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Moon and the Memories

Wer verwaltet seinen Nachlass - seine Lover? Seine Freunde? Oder alle zusammen?
von

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Your funeral, my Trial

FF-Titel: Lied von D’erlanger (aus der alten Periode)

Kapiteltitel: dito ^^

Wörterzahl: 5.251

Beta'd: von meiner Beta-Queen Tattoo selbstverständlich!

Rating: PG-ish
 

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Überall langweilige schwarze Kleidung. Jacketts, Anzüge, Hemden, Blusen, Jacken, und alles schwarz oder dunkelblau oder sonst irgendeine sehr gedeckte Farbe. Dazu passende Hosen in allen möglichen Ausführungen – Leinen, Cord, Flanell, Jeans, selbst Leder war vorhanden. Und dazu die passenden langweiligen Leute.

Kamijo hoffte, dass er in seinem Nadelstreifenjackett, dem blutroten Hemd und der schwarzen Hose, die er in seine großen Stiefel gesteckt hatte, nicht zu overdressed aussah. Er hatte sogar seine Haare nicht allzu sehr hochgestylt – aber schließlich wollte er nicht auffallen, sondern gut aussehen. Es gab zwei Gelegenheiten, bei denen er schon immer hatte gut aussehen wollen – bei seinen Auftritten und bei seinen Treffen mit Lay. Nun, das hier war nicht gerade ein ‚Treffen’ mit ihm, aber schließlich lag er dort, vor Kamijo, die Augen geschlossen, der Gesichtsausdruck friedlich. Er sah so fremd aus, sie hatten ihm seine Piercings abgenommen, ihn nicht so geschminkt, wie er es gerne gehabt hätte und auch seine Haare waren langweilig.

Aber so war die gesamte Veranstaltung: Langweilig. Ein ganz normales Begräbnis eben. Kamijo hatte Bestattungen schon immer gehasst. Er war auf dem Begräbnis seines Vaters gewesen, seiner Großeltern, seiner Cousine, eines Arbeitskollegen, eines Chefs, eines entfernten Verwandten, eines ehemaligen Freundes. Und immer hatte er sich gelangweilt. Nun allerdings war es das Begräbnis seines vorherigen Lovers. Er kam nicht umhin, einen leichten Druck auf seinem Brustkorb zu spüren. Leicht? Nein, das war nicht leicht. Manchmal fiel ihm das Atmen schwer, aber er bekam sich immer wieder unter Kontrolle. Er hatte bereits getrauert, vor fünf Tagen, als er die Nachricht bekommen hatte. Er hatte heulen müssen, wie ein kleines Kind, hatte sich vor den Spiegel gestellt und war für den Rest des Tages stehen geblieben, alles das aussprechend, was ihm durch den Kopf ging. Hauptsächlich waren es Zitate gewesen, wie „Sieger bleibt letzten Endes der Tod“ von Stalin, „Ach, wie glücklich sind die Toten!“ von Schiller und „Die Glocken klingen, klingen viel anders denn sonst, wenn einer einen Toten weiß, den er lieb hat“ von Luther. Es hatte geholfen, aber hinterher hatte er sich so leer gefühlt, als hätte Lay seine Lebensfreunde auch noch mitgenommen.

Kamijo hatte ihn gemocht. Er hatte ihn nicht unsterblich geliebt, das konnte er sich bei seinem Beruf nicht erlauben. Aber er hatte ihn sehr gern gehabt, war gerne mit ihm zusammen gewesen. Oft hatten sie einfach nur irgendwo herumgesessen und sich über die Bedeutung von alltäglichen Dingen Gedanken gemacht, oder aber über viel höhere Themen geredet. Sie hatten ähnliche Interessen gehabt, schließlich war Lay dabei gewesen, Literatur zu studieren. Das hatte Kamijo so sehr an ihm geschätzt – mit ihm hatte er das Gefühl, jemanden gefunden zu haben, der lustig war, nett, hübsch und auch noch intelligent. Meist fehlte eine dieser Eigenschaften. Kamijos frühere Freunde hatten entweder nichts verstanden, was er von sich gab, waren arrogant gewesen, vollkommen humorlos oder hässlich wie gerade der Gosse entstammend. Aber Lay...

Ein leises Seufzen entkam Kamijos Lippen. Er war sich jetzt schon sicher, dass er Lay nicht vergessen würde. Sein Leben würde weitergehen, keine Frage, aber irgendwo in seinem Herzen würde dieser grinsende Student immer vorhanden sein. Es gab Menschen, die man bilanzlos und ohne Weiteres aus seinem Leben streichen konnte. Lay war nicht so jemand. Dafür war er zu abgedreht gewesen.

Und genau das war es, was Kamijo so störte: Er hatte nicht das Gefühl, auf Lays Begräbnis zu sein. Die Personen um ihn herum waren alle normal, 08/15-Menschen, der Durchschnitt Japans. Hausfrauen, Geschäftsleute, Spießer, trauernde Verwandte – nichts Besonderes. Kamijo hatte Ungewöhnlicheres erwartet, viel mehr Studenten, die etwas ... ‚anders’ waren, die herausstachen, Zufallsbekanntschaften. Aber wahrscheinlich hatte er sich nur nicht genau genug umgeschaut. Er durfte nicht suchen, er musste finden.

Genau in dem Moment, in dem er das dachte, bemerkte er jemanden, der ihm vorher noch nicht aufgefallen war: Es schien eine Frau zu sein, sie hatte etwa schulter- bis kinnlange schwarze Haare, sehr lange Wimpern, war um die Augen dunkel und ansonsten hell geschminkt und trug ein taillenbetontes und darunter sehr bauschiges schwarzes Kleid. Ja, dachte Kamijo, Das sieht schon eher nach Lay aus. Vielleicht war sie auch eine Studentin, das richtige Alter schien sie zumindest zu haben. Sie hatte den Blick gesenkt und einen traurigen Gesichtsausdruck und lauschte offenbar den Worten des Priesters. Als die Frau das nächste Mal aufsah, musste sie wohl Kamijos Blick bemerkt haben, denn sie drehte ihm den Kopf zu und schenkte ihm ein kurzes Lächeln. Er erwiderte es schwach und wandte sich anschließend ab. Am Besten sprach er sie nach dem Gottesdienst an.

Wenigstes bekam Lay ein westliches Begräbnis, wie er es sich gewünscht hätte. Er glaubte zwar nicht an irgendeine höhere Macht, aber das Christentum war ihm wesentlich sympathischer gewesen als die asiatischen Glaubensrichtungen. Darüber hatten er und Kamijo ebenfalls lange Gespräche geführt. Dafür musste sich jetzt allerdings die versammelte Trauergemeinde eine Predigt nach der anderen anhören.

Nach einer weiteren halben Stunde hatte Kamijo auch das überstanden, stand auf und folgte Lays Verwandten vor die massive Kirchentür, während sich noch jemand mit strahlend blonden Haaren und merklich verweinten Augen an ihm vorbei drängelte, in Richtung Sarg. Kamijo blickte ihm einen Augenblick hinterher und schüttelte dann leicht den Kopf. Wahrscheinlich ein anderer Freund von Lay. Allerdings hätte er vom Alter her alles zwischen achtzehn und achtunddreißig sein können.

Kurz, nachdem Kamijo auf den Vorplatz der Kirche getreten war, sah er bereits die Frau wieder, die ein wenig unschlüssig herumstand und sich umschaute. Aber irgendetwas... Er ging zu ihr hin, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, das sie sofort erwiderte, als sie ihn erkannte. „Guten Morgen“, begrüßte er sie höflich.

„Guten Morgen!“, erwiderte sie und klang definitiv NICHT sehr weiblich dabei. Doch, weiblich schon, aber man erkannte, dass es eine Männerstimme war, die weiblich klang und nicht anders herum.

Aha, dachte Kamijo, Interessant. So jemanden kannte Lay anscheinend auch. „Kannten Sie ihn gut?“, wollte er wissen und runzelte sofort darauf die Stirn. „Verzeihung, das ist eigentlich eine sinnlose Frage, wenn man darüber nachdenkt – Sie müssen ihn gekannt haben, sonst wären Sie jetzt nicht hier.“

Der Mann, der sich offensichtlich oben herum etwas ausgestattet hatte, bis er sein Kleid auch perfekt füllen konnte, kicherte leise und extrem mädchenhaft. „Normalerweise hätten Sie Recht, aber bei mir macht es durchaus Sinn, wenn Sie fragen. Nein, ich kannte ihn nicht gut, zumindest nicht so gut wie Sie, nehme ich an. Ich habe ihn einige Male getroffen, wir haben uns unterhalten, nichts Tiefergehendes. Kennen Sie dieses kleine Atelier... davon haben Sie bestimmt schon mal gehört, es heißt Millefleurs und ist an diesem einen Abzweig der Hauptstraße, wenn Sie... sehen Sie, ich sagte ja, Sie kennen es! Nun, ich führe es seit...“ Er schürzte die Lippen, während er nachdachte, eine feste Angewohnheit, wie Kamijo im Laufe des Gesprächs feststellte. „...seit etwa sechs Jahren, und er ist zum ersten Mal vor zwei Jahren bei mir aufgetaucht, um mir zu sagen, dass er die Bilder, die ich gerade ausstelle, ganz schrecklich findet und die davor viel tiefgreifender waren.“ Er kicherte erneut, wobei Kamijo zugeben musste, dass es bei ihm nicht gekünstelt wirkte. Er war einfach so mädchenhaft, so weiblich. „Und ab dann ist er regelmäßig zu mir gekommen, er war sehr an Kunst interessiert, und manchmal hat er auch einige Bilder gekauft. Ich möchte nicht sagen, dass wir Freunde waren, eher flüchtige Bekannte, aber ich fand ihn einfach sehr sympathisch, deshalb war ich ziemlich geschockt, als ich von seinem Tod erfuhr. Es ist eine Schande! Wie viele vernünftige junge Männer findet man denn heutzutage?“

„Ich glaube, Sie sind der Erste, der seinen Tod als eine ‚Schande’ bezeichnet“, bemerkte Kamijo ruhig und lächelte wieder. „Aber das trifft es wahrscheinlich auf den Punkt.“

„Vielen Dank.“ Der Mann erwiderte das Lächeln, offensichtlich erleichtert, dass der andere ihm seine Bemerkung nicht übel nahm. „Aber ich werde ihn vermissen. Kannten Sie ihn denn gut?“

„Wie gut, das kann ich schlecht einschätzen, ich hoffe doch, ziemlich“, antwortete Kamijo. „Ich war sein Freund.“

Falls er gehofft hatte, den anderen mit dieser Nachricht zu überraschen, lag er falsch. „Ja, dann kann es sogar sein, dass er Sie mir gegenüber schon einmal erwähnt hat. Wie heißen Sie denn, wenn ich fragen darf?“

„Ich bin Kamijo Yuuji. Und Sie?“

„Nennen Sie mich einfach Kaya.“ Der Sprecher blinzelte kokett.

Er flirtet, stellte Kamijo fest. „Angenehm. Gehen Sie auch gleich auf die Begräbnisfeier?“

Kaya spitzte die Lippen erneut. „Ich bin mir nicht sicher. Schließlich wird sie von seinen Eltern veranstaltet, mit denen ich noch nie in meinem Leben gesprochen habe, und ich bezweifle, dass ich dort willkommen bin.“

„Was meinen Sie, warum ich mich dort blicken lasse?“ Kamijo zwinkerte ihm zu, woraufhin er leicht rot anlief. „Er hat mir einmal erzählt, dass seine Eltern schauspielern nicht für einen angemessenen Beruf halten, deshalb wollte ich mich vergewissern, was denn dann ein ‚angemessener Beruf’ sei.“

„Also ein Atelier führen dann ganz bestimmt auch nicht!“, kicherte Kaya. „Aber dass Sie Schauspieler sind, hätte ich nicht gedacht. Spielen Sie denn im Theater oder...?“

„Hauptsächlich, ja. Ich hatte bereits einige kleinere Rollen in verschiedenen Filmen, nur sagt mir das nicht so zu. Auf der Bühne ist es so, dass ich das spielen kann, was ich fühle, und beim Film habe ich wenig Möglichkeit, mich in die Rolle einzufinden, da ich die Szenen meist nicht chronologisch spielen konnte und oft dieselbe Szene zigmal hintereinander gedreht wurde. Das ist zwar bei den Theaterproben genauso, nur kann man hinterher das ganze Stück durch spielen und stolz darauf sein. Beim Film probt man quasi nur, und daraus wird dann eine zusammenhängende Geschichte geschnitten. Damit kann man höchstwahrscheinlich mehr Leute erreichen, aber ich fühle mich nicht wohl dabei. Und da ich am Theater sehr gut verdiene, sehe ich auch keinen Grund, weshalb ich mich auf Filme konzentrieren sollte.“

Kaya hatte ihm mit einer Mischung aus Erstaunen und Faszination zugehört und nickte schließlich vehement. „Das kann ich vollkommen nachvollziehen. Ich kannte mal einen Künstler, der immer nur an öffentlichen Gebäuden gemalt hat. Niemand konnte ihn davon überzeugen, dass es ihm mehr Reichtum und mehr Ruhm bringen würde, wenn er seine Werke einfach auf Leinwand malen und veröffentlichen würde, da er der Ansicht war, dass seine Bilder mehr Eindruck machten, wenn sie sich an Stellen befanden, wo sich auch ungebildete und nicht an Kunst interessierte Menschen aufhielten.“

„Hört sich plausibel an“, nickte Kamijo anerkennend. „Entschuldigung, wenn ich das Thema nun wieder wechseln muss, aber begleiten Sie mich nun auf die Feier? Ich bin sicher, Sie wären eine Bereicherung.“ Und vor allem sind Sie nicht so langweilig wie die anderen hier, fügte er in Gedanken hinzu.

„Wenn Sie mich schon SO fragen...“ Kaya kicherte zum wiederholten Mal. „Da kann ich ja gar nicht nein sagen. Sind Sie mit dem Auto hier? Könnte ich Sie dann noch bitten, mich mitzunehmen? Ich habe mich herfahren lassen, und deshalb...“

„Natürlich, kein Problem.“
 

Als Kamijo zusammen mit Kaya, der während der Fahrt noch weiter aufgetaut war und sich angeregt mit ihm unterhalten und dabei weiterhin heftig mit ihm geflirtet hatte, am Haus von Lays Eltern ankam, bemerkte er gerade noch, wie eine schlanke Gestalt mit wasserstoffblond gefärbten Haaren das Haus betrat. Es war offenbar der junge Mann, der auch am Ende des Gottesdienstes an Kamijo vorbei gehuscht war. Er nahm sich vor, sich auch mit ihm zu unterhalten.

„Es hat mich schon überrascht, dass es eine Bestattung war wie alle anderen auch“, antwortete Kaya gerade nachdenklich auf eine Frage und schürzte die Lippen. „Das stimmt, er hätte eigentlich etwas Ausgefalleneres verdient. Aber ich bin nicht in der Position, so etwas zu sagen oder gar zu fordern, nicht wahr?“

Kamijo lächelte. „Nein, wahrscheinlich nicht. Dann gehen wir mal rein.“ Sie stiegen aus dem Auto und betraten den Eingangsbereich. Lays Eltern wohnten in einem offenbar sehr großen, dafür aber mehr gemütlichen als luxuriösen Haus und so war die Stimmung etwas lockerer als vor und nach dem Gottesdienst. Die Gäste unterhielten sich, einige lächelten, andere teilten ihre melancholische Miene großzügig mit anderen, wieder andere schienen nicht so ganz zu wissen, was von ihnen erwartet wurde. Die meisten scharten sich um ein älteres Ehepaar, offensichtlich die Hausherren, die beide ziemlich bedrückt wirkten.

„Er war ein wundervoller Sohn“, äußerte Lays Mutter sich in dem Moment mit schwacher Stimme. „Wir hätten uns keinen besseren wünschen können...“

„Man lobt im Tode manchen Mann, der Lob im Leben nie gewann“, murmelte Kamijo leise und lächelte leicht, als er Kayas fragenden Blick bemerkte. „Er hat sich mit seinen Eltern nie gut verstanden, deshalb habe ich sie auch nicht kennen gelernt. Statt Blumen zu spenden, bitten wir, den Verstorbenen vor seinem Tod besser behandelt zu haben“, fügte er noch hinzu und seufzte leise.

„Schlaue Worte“, bemerkte jemand. Kamijo drehte sich um. Hinter ihm stand ein recht großer Mann mit schwarzen und an den Spitzen blond gefärbten Haaren, einigen Tattoos an den Händen und einer getönten Sonnenbrille auf. Er wirkte ein wenig mitgenommen, aber nicht so schwermütig wie Lays Eltern. „Kennen Sie noch mehr solcher Sprüche?“

„Ein ewig Rätsel ist das Leben, und ein Geheimnis bleibt der Tod“, gab Kamijo zurück, sich herausgefordert fühlend. „Kennen Sie denn auch welche?“

„Natürlich. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, Er mäht das Korn, wenn’s Gott gebot; Schon wetzt er die Sense, Dass schneidend sie glänze, Bald wird er dich schneiden, Du musst es nur leiden“, zitierte der andere Mann mit einem angedeuteten Lächeln, woraufhin Kaya unwillkürlich wieder kichern musste.

„Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich möchte nur nicht dabei sein, wenn’s passiert“, erwiderte Kamijo mit einer hochgezogenen Augenbraue.

Der andere schaute sich kurz um, beugte sich dann etwas vor und murmelte: „Der Tod ist der Orgasmus des Lebens.“

Das brachte den Schauspieler zum Grinsen. „Originell“, meinte er anerkennend. „Wer sind Sie?“

„Sie haben wahrscheinlich schon von mir gehört, ich bin Hakuei.“

„Der Sänger?“

„Ja, genau.“

Kamijo hob die Augenbrauen. „Ihr Name sagt mir was, aber Ihr Gesicht kann ich mit nichts verbinden. Was tun Sie hier?“

Der Angesprochene lächelte säuerlich. „Ich war gut mit Lay befreundet. Und wer sind Sie?“

„Ich bin Kamijo Yuuji.“

„Der Schauspieler?“

„Sie kennen mich?“, fragte er überrascht.

„Ich hab mal ein paar Theaterstücke mit Ihnen gesehen. Ich wusste, Sie kamen mir irgendwie bekannt vor. Lay war ein sehr großer Fan von Ihnen.“

„Wir waren zusammen“, entgegnete Kamijo knapp.

„Oh. Ach so. Natürlich, sonst wären SIE jetzt auch nicht hier. Verzeihung, ich bin ein bisschen neben der Spur. Sein Tod hat mich... Sie wissen schon. Etwas aus der Bahn geworfen. Wir waren sehr eng befreundet.“

„Wie kommt es denn dann, dass Sie nicht gewusst haben, dass Lay und ich...“

„Er hat seine Freunde schön für sich behalten. Ist Ihnen das nicht aufgefallen? Hat er Sie je mit irgendwelchen seiner Freunde bekannt gemacht?“, wollte Hakuei schulterzuckend wissen.

„Nein, das stimmt“, musste Kamijo zugeben. „Aber wir waren auch nicht das klassische Liebespaar. Wir haben uns nicht allzu oft gesehen und weniger über persönliche Beziehungen geredet als über unsere Meinungen zu verschiedenen Themen.“

„Ja, so war er...“ Der Sänger senkte kurz den Blick. „Ich kenne... kannte ihn jetzt etwa viereinhalb Jahre, und am Anfang war er auch nur daran interessiert, mehr über meinen Beruf herauszufinden als über mich persönlich. Dann haben wir angefangen, manchmal miteinander zu spielen, er Bass, ich Gitarre, und irgendwann haben wir uns richtig angefreundet.“

Es passte Kamijo nicht, dass dieser Typ sich einbildete, Lay so viel besser zu kennen und eine viel engere Beziehung mit ihm gehabt zu haben als er, Kamijo. Sie hatten doch wohl über alles geredet, was wichtig im Leben war – die Liebe, den Tod, Freundschaften, Fantasie, Inspiration, die Musik der Worte, Sprache überhaupt, bedeutende Persönlichkeiten, Politik...

„Wer ist das überhaupt?“, fragte Hakuei gerade und deutete mit dem Kinn in Kayas Richtung. Der Schwarzhaarige war offensichtlich gerade dabei, mit einem halbwegs gutaussehenden Mittvierziger zu flirten, er kicherte, stupste den anderen am Arm an und war sich dabei ganz offensichtlich des hingerissenen Blicks des anderen voll bewusst.

„Er heißt Kaya“, antwortete Kamijo und musste gegen seinen Willen lächeln. „Führt ein kleines Kunstatelier in der Stadt hier, hat sich mit Lay über Kunst unterhalten, kannte ihn aber nicht wirklich gut. Er scheint sehr nett zu sein.“

„Ja, genau die Sorte Mensch, die Lay bevorzugen würde“, bemerkte Hakuei mit einem Schau-mal-wie-viel-ich-über-ihn-weiß-Tonfall. (Oder vielleicht bildete Kamijo sich den auch nur ein.) „Ziemlich extravagant, um es so auszudrücken. Genauso wie Sie.“

Kamijo wusste nicht, ob dieser Kommentar als Kompliment, Feststellung oder Beleidigung gemeint war, und überging ihn deshalb kurzerhand. „Ich habe Sie beim Gottesdienst überhaupt nicht bemerkt“, meinte er.

„Ich war auch nicht da“, bestätigte Hakuei die Vermutung des anderen. „Einmal, weil ich es wahrscheinlich nicht hätte ertragen können, und zweitens, weil ich kein Mensch für Bestattungen bin. Hinterher bin ich meist zu nichts mehr zu gebrauchen.“ Er lächelte leicht. „Aber Kaede – das ist seine Mutter – hat mich dazu überredet, wenigstens jetzt hier zu sein.“

Schau-mal-wie-toll-ich-mich-mit-seiner-Familie-verstehe-ich-wurde-sogar-eingeladen. Kamijo verengte seine Augen leicht und sah sich anschließend kurz im Raum um. Keine blonden Haare zu finden. „Haben Sie jemanden mit hellblonden Haaren hier herumlaufen sehen?“

„Wissen Sie, wer das ist?“, fragte Hakuei zurück.

„Noch nicht.“

„Schade, ich dachte, Sie könnten es mir vielleicht sagen. Wollen Sie sich jetzt mit jedem hier anfreunden, der etwas auffälliger ist?“

Schau-mal-ich-hab-dich-schon-durchschaut-du-halbe-Portion. „Nein, er interessiert mich einfach“, entgegnete Kamijo distanziert. „Haben Sie ihn jetzt gesehen oder nicht?“

„Er ist auf die Terrasse gegangen“, antwortete Hakuei mit einem nachsichtigen Lächeln. „Durch das Wohnzimmer, hinten rechts.“

Kamijo bedankte sich knapp und war froh, dem Sänger entgehen zu können. Am Anfang hatte er ja noch recht nett gewirkt, aber mit der Zeit war er ziemlich nervig geworden. Der Braunhaarige bahnte sich seinen Weg durch die Trauergäste, bekundete Lays Eltern noch kurz sein Mitgefühl und stellte sich als ‚ein Freund’ vor, ehe er auf die Terrasse trat. Außer ihm und dem jungen Mann mit den blonden Haaren war sonst keiner draußen. Kamijo fielen die Ringe um die rotgeweinten Augen des anderen auf, überhaupt machte er einen sehr fragilen und instabilen Eindruck. Trotz allem war er stylish gekleidet, trug eine schwarze Designerjacke, darunter ein Shirt derselben Farbe, woran eine Sonnenbrille hing.

Erst einmal wortlos zog der Schauspieler eine Zigarettenpackung hervor und gesellte sich zu dem Blonden. Er zündete sich eine Zigarette an und hielt seinem Nebenmann die Packung hin. Der musterte diese erst, dann denjenigen, der sie ihm hinhielt, nahm sich eine und ließ sich Feuer geben.

„Danke“, murmelte der junge Mann und schniefte einmal leise.

Kamijo betrachtete ihn von der Seite. „Alles okay?“

„Ein verdammter MENSCH ist gestorben, NICHTS ist okay!“, fauchte der ihn gereizt an und fuhr sich anschließend durch die Haare. „Entschuldigung. Wirklich, tut mir leid. Ich bin fertig. Entschuldige.“

Der Braunhaarige schüttelte kurz den Kopf. „Schon okay.“

„Weißt du, ich frag mich nur... warum MACHT er so’ne Scheiße?!“ Der Blonde nahm einen Zug von seiner Zigarette. Seine Hände zitterten, fiel Kamijo auf. „Ich meine, er hat gerne getrunken, meinetwegen, er hat sich ja auch nicht die Birne weggesoffen, aber...“ Er brach ab und schniefte erneut. „Und dann so was! Ich meine... das ist nicht richtig! Warum macht er so was? Was soll das? Wollte er...“ Erneut verstummte er und wischte sich diesmal kurz über die Augen, warf anschließend seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. „Scheiße...“

Kamijo berührte ihn kurz am Arm, sagte aber nichts. Die Fragen ließen auch ihn nicht kalt, er hatte sie sich auch schon etliche Male gestellt.

„Das ist so... er war... ach, Scheiße!“ Der Blonde warf sich Kamijo beinahe an den Hals, weshalb er keine andere Wahl hatte, als auch die Arme um ihn zu legen und ihm beruhigend über den Rücken zu streichen. „Tut mir leid... es tut mir leid“, murmelte der andere unentwegt und schniefte zwischendurch immer wieder.

„Ist okay, wirklich“, gab Kamijo ruhig zurück und drückte den Blonden noch einmal fest an sich, bevor er ihn wieder los ließ.

„Danke... Ich bin übrigens Juka. Wirklich, das ist voll nett von dir, danke...“

„Kein Problem. Ich bin Kamijo Yuuji“, entgegnete der Braunhaarige kopfschüttelnd. „Du musst dich nicht immer entschuldigen. Ich weiß, dass es nicht leicht ist.“

„Ja, und vor allem...“ Juka atmete einmal tief durch und sah kurz zur Seite. „Ich hab ihn geliebt. Ich hab ihn richtig geliebt, mehr als jeden anderen vorher. Er war... wenn du ihn kennst, dann weißt du, was ich meine. Er war einfach besonders.“

Aha, dachte Kamijo und hob die Augenbrauen unmerklich.

„Und, Gott, ich wollte die ganze Zeit mit ihm zusammen sein. Wahrscheinlich bin ich ihm auf die Nerven gegangen, aber... ich konnte nicht anders. Und an dem Abend wollte er mal alleine sein, und ich hab ihn so vermisst, und am nächsten Tag hat er nicht angerufen und dann... hab ich’s erfahren. Weißt du, wir waren glücklich zusammen!“

Moment mal. „Du warst mit ihm zusammen?“, wiederholte Kamijo ungläubig.

„Ja, seit... ich weiß nicht... eineinhalb Jahren, glaube ich. Und-“

„Das kann nicht sein.“

Juka sah ihn verständnislos an. „Warum?“

„Weil ich vor einem Jahr mit ihm zusammen gekommen bin.“

Jetzt wurde sein Blick entgeistert. „WAS?!“

Oh, verdammt. Kamijo wollte gerade etwas erwidern, da schlug Juka zu. Obwohl er so schwächlich aussah, Kraft hatte er genug. Der Braunhaarige stolperte ein paar Schritte rückwärts. „Hey, ruhig!“

„DU LÜGST!“, schrie Juka, nun verzweifelt. „Das kann nicht sein, du erzählst hier irgendwelche Lügen!!“

„Was ist hier los?“, wollte Hakuei wissen, der gerade eben auf die Terrasse getreten war.

Den Blonden interessierte das kein bisschen. „Du wagst es, so was zu sagen?! Das ist... du Arschloch!“ Und damit stürzte er sich auf Kamijo.
 

