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Der letzte Raubzug

von

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Was geschieht mit mir?

'Jetzt sind sie ganz blau', stellte Camui fest, als er am Morgen in die kleine, spiegelnde Scheibe blickte. Besorgt sah er zu dem, noch immer schlafenden, anderen Mann. Er hatte es sich nicht anmerken lassen wollen bei ihrem Gespräch gestern, aber Angst hatte er schon. Davor, dass diese Augen wirklich ein Anzeichen für eine Krankheit waren. Würde er vielleicht doch noch sterben müssen? War seine Zeit gekommen? Nun, dann sollte es so sein. Zumindest hatte er dann für eine Weile erlebt, wie schön das Leben doch eigentlich sein konnte. Dennoch empfand er es als Schade, dass er wohl bereits gehen musste. Leise und vorsichtig legte er den Spiegel wieder zurück an seinen Platz, schlich sich dann nach draußen. Ein paar Augenblicke wollte er für sich allein haben. Mit dem Blick zum Garten, ließ er sich auf der Terrasse nieder. Es gab da noch etwas, das ihm an seinem Körper aufgefallen war. All die Narben, die er sich von Verletzungen in der Vergangenheit zugezogen hatte, waren verblasst. Aber darüber sorgen, machte er sich erst seit gestern. Seit ihn der Andere darauf hingewiesen hatte, dass es ungewöhnlich war.

Seufzend wanderte sein Blick über all die Pflanzen. Es war so schön friedlich hier. Wenn er schon sterben musste, dann war dies hier ein guter Ort dafür. Gerade jetzt. Wo der Tag erwachte und sich die Sonnenstrahlen in dem Tau brachen und alles funkeln ließ. Wo die Blüten aus ihrem Schlaf erwachten und sich anschickten sich der Sonne entgegen zu strecken. Die ersten Käfer und Vögel waren bereits unterwegs. Tief atmete Camui die klare Luft ein und schloss genießend die Augen. Plötzlich verspürte er den Drang, etwas zu tun, was er noch nie vorher getan hatte. Von dem er auch nie gedacht hatte, es eines Tages zu tun. Inspiriert von den Gesängen der Vögel, begann er zu summen und einige ihrer Melodien nachzuahmen. Sie sangen so wunderschön. Camui wollte es ihnen gleich tun. Bessere Lehrer gab es nicht. Zudem fällten sie kein Urteil über das, was er hier versuchte. Auch sonst niemand, denn er war ja alleine. So wurde er selbstsicherer, fließender, bis sich ganz von allein eine eigene Melodie entwickelte.

Irgendwie war es ihm vertraut. Als ob singen etwas ganz natürliches für ihn wäre. Doch es fehlte noch etwas: Worte. Dann wäre es richtiger Gesang. Aber die Frage war doch, was er singen sollte. Langsam öffnete er die Augen.

Woher kam nur dieser Drang? Nur ganz selten in seinem Leben hatte er die Chance gehabt in Ruhe der Musik auf Festen zuzuhören und sie auch zu genießen. Jedoch hatte er eine Ahnung, dass es ihn nicht mehr los lassen würde, wenn er es jetzt nicht versuchte. Was lächerlich war, wo er doch niemals gelernt hatte, wie das ging. Niemand hatte ihm ein Lied beigebracht.

Wie ein Fisch musste er aussehen, wenn er den Mund so wie jetzt immer wieder öffnete und gleich darauf wieder schloss, weil er sich nicht traute. Dabei mussten es doch keine Worte sein. Vielleicht würde es auch schon reichen, wenn simple Laute über seine Lippen kamen.

Sehnsüchtig sah er den Vögeln zu. Wie sie durch den Garten flatterten, auf der Suche nach Futter. Lauschte ihrem Zwitschern. Wieder ahmte er ihre Melodie durch Summen nach. Wie in Trance teilten sich seine Lippen und die ersten richtigen Töne verließen seine Kehle. Es waren wirklich nur Laute bisher, aber sie beruhigten das Verlangen nach richtigem Gesang für einen Moment. Leider wirklich nur für einen Moment.

