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Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

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7. Kapitel

„Du siehst nicht gut aus.“

Mit dem Katzenfutter in der Hand hielt Delilah für einen Moment inne, ehe sie die Dose zu den anderen ins Regal räumte und nach einer weiteren griff.

„Ich fühl mich auch nicht so gut.“

Sich das einzugestehen war wesentlich schwieriger, als es ihrer Arbeitskollegin Lily mitzuteilen. Denn in Lilys Augen konnte jeder mal krank werden und es wäre das Natürlichste der Welt. Doch für Delilah bedeutete das nichts Gutes.

Sie war noch nie krank gewesen. Kein einziges Mal. Sie wusste nicht einmal, wie sich Schnupfen anfühlte. Geschweige denn eine Grippe. Dafür waren ihre Gestaltwandlergene bisher zu stark gewesen. Selbst wenn sie sich einen rostigen Nagel durch den Fuß gerammt hätte, wäre nichts weiter passiert, als das die Wunde von selbst heilte. Ohne Blutvergiftung oder irgendeiner Art von Infektion.

So hatte die Natur sie nun einmal geschaffen. Umso merkwürdiger war es daher also, dass sie dieses Mal versagt zu haben schien.

„Warst du schon beim Arzt?“

Delilah stellte die letzte Dose ins Regal, warf anschließend die leere Verpackung zu den anderen in den dafür zweckentfremdeten Einkaufswagen und drehte sich erst dann zu Lily herum, um ihr eine Antwort zu geben.

Die kleine schwarzhaarige Asiatin war gerade dabei, Vogelfutter einzusortieren, hatte aber offenbar schon länger in ihrer Tätigkeit innegehalten und sie beobachtet.

„Nein. So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich bin einfach nur erschöpft. Du weißt schon, der Umzug und all das.“ Sie machte eine hilflose Geste.

Die kleine Frau mit den schokoladenbraunen Augen schien nicht recht überzeugt.

„Aber du wohnst doch jetzt schon seit knapp einem Monat dort.“

Delilah lächelte freudlos und schob sich eine Strähne ihres weißblonden Haars hinters Ohr, ehe sie sich auf ein paar Säcke voll Katzenstreu setzte, die noch ausgepackt und eingeräumt werden wollten.

„Wow. Einen Monat und ich hab immer noch kein Bett.“

Dafür hatte sie es zumindest so weit geschafft, dass die Bruchbude, die sie sich gerade mal so von ihrem winzigen Gehalt leisten konnte, von Tag zu Tag wohnlicher wurde.

Gestern hatte sie sich nach der Arbeit noch die halbe Nacht um die Ohren gehauen, um den Backofen so weit von ranzigem verkrusteten Fett zu reinigen, dass sie sich darin eine Pizza warm machen konnte, ohne sich gleich dabei zu vergiften. Ihr taten jetzt noch die Hände von dem aggressiven Reinigungsmittel weh, und wenn sie nur an die schleimige Pampe dachte, wurde ihr schon wieder schlecht.

„Echt nicht? Worauf schläfst du dann bitteschön?“

Lily schien ehrlich schockiert zu sein, was Delilah nun doch ein bisschen zum Lächeln brachte.

„Auf der Matratze, die ich mir vor zwei Wochen geleistet habe. Davor habe ich mich mit einem Schlafsack zufriedengegeben.“

Und selbst das war ihr noch lieber gewesen, als auch nur ein einziges Mal in einem fremden Bett, neben einem fremden Mann aufzuwachen.

Sie hatte es anfangs noch versucht, als sie einfach keine Wohnung hatte finden können. Aber Männer neigten nun einmal dazu, nicht gerade großzügig zu Frauen zu sein, die zwar nach einer netten Party mit zu ihnen gekommen waren, aber nicht mit ihnen schlafen wollten. Manche hätten sie vermutlich gleich vor die Tür gesetzt, wenn Delilah sich in ihrer Not nicht noch mit einem Blowjob ausgeholfen hätte. Aber selbst das widerte sie inzwischen so sehr an, dass sie es nicht einmal tun könnte, wenn sie wieder auf der Straße landen würde. Eher schlief sie im Wolfspelz mitten im Wald.

Eine Matratze war dahingehend der absolute Luxus für sie.

