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Der letzte Raubzug

von

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Seltsam

Später am Tage saßen sie nebeneinander auf einer Decke in einer unbepflanzten Ecke des Gartens, wo Hideto mit einem Stock Schriftzeichen in den Boden malte.

„Ich muss zugeben, dass dies hier eine ungewöhnliche Methode ist, um jemanden das Schreiben zu lehren, aber Papier und Tinte sind kostspieliges Gut.“

„Ihr braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. Für jemanden, wie mich ist das hier völlig ausreichend.“

Dazu sagte der Kleinere nichts, seufzte nur. Stattdessen begann er ein paar erste Zeichen in den Sand zu malen. „Ich selbst kenne auch nicht alle Zeichen, aber genug, um die meisten Schriften lesen und auch selbst verfassen zu können. So gut ich kann werde ich Euch alle lehren.“
 

Einige Zeit war vergangen und die Sonne verschwand immer mehr hinter dem Horizont.

„Für heute soll es reichen“, beschloss Hideto. „Ihr seht auch schon reichlich erschöpft aus.“

„Mir schwirrt nur der Kopf“, gestand Camui und hielt sich selbigen. So viel, was er sich merken musste. Linien, Bedeutungen und Reihenfolgen. Und sie waren erst am Anfang der Lektionen, soweit er verstanden hatte. Bisher waren es auch nur einzelne Silben. Er öffnete die Augen und betrachtete die Linien im Sand. Ob er sich die irgendwann alle würde merken können?

„Na kommt, ich bringe Euch hinein“, bot Hideto ihm an, aber er schüttelte nur den Kopf.

„Ich würde gerne noch ein wenig hier sitzen bleiben und die letzten Sonnenstrahlen genießen.“

Tatsächlich wurde er von seinem Gastgeber allein gelassen. Die Augen schließend wandte er sein Gesicht der Sonne zu. Dies hier war eine andere Stille, als die im Heiligtum, doch bei weitem angenehmer. Einige Minuten lang genoss er die Klänge der Natur. Das Rascheln der Blätter, wenn der Wind sie bewegte. Den Gesang der Vögel. Dann sah er wieder auf die Linien zu seinen Füßen. Mit seinem Zeigefinger fuhr er die Zeichen im Sand nach, murmelte ihre Bedeutungen leise vor sich hin. Aber ihm schwirrte so der Kopf, dass er sich gar nicht mehr richtig konzentrieren konnte. Müde rieb er sich über die Augen. Nein, für heute war genug. Ein wenig umständlich erhob er sich und streckte seine Glieder. Zumindest soweit es die Verletzung erlaubte. Langsamen Schrittes wanderte er durch den Garten, betrachtete die einzelnen Pflanzen. Der Geistliche hatte wirklich allerhand hier. Als sein Blick über den Brunnen wanderte, bemerkte er erst, wie durstig er doch eigentlich war. Ob er es versuchen und sich etwas frisches Wasser hoch holen sollte? Wenn er darauf achtete, dass der Eimer nicht voll war, schaffte er es vielleicht sogar. Mehr als versuchen konnte er ja nicht. Mit einem kleinen Schubser verschwand der Behälter im Brunnenschacht und kurz darauf hörte man ihn bereits auf das Wasser platschen. Sogleich nahm er das Seilende in die Hand, bevor zu viel in den Eimer floss. Sich bereits darauf einstellend, dass sich gleich wieder unhaltbarer Schmerz in seinem Rücken ausbreitete, zog er an. Doch es blieb bei einem ertragbaren Ziehen. Darum machte er weiter, Zug um Zug.

„Was tut Ihr da?“

Vor Schreck löste er seinen Griff um das Seil, woraufhin der Eimer binnen Sekunden erneut im Wasser landete. Geschockt sah er in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war und sah den etwas kleineren Priester auf sich zu eilen.

„Ihr sollt Euch noch nicht anstrengen. Das könnte Euren Heilungsprozess verlangsamen.“

„Gomen nasai. Ich wollte nur etwas trinken. Ich hab gedacht, dass ich einen nur zum Teil gefüllten Eimer schaffen sollte.“ Schuldbewusst sah er zur Seite, konnte dem vorwurfsvollen und besorgten Blick des Anderen nicht wirklich ertragen.

„Dann hättet Ihr mich aufsuchen sollen. Ich hätte Euch etwas gegeben.“ Kopfschüttelnd, aber lächelnd stand er da, die Hände in die Hüften gestemmt. „Oder einfach noch einen Moment warten, denn dass Essen ist fertig und ich habe auch frischen Tee aufgesetzt.“

„Oh, gut.“

Doch bevor sie gehen konnten, musste der Eimer aus dem Brunnen geholt werden. Also ergriff der kleinere Mann das Seil und zog ihn nach oben. Die ganze Zeit im Wasser zu liegen würde weder dem Seil, noch dem Holz gut tun. „Na kommt. Lasst uns hinein gehen.“
 

Camuis Heilung schritt ungewöhnlich schnell voran, was vor allem den Gläubigen wunderte. Er wusste, was seine Medizin bewirkte und dass eine Verletzung wie diese weitaus länger brauchte, um so gut auszusehen. Statt ein paar Wochen waren jedoch erst ein paar Tage vergangen.