„Unter... den ersten Strahlen... des Tages...breitet jeder kleine Vogel... seine Flügel aus.“ Das mit dem Texten sollte er noch mal üben. Aber fürs Erste muss es reichen, wenn er einfach darüber sang, was ihm gerade durch den Kopf ging. Zumindest besänftigte es das seltsame Verlangen in ihm. „Mit dem Wind... fliege ich.. übers Land. Fang einen Käfer hier und dort. Mach mir ums Leben keine Sorg'.“ Das war ein Reim, oder? Wie interessant. „Fällt der Regen auf mich herab, dann suche ich mir einen Platz. Hoch oben in einem Baum, kann ich dann auf die Welt hinaus schau'n.“

„Ihr singt wirklich schön.“

Schreckhaft sprang er auf und fiel dabei beinahe von der Terrasse. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er seinen Zuhörer an. Camui hatte gar nicht mitbekommen, wie sich ihm jemand genähert hatte. Früher hätte es ihn das Leben gekostet, wenn seine Sinne so nachlässig gewesen wären. Eigentlich war er sich sicher gewesen, dass er das nie mehr verlernen würde, wo es ihm doch so in Fleisch und Blut übergegangen war. Doch da war er gerade eines besseren belehrt worden.

„I-Ihr habt mich erschreckt.“ Noch immer pochte sein Herz aufgeregt in seiner Brust, während er sich wieder aufrappelte und seine Kleidung richtete. „Ha-Hab ich Euch geweckt?“

„Nicht ganz“, lächelte der Kleinere und setzte sich zu seinem Gast. „Ich stehe immerhin immer um etwa diese Zeit auf. Aber ich gebe zu, dass ich noch nie von einer so hübschen Gesangsstimme geweckt worden bin. Ich wusste gar nicht, dass Ihr das könnt.“

„Nun, ich auch nicht. Das war heute das erste Mal“, gestand er und blickte verlegen auf das Holz unter ihm. „Ich hatte aber auch nicht mit Zuhörern gerechnet.“

„Wie kommt es, dass Ihr schon wach seid?“, wechselte Hideto das Thema. Normalerweise musste er seinen Gast wecken.

Dieser zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ist einfach so geschehen.“

Für ein paar Momente blieben die beiden Männer dort sitzen und beobachteten den beginnenden Morgen.
 

Später am Tag war Camui damit beschäftigt den Platz vor dem Schrein zu kehren. Es hatte sich allerhand Laub angesammelt, was keinen guten Eindruck machte. Vor allem nicht bei den vielen Besuchern. Jeden einzelnen, der an ihm vorbei ging und zu dem kleinen Opferstock wollte, begrüßte und verabschiedete er freundlich. Was er von den jungen Damen halten sollte, die hinter ihren vorgehaltenen Fächern kicherten, wenn er sie ansah, wusste er dann allerdings auch nicht. Ein Stück weit war es ihm unangenehm. Sowohl ihre Blicke, als auch ihr Kichern. Er war einfach anderes gewöhnt.

Während er seiner Tätigkeit nachging, behielt er, aus der Gewohnheit heraus, sein Umfeld im Blick. Nicht, dass ihm doch noch jemand nach dem geschenkten Leben trachtete. Dabei fiel ihm ein sehr nervös wirkender Junge auf. Wie er sich umschaute... Gehetzt, ängstlich. Dieses Verhalten kannte er nur zu gut. Aus seiner Vergangenheit. Unauffällig näherte er sich dem Kind, tat so, als hätte er ihn noch gar nicht bemerkt. Was hatte der Kleine vor? Beten schon mal nicht. Wenn man das vor hatte, dann schlich man nicht so herum. So viel wusste er dann selbst. Nicht einmal er hatte sich bei seinem ersten Gebet so aufgeführt. Als der Junge seine Hand zwischen die Stäbe des Opferstocks schob, reagierte er blitzschnell. In wenigen Schritten war er bei ihm, hielt ihn am Handgelenk fest.

„Die Götter zu bestehlen macht sich nicht gut, Kleiner.“

Panisch wurde er von dem Kind angesehen. Der Junge zitterte am ganzen Körper. Dem dünnen, ausgemergelten Körper.

„Lass das Geld wieder fallen“, sagte er sanft. „Komm schon. Ich will dir auch nicht weiter weh tun.“

Man sah deutlich den Zwiespalt in den Augen des Jungen. Gedanken, die er selbst noch zu gut in Erinnerung hatte. Oft hatte er den Satz selbst gehört damals. Und auch wenn er der Anordnung folge geleistet hatte, Prügel hatte er dennoch bezogen. Der Junge musste die Münzen allerdings wieder fallen lassen. Mit der geschlossenen Faust kam er sonst nicht wieder aus den Stäben heraus.

„Du hast Hunger, nicht wahr?“ Würde ihn jedenfalls nicht wundern. „Lass das Geld fallen und ich gebe dir etwas. Einverstanden?“

„Ich glaube dir nicht!“

Ah, da hatte jemand seine Sprache wiedergefunden. „Ich kann verstehen, dass-“

„Monster!“

„Nani?“ Geschockt und verwundert sah er das Kind an.