„Lass mich los! Ich hab gesagt, du sollst mich loslassen! LASS MICH GEFÄLLIGST LOS!! Ich zeig dich an! Körperverletzung! Nötigung! LASS – MICH – LOS!!“

Trotz Jukas lautstarker Proteste und trotz der Tatsache, dass er wild um sich schlug und trat, was beides mit Erschrecken von den umherstehenden Gästen wahrgenommen wurde, schleppte Hakuei den Blonden unbeeindruckt durch das Haus nach draußen vor die Tür, wo er ihn unsanft auf den Bürgersteig schubste. „Geht’s dir noch gut?“, fragte der Sänger, selbst sichtlich verärgert, und baute sich vor Juka auf.

Der Angesprochene starrte ihn erst einen Augenblick wütend an und wandte sich dann an Kamijo, der den beiden gefolgt war und seinen schmerzenden Wangenknochen betastete. „DU!“, rief er aufgebracht. „Nimm das zurück, was du grad gesagt hast!“

„Warum sollte ich?“, fragte Kamijo schulterzuckend. „Es ist die Wahrheit. Ich war mit ihm zusammen.“

„WARST DU NICHT!“ Juka wollte sich bereits wieder auf ihn stürzen, aber Hakuei packte ihn am Schlafittchen, riss ihn zurück und schnauzte ihn an.

„Meinst du, es bringt irgendetwas, wenn du hier so eine Szene machst?! Reiß dich doch mal endlich zusammen und mach dir mal klar, wo du dich gerade befindest!!“ Trotzdem versuchte der Blonde immer noch, sich loszureißen und wieder auf Kamijo loszugehen, weshalb der Sänger ihm kurzerhand so in den Magen schlug, dass er hustend, nach Luft schnappend und sich den Bauch haltend zu Boden sank. „Hast du dich jetzt endlich wieder unter Kontrolle?“, fuhr Hakuei ihn an.

„Lasst mich... doch alle in Ruhe!“, rief Juka mit brüchiger Stimme, bevor er in Tränen ausbrach, die Knie an seine Brust zog und seine Stirn darauf legte.

Kamijo und Hakuei wechselten einen Blick.

„Was ist denn überhaupt passiert?“, fragte eine helle Stimme hinter dem Schauspieler mitfühlend.

„Es scheint, als wäre ich nicht Lays einziger Freund gewesen“, klärte Kamijo Kaya hilfsbereit auf.

„Ich hab ihn geliebt!“, schluchzte Juka leise. Hakuei hockte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ach Gott, wie schrecklich!“, entgegnete Kaya, sichtlich geschockt.

„Ja, das trifft es eigentlich ganz gut“, bemerkte der Braunhaarige leise und befühlte erneut seine Wange. „Wird das hier irgendwie rot?“, fragte er seinen Nebenmann.

Kaya musterte ihn eindringlich und legte den Kopf schief. „Sie ist etwas dicker als die andere Wange“, gab er vorsichtig zurück. „Und auch ein bisschen rot, ja.“

„Exkremente“, murmelte Kamijo. „Ich muss morgen auftreten. Wenn das ein Bluterguss wird, kann ich IHN aber anzeigen!“

„Ich glaube, dass das keine so gute Idee wäre“, erwiderte Kaya zweifelnd und betrachtete das Häufchen Elend auf dem Bürgersteig. „Und vor allem – auf mich macht er nicht den Eindruck, als sei er ... zurechnungsfähig.“

„Wird ja immer besser.“ Kamijo seufzte leise.

„Wahrscheinlich braucht er einfach ein bisschen Gesellschaft“, überlegte der Schwarzhaarige besorgt und gesellte sich zu den beiden anderen, hockte sich ebenfalls hin und begann, leise auf Juka einzureden.

Natürlich, dachte Kamijo, Kümmert euch nur um den, der ‚nicht zurechnungsfähig’ ist und mich so verunstaltet hat, dass ich sehr viel Schminke brauchen werde, um überhaupt normal auszusehen. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und begann, den Bürgersteig in die andere Richtung entlang zu gehen, zu seinem Auto hin. Er hatte genug – so konnte er Lay nicht angemessen verabschieden.

„Kamijo!“ Er blieb stehen und drehte sich um. Kaya kam auf ihn zugelaufen, wenn man es denn so nennen konnte – er trug Plateauschuhe und war deshalb von Grund auf nicht so schnell. Er nahm Kamijos Hände und sah ihn bittend an. „Verzeihung, ich habe nicht gefragt, ob ich Kamijo sagen darf...“

„Darfst du, und duzen meinetwegen auch“, seufzte der Braunhaarige. „Was ist denn?“

„Willst du jetzt schon gehen?“

„Ich wüsste nicht, was ich hier noch verloren habe.“

„Möchtest du nicht erst einmal die ganze Sache mit Juka klären? Ich glaube, das würde ihm helfen. Bitte, du weißt, er hat es nicht so gemeint, er hat jemanden verloren, den er geliebt hat, er ist-“

„Und ich etwa nicht?“, fragte Kamijo herausfordernd und wusste im selben Moment, dass er verloren hatte – und zwar gegen sich selbst. Er hatte Lay nicht geliebt.

„Doch, natürlich, entschuldige“, gab Kaya beschämt zurück und sah kurz zu Boden. „Nur bleibst du dabei ruhig, du kannst dich beherrschen, du bist deutlich vernünftiger als Juka. Und du könntest ihm dabei helfen, dass es ihm wieder etwas besser geht.“

Kamijo musterte sein Gegenüber einen Moment. „Okay. Meinetwegen. Aber nur, weil du es bist.“

Das brachte Kaya zum Grinsen. „Dankeschön! Dann komm.“ Er zog den anderen mit sich zurück zu Hakuei und Juka, die sich nebeneinander auf den Bürgersteigrand gesetzt hatten und leise miteinander redeten.

Der Schauspieler überlegte kurz und setzte sich schließlich kurzerhand vor Juka auf die Straße, sich vor sich selbst damit rechtfertigend, dass seine Hose bestimmt sowieso schon dreckig war. Sobald der Blonde ihn allerdings sah, zeichnete sich wieder Wut in seinem Gesicht ab. „Sieh mich bitte nicht so an“, forderte Kamijo leise. „Ich kann genauso wenig für unsere Situation hier wie du, ja?“

„Du wusstest, dass er mit mir zusammen ist“, gab Juka leise zurück und verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen.

„Woher hätte ich das wissen sollen?“, fragte Kamijo mit hochgezogenen Brauen. „Kanntest DU irgendwelche Freunde von ihm?“

Der Blonde zögerte.

„Ich auch nicht. Und Hakuei auch nicht. Und er war ziemlich eng mit ihm befreundet. Wenn er mir und dir nicht mal von seinen Freunden erzählt hat, warum sollte er mir erzählen, dass er außer mir noch einen anderen Freund hat?“

Diese Logik schien selbst Juka einzuleuchten. „Aber... ich meine... warum?!“

„Warum er neben mir noch jemand anders hatte, kann ich mir gut vorstellen“, entgegnete Kamijo und überlegte. „Ich meine... nicht, dass ich so schrecklich bin, aber wir haben uns nicht so oft sehen können, da er mit seinem Studium und ich mit meinem Beruf beschäftigt war. Und wenn ich er gewesen wäre, dann hätte mir das auch nicht gereicht. Ich habe schon vermutet, dass er neben mir noch jemand anderes hatte, aber ich habe ihn nie darauf angesprochen. Es interessierte mich auch nicht wirklich.“

„Es interessiert dich nicht?!“, wiederholte Juka fassungslos. „Wie kann’s dich nicht interessieren, wenn dein Lover mit anderen Typen vögelt??“

„Weil es mir bei ihm nicht in erster Linie darum ging, mit ihm ins Bett zu gehen“, erwiderte Kamijo pikiert. „Ich genoss seine Gesellschaft, ich war unheimlich gerne mit ihm zusammen. Aber ich wusste, dass ich nicht gierig werden durfte, sonst hätte beides darunter gelitten, meine Schauspielkunst und sein Literaturstudium, und deshalb habe ich mich damit zufrieden gegeben, was ich kriegen konnte, ohne dass es auf mein sonstiges Leben einen negativen Einfluss nahm.“

Man konnte Juka beim Denken zusehen, wie er versuchte, diesen Satz in seine Einzelteile aufzuspalten und zu verstehen. „Also... hattet ihr eine plastische Beziehung?“

„Plastisch?“, wiederholte der Schauspieler und hob eine Augenbraue. „Meinst du platonisch?“

„Ja, genau. Oder so ähnlich. Das ist doch das ohne Sex, oder?“

„Ehm, ja. Das ist das ohne Sex“, entgegnete Kamijo trocken. „Aber nein, hatten wir nicht. Mich hätte es allerdings nicht gestört, wenn es so gewesen wäre, ich hätte sicherlich woanders das bekommen, was ich brauchte, nur bei ihm konnte ich beides vereinen – körperliche und geistige Befriedigung.“

Juka musterte ihn befremdet. „Du hast das B-Wort gesagt“, meinte er.

„Solange ich kein ‚selbst’ davor setze, befindet sich alles im grünen Bereich“, gab Kamijo genervt zurück, der aus den Augenwinkel sah, wie Kaya sich ein Kichern verkneifen musste und selbst Hakueis Mundwinkel zuckten.

Der Blonde schwieg irritiert.

„Soweit zu meiner Beziehung zu ihm“, seufzte Kamijo. „Wie standet ihr euch denn gegenüber?“

„Wir liebten uns“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Und... du kannst dir absolut nicht vorstellen, warum er außer dir noch jemand anderes haben wollen würde?“, tastete der Braunhaarige sich weiter vor.

„Nein.“

Ich schon, dachte Kamijo, Du bist nämlich nicht nur außen am Kopf blond. „Kannst du dir vorstellen, dass er vielleicht mit dir nicht die Gespräche führen konnte, die er gerne geführt hätte?“, wollte er vorsichtig wissen.

„Kamijo...?“, schaltete Hakuei sich leise ein. Er und Kaya hatten bis dahin schweigend und offenbar interessiert gelauscht.

„Was denn?“, wollte der Angesprochene abwehrend wissen.

Juka sah zwischen ihnen hin und her. „Moment mal, was? Was meint ihr damit?“

„Du sollst nicht eure verschiedenen Beziehungen aufs kleinste Detail analysieren“, fügte Hakuei ernst hinzu. „Das ist nicht Sinn der Sache.“

„Was denn dann?“, fragte Kamijo und schaute Hakuei und Kaya fragend an. Die beiden erwiderten seinen Blick wortlos. Ach so, dachte er, Ich soll gerade keine Klärung schaffen, sondern irgendetwas sagen, sodass es dem Kleinen besser geht.

„Worum geht’s eigentlich grad? Was meinst du damit, dass er mit mir nicht reden konnte, wie er wollte?“, bohrte Juka aufgebracht weiter nach. „Meinst du, dass er dich zum Reden und für ‚geistige Ergüsse’ haben wollte und mich nur zum Vögeln!?“

„Bitte, nicht solche Wörter!“, mahnte Kaya ihn erschrocken.

„Ist es nicht so gewesen?“, verteidigte Kamijo sich, frei nach dem Motto ‚Angriff ist die beste Verteidigung’. „So war es doch, oder nicht? Du konntest ihm nicht das geben, was er wollte, und deshalb ist er zu mir gegangen!“

„DU ABER AUCH NICHT!“, rief Juka, sichtlich tief getroffen. „Du konntest ihm auch nicht das geben, was er wollte, sonst hätte er mich für dich verlassen! Aber nein, er ist bei mir geblieben, außerdem war ich VOR dir da, ist dir das klar?!? Ich kenne ihn länger als du!!“

„Bitte, beruhigt euch!“, mischte der Sänger sich nun wieder ein. „Kommt wieder runter, ihr wisst doch überhaupt nicht mehr, was ihr sagt!“

„Ja, das glaube ich auch. Aber ICH muss so was nicht haben! Ich hab schließlich auch noch meinen Stolz.“ Mit den Worten stand Kamijo auf und begab sich ein weiteres Mal in Richtung seines Autos. Nun allerdings versuchte keiner, ihn aufzuhalten.

„DU HAST ZU VIEL DAVON!“, schrie Juka ihm hinterher.

Kamijo war versucht, sich umzudrehen und dem Blonden nun seinerseits eine reinzuhauen, beherrschte sich allerdings. Nein, er würde sich nicht auf dieses Niveau herablassen. Er war schon derangiert genug. Unzufrieden setzte er sich ins Auto und betrachtete sich eine Weile in verschiedenen Spiegeln. Er wirkte aufgewühlt, überhaupt nicht wie er selbst. Und abgesehen davon verfärbte seine Wange sich langsam violett.

Idiot, dachte Kamijo, während er nach Hause fuhr, Schwachkopf. Trottel. Depp. Vollpfosten. Und als er bei sich in der Wohnung angekommen war, ärgerte er sich noch ein bisschen mehr.
 

|-|=|-|
 

to be continued!

Wenn's euch gefallen hat, teilt es mir mit! - Wenn nicht, dann auch =)

For myself who is going to die

Kapiteltitel: Lied von Kokeshi Doll

Wörterzahl: 5.260

Beta'd: natürlich von derjenigen, der meine Schreiberseele gehört: Tattoo!

Rating: PG
 

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„O, ich sterbe, Horatio! Das starke Gift bewältigt meinen Geist; Ich kann von England nicht die Zeitung hören. Doch prophezei’ ich: Die Erwählung fällt auf Fortinbras: er hat mein sterbend Wort: Das sagt ihm, samt den Fügungen des Zufalls, Die es dahin gebracht. - Der Rest ist Schweigen.“

Mit diesem weithin bekannten Satz starb er.

Natürlich nicht wirklich, aber er brach auf der Bühne zusammen und blieb regungslos liegen, sehr darauf bedacht, sein Publikum nicht sehen zu lassen, dass er atmete. Er wartete geduldig Horatios und Fortinbras’ Dialog ab (den er sowieso selbst mitsprechen konnte) und stand erst wieder auf, nachdem der Vorhang gefallen war. Während sich das Ensemble verbeugte, murmelte sein Nebenmann ihm zu: „Ich glaube, das war so was wie die beste Premiere, die wir je hatten.“

Kamijo schenkte ihm ein glückliches Lächeln. „Das sagst du jedes Mal.“

„Wir werden aber auch jedes Mal besser.“

Er lachte leise und verbeugte sich, winkte dem Publikum noch einmal zu und verschwand mit den anderen von der Bühne. Als sie sich einzeln verbeugten, bekam er den meisten Applaus – gerechtfertigt, wie er fand. Schließlich hatte er endlich einmal wieder die Hauptrolle gehabt und war sogar einigermaßen zufrieden mit sich – und das sollte was heißen.

Hinterher klopften sie sich alle gegenseitig auf die Schultern, tauschten Komplimente, kleine Pannen, von denen das Publikum nichts mitbekommen hatte, gute Ratschläge oder nett gemeinte Kommentare aus und gingen sich umziehen. Böse Worte nach einer Premiere gab es so gut wie nie – nur, wenn sie wirklich schlecht gewesen war. Im Allgemeinen war man nach einer Premiere so dermaßen froh, es lebend überstanden zu haben, dass man überhaupt keine Energie mehr aufbringen konnte, um sich gegenseitig fertig zu machen.

Kamijo schminkte sich ab, zog sich schnell um, wünschte allen eine gute Nacht und verschwand aus dem Bühneneingang. Er fühlte sich erfrischt, und er konnte es kaum erwarten, am nächsten Morgen aufzuwachen. Er wollte die Rezensionen lesen. Als er allerdings an seinem Auto ankam, bemerkte er drei Gestalten, die auf einer kleinen Mauer daneben saßen und sich scheinbar amüsierten. Er blieb vor ihnen stehen und sah sie wortlos an.

Kaya bemerkte ihn zuerst, sprang auf und fiel ihm kurz um den Hals. „Kamijo! Du warst wundervoll, wirklich, ich war ganz hingerissen, bin es immer noch! Ich hätte nicht gedacht, dass du auf der Bühne so edel wirken kannst, obwohl du ja schon etwas prinzenhaftes an dir hast – ich hätte beinahe geweint, als du gestorben bist, so echt sah es aus, ich dachte, du würdest nicht mehr aufstehen!“

„Ja, guten Abend“, begrüßte der Schauspieler die drei ein wenig überfordert. „Habt ihr euch das Stück wirklich alle angesehen?“

„War meine Idee“, entgegnete Hakuei schulterzuckend. „Ich hab gelesen, dass ihr Premiere habt und du die Hauptrolle spielst, und da ich dich und die anderen beiden sowieso noch einmal beisammen haben wollte, habe ich vorgeschlagen, dass wir es uns ansehen. Hat mir sehr gut gefallen, übrigens. Vor allem die Ophelia.“

„Sie ist schon vergeben, da muss ich dich enttäuschen“, gab Kamijo schwach lächelnd zurück. „Ich hoffe mal, dass meine schärfsten Kritiker das ähnlich sehen. Sagt mal, was habt ihr denn jetzt vor? Ich hatte nämlich eigentlich geplant, jetzt direkt nach Hause zu fahren, unter die Dusche zu springen und schlafen zu gehen. Dauert es länger?“

„Wahrscheinlich schon“, antwortete Kaya nachdenklich und schürzte die Lippen. „Daran haben wir nicht gedacht, verzeih.“ Obwohl Kamijo es in dem Licht nicht genau erkennen konnte, schienen Kayas Haare nun nicht mehr schwarz, sondern dunkelrot zu sein, und er trug auch ein dazu passendes rotes Kleid, das er oben herum etwas ausgebessert hatte. Außerdem waren seine Haare länger und hochgesteckt. Er war trotzdem noch immer unverwechselbar Kaya.

„Wenn’s euch nichts ausmacht“, diesen Satz richtete Kamijo an Juka, welcher wort- und offenbar interesselos sitzen geblieben war und ihn nur mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, „dann kann ich euch mit zu mir nehmen oder ihr fahrt mir einfach hinterher, dann geh ich duschen, und anschließend können wir machen, was auch immer ihr machen wollt. Einverstanden?“

„Wenn es DIR nichts ausmacht...“, entgegnete Hakuei und sah die anderen beiden an, welche zustimmend nickten. „Dann gerne. Ich bin auch mit dem Auto da. Fährst du dann bei ihm mit?“

Kaya wollte gerade antworten, aber Juka kam ihm zuvor: „Nein, ich will bei Kamijo mitfahren.“

„Dann steig ein.“ Der Braunhaarige schloss ohne zu protestieren sein Auto auf, ließ einen ziemlich verwirrten Juka auf den Beifahrersitz klettern, erklärte Hakuei kurz, wie man zu ihm nach Hause kam, für den Fall, dass sie sich verloren, stieg selbst ein und fuhr los. „Hat’s dir denn auch gefallen?“

„Es hat mich beeindruckt, dass du dir so viel Text merken konntest“, gab Juka ehrlich zurück. „Aber ich glaube, das ist eine Voraussetzung für den Job. Abgesehen davon hat’s mir auch allgemein gut gefallen, ja. Vor allem, dass du dich so sehr... in die Rolle hineinversetzt hast. Ich meine, ich hab dich vorher in Realität erlebt, und als du gespielt hast, hast du wie ein anderer Mensch gewirkt.“

„Wie ein besserer oder schlechterer Mensch?“, fragte Kamijo neugierig nach.

„Ich weiß nicht. Ich glaube, das kommt darauf an, was für eine Rolle du spielst. Wenn du zum Beispiel einen Bösewicht gespielt hättest, dann wärst du definitiv ein schlechterer Mensch gewesen.“

Das brachte Kamijo zum Lachen. „Du meinst, so wie Claudius?“

„Wer war das noch mal?“

„Des Königs Bruder, derjenige, der den König umgebracht hat und den Hamlet töten soll, um seinen Vater zu rächen.“

Juka verdrehte leicht die Augen. „Mein Gott, wer soll denn da noch durchblicken? Ich glaub, ich hab die Hälfte des Stücks nicht verstanden.“

„Das macht nichts, solange es dir gefallen hat.“

Nun musterte ihn der Blonde von der Seite. „Dir macht das Schauspielern Spaß, oder?“

Kamijo lächelte breit. „Es ist mein Leben, was soll ich sagen? Ich glaube, wenn ich nicht damit mein Geld verdienen könnte, würde ich todunglücklich sein. Ich kann mich ausleben, und besonders nach so einer Premiere schwebe ich auf Wolke Sieben. Warum fragst du?“

„Weil du so glücklich bist. Und überhaupt nicht mehr so bissig.“

„War ich bissig?“, wollte der Schauspieler nachdenklich wissen.

„Na ja. Ich hab dich aber auch ganz schön blöd angemacht.“ Juka senkte den Blick. „Sorry. Aber ich war wirklich... du hättest mich wegwerfen können. Kannst du eigentlich immer noch.“

„Also auf mich wirkst du zumindest stabiler als beim letzten Mal“, gab Kamijo zurück. „Tut mir auch leid, ich hab dir wahrscheinlich auch irgendwelche Dinge an den Kopf geworfen, die nicht gerechtfertigt waren.“

„Auf der Bühne hat man’s nicht gesehen“, meinte der Blonde und strich leicht über die Wange des anderen. „Aber jetzt sieht man’s wieder. War’s denn sehr schlimm?“

Kamijo brauchte einen Moment, um dahinter zu kommen, dass Juka auf den Bluterguss auf seinem rechten Wangenknochen anspielte. „Meine Maskenbildnerin hat ziemlich geschimpft. Aber jetzt ist er ja schon fast wieder weg, ist ja auch vier Tage her. Du hättest ihn mal vorgestern sehen sollen.“ Er grinste. „Sag mal, was bist DU eigentlich von Beruf? Das ist bis jetzt noch nicht zur Sprache gekommen, oder?“

„Ich bin Stylist, hauptsächlich für Models, manchmal auch für Filmschauspieler oder irgendwelche sonstigen B- oder C-Promis.“

„Stylist?“, wiederholte Kamijo anerkennend. „Dann haben wir ja alle Formen von Kreativität, oder? Hakuei Musik, Kaya Kunst, ich schauspielern und du...“

Juka lächelte. „Ja, sieht so aus. Aber keiner von uns ist Linkshänder.“

„Meinst du, unter uns Künstlern bräuchten wir einen Quoten-Linkshänder?“, grinste Kamijo. „Dann bräuchten wir aber auch einen Brillenträger. Haarfarben haben wir ja alle vorhanden – Hakuei schwarz, ich braun, Kaya rot und du blond. Apropos, sind die beiden noch hinter uns, siehst du das? Nicht, dass wir gleich alleine bei mir rumsitzen und die gurken noch irgendwo in der Stadt rum.“

Der Blonde wirkte einen Augenblick, als würde er etwas sagen wollen, schluckte es aber herunter und drehte sich auf dem Sitz um. „Doch, sieht so aus, als seien sie noch hinter uns. Und Kaya flirtet.“

Kamijo musste lachen. „Ich glaube, das tut er immer. Mich hat er auch schon angeflirtet.“

„Mich nicht. Und ich weiß nicht, ob ich froh darüber sein soll“, entgegnete Juka lächelnd.

„Ist beides nicht so tragisch, glaube ich. Bei Hakuei macht er sich wahrscheinlich sowieso keine Hoffnungen. Er ist straight, oder?“

„Hakuei? Wie der Horizont.“ Juka machte eine ausschweifende Geste.

„Die Erde ist rund, das weißt du?“

Nun lachte der Blonde. „Herrgott! Dann eben wie eine Gerade oder so was! Auf jeden Fall steht er nicht auf Männer, sondern auf diese eine Tucke da, wie hieß sie noch?“

„Ophelia?“, riet Kamijo.

„Ja, genau. Oder so ähnlich.“

„Hn. Hier wären wir.“ Der Braunhaarige parkte gekonnt auf seinem Parkplatz ein, stieg aus, schloss das Auto ab und wartete darauf, dass Hakuei ebenfalls einen Parkplatz fand.

Juka druckste ein wenig herum, bis er endlich das aussprechen konnte, was er wollte. „Kamijo?“

„Hm?“

„Du bist mir doch nicht mehr... sauer, oder so was? Also, du nimmst mir nichts mehr übel? Was ich gesagt oder gemacht hab? Und bitte, sei ehrlich.“

Kamijo überlegte eine Weile, in der sein Gegenüber sichtlich nervöser wurde. „Nein, ich glaube nicht. Im Moment habe ich nicht die Mentalität, irgendjemandem böse zu sein.“

„Obwohl ich dich ein Arschloch genannt hab?“

„Hast du?“

„Ich glaube schon.“

„Oh.“ Der Schauspieler legte den Kopf schief. „Hättest du mich nicht daran erinnert, dann hätte ich es wahrscheinlich komplett vergessen.“ Der andere wirkte ein wenig unglücklich, weshalb Kamijo auch gleich darauf lächelnd den Kopf schüttelte. „Nein, auch deshalb bin ich dir nicht böse.“

Kurzerhand schlang Juka die Arme um ihn und zog ihn an sich. „Danke...“

Kamijo, der gerade Hakuei auf sich zu kommen sah, rollte leicht mit den Augen, lächelte dann aber und klopfte Juka auf den Rücken. „Keine Ursache. Sollen wir reingehen?“
 

Als der Braunhaarige aus der Dusche zurückkehrte, hätte er beinahe laut aufgelacht. Seine drei Gäste saßen wie bestellt und nicht abgeholt auf seinen beiden Sofas und wirkten, als hätten sie sich keinen Millimeter bewegt, aus Angst, irgendetwas schmutzig zu machen. „Ihr dürft atmen“, versicherte er ihnen breit grinsend, während er an ihnen vorbei in die Küche ging. Er hatte keine Lust gehabt, sich ganz anzuziehen, und das Haus verlassen würde er auch nicht mehr, das wusste er, also hatte er sich lediglich eine lange Hose angezogen. „Wollt ihr auch was trinken?“, fragte er laut. „Jemand für Bier?“ Er erntete Zustimmung, erst von Hakuei und anschließend auch von Juka. „Kaya?“

„Hast du irgendetwas Süßes?“

„Außer Kuchenglasur, meinst du? Einen Moment, ich kann mal nachschauen.“ Kamijo wühlte ein wenig in seiner Küche herum und anschließend noch in seinem Vorratsraum, bis er irgendwann mit einer halb leeren Flasche zurückkehrte. „Magst du Cassis?“, fragte er mehr scherzhaft.

„Ja, gerne!“, freute Kaya sich sofort.

Kamijo starrte ihn an. „Ist das dein Ernst?“

„Natürlich. Warum nicht?“

„Weil das Zeug so was von süß ist...“ Er verzog das Gesicht. „Aber okay, wenn du gerne möchtest... du kannst die Flasche meinetwegen auch mitnehmen, nur dann kann ich dir – falls du noch mal herkommst – nichts mehr anbieten.“ Er ging zurück ins Wohnzimmer, stellte Hakuei, Juka und sich selbst jeweils eine Bierflasche und ein Glas hin und gab Kaya den Cassislikör mit einem passenden Gläschen. „Bitteschön. Wenn ihr irgendetwas essen möchtet oder sonst irgendwelche Wünsche habt, äußert euch, Gedanken lesen kann ich noch nicht.“ Er nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel vom Wohnzimmertisch, zündete sie an, faltete sich in seinem Lieblingssessel zusammen und musterte die anderen drei erwartungsvoll. „Schießt los. Was seht ihr mich so komisch an?“

„Du bist gruselig, wenn du gute Laune hast“, sprach Juka offenbar die Gedanken der anderen beiden aus.

Kamijo runzelte die Stirn. „Warum?“

„Du bist so nett und zuvorkommend und machst Witze und bist offen... letztes Mal warst du ein bisschen anders“, antwortete der Blonde sehr vorsichtig.

„Ist doch egal. Und ihr könnt es euch ruhig gemütlich machen, ich reiß euch schon nicht den Kopf ab, wenn ihr euch bequem hinsetzt oder –legt.“ Keiner rührte sich. „Gut, dann eben nicht. Was gibt’s denn überhaupt? Weshalb sollten wir uns noch mal treffen? Ich meine – so haben wir nichts miteinander zu tun.“

„Ehm... richtig.“ Hakuei kramte etwas aus seiner Hosentasche hervor, was auf den ersten Blick aussah wie ein Zettel. Es stellte sich heraus, dass es auch wirklich ein Zettel war, als er ihn auseinander faltete. „Das hier war in Lays Terminkalender. Seine Mutter hat ihn mir gegeben, und ich hab die Notiz darin gefunden. Lies ihn mal.“

Kamijo beugte sich einmal fast über den gesamten Tisch, nahm das Blatt Papier und las es, während er weiter seine Zigarette rauchte.