Und noch etwas anderes war ihm aufgefallen. Die hellen Sprenkel in den Augen seines Gastes waren mehr geworden. Warum, das verstand er nicht. Handelte es sich dabei um eine ihm unbekannte Krankheit? Hideto beschloss, dass er darauf achten sollte. Hin und wieder betrachtete er seine eigenen Augen, in einem kleinen Spiegel, den er besaß, aber bei sich konnte er bisher keine Veränderung feststellen.

Weil die Wunde so gut heilte, sorgte Hideto dafür, dass sein Gast ein richtiges Bad bekam. Camui musste ganz schön schrubben, um den vielen Schmutz von seiner Haut zu bekommen. Die langen Haare hatten dabei leider dran glauben müssen. Bedauerlicherweise waren sie so verfilzt gewesen, dass man sie nicht mehr hatte kämmen können. Im Austausch gegen ein paar Lebensmittel hatten sie Kleidung erhalten, die dem jungen Mann besser passte, als das, was er von Hideto geliehen bekommen hatte. Etwas einfaches, schlicht dunkelblaues mit hellblauem Bambus, mit einem einfarbig hellbraunen Obi und Unterwäsche. Ein Paar einfache Strohsandalen gab es von einem anderen Händler für ein paar Münzen. Schließlich sollte Camui nicht barfüßig durch die Gegend laufen. Mal davon ab, dass sein altes Schuhwerk auch genau das war: Alt. Und reichlich abgenutzt.

Das Ergebnis konnte sich wirklich sehen lassen. Unter all den Zeichen der Verwahrlosung hatte sich ein recht hübscher junger Mann versteckt.

Welcher dazu auch noch sehr wissbegierig und unglaublich hilfsbereit war. Er half beim Kochen, bestand darauf bereits kleinere Arbeiten im Garten zu erledigen und lernte eifrig die Schriftzeichen, die ihm beigebracht wurden.

Als Unterkunft war von Hideto eigentlich einer der derzeitigen Lagerräume vorgesehen gewesen. Einziges Problem: Er wusste nicht, wo er die Sachen darin sonst unterbringen sollte. Eine andere Lösung musste also her. So hatten sie in dem Raum, in dem der Geistliche bisher seinen Schlafplatz gehabt hatte, ein wenig umgestellt, um Platz für einen zweiten Futon zu schaffen.

Dass der kleine Schrein einen neuen Bewohner hatte, sprach sich erstaunlich schnell herum. Die Tatsache, dass dieser auch noch ansehnlich war, sogar fast noch schneller, wodurch spürbar mehr Besucher diesen Ort aufsuchten. Wobei vor allem die Anzahl der Frauen erheblich gestiegen war.

Hideto kam es einigermaßen gelegen, denn durch die vielen Besucher hatten sie ein paar Münzen mehr in der Kasse. Auch die kleinen Sachspenden waren gern gesehen. Dennoch wurde er allmählich misstrauisch. Dass all dies nur geschah, weil Camui hier war, war ihm schon bewusst. Schließlich war er weder blind, noch dumm. Wenn sie in die Stadt gingen, um Einkäufe zu tätigen, merkte er schon, wie viele Leute seinen Begleiter ansahen. Teilweise regelrecht anstarrten. Und dass die Leute zu einem hübschen Menschen nett waren, war auch eine Geschichte, so alt wie die Menschheit selbst. Doch dieser Mann besaß eine Aura, die er sich nicht wirklich erklären konnte. Am schlimmsten war dabei sowieso, dass er sich schon selbst das ein oder andere Mal dabei erwischt hatte, wie er seinen Gast länger betrachtet hatte, als es schicklich war.

„Sagt, Camui-san“, sprach er ihn eines Tages neugierig an.

„Ja, Hideto-san?“ Mit großen, neugierigen Augen sah der größere Japaner von seinen Schriftübungen im Sand auf. Die mittlerweile fast blauen Augen, die einen so völlig in ihren Bann zogen. Augen, aus deren Blick all das Traurige und Leidende verschwunden war.

„Eure Wunden. Sind die schon immer so schnell verheilt?“

„Iie. Aber normalerweise hatte ich auch keinen Zugang zu Medizin. Dann habe ich sie meist nur ausgewaschen und verbunden. Warum?“, stellte er die Gegenfrage. Es gab bestimmt einen Grund, weshalb sein Retter ihn das fragte.