„Du bist ein Monster. Du, mit deinen komischen Augen.“

Jetzt war er verletzt. Die ganze Zeit hatte es doch niemanden gestört und plötzlich wurde er als Monster bezeichnet? „Ich bin kein-“

„Monster! Lass mich los!“

„Das geht nicht.“

„Du sollst mich los lassen!“

Das konnte er nicht. Denn dann würde er doch nur versuchen mit den Münzen abzuhauen. Er konnte doch nicht zulassen, dass sein Gastgeber Schaden nahm. Zudem konnte er die Götter, die ihn errettet hatten, nicht enttäuschen. „Ich lasse dich los, wenn du los gelassen hast.“

„Du hast doch keine Ahnung, Monster.“

„Was ist hier los?“

Verschreckt sahen die beiden zu dem Priester, der gerade aus dem Hauptraum kam.

Noch bevor Camui sich erklären konnte, versuchte der Junge seinen Arm zu befreien und fing an zu zetern. Die Münzen hatte er dann doch fallen lassen. Deren Klappern hatte der Größere gar nicht gehört.

Mit gerunzelter Stirn kam der Herr dieser Stätte näher, sah fragend zu seinem Gast.

„Ich habe den Jungen dabei erwischt, wie er Geld aus dem Opferstock stehlen wollte“, berichtete er demütig und aus Respekt für seinen Retter.

Seufzend beugte sich der Kleinere zu dem Jungen herab: „Wofür brauchst du denn das Geld, hm?“ Für ihn stand außer Frage, dass Camui ihn belog. Es gab auch keinen Grund für diese Annahme. Trotzig wurde er von dem Jungen angesehen. Nein, von dem würde er kein Wort hören.

„Camui-san?“, fragte er und sah diesen direkt an. „Bring unseren Gast doch bitte hinein.“ Er selbst würde eine Kleinigkeit zu Essen für jenen holen. Schließlich war er ja nicht dumm. Konnte sehen, warum der Junge hatte stehlen wollen. So ging er selbst schon einmal vor, während er überlegte, was er anbieten könnte.

Camui nickte auf den Vorschlag hin, stellte den Besen an die Seite und hob den Jungen auf seine Arme, der daraufhin wild protestierte. Die lauten Schreie ignorierte er und ging mit seiner Fracht in den hinteren Teil des Tempels, wo er ihn auf der Kante der Terrasse absetzte, ihn jedoch an den Handgelenken fest hielt, damit er nicht floh.

„Du brauchst keine Angst haben. Hideto-san ist ein sehr netter Mensch. Er hilft den Leuten.“

„Lügner!“ Wütend wurde er angestarrt. „Du lügst.“

„I-Iie, ich-“

„Du hast gesagt, du würdest mir nicht mehr weh tun, wenn ich die Münzen fallen lasse, aber jetzt tust du es doch.“

In dieser Sache hatte der Junge recht. Jedoch: „Ließe ich dich jetzt los, würdest du nur weglaufen. Ich bin mir aber sicher, dass dies zu deinem Nachteil wäre.“

„Womit er auch völlig recht hat“, mischte sich der Geistliche ein und stellte ein kleines Tablett neben die Beiden. „Es war so oder so Zeit für eine kleine Pause. Und eine kleine Stärkung.“ Er ließ sich nieder. „Ich denke, Ihr könnt ihn jetzt los lassen.“

Camui nickte und tat wie geheißen. Der Junge blieb tatsächlich sitzen, starrte die gebrachten Reisbällchen an. Anscheinend überlegte er, ob er eines mitnehmen sollte oder ob sie vergiftet waren.

„Such dir eines aus.“ Große Augen richteten sich auf den etwas kleineren Mann, der aber nur sanft zurück lächelte. „Für jeden ist eine Tasse Tee und ein Reisbällchen da. Greif also ruhig zu.“ Misstrauisch sah der Junge zwischen den beiden Männern und dem Essen hin und her. Man merkte schnell, dass er gelernt hatte nicht jedem auf Anhieb zu vertrauen. Schon gar nicht, wenn ein Fremder derart freundlich war.

„Nichts davon ist vergiftet“, versuchte Camui das Kind zu beruhigen. „Und als Beweis werde ich das essen und trinken, was du für mich aussuchst.“ Ruhig saß er da und wartete. Aber sein Vorschlag schien dem Jungen nicht ganz geheuer zu sein.

„A-Also gut“, kam es dann nach reichlicher Überlegung. „Du wirst dieses Reisbällchen essen und aus der Tasse trinken.“

„Einverstanden.“ Ohne zu zögern griff er zu, biss auch gleich in seinen Imbiss, um zu zeigen, dass es keinen Grund gab, misstrauisch zu sein.

