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Bitte bleib bei mir!

BBC Sherlock
von

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Verzeihung und Einsicht

12.

Verzeihung und Einsicht
 

Lange Zeit sagte Sherlock nichts. Er brauchte länger als sonst, um das Gesagte zu verarbeiten und zu entscheiden was er als nächstes sagen oder tun sollte. Würde es etwas bringen John zu erklären, dass er das alles falsch sah? Er war ihm doch kein Klotz am Bein! Doch würde er das glauben? Immerhin war sein ganzes Verhalten John gegenüber so deutlich gewesen, das hatte er nur missverstehen können.

Wahrscheinlich aber war Johns Wunsch hier zu bleiben wirklich das Vernünftigste für sie beide. Nein, zwar ja, aber nein, er wollte in diese Richtung nicht denken. Lestrade hatte ihn als Egoisten beschimpft, damit hatte er sogar Recht. Aber hatte er dem DI nicht klar gemacht, dass er alles in seiner Macht stehende tun würde, um John bei sich zu halten? Wenn er seinen Freund jetzt nicht verlieren wollte, dann würde er einlenken müssen und bestimmt war dem guten Doktor jetzt nicht nach logischen Argumenten, sondern eher nach Unterwürfigkeit. Was kein Problem war, das konnte Sherlock, spielend leicht und um einen kleinen Moment ganz ehrlich zu sich selbst zu sein, diese Flehen wäre nicht einmal gespielt, sondern bitterer Ernst. Er würde alles tun, wirklich alles, um John weiterhin an seiner Seite zu wissen. Tja, vielleicht war Johns Verletzung eine Möglichkeit, um ihn für immer an sich zu binden...
 

„Bitte gehen Sie nicht, ich will nicht dass Sie gehen!“ bat er, in der Hoffnung, seine Stimme würde auch genug von seiner Verzweiflung ausdrücken, um glaubhaft zu wirken. Zumindest fühlte es sich in seiner Brust so an, als die Angst vor der Antwort ihn zu lähmen schien.

„Oh, ich bitte Sie, was soll das? Ich gebe Ihnen hier eine Chance auf leichtem Weg aus der Sache heraus zu kommen. Sie sind mich los und hier kümmert man sich bestens um mich. Ihr Bruder zahlt das auch alles, aber das wissen Sie bestimmt schon.“

„Wenn ich Ihnen erklären würde, wenn ich all das was in der letzten Zeit mit mir los war für Sie in verständliche Worte packen könnte, würden Sie dann wieder mit mir kommen?“

„Sherlock ich bin gerne Zuhause, aber was soll dass denn bringen? Warum bin ich hier der Realist? Das ist doch Ihr Job, verdammt!“

„Ich hatte Angst“, sprach Sherlock ganz unvorbereitet, noch bevor er realisiert hatte, was sich da in seinem Kopf für ein Satz gebildet hatte. Tja, die Wahrheit kam immer dann, wenn zum Lügen nicht die nötige Zeit und Konzentration aufzubringen war. Wen dieses Geständnis jedoch mehr verwirrte, war schwer zu sagen.

Lange mied der Detektiv den Blick des Doktors, den er stechend auf sich ruhen fühlte. Als er dann doch den Kopf hob und den warmen Augen begegnete, kamen die nächsten Worte ganz von selbst.

„Ich fürchtete ganz egal was ich tue, Sie damit zu verlieren. Nichts macht mir mehr Angst als die Vorstellung, Sie könnten morgen nicht mehr bei mir sein oder übermorgen oder gar für immer. Deshalb hab ich mich so…daneben benommen. Das alles hat mich überfordert und ich kam mit mir selbst nicht klar. Doch jetzt hab ich für mich alles Wichtige klären können. Bitte, Ihre Freundschaft ist mir das wertvollste Gut, ich möchte es nicht verlieren! Nicht solange ich nicht alles in meiner Macht stehende getan habe, um das zu verhindern! Deshalb bitte ich Sie, bitte kommen Sie mit mir! Lassen Sie mich beweisen dass auch ich Ihnen ein guter Freund sein möchte und sein kann.“
 

So emotional hatte John seinen Mitbewohner noch nie erlebt. Die Ehrlichkeit in Sherlocks Blick, diese ganze Aussage war so aufrichtig und so unendlich gefühlvoll, das Johns Herz schneller zu schlagen begann. Er war direkt froh, kein Pulsoxy an der Hand befestigt zu haben, denn sonst hätte ihn sein pochendes Herz verraten. Aber bestimmt erkannte Sherlock alle Gefühle und Gedanken die ihm gerade durch den Kopf gingen, auch völlig ohne einem technischen Hilfsmittel.