„Na du bist ja extrem. Wieso hast du dir denn noch kein Bett gekauft?“

Allein diese Frage reichte dazu aus, Delilahs Lächeln von den Lippen zu wischen und ihre Augen mit Tränen zu füllen. Rasch stand sie auf und begann die Katzenstreu auszupacken, damit Lily nicht sah, wie sie sich zusammenreißen musste.

Trotzdem war ihre Stimme ruhig und klar, als sie antwortete, ohne das beschämende Gefühl zuzugeben, das sie erfüllte.

„Ganz einfach. Weil ich noch nicht das Bett meiner Träume gefunden habe und ich mich nicht mit weniger zufriedengeben werde.“

In Wahrheit konnte sie es sich einfach nicht leisten, sondern musste schon froh sein, wenn sie ein paar von den kürzlich abgelaufenen Lebensmitteln umsonst mit Heim nehmen durfte und sich dadurch Geld sparen konnte. Geld für das sie so hart, wie noch nie arbeiten musste. Aber dafür war es ehrlich verdient und sie fühlte sich dabei nicht wie ein elendiger Schmarotzer.

Zum ersten Mal in ihrem Leben stand sie wirklich auf eigenen Beinen.

„Also ich würde mir trotzdem wenigstens ein Übergangsbett besorgen. Kein Wunder, dass du erschöpft bist, wenn du keinen anständigen Schlaf kriegst.“

Oh ja, das klang nach einer typischen Antwort von ihrer pragmatisch denkenden Lily. Die erste Frau, für die sie so etwas wie freundschaftliche Zuneigung zu entwickeln begann, obwohl sie sich außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht sahen. Aber währenddessen war schon oft genug gelacht und geschnattert worden, bevor sie sich wieder einmal zusammenrissen, ehe der Filialleiter ihnen einen finsteren Blick zuwerfen konnte.

„Ich schlafe wie ein Bär im Winterschlaf. Daran liegt es nicht, glaub mir“, verteidigte Delilah ihr kleines luxuriöses Matratzenlager.

„Vermutlich liegt es einfach daran, dass ich gestern noch eine lange Auseinandersetzung mit dem Backofen hatte.“

„Also das –“

Lily brach ab und stellte das Vogelfutter so hastig zu dem anderen ins Regal, dass ihr beinahe wieder alles entgegengekommen wäre. Aber auch Delilah bemühte sich um einen professionellen Eindruck, während sie den Schritten des Filialleiters lauschte, der keine Sekunde später an ihnen vorbeiging und sie sachlich grüßte, ehe er auch schon wieder verschwunden war.

Kaum waren die Schritte verklungen, entspannten die beiden Frauen sich wieder merklich.

„Tut mir leid, wenn ich dir das so offen ins Gesicht sage, Schätzchen. Aber du siehst schon länger als seit heute blass aus. Also kann's nicht nur an deinem Backofen liegen. Hast du denn sonst noch irgendwelche Beschwerden, außer Erschöpfung?“

„Nein.“

Delilah schüttelte den Kopf und hob einen weiteren Sack Katzenstreu ins Regal, ehe sie leicht zusammenzuckte, als ihr ein weiteres unangenehmes Ziehen durch die Brüste schoss, obwohl das Plastik sie durch den Stoff ihrer Kleidung hindurch nur flüchtig gestreift hatte.

Etwas das in letzter Zeit schon öfters passiert war und sie vorher noch nicht erlebt hatte.

Einen Moment rang Delilah mit sich, aber schließlich war Lily auch eine Frau. Vielleicht wusste ja sie, was das zu bedeuten hatte.

„Tun dir manchmal die Brüste weh?“

Lily hielt überrascht inne, weshalb Delilah extra so tat, als müsse sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren, ohne den plötzlich musternden Blick ihrer Kollegin zu beachten.

„Kommt darauf an", meinte die kleine Asiatin vorsichtig.

„Worauf?“

Delilah versuchte den Tonfall einfach zu ignorieren, obwohl sich das nicht gut anhörte. Was wenn es was Ernsthaftes war? Brustkrebs vielleicht? Oh Gott, dabei hätte sie gedacht, dass Gestaltwandler keinen Krebs bekommen konnten. Aber vielleicht ja doch und sie war bisher nur einmal wegen des Diaphragmas beim Frauenarzt gewesen, und nicht, um sich gründlich untersuchen zu lassen. Sie –

„Ob ich meine Tage kriege oder schwanger bin.“

Die Katzenstreu glitt aus Delilahs plötzlich kraftlosen Fingern, fiel zu Boden und eine Woge aus Sand breitete sich zu ihren Füßen aus, nachdem das Plastik aufgeplatzt war.

