht von Hideto zu erkennen. Nun war er vielmehr fasziniert und strich noch einige Male über den Unterarm in seiner Hand. „Bei dir heilen Verletzungen wirklich schnell.“

„Mhm.“ Zu mehr war er gerade nicht in der Lage. Dafür genoss er die sanfte Berührung durch den Anderen viel zu sehr. Gebannt betrachtete er die feinen Finger, die so zärtlich über die Haut strichen. Warum fühlte sich das so anders an, wenn Hideto das tat, als damals bei den Frauen, die ihn hin und wieder mit sich genommen hatten? Bei ihnen hatte es nie derart gekribbelt. „Das ist schön“, hauchte er, was den Freund dazu brachte inne zu halten und aufzusehen. Mit einem Mal wurde selbiger sehr rot im Gesicht und wandte sich ab.

„Ah.. Sumimasen. Ich weiß nicht... Ich wollte nicht...“

„Nicht doch. Schon gut“, beschwichtigte der Größere gleich. „Ich fand es wirklich schön. Du hättest gerne weiter machen dürfen.“ Nun war es an ihm ein wenig verlegen zu werden. „Es war... sehr angenehm. Und es kribbelt. Das hatte ich bisher noch nie.“

„Eh? Bisher? Wie meinst du das?“

Den Blick gesenkt beichtete er von diesem dunklen Kapitel seiner Vergangenheit. Wo er, weil er ja nichts anderes mehr besessen hatte, sich selbst verkaufte, um ein Bett für die Nacht und eventuell auch noch eine Mahlzeit zu haben. Dafür durften diese Menschen -die nicht immer nur Frauen gewesen waren- in den nächsten Stunden über seinen Körper herrschen wie ihnen beliebte. Zu sehr ins Detail ging er nicht. So oder so war es ihm bereits unangenehm darüber zu sprechen. Sein Gegenüber würde bestimmt auch ohne sie verstehen, was vorgefallen war.

„Doch wenn du mich so wie eben berührst, dann löst es so ein lustiges Kribbeln auf meiner Haut aus. Und irgendwie.. macht mich dieses Kribbeln glücklich.“ Verlegen kratzte er sich mit seiner rechten Hand am Hinterkopf. „Manchmal reicht auch einfach nur deine Nähe aus, um dieses Gefühl zu haben. Dann fühlt es sich so merkwürdig an in meinem Bauch. Aber merkwürdig gut.“ Bestimmt lachte Hideto ihn jetzt aus. Obwohl, es war Hideto, der tat so etwas nicht. Schüchtern sah Camui zu ihm, traf aber nur auf weit aufgerissene Augen, von denen er nicht sagen konnte, welches Gefühl die Ursache war. „Anô... Hideto-“, plötzlich fiel jener ihm um den Hals, drückte sich eng an ihn, „-kun?“ Aus einem Instinkt heraus schlossen sich seine Arme um den anderen Körper und hielten ihn nah bei seinem eigenen, was sein Herz beinahe zum explodieren brachte. „Was hast du?

„Nichts“, antwortete der Kleinere, nachdem er den Moment kurz ausgekostet hatte und schüttelte etwas den Kopf. „Ich bin einfach nur glücklich.“ All die Gedanken, die ihn letzte Nacht um den Schlaf gebracht hatten, waren umsonst gewesen. Wie hätte er das aber auch ahnen sollen?

„Glücklich? Dôshite?“ Gerade wurde Camui immer verwirrter.

„Weil du es kennst, Camui-kun.“ Eine erste Träne des Glücks löste sich aus seinen Augen. „Weil du weißt, was Liebe ist.“

Wirklich? Nachdenklich horchte der Mann mit den blauen Augen in sich hinein. Dort hörte er sein aufgeregtes Herz schlagen, das Blut durch seine Adern rauschen. Durch die Nähe seines Freundes wurde ihm wärmer, als durch das Feuer neben ihnen. Sanft verstärkte er den Druck seiner Arme und ihm war, als wenn sie ihm sagen wollten: Wir öffnen uns nie wieder. Wir haben das Wichtigste auf dieser Welt gefunden. Jetzt geben wir es nicht wieder her.

Das war also Liebe. Sie musste es sein. Immerhin war es Hideto, der ihm das gesagt hatte. Aber das bedeutete ja auch: „Ich liebe... dich?“ Kaum hatte er das gesagt, war ihm, als würde in ihm ein Feuerwerk ausbrechen.

„Hai.“

„Und du bist glücklich, weil...“

Mit Tränen in den Augen, aber einem glücklichen Lächeln im Gesicht, löste Hideto seine Umarmung etwas und lehnte sich ein kleines Stück zurück. „Ich bin glücklich, weil ich dasselbe für dich fühle.“

Camuis blaue Augen weiteten sich. „Das tust du?“, fragte er ungläubig nach.

„Tue ich“, hauchte der Mann in seinen Armen und nickte leicht zur Bestätigung.

Aus einem Gefühl heraus, löste Camui seine linke Hand von dem Rücken und legte sie an die Wange Hidetos, der sofort die Augen schloss und sein Gesicht an diese schmiegte. Wie schön das aussah. Und weil sein Kopf so leer gefegt war von jeglichem Gedanken, übernahm sein Körper die Führung. Sacht dirigierte er den Anderen an sich heran, bis sich ihre Gesichter ganz nahe waren und sie schon den Atem ihres Gegenübers spüren konnten.

„Ich würde dich gerne-“ Er kam gar nicht mehr dazu den Satz zu beenden, denn schon hatte der Kleinere sich ein Herz gefasst und ihre Lippen vereint. So viel Glück strömte durch Camuis Körper, er konnte es kaum fassen. Sich lösen aber ebenso wenig.

Sinn meines Lebens

Verträumt hielt Camui den Kleineren in seinen Armen, genoss sein Streicheln, während er ihm den Nacken kraulte. Von dem Kuss eben war ihm immer noch etwas schwindlig.

„Ich danke dir“, flüsterte er irgendwann und schmiegte sein Gesicht an den Kopf des Anderen.

„Wofür?“, bekam er die Gegenfrage gestellt und wurde fragend angesehen.

„Dafür, dass ich dank dir endlich weiß, was Liebe ist.“ Glücklich lächelte er ihn an. „Und: Ich habe meinen Platz in dieser Welt gefunden. Nämlich hier an deiner Seite.“ Seine Arme schlangen sich wieder etwas fester um den anderen Körper. „Das hier fühlt sich gut an.“

„Ich“, begann Hideto und schmiegte sich noch etwas mehr an die breite Brust vor sich, „empfinde genauso. In deiner Nähe, da fühle ich mich irgendwie... sicher. So... beschützt. Gerade in einem Moment wie diesem.“ Als ob ihm nichts und niemand auf dieser Welt mehr etwas antun könnte. Sollte es doch jemand versuchen, dann würde Camui ihn abwehren. Dessen war er sich sicher. „Ich bin aber auch dankbar.“

„Wofür?“

„Dafür, dass du damals den Weg zu mir gefunden hast. Dafür, dass du meinen Alltag ein wenig durchbrochen und mir seitdem die Einsamkeit vertrieben hast.“ Wobei er sich leider auch eingestehen musste, dass ihm erst wirklich aufgefallen war, wie einsam sein Leben gewesen war, als Camui ihn gebeten hatte, bleiben zu dürfen.

Sanft lächelnd kraulte der Größere weiter den Nacken seines Partners. „Das ist doch das Mindeste, was ich tun konnte, nachdem du mir das Leben gerettet und ihm wieder einen Sinn gegeben hast.“

Angenehmes Schweigen legte sich über das Paar, während sie sich an dieses neue Gefühl gewöhnten. An das Herzklopfen, das Kribbeln im Bauch, dem Schwindel vor Glück. Hinfort waren Hidetos traurige Gedanken der letzten Nacht. Als hätte es sie nie gegeben. Dennoch, so ganz fassen konnte er noch nicht, dass Camui ebenfalls solche Gefühle für ihn hatte. Und dass sie beide sich das so einfach hatten sagen können.

„Du liebst mich“, murmelte er, um es sich besser begreiflich machen zu können.

„Und du liebst mich“, raunte Camui, was dem Kleineren einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. Er hatte wirklich eine einzigartige Stimme.

„Ano...Wollen wir... vielleicht frühstücken?“, fragte er nach kurzer Zeit, spürte er doch neben den vielen Faltern in seinem Bauch auch ein wenig Hunger.

„Gerne. Immerhin wollten wir heute noch ein wenig Arbeit verrichten. Und für die sollten wir gestärkt sein.“

Erneut verstrich Zeit, aber keiner der Beiden löste sich oder stand gar auf.

„Eto... Ich fürchte, wir haben ein kleines Problem, Hideto-kun. Ich mag dich gerade nicht los lassen“, erklärte sich der Mann mit den blauen Augen verlegen, aber lächelnd.

„Und ich nicht von dir weg gehen.“

Ein wenig rötlicher im Gesicht als noch gerade, saßen sie da, trauten sich nicht, irgendwas zu tun.

„Uhm... Camiu-kun?“

„Hai?“

„Wür- Würdest du mir einen kleinen Gefallen tun?“

„Natürlich.Was immer du möchtest.“

„Sag...meinen Namen.“ Erwartungsvoll sah der Kleinere auf und in das verwunderte, fesselnde Blau. „Einfach nur meinen Namen, ohne das 'kun'.“ Er wollte wissen wie das klang. Einfach nur wissen, wie es sich anfühlte seinen reinen Namen mit der Stimme dieses Menschen zu hören.

Camuis Mund klappte auf und wieder zu, weil er für den Moment ein wenig sprachlos war von dieser Bitte. Das verschwand jedoch schnell, weil er zu Lächeln begann und liebevoll über die Wange des geliebten Gesichts strich. Sanft raunte er: „Hideto.“

Ein wohliges Zittern durchfuhr den kleineren Körper. So hatte er seinen Namen noch nie gehört. „Das klingt... wundervoll.“

Wenn Camui wollte, dann durfte er ihn den ganzen Tag so rufen. Vertraut bettete er seinen Kopf wieder an dem warmen Körper vor sich. Jetzt, wo diese Wärme ihn und sein Herz umfing, bemerkte er erst, wie sehr sie in seinem Leben gefehlt hatte. Wie mochte es dann erst dem Anderen gehen, der seit vielen Jahren nur Negatives erfahren hatte? Das würde er, so nahm es Hideto sich vor, nun ausgleichen. Aber fürs Erste, sollten sie doch etwas zu sich nehmen. Langsam löste er sich aus den beschützenden Armen und stand auf, hielt seinem Gegenüber eine Hand hin. „Hilfst du mir beim Frühstück machen?“

Camui, der für einen Augenblick unsicher geworden war, durch Hidetos tun, lächelte nun wieder und erklärte sich mit einem Nicken einverstanden. Er ergriff die dargebotene Hand und ließ sich aufhelfen. Doch kaum stand er, krümmte er sich vor Schmerz. Sofort legte er seine Hände an seinen Kopf und schrie. Es lärmte in seinem Inneren. Als wenn jemand mit einem glühenden Eisen darin herumstochern würde.

„Camui-kun! Was ist los?“, rief Hideto panisch, nachdem er den ersten Schrecken überwunden hatte.

Jedoch war jener nicht in der Lage irgendetwas zu sagen. Gepeinigt ging er in die Knie und schrie.

Weil er sich nicht anders zu helfen wusste, schlang der Kleinere seine Arme und drückte ihn fest an sich, hoffte, dass es irgendwie half. In seinen Ohren dröhnten allerdings auch weiterhin die Schmerzensschreie des geliebten Mannes. Was hatte er nur mit einem Mal?

Und dann war es von einem Moment auf den Anderen still. Totenstill.

„Camui-kun?“ Jetzt war er noch fast besorgter um ihn, als vorher.

Was er nicht wusste: Seine Stimme drang nicht zu jenem durch.

Eine Flut an Erinnerungen überschwemmte gerade Camuis Kopf und beraubte seinen Körper jegliche Konzentration, um noch irgendetwas anderes wahrnehmen zu können. So viele Bilder rauschten durch seine Gedanken, sodass er kein einziges zu fassen bekam. Nur das letzte, welches die leuchtende Frau zeigte, die ihm sagte: „Komm bald zu uns zurück, Camui.“

Ohnmächtig sank er in den stützenden Armen zusammen.

Hilflos und von der Situation maßlos überfordert hockte Hideto da, hielt seinen Liebsten fest. „Was ist hier nur los?“ Nur Augenblicke zuvor war doch noch alles so schön gewesen. Vorsichtig legte er Camui auf den Rücken, strich ihm über eine verschwitzte Wange. „Wenn ich dir doch nur helfen könnte.“

Ein Scharren an der Tür schreckte ihn auf. Ein wenig ängstlich rappelte er sich auf und näherte sich dem Gebilde. Was war das nur? Vorsichtig schob er die Shogi auf, konnte aber niemanden davor erkennen.

„Wah!“, erschrocken sprang er zur Seite, als etwas Pelziges seine Beine streifte. Schnell sah er sich um und entdeckte so auch sofort einen Fuchs, der einfach so immer weiter ins Innere des Raumes spazierte. Nein, nicht irgendein Fuchs, sondern der Fuchs. Der, der so auf Camui fixiert war. „Eh?“ Was wollte der nur hier drinnen? War er am Ende eine Art Schutzgeist und damit beauftragt auf den Anderen aufzupassen? Noch verwirrter als vorher und eher mechanisch schob er die Tür wieder zu, ließ die Augen nicht von dem Tier, welches sich vor seinen Augen in einen Menschen verwandelte. Spätestens jetzt verstand er diese Welt nicht mehr. Was, im Namen aller Götter, ging hier nur vor sich?

Der Fuchs-Mensch legte den Kopf etwas schief und sah auf Camui hinab. „Wie lange will er denn noch in dem Zustand bleiben? Seine Erinnerungen sind zurück. Was soll also dieses Theater?“

„Seine...Erinnerungen?“ Was meinte das Wesen damit? Woran sollte sich Camui denn-? „Iie“, hauchte er fassungslos. Dann war der Mann, den er Freund hatte nennen dürfen und den er liebte, wirklich ein Gott? Er hatte es ja bereits geahnt, aber es nun wirklich zu wissen, war schmerzhaft.

Seine Augen richteten sich auf den Ohnmächtigen, der sich langsam zu regen begann. Was würde jetzt passieren? Wie sollte es weiter gehen?

Ein gequälter Laut kam von dem Mann mit den blauen Augen, nachdem er diese geöffnet und gleich wieder zugekniffen hatte. „Mein Kopf.“ Jammernd legte er sich seinen rechten Unterarm über die Augen.

Der Fuchs-Mensch kniete sich neben ihn und senkte ehrfürchtig den Kopf. „Es freut mich, dass Ihr erwacht seid, Camui-dono.“

„Eh?“ Überrascht von der Stimme lugte er unter seinem Arm hervor. „Ah, du bist es Kitsune-kun. Was führt dich hierher?“ Vorsichtig öffnete er die Augen ganz und sah sich um. „Und wo ist eigentlich hier?“ Sich die Stirn reibend sah er sich um. „Was muss das für eine Feier gewesen sein... Ich kann mich nicht erinnern, wie ich hier her gekommen bin. Geschweige denn, was für eine Feier es war und zu welchem Anlass.“ Er heulte auf. „Aber bei meinen Kopfschmerzen war es wohl ein Sake zu viel.“

Stillschweigend schmunzelte das Wesen neben ihm. Der Gott hatte wohl die einen Erinnerungen gegen die Anderen ausgetauscht. Doch es war nicht der Zeitpunkt, um ihn jetzt über alles aufzuklären. Wichtiger war, dass Camui als Gott erwacht war und so schnell wie möglich wieder in die Sphäre der Götter gebracht werden sollte. Auf persönlichen Wunsch Amaterasus hin.