Es rührte ihn, wie Sherlock für ihn empfand und er wusste auch, dass seinem Freund dieses Geständnis nicht leicht gefallen war. Dafür bedeutete es ihm umso mehr!

„Sherlock, ich…“ begann er und wusste doch nichts was er sagen sollte.

„Bitte glauben Sie mir!“ setzte dieser erneut an, offenbar hatte er Johns Gestotter falsch verstanden und den abgebrochenen Satz als Hinweis auf erneuten Widerspruch gedeutet.

„Ich war bei Lestrade, hab Ihm alle Informationen gegeben, die ich bisher über Stan Peters sammeln konnte. Sollen der und sein Gefolge sich endlich mal bemühen und den Job machen, für den Sie auch bezahlt werden! Zusätzlich hab ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, über die ich verfüge. Alles was ich tun muss ist, einmal pro Tag alle Stellen abzuklappern. Den Rest des Tages werde ich mich um Sie kümmern, das verspreche ich!“

„Sherlock, ich wollte nicht widersprechen, mir fehlten nur die Worte um auszudrücken was mir Ihre Entschuldigung bedeutet. Wenn es Ihnen wirklich ernst ist, dann komme ich gerne mit nach Hause“, sagte John und lächelte seinen erleichtert wirkenden Mitbewohner an. Die Last schien mit dieser Aussage von Sherlocks Schultern zu fallen und seine Gesichtszüge entgleisten ihm. Dem sonst so emotionslosen Gesicht konnte man die Freude dieses Mal direkt ansehen! Er strahlte richtig, senkte dann beschämt über diesen Gefühlsausbruch seinen Kopf, aber das Lächeln verschwand nicht von seinem Gesicht.
 

*******
 

„Mrs. Hudson, wir sind Zuhause!“ rief Sherlock fröhlich, als er John mit samt dem Rollstuhl die Vordertür herauf zog und ihn in den Gang fuhr.

Die alte Dame hatte von der morgigen Aufregung nichts mitbekommen, wurde aber von einer aufmerksamen Nachbarin nach dem Einkaufen sofort unterrichtet, dass ein Krankenwagen vorgefahren war und vor ihrer Haustüre gehalten hatte.

„Geht es Ihnen beiden gut?“ fragte sie besorgt. Wer wusste schon welcher dieser beiden jetzt wieder etwas angestellt hatte! Aber da Sherlock nicht auch in einem Rollstuhl ankam und an John keine Veränderung festzustellen war, atmete sie erleichtert durch.

Sherlock antwortete allerdings nicht auf ihre Frage, er wirkte mit seinem Lächeln auf den Lippen zwar glücklich, aber eine tiefe Besorgnis hatte ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Auch John brauchte eine Weile, um zwischen einem unehrlichen Lächeln ein „alles bestens“ heraus zu bekommen.

Klar wusste die gute Mrs. Hudson das diese Aussage nicht mal in die Nähe der Wahrheit kam, doch sie würde es darauf beruhen lassen, fürs erste zumindest.

„Das freut mich zu hören. Ich hab immer noch Besuch“, sie deutete mit der einen Hand auf die Tür zu ihrem Wohnzimmer. „Aber später komm ich Sie beide noch mal besuchen, dann können Sie mir erzählen was die Ärzte im Krankenhaus gesagt haben! Oh ich hoffe Ihre Reha verläuft bisher ohne Probleme!“ Sie lächelte liebevoll und ließ dann ihre schuldbewussten Mieter im Gang stehen.
 