‚Lieber Leser! Wer auch immer du sein magst, das, was du da gerade tust ist ziemlich unhöflich, schließlich sind das hier meine Sachen. Aber es wird schon seine Gründe haben, dass du diesen Zettel in Händen hältst. Vielleicht hast du mir die Handtasche gestohlen und liest dir das hier grad durch, um zu wissen, was für eine Person du gerade beklaut hast. Oder aber es ist wirklich das eingetreten, was ich befürchtet habe, was ich nicht hoffe. Um zum Punkt zu kommen (darin bin ich schon immer schlecht gewesen): Ich habe Angst, dass man mich umbringt. In letzter Zeit fühle ich mich immer mehr beobachtet und habe auch das Gefühl, dass man mein Telefon abhört. Es knackt immer so seltsam, wenn ich telefoniere. Es kann sein, dass sie es sind, aber das will ich nicht hoffen – wobei ich keine Ahnung habe, wer es sonst sein könnte. Wie auch immer, entweder ist mir der Zettel rausgefallen und du hast ihn gefunden, oder du hast ihn mir geklaut, oder ich bin wirklich tot. Wenn letzteres der Fall sein sollte, dann hoffe ich, dass du, lieber Leser, herausfindest, warum. Ich kann dir keine Namen oder Orte nennen oder sonst irgendetwas, weil sie sonst meine Familie UND meine Freunde heimsuchen würden, und das will ich für beide nicht. (Ich kann meine Eltern zwar nicht ab und meine Freunde kennen sich eh nicht, aber egal. Es geht ums Prinzip. Wenn ich abkratze, soll es nicht noch jemand anders tun.) Deshalb hoffe ich einfach, dass du von selbst drauf kommst – ich werd dir keine Tipps geben. Lay (P.S.: Mein Hund hat Flöhe.)’

Schweigend starrte er die Schrift noch etwas länger an, bis sie langsam immer undeutlicher wurde, legte das Papier auf den Tisch und vermied es, einen der anderen drei anzusehen. Es war Lays Handschrift. Und er hatte gewusst, dass er sterben würde. Er hatte es nicht gewusst, aber doch zumindest geahnt...

„Das muss zur Polizei“, murmelte Kamijo sehr leise und versuchte, die Tränen zurückzukämpfen, die langsam in ihm aufstiegen. Er vermisste Lay, er vermisste ihn jetzt schon, und die Gewissheit, dass er ihn niemals wiedersehen würde...

„Da war es bereits“, gab Hakuei zögerlich zurück. „Und weißt du, was ich für eine Antwort bekommen habe? ‚Das ist zwar ganz interessant, aber der Fall – den es niemals gegeben hat übrigens – ist abgeschlossen: Die Todesursache ist klar: Er ist unter Alkoholeinfluss Auto gefahren, ihm ist ein Reh davor gelaufen, er hat gebremst und zu stark gelenkt und ist gegen einen Baum gefahren. Außerdem können wir damit sowieso nichts anfangen.’“

„Sie haben sich geweigert, auch nur den Versuch zu starten, herauszufinden, was Lay damit gemeint hat“, fügte Kaya hinzu.

„Deshalb habe ich mich selbst dran gesetzt – hätte ich es nicht rausgekriegt, hätte ich euch so oder so gefragt, aber eigentlich ist es ganz einfach. Lies mal nur entlang der beiden Faltlinien, erst von rechts nach links und dann von oben nach unten.“

Kamijo griff erneut nach dem Zettel und tat wie geheißen. Er brauchte eine Weile, dann runzelte er die Stirn. „Das ist... eine Adresse, oder?“

„Richtig“, stimmte Hakuei ihm zu.

„Und du bist doch auch dafür, dass wir DAMIT zur Polizei gehen, oder?“, schaltete Kaya sich eifrig ein. „Ich meine, sie haben die Pflicht, sich darum zu kümmern, nicht wahr? Hakuei und Juka finden nämlich, dass wir der Sache selbst nachgehen sollten.“

„Die Polizei würde uns doch eh nicht helfen!“, verteidigte Juka seine Position. „Und ich finde, es ist UNSERE Pflicht, herauszufinden, was er damit meint!“

Kamijo überlegte. „Also mal langsam... Lay hat uns einen Hinweis gegeben, wer ihn eventuell ermorden wollte, und ihr beiden wollt unbedingt dort hin und Sherlock Holmes spielen, weil es die Polizei nicht interessiert, ob er nun umgebracht worden ist oder einen Unfall hatte. Uns dafür natürlich umso mehr. Sehe ich das richtig?“ Er drückte seine Zigarette aus und schüttete sich etwas Bier ins Glas.

„Ja, ich denke schon“, nickte Hakuei.

„Gut.“ Der Braunhaarige trank einen Schluck und atmete einmal tief durch. „Ich bin dabei.“

Kayas Blick wurde ungläubig. „Das ist nicht dein Ernst! So etwas sollten wir nicht machen!“

„Hör mal zu“, begann Juka aufgebracht. „Irgendwelche Arschlöcher wollten Lay umbringen, und wer weiß, vielleicht haben sie’s wirklich getan! Er hinterlässt uns extra noch ’ne Notiz, damit wir uns auch ja damit beschäftigen, und die Polizei geht das alles einen feuchten Scheißdreck an! Ich weiß nicht, was DU machen willst, aber ICH lass ganz bestimmt nicht auf mir sitzen, dass jemand vielleicht meinen Freund gekillt hat!“

„Leuchtet ein“, nickte Kamijo.

Der Rothaarige wirkte noch immer wenig überzeugt. „Und wenn es gefährlich wird? Was machen wir dann?“

„Uns darüber freuen, dass wir, wenn wir ins Jenseits kommen, wenigstens von einem bekannten Gesicht begrüßt werden“, entgegnete Hakuei finster, was Kamijo grinsen ließ, obwohl ihm eigentlich nicht zum Lachen zumute war.

„Na gut. Aber ich habe euch gewarnt!“, drohte Kaya.

„Keine Sorge, wir werden schon nicht sterben“, meinte Kamijo und streckte sich einmal ausgiebig, wobei er mit Genugtuung feststellte, dass wenigstens für einen Moment die Blicke der anderen auf seinen nackten Oberkörper huschten. „Ist irgendjemandem nach Videospielen?“
 

So langsam begann das Schwarz um ihn herum aufzuklaren. Er konnte sich endlich wieder atmen spüren, hörte sein Herz klopfen, merkte leider nur allzu deutlich seine Kopfschmerzen und fühlte einen warmen Körper an seiner Brust.

Stop mal.

In Gedanken ging er das noch einmal durch, bewegte anschließend seine Finger und musste feststellen, dass die nackte Haut, auf die er probeweise drückte, nicht seine eigene war. Da hörte er jemanden leise aufseufzen.

Okay. Noch einmal die Geschehnisse der vorherigen Nacht durchgehen: Er hatte seine Premiere als Hamlet gehabt. Danach... Richtig, danach hatte er sich mit Hakuei, Kaya und Juka getroffen. Und dann war irgendetwas Wichtiges gewesen, und dunkel erinnerte er sich daran, dass er viel zu viel getrunken hatte und irgendwer gegangen und irgendwer geblieben war...

Er war versucht, seine Augen zu öffnen und nachzusehen, aber er wollte vorher wissen, wer da neben ihm lag. Er wollte sich erinnern. Hakuei war gefahren, das wusste er, und er hatte noch jemanden mitgenommen. Kaya oder Juka? War Kaya gefahren? Oder Juka? Juka oder Kaya? So langsam wurde er panisch. Mit wem würde er denn eher ins Bett gehen? Ehrlich gesagt hätte er sich wahrscheinlich auf beide eingelassen, genug getrunken hatte er schließlich. Und wenn Kaya ihn so angeblinzelt und dann verführt oder Juka ihn mit seinem jungenhaften Charme rumgekriegt hatte? Oder war es am Ende NOCH jemand anders?

Kurzerhand strich Kamijo mit der Hand, die er sowieso um den anderen gelegt hatte, über dessen Bauch. Flach, warm, angenehm. Weiche Haut. Okay. Davon abgesehen, konnte es eigentlich nur einer sein. Er rückte ein wenig nach hinten und blinzelte ein paar Mal, bevor er klar sehen konnte. Blonde Haare. Im selben Moment schnurrte der andere leise und drehte Kamijo den Kopf zu, öffnete die Augen. Sie schauten sich einen Moment an, dann produzierte der Blonde ein Geräusch, das wie ‚HUA’ klang, zuckte gleichzeitig zusammen, wodurch Kamijo sich ebenfalls erschreckte, und fiel aus dem Bett. Dabei hätte er beinahe die Decke mitgenommen, die Kamijo jedoch geistesgegenwärtig fest hielt, also schnappte sich der andere kurzerhand das Kopfkissen und legte es sich in den Schoß, während er auf dem Boden sitzen blieb und den Braunhaarigen entgeistert anstarrte.

„Guten Morgen?“, versuchte Kamijo es vorsichtig.

„Ich hab... du hast... wir... oh mein Gott!“ Falls Jukas Augen noch größer werden konnten, so taten sie es gerade. „Nicht wirklich, oder?!“

Der Braunhaarige legte sich auf den Rücken und einen Arm über die Augen. „Moment mal... wir haben gestern Abend noch geredet... und gesoffen... und irgendwann ist Hakuei gefahren und hat Kaya mitgeschleppt, und ich glaube, er hat dich auch gefragt, ob er dich mitnehmen soll...“

„Und ich hab ihn angeschnauzt. Verdammt.“ Der Blonde schüttelte den Kopf. „Ja, das weiß ich noch. Und dann?“

„Ich weiß nicht. Wir haben irgendwas gemacht, wahrscheinlich noch mehr gesoffen, noch mehr geredet, wahrscheinlich nur Unverständliches, und irgendwann...“ Unwillkürlich kam ihm ein Bild in den Kopf, wie Juka auf seinem Schoß saß, die Augen geschlossen, die Lippen geöffnet, den Kopf in den Nacken gelegt, sich an ihm festhaltend... Er beschloss, diese Erinnerung für sich zu behalten und stöhnte leise. „Na klasse, und so was passiert mir direkt nach der Premiere. Und heute Abend trete ich wieder auf. Willst du zuerst duschen?“

„Wie kannst du hier so ruhig bleiben?!“, fuhr der Blonde ihn urplötzlich an. „Ich meine, wir haben... und das nicht mal zwei Wochen nach seinem Tod! Ich meine... oh mein Gott! Das...“

„Kannst du was dafür?“, wollte Kamijo wissen und sah ihn fragend an.

„Nein!“

„Kann ich was dafür?“

„Bestimmt! Also MEINE Idee war’s ganz sicher nicht!“

Der Braunhaarige hob eine Augenbraue.

„Ich geh jetzt duschen!“ Juka machte Anstalten aufzustehen, zögerte allerdings. „Gib mir die Bettdecke.“

„Willst du mit der Bettdecke duschen?“

„Nein! Nur, damit du nicht guckst!“

Unwillkürlich musste Kamijo grinsen. „Du hast doch das Kopfkissen.“

„Das reicht nicht!“

„Willst du mich so unbedingt nackt sehen, oder was?“

„NEIN!“

„Aber wenn ich dir die Bettdecke gebe...“ So langsam fing es an, ihm Spaß zu machen.

„Wir tauschen.“

„Dann wird mir aber kalt.“

„Ich geb sie dir hinterher wieder!“

„Hey, du bist der Gast hier, also gib dich gefälligst mit dem zufrieden, was du kriegst.“

Juka musterte ihn böse, ehe er aufstand, sich das Kissen weiterhin vor die Schrittgegend haltend, und langsam rückwärts ging.

„Du weißt doch nicht mal, wo die Dusche ist“, bemerkte der Braunhaarige.

Der andere blieb stehen. „Wo ist sie denn?“

„Wenn du rauskommst, gleich rechts, die Tür vor Kopf. Handtücher sind genug da, such dir gerne kuschelige aus, die flauschigsten hab ich sowieso versteckt. Ja?“

Juka nickte wortlos, wollte sich erst umdrehen, überlegte es sich allerdings noch anders und schlich rückwärts aus dem Raum.

„Ach, und Juka?“, rief Kamijo ihm grinsend hinterher. „Ich hab einen Spiegel in meinem Zimmer!“ Er wusste, dass der andere ihn gehört hatte, bekam aber keine Antwort. Er beließ es dabei und rollte sich ein wenig in seinem Bett herum. Irgendwie waren seine Kopfschmerzen wie weggeblasen. (Nein, er wollte sich NICHT die übertragene Bedeutung dieses Satzes überlegen oder sogar vorstellen.) Er fühlte sich sogar eigentlich ganz gut, wenn er so darüber nachdachte. Während er entspannt dalag, hörte er seine Dusche laufen und versuchte sich vorzustellen, wie Juka sich wohl anstellte, ob das Ganze ihm peinlich war und er so schnell wie möglich weg wollte, ob er sich noch nicht so ganz entschieden hätte, ob er es vielleicht sogar ein bisschen genoss... Hn. Tat er bestimmt. Er freute sich doch über jegliche Aufmerksamkeit, die er bekommen konnte...

„Hast du vor, den ganzen Tag so liegen zu bleiben?“, fragte ihn eine Stimme einige Minuten später.

Kamijo sah auf und wurde mit dem Anblick von Jukas doch sehr hübschen Körper begrüßt, nur verdeckt durch ein Handtuch, das um seine Hüften geschlungen war. Seine Haare waren noch feucht und standen etwas ab, wodurch er nur noch jugendlicher wirkte. „Mich zwingt keiner aufzustehen“, gab der Braunhaarige cool zurück.

„Weißt du, wo meine Anziehsachen hingekommen sind?“ Etwas unbehaglich sah Juka sich im Zimmer um.

„Ich fürchte, da kann ich dir nicht helfen. Vielleicht sind sie irgendwo auf dem Weg vom Wohn- ins Schlafzimmer abgeblieben. Sonst kann ich dir gerne welche von mir leihen, die müssten dir auch passen.“

Der Blonde nickte, verschwand noch einmal aus dem Zimmer und kehrte kurz darauf wieder zurück. „Hab nichts gefunden“, verkündete er mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck. „Und du hast sie auch nicht versteckt oder so was?“

Kamijo musste lachen und setzte sich dabei auf. „Wofür hältst du mich? Meinst du, dass ich deine Klamotten in die hinterste Ecke meines Schranks werfe, damit du nackt rumlaufen musst? Komm mal her.“

Noch immer recht verlegen aussehend, stellte Juka sich gehorsam neben das Bett. „Kann doch sein. Ich weiß ja nicht, was du in deiner Freizeit-“ Er brach ab, als der andere einen Arm um seine Hüfte schlang und ihn zu sich auf das Bett zog.

„Wobei es natürlich ein verlockender Gedanke ist... aber außer mir dürfte dich dann keiner sehen“, murmelte Kamijo und fuhr mit den Fingerspitzen seiner anderen Hand über Jukas Bauch.

„Kamijo-“

Und keine Sekunde später küssten sie sich. Juka erst noch zögerlich, dann aber immer überzeugter und schließlich mit Leib und Seele dabei. Es dauerte nicht lange, da war das Handtuch zusammen mit der Bettdecke zwischen ihnen verschwunden und Kamijo küsste sich, halb auf dem anderen liegend, an dessen Hals hinab.

„Kamijo, das ist nicht richtig“, wisperte der Blonde und legte den Kopf in den Nacken, vergrub eine Hand in den welligen braunen Haaren.

„Gestern Nacht haben wir auch nichts anderes gemacht“, schnurrte Kamijo zurück und drückte seine Lippen erneut auf Jukas.
 

Die ersten Dinge, die Kamijo wahrnahm, als er langsam aufwachte, waren, dass er eine Hand in seinen Shorts hatte und furchtbare Kopfschmerzen. Er beendete schnell, was er angefangen hatte, vor sich noch immer Jukas hübschen nackten Körper sehend, und öffnete anschließend die Augen. Es war bestimmt bereits zwölf Uhr, er hatte furchtbar lang geschlafen, viel zu lang, würde diesen Abend mit einem Kater auf die Bühne gehen müssen und diese Bilder nie wieder aus seinem Kopf bekommen.

Es stellte sich heraus, dass das Ganze doch nicht so tragisch war, wie er es sich ausgemalt hatte – es war erst halb zehn, seine Kopfschmerzen waren nicht mehr so schlimm, nachdem er sich ein paar Mal über die Kloschüssel gehängt hatte, und er machte sich ziemlich schnell klar, dass er geträumt hatte. Er stellte sich unnötig lange unter die Dusche, um wach zu werden, machte sich Frühstück und verfluchte sich selbst. Solche Träume waren keine Seltenheit für ihn. Da er berufsbedingt nur sehr wenige Beziehungen hatte aufrecht erhalten können (was einmal daran lag, dass er sehr wenige Abende überhaupt Zeit hatte und vormittags frei, während sein Lover meistens arbeitete, und zum anderen, dass viele seine extremen Stimmungsschwankungen nicht ertragen konnten), spielten sich viele Szenen lediglich in seinem Kopf ab. Meist träumte er von so etwas, selbst wenn er an der Person an sich kein wirkliches Interesse hatte. Juka konnte zwar ganz niedlich sein, aber müsste er ihn auf Dauer ertragen, würde Kamijo höchstwahrscheinlich wahnsinnig werden. Dass es den Blonden getroffen hatte, war ebenfalls reiner Zufall gewesen – sein krankes Vorstellungsvermögen hätte sich durchaus auch Kaya aussuchen und eine kleine Geschichte um sie beide herum bauen können, das wäre ebenfalls kein Problem gewesen. Er konnte sich gut vorstellen, mit Kaya ins Bett zu gehen, aber ob ihm das gefiel, was er sich ausmalte, war eine andere Frage. Mit Hakuei das Gleiche. Obwohl es bei Hakuei schon schwieriger war – einmal war er nicht schwul und dann würde er Kamijo ganz bestimmt nicht den aktiven Part lassen.

„Ein intelligenter Mensch ist manchmal gezwungen, sich zu betrinken, um Zeit mit Narren zu verbringen!“, rief der Braunhaarige frustriert und überlegte, ob ihm noch irgendein anderes Zitat einfiel, um sich abzulenken. „Es ist ein Brauch von alters her: Wer Sorgen hat, hat auch Likör!“ Darauf runzelte er die Stirn, schüttelte den Kopf und schaltete seinen Laptop an. Gelangweilt wartete er, bis er endlich ins Internet gehen konnte, besuchte ein paar Seiten und musste feststellen, dass nur zwei von ihnen bereits einen Artikel über ihre Premiere von Hamlet verfasst hatten. Kamijo überflog sie erst einmal, musste grinsen und las sie anschließend noch einmal, dieses Mal Wort für Wort.

‚Es ist ein Schauspiel sondergleichen, wie das Ensemble des Mori-Ôgai-Theaters seinem Namen alle Ehre macht’ – ‚Sehr lebensecht ist Kamijo Yuujis Darstellung des vom Pech immer wieder heimgesuchten dänischen Prinzen – man leidet mit ihm auf der Bühne und fühlt nur noch beklemmende Leere, nachdem er in seinen letzten Minuten den ebenfalls sehr authentischen Übeltäter Claudius (Atsushi Sakurai) tötet und schließlich selbst stirbt. Man wünscht sich, das Stück sei dort nicht zuende, man verflucht Shakespeare dafür, dass er seinen suizidgefährdeten Helden letztendlich doch hat sterben lassen – vielleicht hätte man sonst Yuujis Schauspielkünsten noch einige Minuten länger frönen können’ – ‚Eine klare Bereicherung selbst für den, der dem europäischen Theater in der Regel nicht sonderlich angetan ist’

Innerlich bejubelte er sich selbst. Es schien ein voller Erfolg gewesen zu sein. Wie hieß es noch? „Bedeutende Erfolge sind auch die Ergebnisse überwundener Krisen!“, freute er sich laut und bemerkte dann erst den Zettel, den jemand (er selbst?) mit einem Magneten an seinen Kühlschrank angebracht hatte. Er war voll mit Zahlen und mit drei Namen. Offenbar alle Handy- und Telefonnummern von Hakuei, Kaya und Juka. Interessant. Kurzerhand schnappte Kamijo sich sein Telefon und wählte die Nummer, die ihn am meisten ansprach. Währenddessen klickte er noch ein wenig auf verschiedenen Seiten herum.

„Ja?“

Gerade, als Kamijo den anderen begrüßen wollte, klappte ihm die Kinnlade herunter. „Diese Schmierfinken!!“, rief er entrüstet.

Ein kurzes Schweigen. „.... Ehm...“

„Hör dir mal an, was sie über mich geschrieben haben: ‚Die Aufführung wäre ganz gelungen, hätte der Hauptdarsteller sich mit seinem selbstverliebten Getue etwas mehr zurückgehalten – aber wir sind ja nichts anderes von ihm gewohnt’ – Das ist ja wohl das Allerletzte!! Und dann noch hinterher: ‚An sich ganz sehenswert, solange man Yuujis schmalzige Übertreibung eines echten Prinzen ertragen kann’! Ich halt’s nicht aus!“, regte der Braunhaarige sich empört auf.

„Kamijo?“, fragte sein Gesprächspartner irritiert. „Alles okay?“

„Oh, sorry. Bin da nur gerade eben drüber gestolpert. Diese Dreckschweine!“ Der Schauspieler starrte den Bildschirm seines Laptops finster an.

„Was gibt’s denn?“, versuchte Hakuei vorsichtig, das Thema zu wechseln.

„Richtig. Gut aufgepasst – was ich fragen wollte... Gestern Abend ist nichts Bestimmtes passiert, das ich irgendwie hätte mitkriegen sollen, oder? Ich hab niemanden beleidigt und mich nicht unmöglich aufgeführt?“

„Soweit ich weiß nicht, nein. Du warst sogar der perfekte Gastgeber. Als wir gegangen sind, hast du sogar noch ausdrücklich nach unseren Telefon- und Handynummern verlangt, damit wir in Kontakt bleiben. Leidest du unter Amnesie?“

„Nein, ich muss mich danach nur irgendwie besoffen haben. Aber das ist gut, dass ich mich bei keinem zu entschuldigen brauche. Sag mal, wegen dieser Adresse – haben wir da irgendetwas beschlossen?“

„Bis auf dass wir uns erst einmal überlegen, was wir damit anfangen, nicht, nein. Ich würde allerdings vorschlagen, dass wir uns dort zumindest einmal ein bisschen umsehen.“

Kamijo nickte, obwohl der andere diese Geste sowieso nicht sehen konnte. „Ja, hört sich vernünftig an. Wann? Am Besten so schnell wie möglich, nicht wahr?“

„Würde ich sagen, ja. Kannst du morgen Abend?“

„Morgen ist Donnerstag, oder?“ Kamijo warf einen Blick auf seinen Terminkalender, der neben seinem Kühlschrank hing. „Wie es aussieht, hab ich morgen Abend frei, ja. Würde mir ganz gut passen.“

„Alles klar. Kannst du dann noch ein bisschen herumtelefonieren, um herauszufinden, ob Kaya und Juka Zeit haben? Und wenn, mach am Besten einen Zeitpunkt aus und sag mir hinterher Bescheid. Ich bin nämlich im Moment ein bisschen beschäftigt.“

„Oh. Hab ich dich gestört? Entschuldige. Aber klar, kann ich machen.“

„Noch eins, Kamijo: Lass nie den Erfolg seine Leere verbergen, die Leistung ihre Wertlosigkeit, das Arbeitsleben seine Öde. Behalte den Sporn, um weiter zu kommen, den Schmerz in der Seele, der uns über uns selber hinaustreibt. Bis dann!“

Kamijo legte auf und war kurz davor, seinen Laptop einfach zuzuknallen. Dann dachte er über Hakueis Worte nach. Wahrscheinlich sollte er sich nicht so sehr über eine negative Rezension aufregen. Aber trotzdem – ‚mit seinem selbstverliebten Getue’! Wofür hielten die sich?! Frustriert schaltete er seinen Laptop aus und wählte die nächste Nummer auf seiner Liste.
 

|-|=|-|
 

tbc!
 

A/N: Im nächsten Kapitel wird die Story weiter vorangetrieben, wobei Kamijos narzisstische Anwandlungen kaum schwinden werden xD (Ich hatte selten so viel Spaß, einen Charakter auszuarbeiten wie bei ihm. ^^)

Was sagt ihr? Realistisch/unrealistisch? Unterhaltsam/nervig? Es interessiert mich!

Watch your Step

Kapiteltitel: Lied von Bugy Craxone

Wörterzahl: 5.145

Beta'd: dieses Kapitel mit besonders viel Ausdauer und Geduld von (jetzt ratet mal! xD) Tattoo <3

Rating: hard PG/light R
 

|-|=|-|
 

„Da wären wir“, verkündete Kamijo und hielt seinen Wagen vor einem sehr großen Gebäude an.

„Ach du meine Güte, und hier arbeitet er?“, bemerkte Kaya beeindruckt.

„Ich glaube, er hat heute nur ein Photoshooting“, korrigierte Juka leise von der Rückbank des Autos.

„Er meinte, wir sollten hier auf ihn warten“, fügte Kamijo hinzu, tauschte anschließend einen Blick mit Kaya und dann noch mit Juka. „Okay, wer kommt mit?“ Keine zwei Minuten später standen sie am Schalter der Rezeption und warteten geduldig, dass die Empfangsdame ihr Telefongespräch beendete.

„Guten Tag, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte sie, nachdem sie aufgelegt hatte, freundlich und schenkte den Dreien ein Lächeln.

Kamijo ging blitzschnell mögliche Lügen in seinem Kopf durch. Behauptete er, sie seien ebenfalls Models, dann müssten sie sich ausweisen, sagten sie die Wahrheit, würden sie wahrscheinlich nicht durchgelassen werden.

„Ihnen auch einen guten Tag“, plapperte Kaya mitten in Kamijos Gedanken hinein. „Wir möchten gerne zu Hakuei, dem Sänger. Er hat heute ein Photoshooting hier, wissen Sie zufällig, wo genau?“

„Einen Augenblick bitte“, gab die Frau, weiterhin lächelnd zurück, warf einen Blick auf ihren Bildschirm und wandte sich erneut an Kaya. „Dritter Stock, den Gang rechts hinunter, dann laufen Sie direkt darauf zu. Es ist gleich zuende, aber wenn Sie Glück haben, erwischen Sie ihn noch.“

„Vielen Dank!“ Kaya schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln und begann, in Richtung Aufzug zu stöckeln.

Kamijo und Juka starrten ihm kurz hinterher, sahen sich an und folgten dem Rothaarigen schnell. „Was war das denn?“, wollte der Schauspieler leise wissen.

„Das war sehr freundlich, fand ich!“, gab Kaya zufrieden zurück und betrat den Aufzug, drückte auf den Knopf für den dritten Stock. Dort angekommen, gingen sie in die angegebene Richtung, wurden allerdings kurz darauf bereits von einem Sicherheitsmensch aufgehalten.

„Tut mir leid, kein Zutritt“, sagte er mit einer Miene, die deutlich zeigte, dass es ihm nicht leid tat.

„Wir würden gerne zu Hakuei“, versuchte Kaya es erneut höflich.

„Wie gesagt, Sie haben hier keinen Zutritt.“

„Fragen Sie ihn, ob er uns kennt, wir sind Kaya, Juka und Kamijo“, mischte sich der Braunhaarige nun ein. „Und wenn er uns kennt, dann müssen Sie uns durchlassen. Einverstanden?“

„Darf ich mal bitte Ihre Ausweise sehen?“ Die drei taten wie geheißen. „Gut. Einen Moment bitte.“ Der Mann ging den Gang hinab und verschwand um die Ecke.

„Wir könnten einfach hinterher gehen“, schlug Kaya vor.