Hideto hatte sich alles stillschweigend angesehen. Wenn einer dieses Kind verstand und zu ihm durchdringen konnte, wäre sein Gast wahrlich die bessere Wahl. Er konnte sehen, wie sehr sich der Junge dagegen sträubte, diese gut gemeinte Geste an zu nehmen. Einen Moment alle aufgebauten Schutzwälle des Misstrauens zu missachten. „Und welches soll ich nehmen?“, stieg er in das Spiel mit ein.

Zögerlich zeigte der Jüngste unter ihnen auf die Dinge, die er erwählt hatte.

„Nun, denn. Wie du willst.“ Lächelnd nahm er, was für ihn ausgesucht worden war und tat es Camui gleich, in dem er ebenfalls gleich begann zu essen.

„Siehst du?“, mischte sich Camui in das Gespräch ein, nachdem er den letzten Rest seiner Zwischenmahlzeit gegessen hatte. „Nicht vergiftet.“ Zu seinem Gastgeber gewandt meinte er dann: „Gochisousama deshita, Hideto-san.“

Lächelnd wurde das Lob entgegen genommen. Dass sich der andere Mann für ein derart einfaches Mahl bedankte. „Was habt ihr vor?“, fragte er, als sich sein Gast erhob.

„Nun, ich bin bei meiner Arbeit unterbrochen worden. Jetzt würde ich sie gerne beenden.“ Schließlich hatte er das Gefühl, dass er sein Leben hier damit rechtfertigen konnte. In dem er die aufgetragenen Arbeiten erledigte und so seinem Gastgeber eine Hilfe war. Das war seine Art sich dafür zu bedanken, dass er hier leben durfte und zu essen und zu trinken bekam. Außerdem war ein Leben mit Sinn und einem geregelten Tagesablauf sehr angenehm. Zumindest für jemanden, der bisher nur rastlos durchs Leben gewandert war.

„Bleibt doch noch sitzen. Wir haben nicht mehr viele dieser herrlichen Tage. Wir sollten uns die Zeit nehmen und sie genießen.“

Erst wollte Camui protestieren. Sagen, dass sich das ganze Laub ja nicht von alleine fort bewegen würde, aber die ruhige Stimme und die wohlige Ausstrahlung des freundlichen Mannes brachten ihn dazu, sich wieder zu setzen und sein Gesicht den angenehm warmen Sonnenstrahlen zuzuwenden.

Der Junge dagegen hatte seine Portion immer noch nicht angerührt.

„Wie heißt du?“, fragte Camui in dem Versuch dem kleinen Menschen die Situation erträglicher zu machen.

„H-Hiro.“

„Gut, dann Hiro-kun.“ Er war sich recht sicher, dass dies nicht der echte Name des Kindes war. Seinen hatte er ja auch nie gesagt. Bis auf ein paar Ausnahmen. „Weißt du, Hiro-kun, vor nicht allzu langer Zeit steckte ich in der selben Lebenslage, wie du. Darum möchte ich dir einen kleinen Ratschlag geben.“

Misstrauisch, aber auch mit einer gehörigen Portion Neugier wurde er von oben bis unten betrachtet. Man sah es ihm aber auch wirklich nicht mehr an.

„Ein Geschenk wie dieses hier ist selten genug. Menschen wie Hideto-san sind noch rarer. Wenn sich dir also die Gelegenheit bietet ein Geschenk von jemandem wie ihm zu bekommen, dann nimm es an. Sie haben nur dein Bestes im Kopf.“ Eindringlich sah er den kleinen Dieb an. „Ignorieren wir die Tatsache, dass sich niemand die Mühe machen würde teures Gift an einen wertlosen Dieb zu verschwenden, wäre dann nicht selbst vergiftetes Essen besser als keines?“ Er schob das Tablett näher an das Kind heran. „Und nun iss! Du brauchst das. Es bedeutet einen weiteren Tag, den du leben wirst.“

Unsicher spielte der Junge mit seinen Fingern und sah zu Boden. Einzelne Tränen tropften von seinen Wangen, ehe er nach dem Reisbällchen griff und hinein biss.

„Eine gute Wahl, Hiro-kun.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Shimanai
2013-09-30T11:17:56+00:00 30.09.2013 13:17
Omg, ich liebe diese Geschichte einfach so derbst! Aber, ich kann mit Camui ehrlich gesagt schwer mit blauen Sprenkeln in den Augen vorstellen xDD Muss sicher witzig aussehen ;D
Antwort von:  Cookie-Hunter
30.09.2013 14:10
Das ist aber etwas, dass man sonst nicht sieht^^ Aber jetzt sind sie ja komplett blau und das ist dann ja doch weder ein etwas gewohnterer Anblick


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