*******

Langsam brach der Abend an, in den Räumen der Baker Street 221b war es ruhig. Ein leichter Wind strich um das Gebäude, fegte bunte Blätter mit sich und tanzte durch die ruhig gewordenen Straßen. Die Sonne war fast gänzlich hinter den Häusern der großen Stadt verschwunden, nur noch ein rötliches Glimmen spannte sich über den westlichen Horizont.

John räkelte sich auf der Couch, schaltete den Fernseher aus und legte gelangweilt die Fernbedienung auf den Tisch.

„Sherlock, bringen Sie mir doch bitte ein Buch. Heute läuft so gar nichts Sinnvolles in der Glotze.“

Der Angesprochene saß mit seiner Geige in der Hand in einem Sessel und zog eine neue Seite auf. Im ersten Moment reagierte er mit Unverständnis und einer hoch gezogenen Augenbraue auf diese unverschämte Bitte, die von einem übertrieben schadenfrohen Lächeln begleitet wurde. Schon im nächsten Augenblick kam ihm jedoch in den Sinn, was er seinem verwundeten Freund vor wenigen Stunden noch im Krankenhaus versprochen hatte. Deshalb legte er die Geige beiseite und erhob sich.

„Welches Buch hätten Sie denn gerne?“

„Och, auf meinem Schreibtisch liegt ein Roman, bringen Sie mir doch den.“

John sah seinem Freund nach, der ohne jede Regung oder eines weiteren Kommentars das Wohnzimmer verließ und die Stufen zu Johns Schlafzimmer nach oben ging. Irgendwie gefiel es ihm, Sherlocks gesamte Aufmerksamkeit zu bekommen und auch das der Mann, der sich sogar sein Handy aus der Manteltasche reichen ließ aufstand, nur um ihm einen Wunsch zu erfüllen. Jetzt verstand er, warum Sherlock das wohl so gerne hatte, es war ein schönes Gefühl so bedient und umsorgt zu werden.

Ganz in Gedanken versunken, erschrak er, als im plötzlich ein Buch unter die Nase gehoben wurde. Sherlock schmunzelte über diese Reaktion. „Wo sind Sie mit Ihren Gedanken, werter Doktor?“

„Och“, sagte John und griff nach dem Roman, „ein Gentleman genießt und schweigt“ sagte er schmunzelnd.

Daraufhin musste auch Sherlock lachen und ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. Die nächste halbe Stunde verbrachten sie wieder im angenehmen Schweigen, versunken in ihre jeweilige Tätigkeit.

Erst als Sherlock sich erhob, brach er die Stille. „Würde es Sie beim Lesen stören wenn ich ein wenig Spiele?“ fragte er mit einem Blick auf seine Geige.

John ließ sein Buch sinken und legte es auf seinem Bauch ab. Sah seinen Mitbewohner an, und bewunderte dessen weichen Blick, der dem Instrument gebührte. Die Musik war sehr wichtig für Sherlock, das hatte John sehr bald begriffen. Aber auch das Instrument selbst, wurde von seinem Besitzer gehegt und gepflegt, wie ein guter Freund, der einem lieb und teuer war.

„Ich höre Sie sehr gerne spielen“, sagte er und schloss die Augen in Erwartung auf eine Melodie, die da kommen würde.
 

Sherlock freute sich, er Bittete ja selten um Erlaubnis, - denn wer um Erlaubnis bat, musste mit einer Ablehnung rechnen und daher lohnte sich Fragen seiner Meinung nach nicht, da er sowieso tun würde, was er für richtig hielt - aber es gefiel ihm, sie zu bekommen. Auch wie John auf diese Bitte reagierte, ließ ihm wieder erkennen, wie viel ihm dieser Mann bedeutete. Wie er da so da lag, die Augen genießerisch geschlossen, wartete er auf die ersten Töne. So setzte Sherlock das Instrument an, überlegte was er denn spielen sollte. Vielleicht etwas lockeres oder eine von Johns Lieblingsmelodien? Auch wenn ihm gerade nicht der Sinn nach etwas fröhlichem stand, fing er dennoch an ein paar bekannte Stücke zu spielen von denen er wusste, das John sie mochte. Doch mit der Zeit änderte sich seine Stimmung, das Grüblerische gewann die Oberhand und die Melodien wurden schwerer, klagender.