„Wir sind auf der Erde, Camui-dono. Allerdings wird es Zeit aufzubrechen. Die anderen Götter erwarten Euch bereits.“

„Eh? Wieso erwarten? Was ist vorgefallen?“

„Das zu erläutern steht mir nicht zu, Camui-dono.“

„Also gut. Brechen wir auf. Bevor ich mir wieder einen langen Vortrag anhören darf.“ Grinsend stand er auf und streckte sich. Bekam jedoch einen furchtbaren Schreck, als er sich durch seine Haare fuhr. „Nani? Meine Haare! Was ist mit meinen Haaren passiert? Warum sind die so kurz?“ Panisch sah er den Diener an.

„Auch das werdet ihr bei Eurer Rückkehr erfahren. Vorher solltet Ihr Euch jedoch umziehen. Diese Kleidung ist für jemanden Eures Standes mehr als nur unwürdig.“ Mit einem Wink seiner Hand schob sich die Tür zum Schlafraum auf und etwas flog heraus. Es war das Paket mit der edlen Kleidung, dass Camui vor einer Weile erhalten hatte. Der Fuchs-Mensch entnahm den Inhalt und legte alles bereit.

Seufzend ließ Camui die Hüllen fallen. Für seinen Körper schämte er sich nicht und ständig halfen ihm Diener in seine Kleidung.

Hideto unterdessen fühlte sich innerlich leer und zerbrochen. Nicht nur, dass der Mensch, der einen Platz in seinem Herzen inne hatte, eben keiner war, er hatte die letzten Monate, nein, sein ganzes Leben hier auf der Erde, einfach vergessen. Er hatte ihn vergessen. Fassungslos hockte er einfach da und starrte den Gott an. Warum war nach diesen wenigen Augenblicken des Glücks nun alles kaputt? Das war doch nicht fair.

Kurz darauf bekam der Gott seinen Mantel über gelegt und war somit bereit zur Abreise.

„Wenn Ihr noch einen Moment warten würdet, dann rufe ich nur noch schnell Euer Gefährt.“ Mit einer leichten Verbeugung verabschiedete sich das Wesen und schritt hinaus.

Camui, der ihm einen Blick hinterher warf, bemerkte erst jetzt, dass sich noch jemand in diesem Raum befand.

„Oh, ich habe gar nicht bemerkt, dass wir nicht alleine sind. Sumimasen.“ Lächelnd kam er ein paar Schritte näher. „Ist dies hier dein Heim? Tut mir Leid, wenn ich hier einfach eingedrungen bin.“

Der Kleinere war den Tränen nah. Welch Ironie diese Worte doch war. Ja, er war damals hier eingedrungen. Und es hatte ihm da bereits Leid getan. Doch er hat es wieder gut gemacht.

„Viel sagen tust du ja nicht.“ Mit seinem charmanten Lächeln beugte er sich hinab. Vermutlich war der Mensch ein wenig verblüfft davon einem Gott einmal so nah sein zu können. Auch, wenn dieser hier aussah, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Seltsam. „Anô... irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns kennen. Aber ich könnte gerade nicht sagen, woher...“ Bevor er jedoch noch länger darüber nachsinnen konnte, trat der Fuchs-Diener wieder ein.

„Eure Kutsche steht bereit, Camui-dono.“

„Ah, gut“, sagte er, nahm aber nicht den Blick von dem Menschen, der ihn so unverhohlen anstarrte. „Magst du mir noch deinen Namen verraten? Vielleicht weiß ich dann, woher ich dich kenne.“ Wartend sah er ihn an.

Ein paar Anläufe benötigte der Andere schon, ehe er etwas sagen konnte. Zu schwer lastete die Trauer auf ihm. „Watashi wa Hi- Hideto desu.“

„Hideto-san also.“ Glücklich darüber, dies in Erfahrung gebracht zu haben, lächelte Camui noch mehr und richtete sich wieder auf. „Nun denn, Hideto-san. Ich danke dir, dass ich dein Gast sein durfte.“

Mit dem Gespräch fertig, ließ er sich von dem Fuchs noch ein passendes Schuhwerk anlegen, ehe er an ihm vorbei nach draußen Schritt, wo eine blaue und goldene Kutsche auf ihn wartete, die von zwei Kirin gezogen wurde.

Zurück blieb Hideto. Allein. All die Schmetterlinge, die nur Minuten zuvor durch seinen ganzen Körper geflattert waren, tot. Und sobald sich die Shogi nach außen schloss, drückte ihn die Einsamkeit nieder. Bittere Tränen flossen über sein Gesicht und sein Körper krümmte sich zusammen.

Er war allein und leer.

Hatte an einem Tag den Sinn des Lebens gefunden und wieder verloren, noch bevor er richtig angefangen hatte.

Hideto war nicht mehr.

Nur noch allein und leer...

Böser Traum

Grüblerisch sah Camui während der Fahrt aus dem Fenster. Wieso nur hatte er das Gefühl diesen kleinen Menschen zu kennen? Hm, vielleicht, weil er in sein kleines Heim eingedrungen war. Aber da war noch etwas anderes. Je weiter sie sich von diesem Ort entfernten, umso unwohler fühlte er sich.

„Fühlt Ihr Euch nicht wohl?“, hörte er seinen Diener fragen. Schon immer hatte dieser ein sehr feines Gespür für die Stimmungen seines Herrn. Ein nicht zu verachtendes Talent in seiner Position als Berater und Leibdiener.

„Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas will, dass ich dorthin zurück gehe.“

Zu dem Thema schwieg der Diener. Sein Auftrag lautete lediglich Camui-dono nach seinem Erwachen zurück ins Reich der Götter zu bringen. Was dann geschehen sollte, lag nicht in seiner Entscheidung. Ihm entging zwar nicht, dass der Gott ihm gegenüber mit jeden Stück, welches sie sich von der Erde und dem Schrein entfernten, niedergeschlagener wurde, aber darüber sollte er bald hinweg sein.

„Amaterasu-dono wird sehr erfreut sein Euch endlich wieder zu sehen.“

Verwirrt wurde er von einem blauen Paar Augen angesehen. „Wieso wieder? Wie lange ist es denn her, dass sie mich gesehen hat?“

„Mehr als zweihundert Jahre, Herr.“

„Zweihundert Jahre? Du erlaubst dir doch einen Scherz mit mir.“ Geschockt sah Camui seinen Diener an. 200 Jahre... Wie konnten denn so viele Jahre vergehen, ohne dass er es merkte oder sich daran erinnerte?

„Ich fürchte nicht, mein Herr. Aber auch darüber werdet ihr alles erfahren, sobald wir bei Amaterasu-dono eingetroffen sind.“

Noch immer überwältigt von dieser Nachricht starrte der Gott aus dem Fenster und versuchte nun auch darauf eine Antwort zu finden. Genervt hielt er sich den Kopf und stöhnte auf. Von diesem ganzen Grübeln bekam er Kopfschmerzen. Und dann waren da auch noch wieder diese traurigen, braunen Augen des kleinen Menschen. Wie er wohl aussah, wenn er lachte?

Kurz darauf hielten die Kirin vor dem prächtigen Palast der Sonnengöttin.

Gefolgt von dem Fuchs stieg er die Stufen hinauf und an den Wachen vorbei, die ihn ohne weiteres passieren ließen. Er wurde wohl wirklich schon erwartet. Im Inneren des Palastes folgte ihm ein Murmeln und Tuscheln. So, wie sich die niedrigeren Wesen der Mythenwelt verhielten, musste er wirklich lange weg gewesen sein. Nicht, dass sie das nicht auch sonst getan hätten, aber jetzt... war es irgendwie anders. Sie waren aufgeregter, nervöser.

Wenige Schritte vor dem Audienzsaal wurde er angekündigt und als er ihn betrat richteten sich viele Augenpaare auf ihn. Da waren aber etliche seiner Kollegen anwesend. Vor Amatersus Platz machte er Halt und kniete sich nieder.

„Camui, Gott der Musik, ist, wie Ihr es gewünscht habt, zu Euch gekommen.“

Langsam erhob sie sich und schritt anmutig die Stufen zu ihrem Thron hinab. „Ich freue mich, dass du endlich wieder erwacht bist. Wir haben dich sehr in unseren Reihen vermisst.“ Mit einem sanften Lächeln sah sie ihn an und legte eine Hand auf seine Wange. „Du hast dir wirklich viel Zeit gelassen. Jetzt müssen wir noch dringender dafür sorgen, dass die Menschen den Glauben nicht an dich verlieren. Sonst war das lange Warten auf dich vergebens.“

„Amaterasu-dono...“, hauchte er, war aber ein wenig verwirrt. Die Berührung war sanft und sonst hätte er auch alles gegeben, um sie zu bekommen. Jedoch fehlte der wohlige Schauer, der ihn sonst immer überkam. „Verzeiht, dass ich frage, aber war ich wirklich so lange weg? Waren das wirklich zweihundert Jahre?“

Die goldene Göttin zog die Augenbrauen zusammen und sah hoch zu dem Fuchs-Wesen, welches in der Mitte des Saales hockte.

„Sag, was hat das zu bedeuten?“

„Mit seinem Erwachen verlor er die Erinnerungen an die Zeit, die er auf der Erde verbracht hat.“

„Ist das wahr, Camui? Du weißt nichts mehr von deinem letzten Leben als Mensch? Von allen Leben?“ Besorgt sah sie auf den Heimkehrer hinab, hob seinen Kopf an, gab ihm damit die Erlaubnis sie anzusehen. In seinen Augen aber wuchs die Verwirrung immer noch.

„Ich war als Mensch auf der Erde? Aber ich hatte doch erst noch vor hinab zu gehen.“

Bei den anderen Göttern setzte ein Raunen und ein Flüstern ein.

„Iie. Du warst bereits unter ihnen. Du hast einige Leben gelebt. Und heute Nacht bist du wieder als Gott zurück gekommen.“

„Dann.. habe ich also gefunden, was ich gesucht habe?“

Sie lächelte ihn an: „Ja, das hast du.“

Aber wo war es dann?
 

Die Tage vergingen und Camui bekam erst einmal beigebracht, was er verpasst hatte. Zudem musste er seiner Rolle auch wieder gerecht werden. Er reiste durch ganz Japan, Land auf, Land ab. Immer dahin, wo er wohl gebraucht wurde.Gab verzweifelten Musikern kleine Anstöße beim Komponieren, um ihren Glauben an ihn wieder zu festigen.

In den ruhigen Minuten allerdings musste er wieder an die traurigen Augen denken. Weshalb waren sie so traurig gewesen? Sie hatten sich doch gar nicht gekannt. Der Gedanke an diesen Menschen machte ihm das Herz aber auch gleichermaßen leicht, wie schwer.

„Ich muss ihn wiedersehen. Dann kann er mir sicherlich den Grund nennen.“ Entschlossen stand er von seiner Liegestätte auf. Einen kleinen Haken gab es allerdings noch: Die vielen Aufgaben, die er noch erledigen sollte. Ach, er war ein Gott. Wenn er einen kleinen Menschen besuchen wollte, dann tat er das auch.

Er rief einen Diener zu sich und befahl ihm, ein Pferd bereit zu machen für einen Ausritt.

„Darf ich fragen, wo Ihr hinwollt, Herr? Es muss ja noch eine Eskorte für Euch bereit gestellt werden.“

„Nein, du darfst nicht fragen. Außerdem will ich keine Begleiter. Ich reise alleine.“

„Aber... Aber Camui-dono, Ihr-“

„Das Pferd, schnell!“, würgte er das niedere Wesen ab und eilte in sein Ankleidezimmer. Er wollte etwas anderes tragen für seinen Besuch. Sollte es etwas opulenteres sein? Oder schlichter? Unentschlossen stand er vor dem Schrank, ignorierte die aufgeregten Stimmen, der Kammerzofen. Ah, das sah ansprechend aus. Ungeduldig zog er ein nachtblaues Gewand mit silbernen Stickereien und dazu ein paar Hosen in demselben blau heraus.

„Zieht mir das hier an. Und sucht noch etwas passendes dazu heraus. Los!“ Ungeduldig stellte er sich in die Mitte des Raumes und wartete darauf, dass die Frauen mit ihrer Arbeit begannen. Hektisch zogen sie ihm seine jetzige Kleidung aus und legten ihm in Windeseile die gewünschte Neue an, um nicht seinen Zorn auf sich zu ziehen. Kaum hatten sie von ihm abgelassen stürmte Camui aus dem Raum. Er musste jetzt zu diesem Menschen. Seitdem er diesen Entschluss gefasst hatte, drängte etwas in ihm danach aufzubrechen. Vielleicht schaffte er es ja ihn zum Lächeln zu bringen. So gerne wollte er diesen Menschen fröhlich sehen. Wieso und warum konnte er sich nicht erklären, es war einfach nur ein inniger Wunsch seinerseits. Vor dem Hauptgebäude seines Anwesens wartete bereits wie verlangt ein gezäumtes Pferd. Es war ein stolzes, weißes Tier voller Energie, welches bereits ungeduldig tänzelte. Die Dienerschaft drum herum war nervös. Gerade erst war der Gott der Musik wieder gekommen und jetzt wollte er wieder entschwinden? Ohne Begleitung?

All diese Bedenken kümmerten Camui nicht. Bestimmend griff er nach den Zügeln, warf sie über den Pferdehals und stieg in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung in den Sattel.

„Sucht nicht nach mir!“, wies er seine Untergebenen noch an, ehe er in gestrecktem Galopp davon jagte. Mit einem Wink öffnete er am Ende des Hofes ein Riss zwischen ihrer Sphäre und der Welt der Menschen, durch den er hindurch ritt. Erst als er hindurch und der Riss sich wieder geschlossen hatte, fiel ihm ein, dass er ja gar nicht wusste, wo genau sich der Ort befand an den er wollte. Wo er selbst gerade war konnte er zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht sagen, da das Tier ihn durch einen Wald trug, wie sie im ganzen Land wuchsen. Nur erschien ihm dieser hier immer vertrauter. Zumindest seinem Körper, denn er dirigierte den weißen Hengst zielgenau einen Weg entlang, den er bei den vielen Gabelungen sonst nicht so schnell gewählt hätte. Recht bald sah er in der Ferne ein Torii aufleuchten. Sein Herz überschlug sich fast vor Freude. War das ein Zeichen dafür, dass er hier richtig war?

Unzufrieden schnaubte der Hengst, als er ihn auf dem Platz halten ließ. Immerhin hatte er sich gerade erst warm gelaufen. Camui stieg ab und sah sich um, überließ das Tier sich selbst. „Hideto-kun?“, rief er und hoffte, dass er hier wirklich richtig war. Bei seiner Abreise vor einigen Tagen hatte er keinen Blick für die Umgebung gehabt, weshalb er nicht sagen konnte, ob es der richtige Ort war.

„Hideto-kun?“, rief er erneut nach dem Menschen, wartete aber immer noch vergeblich auf eine Antwort. Suchend öffnete er die Shogi, hinter der es ins Innere des Schreins ging. In dem hereinfallenden Licht konnte er eine Person ausmachen, die vor dem Heiligtum saß.

„Hideto-kun?“ Etwas sagte ihm, dass das der Gesuchte war. Doch solange er dessen Gesicht nicht gesehen hatte, wollte er sich nicht sicher sein. Langsam trat er näher ran. Der Mensch dort schien ihn weder gehört noch sonst irgendwie bemerkt zu haben. Vorsichtig ging er um ihn herum und dann vor ihm in die Knie, hob den gesenkten Kopf des Mannes an.

„Du bist es“, sagte Camui, seine Freude währte jedoch nur kurz. Flüsternd fragte er: „Was ist mit dir passiert?“

Die braunen Augen waren stumpf und rot. Seine Haut blass. Die Haare waren ungepflegt, standen strähnig und wirr vom Kopf hab. Und... irrte er sich oder trug er noch dieselbe Kleidung, wie bei seiner Abreise? Fürsorglich strich er über die Wangen des Menschen, spürte eine raue Kruste darauf. Was war das nur? Die Stirn gerunzelt roch Camui an seinen Fingern, zerrieb die weißen Krumen etwas, bevor er sie vorsichtig probierte. Es schmeckte salzig. Aber Salz? Im Gesicht? „Hideto-kun, hast du geweint?“ Bekümmert sah er in die Augen, die er nicht hatte vergessen können.

Ganz langsam kam ein kleiner Funken Leben in sie, weiteten sich etwas als sie ihn zu erkennen schienen.