„Nein, das wäre kontraproduktiv“, widersprach Kamijo ihm kopfschüttelnd. „Dann würden wir Hausverbot bekommen.“ Sie warteten kurz, bis der Mann wieder auftauchte und ihnen zuwinkte. Sie machten sich auf den Weg, bogen um eine Ecke und blieben gleichzeitig stehen.

Nicht nur, dass die vielen Menschen, die herum liefen und die gesamte Technik sie einschüchterte, es war vor allem der Mann, der in der Mitte von allem stand und SEHR... eindrucksvoll aussah. Er hatte die Haare hochgesteckt bekommen, trug eine getönte Sonnenbrille, eine pinke Federboa, große schwarze Lederstiefel, eine Jeans und ein ärmelloses schwarz-weiß-rotes Shirt. Er sah extrem anders aus als der Hakuei, den die drei kennen gelernt hatten. Er wirkte... unnahbarer, kühler, attraktiver, imposanter.

Das war der Moment, in dem Kamijo beschloss, dass er ihn haben wollte. Trotz allem wollte er ihn haben, auch, wenn er wusste, dass das unmöglich sein würde. Er konnte sich weder von diesem Anblick losreißen noch verstand er, woher dieses Gefühl der Verbundenheit mit einem Mal kam. Vielleicht daher, dass er einmal Bilder von sich selbst in Zeitschriften gesehen und gewusst hatte, dass er auf der Bühne ein anderer Mensch war. Mit Hakuei war es ähnlich. Sie hatten zwei Leben, ein privates und eins in der Öffentlichkeit. Nur sie wussten, was es hieß, zwischen seinen Leben zu wechseln. Er wollte seine Gedanken mit Hakuei teilen, wollte wissen, wie er darüber dachte.

In dem Moment sah er zu ihnen herüber, hob die Augenbrauen und schnitt kurz eine Grimasse. Kaya kicherte leise und winkte ihm zu, woraufhin er lediglich mit den Augen rollte und sich wieder auf seinen Job konzentrierte.

Keine Viertelstunde später stand Hakuei vor ihnen, nun abgeschminkt und umgezogen, und hatte nichts von seiner Ausstrahlung verloren. „Ich hab euch doch gebeten, draußen zu warten!“

„Aber warum denn?“, fragte Kaya und strahlte ihn begeistert an. „Du sahst doch toll aus! Außerdem hat man uns sowieso durchgelassen.“

„Können wir gleich losfahren?“, überging Hakuei die Kommentare des anderen und sah Kamijo halb fragend, halb bittend an.

Der nickte. „Natürlich.“ Auf dem Weg nach draußen stieß er Juka leicht in die Rippen. „Was ist heute mit dir los? Du bist so ruhig.“

„Ich weiß nicht... ich fühl mich nur nicht so besonders.“ Der Angesprochene verzog das Gesicht. „Weiß noch nicht mal, woran’s liegt.“

„Wird schon.“ Der Braunhaarige klopfte ihm auf die Schulter.
 

„So, und jetzt?“, fragte Kamijo.

Es war eine ziemlich große Enttäuschung gewesen. Er hatte sie zu der Adresse von Lays Zettel gefahren und da standen sie nun. Es war ein Mehrfamilienhaus, etwa fünf Stockwerke hoch, aus grauem langweiligem Beton. Und mehr nicht.

„Vielleicht sollten wir anklingeln“, schlug Kaya vor.

„Und wo?“

„Vielleicht erklärt sich das von selbst, wie in den Filmen!“

„Meinst du, da gibt es jemanden, der ‚böse’ heißt oder ‚ich habe Lay getötet’, oder wie?“, gab Kamijo sarkastisch zurück.

„Vielleicht sollten wir auch einfach nur warten“, mischte Hakuei sich vom Beifahrersitz ein.

„Und worauf? Auf den heiligen Geist?“

Alle schauten den Schauspieler unamüsiert an.

„Sei nicht so ungeduldig“, murmelte Hakuei.

„Ich weiß nur nicht, worauf ihr hier jetzt wartet! Hier ist NICHTS, am Besten wäre wirklich, wenn wir anschellen und überall nachfragen, ob jemand Lay kennt, das wäre zumindest irgendetwas Intelligentes!“, verteidigte Kamijo sich aufgebracht. „Und außer dieser Adresse stand nichts auf dem Zettel?“

Hakuei kramte ihn hervor und betrachtete das Papier eindringlich. „Moment...“ Er faltete es einmal in die eine Richtung und dann noch in die andere Richtung quer und versuchte dann, an diesen Knickstellen entlang etwas zu lesen. „Nein, nichts.“

„Warum hat er wohl quadratförmiges Papier genommen?“, überlegte Kaya laut.

„Damit jemand Origami damit macht“, gab Kamijo entnervt zurück. „Kommt jemand mit, ich klingel mich jetzt durch.“

Er bekam keine Reaktion.

„Findest du es nicht ein bisschen riskant?“, merkte Kaya irgendwann an. „Immerhin kann hier jemand wohnen, der Lay vielleicht auf dem Gewissen hat.“

„’Kann’, ‚vielleicht’ – das juckt mich nicht! Ich will auf jeden Fall nicht untätig hier herumsitzen, während sein Mörder da gerade Tee trinkt!“ Kamijo machte Anstalten aufzustehen, da bemerkten sie eine Bewegung im Hauseingang. Eine ältere Frau verließ das Haus, prüfte, ob sie die Tür richtig geschlossen hatte, schaute sich um und ging dann langsam in eine Richtung davon. Als der Braunhaarige merkte, dass die anderen den Atem angehalten hatten, musste er lachen. „Oh mein Gott, wie gefährlich! Sie könnte mich mit einem Regenschirm erschlagen!“

„Das ist nicht lustig, Kamijo“, sagte Kaya leise, verletzt klingend.

„Wisst ihr, was richtig lustig ist?“, fuhr der Schauspieler merklich amüsiert fort. „IHR seid lustig. Ihr findet einen Zettel, den Lay geschrieben hat, während er wahrscheinlich eine seiner dunkleren Phasen hatte – die wir alle kennen, setze ich mal voraus – und haltet ihn für bare Münze. Dann glaubt ihr, dass er euch schnurstracks zu seinem Mörder führt und DANN wollt ihr nicht einmal irgendetwas unternehmen! Was habt ihr denn geglaubt? Dass die Adresse einer kleinen Doppelhaushälfte gehört, darin ein unheimlich aussehender Mann wohnt und ihr ihn in einer glorreichen Aktion verhaften und der Polizei übergeben könnt? Wie stellt ihr euch das vor?“

„Kamijo“, murmelte Hakuei in einem Ton, der durchaus als Warnung verstanden werden konnte.

„Mal ganz ehrlich – ihr wollt doch gerade nur deshalb Sherlock Holmes spielen, weil ihr nicht akzeptieren könnt, dass er tot ist, nicht wahr? Weil ihr meint, dass wenn ihr seinen Mörder findet, ihr ihn rächen könnt und die Welt wieder in Ordnung ist. Wie stellt ihr euch DAS vor? Ich gebe zu, am Anfang hab ich mich von euch mitreißen lassen, aber wenn man es mal realistisch betrachtet, dann ist es doch kompletter Schwachsinn!“

„Bist du fertig?“, wollte Hakuei ernst wissen.

„Noch nicht“, entgegnete Kamijo und wollte bereits weitersprechen, wurde allerdings von seinem Nebenmann unterbrochen.

„Ich weiß nicht, warum DU hier mitmachst, aber ich persönlich will keine Rache, ich will Gerechtigkeit. Ich halte das, was Lay geschrieben hat, nicht für völlig aus den Fingern gesogenes Zeug, ich nehme ihn nämlich auch nach seinem Tod noch ernst. Ich weiß auch nicht, wie du das siehst, aber ich habe bereits akzeptiert, dass er nicht mehr unter uns weilt. Er ist gestorben, die Frage, die ich mich nur stelle, ist: Wie? Wenn die Möglichkeit besteht, dass er nicht selbstverschuldet oder durch ein Reh gestorben ist, dann will ich ihr auch so lange nachgehen, bis ich sie entweder bestätigen oder ausschließen kann, und da die Polizei keine großen Anstrengungen gezeigt hat, seinen Tod weiterhin zu untersuchen, finde ich, hat Lay es einfach verdient, dass wir uns darum kümmern. Wir haben bereits alle deutlich mitbekommen, dass du etwas Besseres bist als wir, Kamijo, und bis jetzt habe ich es mir schweigend angehört. Aber jetzt reicht es. Wenn du dich über uns stellen willst, nur, weil du nicht daran glaubst, dass Lay wahrscheinlich begründete Ängste niederschreiben und uns einen passenden Tipp geben würde, bitte, niemand hindert dich, du kannst dich gerne jederzeit in dein eigenes Leben zurückziehen. Aber überleg dir nur noch eins: Wir mögen ziemlich unterschiedlich sein, unterschiedlich aussehen, unterschiedlich unser Geld verdienen, unterschiedlich denken, aber wir haben eins gemeinsam. Wir alle haben Lay gekannt, und wir haben ihn auch gemocht. Wenn du es mit deinem Gewissen ausmachen kannst, dann bin ich der Letzte, der dich hindern wird, jetzt einfach nach Hause zu fahren.“

Einen Augenblick starrte Kamijo den Typen auf seinem Beifahrersitz an und erinnerte sich urplötzlich wieder daran, weshalb ihm der andere auf der Beerdigung so unsympathisch gewesen war. Er hatte so eine belehrende und besserwisserische Art. „Versuchst du gerade, mir ein schlechtes Gewissen zu machen? Tut mir leid, das funktioniert bei mir nicht! Darf ich dir wenigstens noch eine Frage stellen? Warum will denn dann keiner mit mir kommen und schauen, ob sein Mörder nicht doch in diesem Haus hier wohnt?“

„Also ich möchte nicht mitkommen, weil es mir zu unsicher ist“, warf Kaya schnell ein.

Kamijos Blick bekam etwas Triumphales, während er Hakuei überlegen anlächelte. „Wenn es dir doch so wichtig ist, Lays ‚Mörder’ zu finden – wobei wir wahrscheinlich niemals erfahren werden, ob es ihn überhaupt gibt –, warum unternimmst du dann keine Anstrengungen, nach ihm zu suchen?“

„Hört auf zu streiten“, flüsterte Juka hinter dem Braunhaarigen, kraftlos klingend.

„Weil ich nicht glaube, dass wir ihn so finden werden, weil ich der Ansicht bin, dass wir etwas übersehen haben“, gab Hakuei ruhig zurück. „Er würde uns nicht nur eine Adresse geben, wir müssen nach irgendeinem weiteren Hinweis suchen.“

„Das heißt, wir sitzen jetzt hier und warten auf ein WUNDER?“, entgegnete Kamijo gereizt. „Aber DU musst es ja wissen, schließlich warst du ja sein bester Freund!“

„Hört auf!“, wiederholte Juka, dieses Mal etwas lauter.

„Was soll das heißen?“, erwiderte der Sänger kühl. „Bist du gerade neidisch oder eifersüchtig?“

„Worauf sollte ICH denn neidisch sein?“, gab Kamijo zurück.

Daraufhin schnallte Juka sich wortlos ab, stieg aus dem Auto, knallte die Tür hinter sich zu und ging den Bürgersteig entlang.

Kamijo und Hakuei schauten sich an. „Also da geh ICH nicht hinterher“, stellte der Braunhaarige von vorneherein klar.

Der Sänger sah ihn noch einmal verärgert an, ehe auch er das Auto verließ, hinter Juka her ging, ihn an der Schulter festhielt und auf ihn einredete.

Halb wünschte der Schauspieler sich, er wäre an Hakueis Stelle gegangen, denn jetzt breitete sich eine eisige Stille in seinem Auto aus. Kaya, der hinter dem Beifahrersitz saß, schaute mit zusammengepressten Lippen aus dem Fenster und vermied es tunlichst, den anderen anzusehen.

Kamijo dachte über das nach, was er Hakuei an den Kopf geworfen hatte. Er hatte es so gemeint, eigentlich, nur vielleicht hatte er sich ein wenig zu... offensiv ausgedrückt. Er war auch etwas laut geworden, aber er hatte ihn nicht angeschrien und er hatte ihn nicht beleidigt. Wenn er es sich so überlegte, war Hakuei sogar sachlicher geblieben als er selbst, und trotzdem erwartete er eine Entschuldigung von ihm. Wie musste Hakuei dann erst denken? Wahrscheinlich wollte er, dass Kamijo auf Knien vor ihm um Verziehung flehte.

Er warf einen Blick aus dem Fenster. Hakueis eine Hand lag noch immer auf Jukas Schulter, die beiden waren einander zugewandt, der Blonde schien sich Tränen wegzuwischen und gleichzeitig versuchen zu reden. Kamijo fragte sich, warum er nicht wie Hakuei sein konnte. Sich einfach mal um andere Leute kümmern, ohne dafür etwas zurück zu verlangen, einfach mal GUT sein. Irgendwie schaffte er es nicht. Er hatte es einige Male probiert, und die Betreffenden hatten ihn ausgenutzt, und seitdem lebte er mehr nach dem Motto ‚Angriff ist die beste Verteidigung’ als ‚liebe deinen Nächsten’.

Gerade, als er irgendetwas sagen wollte, um das bedrückende Schweigen zu brechen, wobei er dabei bestimmt keine Antwort von Kaya bekommen hätte, klingelte sein Handy. Kamijo schaute auf sein Display und musste grinsen. „Ja, Schätzchen?“, schnurrte er, nachdem er den Anruf angenommen hatte.

„Hallo, Süßer“, kam ein ähnliches Schnurren zurück. „Bist du gerade beschäftigt? Störe ich dich bei irgendetwas, Schnuffel?“

Schnuffel – das musste er sich merken. Sein Grinsen wurde breiter. „Aber gewiss nicht, für dich hab ich doch immer Zeit, Bärchen. Was gibt’s?“

„Hast du dir schon den Artikel von Theater Japan durchgelesen, Hasipupsi?“

Mit einem Mal saß der Braunhaarige aufrecht. Nicht wegen des Spitznamens, wobei das schon Grund genug gewesen wäre, sondern bei der Erwähnung der renommierten, überall bekannten und überaus wichtigen Theaterzeitschrift – man konnte sogar sagen DER Theaterzeitschrift überhaupt. „Lesenswert?“, fragte er knapp und bemerkte dann, dass er etwas vergessen hatte. „Mäuschen?“

„Mehr als das, Amore. Darf ich zitieren?“

„Nein!“ Kamijo schnitt eine Grimasse. „Doch!“ Er rutschte unzufrieden auf seinem Sitz herum. „Ich weiß nicht, Pantoffeltierchen. Eigentlich will ich’s selbst lesen. Aber eigentlich auch nicht. Ich hab Angst. Lies vor, Wattewölkchen.“

„Anführungsstriche unten. Eckige Klammer auf, Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen, eckige Klammer zu. Und jetzt kommt’s: Bei dieser Inszenierung glänzt besonders der Hauptdarsteller Kamijo Yuuji, der wie geschaffen für die Rolle eines tragischen Helden scheint und die Zuschauer zum Mitfiebern anregt. Ein wahrer Augenschmaus. Anführungsstriche oben. Wie ist das, Na-“

Wie auch immer sein Anrufer ihn genannt hatte, Kamijo bekam es nicht mehr mit, da er die Arme so weit es ging in seinem Auto ausstreckte und wirkte, als würde er einen Orgasmus bekommen. „Oh mein Gott! YES! Jaaaa! Ich hab’s!! Yes, yes, yes!!!“ Mit einem leisen Stöhnen hielt er sich das Handy wieder ans Ohr. „Ich kann nicht mehr! Oh mein Gott, ist das geil! Lies noch mal, Knackarsch! Und dann noch mal!“

Der andere tat wie geheißen, mit hörbarer Belustigung in der Stimme. Währenddessen murmelte Kamijo immer wieder ‚YES!’, stöhnte leise genussvoll auf oder räkelte sich auf seinem Sitz.

„Ich lass mir das eintätowieren!“, verkündete der Braunhaarige etwas außer Atem, als sein Kollege fertig war, und störte sich auch nicht daran, dass Hakuei und Juka wieder einstiegen. „Woah. Jetzt kann ich nicht mehr. Danke, du geiles Gummibärchen. Dafür würd ich fast mit dir ’ne Nummer in der Requisite schieben, ehrlich.“

„Tut gut zu wissen, Teddy. Mehr wollte ich auch gar nicht, ich hab schon gehofft, dass du’s noch nicht gelesen hattest, damit ich deine Reaktion live miterleben kann.“

„Du bist so versaut, du kleines Miststück“, gurrte Kamijo zufrieden. „Wir sehen uns morgen, dann kann ich dich abknutschen.“

„Aber gerne doch. Bis dann, du Diva.“

„Küsschen links, Küsschen rechts“, gab er zurück und machte zwei Luftküsse. „Ciao, Baby.“ Er wandte sich mit einem breiten Grinsen an die anderen drei, die ihn ungläubig anstarrten. „Ich hab gute Laune, wer geht mit mir feiern?“, fragte er fröhlich.

„Kamijo?“, sagte Hakuei.

„Ja?“ Der Angesprochene strahlte ihn an.

„Du bist so ein Arschloch.“
 

„Gut, und jetzt erklär mir mal bitte, warum ich jetzt das Arschloch bin“, verlangte Kamijo zu wissen. Er hatte Kaya und Juka bereits nach Hause gefahren, und saß nur noch mit Hakuei neben sich im Auto.

„Weil es dich so offensichtlich nicht interessiert, was um dich herum passiert“, entgegnete Hakuei. „Juka war vollkommen fertig, und das Einzige, was bei DIR irgendwelche Gefühlsregungen hervorruft, sind zwei kleine Sätze aus einem einseitigen Artikel über euer Theaterstück! Du bist vollkommen besessen vom Schauspielern, ist dir das bewusst? Für dich zählt nichts anderes mehr, du hast überhaupt kein Leben! Hast du noch irgendwelche Freunde? Und damit meine ich ECHTE Freunde, Freunde, die gerne bei dir sind, bei denen du gerne bist, denen du alles anvertrauen kannst und es auch tust, denen du zuhörst, die du respektierst und von denen du respektiert wirst! Wahre Freunde macht etwas anderes aus, als sich mit dir zu treffen, Zeit mit dir zu verbringen oder da zu sein, wenn du sie mal ganz nötig hast; viel mehr, das hast du bei Lay gemerkt, nicht wahr? Lay war ein echter Freund für dich, Lay konnte dir alles geben, was du brauchtest. Er war hübsch, er gefiel dir, er ist dir gleich aufgefallen. Er ist witzig, er brachte dich immer zum Lachen, du mochtest es, wenn du ihn ebenfalls lachen sehen konntest. Er war intelligent, er hat dir die Illusion gegeben, wichtig zu sein, nicht wahr? Denn es IST eine Illusion, du bist nicht wichtig, du magst du selbst sein, aber du bist einer unter vielen! Denk mal so: Du bist ein Individuum. Genau wie alle anderen. Du lebst in diesem Jahrhundert, im nächsten bist du schon wieder vergessen, du kannst froh sein, wenn sich Leute nach deinem Tod überhaupt noch an dich erinnern! Und Lay hat dir seinen Körper gegeben, nicht wahr? Und du hast es genossen, du hast geglaubt, er gehöre dir, nur dir allein, und du kannst und willst nicht akzeptieren, dass er dich mit Juka betrogen hat und anders herum. Weißt du, was du bist? Du bist ein arrogantes kleines Stück Scheiße, das überall nach Aufmerksamkeit heischt und sich für etwas Besseres als alle anderen hält! DAS bist du, genau DAS, und nicht mehr!“

Und dann waren sie irgendwie in Kamijos Wohnung, auf seinem Bett, und er wusste nicht, wie sie dorthin gekommen waren, und sie schliefen miteinander, aber es passte nicht, es war alles falsch. Das Ganze kam ihm seltsam vor, es konnte nicht sein. Es war unmöglich. Nein, Hakuei würde niemals...
 

Kamijo wachte dadurch auf, dass er aus dem Bett fiel. Er stützte sich auf eine Hand und hielt sich mit der anderen den Kopf. Ihm tat alles weh, er fühlte sich grauenvoll. Mit letzter Kraft krabbelte er in sein Badezimmer, hängte sich nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen über sein Klo und wusste, dass es ein Scheißtag werden würde. Nachdem er sich dazu hatte aufraffen können zu duschen, räumte er sein Wohnzimmer auf: Er kippte den Aschenbecher aus, warf alle leeren Bierflaschen weg, stellte die halb leere Flasche Wodka in den Kühlschrank und legte alle Kissen an ihren ursprünglichen Platz. Es war bereits nach zwölf, sein Magen knurrte unerbittlich, aber er wusste, dass er nichts essen konnte. Kurzerhand zündete er sich eine Zigarette an und wollte sterben. Er fühlte sich so mies wie selten zuvor in seinem Leben.

‚Hast du noch irgendwelche Freunde?’ Es war nicht Hakuei gewesen, der das alles zu ihm gesagt hatte. Nein, während Kamijo sich an seinen Alptraum erinnerte, war es nicht mal ein Traum-Hakuei, sondern seine eigene Stimme gewesen. ‚Er hat dir die Illusion gegeben, wichtig zu sein.’ ‚Du bist ein Individuum, wie alle anderen.’

„NEIN!“, schrie er und legte eine Hand über seine Augen. Die Kopfschmerzen waren beinahe nicht mehr zu ertragen. „Ich BIN wichtig.“ Er versuchte, sich an das Zitat aus Theater Japan zu erinnern, schaffte es allerdings nicht wortwörtlich. Wie untypisch für ihn. Normalerweise konnte er sich solche Dinge sehr leicht merken.

„Die ganze Welt ist wie eine Bühne, wir stolzieren und ärgern uns ja ein Stündchen auf ihr herum, und dann ist unsere Zeit um“, murmelte der Braunhaarige und fuhr sich über das Gesicht, drückte seine Zigarette aus. „Die Welt ist eine Bühne, aber das Stück ist schlecht besetzt.“ Von wem war das noch mal? Ach, war ja auch egal. „So schreitet in dem engen Bretterhaus Den ganzen Kreis der Schöpfung aus, Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“ Es wurde immer schlimmer, die Worte schienen ihm aus dem Kopf zu flüchten, er konnte sie kaum noch fassen. „Drei dicke dichte Dichter dichten im dichten Dickicht ein divergentes, dipolares Drama.“

Er atmete einmal tief durch. Was hatte er am Vorabend gemacht? Er hatte Hakuei nicht gefragt, warum er ein Arschloch war. Das wusste er selbst. Er war ich-bezogen, sehr egoistisch, unheimlich launisch, extravagant, rücksichtslos, gefühllos, unfähig, sich in andere hinein zu versetzen, und überheblich. Er hasste sich dafür. Aber er brachte keine Motivation auf, sich zu ändern.

Was hatte er denn nun gemacht? Er hatte die drei nach Hause gefahren, fast keiner von ihnen hatte ein Wort gesagt. Juka als erster, dann Kaya, und schließlich Hakuei. Der es sich nicht verkneifen konnte, Kamijo beim Abschied noch einmal darauf hinzuweisen, dass Juka Streits sehr mitnahmen und sie besser aufpassen sollten, wo sie sich in Zukunft stritten. Wie lächerlich.

Danach war er nach Hause gefahren, hatte sich den Artikel durchgelesen, sich gefreut, dass auch sein Kollege, Atsushi Sakurai, lobend erwähnt wurde, hatte fast bis zur Besinnungslosigkeit gesoffen und war anschließend ins Bett gekrochen. Wie erbärmlich.

Er griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer, wartete eine Weile.

„Was ist?“ Nicht allzu freundlich.

Kamijo verzog das Gesicht. „Störe ich dich gerade?“

„Wenn es schnell geht, nicht, nein.“

„Geht ganz schnell. Ich wollte dich nur fragen, ob du in den nächsten Tagen mal Zeit für mich hast. Ich wollte mit dir reden.“

Der andere seufzte leise. „Ja, das kann ich mir vorstellen. Geht’s bei dir übermorgen?“

„Nur mittags, so von zwölf bis vier.“

„Sagen wir um eins bei mir?“

„Alles klar. Ich find ja zu dir hin. Danke. Bis dann.“

„Bis dann.“

Kamijo legte auf und musterte sein Handy eine Weile schweigend. Dann murmelte er: „Das Glück besteht darin, dass man DA steht, wo man seiner Natur nach hingehört; selbst die Tugend- und Moralfrage verblasst daneben.“

Als er am Abend seinen Kollegen Atsushi mit zwei Luftküsschen begrüßte, sich von ihm das Zitat noch zwei Mal vorlesen ließ und ihm dann auf Knien dafür dankte, wusste er, dass er wieder im Rennen war.
 

„Wie kommst du mit Lays Tod klar?“ Diese Fragte stellte Kamijo, während er sich auf Hakueis Gästesessel räkelte, die Beine über eine Armlehne gelegt und seinen Kopf mit einem Ellbogen auf der anderen Lehne abstützend.

Hakuei lächelte leicht. „Das ist nicht das, worüber du reden wolltest, oder?“

„Doch!“, protestierte der Braunhaarige auf der Stelle. „Ich-“

„Du willst eher darüber reden, wie DU mit seinem Tod klar kommst, nicht wahr?“

Kamijo schwieg einen Augenblick.

„Macht auch nichts, ich beantworte dir deine Frage trotzdem: Ich komme ganz gut damit klar, denke ich. Ich denke sehr oft an ihn und vermisse ihn ganz furchtbar, ich mache mir auch nicht die Illusion, dass es in nächster Zeit besser werden wird. Aber irgendwann wird es sich bessern. Ich hoffe, dass ich es schaffe, ihn weder zu vergessen noch ihm jede Minute meines Lebens hinterher zu trauern. Ich trauere nach innen, das unterscheidet mich von Juka. Nein, das muss ich anders ausdrücken – ich lasse die Trauer in mir selbst zu. Juka trauert nach außen, indem er fast nicht schläft, ständig weinen muss, andere anschreit, wenn ihn etwas besonders stark mitnimmt, und so weiter. Aber gleichzeitig lässt er die Trauer in sich selbst nicht zu. Er versucht, Lay zu verdrängen, aber dass er es nicht schafft, merkt man schon an seinem Auftreten. Ich bin sicher, er wäre viel sympathischer, wenn er seine Erinnerungen einfach zulassen würde. Er sollte lächeln – es kostet weniger als elektrischer Strom und gibt viel mehr Licht. Aber ich glaube, er ist allgemein zu unsicher, hat zu wenig Selbstbewusstsein. Deshalb ist es für ihn auch schwer zu akzeptieren, dass Lay, den er immerhin geliebt hat, nun tot ist.“

Der Schauspieler dachte lange darüber nach. „Okay.“ Er nickte. „Hab ich verstanden. Wirklich.“

Hakuei hob mit einem Lächeln abwehrend seine Hände. „Ich habe dir damit nicht mehr mitgeteilt als das, was ich gesagt habe – was du daraus machst, ist deine Sache.“

„Erzähl mir, wie Lay und du euch kennen gelernt habt“, bat Kamijo vorsichtig.

Der Sänger seufzte einmal tief. „Da muss ich ja von ganz von vorne anfangen. Also: Als unsere Band noch nicht so bekannt war, sind wir ein bisschen in den kleineren Hallen um Tokyo herum aufgetreten, in Chiba, Yokohama, kleineren Städten... Und eines Tages ist Lay zu einem unserer Konzerte gegangen. Er war da gerade mal 18 Jahre alt, ging noch zur Schule und hätte auch überhaupt nicht kommen dürfen, allein wegen seiner Eltern. Wir haben ihn wohl sehr beeindruckt, denn hinterher hat er zwei volle Stunden vor der Halle auf uns gewartet – alleine, versteht sich –, nur um uns zu sagen, wie toll er uns gefunden hat. Er war völlig aus dem Häuschen, ein richtiger kleiner Fanboy. Wir fanden es natürlich super, dass wir so einen Eindruck auf ihn gemacht hatten, und haben ihn kurzerhand zu ihm nach Hause gefahren, während wir uns noch mit ihm unterhielten. Aber das war erst der Anfang. Bei den nächsten Konzerten, die nicht schon vorher komplett ausverkauft waren, stand er in der ersten Reihe und wartete hinterher immer geduldig auf uns. Er drängte uns nicht, und nach dem ersten Mal war er auch nicht mehr so überglücklich, uns zu sehen, er war eher wie jemand.... Es ist schwer zu beschreiben. Er war kein klassischer FAN von uns, er hat sich mit uns auch über ganz alltägliche Dinge unterhalten und ist mit uns umgegangen, als würden wir ihn schon ewig kennen. Aber nicht auf eine aufdringliche oder nervige Art und Weise, sondern wirklich kumpelhaft.