John öffnete die Augen, sah die hoch gewachsene Gestallt seines Freundes an, wie er versunken in den Tönen mit seiner Geige verschmolz. Zärtlich mit dem Bogen über die Seiten strich und seine Finger auf dem polierten Holz tanzen ließ. Dieser Moment hatte etwas magisches, etwas das er nicht beschreiben konnte aber ihm dennoch fast den Atem raubte.

Da war sie wieder, diese so andere Seite von Sherlock Holmes.
 

„Warum hab ich das Gefühl das Sie weinen?“

Sherlock brach abrupt ab, ließ seine Geige sinken und sah fragend zu der Gestallt auf dem Sofa.

„Wie kommen Sie darauf, ich weine nicht. Ich weine nie!“ sagte er im Brustton der Überzeugung doch die Verwirrung aufgrund von Johns Aussage war ihm deutlich anzusehen.

„Sie nicht, also nicht direkt, aber Ihre Geige, die weint für Sie. Haben Sie geglaubt der einzige zu sein, der Menschen lesen kann? Wenn Sie sich in der Musik verlieren, dann sind Sie eben so ein offenes Buch wie der Rest der Menschen sonst immer für Sie. Ihre Melodien sagen mehr aus, als Ihnen vielleicht lieb ist. Ihre Geige, ich hab sie oft nachdenklich gehört oder wenn Sie für sich gelacht hat. Heute da weint sie für Sie und ich will wissen warum.“
 

Darauf wusste der redegewandte Detektiv nichts zu sagen. Er stand Wortlos da, seine Geige noch immer dicht an seinem Körper, konnte er Johns Blick nicht länger standhalten und senkte ihn zu Boden. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass John etwas in die Melodien hineininterpretierte, die er seiner Geige entlockte. Ihm selbst war oft gar nicht klar, was er genau spielte. Er ließ sich gerne treiben, besonders wenn er nachdachte oder ihm etwas im Kopf herum spukte und dann verselbstständigten sich die Töne, passten sich die Melodien seinen wirbelnden Gedanken an und formten Lieder, ohne das er darüber nachdenken musste.

Offenbar war John das klar geworden und er hatte die klagende Melodie von eben mit Sherlocks Gemütszustand in Verbindung gebracht. Nun, er unterschätzte John offenbar immer noch. John, diesen liebevollen, treuen Freund, der ihn immer noch fragend ansah und auf eine Antwort wartete.
 

„Ich weine nicht, die Melodien kommen und gehen einfach, wie Eingebungen.“

„Das glaub ich gerne, trotzdem hängen Sie mit Ihren Gedanken zusammen und stehen in Verbindung mit Ihren Gefühlen. Deshalb fasziniert mich dieses Schauspiel auch besonders. Sie sind ein ganz anderer Mensch wenn Sie spielen und ich würde gerne mehr von diesem Menschen sehen und erfahren. Teilen Sie doch auch mal diese Seite mit mir. Also, was bringt Sie in diese traurige Stimmung?“

„Seltsam, eigentlich bin ich nicht traurig nicht direkt jedenfalls. Ich freu mich das Sie hier sind, ich denke ich bin einfach noch Gefangen in einigen Gedankengängen, die ich noch nicht ganz geklärt habe. Aber das wird sich legen, die Zeit wird das Grübeln beenden und alles wird wieder normal werden, so wie früher.“

„Nicht alles, Sherlock. Nicht immer heilt die Zeit und nicht am Ende einer jeden Geschichte steht ein Happy End. Wer weiß ob die Geschichte meines Lebens mal glücklich endet.“

Daraufhin legte sich betretenes Schweigen über das Wohnzimmer.

Sherlock wollte es ein ums andere mal brechen doch er wusste nicht mit was. Einer erneuten Entschuldigung, einer Versicherung das er sich immer um John kümmern würde? Was konnte seinem Freund die Angst vor so einer düsteren Zukunft nehmen?

Nichts.
 