„Camui? Bist du es wirklich?“

„Anô... Da fehlt zwar noch ein '-dono', aber ich bin es.“

Die braunen Augen fingen an zu funkeln und der kleine Mensch strahlte mit einem Mal übers ganze Gesicht. So sah er also aus, wenn er glücklich war. Plötzlich fiel ihm der Mann um den Hals, schmiegte sich an ihn und brachte schluchzend hervor: „Du bist wieder da.“ Immer wieder murmelte er es.

Überrascht und auch überfordert saß Camui da. Er war es nicht gewohnt, dass man so mit ihm um ging. Schon gar nicht ein einfacher Mensch. Und warum weinte dieser hier jetzt wieder? Was machte man da nun? Unbeholfen legte er seine Arme und den zerbrechlichen, sterblichen Körper.

„Ich hatte einen bösen Traum, Camui“, begann das kleine Wesen zu murmeln.

„Ei- Einen bösen Traum?“

Hideto nickte und fuhr dann fort: „In diesem Traum bist du als Gott erwacht. Und du hattest alles vergessen. Dein ganzes Leben. Und all die Monate, die du hier bei mir verbracht hast.“ Kurz schluchzte er etwas stärker. „Du hattest auch mich vergessen. Dabei... Aber das ist ja jetzt egal. Du bist wieder hier und alles war nur ein böser Traum.“ Glücklich drückte sich Hideto noch etwas mehr an den Mann vor sich.

„Etô... Hideto-kun, das... das war kein Traum.“

Das Schluchzen stockte.

„Ich bin der Gott Camui und ich habe vergessen, dass ich eine Zeit lang unter euch Menschen gelebt habe. Es war kein Traum.“

Geschockt löste der Mensch sich von dem Hals des Gottes und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

„Das war kein Traum“, wiederholte der Blauäugige und beobachtete genauestens jede Reaktion des Mannes. Schlagartig entfernte dieser sich von ihm, starrte ihn mit einer Mischung aus Unglaube und Verzweiflung an, suchte nach Worten, die er aber nicht fand. Dann verdrehten sich seine Augen und er sank ohnmächtig zusammen. Den Boden erreichte er jedoch nicht, denn vorher fing Camui ihn aus einem Instinkt heraus auf. Wobei er sich auch nicht ganz erklären konnte, weshalb.

„Und was mache ich jetzt mit ihm?“

Herzen erinnern sich

Menschen waren etwas seltsames. Vor allem dieser hier. Erst war er gar nicht ansprechbar, dann freute er sich und wagte es auch noch ihn ohne Erlaubnis zu berühren. Und am Ende brach er einfach zusammen. All das aus schier unersichtlichen Gründen. Weil er nicht wusste, was er anderes hätte tun sollen, hatte er den hageren Körper in den Raum getragen, in dem er vor wenigen Tagen die Augen geöffnet hatte. Nun kniete er grübelnd neben Hideto, betrachtete dessen blasses Gesicht. Beim letzten Treffen wirkte er noch gesünder. Er wusste nichts über das Leben, das jener führte, doch ein Gefühl sagte ihm, das es irgendwie aus dem Ruder gelaufen war. Die Stirn in Falten gelegt kratzte er sich am Hinterkopf. Lag es vielleicht daran, dass er hier gewesen war?

„Wach auf, Hideto-kun. Ich muss mit dir reden. Ich hab so viele Fragen, die du mir beantworten musst. Hörst du? Musst!“ Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust und starrte weiter auf den bewusstlosen Mann, murmelte: „Du musst.“

Er war den weiten Weg doch nicht hergekommen, um jetzt hier zu sitzen und den Aufpasser zu spielen.

„Camui“, hörte er es plötzlich leise wimmern. Hidetos Gesicht verzog sich zu einer verzweifelten Fratze und Tränen lösten sich aus den geschlossenen Augen. „Geh nicht weg. Geh bitte nicht weg.“

„Hideto-kun?“ Besorgt ergriff Camui die ausgestreckte Hand. „Ich bin doch hier. Und so schnell wollte ich doch auch gar nicht gehen. Aber du verwendest immer noch nicht die richtige Anrede, wo du doch nur ein Mensch bist.“ Er versuchte tadelnd zu klingen, aber es gelang ihm nicht so recht, weil die Sorge in ihm überwiegte. Sanft strich er über eine der eingefallenen Wangen. „Ich bin noch hier, Hideto-kun.“ War das einer dieser bösen Träume, von denen er vorhin gesprochen hatte? „Wach auf. Ich muss mit dir reden.“ Außerdem fühlte er sich gerade richtig hilflos. Ein Gefühl, dass ihm absolut nicht behagte. Die Hand verschwand von der Wange und rüttelte den Kleineren stattdessen an der Schulter. Irgendwie musste er ihn wach bekommen. „Hideto-kun!“

Erschrocken riss der Kleinere die Augen auf, starrte für einige Augenblicke an die Decke, bis ihm die Wärme an seiner Hand auffiel. Verwundert sah er hinab und dann zur Seite, musste schlucken, als er das vertraute Gesicht sah, welches ihn so freudig anstrahlte. Kurz zuckten auch seine Mundwinkel nach oben, aber dann fielen ihm wieder all die traurigen Dinge ein. Das hier war nicht mehr sein Camui. Sein Camui hatte ihn vergessen und zurück gelassen. Damit ihn der Gott nicht weinen sah, wandte er den Kopf ab und hielt sich seine freie Hand vor den Mund.

„Hideto-kun?“ Was war denn jetzt wieder? Neugierig behielt der Gott die Hand in seiner linken, beugte sich aber über den zierlichen Körper. „Was hast du?“

Überrascht, weil die Stimme so nah gewesen war drehte sich Hideto wieder um und blickte direkt in dieses fesselnde Blau.

„Warum bist du nur so traurig? Vorhin hast du gelächelt, als du mich erkannt hast. Das war ein schöner Anblick.“ Der Größere grinste. „Eigentlich war ich nur deswegen wieder auf die Erde gekommen. Um mal zu sehen, wie du aussiehst, wenn du glücklich bist. Dein trauriger Blick bei unserem Abschied ging mir nicht aus dem Kopf. Vor allem, weil er mir nicht gefiel.“

Der Mensch unter ihm schnappte kurz nach Luft, sah dann aber wieder zur Seite. „Du... Ihr hättet nicht herkommen dürfen. Das war falsch.“

„Nani?“ Verwirrt sah er hinab, betrachtete das, was er vom Gesicht sah. „Du willst mir vorschreiben, was ich tun darf und was nicht?“ Schmollend hockte er weiter über dem Sterblichen. „Sag mir wenigstens, warum du dieser Meinung bist. Das ist ein göttlicher Befehl, hörst du? Ich habe auch so noch genug Fragen an dich, die du mir beantworten sollst.“ Weil ihm die Position etwas unbequem wurde richtete er sich auf und zog den entkräfteten Körper mit sich. „Hm“, machte er, als er sah wie der Andere selbst im Sitzen mit dem Gleichgewicht kämpfte. „Was hast du eigentlich in den letzten Tagen gemacht, dass du so aussiehst?“

Betroffen biss sich Hideto auf die Unterlippe. Er konnte dem Gott doch nicht sagen, dass er ihm das Herz zerrissen und er seit dem keine Kraft mehr für die alltäglichen Dinge, wie Essen und Hygiene inne gehabt hatte. Getrunken hatte er auch nur, weil er von den vielen Tränen so ausgetrocknet war. Er konnte ihn doch unmöglich damit konfrontieren, dass sie sich wenige Augenblicke, bevor er erwacht war, noch gegenseitig ihre Liebe gestanden hatten. Niemals würde er es ihm glauben.

„Hast du vor Hunger deine Zunge verschluckt?“

Schuldbewusst warf der Sterbliche einen flüchtigen Blick zu dem geliebten Gesicht. Länger durfte er nicht, denn sonst wurde er sich einerseits bewusst, was er verloren hatte, andererseits durfte man einen Gott nicht ohne dessen Einverständnis ansehen.

Seufzend legte der Blauäugige seine Linke unter das Kinn seines Gegenübers und zwang ihn dazu seinen Kopf zu drehen. „Muss ich dir erst befehlen mit mir zu reden?“ Aber auch auf diese Frage erhielt er nur Schweigen. „Du bist wirklich anstrengend.“ Ratlos zog er seine Hände zurück, begab sich in den Schneidersitz und stütze sein eigenes Kinn auf seiner Rechten ab. Die andere Hand stellte er auf sein anderes Knie. Allmählich wurde er schon sauer. „Warum willst du mich ärgern? Was habe ich dir getan? Wir kannten uns, als ich noch dachte, ich sei ein Mensch, nicht wahr?“ So ruckartig wie sich Hideto zu ihm gewandt hatte und den großen Augen zufolge, hatte er da wohl ins Schwarze getroffen. „Aha! Wir kannten uns also, bevor ich erwacht bin. Deswegen hatte ich das Gefühl, dich schon mal gesehen zu haben.“ Camui schöpfte neue Hoffnung. Gut möglich, dass er seine Antworten jetzt endlich bekam. Aufgeregt ergriff er die Oberarme des Menschen und drehte ihn zu sich. „Erzähle es mir. Erzähle mir, was ich vergessen habe. Ich- Ich habe von den anderen Göttern nur eine Kurzfassung über die wichtigsten Ereignisse in den letzten zweihundert Jahren erhalten. Aber ich will Details zu meinen Leben als Mensch. Gerade zu dem letzten Leben muss ich vieles wissen.“ Mit leuchtenden Augen sah den Kleineren an. „Was ist passiert, dass ich mich wieder an dieses Ich hier erinnere? Was? Sag es mir!“

Nach einer kurzen Schrecksekunde, in der er von dem Kleineren tatsächlich angesehen wurde, senkte jener wieder traurig den Blick.

Gerade wollte der Gott noch mal nachhaken, da fand der Mensch doch seine Stimme wieder. „Ihr habt mich angelogen.“

„Eh?“

„Vor über einem halben Jahr fand ich Euch schwer verletzt im Inneren des Schreins. Ich habe mich um Euch gekümmert. Nachdem heraus kam, dass Ihr ein Dieb wart, habt Ihr mir versprochen, dass Ihr damit aufhört und Euch ändern werdet, wenn ich Euch helfe.“ Das Sprechen fiel ihm schwer. Sein Hals war trocken und rau von den vielen Tränen, die er vergossen hatte. „Doch als Ihr vor einigen Tagen erwacht und gegangen seid, da habt Ihr etwas mitgenommen, was nicht Euch gehörte. Das macht Euch erneut zu einem Dieb.“

Camui ließ seine Hände sinken, versuchte die Worte zu verstehen. Was könnte der Mensch nur meinen? Ganz bestimmt hatte er nichts mit sich genommen, was ihm nicht gehört hatte. Als er gegangen war, hatte er seine eigene Kleidung getragen und sonst hatte er nichts bei sich gehabt, was nicht sein Eigentum gewesen war.

„Du irrst dich, Hideto-kun, ich habe nichts gestohlen.“ Wieder drehte er das Gesicht des Anderen zu sich. „Aber erzähl mir mehr von diesem Leben. Von den letzten Monaten. Von allem, was du weißt. Ich war nämlich ein Mensch, weil ich etwas gesucht habe. Die anderen Götter sagen, dass ich es gefunden habe, aber es war nicht bei mir, als ich zu ihnen kam. Wenn ich mich also wieder an die Zeit als Mensch erinnere, dann finde ich es bestimmt noch einmal.“ Sanft lächelnd strich er über eine der blassen Wangen, woraufhin der Kleinere die Augen schloss, sich wohl aber nicht recht entscheiden konnte, ob er erneut weinen oder diese Berührung einfach nur genießen wollte. „Du kannst mir dabei helfen, Hideto-kun. Das weiß ich“, flüsterte er. Dieser kleine Mensch... Er sah gerade so traurig und auch so zerbrechlich aus, dass der Gott ihn am liebsten in einen Käfig stecken wollte, damit ihm niemand weh tat. „Natürlich sollst du es nicht umsonst tun. Wenn du mir hilfst und ich wiedergefunden habe, was ich verlor, dann... dann gebe ich zurück, was ich dir genommen haben soll. Einverstanden?“

Die braunen Augen öffneten sich und ein schwacher Funke Hoffnung schimmerte in ihnen.

„Hilfst du mir nun?“

„H-Hai“, kam es kratzig von dem Kleineren, was Camui wieder übers ganze Gesicht grinsen ließ. Kein Wunder, immerhin hatte er gerade seinen Willen bekommen.

„Hervorragend. Dann fang an. Sag mir, wie wir uns kennen gelernt haben. Du sagtest eben, dass ich verletzt war. Dôshite? Und ich war wirklich ein Dieb?“

Überrumpelt von den vielen Fragen wich Hideto etwas zurück. Wo sollte er da nur anfangen? Zumal er schon jetzt bereute sich einverstanden erklärt zu haben. „Wir trafen uns“, begann er, brach aber schnell wieder ab, weil sein Hals zu sehr schmerzte. Besorgt legte er eine Hand an seine Kehle. So brachte er kaum mehr ein Wort heraus.

„Anô... Was hast du? Was ist mit deinem Hals?“

„Schmerz...“

„Willst du etwas trinken?“ So ein Pech. Gerade, als der Andere anfangen wollte zu reden, versagte dessen Stimme. „Gut, dann sollst du einen Tee bekommen.“ Camui wandte sich um und wollte nach einem Diener rufen, als ihm auch schon wieder einfiel, dass sie hier ja alleine waren. „Ah, ich vergaß...“ Was nun? Er wusste nicht, wie man das machte. „Würde es auch ein Schluck Wasser tun?“

Hideto nickte, weil er sich wegen der Schmerzen nicht traute, den Mund auf zu machen. Jedoch wusste er, im Gegensatz zu dem Gott, dass sich in dem Raum keines mehr befand und erst Neues aus dem Brunnen draußen geholt werden musste. Er beobachtete, wie der Andere sich erhob und in dem Raum umsah. Kurz darauf hob er einen Arm und zeigte nach draußen. „Brunnen.“

„Ehhh? Ich muss das erst noch von draußen holen?“ Ungläubig sah er den Menschen an, welcher nur sacht nickte. Wild gestikulierte er herum, bevor tief durch atmete. „Während ich hier gelebt habe, habe ich das oft gemacht, oder? Wasser aus dem Brunnen holen?“ Ein Seufzen kam über seine Lippen, als er das Nicken sah. Dass er ihn anlog glaubte er nicht. „Nun, da du aussiehst, als könntest du heute keine drei Schritte von alleine tätigen, werde ich mich um das Wasser kümmern. Dafür wirst du dann aber gleich einen Tee kochen.“ Gespielt eingeschnappt, nahm er einen leeren Krug an sich und verließ den Raum.

Zurück blieb ein Mensch, welcher reichlich verwirrt war von seinem eigenen Handeln. Warum hatte er plötzlich noch die Hoffnung gehabt, dass sein Camui wieder zu ihm zurück kehren könnte? Er war nun wieder ein Wesen, dass weit über ihm stand und als solches würde es diese zerschmetterte Liebe nie erwidern. Gleichzeitig machten es ihm diese Augen auch noch so unglaublich schwer. Zu ihnen konnte er nicht 'Nein' sagen.

'Sei nicht dumm, Hideto. Selbst wenn er sich erinnert. Der Mann, den du gerade angefangen hattest zu lieben, den gibt es nicht mehr. Und es wird ihn auch nie mehr geben.'

„Nie mehr“, seufzte er und versucht die erneute Trauer zu unterdrücken. Er musste Tee vorbereiten. Das war die Anordnung eines Gottes. Einem, den er besser nicht weiter ärgern sollte. Mit zittrigen Beinen stand er auf. Das war eindeutig die Rache dafür, dass er in den vergangenen Tagen nichts zu sich genommen hatte. Aber in seinem Schmerz hatte er einfach keinen Bissen zu sich nehmen können. Lange stand er jedoch nicht auf den Beinen, da ihm schlichtweg die Kraft dazu fehlte. Erschöpft sackte er zusammen. Aufgebracht schlug er mit der Faust auf den Boden. Jetzt war er zu allem Überfluss auch noch zu schwach, um ein paar Schritte zu tun.