Ein paar Wochen später trafen er und ich uns zufällig in Chiba, und damit war alles klar. Wir unterhielten uns erst eine volle Stunde in dem Laden, in dem wir uns getroffen hatten, danach liefen wir ein bisschen in der Stadt herum und beschlossen, uns privat öfter zu treffen. Das taten wir auch. Ich war am Anfang etwas unsicher, da er ja durchaus an mir interessiert sein konnte und ich ihn dann leider zurückweisen müsste, aber er stellte ziemlich schnell klar, dass alles, was er von mir wollte, eine Freundschaft war. Und ab dann ging es nur noch aufwärts. Die Band konnte nicht mehr ganz so viel mit ihm anfangen, aber er und ich verstanden uns immer besser. Nach einer Weile fing er dann an, Bass zu spielen, und als er es halbwegs gut konnte, spielten wir immer wieder zusammen – er Bass, ich Gitarre, und meistens sang ich noch einfach drauflos. Dieses Verhältnis, das wir hatten, kam mir so rein, ungetrübt und ECHT vor, dass er mir immer mehr ans Herz wuchs. Aber jetzt, nach seinem Tod, erfahre ich, dass er wohl doch Geheimnisse vor mir hatte – er hat mir von dir und Kaya erzählt, allerdings ohne Namen zu nennen, nur von Juka kein Wort. Und auch nicht davon, dass er Angst hatte zu sterben. Ich habe mal mit Kaya geredet – ihm gegenüber hat er Juka wohl oft erwähnt, allerdings weder dich noch mich.“

„Ich meine, mich erinnern zu können, dass er manchmal von einem gewissen Sänger sprach, den er so anhimmelte, aber Genaueres hat er nicht gesagt“, nickte Kamijo nachdenklich.

„Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?“

„Ach...“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir sind uns mal über den Weg gelaufen, er hat mich erkannt, wir haben Zitate ausgetauscht, uns noch ein paar Mal getroffen und sind dann ins Bett gegangen. Nichts Besonderes. Also, die Art, wie wir uns begegnet sind“, fügte er schnell hinzu, als Hakuei skeptisch eine Augenbraue hob.

„Hm“, machte der andere und zog eine Zigarettenschachtel hervor. „Auch eine? Ist aber nur noch eine da, merk ich grad...“

„Nimm ruhig“, winkte Kamijo ab und wartete, bis Hakuei sich eine angezündet und einen Zug genommen hatte, bevor er sich aufrappelte und neben den anderen setzte. „Aber einmal ziehen darf ich doch, oder?“ Der Sänger hielt ihm wortlos die Zigarette hin, die Kamijo dankend annahm und kurz darauf wieder zurückgab. „Sag mal, war das für dich nicht seltsam, mit jemandem befreundet zu sein, der nicht auf Frauen steht?“

„Hast du das Gefühl, dass ich mich irgendwie unbehaglich, fehl am Platze, verlegen oder sonst wie verhalte, wenn ich mit euch dreien zusammen bin? Oder einem von euch? Oder zwei?“, stellte Hakuei mehrere Gegenfragen.

Kamijo zuckte die Achseln. „Ich frag ja nur.“

„Ich fand es interessant. Und mit der Zeit gewöhnt man sich auch daran. Ich glaube, er hat mich schon ein wenig verschwult, aber an meiner Orientierung konnte er nichts ändern. Ich frag mich heute noch, ob er es gerne so gehabt hätte.“

„Also hat er dich toleranter gemacht?“, wollte der Braunhaarige wissen, setzte sich ein wenig auf, sodass er ungefähr auf Hakueis Höhe war, musterte ihn interessiert und nahm sich noch einmal dessen Zigarette.

„Nein, nicht toleranter. Also nicht nur. Er hat mich so weit gebracht, dass ich zumindest einen ‚Geschmack’ für Männer entwickelte, wenn man es so nennen kann. Manche finde ich hübsch und attraktiv und andere nicht. Du, zum Beispiel... dich finde ich rein vom Optischen her viel zu hübsch für dein... Inneres...“ Während Hakueis letzten Worte hatte Kamijo die Zigarette in den Aschenbecher gelegt und betrachtete den anderen, bis dieser fertig mit Sprechen war. Dann legte er eine Hand auf die Wange des anderen und küsste ihn. Zu seinem eigenen Erstaunen dauerte es nicht allzu lange, bis Hakuei den Kuss erwiderte und einen Arm um seine Taille legte. Kamijo wurde noch ein wenig dreister und versuchte, die Lippen des Sängers mit seiner Zunge auseinander zu drücken, aber da löste sich dieser von ihm.

„Und hätte ich Lay nicht gekannt, dann wäre ich jetzt ganz bestimmt nicht in der Lage, dich zu küssen“, murmelte Hakuei und strich dem anderen über die Haare. „Es tut mir wirklich leid, Kamijo. Ich könnte bestimmt, wenn ich wollte. Aber es würde sich nicht richtig anfühlen. Entschuldige.“

Kamijo seufzte leise und nickte dann. „Ja, so was hab ich mir schon fast gedacht. Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

„Enttäuschung ist etwas Positives – schließlich warst du vorher getäuscht, und nun ist die Täuschung aufgehoben“, entgegnete der Schwarzhaarige lächelnd.

„Ich glaube, irgendwann wirst du mich noch mal zur Verzweiflung treiben“, meinte Kamijo und rutschte ein Stück von Hakuei weg. Noch bevor einer der beiden etwas sagen konnte, klingelte das Handy des Braunhaarigen. „Ja?“

„Hallo, hier ist Kaya. Weißt du, es ist mir ein wenig peinlich zu fragen, da ich dich schon mit deinem Auto genug ausnutze, aber ich kann ja nicht fahren, und deshalb...“

„Kein Problem. Wo soll ich dich hinbringen?“

„Juka wollte eigentlich heute mal in meinem Atelier vorbei schauen, aber er ist nicht aufgetaucht – und bei ihm zuhause ist die ganze Zeit besetzt. Deshalb habe ich mir gedacht, wäre es einfacher, wenn ich-“

„Natürlich. Ich bin grad sowieso bei Hakuei, den könnte ich gleich mitnehmen. Einverstanden?“
 

|-|=|-|
 

tbc!
 

A/N: Kamijo und Star-Allüren... es ist wirklich erschreckend, wie gut das zusammenpasst, oder? ^___^ (Ich liebe diesen Kerl.)

Die Hälfte haben wir! Wie findet ihr's? =)

Sink - Float

Kapiteltitel: zwei wunderschöne Lieder von 9GOATS BLACK OUT <3

Wörterzahl: 5.100

Beta'd: mit zunehmender Begeisterung (ich bin gut! xD) von Tattoo, der Beta-Göttin!

Rating: PG
 

|-|=|-|
 

Keine halbe Stunde später bog Kamijo mit seinem Wagen in die Straße ein, in der Juka wohnte.

„Und dann hab ich-“ Kaya verstummte augenblicklich, als er die Menschenmenge bemerkte, die im Halbkreis vor einem Haus stand, sogar halb auf der Straße. „Was...“

Kamijo bremste scharf und hupte die Leute an, die etwa fünf Meter entfernt von ihm standen. Einige sahen ihn irritiert oder böse an, aber die meisten fuhren fort, wie gebannt nach oben zu starren. „Was zur Hölle... einen Moment mal, ja?“ Die nächsten Sekunden verstrichen wie in Zeitlupe. Der Braunhaarige schnallte sich ab und schaltete den Motor aus, ließ dabei aber den Schlüssel stecken. Er öffnete die Fahrertür und stieg aus, und noch bevor er Zeit hatte, nachzuschauen, was die Leute so in seinem Bann hielt, stoppte ein weiteres Auto hinter seinem eigenen und hupte nun seinerseits ihn an. Er verdrehte leicht die Augen und schaute anschließend nach oben.

Und dann verstand er mehrere Dinge gleichzeitig: Einmal, weshalb so viele Menschen sich versammelt hatten und alle nach oben sahen. Dann, weshalb sie in einem Halbkreis vor einem Haus standen. Anschließend, was die lauten Sirenen im Hintergrund des ganzen Getümmels sollten. Und letztendlich, weshalb es Juka ‚in letzter Zeit nicht so besonders’ gegangen war.

Jemand mit sehr blonden Haaren stand auf dem Dach des Hauses, um das sich die Menschen versammelt hatten und in dem Juka wohnte, und schaute nach unten. Er stand sehr nah am Rand und es wunderte Kamijo, weshalb er nicht einfach von einer Windböe heruntergepustet wurde. Noch bevor er die blonden Haare gesehen hatte, wusste er, dass es Juka war. Es konnte nur Juka sein. Kein Wunder, dass er bei ihrem letzten Treffen so schweigsam gewesen war. Kein Wunder, dass er auf Kamijo gleich einen instabilen Eindruck gemacht hatte.

Er handelte ohne zu zögern oder nachzudenken. Er schrie einmal so laut er konnte „JUKA!!“ und rannte zu der Haustür. Er drückte wahllos auf irgendwelche Knöpfe, bis irgendwann der Summer ertönte, riss die Haustür auf und stürzte schneller, als er es je für möglich gehalten hätte, die Treppe hinauf. Er konnte und wollte sich nicht ausmalen, was er tun würde, wenn Juka in der Zwischenzeit... oder wenn er in dem Augenblick, in dem Kamijo... Er hörte hinter sich jemanden ebenfalls das Treppenhaus hoch stürmen, aber es war ihm egal. Er würde als erster oben sein, und das war alles, was zählte.

Diese halbe Minute, die Kamijo brauchte, um alle acht Stockwerke hinauf zu rennen, war die längste seines Lebens. Er hatte das Gefühl, eine endlose Treppe hoch zu laufen, als würde er niemals ankommen, und als dürfte er trotzdem nicht nachlassen. Er erlaubte es sich nicht, langsamer zu werden, und er erlaubte es sich auch nicht nachzudenken.

Und dann war er mit einem Mal oben angekommen. Er riss die Tür auf, die zum Dach führte, und blieb wie angewurzelt stehen.

Der Blonde stand noch da, mit dem Rücken zu Kamijo gewandt, und breitete langsam die Arme aus.

„Juka“, flüsterte der Braunhaarige vollkommen außer Atem, und rief den Namen des anderen erneut, ein bisschen lauter, und dann noch ein bisschen lauter.

Der Angesprochene ließ die Arme wieder sinken und drehte sich langsam zu Kamijo um, Tränen in den Augen, auf den Wangen. „Verschwinde!“, schrie Juka zurück.

„Warum? Juka, warum? Warum?!“, gab Kamijo zurück und machte ein paar Schritte vorwärts.

„Bleib stehen, wo du bist!“ Die Stimme des Blonden war brüchig. „Sonst springe ich!“

„Oh mein Gott...“ Kamijo schüttelte den Kopf und spürte nun selbst Tränen in ihm aufsteigen. „Tu mir das nicht an...“ Hinter sich hörte er Hakuei ebenfalls Jukas Namen murmeln, aber der Schwarzhaarige blieb an der Tür stehen.

„Warum nicht?!“, rief Juka. „Dir bin ich doch sowieso scheißegal! Ich hab keinen Grund mehr zu leben! Ich hab den einzigen Menschen, den ich wirklich geliebt habe, verloren, ich bin meinen Job los, ich hab keine Freunde und keine Familie – was soll mich noch hier halten?“

„Das Leben ist ein Kampf, und solange du kämpfst, bist du nicht tot: Die Toten haben keine Kämpfe mehr!“, entgegnete Kamijo verzweifelt. „Du kannst nicht einfach aufgeben!“

„Ich habe keine Energie mehr zum Kämpfen“, sagte Juka laut. „Ich kann nicht mehr.“

„Ich geb sie dir.“ Kamijo konnte durch den Tränenschleier beinahe nichts mehr erkennen, trotzdem streckte er eine Hand aus. „Ich geb sie dir, Juka. Versprochen. Ich hab genug davon. Bitte. Komm her. Bitte, Juka. Komm zu mir.“ Er machte einen Schritt, und daraufhin machte der Blonde auch einen Schritt, und für einen Moment sah Kamijo gar nichts mehr, nur noch den Rand des Daches und den Himmel, und er dachte schon, dass Juka...

Und keine Sekunde später fiel ihm jemand um den Hals. Kamijos Beine trugen ihn nicht mehr, er sank zu Boden, klammerte sich dabei an dem anderen fest, und anschließend saßen sie eng umschlungen auf dem trostlosen Beton und schluchzten leise immer wieder auf.

„Scheiße, Juka“, wisperte Kamijo erstickt und verstärkte seinen Griff um den anderen noch mehr. „Scheiße...“ Nie hatte es so gut getan, einen anderen Menschen an sich zu spüren wie in diesem Augenblick.

So verbrachten sie eine gute Viertelstunde, bis sie sich ein wenig beruhigt hatten, dann gesellten sich auch Hakuei und Kaya (der offenbar in der Zwischenzeit von dem mehr als erleichterten Sänger aufs Dach geholt worden war) zu ihnen.
 

„Du weißt, wie er ist. Er ist verzweifelt. Verzweifelte Menschen haben nichts zu verlieren.“ Er schaute sich um, wie jemand, der zum x-ten Mal dieselben vier Wände sah, den nichts mehr überraschen konnte, der seine Umwelt überhaupt nicht mehr bewusst wahrnahm. „Es ist kalt geworden auf der Straße. Und es gewittert. Seit vier Tagen gewittert es schon – aber ohne Donner. Der Regen prasselt unaufhörlich auf uns nieder, aber unsere Götter besitzen nicht einmal die Güte, uns mit einem ordentlichen Gewitter zu segnen. Es ist wie etwas Halbfertiges.“

Kamijo schaute den anderen eine Weile schweigend an. „Wenn jemand dich dazu überredet, dich zusammen mit ihm umzubringen... und ihr euch nebeneinander stellt, eure von der Aufregung schweißnassen Schläfen aneinander pressend... und dieser Jemand den Abzug drückt, die Kugel aber nicht bis zu deinem eigenen Kopf vordringt und in seiner Schädeldecke stecken bleibt... und er leblos, regungslos, kompromisslos zu Boden sinkt, sein Blut den Sand verschmierend... würdest du dann den Mut besitzen, die Pistole aus seiner toten Hand zu nehmen... und es zuende zu bringen?“

Sein Gesprächspartner wandte sich ihm zu, trat langsam einige Schritte zurück. „Wovon sprichst du?“

„Ich habe es nicht geschafft“, flüsterte der Braunhaarige mit erstickter Stimme und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Wovon sprichst du?! Du kannst nicht... nein, das kannst du nicht. Sag mir nicht...“ Und während der andere auf Kamijo zu kam, schloss sich der schwere rote Samtvorhang langsam vor ihnen.

Es war wie das Ende eines Films. Die Schauspieler hatten ihre Rollen glaubwürdig dargestellt, und nach der Fertigstellung ihres Werkes konnten sie wieder nach Hause gehen. Es folgte noch der Abspann, bei den weniger das Gehirn als vielmehr die Lachmuskeln überanstrengenden Filmen begleitet von Szenen, die schief gelaufen waren, und der Zuschauer ging nach Hause. Der Schauspieler wurde wieder zu einer privaten Figur, konnte wieder der sein, der er war. Als hätte jemand plötzlich das Licht entweder aus- oder angeschaltet – je nachdem, wie man es sah.

Aber im Theater funktionierte es nicht so leicht wie beim Film. Beim Film musste man sich während der Proben, während der Aufnahmen in seine Rolle hinein versetzen, musste sie glaubwürdig herüber bringen und sie spielen. Im Theater WURDE man diese Person. Kamijo war für die letzten Zweieinviertelstunden seine Rolle geworden, hatte gefühlt wie sie, gesprochen wie sie, gedacht wie sie, sich verhalten wie sie, hatte ihren Namen und ihre Herkunft angenommen. Normalerweise ‚verwandelte’ er sich schon dann in sein eigenes Selbst zurück, wenn der Vorhang gefallen war. Seine Kollegen machten Scherze, beglückwünschten sich, sie alle sammelten Applaus und verbeugten sich stolz.

An diesem Abend war es anders. Kamijo verbeugte sich erst ohne ein Lächeln, zwang sich hinterher dazu, bekam wenig von dem mit, was um ihn herum passierte. Er musste an die letzten Worte aus seinem Mund denken. Er sah die Szene genau vor sich. Und es erinnerte ihn auf eine solch schreckliche Art und Weise an Juka, dass er einfach nicht aus seiner Rolle heraus kam. Verzweifelte Menschen haben nichts zu verlieren, dachte Kamijo, Denn das Wichtigste haben sie bereits verloren – dieses große Spiel, das sich Leben nennt.

Kaum dass er von der Bühne war, drückte ihn gleich jemand an sich. „Hey“, begrüßte er den Braunhaarigen.

Der lächelte leicht und klopfte seinem Kollegen auf den Rücken. „Hi. Was machst du hier? Du bist doch schon längst fertig, oder?“

„Ich hab gehört, dass es dir nicht allzu gut gehen soll. Ist wegen diesem Blonden, der da auf dich wartet, nicht wahr? Ich hab mich mit ihm unterhalten, ist ja echt ein Zuckerschnittchen – so naiv, dass man’s Meilen gegen den Wind riecht. Und er wollte sich wirklich...“

Kamijo nickte langsam. „Ja. Heute Mittag.“

„Scheiße. Und du kümmerst dich jetzt um ihn?“

„Ich versuch’s, ja.“

Atsushi musterte ihn prüfend. „Und du bist okay? Ich will jetzt keine Wischiwaschischeiße à la ‚wird schon’, ‚ist nicht so schlimm’, ‚keine Sorge’ oder so was hören, sondern einfach nur, wie’s dir geht, verstanden?“

Der Angesprochene atmete einmal tief durch. „Ich glaube, mir geht’s grad im Moment selbst nicht so besonders. Aber ich bin es nicht, um den ich mir Sorgen mache, Atsui.“

„Lass dich nicht runterziehen. Du bist ein Professioneller.“ Atsushi lächelte leicht und tätschelte ihm die Wange. „Wenn’s dir schlecht geht, wenn du irgendwas brauchst, wenn du über irgendwas reden musst, wenn du Aufmunterung brauchst – ich bin da, das weißt du. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.“

„Ja, ich weiß. Danke.“ Kamijo erwiderte das Lächeln. „Gilt für dich natürlich auch.“

„Weiß ich doch. Dann geh dich mal um den Kleinen kümmern, ich glaube, das wird euch beiden ganz gut tun.“ Atsushi drückte dem Braunhaarigen noch einen Kuss auf die Lippen, als dieser ebenjene spitzte, und knuffte ihn dann in die Seite. „Und vergiss nicht – du bist weder so erwachsen noch so ernst wie du glaubst.“

Über diese Worte nachdenkend, schminkte Kamijo sich ab, zog sich um und verließ das Theater. Juka hatte offenbar auf ihn gewartet, schien sich aber gerade mehr mit Atsushi zu amüsieren, welcher sich zu ihm gesellt hatte. „Kein Flirten mehr ab zehn Uhr abends“, sagte Kamijo. „Und besonders nicht mit meinen Gästen.“

Der Schwarzhaarige hob grinsend die Hände. „Er gehört ganz dir. Verzeihung, ich wusste nicht, dass du ihn dir bereits unter den Nagel gerissen hast.“

„Da kannst du mal sehen!“, gab Kamijo nickend zurück. „Das geht ganz einfach. Wir sehen uns morgen, Atsui.“

„Wünsche angenehmen Schlaf, die Herrschaften. Bis dann!“

Kamijo und Juka schauten dem anderen Schauspieler kurz hinterher.

„Wer ist das?“, fragte der Blonde neugierig.

„Das ist derjenige, der den Kindern jedes Jahr die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum wegklaut“, entgegnete Kamijo und lächelte leicht. „Nein, eigentlich nicht. Er heißt Atsushi Sakurai, ist einer der absoluten Top-Schauspieler, die wir haben, und unheimlich nett. Außerdem ist er auch vom anderen Ufer, deswegen verstehen wir uns so gut.“

„Ach so“, warf Juka ein, ohne den anderen anzusehen.

„Werd nicht gleich eifersüchtig – mit ihm und mir könnte es aus zwei Gründen schon mal nichts werden: Wir würden niemals etwas mit jemandem anfangen, mit dem wir zusammenarbeiten müssen und außerdem bin ich nicht sein Typ und andersherum. Wenn überhaupt, dann haben wir den gleichen Geschmack. Ich glaube, er findet dich ganz niedlich. Gehen wir?“

Wortlos folgte Juka ihm, das Gesicht unleserlich.

„Hat dir denn das Stück gefallen?“, wechselte Kamijo das Thema. „Ich meine, du konntest es wahrscheinlich hinter den Kulissen nicht so genau mitverfolgen, aber-“

„Es war... beeindruckend“, unterbrach der andere ihn zögernd. „Dieses Mal habe ich sogar die Handlung verstanden. Und das Ende. Ich finde es nach wie vor... interessant, wie du es auf der Bühne schaffst, im einen Moment die Person zu sein, die du spielst, und im anderen du selbst.“

„Das geht nicht nur auf der Bühne“, versicherte Kamijo ihm lächelnd.

„Echt? Dann spiel mir mal was vor“, forderte Juka interessiert.

Kamijo überlegte einen Augenblick, ehe er in die Rolle des Catesby schlüpfte: „Der König tut mehr Wunder als ein Mensch Und trotzt auf Tod und Leben, wer ihm steht; Ihm fiel sein Pferd, und doch ficht er zu Fuß Und späht nach Richmond in des Todes Schlund. O rettet, Herr, sonst ist das Feld verloren!“ Er schwenkte um auf Richard: „Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“ Und erneut Catesby: „Herr, weicht zurück! Ich helf Euch an ein Pferd.“ Richard: „Ich setzt’ auf einen Wurf mein Leben, Knecht, Und will der Würfen Ungefähr bestehen. Ich denk, es sind sechs Richmonds hier im Feld: Fünf schlug ich schon an seiner Stelle tot. Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“

Juka starrte ihn fasziniert an. „Das kannte ich sogar. Zumindest das mit dem Pferd.“

„Richard der Dritte“, erklärte der Schauspieler. „Ich war zwar nur ein unwichtiger Prinz, der sowieso umgebracht wurde – es ist ein sehr blutiges Stück –, aber Atsushi war das Ekel Richard, deshalb kann ich seinen ganzen Text auswendig. Er ist perfekt für Rollen, die man hassen kann.“

Der Blonde betrachtete ihn schweigend mit einem Lächeln.

„Was ist?“

„Nichts.“ Juka schüttelte den Kopf.
 

Dieses Mal wachte Kamijo weit früher als zwölf oder zehn Uhr auf, allerdings fühlte er sich nicht unbedingt besser. Juka und er hatten am vorigen Abend noch was gegessen, ein bisschen fern gesehen und waren dann ins Bett gegangen – Kamijo in sein Schlaf- und Juka ins Gästezimmer. Nach kurzer Zeit hatte Kamijo allerdings gemerkt, dass er so nicht würde einschlafen können, und hatte die Wodkaflasche innerhalb kürzester Zeit vernichtet. Wenigstens erinnerte er sich daran.

Er warf einen Blick auf seinen Wecker. Sechs Uhr morgens. Und er durfte heute Abend Hamlet spielen. Stöhnend rappelte er sich aus seinem Bett auf, wankte ins Badezimmer und tat das, was er in den letzten Tagen fast immer als erstes getan hatte: Kotzen. Danach ging es ihm wenigstens etwas besser und es drehte sich nicht mehr alles um ihn herum. Er betrachtete sich im Spiegel. „Nichts ist erbärmlicher als ein Mann, dessen Zeit vorbei ist“, murmelte er und schüttelte den Kopf.

Leise schlich er sich in das Gästezimmer, ohne wirklich zu wissen, was er tat, setzte sich auf den Rand des Bettes und betrachtete den darin Schlafenden. Er hatte es schon immer als sehr kitschig empfunden, wenn Leute Dinge sagten wie ‚du siehst so niedlich aus, wenn du schläfst’, aber bei Juka – das musste er zugeben – traf es wirklich zu. Er hatte schon oft den Eindruck gehabt, dass der Blonde weniger ein junger Erwachsener war als vielmehr ein zu groß geratener Teenager, den man mitten ins Leben geworfen hatte. Und der damit offensichtlich nicht umgehen konnte.

„Ich will auf dich aufpassen“, murmelte der Braunhaarige und hob einen Arm, strich Juka vorsichtig über die Stirn. Wie zerbrechlich doch die Menschen sind, dachte er. Man vergisst es, man verdrängt es, man fühlt sich stark, und im nächsten Moment wird man schmerzhaft daran erinnert, wie leicht einen Menschen das Leben verlassen kann. Es braucht nicht viel, um zu sterben.

Ein paar Momente später schlief er wieder ein.

Als er zum zweiten Mal an diesem Morgen wach wurde, lag er neben Juka unter der Decke und wusste nicht, wie er dorthin gekommen war. Der andere drehte ihm den Rücken zu und schaffte es irgendwie, ihn selbst auf diesem engen Raum nicht zu berühren. Kamijo schmiegte sich von hinten an den Blonden, legte einen Arm um dessen Oberkörper und vergrub sein Gesicht in Jukas Nacken. Unwillkürlich erinnerte er sich an die Gelegenheiten, bei denen er und Juka sich umarmt hatten – das erste Mal war auf der Beerdigung gewesen, wo der Blonde seine Tränen nicht mehr hatte zurückhalten können. Da hatten sie noch nichts voneinander gewusst, nicht mal ihre Namen. Wäre Kamijo nicht auf die Bestattung gegangen, dann hätten sie alle sich wahrscheinlich nicht kennen gelernt: Kaya wäre nicht mit zur Begräbnisfeier gekommen, Hakuei hätte von sich aus bestimmt keine fremden Leute angesprochen und Juka auch nicht. Das zweite Mal war, als sie alle sich auch das zweite Mal gesehen hatten, als Kamijo Juka verziehen hatte. Und das dritte und letzte Mal... war am vorigen Tag gewesen. Wo sie sich in den Armen gehalten hatten.

Kamijo bekam eine Gänsehaut und zog den anderen näher an sich. Er brauchte gerade irgendeine körperliche Nähe, es tat ihm gut, einen warmen Körper neben sich zu spüren. Er seufzte leise und strich abwesend über Jukas Bauch. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Juka, um nicht so alleine zu sein, dieses eine Mal bei Kamijo übernachtete, was allerdings danach kommen sollte, wussten sie nicht. Der Blonde wollte ungern zurück in seine eigene Wohnung, weil diese ihn viel zu sehr an Lay erinnerte und die Nachbarn ihm höchstwahrscheinlich keine ruhige Minute mehr lassen würden, und für eine andere Wohnung hatte er kein Geld. Vielleicht könnte er ja...

„Kamijo?“, flüsterte Juka urplötzlich.

Er wäre beinahe zusammengezuckt. „Hm?“, machte er und fuhr mit den Fingerspitzen über die nackte Haut des anderen.

Der Blonde war einen Augenblick still. „Morgen“, sagte er dann.

„Guten Morgen“, murmelte der Braunhaarige in Jukas Nacken und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er den anderen erschaudern spürte. „Juka...?“, schnurrte er leise und vielsagend und berührte die weiche Haut vor sich kurz mit den Lippen, ehe er anfing, leicht an ihr zu knabbern.

„Hör auf“, forderte der Blonde ebenso leise.