„Gehen wir ins Bett?“ fragte Sherlock und legte seine Geige beiseite.

John erkannte diesen Rückzug als solchen, und wusste, dass es keinen Sinn machen würde weiter in Sherlock eindringen zu wollen. Wenn der ihn nicht teilhaben lassen wollte, er würde ihn nicht dazu zwingen können.

Außerdem war es nicht die schlechteste Idee, es war schon reichlich spät und der Tag war wirklich anstrengend gewesen, zumindest für John. Er fühlte sich ausgelaugt und die letzten Nächte hatte er nicht den ruhigen und wohltuenden Schlaf gefunden, den er sich gewünscht hätte. Also nickte er bekräftigend und sie begannen ihr Abendritual.
 

*******
 

„Brauchen Sie noch etwas?“

„Nein Danke, ich hab für heute Nacht stärkere Medikamente bekommen. Wenn alles gut geht, werde ich bis morgen durchschlafen. Das würde uns beide sicher nicht schaden“, meinte John während er die Tabletten herausholte und in seine offene Handfläche legte. Kurz betrachtete er die Pillen, dann schob er sie sich in den Mund und nahm einen kräftigen Schluck Wasser zum nachspülen.

Derweil schlüpfte Sherlock auf der anderen Seite des Bettes unter die Decke. Er wünschte sich ebenfalls eine ruhige und störungsfreie Nacht. Besonders um Johns Willen. Ihn so leiden zu sehen, das war die Hölle!

John kuschelte sich ebenfalls unter die Decke und löschte das Licht der Nachttischlampe. Für eine Weile war nichts anderes zu hören, als gleichmäßiges Atmen und hin und wieder ein Auto, das noch durch die Baker Street fuhr. Sherlock lauschte den Atemgeräuschen von John, wachsam und hoffend, der gute könnte bald einschlafen. Doch der wälzte sich unruhig hin und her.

Obwohl die Schaftabletten in den letzten Nächten ihre Wirkung gleich entfalteten, schien es heute nicht so zu sein. Nach mehreren hin und her, setzte sich Sherlock auf.

„John, was ist los?” irgendwie klang seine Stimme besorgt, obwohl er eigentlich eher genervt von seinem unguten Bettgenossen war.

„Meine Wunde, sie juckt fürchterlich!“ klagte John und schaltete das Licht wieder ein.

Beide blinzelten, als die Helligkeit ihre Augen so gnadenlos traf.

„Jucken ist ein gutes Zeichen, dann Heilt die Verletzung.“

„Das weiß ich, aber es macht mich wahnsinnig! Bitte können Sie sie für mich eincremen?“

Sherlock sah den bittenden Gesichtsausdruck und konnte gar nicht anders. Was war auch schon dabei, dachte er bei sich, während er aufstand. Erst als er die Tube aus dem Badezimmer geholt hatte und einen, mit entblößten Oberkörper auf dem Bauch liegenden John im Bett vorfand, wurde ihm wieder etwas mulmig. Mittlerweile kannte er dieses Gefühl, schließlich trat es in letzter Zeit vermehrt auf, immer dann wenn er seinem Freund näher kam, als er es sonst zuließ.

Sherlock setzte sich auf die Bettkante und öffnete die Tube. Im matten Licht der Nachttischlampe schimmerte die Wunde in zartem rosa. Die Einschussstelle war dicht an der Wirbelsäule und man konnte sehen, wie viel Schaden die Kugel schon an der Oberfläche der Haut angerichtet hatte. Kein Wunder das der Schaden darunter noch größer war, bei all den vielen Nervensträngen des Rückenmarks. Irgendwie bescherte diese Narbe Sherlock ein so unbeschreibliches Schuldgefühl, dass ihm übel davon wurde.

John hatte diese Verletzung davongetragen, weil er nicht aufgepasst hatte, weil er nicht alles durchdacht und korrekt geplant hatte. Alles seine Fehler, nicht die von John. Dem loyalen John, der ihm trotz der Schusswunde ins Eiswasser der Themse gefolgt war.