„Was machst du da?“ Überrascht sah er auf, als er die Stimme vernahm, senkte aber gleich wieder den Blick, da es sich ja so gehörte. Außerdem konnte er dieses Gesicht nicht sehen, ohne dass sein Herz sich in noch kleinere Fetzen riss. „Ich... Ich wollte... den Tee vorbereiten.“

„Wolltest?“, fragte der Größere und stellte den gefüllten Krug neben dem Sterblichen ab, ehe er sich zu ihm hockte. „Aber es gibt da ein Problem, hm?“

„H-Hai...“

„Welches denn?“ Eindringlich musterte er den Mann. Zitterte er etwa? „Hideto-kun, sag mir die Wahrheit: Was ist los?“ Sanft zog er ihn in eine aufrechte Position, aber als er ihn wieder los ließ, drohte er umzukippen. „Du bist wirklich schwächlich“, murmelte er und hielt ihn wieder fest.

„Go-Gomen nasai.“ Dem Menschen war das furchtbar unangenehm. Verstärkt wurde dieses Gefühl dann auch noch, als sich sein Bauch beschwerte.

„Was war das?“, neugierig legte der Gott seinen Kopf etwas schief. Das gerade war ein Geräusch, welches ihm zwar bekannt vorkam, aber er nicht zuordnen konnte.

„Bauch.“ Kurz musste er husten, weil das Sprechen so in seinem Hals kratzte. „Hunger“, fügte er noch hinzu, um die ungestellte nächste Frage zu beantworten.

„Hast du denn nichts zu essen hier?“

„Doch.“

„Und warum nimmst du dann nichts zu dir? Du bist wirklich seltsam.“ Camui fühlte sich traurig. Was war der Grund, weshalb sich dieser Sterbliche so zugrunde richtete? „Jetzt muss ich dir wohl auch noch was kochen, hm? Kann ich das denn? Also, hab ich das während meiner Zeit hier auch gemacht?“

Der kleine Japaner schüttelte langsam den gesenkten Kopf, zeigte auf sich. Das Sprechen tat einfach immer mehr weh und strengte an. Wie sehr ihn diese wenigen Tage doch verändert hatten. Er hatte seinem Kummer erlaubt ihn nach und nach aufzufressen. Aber nie hätte er damit gerechnet, dass er dieses Gesicht noch einmal in seinem Leben sehen durfte. Mit einem schwachen Seufzen erlaubte er sich, sich gegen den Anderen fallen zu lassen.

Ein wenig ratlos schloss Camui seine Arme um ihn. Sie saßen ganz offensichtlich in einer Zwickmühle. Er wollte Antworten, konnte aber keine bekommen, solange dieser Mensch so geschwächt war. Ihm aber etwas zu Essen und zu Trinken machen konnte er selbst nicht, da es sein ganzes Leben lang für ihn gemacht worden war. Und derjenige, der es gerade machen könnte, hatte eben nicht die Kraft dazu.

„Da gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit“, murmelte er und schob den Mann wieder etwas von sich. Mit einer Hand umschloss er den Kiefer des Kleineren und hob seinen Kopf an. „Artig mitmachen, hörst du?“ Seine Finger übten etwas Druck auf die Wangen aus, woraufhin Hideto automatisch seinen Mund öffnete.

'Was hat er vor?' Ein wenig ängstlich sah er in das geliebte Gesicht, welches sich seinem näherte. Wenn da nur nicht wieder dieses sanfte Blau wäre, in welchem er sich abermals verlor. Hinfort gewischt war die Angst, weg war der Kummer. Er vertraute ihm. Immer noch. Auch, wenn er nicht sagen konnte, warum. Dann spürte er die fremden Lippen auf seinen. Sofort schlossen sich seine Augen und durch seinen ganzen Körper fuhr dieses fantastische Kribbeln. Seine Hände krallten sich in den Kragen des Gewandes, welches Camui trug. Irgendetwas wurde ihm in den Mund geschoben. Es war rund und warm, ließ alles prickeln. Der Druck auf seinen Kiefer wurde schwächer, was es ihm leichter machte diesen unbekannten Gegenstand zu schlucken. Keuchend löste er sich mit einem Ruck von dem Gott, als es überall in ihm so prickelte. Aber es war nicht unangenehm. Er fühlte sich mit einem Mal auch nicht mehr so müde.

Mit einem Lächeln beobachtete Camui den Kleineren. „Das war etwas von meiner Energie. Immerhin will ich nicht, dass du stirbst, bevor du mir nicht alles erzählt hast, was ich wissen will.“ Sanft strich er dem Menschen über die Wange und etwas durch das zerzauste Haar. Jetzt sah er schon etwas gesünder aus. Die braunen Augen sahen ihn an, spiegelten den Unglauben wieder. „Jetzt solltest du dich wieder auf den Beinen halten können“, sagte er und grinste. Was ihm allerdings schnell wieder verging, denn der Mensch schlang seine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Völlig überrumpelt hockte der Gott da, wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Noch nie war er so geküsst worden. Schon gar nicht von einem einfachen Sterblichen. Durften die das überhaupt? Während sein Kopf noch weiter nachdachte, agierte sein Körper wieder einmal von alleine. Seine Arme drückten den anderen Körper eng an seinen eigenen, wollten ihn nie wieder gehen lassen. Den hungrigen Kuss erwiderte er und allmählich breitete sich ein flattriges Gefühl in seinem Bauch aus. Woher kam das nun wieder? Dazu raste sein Herz.

Dominant wanderte eine Hand in Hidetos Haar und krallte sich etwas an dessen Hinterkopf fest. Dem Menschen sollte ja nicht einfallen diesen Kuss zu unterbrechen.

„Camui-dono? Seid Ihr da drin?“

Nicht zu fassen. Jetzt war ihm dieser aufdringliche Fuchs schneller auf die Spur gekommen, als ihm lieb gewesen war.

Kurz löste er seinen Mund von dem anderen, rief laut über die Schulter: „Nein!“, ehe er sich wieder dem Mann vor sich zuwandte, dessen Lippen erneut einfing. Diese Beschäftigung gefiel ihm viel besser, als das, was ihn sonst erwartete.

Laut ratternd öffnete sich die Shogi hinter ihnen. Das war doch pure Absicht. Sichtlich verstimmt ließ er erneut von dem Anderen ab und warf einen bösen Blick nach hinten zu dem Eindringling.

„Du störst. Gewaltig.“

„Verzeiht mir, Camui-dono. Doch ich musste Euch finden. Es gibt noch sehr viel für Euch zu tun, um die Menschen wieder stärker an Euch glauben zu lassen. Außerdem will Euch Aizen Myoo-dono gerne sehen. Er meint, dass er etwas mit Euch besprechen müsste.“

„Und das kann nicht noch etwas warten?“

„Ich fürchte nicht, Herr.“

Seufzend löste er sich von dem Menschen, rieb sich die Stirn. „Was will der nur von mir?“ Bedauernd sah er den Kleineren an: „Scheint, als ob ich mich bereits verabschieden müsste. Dabei hab ich nichts von dem erfahren, weswegen ich hergekommen war.“ Sanft strich er ihm wieder über die Wange. „Aber das holen wir nach. Glaub ja nicht, dass ich so leicht aufgebe.“ Ihm stand deutlich ins Gesicht geschrieben, dass er noch nicht zurück und an seine Arbeit gehen wollte. Kurz strich er sich über seine Kleidung, um sie zu richten, ehe er auf seinen wartenden Diener zu ging. „Elender Spielverderber“, knurrte er im vorbei gehen, hielt auf der Schwelle nach draußen noch einmal inne, um sich Hideto zuzuwenden. „Ich komme bald wieder. Versprochen. Pass du nur in der Zwischenzeit besser auf dich auf, verstanden?“

„Hai“, flüsterte der Sterbliche und nickte, während er ihm noch nach sah. Für einige Momente starrte er noch die verschlossene Tür an, dann lief er dunkelrot an, als ihm in vollem Ausmaß bewusst wurde, was da eigentlich gerade geschehen war. Wie hatte das nur passieren können? Aber die Art, wie Camui ihn immer wieder angesehen und auch berührt hatte... Es hatte ihn schon sehr an seinen lieb gewonnen Freund erinnert.

„Camui“, flüsterte in die Stille des Raumes und berührte seine Lippen. Dieser Kuss... Als ob sich etwas in dem Gott noch an die Gefühle erinnerte, die er als Mensch gehabt hatte. „Lass mich nicht zu lange warten, Camui.“

Sehnsucht

Schlecht gelaunt betrat er sein Anwesen und stürmte in seinen Audienzsaal, wo er bereits von dem anderen Gott erwartet wurde.

„Fasse dich kurz, Aizen Myoo. Du hast mich bei etwas Wichtigem unterbrochen.“ Wütend ließ er sich auf einer Liege mit vielen Kissen nieder.

„Willst du etwa frech werden?“, knurrte der ältere Gott und nahm einen Schluck von dem Tee, den man ihm vor einer kleinen Weile gebracht hatte. „Ich bin hergekommen, weil ich will, dass du auf die Erde zurück gehst.“

„Nani?“ Camui glaubte sich verhört zu haben und setzte sich wieder auf.

„Ganz recht. Ich will, dass du auf die Erde gehst. Der Mensch, Hideto, bei dem du die letzte Zeit in deinem Dasein als Sterblicher verbracht hast, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich verlange von dir, dass du zu ihm gehst und das wieder in Ordnung bringst.“

„Und deswegen musste ich hierher zurück kehren?“, fauchte Camui und funkelte seinen Gegenüber wütend an. „Ich war auf der Erde! Ich war bei Hideto-kun! Weil ich von ihm wissen wollte, was mir von euch allen keiner erzählen will! Ich bin damals auf die Erde gegangen, um die Liebe zu finden. Und ich muss es wohl auch, sonst wäre ich nicht wieder hier!“ So in Rage geredet war er wieder aufgesprungen. Seine Stimme war immer lauter geworden und er hatte sich mit seinen Worten beinahe überschlagen in seiner Wut. Sein Atem ging etwas schwerer, dafür war er nun schon etwas ruhiger. „Ich habe die Liebe gefunden und samt meinen Erinnerungen verloren. Jetzt will ich sie wieder haben. Mitsamt dem Wissen, wie es sich anfühlt.“ Geknickt ließ er die Schultern hängen und sah zu Boden. „Sonst waren doch die zweihundert Jahre umsonst.“

„Dann solltest du bald wieder zu Hideto-kun zurück gehen. Er wird dir wirklich helfen können.“

Wieder wütend sah der Gott der Musik auf. „Ihr könntet mir auch alle mal erzählen, was war. Ich sehe es jedem von euch an: Ihr wisst es! Warum also wollt ihr nicht darüber reden?“

„Weil die Wahrheit ist“, begann der etwas beleibtere Gott, „dass wir dich nach deinem ersten Tod verloren hatten.“

„Wie bitte?“ Camui traute seinen Ohren nicht.

„Dein erstes Leben war bereits ein recht kurzes. Bereits nach zehn Jahren bist du an Hunger gestorben. Wir versuchten zwar deine Wiedergeburt zu finden, aber es gelang uns nicht. Erst als du diesen kleinen Schrein betreten hattest, fanden wir dich wieder. Seit dem haben wir dich nicht mehr aus den Augen gelassen. Und dass die Anderen dich dazu drängen, den Glauben an dich zu festigen, liegt daran, dass wir einige unserer Brüder und Schwestern verloren haben. Jeder von ihnen war einer zu viel. Jetzt wollen wir natürlich nicht, dass wir dich erneut und für immer verlieren. In den Augen der Anderen hat dein Überleben die höhere Priorität.“

Sprachlos hatte sich Camui wieder auf seine Liege fallen lassen, starrte seinen Gegenüber gedankenverloren an. Nun verstand er so ein wenig die Angst, die die Anderen um ihn haben mussten.

„Aber warum willst du dann, dass ich mich erst einmal um Hideto-kun kümmere?“ Das war so ein Punkt, der ihm nicht so ganz einleuchtete. „Solltest du denn nicht auch dafür sein, dass ich mein unsterbliches Leben noch eine Weile behalte?“

„Oh, das bin ich auch“, erwiderte der Besucher und nahm sich etwas von den Zuckerkeksen. „Aber ich bin nun einmal auch der Gott der Liebe und als solcher kann ich mir nicht ansehen, was mit dem armen Kerlchen da unten passiert.“

„Heißt das, er leidet, weil er liebt?“ Das verstand Camui nicht. Er hatte gehört, dass Liebe etwas schönes und wundervolles sein sollte. Deswegen sehnten sich doch so viele danach.

„Ja, das tut er. Weil er die Person, die er liebt fort ist.“

„Ist sie gestorben?“, fragte Camui vorsichtig nach. Konnte der Mensch das gemeint haben, als er sagte, er hätte etwas verloren? Aber er hatte niemanden mit sich genommen, als er von dort weg ging.

„Frag ihn das lieber.“

„Wenn er mir denn auch mal antworten würde“, seufzte Camui und lehnte sich nach hinten in die Kissen. „Menschen sind kompliziert. Und anstrengend.“ Seine Gedanken kehrten zu dem Mann zurück, den er gerade erst besucht hatte. An das blasse Gesicht und den ausgemergelten Körper. „Und schwach.“, ergänzte er leise. Wenn er nur deshalb so aussah, weil er sich so sehr von einem Gefühl kontrollieren ließ, dann war er schwach.

„Deswegen brauchen sie auch unseren Schutz.“
 

Mit der Energie, die er von Camui erhalten hatte, war Hideto wirklich in der Lage sich ein wenig um sich selbst zu kümmern. Mit dem Wasser, welches jener geholt hatte, kochte er sich zunächst etwas Reis, welchen er anschließend mit etwas von seinem eingelegten Gemüse aß. Der Kuss hatte ihm Hoffnung gegeben. Hoffnung, aus der sein Herz und seine Seele neue Kraft schöpften. Wenn er dem Gott wirklich wieder begegnen sollte, dann wollte er ihm alles erzählen. Alles, was er wissen wollte.

Nach einem längst überfälligen Bad nahm er sich der Arbeiten an, die liegen geblieben waren.

All die Sachen, die er sonst tagtäglich gemacht hatte, gaben ihm jetzt ein Gefühl von Sicherheit. Da war nur ein großer Nachteil: Die Stille. Nirgendwo befand sich noch jemand, der sich mit ihm unterhielt oder selbst mit etwas beschäftigt war. Hier war nur er. Ganz allein er. Wie merkwürdig es ihm erschien. Seufzend sah er hinauf in den grauen Himmel, der sich auf die baldige Nacht vorbereitete.

„Komm bitte bald zurück, Camui.“

„Ah, Hideto-san.“

Überrascht drehte sich der Angesprochene um und erblickte den Inhaber der Papiermacherei, in der der erwachte Gott bis vor einigen Tagen gearbeitet hatte.

„Inamoto-san. Konbanwa“, begrüßte er den etwas älteren Mann. „Was kann ich für Sie tun?“

„Konbanwa“, erwiderte der Besucher und kam vor dem Hüter des Schreins zu stehen. „Ich wollte nur kurz nach Camui-kun sehen und mich nach seinem Arm erkundigen. Wo ist er?“

In Hideto verkrampfte sich alles. An diese Konsequenzen hatte er gar nicht gedacht. „Anô... Er ist nicht mehr hier.“

„Eh? Wie darf ich das verstehen?“

Ein erneutes Seufzen kam über die Lippen des Jüngeren. „Ich denke, ich sollte Ihnen das bei einer Tasse Tee erklären. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“
 

„Bei allem Respekt, Hideto-san, aber was Sie mir da erzählen klingt reichlich fragwürdig. Götter kommen nicht einfach so zu uns und geben sich als Mensch aus. Und sie vergessen ihre wahre Herkunft nicht. Da bin ich mir sicher.“ Ungläubig schüttelte Inamoto seinen Kopf.

Der Schrein-Hüter hatte seinem Besucher eine Kurzfassung der Geschehnisse erzählt. Wobei er allerdings den Grund für Camuis Erwachen etwas abgewandelt hatte. Es musste ja niemand wissen, dass sie im Begriff gewesen waren ein Liebespaar zu werden.

„Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde ich eine Geschichte wie diese auch nicht glauben können. Doch das tat ich, weshalb ich Ihnen leider versichern kann, dass Camui-kun nicht mehr bei Ihnen arbeiten wird.“

Etwas mürrisch sah der ältere Japaner in seine Teetasse, strich sich über seinen gepflegten Bart. „Das ist sehr bedauerlich. Er war wirklich eine Hilfe in meiner Werkstatt. Und beliebt bei meinen anderen Arbeitern.“ Es folgte ein Seufzer, ehe er seinen Tee leerte und die Tasse auf den Boden stellte. „Dann wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als mir jemand Neuen suchen zu müssen.“

„Das werdet Ihr wohl“, stimmte Hideto wehmütig zu. Er sehnte sich zurück in diese starken Arme, die Schutz und Halt versprochen hatten. Wollte sich weiterhin in diesen faszinierenden, blauen Augen verlieren, die ihn sich besonders fühlen ließen. Wann genau hatte er eigentlich begonnen sich in der Nähe dieses Mannes so wohl zu fühlen? Und ab welchem Punkt war es dann Liebe geworden? Er wusste es nicht.

„Was habt Ihr, Hideto-san?“

„Eh? Uhm.. Ach nichts. Ich... Ich bin es nur nicht mehr gewohnt allein hier zu sein. Das ist alles.“

Nachdenklich wurde er von dem Papiermacher betrachtet. „Sucht Euch doch eine Frau und heiratet. Ihr seid in dem besten Alter dafür.“

„Eh?“ Kurz konnte er nicht glauben, was er da hörte. Heiraten? Nun, für alle anderen war es wohl das Normalste der Welt. Doch für ihn kam es nicht in Frage. Nicht, wo er doch gerade sein Herz an einen Dieb verloren hatte. Dennoch murmelte er: „Vielleicht habt Ihr recht.“

„Nun, es bleibt Eure Entscheidung, Hideto-san. Ich werde mich für heute jedenfalls von Euch verabschieden.“ Mit diesen Worten erhob sich Inamoto und wurde nach draußen begleitet.

Nach einer kurzen Verabschiedung, sah Hideto wieder seufzend in den Nachthimmel. Doch jetzt noch weiter zu trauern brachte ihm nichts. Es würde nichts ändern.

„Zeit, die Lichter an zu machen“, sagte er zu sich selbst. Es würde ihn zwar nicht annähernd von seiner Sehnsucht ablenken, aber es war immer noch besser, als gar nichts zu tun.
 

Am Abend bemerkte er erst zu spät, wie er aus reiner Gewohnheit zwei Futon ausgebreitet hatte.

„Wenn man mit den Gedanken woanders ist“, seufzte er und sah auf die beiden Betten hinab. Nach einem kurzen Zögern legte er langsam sein eigenes Bettzeug zusammen und verstaute es wieder in dem Schrank. Sacht strich er über die Decke, mit der Camui sich des Nachts immer warm gehalten hatte.

„Ich sollte es nicht tun, aber...“ Mit einem leichten Lächeln nahm er sie an sich, vergrub sein Gesicht in dem Stoff. Da war er wieder, der vertraute Geruch.

„Camui...“ Jetzt ging es ihm wieder besser. Zwar würde das Bettzeug bald seinen Duft verlieren, doch für den Moment linderte es die Sehnsucht.

Wiedersehen

„Wohin muss ich als nächstes, wenn es nach deinem dummen Plan geht?“, fragte Camui, erschöpft von den vielen Reisen in den vergangenen drei Tagen. Kaum zu glauben, dass es so viele unglückliche Musiker gab. Dann gab es immer noch wieder Treffen mit den anderen Göttern, die ihn nach der langen Zeit persönlich hatten sehen wollen.

Sein Blick war nach draußen gerichtet, aber da es dort nichts als Wolken zu sehen gab, fokussierte er nicht richtig.

Mit einem zurückhaltenden Grinsen sah das Fuchswesen auf seine Schriftrolle und berichtete, dass es nur noch einen einzigen Termin für heute gab.

Erleichtert seufzte der Gott: „Das sind gute Nachrichten.“ Vielleicht konnte er es sich dann bequem machen. Oder zu Hideto-kun schleichen... „Und was muss ich da machen?“

„Das werdet Ihr dort sehen.“

Böse wanderten seine Augen zu dem Diener. „Reiz mich nicht. Deine dummen Scherze kannst du mit wem anders treiben.“ Im Moment war er wirklich nicht in der Stimmung dazu. Er wollte zu diesem Menschen. Um seine Antworten zu bekommen, wie er sich selbst sagte.

„Nun, wir sollten gleich angekommen sein, Camui-dono. Ich denke, Ihr werdet sehr schnell erkennen, was für Euch zu tun sein wird.“

„Ich könnte ja damit anfangen dir für deine Frechheiten gerade den Hals umzudrehen.“

Beschwichtigend hob der Fuchs seine Hände, verkniff sich aber erneut deutlich ein Grinsen. Das war ganz deutlich in seinen Augen zu sehen.

In der Zwischenzeit glitt die Kutsche durch die Wolkendecke, was dem Gott für einen Moment die Sicht nahm, ehe es tiefer ging und man nun einen Wald sah, der in einem saftigen Grün strahlte. Darin lag ein großer See, an dessen Ufer sich eine Stadt erhob. Im Bauch des Gottes begann es zu Kribbeln, weshalb er die Stirn runzelte. Was wollte ihm sein Körper damit sagen? Skeptisch musterte er das Land unter ihnen. Die Kirin hielten nicht direkt auf die Stadt zu, dafür näherten sie sich einem kleinen Grundstück etwas Abseits.

„Ist das-?“

„Ja, Herr. Das ist es.“

Tatsächlich. Es war der kleine Schrein, in dem Hideto-kun lebte. Er erkannte ihn wieder. Sanft landete die Kutsche auf dem Boden und kaum, dass sie hielt war der Gott auch schon ausgestiegen. Suchend sah er sich um. Wo mochte dieser Sterbliche nur wieder stecken?

„Camui-dono?“

„Was denn noch?“ Sein Diener sollte ihn ja nicht aufhalten.

„Ich habe mir gestattet die Dauer Eures Aufenthaltes bis zum morgigen Abend zu planen. Solltet Ihr allerdings schon früher-“

„Nein, nein. Morgen Abend ist früh genug. Und jetzt: Verschwinde. Ich brauche dich vorerst nicht mehr.“ Während seine vor Freude strahlenden Augen auf die Gebäude vor ihnen gerichtet waren, wedelte er mit seiner Hand nach hinten, um den lästigen Untergebenen endgültig fort zu scheuchen. Er lauschte noch darauf, dass die Kutsche davon fuhr, weil er sich erst danach sicher sein konnte, dass es kein Scherz gewesen war.

„Hideto-kun“, kam ihm leise über die Lippen. Er musste ihn jetzt sehen. Und die Betonung lag auf 'Jetzt'.

„Hideto-kun?“, rief er und machte sich auf die Suche nach dem Menschen.
 

Für heute hatte sich Hideto vorgenommen, sich um sein Gemüse zu kümmern. In den Beeten breiteten sich wieder Pflanzentriebe aus, die er nicht hier haben wollte. Sie würden seine zarten Sprösslinge nur beim Wachsen behindern. Wenn er schon so viel Chaos in seinem eigenen Leben hatte, dann sollte hier zumindest etwas Ordnung herrschen. In seine Arbeit war er so vertieft, dass er von dem, was sich vor dem Schrein abspielte, gar nichts mit bekam.

Erst als er seinen Namen hörte, gerufen von einer vertrauten Stimme, die sein Herz höher schlagen ließ, schreckte er auf.

„Camui?“ Hektisch suchend sah er sich nach ihm um. War er wirklich hier oder hatten ihm seine Ohren einen Streich gespielt?

„Bitte“, flehte er leise, „bitte sei wirklich hier.“ Schnellen Schrittes ging er zu der Hausecke, an der der Weg in den vorderen Bereich lang führte.

„Camui?“, rief er und beschleunigte seinen Schritt. Ob hinter der nächsten Ecke wirklich der Gott auf ihn wartete? Gerade wollte er an ihr vorbei, da stieß er gegen jemanden, taumelte erst Mal ein Stück zurück, wurde aber sofort festgehalten, damit er nicht fiel.

„Ich hab dich.“

Hidetos Kopf schnellte nach oben und fast sofort traf sein Blick wieder auf das geliebte Blau. Er war wirklich wieder da. War wirklich zu ihm zurück gekehrt. Eine Hand strich federleicht über sein Gesicht und durch sein Haar, woraufhin sich seine Augen schlossen, um seine anderen Sinne zu schärfen und die Berührung noch besser wahrnehmen zu können.

„Du siehst besser aus, als bei meinem letzten Besuch. Fühlst du dich auch so?“

„Hai“, kam es sanft über seine Lippen und er begann unbewusst sich in die Hand zu schmiegen, die ihm erneut über die Wange streichen wollte. „Wollen wir reingehen? Ich... kann uns einen Tee aufsetzen.“

„Muss ich erst noch wieder Wasser holen?“, fragte der Gott lachend.

„Ah... Iie. Müsst Ihr nicht. Es ist alles da. Folgt mir. Bitte.“ Etwas nervös ging er voran, sah sich immer wieder nach seinem Begleiter um, aus Angst, er würde wieder verschwinden. Es ging den kleinen Weg wieder zurück in den Garten und von dort weiter in das Innere des Heims.

„Setzt Euch doch, bitte.“ Er selbst machte sich sofort daran den Tee für sich und seinen Gast aufzusetzen.

Gebannt sah der Gott dem Sterblichen dabei zu. Er trank ja immer nur welchen, doch was man tun musste, um welchen zu erhalten, dass war ihm weites gehend unbekannt. „Ich hoffe übrigens, dass du dir nichts vorgenommen hattest für den Rest des Tages. Ich gedenke nämlich bis morgen Abend hier zu bleiben und all die Antworten zu bekommen, die du mir noch schuldig bist.“

Mit großen, leicht glänzenden Augen wurde er angesehen.

„Ihr bleibt bis morgen?“ Ein freudiges Lächeln zeigte sich auf Hidetos Gesicht.

„Das sagte ich doch gerade, oder nicht?“ Ein wenig verwundert blinzelte er den Kleineren an. „Und während ich hier bin will ich auch ein paar der Dinge tun, die ich in meiner Zeit als Mensch ebenfalls getan habe.“

Wenn es dabei half, dass er sich wieder erinnerte, war er bereit auch ein wenig zu arbeiten. Wobei ihm der Mensch wohl alles erst einmal erklären durfte. In seinem Leben als Gott, brauchte man nicht viel selbst erledigen. Man ordnete an und ließ es andere Leute machen.

„Anô... Hideto-kun. Du hattest vor einigen Tagen gesagt, dass ich ein Dieb war. Ist das wahr? War ich wirklich einer?“ Etwas betrübt sah er den Menschen an. Hatte er wirklich so ein zwielichtiges Leben geführt?

Das Lächeln auf dem Gesicht des Kleineren verschwand. Seufzend wandte er sich dem Teekessel zu, welchen er über das Feuer hing. Wie schnell die Stimmung doch gekippt war. „Ja, das wart Ihr. Wir haben zwar nie viel über Euer Leben als solches geredet, da Ihr das hinter Euch lassen wolltet, aber durch das wenige, was ich weiß, kann ich Euch versichern, dass es Euch belastet hat. Diese Art zu Leben war Euch zuwider, das habe ich schnell gemerkt. Außerdem... Ihr saht sehr kümmerlich aus. Eure Haut war sehr dunkel von dem ganzen Schmutz auf ihr und Eure Haare...Ich schnitt sie Euch ab, weil es keinen Weg gab, um wieder einen Kamm da durch zu bekommen. So zerzaust waren sie. Zudem trugt ihr viele Narben auf Euch, die aber mit der Zeit, die Ihr hier verbrachtet, verblassten.“

„Soudeska“, murmelte der Gott und sah nun ebenfalls der Feuerstelle zu. „Warum war ich verletzt?“

„Ihr hattet stehlen wollen und seid dabei erwischt worden. Als Ihr hier ankamt, war eine große Schnittwunde auf Eurem Rücken. Sie wurde Euch wohl von einem Eurer Verfolger zugefügt.“

Begierig darauf mehr zu erfahren rückte er näher an den Sterblichen heran. „Mehr. Erzähl mir mehr. Und lass nichts aus.“

Hideto musste schlucken. Diese Bitte konnte er dem Gott unmöglich erfüllen. Ihm fehlte die Kraft ihm zu sagen, dass sie begonnen hatten, etwas füreinander zu empfinden. Doch er erzählte. Wie er es sich vorgenommen hatte für den nächsten Besuch des Gottes.

Also redete er. Wie er ihn bei sich aufgenommen und später auch Lesen und Schreiben gelehrt hatte. Von den seltsamen Ereignissen, wie dem Blitz, den Stimmen und wie sie sich wunderten, dass sich Augen plötzlich blau färbten. Worauf es nun alles eine Antwort gab. Zwischendurch brühte er ihnen den Tee auf und reichte eine Tasse ehrfürchtig an den Gott weiter.

„Den ersten Hinweis darauf, wer Ihr wirklich seid, bekamen wir durch einen Geschichtenerzähler in der Stadt. Wir haben ein paar Vorräte besorgt, als wir hörten, wie er ein paar Kindern die Legende von Camui, dem Gott der Musik, erzählte.“

„Eh? Hontou?“, fragte Camui nach und senkte nachdenklich seinen Kopf. „Aber woher sollte ein Mensch das Wissen? Es war geheim gehalten worden, soweit ich weiß.“ Ob es einer der anderen Götter gewesen war? Er würde sich in nächster Zeit etwas umhören und sich bedanken für diesen Versuch seine Erinnerungen zu wecken.

„In der Zeit danach habt Ihr viel nachgedacht. Wir hatten beide das Gefühl, dass diese Legende, sollte sie wahr und Ihr die Reinkarnation dieses Gottes sein, vieles erklären würde. Doch... Wir verschlossen beide unsere Augen davor, weil wir es nicht so recht glauben konnten. Ihr nicht, weil ihr ein so trauriges, hartes Leben hinter Euch hattet, welches nicht annähernd eines Gottes würdig war. Und ich nicht, weil...“

„Ja?“ Neugierig legte Camui seinen Kopf schief und beugte sich vor, damit er in das Gesicht des Anderen sehen konnte, der etwas beschämt zu Boden sah.

„Ich habe in Euch einen guten Freund gefunden. Den ersten, den ich in meinem Leben hatte. Sollte es wahr sein, dann hätte ich Euch verloren“, flüsterte der Kleinere und senkte seinen Kopf noch weiter, damit man nicht sehen konnte, wie er gegen seine Gefühle kämpfte.

Sanft strich der Gott ihm über die Wange, wischte so eine Träne hinfort. Es hatte den Anderen bestimmt etwas Überwindung gekostet ihm das zu sagen. War es das, wovon Hideto-kun vor einigen Tagen gesprochen hatte? Als er ihm vorwarf, er hätte etwas gestohlen?

„Und jetzt ist es doch geschehen“, murmelte er schuldbewusst und zog den Mann an seine Brust und in seine Arme, wo er ihm erlaubte sich auszuweinen. Stumm bebte der zierliche Körper und schien beinahe in den Größeren hinein kriechen zu wollen.

„Es tut mir so Leid“, flüsterte der Gott und strich mit einer Hand sanft über den Rücken des Anderen. Er bedauerte wirklich, diesem Sterblichen unwissentlich so viel Schmerz bereitet zu haben. Wie kam es eigentlich, dass auch er selbst sich schlecht fühlte, wenn Hideto-kun litt?

„Anô... Hideto-kun? Ich... Ich werde dir diesen Camui nicht wieder geben können. Demô... würde es dich freuen, wenn ich stattdessen dein Freund werden würde?“, bot er an und sah neugierig nach unten.