„Ich soll aufhören?“, wiederholte Kamijo und küsste Jukas Schulter ein paar Mal. „Sicher...?“

„Ja! Hör auf, Kamijo! Ich wollte seelischen Beistand!!“

Das ließ den Braunhaarigen innehalten. Er war froh, dass Juka ihn in dem Moment nicht sehen konnte, sonst hätte er sich höchstwahrscheinlich den Gesichtsausdruck gemerkt, der bei Kamijo ein schlechtes Gewissen anzeigte. „Entschuldige“, meinte er ehrlich, bekam aber nichts zurück. Vorsichtig stupste er den anderen in den Bauch. „Hey. Tut mir leid.“

„Schon okay“, gab Juka zurück und legte seine Hand kurz auf Kamijos. Anschließend blieben sie einfach so liegen, die Augen geschlossen, die Wärme des jeweils anderen genießend. Kamijo konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal in solch einem Frieden mit jemandem nur im Bett gelegen hatte. Er streichelte immer wieder über Jukas Haut, rieb seine Wange an dessen Nacken oder malte unsichtbare Muster auf den Bauch des anderen, woraufhin der Blonde schnurrte und sich dabei dichter an Kamijo kuschelte.

Gestört wurden sie erst etwa eine Viertelstunde später, als das Telefon klingelte.

„Exkremente“, murmelte Kamijo genervt.

„Kannst du nicht einfach Scheiße sagen?“, gab Juka leise zurück.

„Scheiße ist unästhetisch.“ Mit einem tiefen Seufzen rappelte der Schauspieler sich auf.

„Komm hinterher wieder“, bat der Blonde.

Kamijo tapste in die Küche und starrte sein tragbares Gerät finster an, als er die Nummer erkannte. „Ja?“ Er warf einen Blick auf die Wanduhr. Gerade mal neun – er hatte nicht einmal verschlafen.

„Hab ich dich geweckt?“, wollte Hakuei ungläubig wissen.

„Hättest du normalerweise, aber ich war schon wach. Moment, ich leg mich mal wieder ins Bett, sonst wird mir kalt.“ Kamijo ging zurück ins Gästezimmer, wo Juka sofort etwas zur Seite rückte, um Platz für ihn zu machen. Der Braunhaarige legte sich wieder auf dem Rücken ins Bett und lächelte, als Juka einen Arm um seinen Oberkörper schlang. „Okay. Schieß los.“

„Kannst du Origami?“

„Gegenfrage – schlafwandelst du gerade?“ Kamijo wechselte die Hand, mit der er das Telefon hielt, und fuhr dem Blonden sanft durch die Haare, woraufhin dieser die Augen schloss und sich zufrieden an ihn drückte.

„Was?“

„Mal ehrlich – wer ruft mich um neun Uhr morgens an und fragt mich, ob ich Sachen wie Blumen, Schwäne, Drachen, Töpferkurse oder Sonderangebote aus Papier falten kann?“

„Ich erklär’s dir später. Wenn ich Recht habe. Ansonsten verschweig ich es lieber. Kannst du eine Seerose?“

„Nein, ich kann eine Teneriffareise, allerdings braucht man dazu sehr viel Papier.“

Hakuei seufzte.

„Es ist neun Uhr morgens!“, verteidigte der Schauspieler sich und begann, Juka abwesend im Nacken zu kraulen. „Willst du unbedingt irgendjemanden beeindrucken, oder wofür...“

„Ist Juka schon wach?“

Kamijo schaute zu dem Blonden, der inzwischen halb auf seinem Oberkörper lag, vollkommen entspannt war und ziemlich weggetreten wirkte. „Es... lässt sich nicht genau feststellen“, antwortete er zögernd.

„Wenn er wach ist, kannst du ihn dann fragen, ob er eine-“

„Juka, kannst du mit Origami eine Seerose falten?“, fragte er den anderen. Erst bekam er den Eindruck, dass Juka ihn überhaupt nicht gehört hätte, aber dann nickte er unmerklich.

„Moment mal – liegt ihr grad im selben Bett?“, wollte Hakuei befremdet wissen.

„Ja und ja“, gab Kamijo zurück. „Ja, tun wir und ja, kann er.“

Eine Weile Schweigen.

„Ich hab mich nicht an ihm vergriffen“, brach Kamijo ebenjenes pikiert. „Seelischer Beistand, weißt du?“

„Ach so. Na dann.“ Hakuei klang nicht überzeugt. „Ist er grad in der Lage, mit mir zu sprechen?“

„Hakuei will dich sprechen“, gab Kamijo weiter. Juka öffnete langsam die Augen, blinzelte ein paar Mal geblendet, musterte das Telefon und schüttelte den Kopf. „Er will nicht.“

„Wie, er will nicht?“

„Soll er dir erklären, wie man eine Seerose faltet?“

„Das wäre... nett, ja.“

„Er sagt ganz lieb bittebitte“, fügte der Braunhaarige für Juka hinzu.

Der musste lächeln und nahm dieses Mal das Telefon an. Die nächste Viertelstunde verbrachte er damit, Hakuei verzweifelt zu beschreiben, wie um alles in der Welt man aus einem quadratischen Stück Papier eine wunderschöne Seerose herstellen konnte. Hinterher gab er das Telefon wieder zurück an Kamijo, ganz offensichtlich zu genervt, um noch weiter zu telefonieren.

„Hast du’s jetzt hingekriegt?“, wollte Kamijo belustigt wissen und strich dem Blonden wieder über den Kopf.

Schweigen am anderen Ende der Leitung.

„Haku?“

„Mori“, gab der Sänger leise zurück. „Samstag, 21 Uhr.“

„Nächsten Samstag? Da hab ich Zeit, ja, warum-“

„Nein, das steht hier.“

„Steht wo?“

Wieder eine kurze Stille.

„Moment mal, hast du gerade aus Lays Zettel eine Seerose gefaltet?!“, fiel dann endlich der Groschen bei dem Braunhaarigen.

„Es ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen – Kaya hat sich doch gewundert, warum der Zettel quadratisch ist, und du meintest, damit man Origami daraus macht. Lay konnte kein Origami, bis auf eben eine Seerose, und darauf war er ganz stolz. Deshalb...“

„Ich glaub's nicht! Und da ist wirklich was Vernünftiges rausgekommen? Mein Gott, wie lange muss Lay gebraucht haben, um das SO hinzukriegen... Und jetzt?“

„Das ist eindeutig, denke ich. Mori heißt wahrscheinlich jemand, der in dem Haus wohnt, von dem er uns die Adresse bereits gegeben hat. Damit wäre die Frage geklärt, wo wir anklingeln müssen. Ich würde vorschlagen, dass wir dann am Samstag noch einmal hinfahren und schauen, ob uns etwas Neues erwartet.“

Nun konnte auch Kamijo seine Aufregung nicht unterdrücken. „Einverstanden. Du sagst Kaya und ich Juka Bescheid, ja?“

„Geht’s ihm denn eigentlich jetzt besser?“

Er warf einen Blick zu Juka, der den Kopf auf Kamijos Bauch gelegt, die Augen geschlossen und ein seliges Lächeln auf den Lippen hatte. „Es sieht so aus. Aber ich kann noch keine Gedanken lesen.“

„Gut. Ich verlass mich auf dich, das weißt du?“

„Ja. Weiß ich. Und hierbei kannst du das auch“, gab Kamijo ernst zurück.

„Das tut gut zu hören. Wir sprechen uns noch mal, ja? Wenn irgendwas passiert, ruf an. Bedank dich mal in meinem Namen bei Juka, bitte. Bis dann.“

Kamijo legte auf, ließ das Telefon auf den Teppichboden neben dem Bett fallen und betrachtete den Blonden ein paar Augenblicke. „Danke“, sagte er dann.

„Kein Problem“, murmelte der andere zurück.

„... Das danke war von Hakuei, das weißt du?“

Jetzt öffnete Juka die Augen und sah ihn an. „Glaubst du, ich bin blöd?“

„Entschuldige.“ Kamijo berichtete dem anderen von Hakueis Erfolg, erntete allerdings nicht viel mehr als eine gehobene Augenbraue.

„Mal schauen, was daraus wird“, bemerkte der Blonde und drehte sich auf den Rücken, den Kopf allerdings noch immer auf dem Oberkörper des anderen. „Willst du eigentlich den ganzen Tag hier liegen bleiben?“

„Solange keiner mich zwingt, aufzustehen...“, gab Kamijo schulterzuckend zurück und strich dem anderen einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Was willst du jetzt eigentlich machen?“

„Ich weiß nicht. Weißt du, es gibt nicht so viel, das ich richtig gut kann. Aber ich möchte mich trotzdem ausleben... weißt du, in der Agentur, in der ich vorher gearbeitet habe, durfte ich so gut wie nie eigene Aufträge erledigen, sondern immer als Trottel vom Dienst hinterherdackeln oder die Sachen erledigen, die keiner machen wollte. Mit meinem Job an sich war ich ja zufrieden, ich will auch weiter Stylist bleiben – aber nicht so.“ Jukas Tonfall wurde bitter. „Nur glaube ich nicht, dass irgendeine Agentur einen suizidgefährdeten Frischling aufnehmen würde.“

„Wie lange hast du denn bei deiner Agentur gearbeitet?“

„Zwei Jahre. Hab vorher Modedesign studiert, aber eigene Kleidung entwerfen ist noch nichts für mich. Und dann hab ich gleich als Stylist angefangen.“

„Wie alt bist du eigentlich? Ich glaube, das hab ich dich noch nie gefragt, oder?“ Kamijo runzelte die Stirn.

„Ich bin fünfundzwanzig. Du?“

„Neunundzwanzig. Jetzt komm ich mir alt vor.“

Juka stieß ihn in die Seite und musterte ihn böse. „Es gibt Ausdrücke, die will ich von gewissen Leuten nicht in einem Satz mit dem Wort ‚ich’ hören, und ganz besonders nicht, wenn kein ‚nicht’ dazwischen steht. Bei dir wären es unter anderem ‚alt’, ‚hässlich’ und vor allem ‚dick’.“

Der Braunhaarige machte den Mund auf, überlegte es sich aber anders und lächelte nur unschuldig. Er hielt sich nicht für dick, das nicht, aber er fand, er könnte ruhig ein bisschen weniger...

„Ich seh’s dir an. Hör auf, darüber nachzudenken“, murrte der Blonde. „Wie auch immer... ich werd versuchen, einen Job irgendwo anders zu kriegen, wenn möglich, als Stylist, ansonsten werd ich wahrscheinlich ein bisschen rumjobben – vielleicht find ich ja was, das mich glücklicher macht. Wobei ich nicht wirklich daran glaube. Weißt du, wenn ich Leuten das erste Mal begegne, dann überleg ich mir unwillkürlich, was ich ihnen anziehen würde.“

„Echt?“ Kamijo hob interessiert die Augenbrauen. „Was hast du mir denn anziehen wollen?“

Der andere musterte ihn eine Weile schweigend. „Nichts“, antwortete er dann. „Mit einem schwarzen Zensierbalken.“

Das brachte den Schauspieler zum Lachen. „Das meinst du nicht ernst, oder?“

„Ich weiß nicht.“ Juka rümpfte die Nase. „Aber halt mich nicht für pervers, bitte.“

„Und bei Hakuei oder Kaya?“

„Hakuei...“ Er musste überlegen. „Ein ärmelloses schwarzes Top mit irgendwelchen Verzierungen drauf, vielleicht Spitze, auf jeden Fall mit V-Ausschnitt, sodass man noch ein bisschen von seiner Brust sehen kann, dazu eine schwarze Hose, die irgendwie ausgefranst ist. Meinetwegen irgendwelche Bänder dran, irgendwas abgerissen aussehendes, dazu kurze Handschuhe, am Besten aus Leder, und Lederschuhe. Wenn’s etwas glamouröser aussehen soll, auch noch irgendwie Silber dazu, Ketten an der Hose, Nieten am Oberteil, so was. Sonst kein Schmuck – außer seinen Piercings natürlich. Und Kaya... oh, das ist schwer. Ich hab ihn ja mit kurzen schwarzen Haaren kennen gelernt, und dazu hätte ich ihm wahrscheinlich eine weiße Rüschen- oder Spitzenbluse angezogen und einen schlichten schwarzen Rock. Plateauschuhe sowieso, er trägt ja nichts anderes. Und dann nicht so präsente Wimpern... und oben herum nichts ausstopfen, dann sähe er wahrscheinlich weniger transig und mehr androgyn aus.“

„Und was würdest du dir selbst anziehen?“, fragte Kamijo weiter.

„Wenn ich das Geld und selbst ein Photoshooting hätte, meinst du?“ Juka überlegte. „Wahrscheinlich ein sehr bauchfreies Top aus diesem Stoff, der eigentlich schwarz aussieht, aber mit ein bisschen Licht so rötlich schimmert – ich hab vergessen, wie er heißt –, dann eine Hose aus demselben Stoff, beides irgendwie mit Silber verziert, und dazu ganz lange Armschoner – also lange Handschuhe, nur eben dass sie die Hand frei lassen. Ach ja, und silbergraue Haare. Ich wüsste unheimlich gerne, wie ich mit silbergrauen Haaren aussehe.“

„Klingt, als würdest du was von deinem Job verstehen“, nickte der Braunhaarige. „Und... was machst du mit deiner Wohnung?“

„Räumen.“ Juka zuckte die Schultern. „Ohne das Geld von der Agentur kann ich die Miete nicht bezahlen.“

„Haben sie dich denn gefeuert oder...“

„Gefeuert? Warum sollten sie? Ich war ihnen doch ganz angenehm, sonst hatten sie ja keinen, der den Dummen spielt. Nein, ich hab gekündigt. Das macht das Ganze natürlich nicht unbedingt einfacher.“ Er schnitt eine Grimasse. „Aber du kannst dir denken, dass ich mir DARÜBER nicht wirklich groß Gedanken gemacht habe.“

Logisch, dachte Kamijo, Ein verzweifelter Mensch hat nichts mehr zu verlieren. „Bis du eine Wohnung gefunden hast, kannst du gerne hier bleiben, das stört mich kein bisschen. Und dann haben wir beide Gesellschaft.“ Er lächelte und streichelte dem Blonden über die Wange. „Und seelischen Beistand.“

Juka erwiderte das Lächeln kurz. „Biete niemals jemandem deine Hilfe an, wenn nicht sicher ist, dass er sich in irgendeiner Weise revanchieren kann. Schreib dir auf, was ich dich koste, und ich zahl’s dir zurück. Ich nehme gerne Mitgefühl, seelischen Beistand, nette Worte, ernst gemeinte Komplimente, Vertrauensbeweise und sonst was an, aber bei Geld hört’s auf. Da kann ich nämlich nicht sicher sein, dass ich’s zurückgeben kann.“

Der Braunhaarige hob beeindruckt die Augenbrauen. „Das ist eine gute Lebenseinstellung.“

„HA!“, machte Juka triumphierend. „Jetzt hab ich überrascht, oder? Das hättest du nicht von mir gedacht! Aber ich bin immer für eine Überraschung gut, das wirst du noch merken. Ich kann auch Witze erzählen, pass auf. Die Theorie des Urknalls: Am Anfang war nichts..... das explodiert ist.“

Kamijo starrte ihn einen Moment befremdet an. „Was...“

Juka begann zu lachen, aber offenbar mehr über Kamijos Gesichtsausdruck als über seinen eigenen Witz. „Tut mir leid...“ Der Blonde schüttelte den Kopf und legte seine Stirn kurz auf Kamijos Brust. „Ich bin müde. Da kann ich für nichts garantieren. Ignorier mich einfach. Oder nein, ich glaube, ich bin nicht nur müde, ich krieg auch gute Laune. Das ist noch schlimmer. Wenn deine Ohren dir lieb sind, dann sorg dafür, dass ich schlechte Laune habe, dann quatsch ich dir wenigstens keinen Knopf an die Backe.“

„Warum hast du denn gute Laune? Einfach so?“, wollte der Braunhaarige irritiert wissen.

„Rat mal.“ Juka grinste breit.

„Weil Hakuei endlich-“

„Falsch!“

„Ehm... weil du ein neues Leben-“

„Falsch!“

„Wegen mir?“

„Richtig! Der Kandidat kriegt tausend Punkte!“ Der Blonde drückte ihm einen Kuss auf den Bauchnabel. „So. Und jetzt ist mir nach aufstehen. Soll ich schon mal Frühstück machen? Bleib ruhig liegen, ich geb dir Bescheid, wenn ich fertig bin.“ Kurzerhand stand er auf und verließ den Raum.

Kamijo starrte ihm ungläubig hinterher. Gut, er hatte sich wohl getäuscht – Juka war weder so blond wie er aussah noch so zweidimensional, wie Kamijo gedacht hatte. Mal schauen, wie er damit klar kommen würde. Mal schauen, wie sie miteinander klar kommen würden. Er legte in seinem Kopf eine Liste an mit Dingen, die Juka ihm schuldete. Der erste Punkt war: Antworten. Eine Weile lag er nur in seinem Gästebett und dachte nach, bis er irgendwann den Blonden aus der Küche rufen hörte.

„Ich hasse es, dich das jetzt fragen zu müssen, aber... wie um alles in der Welt funktioniert deine Kaffeemaschine?!“
 

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tbc!

A/N: Im nächsten Kapitel kommt der große Show-Down, seid gespannt! Geht es euch auch so wie Tattoo, dass Kamijo euch plötzlich sympathischer geworden ist? Mochtet ihr ihn von Anfang an? Oder könnt ihr ihn immer noch nicht leiden? =)
 

PS: Gestern ist einer der beeindruckendsten, bedeutendsten und beliebtesten Musiker viel zu früh verstorben. Lasst uns ihm alles Gute bei seiner weiteren Reise wünschen, wie auch immer sie aussehen mag...

Heyday

Kapiteltitel: eines der besten Lieder überhaupt von CATSUOMATICDEATH (kennt die jemand?)

Wörterzahl: 5.441

Beta'd: immer ungeduldiger, da gespannt, von Tattoo <3

Rating: PG-13
 

|-|=|-|
 

Es begann fast harmlos. Am Abend dieses Tages kam Kamijo nach Hause und fand seinen Gast kopfüber auf einem Sessel hängend und fernsehend. Er ließ die Beine über die Rückenlehne baumeln und schien Marshmallows zu essen. „Das sieht nicht bequem aus“, bemerkte er leicht lächelnd und zündete sich erst einmal eine Zigarette an.

„Ist es auch nicht“, gab Juka zurück, rutschte von dem Möbelstück herunter und setzte sich anschließend richtig darauf. „Willst du auch welche?“

„Nein, danke, die sind mir zu süß. Und? Wie viel habt ihr geschafft?“ Juka hatte Hakuei und Kaya gefragt, ob sie ihm helfen könnten, seine Wohnung auszuräumen.

„Sind recht weit gekommen. Ich hab vier ganze Kartons, mit Sachen, die ich wegschmeißen will, und einen, den ich behalte.“ Juka legte den Kopf in den Nacken, als der andere sich auf der Rückenlehne des Sessels abstützte und sich ein wenig darüber beugte. Sie sahen sich einen Moment schweigend an. „Und? Wie war Hamlet heute?“

„So gut wie auf der Premiere.“ Kamijo lächelte und blies etwas Rauch zur Seite. „Ich soll dich von Atsushi grüßen. Hättest du ihn gefragt, dann hätte er dir heute auch geholfen, meinte er.“ Er nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette. „Ich glaube, er mag dich.“

„Grüß ihn zurück, ja? Und sag ihm, dass du glaubst, ich habe kein Interesse an ihm.“

Der Schauspieler musste grinsen. „Glaube ich das?“

„Ja, das glaubst du.“

„Gut. Dann glaube ich das.“ Er fuhr dem anderen durch die Haare, richtete sich wieder auf, ging in die Küche und nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. „Auch ein Bier?“, rief er Juka zu.

„Nein, danke, nicht zu Marshmallows.“

Kamijo öffnete sein Bier und ging zurück ins Wohnzimmer, während er seine Zigarette zuende rauchte und sie anschließend ausdrückte. Er setzte sich zwischen Jukas Beine auf den Boden und lehnte sich an den Sessel. „Erzähl mir von dir“, bat er dann.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten sie nur damit, sich gegenseitig aus ihrem Leben zu erzählen. Wie sie zu dem geworden waren, was sie zu dem Zeitpunkt waren, wie sie ihre Kindheit verbracht hatten, mit was für Träumen oder Illusionen sie aufgewachsen waren und wie das Leben sie bis dahin enttäuscht oder gesegnet hatte.

Je mehr Juka erzählte, desto klarer wurde dem Braunhaarigen, warum er sich hatte umbringen wollen – seine Familie hatte ihn verstoßen, als sie von seiner Orientierung erfahren hatten, vor Lay hatte er noch keine richtige Beziehung gehabt, er war zwar in der Schule und bei seinem Studium durchaus erfolgreich gewesen, aber genau aus dem Grund hatte beinahe niemand etwas mit ihm zu tun haben wollen. Die wenigen Freunde, die er gehabt hatte, hatten ihn nur ausgenutzt, hintergangen oder schließlich im Stich gelassen, was durchaus an seiner Naivität liegen konnte oder sogar lag. Juka vertraute viel zu schnell.

Kamijo hatte sich am Anfang eingebildet, dass Juka so normal mit Hakuei, Kaya und ihm umgegangen war, weil er genau wie die anderen drei... Ja, was eigentlich? War es nicht so, wie Hakuei gesagt hatte? ‚Wir mögen ziemlich unterschiedlich sein, aber wir haben eins gemeinsam. Wir alle haben Lay gemocht.’ Das war es doch, was sie verband. Aber von Juka aus war es wahrscheinlich wirklich sein Vertrauen allen Menschen gegenüber gewesen – schließlich hatte er sich Kamijo bei ihrer ersten Begegnung und nach ihren ersten Worten gleich an den Hals geworfen. Er wollte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn Juka wirklich an die falschen Leute geraten wäre...

Und während er selbst erzählte und dabei seine zweite Flasche Bier leerte, wieder zu den Füßen des Blonden sitzend, strich dieser ihm erst eine Weile durch die Haare, ehe er begann, Kamijo sanft die Schläfen zu massieren. Danach war seine Kopfhaut an der Reihe und anschließend noch sein Nacken und seine Schultern. Es überraschte ihn selbst, wie gut es tat und wie sehr er sich dabei entspannte. Juka hörte auch nicht auf, als sie nichts mehr zu sagen wussten, nicht weitersprechen wollten oder das Gehörte erst einmal verarbeiten mussten und deshalb schwiegen.

„Ich würde mir ja jetzt noch ein Bier holen“, murmelte Kamijo leise, die Augen geschlossen. „Aber ich glaube, ich kann mich nicht mehr bewegen...“

„Du holst dir kein Bier mehr“, gab Juka bestimmt zurück. „Du hattest schon zwei. Du warst gestern auch besoffen, das musst du heute nicht noch mal haben.“

„Sonst kann ich aber nicht einschlafen...“

„Säufst du jeden Abend so viel? Schon dein ganzes Leben lang?“

Kamijo überlegte, die Stirn gerunzelt. „Nein, eigentlich nicht.“

„Na also. Dann kannst du auch einschlafen.“

Dagegen konnte der Braunhaarige nichts sagen.
 

Als er am nächsten Morgen aufwachte, fehlte ihm etwas neben sich. Sie hatten zwar sowieso in verschiedenen Betten geschlafen, vor allem, da Juka früh aufstehen wollte, aber irgendwie hatte Kamijo erwartet, aufzuwachen und den anderen neben sich zu spüren. Außerdem hatte er keine Kopfschmerzen und musste nicht als erstes das Badezimmer besuchen. Ungewohnt. Er rappelte sich auf, ging in die Küche und fand auf dem Tisch nicht nur ein reichliches Frühstück, wie er es sich sonst nicht gönnte, sondern auch einen Zettel.

‚Damit du auch keinen nachkaufst, hier eine kleine Bestechung: Wenn du nichts trinkst heute, dann koch ich dir was Schönes ❤ (Und ich kann GUT kochen.)’

Kamijo beschlich ein ungutes Gefühl. Er öffnete den Kühlschrank, den er noch am Vortag mit reichlich Bier aufgefüllt hatte, und fand ihn vollkommen alkoholfrei vor. Einen Augenblick starrte er das Kühlmöbel finster an und schloss die Tür anschließend wieder. Einen Tag? Das würde er aushalten. Und wenn Juka gelogen hatte, dann konnte er sich ja immer noch welchen kaufen.

Er sah den Blonden den ganzen Tag über nicht, was ihn ziemlich ärgerte. Als er zu seiner Nebenrolle, die er an diesem Abend spielen würde, aufbrach, ließ er einen Zettel da, wann er wiederkommen würde, und fügte noch hinzu, dass er bis dahin trocken geblieben war. Vor und nach der Aufführung hatte er unheimlich schlechte Laune, die er großzügig an allen Leuten um ihn herum ausließ und dementsprechendes Feedback bekam.

Seine Rolle spielte er so, wie er alle seine Rollen spielte: Mit voller Energie. Das war etwas, das er sich bereits am Anfang seiner Karriere als Schauspieler geschworen hatte: Egal, was passieren würde, egal, ob seine Mutter starb oder ein guter Freund von ihm und vollkommen egal, ob er lieber ganz woanders sein wollte – er würde immer so gut spielen wie er konnte. Er war immer zu 100% dabei, vor allem geistig. Während er spielte, gab es nichts anderes für ihn. Und er bildete sich ein, dass das ein wesentlicher Punkt für seinen Erfolg gewesen war – andere hatten gute und schlechte Tage, seine Leistung verbesserte sich höchstens konstant. Selbst in den Nebenrollen – jede Person, die in einem Stück vorkam, war wichtig und forderte seine ganze Konzentration.

Hinterher beeilte er sich, nach Hause zu kommen. Obwohl er wusste, dass es auf andere kitschig gewirkt hätte, war er froh darüber, dass zuhause jemand auf ihn wartete. Und nicht nur das. Juka hatte sein Versprechen eingehalten. (Und er konnte WIRKLICH gut kochen.)

Die nächsten Tage verliefen nicht viel anders – Kamijo hatte konstant das Gefühl, in irgendeinem Film die Hauptrolle zu spielen. Obwohl sie die Grenze, die sie für sich gezogen hatten, nicht überschritten, genossen sie doch merklich die Gesellschaft des jeweils anderen, waren froh, wenn sie sich – und seien es auch nur wenige Minuten – ‚seelischen Beistand’ leisten konnten, und unterhielten sich immer öfter auch über persönliche Dinge.

Kamijo lernte Juka von einer ganz anderen Seite kennen als vorher – der Blonde war, wenn man mehr Zeit mit ihm verbrachte, nicht halb so schweigsam wie er auf den ersten Blick schien. Wenn er gerade richtig gute Laune hatte, konnte er fünf Minuten am Stück reden, ohne Luft holen zu müssen. Er wurde mit jedem Tag motivierter, hatte schon bald seine Wohnung ganz ausgeräumt (die Möbel hatte er in Hakueis Keller zwischengeparkt, der Sänger hatte sowieso viel zu viel Platz nach eigenen Angaben) und suchte fleißig nach einem neuen Job. Er fand ihn als Kellner in einem kleinen Café – nur als Übergang gedacht natürlich – und schien es zu genießen, endlich nicht mehr untätig herumsitzen zu müssen.

Und Kamijo selbst? Er trank nicht mehr. Wann immer ihm ein bissiger, beleidigender oder einfach für die Situation unangebrachter Kommentar auf der Zunge lag, den er sonst ohne Weiteres ausgesprochen hatte, besann er sich eines Besseren und schluckte ihn herunter. Zumindest Juka gegenüber. Aber dafür hatte er auch kein einziges Mal mehr schlechte Laune.
 

Der Samstag kam viel zu schnell. Ehe Kamijo sich versah, saßen sie schon zu viert in Hakueis Auto und warteten vor dem Haus, dessen Adresse Lay aufgeschrieben hatte. Es war Samstagabend, zehn vor neun.