Langsam strich Sherlock über die Verletzung, tastete sich vor und fuhr sachte über die heilende Haut. John würde für immer eine Narbe bleiben, die seinen Rücken zieren und immer der Beweis sein würde was für ein wunderbarer Freund er doch war.
 

John zuckte zusammen, als Sherlock endlich die Creme auf seinem Rücken verteilte und das kalte, weiße Zeug mit leichten Fingern ganz vorsichtig einzureiben begann.

„Sherlock?“

„Hmm?“ er war in Gedanken ganz in seine Tätigkeit versunken. Noch immer hing sein Blick an diesem Symbol von Johns Mut und Opferbereitschaft.

„Warum störe ich Ihre Konzentration? Das hab ich doch früher auch nie, was hat sich geändert?“

Verdutzt hielt Sherlock in seinem Tun inne. Die Frage hatte er so gar nicht erwartet und wie ein Schlag in die Magengrube, wurde ihm unweigerlich Schlecht. Verdammt, verdammt, verdammt! Was sollte er jetzt antworte? Die Wahrheit konnte er nicht sagen, das würde nur alles verkomplizieren und lügen wollte er nicht. Was hätte er auch sagen sollen, das John nicht wieder ein schlechtes Gefühl gab? Nie wieder wollte er hören, dass sein Freund sich als ein Störfaktor in seinem Leben sah!

„Sherlock?“ fragte John ganz vorsichtig, und drehte sich zu seinem Freund, der völlig vergessen hatte, wie diese Situation hier zustande gekommen war. Ertappt wischte er seine Finger an einem mitgebrachten Handtuch ab und verschloss die Creme wieder.

John sah seinem Freund zu, wusste das dieser die Antwort verzögerte, aber nicht genau warum.

Wohl wissend, dass er jetzt endlich etwas sagen musste, entschied sich Sherlock für die Mittellösung, also die Wahrheit in abgeschwächter Vorm.

„Ihre Wunde, ich fühle mich Schuldig. Jetzt da ich sie zum ersten Mal bewusst gesehen hab…das Gefühl…als hätte ich alles falsch gemacht. Wissen Sie was ich meine? Es hätte nicht passieren dürfen!“

Tiefe Schuldgefühle sprachen nicht nur aus den abgehackten Worten, sondern auch aus Sherlocks Blick. Wieder war John gerührt und spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Nicht gut, er sollte sich besser im Griff haben, sonst könnte das böse enden. Doch jetzt gerade war ihm egal, wie der brilliante Consulting Detectiv seine Reaktion deuten könnte, denn er packte ihm am Shirt und zog ihn unsanft in eine Umarmung. Erst war Sherlocks Körper noch steif, offensichtlich hatte er sich erschrocken, mit dieser so unerwarteten und überstürzten Geste seines Freundes. Dann jedoch entspannte er sich, schloss seine Arme ebenfalls um den warmen Körper. Johns Atem kitzelte an seinem Hals, als dieser gegen die weiche Haut murmelte: „Ich hab Ihnen doch bereits vergeben, jetzt müssen nur noch Sie selbst sich verzeihen.“
 

Sherlock merkte, wie ihm leicht ums Herz wurde, und er vergrub seinen Kopf in Johns Halsbeuge. Leicht kitzelte das kurze, dunkelblonde Haar seine Wangen, aber die unendliche Wärme welche sein Freund abgab, tat unglaublich gut. Mit der Zeit schlichen sich aber noch andere Empfindungen in den Vordergrund und Sherlocks unermüdliches Gehirn begann wieder zu arbeiten und zu analysieren. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass seine Hand auf Johns nacktem Rücken lag und er leicht streichelnd über dessen breite Schultern strich. Er spürte die Muskeln darunter, die vom Training als Soldat her rührten und nur unter Johns weiter, lässiger Freizeitkleidung nie auffielen.

Immer noch kitzelte Johns Atem seinen Hals und er bekam davon eine Gänsehaut. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken, als Johns Hand seinen Rücken nach oben wanderte und sich in dem gelockten, schwarzen Haaren vergrub.
 