„Nun, versteht mich bitte nicht falsch, aber Wunden wie Eure verheilen eigentlich nicht innerhalb von zwei Wochen. Schon gar nicht vollständig. Aber auf Eurem Rücken ist nicht einmal mehr eine Narbe zu sehen. Deshalb meine Frage.“

Verwirrt zog Camui die Augenbrauen zusammen und sah wieder auf seine Zeichnungen. „Ist das wahr?“

„Hai.“

„Hm. Ich dachte, dass es so schnell besser geworden ist liegt daran, dass Ihr euch darum gekümmert habt.“ Das hatte er wirklich angenommen. Deswegen gab es doch Medizin, nicht wahr? Damit man dem Körper eines Menschen helfen konnte gesund zu werden. Wieso verwunderte es dann den Anderen, dass es seinem Körper wieder so gut ging? „Aber was weiß ich schon von Medizin.“ Unsicher sah er wieder zu dem Mann neben sich. „Ist meine rasche Heilung denn so ungewöhnlich?“

Als Antwort bekam er ein Nicken.

Nachdenklich starrte Camui wieder den Boden an, fuhr die Zeichen immer wieder mit einem kleinen Ast nach, ohne sie wirklich wahr zu nehmen. Was stimmte nicht mit ihm? Was war falsch? Von den sich verfärbenden Augen -was er erst durch einen heimlichen Blick in einen Spiegel hatte glauben wollen- mal abgesehen. Besaß er irgendeine ungewöhnliche Krankheit? War doch gut möglich. Eine Krankheit, die bewirkte, dass sich die Augen änderten und man so schnell keine Wunde fürchten musste. War doch nichts schlechtes. Zumindest sah er es so.

„Wisst Ihr, was am Seltsamsten im Moment ist?“ Fragend sah er zu dem Anderen, der verneinend den Kopf schüttelte. „Gerade noch haben mich die Leute gehasst, mich verjagt sobald sie mich sahen. Wollten mich am liebsten tot sehen. Und nun bringen sie mir freiwillig schöne Dinge und Essen. Das ist schon... eigenartig. Findet Ihr nicht?“ Das war eine Situation, mit der er nicht umgehen konnte. Sie war ihm so fremd, dass sie ihn sogar ein wenig ängstigte. Darum hatte er auch schon mehrmals ablehnen wollen, wenn jemand auf ihn zugekommen war, um ihm ein Geschenk zu überreichen. Er kannte es nicht, wusste aber, dass die Menschen in der Regel eine Gegenleistung erwarteten, wenn sie etwas gaben. Aber was könnte jemand wie er schon geben, außer sich selbst. Und das war etwas, was für ihn nie wieder in Frage kam. Gleichzeitig wusste er aber auch, wie kostbar Kleidung und Essen waren. Gerade ein Stück Fleisch oder Fisch. Deshalb nahm er an. Um dem Priester nützlich zu sein, in dem er auf diese Weise etwas zu den Mahlzeiten dazu steuerte beziehungsweise diesem gerne die Kleidung überließ, die ihm selbst nicht passte. Es gab ihm das Gefühl etwas von seiner Schuld zurückzuzahlen.

„Es stimmt schon. So, wie es jetzt ist, ist es bestimmt das völlige Gegenteil von dem, was Ihr bisher erlebt habt. Allerdings: Die Meinung der Menschen kann wandelbar wie das Meer sein. In dem einen Augenblick stürmt ein fürchterlicher Orkan, der das Wasser zu meterhohen Wellen aufpeitscht und nur Sekunden später ist es wieder ruhig und glatt, als wäre nie etwas gewesen. Seien wir doch froh, dass wir im Moment windstille haben.“

Für ein paar Momente verfielen sie beide in Schweigen.

„Nun denn. Führen wir Eure Übungen fort.“ Um ihre Gedanken wieder in angenehmere Bahnen zu lenken. „Was war die Bedeutung von dem Zeichen hier?“

Camui sah zu den Strichen, auf die der Mann neben ihm zeigte. „Das war...“ Er war so raus, dass er ernsthaft nachdenken musste. „Ka?“

„Fast. Ki.“

„Ki. Gut.“ Schien als würde er die Lektion noch einmal beginnen müssen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, yeah. What the fuck? Werden sich jetzt bestimmt einige Fragen. Aber nicht weiter wundern. Es wird noch Aufklärung geben ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  xxReikaxx
2013-09-10T22:25:43+00:00 11.09.2013 00:25
Hach
Endlich wieder ein neues Kapitel.
So schnell hatte ich es noch nie gelesen, förmlich ein gesogen X33
Ich liebe diese Story und freu mich auch eine Fortsetzung!!
Was wohl mit Camui los ist? >__<

Weiter so
Hdggudl ♥
*Knuddel*

Deine Reika
=^.^=


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