„Wer ist noch dafür, dass wir einfach klingeln und reingehen?“, fragte Kamijo vom Rücksitz aus in Hakueis Nacken. „Immerhin wissen wir ja jetzt, welchen Knopf wir drücken müssen.“

„Ich bin dafür, dass wir wenigstens bis neun Uhr warten“, gab Hakuei zurück. „Er wird wohl nicht ohne Grund noch eine Uhrzeit dazu geschrieben haben.“

„Und was, wenn es diesen ‚Mori’ überhaupt nicht mehr gibt? Oder er umgezogen ist?“, wandte Kaya ein, der an diesem Abend mit beinahe weißen Haaren und einem plüschigen schwarz-roten Kleid aufgetaucht war. Die Plateauschuhe und die große Blume im Haar waren selbstverständlich.

„Bestimmt nicht“, widersprach Juka ihm. „So viel Pech können wir nicht haben.“

„Ich geh nachschauen.“ Ohne irgendeine Antwort abzuwarten, stieg Kamijo aus dem Auto, ging über die Straße und versuchte, in dem Halbdunkel des Hauseinganges die Klingelschilder zu identifizieren. Er brauchte eine Weile, aber dann entdeckte er den gesuchten Namen auf dem vorletzten Schild. Zufrieden wandte er sich ab, ging zum Auto zurück und setzte sich wieder hinein. Alle starrten ihn an. „Vorletztes Schild“, verkündete er lächelnd.

„Wir dachten schon, du würdest klingeln und wirklich reingehen!“, gab Kaya zurück.

„Ich hätte ja, aber alleine ist es witzlos“, der Braunhaarige zuckte die Achseln. „Und es will wirklich keiner mitkommen?“

„Lass uns doch mal bis neun Uhr warten“, wiederholte Hakuei bestimmt. „Tu mir den Gefallen, ja?“

„Wenn du meinst...“ Kamijo seufzte und sah aus dem Fenster. „Vorletztes Schild heißt erster Stock, oder? Da brennt Licht, aber vor den Fenstern sind Vorhänge.“

Juka schaute ebenfalls aus dem Auto und neigte den Kopf etwas zur Seite.

„Und was, wenn – wer auch immer sich gerade in der Wohnung befindet – dich gesehen hat und jetzt vorgewarnt ist?“, wollte Kaya beunruhigt wissen.

„Was soll er dann schon machen?“, gab Kamijo schulterzuckend zurück. „Wenn er runterkommt, werden wir das schon merken. Und er hat bestimmt keinen Komplizen, der in den Büschen sitzt und nur darauf wartet, uns eine Pistole an den Kopf zu halten.“

„Oh!“, machte Juka plötzlich. Alarmiert wandten sich ihm die anderen drei zu. „Da am Fenster war gerade jemand. Lange Haare, glaube ich. Mehr hab ich nicht erkennen können. Ist auch schon wieder weg...“

„Na also, dann können wir ja klingeln gehen!“, schlussfolgerte Kamijo glücklich.

„Und ihm WAS erzählen?“, wollte Hakuei wissen und hob eine Augenbraue. „Dass er vielleicht einen Freund von uns umgebracht hat?“

„Es kann doch auch eine Frau sein“, wandte Juka ein. „Wenn die Person lange Haare hatte... Aber es sah nicht wie eine Frau aus, keine Oberweite. ... Das war keine Beleidigung, Kaya.“

Der Angesprochene schenkte ihm ein Lächeln. „Wurde auch nicht als solche aufgefasst.“

„Das ist gut. Ich meine, es steht dir ja. Irgendwo. Aber du würdest auch gut aussehen, wenn du dich nicht ausstopfen würdest. Also...“ Juka verstummte, als er bemerkte, dass die gesammelte Aufmerksamkeit auf ihm lag, und lief leicht rot an. „Ich glaube, wenn ich weiterrede, mach ich es nur schlimmer. Deshalb lass ich das. Ja. Ahem. Wo waren wir?“

Kamijo lehnte sich vor, legte sein Kinn auf die Rückenlehne von Hakueis Sitz und begann, dem Sänger an den Haarspitzen herumzuzupfen. „Warum gehen wir nicht einfach rein? Ich hasse warten“, murmelte er unzufrieden.

„Wäre ich NIE drauf gekommen“, gab der Schwarzhaarige zurück und lehnte sich ein wenig vor, um nicht mehr von dem anderen befummelt zu werden.

„Es ist noch nicht neun Uhr“, bemerkte Juka und sah den Braunhaarigen von der Seite an. „Sei nicht so ungeduldig und führ dich nicht auf wie ein Kleinkind.“

Kamijo wäre beinahe die Kinnlade herunter geklappt. „ICH soll mich nicht aufführen wie ein Kleinkind?! Das muss ich mir von DIR nicht sagen lassen!“, entgegnete er vollkommen entrüstet.

Juka und Kaya mussten beide kichern.

„Übrigens, Haku, du hast Spliss“, fügte der Schauspieler noch hinzu und hob eine Haarsträhne des anderen hoch, betrachtete sie gegen das Licht.

„Kamijo!“

„War ein Scherz...“ Er wuschelte dem Sänger einmal durch die Haare und lehnte sich wieder zurück. „Ihr macht mich nervös. Und wenn ich nervös bin, dann muss ich an irgendetwas rumfummeln.“

„Aber bitte nicht an mir“, meinte Hakuei leicht lächelnd.

Kamijo hob eine Augenbraue und warf einen Blick zu dem Blonden neben sich. „Juka...“, schnurrte er leise.

Dieses Mal lachte selbst Hakuei.

„Ich halt mich da raus“, entgegnete der Blonde und hob grinsend die Hände.

Als jemand mit einem Mal die Hintertür auf der Beifahrerseite öffnete, zuckten sie alle zusammen. „Raus hier“, befahl eine Stimme barsch, packte Kamijos Arm und zerrte ihn aus dem Auto. „Ihr anderen auch. Macht irgendeine verdächtige Bewegung und ich erschieß euren Freund hier, verstanden?“

Es war zu schnell gegangen, als dass irgendeiner von ihnen hätte reagieren können, und bevor Kamijo einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte der Fremde ihm einen Arm auf den Rücken gedreht und drückte ihm irgendetwas in die Seite, das sich ziemlich stark nach dem Lauf einer Pistole anfühlte. „Was soll das?“, fragte er leise.

„Das solltet ihr euch besser selbst fragen. Nicht reden, klar? Ihr geht vor, da vorne rein, erster Stock. Wenn ihr meint, irgendwas heroisches unternehmen zu müssen, hat er hier eine Kugel im Bauch, verstanden? Los.“ Der Typ nickte in Richtung des Hauses, vor dem sie die ganze Zeit gestanden hatten.

Schweigend und sich immer wieder nach Kamijo umsehend, gingen Hakuei, Kaya und Juka vor (nicht ohne sachgemäß das Auto abzuschließen). Der Typ schubste Kamijo unsanft vorwärts und folgte den anderen drei ins Haus, die Treppe hoch. Offensichtlich wurden sie bereits erwartet, eine Tür stand zumindest offen. Es war die zu der Wohnung, in der schon die ganze Zeit das Licht brannte. Die Wohnung mit dem Klingelschild ‚Mori’.

„Rein, erste Tür rechts, im Raum stehen bleiben, das Gesicht zu mir“, befahl der Fremde. Die drei taten wie geheißen, die Beunruhigung sich deutlich in ihren Gesichtern abzeichnend.

Noch ist es keine Angst, dachte Kamijo, Aber ihr habt auch keine Pistole in der Seite! Er stolperte nach vorne, als er ein weiteres Mal geschubst wurde, und blieb neben Juka stehen. Jetzt erst konnten sie sich ein Bild von ihrem Entführer machen. Er war beeindruckend groß (sogar noch größer als Hakuei, was eine Leistung war), dabei noch schlank und in schwarz gekleidet. Und was noch viel eindrucksvoller an ihm war, war die Tatsache, dass er nun unter seiner Jacke eine sehr echt aussehende Pistole hervor zog und sie auf Kaya, der ganz außen stand, richtete.

„Ihr bewegt euch nicht und ihr sprecht kein Wort, sonst muss ich einen von euch leider erschießen. Verstanden?“, knurrte er düster. Die vier nickten wortlos und tauschten einige Blicke aus. Glücklicherweise waren keine darunter, die Dinge wie ‚ich hab’s euch ja gesagt’ oder ‚das ist alles deine Schuld’ ausdrückten. „Hide-zou!“, rief der Typ laut.

Keine Sekunde später erschien hinter ihm in der Tür ein zweiter Mann. Er war weder groß noch hatte er die Ausstrahlung des anderen Typen, der ganz offensichtlich zuschlagen würde, wenn ihm etwas nicht passte. Aber der Neuankömmling hatte das kühle Flair desjenigen, der die Fäden zog, der sich die Hände nicht schmutzig machen brauchte. „Das sind sie?“, fragte er ungläubig und musterte die vier der Reihe nach. Besonders an Kaya und an Hakuei blieb sein Blick hängen.

Der andere nickte. „Das sind sie.“

„Seid ihr Bullen?“, wollte derjenige namens Hide-zou wissen.

Keiner sagte etwas.

„Antwortet, wenn ihr gefragt werdet!“, blaffte der erste Kerl sie unamüsiert an.

„Uns wurde gesagt, dass wir nicht reden dürfen“, entgegnete Kaya. Zur Überraschung aller klang seine Stimme ziemlich fest.

Hide-zou sah ihn entgeistert an. „Bist du ein Kerl?!“

Kaya vollführte eine leichte und dennoch elegante Verbeugung, erwiderte allerdings nichts.

„Also, ihr dürft antworten, wenn ihr etwas gefragt werdet“, meinte Hide-zou und wirkte dabei ziemlich genervt. Hätte der andere Typ keine Pistole in der Hand gehabt, dann hätte Kamijo sich köstlich amüsiert. „Seid ihr jetzt Bullen oder nicht?“

„Wir sind Menschen“, korrigierte Kaya ihn nachsichtig und lächelte leicht. Dieses Mal sahen ihn alle fünf an. Drei dachten ‚Halt die Klappe, sonst erschießen sie dich’, und zwei dachten ‚Wer auch immer das ist, wir erschießen ihn gleich’.

„Seid ihr verdammt noch mal von der Polizei?!“, fauchte Hide-zou gereizt.

„Wir-“, fing Hakuei an, wurde aber wieder von Kaya unterbrochen.

„Verzeihung, aber es ist ziemlich unhöflich, gleich zu solchen persönlichen Fragen zu kommen, wo wir nicht einmal wissen, wie Sie heißen.“

Der Typ namens Hide-zou atmete einmal tief durch. „Okay. Ich bin Hide-zou, das ist Taka. Damit könnt ihr sowieso nichts anfangen, weil das nicht unsere richtigen Namen sind. Und was-“

„Wollen Sie nicht unsere Namen erst wissen?“, fiel Kaya ihm sanft ins Wort und lächelte. „Wir sind – von links nach rechts – Kamijo, Juka, Hakuei und ich bin Kaya. Damit können Sie allerdings auch nicht viel anfangen, weil das ebenfalls nicht unsere richtigen Namen sind.“

„Ich dreh gleich durch“, murmelte Taka mit der Pistole leise und ließ ebenjene ein Stück sinken, sah Hide-zou ratlos an.

„Gut. Eine einzige Frage. Ich will eine ehrliche und ausführliche Antwort – was wollt ihr hier?“, fragte dieser.

Wieder wollte Hakuei zu einer Antwort ansetzen, aber Kaya kam ihm zuvor. „Was wir hier wollen? Nun, haben SIE uns nicht hierher gebracht?“

„Ich meinte hier, an diesem Haus!“, rief Hide-zou.

„Schreien Sie mich doch nicht gleich so an, das ist schlecht für Ihren Blutkreislauf“, mahnte Kaya ihn ruhig.

Der Anzugträger baute sich vor ihm auf, was nicht sonderlich eindrucksvoll wirkte, war Kaya doch mit seinen Plateauschuhen etwa genauso groß wie er, wenn nicht sogar etwas größer. „Ihr wart vor ungefähr einer Woche schon mal hier, habt hier rumgestanden. Dann seid ihr wieder gefahren. Und jetzt seid ihr wieder hier – zufällig genau um die Zeit, wenn Taka mich besuchen kommt. Beantwortet mir eine Frage – wie viel wisst Ihr?“

„In Schuljahren gerechnet?“, stellte Kaya eine Gegenfrage und sah seinem Gegenüber ohne zu blinzeln direkt ins Gesicht.

Takas Mundwinkel zuckten. „Kleb ihm doch den Mund zu und zwing die anderen zum Reden“, schlug er vor.

„Vielleicht könnten wir damit anfangen, dass Sie uns erst einmal erklären, weshalb Sie uns hierhin gebracht haben“, fuhr der Weißhaarige fort.

„Ich hab zuerst gefragt“, erwiderte Hide-zou triumphierend.

„Ich habe Ihnen doch schon geantwortet“, entgegnete Kaya mit leicht erstauntem Tonfall.

Hide-zou runzelte die Stirn. „Was denn?“

„Auf welche Frage beziehen Sie sich denn jetzt?“

„Was für eine Antwort meinen..., ehm, meinst DU denn?“

„Die auf Ihre erste Frage, bei der Sie behauptet haben, es wäre die einzige Frage, die Sie uns stellen.“

Taka legte gelangweilt den Kopf in den Nacken und begann leise zu schnarchen.

„Welche... was zur Hölle?! Beantworte mir doch einfach die Frage, dann sag ich dir...“

„Sie scheinen ja selbst nicht mehr zu wissen, welche ich beantworten soll“, verteidigte Kaya sich sanft.

„Mein Arm schläft ein“, meldete Taka sich zu Wort und ließ die Pistole ganz zu Boden sinken, musterte Hide-zou anklagend.

Kamijo fühlte sich, als sei er im falschen Film gelandet. Er und Juka wechselten einen Blick. Wer auch immer diese zwei Typen waren, Profis konnten es nicht sein – sonst hätten sie sich nicht auf Kayas verbales Duell eingelassen. Und trotzdem waren sie bewaffnet, unterschätzen sollte man sie also nicht.

„Was haben wir denn getan, dass Sie uns aus unserem Auto hier in Ihr Haus holen?“, wiederholte Kaya seine Frage gerade.

„Weißt du was, ich hab keine Lust mehr“, verkündete Taka, ging zu Kamijo, packte ihn am Kragen und zog ihn mit einem Ruck hoch auf seine Zehenspitzen. „Was wollt ihr hier? Wenn du kein blaues Auge willst, dann würde ich antworten.“ Er steckte seine Pistole weg und hielt seine Faust neben Kamijos Gesicht.

„Sag’s ihm“, murmelte Juka leise.

„Wegen Lay“, fing der Braunhaarige langsam an und widerstand dem Drang, sich etwas zurückzulehnen, um dem Typen vor sich nicht so nah zu sein. „Das war ein-“

Augenblicklich ließ Taka ihn los und sah zu Hide-zou. Der hob die Augenbrauen. „Hat er euch zu uns geschickt?“, wollte er wissen.

„Ja, weil Sie ihn in Ihre kriminellen Machenschaften verwickelt haben!“, gab Kaya heftig zurück. Es war ein Bluff, das war vier der sechs Anwesenden klar. Aber die beiden, auf die es ankam, wussten es nicht.

Hide-zou starrte seinen Partner durchdringend an. Taka trat einen Schritt zurück und hob die Hände. „Hey, ich hab ihm den Stoff nur besorgt, ja?! Was er damit gemacht hat, war seine Entscheidung – ob er ihn verschenkt oder verkauft, damit hab ich nichts zu tun gehabt!“

Da fielen Kamijo mehrere Dinge auf. Erstens: Taka sprach von Lay in der Vergangenheit, er musste also wissen, dass er tot war. Zweitens: Die beiden waren eine Parodie jeglicher Kriminellen. Drittens: Offenbar war Taka ein Dealer. Und Lay war auch einer gewesen. Er schaute kurz zu dem Blonden neben sich, aber der erwiderte seinen Blick nicht.

„Ihr habt ihn umgebracht“, sprach Kaya mit schwacher Stimme das aus, was Hakuei, Juka und Kamijo dachten.

„Haben wir nicht!“, brauste Taka auf der Stelle auf. „Warum sollten wir auch?! Hör mir mal zu, das einzige, was wir mit ihm zu tun hatten, war, dass wir ihm das Zeug beschafft und uns immer mal wieder getroffen haben, klar?? Ich war genauso geschockt von seinem Tod wie ihr auch!“

Oh-oh, dachte Kamijo, Das hört sich aber an, als wäre da noch einiges hinter den Kulissen abgelaufen...

„Das glaube ich nicht“, warf Kaya ein. „Warum hätte er sonst einen Zettel schreiben sollen, auf dem steht, dass er Angst davor hat, umgebracht zu werden, und ebenjener Zettel uns zu genau dieser Adresse, an diesem Tag und zu dieser Uhrzeit geführt hat?“

„Ich hab den Zettel gesehen“, protestierte Hide-zou. „Da stand NICHTS von-“

„Ehm, hör mal“, mischte Hakuei sich beiläufig ein. „Weißt du, du hättest es falten müssen, einmal so und einmal so“, er veranschaulichte durch Gesten, was er meinte, „und dann entlang der Knicke, du weißt schon, und für die Uhrzeit musstest du eine Seerose basteln. Nur so am Rande. Ich wollte auch nicht stören, macht ruhig weiter.“

Kamijo hätte bei Hide-zous dümmlichem Gesichtsausdruck beinahe laut losgelacht, konnte sich allerdings glücklicherweise noch zurückhalten.

„Um zu meiner Frage zurückzukommen“, meldete Kaya sich wieder zu Wort. „Er hat uns zu Ihnen geführt – und das nicht ohne Grund, oder?“

„Wahrscheinlich hatte er einfach Angst“, antwortete Hide-zou schulterzuckend. „Ich meine, schließlich bin ich ein Yakuza“, er betonte das letzte Wort und schien auf ein erschrockenes Aufkeuchen zu warten, als dieses allerdings nicht kam, sprach er weiter, sich vorher kurz räuspernd, „und da er keiner von uns war, war doch die Möglichkeit hoch, dass er uns irgendwann lästig würde, zum Beispiel, weil er uns die Kunden wegnahm oder so etwas, und deshalb...“ Erst, als Taka sich nun vernehmlich räusperte, bemerkte der andere Yakuza, dass er sich gerade selbst ins Knie geschossen hatte. Und zwar ziemlich direkt.

„Womit wir schon mal das Motiv hätten“, murmelte Kamijo, der es sich nicht nehmen lassen wollte, sich auch an der Unterhaltung zu beteiligen.

„Hey, wir haben ihn gemocht, klar?“, schaltete Taka sich wieder ein, dieses Mal noch entrüsteter als vorher. „Er war cool, man konnte gut mit ihm rumhängen. Ich hab ihn auf jeden Fall gemocht. Ich hatte keinen Grund, ihn umzubringen oder mir seinen Tod überhaupt in irgendeiner Weise zu wünschen.“

„Gilt für mich natürlich auch“, nickte Hide-zou.

„Wenn Sie also nichts zu verbergen haben, nicht an seinem Tod beteiligt waren und sowieso sehr nette Menschen sind – warum haben Sie uns dann bewaffnet hierher gebracht?“, warf Kaya mit bemerkenswerter Scharfsinnigkeit ein. „Haben Sie nicht doch vor irgendetwas Angst?“

Taka sah zu Hide-zou. „DU hast mir gesagt, ich soll sie hoch holen...“

Aha. So langsam fügt sich alles zusammen, dachte Kamijo und musste innerlich grinsen. Bleibt nur noch eins, das zu überprüfen wäre... Verstohlen griff er nach Jukas Hand, den Blick weiter auf Hide-zou gerichtet, und drückte sich etwas an den Blonden neben sich. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie Taka zu ihnen sah, kurz auf ihre Hände schaute, ihnen wieder in die Gesichter sah und scheinbar unwillkürlich seine Fingerspitzen bewegte.

„In letzter Zeit sind wir sehr oft an irgendwelche Schnüffler geraten“, redete Hide-zou gerade weiter. „Und da ist es doch nur natürlich-“

„Also wenn Sie mich fragen, sieht Ihr Kollege von Ihrer Erklärung nicht gerade überzeugt aus“, warf Kamijo ein.

Die beiden Yakuza blickten sich an, Taka stirnrunzelnd, Hide-zou ein kleines bisschen nervös. Er zupfte abwesend an seiner Hose herum, ein deutliches Zeichen von Nervosität. Kamijo kannte alle Formen von Stress und Erregung, schließlich hatte er sie alle bekämpfen müssen, um Schauspieler zu werden, und erlebte sie immer noch bei seinen Kollegen bei den Proben oder auf der Bühne.

„Darf ich mal meine Version der Geschehnisse zum Besten geben?“, fuhr er fort und ließ Jukas Hand wieder los, woraufhin Takas Blick erneut zu ihnen huschte. „Sie, Taka, haben Lay kennen gelernt – da war er entweder schon Dealer oder Sie haben ihn dazu gemacht. Sie beschlossen, den Studenten weiterhin mit Drogen zu versorgen, um ihm das Leben einfacher zu machen, und verlangten im Gegenzug dafür, dass er Sie an seinen Körper ließ. Ihr Kollege, Hide-zou, sollte allerdings nichts davon mitbekommen, deshalb täuschten Sie eine flüchtige ‚Arbeitsbekanntschaft’ mit Lay vor und luden ihn immer am Samstag um neun Uhr abends hierhin ein. Unglücklicherweise bekam Ihr Partner allerdings von Ihrer Beziehung zu Lay Wind und war nicht amüsiert, weshalb er ihn kurzerhand umbringen ließ. Er befürchtete bereits, dass Lay in irgendeiner Weise auf Sie beide hingewiesen haben könnte, und wurde deshalb doppelt wachsam, weshalb er Ihnen auch auftrug, uns sofort zu ihm zu bringen. Und wissen Sie, warum er Lay hat umbringen lassen oder ihn vielleicht selbst sogar ermordet hat?“ Kamijo lächelte bitter. „Aus einem ganz klassischen Grund, nämlich aus Eifersucht. Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft...“

Eine Weile herrschte fassungsloses Schweigen. Taka wirkte entgeistert, wie Kamijo so etwas hatte behaupten können, Juka, Hakuei und Kaya wirkten ungläubig, wie Kamijo so etwas einfach hatte in den Raum stellen können, und Hide-zou... Hide-zou wirkte verärgert. Nein, stocksauer.

Mit einem wütenden Knurren stürzte Hide-zou sich auf Kamijo, erreichte ihn allerdings nicht, da Taka ihn vorher am Kragen packte und zu sich riss.

„Sag mir, dass dieser Wicht nicht Recht hat!“, fauchte Taka. „Los, sag es, Hide-zou!“

„Lass mich los!“, forderte sein Partner aufgebracht.

Kamijo nahm die nächsten Sekunden wie in Zeitlupe wahr. Er hatte die Anspannung des Blonden neben sich bereits vorher gespürt, aber dass er sich genau in dem Moment ins Getümmel stürzen würde, hätte er nicht erwartet. Juka schob Takas Jacke beiseite, zog blitzschnell die Pistole hervor, hielt sie Hide-zou an die Schläfe und drückte ab.

„JUKA!“, rief Kamijo entsetzt.

Und dann wanderte der Lauf der Waffe langsam weg von Hide-zous Körper, durch die Luft und hielt erst, als er an Jukas Kopf angekommen war. Er pausierte an der gleichen Stelle wie zuvor bei dem Yakuza. Und Juka drückte ein weiteres Mal auf den Abzug.

Niemand rührte sich mehr. Taka hielt Hide-zou weiterhin fest, Kaya, Hakuei und Kamijo schienen wie festgefroren.

Juka sank langsam auf die Knie, die Pistole fiel auf den Boden.

„Oh mein Gott, Juka“, flüsterte Kamijo in die Stille hinein.

„Warum hast du keine Kugeln?“, wisperte der Blonde und sah zu Taka hoch. „Warum sind keine Kugeln in der Pistole?“

„Es... hätte ja jemand verletzt werden können“, entgegnete der Große zögerlich und ließ seinen Kollegen langsam los.

„Juka...“ Kamijo zog den Angesprochenen wieder auf die Beine und strich ihm über die Wange. Die beiden schauten sich an, und in dem Moment schien die Zeit stehen zu bleiben. Jukas wachsame dunkelbraune Augen starrten in Kamijos und in den wenigen Sekunden, während sie sich einfach nur ansahen, wurde mehr vermittelt als sie hätten je in Worten sagen können. Sie schlangen die Arme umeinander und küssten sich. Es war dem Braunhaarigen vollkommen egal, wie viele Leute ihnen zusahen und was diese von ihm dachten, aber er konnte nicht anders. Er hatte Juka ein zweites Mal beinahe verloren, und das konnte er nicht so einfach übergehen. Jetzt wollte er sichergehen, dass er das, worauf er aufpassen wollte, nicht mehr hergeben musste. Nachdem sie sich erst einmal an die Lippen des jeweils anderen gewöhnt hatten, wurde ihr Kuss inniger, hungriger, wie der von zwei Verdurstenden, die sich nur gegenseitig helfen konnten. Er war sich dessen nicht aktiv bewusst, aber er konnte sich vorstellen, dass um sie herum gerade ein sehr ... befremdete Stimmung herrschte. Aber auch das wäre ihm völlig egal gewesen, hätte er darüber nachgedacht. Für ihn zählte in dem Augenblick nur Juka, Juka, Juka. Selbst Lay war völlig aus seinen Gedanken verschwunden.

„Hier passiert gerade irgendetwas Bedeutendes, oder?“, flüsterte Taka den anderen zu.

„Ja“, stimmte Kaya ihm zu. „Hier haben sich zwei Menschen gefunden, die sich lieben.“ Er und Taka sahen sich an, lächelten gleichzeitig und wandten ihren Blick wieder ab. „Irgendwie hätte ich das vorhersehen können.“

„Dass die beiden sich kriegen?“, wollte Hakuei wissen und hob eine Augenbraue.

„Das sowieso, aber auch, dass ihr erster Kuss keineswegs an einem konventionellen Ort passieren würde“, erwiderte Kaya breit lächelnd.

Ja, darauf hätte ich auch noch gewettet, dachte Kamijo. Er und Juka lösten sich widerwillig voneinander und schauten sich wieder in die Augen, beide glücklich lächelnd.

„Sieht aus, als müssten wir den Begriff ‚seelischen Beistand’ noch erweitern“, merkte Hakuei an.

Kamijo grinste. „Das geht dich überhaupt nichts an.“

„Wo ist eigentlich...“ Taka rannte im selben Moment los, in dem die Haustür der Wohnung zufiel. Man hörte, wie ein Schlüssel herumgedreht wurde und jemand anderes anschließend an der Tür rüttelte. „HIDE-ZOU, DU ARSCHLOCH!“, schrie der Yakuza und trat offensichtlich mit voller Wucht gegen die Haustür. Das Problem dabei allerdings war, dass Türen grundsätzlich nach innen öffneten und daher von innen schlecht einzutreten waren. Keine zwei Sekunden später kam Taka zurück ins Wohnzimmer gestürmt und versuchte, das Fenster zu öffnen.

„Du musst den Griff drehen“, riet Kaya ihm freundlich. „Aber du willst doch jetzt nicht-“

Noch bevor er seinen Satz zuende hatte sprechen können, hatte Taka das Fenster bereits aufgerissen und war hinausgeklettert.

„Darf ich mal?“, fragte Hakuei und griff dem Weißblonden kurz ins Haar, ehe er eine Haarnadel herausholte und damit zur Haustür ging. Die anderen drei dräntgen sich um das Fenster und beobachteten, wie erst Hide-zou aus dem Haus gerast kam und Taka ihm anschließend hinterher hechtete. Es dauerte nicht lange – Taka hatte sowieso einen Vorteil gehabt, da er erstens längere Beine hatte und zweitens höchstwahrscheinlich durchtrainierter war. Er legte einen beeindruckenden Hechtsprung hin, packte Hide-zous Beine und knallte wenigstens mit ihm zusammen aufs Pflaster.