Das Schluchzen erstarb und langsam entfernte sich der Mensch etwas von ihm, ehe er ihn mit seinen roten, verweinten Augen ansah. „T-Tomodachi? Ihr?“

Camui, der das Gefühl bekommen hatte, dass jemand gerade einen ganzen Berg Steine in seinen Bauch geworfen hätte, strich die Spuren der Tränen von den Wangen des anderen Mannes.

„Nur, wenn du willst.“

Ein ganz anderes Rot erschien auf dem Gesicht Hidetos. „Es... Es wäre mir eine Ehre, Camui-dono.“

Selbiger begann zu Lächeln. Er hatte es geschafft, dass der Mensch aufgehört hatte zu weinen. Und als Freund wollte er ab sofort dafür sorgen, dass er es auch nicht mehr so häufig tat. Dann vernahmen seine Ohren ein Geräusch, welches er erst vor kurzem kennen gelernt hatten: Das Grummeln eines hungrigen Bauches. Lachend sah er Hideto an, der verschämt seinen Kopf senkte. „Vielleicht sollten wir dir etwas zu Essen machen? Das hört sich ja schlimm an.“

„Eh? Wir?“, kam es fragend von dem Kleineren, der vorsichtig zu dem Gott linste.

„Natürlich. Ich will dir helfen. Das... macht man doch so als Freund, nicht? Außerdem möchte ich das gerne mal ausprobieren.“

Und plötzlich...

Nach einem stärkenden Eintopf begleitete der Gott den Priester bei seinem abendlichen Rundgang und half auch dabei die Lichter zu entzünden.

„Ihr müsst das nicht tun.“

„Wenn ich das in meinem Leben als Mensch getan habe, dann möchte ich es auch jetzt tun“, sagte der Gott überzeugt und lächelte stolz, als auch diese Laterne leuchtete. „Was haben wir eigentlich noch gemacht? Was waren meine Aufgaben?“ Wissbegierig warf einen Blick zu dem Kleineren.

„Nun, Ihr habt mir bei der Gartenarbeit geholfen und Dinge repariert. Wenn wir auf den Markt gegangen sind, habt Ihr die schweren Sachen getragen. Ständig habt Ihr das Gefühl gehabt, nicht genug zu tun, als Dank dafür, dass Ihr bleiben durftet. Doch ich kann Euch versichern, dass es mehr als ausreichend war, was Ihr getan habt.“ Verlegen stellte er sich neben den Gott und sah sehnsüchtig in die Kerzenflamme. „Ich hatte Camui wirklich sehr gerne hier“, flüsterte er, woraufhin ein trauriger Schatten über sein Gesicht huschte.

„Ich würde ihn dir gerne wieder geben, wenn ich könnte“, murmelte der Größere und bedauerte wirklich, dass er nicht dazu in der Lage war.

„Habt Dank. Aber ich weiß, dass es unmöglich ist.“ Seufzend ging er weiter zur nächsten Laterne, tauschte die Kerze in ihrem Inneren gegen eine neue aus, ehe er auch sie zum Leuchten brachte.

„Anô... Hideto-kun? Was machen wir, wenn alle Laternen entzündet sind?“ Camui schloss zu dem Kleineren auf, folgte ihm dicht auf der weiteren Runde. „Womit haben mein altes Ich und du die Abende verbracht?“

„Nun... Meist haben wir zu Abend gegessen und uns noch ein wenig unterhalten. Manches mal wiederholten wir einige Übungen im Lesen und Schreiben, damit Ihr es nicht wieder verlernt. Zu Beginn des neuen Jahres brachte ich Euch ein wenig Rechnen bei, damit Ihr mir beim Verkauf der Talismane behilflich sein konntet. Oder wir überlegten, welche Arbeiten am nächsten Tag unbedingt gemacht werden mussten.“

„Und sonst?“

„Eh?“ Nicht verstehend sah der Mensch auf. „Was meint Ihr?“

„So wie ich es gesagt habe.“ Mit leicht gerunzelter Stirn sah Camui seinen Begleiter an. Sie konnten doch nicht wirklich ihre Abende mit so etwas langweiligem verbracht haben. „Haben wir uns nicht auf irgendwelchen Festen amüsiert und das Leben ein wenig genossen? Vielleicht mit einigen Frauen zusammen getan?“ So ein wenig fassungslos war der Gott jetzt schon.

Augenblicklich lief Hideto rot an und senkte den Kopf, ließ sein Haar dabei sein Gesicht verhüllen. Das Leben hatte er natürlich genossen, aber doch nicht auf diese Weise. Mit Frauen schon gar nicht. In ihrer Nähe wurde er immer zu schüchtern, wenn sie nicht gerade einfach nur den Schrein besuchten. „Iie“, murmelte er.

Enttäuscht seufzte Camui auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie langweilig. Das klingt auch so gar nicht nach mir.“ Als Gott der Musik war er es wohl einfach gewohnt, dass man sich auch amüsierte. Wenn er aber nicht ausgegangen war, wie hatte er sich dann verlieben können? Seltsam. Aber dem kam er noch auf die Schliche. Und dafür gab es nur einen Weg: „Dann sollten wir das so schnell wie möglich nachholen.“

„Nani?“ Mit großen, ängstlichen Augen sah der Kleinere ihn an, ahnte er doch, dass es jetzt unangenehm werden könnte für ihn.

„Was hast du?“

„I- Ich fühle mich bei so etwas immer ein wenig unwohl, wenn es nicht gerade hier im Schrein ist.“

„Dann werde ich mit dir üben. Wir beide feiern ein wenig für uns. Und der Grund ist...“, angestrengt überlegte er, bis sich sein Gesicht aufgrund einer Idee aufhellte. „Der Grund ist, dass wir beide uns jetzt kennen gelernt haben und Freunde wurden. Wenn das nicht nach einem Schluck Sake schreit, dann weiß ich auch nicht.“ Camui lachte und grinste über das ganze Gesicht. Jeder noch so banale Grund wäre ihm eigentlich gerade recht gekommen.

Hideto öffnete den Mund, um etwas zu sagen, entschloss sich dann aber, dass es wohl schlauer war still zu sein.

„Eh? Wolltest du etwas sagen?“, erkundigte sich der Gott, der das sehr wohl mitbekommen hatte. Als jedoch nicht gleich eine Antwort kam, legte er eine Hand unter das Kinn seines neuen Freundes und sah ihm tief in die Augen. 'Sie sind wirklich hübsch. Sehr hübsch sogar.' Halt, wo kam der Gedanken denn jetzt her? Kurz blinzelte er, um sich wieder konzentrieren zu können. Worauf wollte er jetzt hinaus? Ah ja. „Was wolltest du sagen?“

„Das... Nun...“, verlegen richtete der Kleinere seinen Blick zur Seite. Nur ungern wollte er den Gott verärgern.“

„Jetzt sprich doch endlich.“

Seufzend sah er wieder zu den blauen Augen. „Ich habe keinen Sake hier.“

Das schockte Camui jetzt doch. „Du hast keinen Sake hier? Das-Das müssen wir ändern. Wo bekommt man in der Stadt noch welchen her?“

„Ihr wollt jetzt noch in die Stadt? Aber die Läden haben mittlerweile geschlossen. Ihr werdet nirgends mehr welchen bekommen. Außer-“ Eilig schlug er sich die Hand vor den Mund.

„Außer?“, hakte der Blauäugige nach. Sein neuer Freund wurde gerade so schön redselig. „Jetzt sag schon. Immer muss ich dir die Worte einzeln aus dem Munde holen.“

Wenn der Gott ihn aber auch immer so in Verlegenheit bringen musste und Dinge wissen wollte, die für ihn unangenehm waren. Schlussendlich rang er sich dann aber doch dazu durch zu sprechen. Vor allem, weil er dem eindringlichen Blick nicht mehr stand halten konnte. „In einem Lokal könnte man noch welchen bekommen. Aber dafür müsste man dort Gast sein.“

„Ist doch genau das, was ich dir gerade verschreiben will. Gehen wir in ein Lokal. Bringen wir dich ein wenig unter die Leute. Ich finde die Vorstellung traurig, dass du jeden Abend hier allein sitzt, wenn ich nicht da bin.“

Und damit war es für den Gott beschlossene Sache.
 

Hideto fühlte sich reichlich unwohl in dem kleinen Restaurant. Es war das einzige in ihrer Stadt, welches den Ansprüchen des Gottes einigermaßen gerecht wurde. Ihm war auch schon reichlich schwindelig, denn sein Begleiter hatte dafür gesorgt, dass ihre Trinkschalen nie lange leer waren. Essen tat er auch nur vom Feinsten. Er hatte es zwar noch geschafft Geld mitzunehmen, aber er konnte nicht sagen, ob es am Ende reichen würde. Und Camui ließ sich auch nicht bremsen.

Einige der anderen Gäste hatten ihn wiedererkannt -wie könnte man einen Mann mit blauen Augen auch je wieder vergessen?- und er tat einfach so, als würde er sich ebenfalls an sie erinnern.

Es dauerte nicht lange, da hatte der kleine Mensch das Gefühl, als würde sich der ganze Raum drehen. Dabei hatte er noch nicht viel von dem heißen Getränk zu sich genommen, welchem der Gott hingegen reich zu sprach. Vielleicht sollte er etwas frische Luft schnappen. Hoffentlich half es ihm wirklich. Doch alleine das Aufstehen, ließ das Ganze für den Moment schlimmer werden.

„Eh? Wo willst du denn hin, Hideto-kun?“, fragte der Blauäugige lachend, der aus dem Augenwinkel heraus bemerkt hatte, wie sich sein Freund entfernte.

„Nur... kurz raus. Ich brauche... frische Luft“, kam als Antwort. Wankend ging Hideto auf den Ausgang zu. Seine Sinne waren benebelt und sein Körper gehorchte ihm auch nicht mehr so wie sonst. Daran fanden Leute gefallen? Das konnte er sich kaum vorstellen.

Vor dem Restaurant empfing ihn die kühle, klare Nachtluft, die er dankbar tief einatmete. Was hatte er sich nur dabei gedacht sich hierher schleifen zu lassen? Mit geschlossenen Augen lehnte er sich an die Wand hinter sich.

„Hideto-kun? Daijoubu desuka?“

„Eh?“ Etwas erschrocken sah er auf und erkannte Camui, der ihn besorgt ansah. „Anô... nicht wirklich. Es dreht sich alles.“ Um seinen Kopf etwas zu zügeln, legte er sich eine Hand an die Stirn. Viel brachte es jedoch nicht. Ihm war so übel.

„Oh“, kam es nur von dem Gott. Sein neuer Freund sah aber gerade auch wirklich nicht gut aus. „Dann sollte ich dich zurück bringen.“ Vielleicht hätte er diesen Abend ein wenig langsamer angehen sollen. Er legte sich schon einen Arm des Kleineren über die Schulter, um ihn ein wenig zu stützen, da hielt selbiger ihn noch einmal auf.

„Wartet.“

„Dôshite?“

„Wir... Ich muss noch bezahlen.“ Er konnte ja unmöglich gehen, ohne für ihr Essen bezahlt zu haben. Das könnte er niemals mit seinem Gewissen vereinbaren.

Bezahlen? Fragend sah er den Jüngeren an, der sich anschickte wieder in das Restaurant zu gehen. Aber natürlich. Bezahlen. Das musste man in ihrer Welt auch, aber darum musste er sich meist nicht kümmern. Das tat der vermaledeite Fuchs stets für ihn. Mit einem schlechten Gewissen sah er dabei zu, wie der Sterbliche nahezu all seine Münzen und Scheine dem Besitzer des Lokals gab, um für alles aufzukommen. Hätte er das doch nur eher bedacht. Jetzt war seinem Freund nicht nur schwindelig, sondern er war auch noch niedergeschlagen und biss sich zudem auch noch auf die Unterlippe.

„Sumimasen“, murmelte er betroffen, als der Kleine wieder bei ihm war. „Ich habe nicht daran gedacht, dass.... Ich mach es wieder gut, versprochen. Sobald ich in meinem Palast bin, lasse ich dir Geld zukommen. Ehrenwort.“

„Gut“, murmelte Hideto. Auch wenn es vielleicht selbstsüchtig war, aber das Angebot würde er bestimmt nicht ausschlagen, wo er doch jetzt nahezu kein Geld mehr besaß.

Mit einem schiefen Lächeln strich Camui sanft über Hidetos Wange. „Doch zuerst sollte ich zusehen, dass ich dich wieder in dein Heim bringe, damit du schlafen kannst. Einverstanden?“

Langsam nickte der Mensch. Ihm war immer noch so schwindelig, dass er befürchtete jeden Moment den Boden unter seinen Füßen zu verlieren. Sein Arm wurde erneut um den Hals des Gottes gelegt. Weit gingen sie jedoch nicht, denn Camui führte sie in eine dunkle Seitengasse. „Was... habt Ihr vor?“, fragte Hideto und klang dabei doch etwas ängstlich.

„Nun, da ich bezweifle, dass du den ganzen Weg schaffst, nehmen wir eine Abkürzung.“ Zudem bekam auch er leichte Kopfschmerzen. Mit einem Wink seiner Hand öffnete er einen Riss, durch den sie ganz bequem zum Schrein kamen. „Festhalten“, raunte er dem Sterblichen zu, ehe er ihn einfach hoch hob. Sofort klammerte sich der kleinere Körper an seinen und schloss die Augen. „Keine Angst“, flüsterte der Blauäugige und drückte seinen Begleiter an sich, „dir wird nichts geschehen.“ Nur einige wenige Schritte später waren sie durch den Riss und in dem Garten, der zu dem Schrein gehörte. „Wir sind da“, sagte Camui leise und lächelte bei dem recht niedlichen Anblick, den der Andere bot.

Zögerlich öffnete Hideto seine Augen und sah sich um. Das hier war wirklich sein Schrein. Erstaunt sah er den Größeren an. Er hatte gar nicht gewusst, dass Götter so etwas konnten.

Der Einfachheit halber trug ihn der Gott sogar hinein. Wenn Hideto wirklich so schwindelig war, dann wäre er wohl noch schlimm gestolpert auf dem Weg hierhin.

„Wo schläfst du normalerweise?“, fragte Camui, woraufhin der Mann in seinen Armen auf eine Shogi deutete.

Dahinter lag der Raum, in dem sie ihre Futon immer ausgebreitet hatten. Wobei Hideto seinen in den letzten Tagen nicht mehr in den Schrank geräumt hatte. Ihm war nicht danach gewesen. Denn es war schließlich der, den sein geliebter Camui immer benutzt hatte.

Geschickt schaffte es der Größere die Tür zu Öffnen, trat dann hinein, wo er seinen Freund auf dem Bett ablegte. Oder es zumindest versuchte, denn die Finger des Sterblichen hielten krampfhaft an seiner Kleidung fest, sodass er sich nicht wieder von ihm lösen konnte. „Bleibt. Bitte“, flüsterte er und sah mit diesen traurigen Augen auf.

„Gut. Ich bleibe hier.“ Wo hätte er auch sonst schlafen sollen? Das hatten sie nicht geklärt am Nachmittag. Und wenn er hier schon mal ein gemachtes Bett vorfand und so angesehen wurde, wie sollte man sich da noch abwenden? Sanft lächelnd lockerte Camui seine Kleidung etwas, legte sich dann zu dem Kleineren und breitete die Decke über ihnen aus. „Oyasuminasai, Hideto-kun.“

„Oyasuminasai, Camui...-dono.“
 

Die Nacht wurde eine unruhige für den Mann mit den blauen Augen. Eine Weile warf er sich hin und her, ehe er mit dröhnendem Kopf erwachte und sich aufsetzte. So viel hatte er doch gar nicht getrunken. Er wusste, wie viel er vertrug. Und das war bei weitem mehr. Aber warum pochte es dann so in seinem Kopf? Eine Bewegung neben sich, forderte seine Aufmerksamkeit. Es war Hideto, der im Schlaf seinen Namen murmelte.

„Es tut mir wirklich Leid, dass ich dir deinen Freund weggenommen habe“, flüsterte der Gott und legte eine Hand auf die Schulter des Kleineren. Vor allem, weil er diesen liebenswerten Menschen dadurch allein zurück gelassen hatte. Seufzend erinnerte er sich an das, was er heute gehört hatte. Über sich. Über sie beide.