Delilah bemerkte es noch nicht einmal. Stattdessen starrte sie mit rasendem Herzen ihre Finger an und versuchte diese Information zu verdauen.

Lily kam näher.

„Wann hattest du denn das letzte Mal deine Tage?“, wollte sie vorsichtig wissen, als ahnte sie etwas, das Delilah noch gar nicht erfassen konnte.

Ihre Stimme klang seltsam tonlos, als sie ohne lange zu überlegen antwortete: „Keine Ahnung. Seit ich hier arbeite, auf jeden Fall noch nicht.“

„Also seit fast zwei Monaten", sprach Lily das aus, was Delilah noch nicht einmal zu denken wagte.

„Hast du sie denn sonst regelmäßig bekommen?“, hakte sie einfühlsam nach.

Delilah konnte nur noch nicken, da ihr plötzlich ein riesiger, staubtrockener Kloß im Hals steckte.

Kleine warme Finger umschlossen ihre, die plötzlich ganz kalt geworden waren, und zwangen sie dazu, in die schokoladenbraunen Augen ihres Gegenübers zu sehen.

„Und hattest du seit deiner letzten Periode Sex?“

Delilahs Pupillen waren riesig, während sie ihre Kollegin anstarrte und schließlich kaum wahrnehmbar nickte.

Sie hatte Sex gehabt. Sogar mit zwei Männern. Gleichzeitig. Aber sie hatte doch –

„Ich benutze ein Diaphragma!“, brach es plötzlich aus ihr heraus, als würde diese Tatsache alle anderen einfach fortwischen.

Lily nickte einfühlsam, als habe sie verstanden und lächelte sanft und vorsichtig: „Aber trotzdem ist auch das nicht hundertprozentig sicher. Kein Verhütungsmittel ist das.“

„Aber ...“, versuchte Delilah es noch einmal kleinlaut, ehe erneut Tränen in ihren Augen aufwallten und ihr schließlich heiß über die Wangen liefen. Die ersten Tränen seit Jahren, die nichts mit einer vorangegangenen Nahtoderfahrung zu tun hatten. Auch das war nicht normal für sie.

„Ach, Schätzchen. Jetzt mach dir doch nicht gleich so einen Kopf.“

Lily wischte ihr die Tränen fort und redete unablässig auf sie ein, als wäre Delilah nichts weiter, als ein kleines Kind und um ehrlich zu sein, genau so fühlte sie sich in diesem Augenblick.

„Du weißt doch nicht sicher, ob du nicht doch einfach nur deine Tage kriegst. Mach einfach einen Test und danach kannst du dir immer noch Gedanken darüber machen, wenn er positiv ausfällt. Okay?“

Obwohl Lily sie nur zu trösten und zu beruhigen versuchte, klammerte Delilah sich an diese Worte, wie an einen Strohhalm der sie vorm Ertrinken bewahren sollte, und da sie hier direkt an der Quelle für Schwangerschaftstest saßen, ließen die beiden Frauen auch gleich alles stehen und liegen, um mit ein paar Testschachteln in der Mitarbeitertoilette zu verschwinden.
 

„Der hier zeigt ein Smiley.“

„Echt?“

Delilah riss Lily das Stäbchen mit dem darin enthaltenen Teststreifen aus der Hand und starrte auf den lächelnden Smiley herab, der sie auszulachen schien.

Positiv.

Sofort warf sie den Test in den nächsten Mülleimer, als würde sie sich sonst noch die Finger daran verbrennen, ehe sie hoffnungsvoll zu Lily hinüberspähte, vor der eine Reihe weiterer Teststäbchen auf dem Waschtisch lagen.

Um ganz sicher zu gehen, hatte Delilah auf so viele Teststreifen verschiedenster Marken gepinkelt, als hinge ihr Leben davon ab.