Keiner von Beiden wollte loslassen und diesen wundervollen Moment ruinieren, vor allem weil zu befürchten stand, dass er nie wieder kommen würde. Diese Zärtlichkeit die sie gerade teilten, diese Nähe…sie genossen sie, und doch wussten alle zwei, wie gefährlich das hier war. Jeder für sich wollte es beenden, doch keiner wagte den ersten Schritt. Wenn das hier nie wieder geschehen würde, dann sollte man den Augenblick doch auskosten, oder?

Schließlich brach ein überzeugendes Gähnen von Seiten Johns die Erkenntnis, dass die Schlafmittel wohl langsam wirkten und es Zeit war, ihnen nachzugeben. So lösten sie sich voneinander, mieden den Blick des anderen, während Sherlock John wieder in sein Schlaf-Shirt half.

Kaum lag sein Kopf auf den Kissen, begann die Müdigkeit an ihm zu zerren und er konnte seine Augen kaum offen halten. Eigentlich hatte er Sherlock doch noch etwas sagen wollen, etwas das schon lange auf seiner Seele brannte und das er zu hören verdient hatte. Diese zärtliche Geste von eben, hatte ihn darin bestärkt, doch sein müder Geist weigerte sich vehement richtig zu funktionieren.

„Sherlock…“ ein Gähnen, „ich muss…möchte Ihnen etwas sagen. Es ist wichtig.“

„Schlafen Sie John“, Sherlock deckte ihn zu. Egal was es war, es konnte bis morgen warten, denn sein Freund war ja kaum in der Lage, seine Augen offen zu halten.

Und John kämpfte wirklich, vor seinen Augen verschwamm der Blick, Sherlocks Umrisse schmolzen wie Wachs und verloren sich im Grau. Die Müdigkeit würde bald obsiegen, doch John wollte noch nicht klein bei geben.

„Ich hab gelogen…“ kam es flüsternd über seine Lippen.

Sherlock stutzte. Gelogen? Klar, jeder log mal, John war da sicher keine Ausnahme. Obwohl sein ziemlich müder Freund langsam wegzudämmern begann, rüttelte er ihn wach. Jetzt war seine Neugierde geweckt, er wollte hören wie Johns Satz hätte enden sollen.

„John, ich weiß Sie sind müde, aber bleiben Sie noch einen Augenblick bei mir. Wobei haben Sie gelogen, verraten Sie es mir.“

„Hab gesagt…es war nicht was ich meinte“, John kämpfte, doch seine Augen schlossen sich bereits.

„John!“ jetzt war Sherlock nachdrücklicher.

„Ich…ich mag dich sehr…“ und damit vielen ihm endgültig die Augen zu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  shot_coloured
2012-05-29T16:47:07+00:00 29.05.2012 18:47
Hey. ^^
So wenig Kommentare, dabei ist deine Gechichte doch so süüüüß. *Herzchenaugen bekomm*
Aber im Ernst: deine Charaktere sind gut umrissen und bleiben nah am Original, außerdem ist die Geschichte spannend erzählt mit soooo viel Drama,. Herrlich. :)
Hat viel Spaß gemacht, danke für´s hochladen. ^^ Hoffe deine Motivation zum Schreiben hält an und du gibst uns Lesern was wir unbedingt auch im Original gern hätten: Johnlock Slash. XD Freu mich auf ein neues Kapitel. ;)

Liebe Grüße, sho_co
Von:  ImSherlocked
2012-05-29T16:03:37+00:00 29.05.2012 18:03
Das Ende war wirklich niedlich. Ich bin gespannt, wie das ganze jetzt weiter geht. Sherlock könnte dadurch ja neue Motivation bekommen, noch einmal selbst über sich nachzudenken und John ist auch wieder versöhnt, obwohl ihm das am nächsten Morgen bestimmt schon wieder leid tut :D

Schön machst du das, muss ich wirklich sagen ^^
Von:  Nara-san
2012-05-29T15:34:36+00:00 29.05.2012 17:34
Hoffen wir mal, dass unser werter Sherlock Holmes auch die richtigen Schlüsse daraus ziehen kann! ^^
Das Kapi war toll! Auch, dass sie sich wieder halbwegs vertragen haben! ^^
Freue mich schon auf das nächste Kapi!


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