Mit einem Mal blieb ihn die Luft weg. Bilder fluteten seinen Kopf und Emotionen verschiedenster Art durchströmten seinen Körper. Alles ging rasend schnell. Doch eines war nur allzu deutlich: Das Wichtigste hatte mit dem Mann neben ihm zu tun. Die Flut an Erinnerungen endete. Mit einem vor Glück strahlenden Hideto, einem aufgeregt schlagendem Herzen und einem angenehmen Kribbeln überall in seinem Körper.

Dann war ihm, als wenn er Stimmen hörte:

„Ich liebe... dich?“

„Hai.“

„Und du bist glücklich, weil...“

„Ich bin glücklich, weil ich dasselbe für dich fühle.“

Da waren sie wieder. Seine Erinnerungen. An all seine Leben. Vor allem aber an die schöne Zeit in seinem Letzten. Er fühlte gerade so viel von der Liebe in sich, dass er meinte gleich entzwei gerissen zu werden. Jetzt verstand er auch endlich all die Andeutungen von Aizen Myoo.

„Dass wir Götter uns auch immer in Rätseln ausdrücken müssen.“

Endlich verstand er die traurigen Augen und das selbstzerstörerische Handeln Hidetos. Erst hatte er sein Herz mit Glück und Liebe gefüllt und nur Sekunden später heraus gerissen. Sanft sah er zu dem schlafenden Körper und konnte nicht anders als Lächeln. Kein Wunder, dass er ihn hatte glücklich sehen wollen. Dass er so eine Sehnsucht nach ihm hatte. Lächelnd drehte er den kleinen Körper auf den Rücken, strich ihm zärtlich über die Wange. Danach machte er sich auf die Suche nach einer Kerze. Er wollte das Gesicht des geliebten Menschen sehen, wenn er ihm die gute Nachricht überbrachte. Rasch war eine gefunden und entzündet. Vorsichtig stellte er sie neben dem Bett ab, beugte sich danach über den Kleineren, dessen entspannte Züge er noch etwas betrachtete.

„Hideto? Hideto, wach auf.“ Ein wenig kitzelte er ihn an den Ohren und am Hals, um ihn wieder wach zu bekommen. Ein breites Grinsen zierte seine Lippen, als er sah, wie der Kleinere sein Gesicht verzog und tatsächlich die Augen aufschlug.

„Camui...-dono? Was ist los?“

„Lass das Förmliche weg“, raunte er und strich durch das schwarze Haar. „Für dich... Und nur für dich, bin ich Camui.“ Sanft küsste er die Stirn, des verwirrten Gesichts, flüsterte: „Verzeih mir meinen Diebstahl. Aber hiermit bringe ich dir deinen Liebsten wieder zurück.“

Hideto verstand nicht ganz was los war, war er doch immer noch ein wenig müde. Was redete der Gott denn da? Plötzlich spürte er ein anderes Paar Lippen auf den eigenen. Konnte das wahr sein? Oder träumte er und seine Sehnsucht spielte ihm einen Streich? Dafür fühlte es sich jedoch sehr wirklich an. Ein wenig, wie der erste Kuss, den sie geteilt hatten. Sanft, aber hungrig. Geliebt und begehrt.

„Ich liebe dich, Hideto. Daran erinnere ich mich wieder. Verzeih, dass mein Kopf so lange dafür gebraucht hat. Ich schwöre, dass ich dich nie, nie wieder vergessen werde.“

Nur langsam drangen die Neuigkeiten in das, von Schlaf und Alkohol vernebelte, Köpfchen des Kleineren ein. Erinnern? Lie...be? Seine Augen weiteten sich langsam, je mehr die Erkenntnis eintraf. Vorsichtig hob er eine Hand und legte sie dem Anderen an die Wange, suchte den Blick der blauen Augen, um zu sehen, ob das Gesagte auch der Wahrheit entsprach. Sie waren so sanft und so voller Liebe. Und vor allem vertraut. „Camui?“

Ein leises Lachen erklang und der Größere schmiegte sich in die warme Hand, ehe er flüsterte: „Tadaima.“

„O- Okaeri“, erwiderte Hideto lächelnd, wobei ihm Tränen der Freude in die Augen stiegen.

Einen Augenblick später trafen sich ihre Lippen erneut.

Kleine Überraschungen und Zärtlichkeiten

Jeden freien Moment verbrachte Camui bei Hideto. Manchmal auch die Nächte. Half bei seinen Besuchen auch weiterhin bei den kleinen Arbeiten, die zu erledigen waren. Es unterschied sich einfach so sehr von dem, was er sonst tat in seinem göttlichen Leben. Zudem war so viel eher Zeit, um entspannt beieinander zu sitzen. Wobei ihm das auch immer am Liebsten war. Genau wie die Freude in den Augen seines Kleinen, wenn sie sich wiedersahen.

Den heutigen Abend hatte er allerdings etwas anders geplant.

Seine Kutsche hielt wie immer auf dem Vorhof und suchend stieg der Gott aus. „Hideto?“, rief er. Das war immer das Erste, was er tat. Ein Glück, dass es bereits spät am Tage war. Die Sonne war im Begriff ihren Platz dem Mond zu überlassen, weshalb für den Moment keine Besucher hier waren. „Hideto?“, rief er ein weiteres Mal und entfernte sich ein paar Schritte von der wartenden Kutsche.

Wenige Augenblicke später trat der Gesuchte endlich aus dem Inneren des Schreins und auf ihn zu.

„Camui“, kam es sanft von den lächelnden Lippen, die auch gleich von dem Gott in Beschlag genommen wurden, während seine Arme den geliebten Körper eng an den eigenen zogen. Davon würde er niemals genug bekommen können. Dafür liebte er dieses schöne Gefühl dabei zu sehr. Liebte er diesen Menschen zu sehr.

„Ich habe für heute Abend eine kleine Überraschung geplant“, verriet er, nachdem sie sich voneinander lösen konnten.

„Überraschung?“

„Hai. Meinst du, du kannst den Schrein bis morgen allein lassen?“

„Bis morgen?“

„Warum wiederholst du alles, was ich sage?“, fragte der Blauäugige mit einem Lachen und strich seinem Partner durch das Haar. „Ich kann auch ein paar meiner Untergebenen anweisen, dass sie hier aufpassen. Dann musst du dir keine Sorgen machen.“

Ein wenig überlegte der Kleinere noch, wog das für und wider ab. Wobei die Nähe zu Camui ein eindeutiges Argument dafür war, zu gehen. Vor allem, weil ihn diese blauen Augen so bittend ansahen. „Anô... Würde es denn nicht zu viele Umstände machen, wenn du...?“

„Aber nicht doch. Wenn ich dich dafür habe, nehme ich alle Umstände in Kauf. Und jetzt sag schon ja. Es wird dir gefallen. Oder... willst du nicht bei mir sein?“

„Doch, natürlich will ich das“, widersprach der Kleinere etwas lauter, ehe er seufzte und sich schmunzelnd geschlagen gab. „Ich komme mit.“

Mit einem breiten Grinsen küsste Camui ihn erneut. „Dann steig ein.“ Einen Arm um den Anderen gelegt trat er zur Seite und gab diesem so den Weg zu der Kutsche frei.

Ein wenig nervös trat der Mensch heran und auch hinein. Man durfte nicht jeden Tag in das Gefährt eines Gottes einsteigen. Selbiger stieg gleich hinter ihm ein und sobald die Tür geschlossen war, setzten sich die Kirin in Bewegung. Wenige Augenblicke später flogen sie bereits und ließen den Boden weit unter sich.

Fasziniert beobachtete der Gott seinen Begleiter, wie jener sich nervös umsah. Welch ein Anblick. Sanft strich er ihm über die Wange, um so seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Seine Finger fuhren hinab zum Kiefer und von da aus zu dessen Kinn, an welchem er ihn zu sich zog. „Manchmal bist du wie ein kleiner Welpe. Und mindesten genau so niedlich“, meinte er grinsend, ehe er ihn küsste. Er mochte wirklich das Gefühl, wenn sich ihre Lippen trafen. „Warum bist du denn so unruhig?“

„Weil... Ich hätte nie gedacht einmal in so etwas zu sitzen. In einer so vornehmen Kutsche. U-Und außerdem fliegen wir! Camui, wir fliegen! Das... Das ist unglaublich.“ Wie ein kleines Kind bestaunte er die Welt unter sich. Die Wälder, die sich wie ein dunkles Meer erstreckten. Abgelöst durch weite Felder, auf denen das Wasser für den Reisanbau schimmerte. Bis weit an den Horizont konnte er Dörfer und Städte sehen, die durch ihre Laternen in ein sanftes, warmes Licht gehüllt waren.

'Ist es das?', fragte sich der Größere. Für Camui war es etwas sehr alltägliches, auf diese Art zu reisen. „Wenn es dir so gut gefällt, dann machen wir solche Ausflüge häufiger. Wir fliegen einfach über Japan hinweg. Wir können in den hohen Norden und in den tiefen Süden reisen. Wo immer du hin willst.“ Ganz nah lehnte er sich an den Kleineren heran, versuchte dieselbe Faszination zu empfinden, wie dieser es tat. Aber das geschah nicht. Dafür war es ihm wirklich schon zu bekannt.

„Sag, Camui.“

„Hm?“

„Wohin bringst du mich?“

„Das ist eine Überraschung“, antwortete er mit einem leisen Lächeln.

Ein kleiner Ruck ging durch die Kutsche, was Hideto dazu brachte sich ein wenig an den Größeren zu klammern. „Was war das?“

„Wir haben die Dimensionen gewechselt.“

„Die... Dimensionen?“ Verwirrt sah der Mensch wieder nach draußen, zuckte aber gleich darauf wieder zusammen, als er nicht weit von ihnen entfernt einen großen, grünen Kirin entdeckte, der allein seines Weges zog. Kleine Geisterlichter schwirrten an ihnen vorbei und es sah aus, als würden sie Fangen spielen. „Wo... kommen die so plötzlich her?“

Warme, starke Arme schlangen sich um seinen Bauch und der Gott legte seinen Kopf auf der linken Schulter seines Liebsten ab. „Wir sind es, die plötzlich erschienen sind.“ Sanft liebkoste er den Hals des Kleineren. „Willkommen in meiner Welt.“

„Deiner Welt?“ Für einen kleinen Moment dachte er nach, ehe er schreckhaft einatmete. „Wir sind in der Welt der Götter?“ Große, ungläubige Augen sahen den Gott an.

„Hai.“ Sanft strich jener ihm durch das Haar. „Ich habe so viel Zeit in deinem Heim verbracht. Ich dachte, es ist an der Zeit, dass ich dir meines zeige.“

„Dein Heim“, flüsterte der Kleinere und klang dabei schon etwas ehrfürchtig. „Ist das die Überraschung?“

„Ein Teil davon.“ Wieder fing er die Lippen des Menschen ein, küsste ihn leidenschaftlich. Er sah in seiner Freude einfach nur wunderschön aus. Alleinig aus diesem Grund würde er sich noch viele, viele Male etwas überlegen, um ihn Lächeln zu sehen. Der Körper in seinen Armen entspannte sich spürbar und lehnte sich gegen ihn.

Bald darauf setzte die Kutsche auf dem Boden auf und rollte aus, was den Gott dazu zwang, seine neue Lieblingsbeschäftigung zu unterbrechen. „Wir sind da.“ Er löste sich ein wenig von seinem Liebsten, öffnete die Tür und ging voran. Dabei hielt er aber die Hand des Kleineren in seiner, um ihm beim Aussteigen zu helfen. „Willkommen in meinem Zuhause.“

Staunend trat der Priester aus der Kutsche, wusste gar nicht, wo er zuerst hinsehen sollte. Alles war so groß und prachtvoll. Wo er auch hin sah glänzte und schimmerte es im Schein der vielen Feuer und Laternen. Und überall waren Leute, die sich ehrfürchtig vor ihnen verneigten. Fast augenblicklich kam Hideto sich ein wenig fehl am Platz vor. All diese übernatürlichen Wesen. Und selbst als einfache Diener trugen sie schöne Kleidung. Schönere, als die, die er trug. Beschämt versteckte er sich ein wenig hinter dem Gott, der ihn jedoch wieder an seine Seite und mit ins Innere des Anwesens zog.

„Was hast du?“, fragte er ihn dabei.

„Anô...“ Hideto wusste nicht, wie er das jetzt sagen sollte, ohne den Mann, den er liebte, zu verletzen. „Ich habe... irgendwie das Gefühl... als würde ich nicht hierher gehören.“

Camui blieb stehen und zog seinen Liebsten in einen erneuten Kuss, der diesem die Knie weich werden ließ. „Du gehörst an meine Seite. Also gehörst du auch hier hin.“ Mit einem breiten Lächeln führte er ihn weiter. Vorbei an prächtigen Wandbehängen, bezaubernden Blumengestecken und so unglaublich vielen Türen, bis sie auf eine davon zu gingen. Zwei Diener zogen sie auf und schlossen sie auch wieder, nachdem sie hindurch gegangen waren.

Camui hielt an, hatten sie doch ihr vorläufiges Ziel erreicht. Hier gab es nur sie beide. Sobald die Türen geschlossen waren, wandte er sich seinem Begleiter zu, dem er sanft über Wangen und Hals strich, ehe er tiefer ging und sich daran machte Hideto von seiner Kleidung zu befreien. Die würde er für die Überraschung nicht brauchen.

„Was... hast du vor?“ Hideto zitterte nicht. Hatte keine Angst. Unternahm nichts dagegen. Das Blau fesselte ihn zu sehr. Aber er wollte schon gerne wissen, was jetzt auf ihn zukommen würde.

„Ich habe mir gedacht, dass du ein wenig Entspannung gebrauchen könntest. Von der harten Arbeit in deinem Schrein. Und als kleine Entschuldigung dafür, dass ich dich für einige Tage vergessen habe und du deswegen so viel Schmerz in deinem Herzen empfiden musstest. Darum habe ich dich hier her geholt.“ Der Größere beugte sich vor, raunte in das Ohr des Anderen: „Du musst wissen, dass sich dort vorne, hinter den Türen, meine private, heiße Quelle befindet.“ Ein wenig knabberte er an dem Ohr, grinste, als er das Zittern bemerkte. „Und ich will sie mit dir allein teilen.“ Langsam strich er ihm den Stoff vom Körper, fuhr mit seinen Fingern noch einmal so über die warme Haut, was ihm ein genießendes Seufzen bescherte.Wieder verwickelte er den Menschen in einen Kuss, ehe er sich daran machte sich selbst von seiner Kleidung zu befreien, die dann achtlos bei der anderen auf dem Boden liegen blieb. Lächelnd nahm er die Hand des Kleineren und führte ihn zu der versprochenen Quelle.
 

Mit einem innerlichen Frieden, den der Mensch so noch nie gespürt hatte, lag er in den Armen des Gottes. Den Rücken an dessen breiter Brust geschmiegt, ließ er sich von dem warmen Wasser all seine Sorgen davon waschen, während er von der Liebe seines Herzens mit sanften Zärtlichkeiten verwöhnt wurde.

„Deine Überraschung ist dir wirklich gelungen, Camui“, seufzte er glücklich.

„Das freut mich.“

Hideto drehte sich zu dem Gott um und zog ihn in die Mitte der hüfthohen Quelle, wo er ihn verliebt ansah. „Es ist so wunderschön hier. Und die Sterne“, seine Augen sahen fasziniert nach oben in den Nachthimmel, „sie sind hier viel schöner, als bei uns.“ Seine Arme legten sich um den Hals des Größeren und sein Blick senkte sich wieder, bis sie erneut auf das geliebte Blau trafen.

„Koishiteru“, flüsterte jener und strich seinem Liebsten mit einer Hand erneut über die Wange.

„Koi...shiteru mo“, hauchte Hideto und spürte Wärme in sein Herz dringen, die es fast zum zerbersten brachte.

Eine kleine Ewigkeit sahen sie sich einfach nur verliebt an. Um seiner Zuneigung Ausdruck zu verleihen, strich der Größe seinem Liebsten über den bloßen Rücken, kraulte die ein oder andere Stelle ein wenig. Behielt ihn aber ganz nah bei sich. Bis ihm auffiel, dass Hideto begonnen hatte, verlegen mit seiner Unterlippe zu spielen.