„Der hier braucht zwar noch eine Minute, aber von der bisherigen Farbe her zu schließen, ist er auch positiv – Sie sind alle positiv“, erklärte Lily ruhig, während sie Delilah tief in die Augen sah.

„Du bist schwanger, Delilah.“
 

***
 

Das Ticken der hässlichen Schuluhr, die sie in einem Mülleimer gefunden und bei sich in der Wohnung aufgehängt hatte, drang durch die dünne Decke bis an ihre Ohren und schien selbst noch ihr Herz zu durchdringen.

Es war die einzige Konstante in ihrem derzeitigen Leben, obwohl es eine Weile so ausgesehen hatte, dass es nicht das Einzige bleiben würde. Aber nach dieser Nachricht ...

Vielleicht hätte sie es ohnehin nie geschafft, sich ein richtiges Leben aufzubauen und das würde ihr jetzt erst recht nicht mehr gelingen.

Delilah hatte sich lang und breit informiert, um nach der letzten Rettungsleine zu greifen, die ihr in dieser Situation blieb, doch schon bald stand fest, dass sie sich diese nicht leisten konnte.

Die Pille danach hätte sie sich gerade noch so leisten können, aber dafür war ihr Zustand schon zu weit fortgeschritten und nur Gott wusste, ob das Zeugnis eines Werwolfs und eines Gestaltwandlers so etwas nicht doch mit einem müden Lächeln überlebte.

Eine Abtreibung kam ebenfalls nicht in Frage. Nicht nur, dass die Eigenkosten sehr viel höher und über ihrem maximalen Limit waren, sie hätte sich dazu auch in die Obhut menschlicher Hände begeben müssen und vielleicht wäre sie da nicht nur keine Sekunde lang dieses Ding in ihr los geworden, sondern auch noch ihre Freiheit. Für den Rest ihres Lebens gefangen in einem Versuchslabor.

Nein, das würde sie nicht riskieren.

Auch eine Adoption kam nicht in Frage. Sie würde nicht einmal diesem Ding ein Leben unter menschlichen Pflegeeltern wünschen. Nicht nach allem, was sie mit ihren Eigenen hatte miterleben müssen.

Aber sie konnte es auch nicht behalten. War sie doch nicht einmal fähig, für sich selbst zu sorgen.

„Scheiße ...“

Delilah rollte sich auf ihrer neuen Matratze zu einem noch engeren Ball zusammen und erneut kamen ihr die Tränen, obwohl ihre Augen schon komplett ausgedörrt zu sein schienen. Zumindest brannten sie dementsprechend.

Sie hatte ja schon viele Dummheiten in ihrem Leben gemacht, aber das hier war der absolute Gipfel.

„Scheiße!“

Mit einem wütenden Knurren trat sie gegen die Wand neben sich und ignorierte den darauf einschießenden Schmerz in ihren Zehen. Dennoch trat sie nicht noch einmal zu. Stattdessen benutzte sie dieses Mal ihre Faust.

„Scheiße! Scheiße!! Scheiße!!!“

Das heftige Pochen ihrer Fingerknöchel ging in einem weiteren Heulkrampf unter, der sie so heftig durchzuschütteln begann, dass sie glaubte, der Boden würde unter ihr schwanken.

Inzwischen wusste sie, dass ihre Hormone daran schuld waren und natürlich auch ein bisschen diese beschissene Lage.

Irgendetwas streifte ihre Wange und Delilah beruhigte sich zumindest so weit wieder, dass sie das Stück Papier nicht unwirsch von sich fegte, sondern stattdessen zitternd zwischen die Finger nahm, um nachzusehen, was das eigentlich war.

Sofort knotete sich ihr Hals erneut zu, als sie das zusammengeklebte Bild von den Zwillingen sah, die ihr fröhlich wie eh und je entgegen grinsten.

Es musste sich von der Wand gelöst haben, wo sie es stets beim Einschlafen und Aufstehen sehen konnte, um sich immer wieder ein Beispiel daran zu nehmen und neuen Mut zu schöpfen, wenn sie einmal verzweifelt war.

Lange starrte sie das Bild unter verschwommenen Blick an, ehe sie es zur Seite legte, um sich wieder unter der Bettdecke zu verstecken.

Delilah war so verzweifelt wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Da konnte auch das Bild nichts mehr daran ändern.

Was sollte sie jetzt bloß tun?



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