„Was hast du?“

„Zeig... es mir“, wisperte der Kleinere. „Zeig mir, wie sehr du mich liebst.“

Fragend zog Camui die Augenbrauen zusammen, rang nach Worten, während er die Mimik seines Liebsten zu deuten versuchte.

„Was meinst-?“, wollte er schließlich fragen, als sich der kleinere Körper unsicher, aber doch verlangend an seinen schmiegte. Jetzt verstand er. Das war eine eindeutige Sprache des Menschen. „Mit dem größten Vergnügen.“
 

Die Berührungen des Gottes erschienen ihm heißer als das Wasser, welches sie umgab. Das Streicheln seiner Haut und die hungrigen Küsse ließen Hideto zittern und zunehmend den Verstand verlieren. Aber er wollte auch nur noch fühlen. Dieser Mann und seine Liebe sollten sich in jede Faser seines Körpers brennen...
 

Ihm waren die Geräusche peinlich, die der Gott ihm entlockte. Er biss sich auf einen Finger, um sie zu unterdrücken, aber Camui beraubte ihm dieser Möglichkeit, in dem er ihre Hände miteinander verwob. „Ich will dich hören. Mach mich betrunken mit deinen süßen Lauten“, forderte er mit seiner samtigen, Lust getränkten Stimme, bevor er seinen Mund für andere Dinge einsetze. Hideto war so froh, dass er bereits am Rande des Beckens lag. Sonst hätte er spätestens jetzt den sicheren Stand verloren...
 

Camui war eins mit seinem Hideto. Er liebte ihn mit solch einer Hingabe, sodass selbiger gar nicht anders konnte sich der Lust hinzugeben und sie in die schöne, klare Nacht hinaus zu schreien. Sollte es doch jeder wissen. Hungrig biss, saugte und leckte er an jeder Stelle Haut, die er erreichen konnte, um dieses schönste aller Wesen als seines zu markieren...
 

Ein letztes Mal bäumte sich der kleinere Körper auf. Die Gefühle in ihm barsten und mit einem lauten Schrei gab er sich dem Gipfel der Lust hin....
 

Schwer atmend wurde er an die starke Brust gezogen und mit sachten Zärtlichkeiten empfangen. Er war erschöpft, doch niemals zuvor in seinem Leben glücklicher. Unter seiner Hand konnte er das Herz des Gottes fühlen, welches in einem ebenso schnellen Takt wie sein eigenes schlug.

„Bist du nun überzeugt?“, fragte Camui und ließ seine Stimme vibrieren.

„Hai“, hauchte sein Liebster, welcher sich mit einem glücklichen Seufzer noch mehr an ihn schmiegte. Er fühlte sich kraftlos, doch zugleich so leicht. Als ob ein Windhauch reichen würde, um ihn wie ein Blatt im Herbst davon wehen zu können.

„Da bin ich aber beruhigt“, kam es mit einem sanften Lachen von dem Mann mit den blauen Augen, der mit seinen Fingern liebevoll über die erhitzte Haut strich. Bis zum Ende der Ewigkeit könnte er hier sitzen. Mit seinem Liebsten in seinen Armen. Es würde ihm nicht langweilig werden. Ein Gedanke, der ihn zu einer anderen Idee führte. „Anô... Hideto?“

„Hai?“

„Würdest du die Nacht hier bleiben wollen?“

Lächelnd fuhr ihm der Angesprochene über die Lippen, ehe er sie kurz küsste. Es wäre ein perfekter Abschluss für diesen wunderbaren Abend. „Sehr gerne.“

„Und würdest du“, begann der Größere zögerlich, „auch für immer bleiben?“

Überrascht wurde er angesehen. Das war doch eine sehr plötzliche Frage, die eine weit reichende Entscheidung über sein Leben forderte. Darüber musste der Mensch doch einen Moment nachdenken. Konnte er wirklich alles aufgeben? Sein Leben als Mensch einfach so zurücklassen und hier etwas völlig neues Anfangen mit dem Mann, den er so sehr liebte? Aber wenn er darüber nachdachte.... Was ließ er schon zurück? Nichts, was von Bedeutung war. Nicht, das wichtiger wäre, als die Liebe dieses Mannes und das stumme Versprechen, dass er hier nichts mehr fürchten brauchte.

„Hai, auch für immer“, versprach er und spürte, wie schon so oft in dieser Nacht, die vertrauten Lippen, die ihn in ihrer überschwänglichen Freude nach hinten warfen und sie beide für ein paar Augenblicke Unterwasser brachte. Sie küssten sich, als gäbe es kein Morgen. In dem Wissen, dass sie das Glück in diesem Moment fest in ihren Armen hielten.


Nachwort zu diesem Kapitel:
An diejenigen, die das hier lesen: Danke, dass du, lieber Leser, es bis hierhin durchgehalten hast :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, dass mit dem Gewitter ist nicht ZU übertrieben.
Aber die Idee klang auch zu verlockend, als dass ich sie nicht hätte benutzen können ^^
@Shimanai: Ich komme gerne auf dein Angebot zurück, wenn mir der Ideenreichtum ausgeht. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, yeah. What the fuck? Werden sich jetzt bestimmt einige Fragen. Aber nicht weiter wundern. Es wird noch Aufklärung geben ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Deshima: Eine künstlich angelegte Insel in der Bucht von Nagasaki. War während der Abschottung Japans von etwa 1600 bis 1868 der einzige Ort, wo Handelsschiffe von außerhalb anlegen durften. Vorzugsweise holländische Schiffe. Die Händler brachten viel von dem Wissen aus Europa mit, welches sich nach und nach im ganzen Land unter den Gelehrten ausbreitete.

*120 Yen: Sind heute etwa 1€, aber wenn man Inflation etc. bedenkt, dann denke ich, dass dieser Preis gar nicht mal so unrealistisch ist ^^; Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So ganz zufrieden bin ich irgendwie nicht mit dem Kapitel, aber es wird wieder besser >.< Denke ich...
Und nun sollte ich mich wieder auf das Büffeln für meine Prüfungen in nächster Zeit konzentrieren ;)
Bis demnächst Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Es ist echt lustig, wenn ich überlege, dass ich beim Schreiben des nächsten Kapitel immer wieder in die höfliche Form gefallen bin xD Da muss ich mich selbst jetzt erst dran gewöhnen ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Entschuldigt, dass ich etwas gebraucht habe. Es hakt nur momentan etwas bei dieser FF bzw. bei meiner Motivation sie abzutippen...
Obwohl ich nen groben Plot habe Q_Q
Aber ich werde sie auf jeden Fall zu Ende führen. Versprochen :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie hatten die FF und ich einen kleinen Beziehungsstreit. Ich wurde in letzter Zeit einfach nicht warm mit ihr. Aber jetzt hatten wir ein bisschen Zeit für uns und konnten uns neu kennen lernen. Das hat geholfen. Jetzt geht es hoffentlich wieder bergauf mit uns beiden ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
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damit ungefähr klar ist, was ich mit 'Mantel' meine ^^; Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel steht zumindest schon mal auf Papier. Ich muss jetzt nur noch die Zeit und den Willen finden es anzutippen^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Joa, müsste er :/ Aber es ist doch viel spannender, dass er es eben nicht tut, nicht wahr meine Lieben?
Nächstes Kapitel hab ich auch schon fertig. Mal schauen, wann ich dazu komme das online zu stellen Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Woah, ich kann jetzt den Text in der formatierten Form eingeben und muss nicht mehr im Anschluss die ganzen Stellen raus suchen, an denen ich es kursiv haben will? *-*
Bin begeistert x3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein paar romantische Gefühle passend zum Frühling x3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*Camui und Hideto anguck*
Ich will ja nix sagen ihr Zwei, aber findet ihr nicht, dass das jetzt ein bisschen schnell ging? ò_Ô
Camui und Hideto: *Kuss unterbrech* Nö *weiter mach*
-.- Ich gebe mich geschlagen. Hier macht doch eh jeder was er will... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Jetzt mal im Ernst: Wer von euch hat gedacht, dass das jetzt ruhig und friedlich zu Ende gehen wird?
Dann wären wir ja bald durch! Und ich hätte gar nicht alles einbringen können, was ich hatte einbringen wollen xD
Nope, das ist jetzt wohl DER Höhepunkt der Story. Ich muss hier doch mal wieder ein wenig Schwung in die Sache bringen, sonst ist es langweilig Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gute Frage xD
Mich würden ja interessieren, was ihr für Vorschläge habt.
Die Antwort gibt es dann in 2 Wochen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Diese Zwei, ne...
Jetzt zahlen sie es mir heim, dass ich sie getrennt habe, in dem sie um den heißen Brei tanzen -.-
Na wartet... Gleich schubse ich euch rein... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Eines der eher ruhigeren Kapitel. Aber ich wollte die Zwei einfach ein wenig voneinander fern halten, bevor sie mir wieder quer schießen xD Meinungen, Kekse etc. sind immer wieder gerne gesehen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich will ja nichts verraten, aber.... ihr habt gerade das vorletzte Kapitel gelesen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und? Was sagt ihr? >.<
Ein Kapitel habe ich noch. Als Bonus sozusagen. Das gibt es dann zum Geburtstag der FF x3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit wäre endgültig das Ende dieser FF erreicht :'3 Hab gedacht ich packe zum Abschluss ein wenig Romantik in die FF.
Danke an die Freischalter, dass sie sich so beeilt haben :D
Und ein großes Danke an all meine lieben LeserInnen und vor allem an die lieben Leute, die mir ein Kommentar da gelassen haben. Das hat unglaublich motiviert und aufgebaut x3
*Tee und Kuchen hinstell*
Um das warten auf den nächsten Teil zu verkürzen, für den mir schon Ideen durch den Kopf gehen.
Also, man liest sich
Gruß
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Kommentare zu dieser Fanfic (34)
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Von:  aknankanon
2015-04-03T22:13:05+00:00 04.04.2015 00:13
Wundervoll, wie immer. Baust du eigentlich auch noch Hyde´s Flügel-Tattoo mit ein?? Denn er ist das perfekte Engelchen.
Von:  aknankanon
2015-03-15T00:57:13+00:00 15.03.2015 01:57
Wunderschön. Besonders das Ende des Teils. Nun wird hoffendlich alles gut und das Leben kann nun richtig für sie beginnen.? C+H forever.
Von:  aknankanon
2015-02-23T10:11:24+00:00 23.02.2015 11:11
Na hoffentlich findet Hideto die Kraft und den Mut Camui alles zu erzählen? Sie gehören einfach zusammen (so wie im echten Leben ;-) ).

*Cupcakes und Cake Pops hinstell*
Antwort von:  Cookie-Hunter
23.02.2015 15:17
Na, ob er das schafft... Wobei er ja hin und wieder einen mutigen Moment hat ;)
In dieser FF finde ich auch, dass sie super zusammen passen. Im realen Leben können sie ja machen, was sie wollen, aber hier hab ich (meistens) die Hosen an >:D

Gebackenes *___* *haps*
Von:  xxReikaxx
2015-02-23T02:49:54+00:00 23.02.2015 03:49
Die armen beiden
ich liebe diese Story so

*einen Pott Kekse hinstellt*
Bitte schön...
*kuschel*

Antwort von:  Cookie-Hunter
23.02.2015 03:56
Kekse *__*
*mümmel*
Von:  aknankanon
2015-02-14T22:02:38+00:00 14.02.2015 23:02
Wieder mal ein sehr gelungener Teil. Kann Camui Hideto eigentlich mit in sein göttliches Zuhause nehmen? Vielleicht kann man ja die Tür zu den privaten Gemächern abschließen? So dass ein gewisses, nerviges Füchslein nicht wieder stört?? ;-)
Antwort von:  NatsUruha
15.02.2015 10:00
Die Idee gefällt mir.... seeeeeeeeeeeehr XD
Antwort von:  Cookie-Hunter
15.02.2015 11:28
Das glaub ich, dass dir die Idee gefällt xD
Ich... werde aber nichts über den weiteren Verlauf Spoilern, sonst verderbe ich euch ja den Spaß^^
Es wird auf jeden Fall aber noch mal schön werden.
Von:  NatsUruha
2015-02-14T15:59:13+00:00 14.02.2015 16:59
Ich bins Hide-Chan von FF.de.... da ist es irgendwie noch nicht On? (Mexx is schneller? WTF?) also schreibe ich jetzt mal hier. :D
Gackt stellt sich anfänglich trobsig an XD

Aber Hideto hat wenigstens seine Stimme wieder gefunden.
Gackt is ein bisschen Begriffstutzig oder? :'D

küssü küssü XD
interessant das er ennergie weiter geben kann.... auf diese art...
grrrrrr noch mehr küssü XD

Dieser verdaaaaaaaaaaamte Fuchs >_>
Ich schuppse sie mit rein kay?

lg hidelein


Antwort von:  Cookie-Hunter
15.02.2015 11:17
Hi :D
Joa, Mexx ist schneller, weil ich es wegen der langen Warteschlangen einfach mal etwas früher als sonst in hochgeladen hab, in der Annahme, dass es dann rechtzeitig zu dem eigentlichen Erscheinungsdatum veröffentlicht ist ;)

Ein bisschen begriffsstutzig? Ein bisschen sehr, wie ich fürchte xDD Irgendwie ist dem sein Kopf nach dem Erwachen noch noch nicht wieder so aufnahmefähig, fürchte ich ^^;
Jaaaa, ganz viel geknutsche x3 Damit Hidetos kleines Herzchen wieder etwas heilt.
Allerdings bezweifle ich, dass es die einzige Art ist, wie er das mit der Energie machen kann... :P
Nicht den Fuchs hassen, der macht auch nur seinen Job >< Also bitte keine Stola aus dem Kerlchen machen.
Antwort von:  NatsUruha
15.02.2015 12:21
Animexx :'D *lach*

Okay... er ist mega Begriffsstutzig.... ma schauen ob seine Aufnahmefähigkeit wieder besser wird.

Nicht die einzige Art? >////////////////> *Kopfkino*

Nö hab ich auch nicht vor... steh nicht so auf Fell :'D
Von:  aknankanon
2015-02-06T19:11:41+00:00 06.02.2015 20:11
O je, der arme Hideto. Hoffendlich wird dass wieder? Können Menschen und Götter nicht doch zusammen sein? Das ist doch in der Mythologie möglich oder?
Antwort von:  Cookie-Hunter
12.02.2015 22:36
In der Mythologie ist vieles möglich...
Deswegen macht es so einen Spaß sie zu verwenden x3
Lass dich also überraschen von den Beiden ;)
Von:  xxReikaxx
2015-01-21T16:16:21+00:00 21.01.2015 17:16
Das arme Hideto!
T__________T
Wehe Camui kommt nicht zu ihm zurück...
Q___Q
Antwort von:  Cookie-Hunter
21.01.2015 17:29
Was machst du, wenn nicht? :D
Dir Hideto selbst krallen, so wie ich dich kenne xD
Antwort von:  xxReikaxx
21.01.2015 17:32
Dann... dann...
mir fällt noch was ein!! ò___ó
zur Not, ja... ><
*Hideto knuddelt*
Von:  aknankanon
2015-01-15T19:44:35+00:00 15.01.2015 20:44
Ein wunderschöner Teil. Wirklich. Kann es kaum erwarten, zu erfahren, wie es weiter geht.
Antwort von:  Cookie-Hunter
20.01.2015 23:49
Wui, ein neuer Name unter den Kommentarschreibern x3
Welch eine Freude.
Vielen Dank dafür >//<
Von:  xxReikaxx
2015-01-15T11:55:55+00:00 15.01.2015 12:55
Ahhhhw

ging zwar etwas rasch... aber... Egal!!
so kawaiiiii
~ ♥ ~
Antwort von:  Cookie-Hunter
20.01.2015 23:50
Joa, wie das manchmal so ist... man hat als Autor plötzlich kein Mitspracherecht -.-
Zu dumm nur, dass sie mir damit irgendwie in meine fiesen Sadistenhände gespielt haben....


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