„Das muss wehgetan haben“, murmelte Kaya mitfühlend.

„Kling doch nicht so, als würdest du ernsthaft Anteil daran nehmen“, bemerkte Kamijo.

„Er ist ein netter Mensch“, verteidigte Kaya den Yakuza sofort. „Er hat nichts getan.“

„Außer sehr vielen Leuten Drogen verkauft, Lay zu einem Dealer gemacht und ihn dafür gezwungen, mit ihm ins Bett zu gehen? Doch, da gibt es bestimmt noch irgendwas anderes, Kaya“, versicherte der Schauspieler ihm nickend.

„Aber er ist so stark und so schnell...“

„Das macht ihn auch nicht zu einem besseren Menschen.“

„Und so groß...“

„Hakuei ist nicht viel kleiner.“

„Außerdem ist er SEXY!“, fuhr Kaya den Braunhaarigen gereizt an.

„Ach so, und das ist es, was zählt?“, fragte dieser breit grinsend.

„Die Tür ist offen!“, rief Hakuei aus dem Hintergrund.

Sie trafen Taka, der Hide-zou scheinbar mit Handschellen gefesselt in Gewahrsam genommen hatte, am Hauseingang wieder. Der Größere von beiden wirkte auf eine grimmige Art zufrieden. „Tut mir leid, falls ich euch Angst gemacht habe“, entschuldigte er sich. „Ihr seid cool. Ich hab bis jetzt noch keinen getroffen, der mit uns so umgegangen ist wie ihr.“ Es war klar, dass er damit weder Kamijo, Juka oder Hakuei meinte, sondern ganz eindeutig Kaya.

Der schenkte ihm auch gleich sein strahlendstes Lächeln und berührte ihn kurz am Oberarm. „Aber wir haben bis jetzt auch noch niemanden getroffen, der so war wie ihr“, gab er zurück und kicherte.

„Normalerweise sind wir auch nicht so böse“, merkte Taka grinsend an. „Wir können auch ganz nett sein, weißt du.“

„Aber eure Ausstrahlung ist es doch gerade, was euch so anziehend macht“, widersprach Kaya ihm auf der Stelle.

„Wir gehen schon mal ins Auto“, murmelte Kamijo und zog den Blonden, der seit ihrem Kuss an seiner Hand hing, hinter sich her.

Hakuei folgte ihnen. „Kaya flirtet, oder?“, fragte er leise.

„Das tut er immer“, lächelte Juka.

„Mich hat er auch schon angeflirtet“, stimmte Kamijo ihm breit grinsend zu. „Und dich auch. Aber offenbar waren wir nicht so SEXY wie dieser Kerl da vorne.“
 

|-|=|-|
 

tbc!

A/N: Es ist noch nicht überstanden - ein letztes Kapitel folgt noch.

Seid ihr mit dem Show-Down zufrieden? Teilt mir eure Gedanken mit!

and to the end.

Kapiteltitel: ein Lied von –OZ– ♥

Wörterzahl: 3.404

Beta'd: zufriedenstellend & zufriedengestellt von Tattoo <3 (Danke, dass du bis zum Ende durchgehalten hast!)

Rating: PG
 

|-|=|-|
 

„Um das noch mal klar zu kriegen – du hast dich jetzt ernsthaft, mit voller Absicht und durchaus mit einigen Hintergedanken mit diesem Kerl verabredet?“, fragte Hakuei mit hochgezogenen Augenbrauen und ungläubiger Stimme und sah zu dem Weißhaarigen neben sich.

„Genau“, nickte Kaya mit einem Lächeln. „Aber sag es nicht so, als hätte ich ihn dazu gedrängt – er hat mich überredet.“

„Ich glaube nicht, dass du dabei vollkommen unschuldig warst“, gab der Sänger trocken zurück. „Es wirkte, als wärst du ihm am liebsten gleich auf den Arm gesprungen.“

Kaya kicherte leise. „Er gefällt mir. Gut, ein bisschen mag ich vielleicht geflirtet haben, aber eigentlich kam das meiste von ihm aus.“

„Ich bin immer noch der Meinung, dass du dich nicht mit solchen Typen einlassen solltest“, beharrte Hakuei auf seinem Standpunkt. „Er ist Yakuza. Du weißt nicht, womit er sich sonst sein Geld verdient, er kann schon Menschen umgebracht haben, außerdem ist er ein Dealer. Er ist kriminell, um alles in der Welt!“

„Das ist doch spannend! Das ist doch genau das, was mir so an ihm gefällt. Aber dabei ist er nicht so... stillos, so roh. Er hat irgendetwas an sich. Ich kann es dir nicht erklären, ich bezweifle, dass du es verstehen würdest.“

„Nein, das würde ich wahrscheinlich wirklich nicht.“

„Er hat ein niedliches Lächeln. Und er wirkt wie jemand, der zwar eigentlich sehr brutal und draufgängerisch ist, aber wenn er etwas gefunden hat, das er beschützen will, wird er unheimlich fürsorglich und lieb. Ich wäre froh, wenn ich diese Seite an ihm zum Vorschein bringen könnte, und es scheint, als würde es mir gelingen. Wenn ich ihn näher kennen würde, dann könnte ich vielleicht sogar versuchen, ihn wieder zurück auf die legale Seite des Gesetzes zu bringen. Dann hätte ich auch ein Ziel!“ Kaya wirkte vollends begeistert.

„Du hast recht, ich verstehe es ganz ehrlich nicht. Du willst also versuchen, ihm das Yakuzasein auszutreiben, wenn du ihn dir gekrallt hast? Und du meinst, das funktioniert?“

„Ich hoffe es. Ich kenne ihn natürlich noch nicht allzu gut, aber einen Versuch ist es doch wert.“

„Und es ist dir vollkommen egal, dass er ein Yakuza ist?!“

„Bei ihm schon“, antwortete Kaya aufrichtig und lächelte. „Natürlich kann sich meine Meinung noch ändern.“

„Ich verstehe dich nicht! Sonst gehst du lieber auf Nummer sicher, und jetzt willst du dich in eine Romanze mit einem Kriminellen stürzen! Glaubst du nicht, dass das auch für dich gefährlich werden könnte??“

„Doch, das ist mir schon bewusst. Aber mein Leben war bis vor Kurzem so unspektakulär...“

„Und wenn er dich nun stattdessen mit auf die schiefe Bahn bringt?“

„Dann-“ Kaya hielt inne und musterte den Fahrer neben sich erstaunt. „Sag mal, weshalb regst du dich eigentlich gerade so sehr auf? Ich meine – ohne das böse zu meinen, wirklich –, ich bin doch alt genug, dass ich mir meine Partner selbst aussuchen kann, oder nicht? Und so sehr es mich auch freut, dass du dich um mich sorgst, dein Gefühlsausbruch geht über gut gemeinte Sorge hinaus.“

Hakuei war einen sehr langen Augenblick still. „Ich mach mir wirklich nur Sorgen um dich. Und die ganzen Ereignisse haben mich, glaube ich, ziemlich mitgenommen. Ich meine... Jetzt haben wir nicht nur erfahren, dass Lay mit Drogen gedealt hat, sondern auch, dass er außer Kamijo und Juka noch jemand anderes hatte... Ich muss wahrscheinlich nur eine Nacht darüber schlafen.“

„Das heißt, du lässt deine Überforderung gerade an mir aus?“, schlussfolgerte Kaya mit sanfter Stimme.

„Nein! Das meinte ich nicht...“

„Was denn dann?“

„Ich weiß es nicht! Ich weiß es wirklich nicht!“

Aber irgendetwas stört dich ganz offensichtlich an der Tatsache, dass Kaya sich mit einem anderen trifft, dachte Kamijo und musste lächeln, ehe er seine Lippen zum x-ten Mal für Jukas Zunge öffnete und den anderen etwas enger an sich drückte. Der Blonde hatte sich extra in die Mitte gesetzt, um näher bei ihm zu sein.

„Ich meine nur... warum ausgerechnet er?“, fuhr Hakuei fort.

Als würde das irgendetwas besser machen, meinte Kamijo innerlich und schadenfroh, Du weißt genau wie wir alle hier, dass es dich bei jedem anderen genauso sehr stören würde. Kurz löste er sich von dem Blonden neben sich, um einzuwerfen: „Weil Taka sexy ist. Im Gegensatz zu dir.“

„Das habe ich nicht gesagt!“, protestierte Kaya auf der Stelle.

„Also ist Haku auch sexy?“, fragte der Braunhaarige interessiert.

„Das habe ich auch nicht gesagt“, gab Kaya zurück und lief rot an.

„Findest du ihn denn sexy?“

„Na ja...“ Der Angesprochene warf kurz einen Blick auf Hakueis Körper neben sich.

„Warum fragst du ihn dann nicht, ob er mit dir ausgeht?“

„Weil er nicht an Männern interessiert ist, ganz einfach, ich habe damit schon genug schlechte Erfahrungen gemacht“, erwiderte Kaya brüsk.

„Ach so. Na dann...“ Kamijo ließ im Raum stehen, was er damit meinte, und wandte sich wieder seinem Nebenmann zu. Bitteschön, sprach er Hakuei in Gedanken an, Jetzt ist es an dir – die Fronten sind geklärt. Kneifst du?

„Seid ihr beiden da hinten eigentlich mal langsam fertig?“, meldete der Sänger sich zu Wort, leicht genervt klingend.

Kamijo ließ wieder für einen Augenblick von Juka ab, womit der allerdings nicht zufrieden war und weiter am Hals des anderen knabberte. „Mach, was du willst, Haku, aber bitte – lass deinen Frust nicht an uns aus, ja? Freu dich doch einfach mit uns und sei optimistisch.“

„Das muss ich mir von dir nicht sagen lassen“, entgegnete der Schwarzhaarige finster.

„Du hättest da gerade eben rechts abbiegen müssen“, bemerkte Juka kleinlaut.

Begleitet von einem mehrfarbigen Fluch, der ihm einen empörten Blick von Kaya einbrachte, wendete Hakuei und stand nach kurzer Zeit endlich vor Kamijos Haus. „Da. Bitteschön.“

„Danke.“ Kamijo lächelte und lehnte sich ein wenig vor. „Haku? Dienstag?“

Der Sänger runzelte leicht die Stirn. „Mittwoch?“, fragte er.

Kamijo schaute den Blonden neben sich an. „Mittwoch?“, wiederholte er. Juka nickte. „Mittwoch, Kaya?“

Der Angesprochene schürzte für einen Augenblick die Lippen, um nachzudenken. „Ja, kein Problem!“, antwortete er dann.

„Alles klar. Ich ruf euch an. Kurz scheint das Leben dem Glücklichen, doch wer im Elend, dem scheint selbst eine Nacht unendlich lange zu währen“, fügte der Schauspieler noch hinzu und klopfte Hakuei kurz auf die Schulter, ehe er Juka an der Hand mit sich zog. Sie waren nicht einmal an der Haustür angekommen, da hatten ihre Lippen schon wieder zueinander gefunden, sie zogen sich an wie zwei Magneten, hatten beide das Gefühl. Kamijo fummelte ein wenig mit dem Schlüssel herum, sie stolperten in die Wohnung und schlossen die Tür wieder hinter sich. Anschließend schlang der Braunhaarige seine Arme um den anderen und drückte ihn fest an sich.

„Juka, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt“, wisperte er dem Blonden ins Ohr. „Und zwar ziemlich heftig. Ich will dich nicht hergeben, ich will, dass du mir gehörst, aber ich habe Angst, dich zu erdrücken. Ich will dich beschützen und dafür sorgen, dass du wieder einen Sinn in deinem Leben siehst, aber ich habe Angst, dass ich das nicht schaffe...“

„Das hast du schon“, gab Juka leise zurück. „Am Anfang hast du so unnahbar gewirkt, so, als würdest du über uns allen stehen, als wären wir nicht auf einer Stufe mit dir... aber an dem Tag, an dem ich... du weißt schon. Da bist du eine Stufe zu uns runtergekommen. Und jetzt stehen wir zusammen auf einer. Oder so. Und ich will nicht, dass du wieder nach oben gehst. Weißt du, an dem Tag... da hatte es alles wirklich keinen Sinn mehr für mich. Ich hab da oben gestanden und mich gefragt, wie es wohl wäre, fliegen zu können, ohne sich über die Folgen Sorgen machen zu müssen. Und dann hast du meinen Namen gesagt und sahst so verloren aus, dass ich angefangen hab zu zweifeln. Was hätte ich zum Beispiel gedacht, wenn... Hakuei sich umgebracht hätte? Ich hätte mich furchtbar gefühlt, weil ich ihm nicht helfen konnte. Und... das wollte ich dir nicht antun. Und dann hab ich noch gedacht, ob du vielleicht nicht nur gerade so Tränen in den Augen hast, sondern dass du wirklich nicht willst, dass ich springe, und da wollte ich mir noch eine Chance geben. Ich hätte mich vor der Beerdigung umbringen müssen, da hatte ich keinen, den ich mit meinem Tod unglücklich gemacht hätte. Aber so...“

„Oh mein Gott, Juka...“ Kamijo schüttelte den Kopf und biss sich fest auf die Lippe, um seine Tränen zurückzuhalten. „Mach so was nicht noch mal. Versprich es mir. Versprich es mir ehrlich, dass du so was nie wieder machst...“

„Ich versprech’s dir.“ Der Blonde lehnte sich etwas zurück und schenkte Kamijo ein Lächeln. „Ich versprech’s dir wirklich.“

Und schon lagen ihre Lippen wieder aufeinander.
 

Kamijo schlug die Augen auf. Sein Zimmer war hell, die Decke über ihm ebenfalls, er fühlte sich ausgeschlafen und dennoch angenehm erschöpft, Jukas regelmäßiger Atem beruhigte ihn. Das hier müsste eigentlich das Happy End sein, dachte er bei sich, Hier könnte es aufhören. Er lag da, blinzelte immer mal wieder, zog den Blonden neben sich näher an sich heran und versuchte, nicht an das zu denken, was sich ihm die ganze Zeit aufzudrängen versuchte. Er drehte den Kopf zur Seite, musterte Jukas friedliches Engelsgesicht und fragte sich ‚Warum eigentlich nicht?’. Und dann ließ er es zu.

‚Yo. Lust auf ein bisschen Gesellschaft? Und wenn’s nur für die Nacht ist?’

‚Seh ich aus, als würde ich mich für halbstarke Jugendliche interessieren?’

‚Man weiß ja nie. Die komischsten Leute interessieren sich für mich. Ich hatte schon einen Schlagzeuger, einen Maurer und einen begeisterten Leserbriefschreiber. Was bist du?’

‚Schauspieler.’

‚Du würdest dich gut in meiner Sammlung machen. Willst du’s nicht vielleicht doch mal ausprobieren? Erotik ist Überwindung von Hindernissen. Das verlockendste und populärste Hindernis ist die Moral.’

‚Wenn ich ehrlich sein soll – auf mich wirkst du nicht wie ein ganz normaler Stricher...’

‚Schon Erfahrung, hm? Aber du hast schon Recht, eigentlich studiere ich noch.’

‚Aufschlussreich zu sehen, mit was die Jugend sich heute ihr Studium finanziert.’

‚Deshalb geh ich nicht auf den Strich.’

‚Ah?’

‚Nervenkitzel. Ich will alles mal ausprobiert haben. Drogen und diesen ganzen Mist hab ich hinter mir, jetzt widme ich mich anderen Dingen.’

‚Und du meinst, dass man seinen Körper unbedingt einmal verkauft haben muss?’

‚Nein, das denke ich nicht. Aber ich wollte mal ausprobieren, wie es ist. Ich bin allerdings noch recht vorsichtig, ich nehm nicht jeden, ich hab einen bestimmten Preis und Absicherungen und so weiter – ans richtig harte Geschäft traue ich mich nicht ran.’

‚Sollte ich mich jetzt geschmeichelt fühlen, dass du ausgerechnet mich angesprochen hast?’

‚Solltest du durchaus, ja. Du gefällst mir und das will was heißen. Und wer weiß, vielleicht wirst du ja mein „Stammkunde“, wenn du verstehst, was ich meine... Dann würde ich auch mit dem Ganzen hier aufhören. Auf Dauer ist es nämlich echt anstrengend – aber ich wollte mir noch ein paar Nächte geben, um eventuell jemanden zu finden, mit dem ich zusammen sein kann. Vielleicht bist du ja der, nach dem ich gesucht habe.’

‚Wir werden sehen.’

‚Das heißt, du lässt dich auf mich ein? Gute Wahl, sag ich dir, gute Wahl...’

... ... ... ...

‚Wenn ich dir jetzt das sage, was ich vorhatte, dir zu sagen, und was auch eigentlich die Wahrheit wäre, dann würdest du es als Anlass nehmen, dich noch toller zu finden, deshalb schluck ich es runter und versuch, es zu ignorieren.’

‚Was?’

‚Ich liebe dich.’

‚..... Was?’

‚Sag ich ja – tief in deinem Inneren belächelst du mich müde und fügst mich einer Liste hinzu, von Leuten, die sich in deine wunderbare Erscheinung verliebt haben, die du mit deinen falschen blauen Augen hattest blenden können, die von dir überwältigt waren, die dich nur so gesehen haben, wie du sie hattest sehen lassen... Aber ich sag’s dir: Mich kannst du nicht täuschen. Ich kann an der Schale vorbei sehen, ich sehe, dass du von Grund auf verdorben bist. Und ich liebe dich dafür. Du wirst wenige Menschen treffen, die so über dich denken.’

‚Ich...’

‚Und jetzt weißt du nicht, was du sagen sollst, nicht wahr?’

‚Genau.... Ich kann dich nicht lieben. Nicht so. Du bist... ich weiß nicht. Ich kann es nicht.’

‚Ich weiß. Und dafür liebe ich dich auch.’

‚Ich...’

‚Sieh’s ein: Du kannst mich nicht verscheuchen. Im Gegenteil. Ich will mit dir durchbrennen.’

‚Was??’

‚Ich mein’s ernst. Ich schmeiß alles. Ich will mit dir zusammen sein, ich will mit dir irgendwohin durchbrennen, wo uns keiner kennt.’

‚Das kann ich nicht. Ich...’

‚Ich weiß. Das weiß ich auch. Es war auch keine Aufforderung, sondern ein Wunsch. Aber du kannst und willst ihn mir nicht erfüllen. Deshalb werde ich wohl alleine abhauen.’

‚Du...’

Kamijo hatte nicht einmal bemerkt, dass er angefangen hatte zu weinen oder dass Juka aufgewacht war oder dass er es gewusst hatte. Der Blonde betrachtete ihn vollends besorgt, hatte ihn offensichtlich bereits mehrere Male angesprochen und wischte ihm vorsichtig die Tränen von den Wangen.

„Rede mit mir“, murmelte der andere leise. „Bitte...“

„Ich liebe dich“, wisperte der Braunhaarige zurück und schlang seine Arme um Juka, klammerte sich beinahe an ihm fest.

„Ich dich auch, Kamijo. Ich dich auch.“
 

„Schade, dass Kaya heute nicht kommen konnte“, seufzte Kamijo in einem bedauernden Tonfall und warf Hakuei einen Blick zu. „Aber offensichtlich war ihm sein drittes Date mit Taka wichtiger...“

„Ja, scheint so“, gab der Sänger knapp zurück und zündete sich eine Zigarette an. Sie saßen zu zweit in seinem Wohnzimmer, hatten sich bis vor Kurzem lange über Lay unterhalten und Erinnerungen ausgetauscht.

„Aber über den Grund, aus dem Juka nicht hier sein kann, sollten wir uns freuen“, fügte der Braunhaarige noch lächelnd hinzu. „Noch mal danke, dass du ihm diesen Job besorgt hast.“

Hakuei zuckte mit den Achseln. „Kein Thema. Wir können sowieso immer noch Stylisten gebrauchen, und Juka hat gute Ideen. Außerdem ist er jung, das ist nie ein Nachteil. Und bei euch läuft alles gut?“

Kamijo nickte. „Tut es, ja. Es geht ihm auf jeden Fall besser, er wirkt glücklich. Ich bin so froh, dass er... dass er noch lebt. Er hat mir versprochen, dass er... es nie wieder versuchen wird, und so gutmütig, wie er ist, hat er das hundertprozentig ernst gemeint.“

„Das ist schön.“

„Und was ist mit dir und Kaya?“, warf der Schauspieler betont beiläufig in den Raum.

Hakuei verzog keine Miene. „Was soll mit uns sein?“

„Ach... ich meine nur, dass es dich merklich gestört hat, dass Kaya sich mit diesem Typen verabredet hat.“ Er widerstand dem Drang, gelangweilt seine Fingernägel zu begutachten.

„Wie ich da schon betont habe – ich habe mir Sorgen um ihn gemacht. Ich meine – er ist ein Yakuza!“

„Natürlich. Wer hätte sich da keine Sorgen gemacht?“, bemerkte Kamijo verständnisvoll nickend.

„Du, zum Beispiel. Du und Juka, ihr habt nicht gewirkt, als würde es euch groß stören“, entgegnete der Schwarzhaarige leicht gereizt.

„Warum wirst du eigentlich gleich immer so offensiv, wenn man dich auf Kaya anspricht?“, wollte Kamijo wissen und hob erstaunt die Augenbrauen. „Ist er etwa dein wunder Punkt?“

„Warum sollte er?“

„Und warum antwortest du auf Fragen häufig mit Gegenfragen?“

„Weil ich deine Fragen überflüssig und nicht berechtigt finde, deshalb muss ich dir auch keine Antwort geben.“

„MIR musst du die Antworten auch nicht geben, es reicht, wenn du sie dir selbst gibst.“ Der Braunhaarige lächelte leicht. Manchmal hatte er das Gefühl, dass das wahre Leben auch ein Theaterstück war. Die Reaktionen konnten vorhersehbar oder unerwartet sein, aber meistens wusste er, in welche Richtung es gehen würde. Manchmal konnte man Menschen manipulieren, als würde man auf einem Instrument spielen, manchmal überraschten sie einen so mit ihren Gefühlsausbrüchen, dass man nur noch reagieren konnte, ohne nachzudenken.

„Hör mir mal zu, Kamijo. Wir kennen uns jetzt ein paar Wochen, okay. Wir haben einige Sachen gemeinsam durchgestanden, wir haben uns gegenseitig geholfen, wir haben Zeit miteinander verbracht und wir sind durch Lay sowieso verbunden. Aber das gibt dir nicht das Recht, dich auf diese Weise in mein Leben einzumischen.“

Ja, das kannte er auch. Als-ich-dich-noch-brauchte-warst-du-ganz-hilfreich-aber-jetzt-verschwinde-endlich. „Du stehst auf ihn, oder?“

Hakuei schwieg.

„Hättest du einen Ton Kaya gegenüber gesagt, dann hätte er sich sofort mit dir eingelassen. Also, warum hast du nichts-“

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du nicht Gott bist? Dass du keine Gedanken und noch weniger in den Gefühlen anderer Leute lesen kannst? Das magst du dir einbilden, bitteschön, da kann dich keiner aufhalten, aber dann behalte es doch bitte für dich. Ich habe kein solches Interesse an Kaya, und er auch nicht an mir. Und selbst wenn, dann würden wir das Ganze schon alleine hinbekommen, ohne, dass du uns irgendwie verkuppeln musst.“

„Warum bezeichnest du mich eigentlich ständig – offen oder unterschwellig – als arrogant?“

„Vielleicht weil du’s bist – hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht?“

„Arroganz ist die Perücke geistiger Kahlheit – ich finde nicht, dass ich eine Perücke brauche.“ Kamijo lächelte wieder. „Aber so leid es mir auch tut, ich muss jetzt leider schon gehen. Ich hab mich mit Juka für die Mittagspause verabredet.“

„Mach ihn nicht unglücklich.“

„Werde ich nicht.“
 

|-|=|-|
 

Das nächste Mal treffen sie sich auf einer weiteren Beerdigung. Er schaut sich das Spektakel an, mustert die trauernden Gesichter und freut sich. Es ist pure Schadenfreude, warum, das kann er selbst nicht so genau sagen. So ist er einfach – selbst jetzt noch.

Er findet es allerdings schade, dass es Kaya getroffen hat. Er hat es eigentlich nicht verdient, er war lieb und nett – obwohl er ihm die gleiche Antwort auf seine Frage gegeben hat wie die anderen drei. Bei Kamijo hat er es voraussehen können, bei Hakuei hat er es geahnt, bei Kaya war es lediglich eine Interessensfrage und bei Juka hat es ihn ehrlich überrascht. Ihn hat er als letztes gefragt, aber auch seine Antwort war dieselbe wie die der anderen.

Er hat darauf gewettet, dass Juka als nächster dran ist – es war auf jeden Fall am wahrscheinlichsten. Schließlich hat er sich ausgerechnet auf Kamijo eingelassen, den egozentrischen, nichts-auf-die-Reihe-bekommenden und genusssüchtigen Kamijo, der nur das Theater mehr liebt als sich selbst. Er hat gewettet, dass Kamijo den Blonden enttäuscht, ihn schwer innerlich verletzt und der andere sich doch umbringt. Es hat ihn überrascht zu sehen, dass sie nur wenige und auch nur kleinere Streits erlebten, aber offenbar hat Kamijo sich wirklich verändert – wenigstens Juka gegenüber. Er trinkt nicht mehr so viel. Rauchen tut er zwar immer noch, aber er isst regelmäßig, säuft sich nicht mehr in den Schlaf und hat etwas, für das es sich zu leben lohnt neben seinem Job. Wahrscheinlich hält er Juka für ein kleines Vögelchen, das er gefunden hat und nun versorgt. Die Frage ist allerdings – was tut er, wenn das Vögelchen beschließt, das Nest zu verlassen? Nein, das wird nicht passieren. Juka wird ein Vögelchen bleiben, bis ans Ende seines Lebens. Das macht ihn so liebenswert, und es macht ihn gleichzeitig so verletzlich. Er und Kamijo sind händchenhaltend bei der Bestattung aufgetaucht, haben angemessen getrauert und einige der Gäste kennen gelernt.

Hakuei geht zur Beerdigung und anschließend gleich nach Hause. Es bereitet ihm sichtlich Unbehagen, sich in Kamijos und Jukas Gegenwart zu befinden, gegen Juka hat er nichts, aber zwischen ihm und Kamijo sind gewisse Spannungen. Es ist, als würde er denken, dass seine Präsenz bei dieser Veranstaltung Beweis genug für sein Interesse für Kaya ist. Und dabei war Kaya ja nur einer unter drei – Hakuei hat auf sie alle ein bisschen gestanden. Auf Kaya, weil er eben Kaya war, auf Kamijo, weil er so selbstbewusst war, dass man ihm am liebsten eine scheuern würde, und Juka, weil er so hilflos war. Er hat Hakuei nicht komplett dazu gebracht, auf Männer zu stehen, aber er hat gute Arbeit geleistet, findet er. Es ist niedlich mit anzusehen, wie der Sänger sich einreden muss, dass er gerade eine neue Freundin gefunden hat. Sie wird ihn nicht glücklich machen. Sie ist zu einfältig, zu ungebildet, zu blond für ihn. Juka ist auch blond, aber er hat noch Moralvorstellungen.

Er fühlt sich gut, während er drei Menschen beobachtet, die er gut kennt, von denen er immer mehr kennen gelernt hat, von denen er unheimlich viel weiß. Sie interagieren miteinander, aber sie kennen sich nicht so gut wie er sie.

Er möchte ihnen mitteilen, dass er sie alle geliebt hat, auf seine Weise. Aber er hat sein eigenes Theaterstück inszeniert, hat sein eigenes geschrieben, hat es in die Wege geleitet und beobachtet. Er ist ein Zuschauer, und die drei, vormals vier, sind seine Schauspieler. Seine ganz persönlichen.

Er wartet auf den Tag, an dem er sie wiedersieht, an dem er ihnen sagen kann, was das Ganze soll. Auf Kaya muss er nicht mehr warten.
 

|-|=|-|
 

the end.

A/N: Geschafft. Was sagt ihr? Ist es ein angemessenes Ende oder zu fröhlich/traurig?

Ich hoffe, es wird klar, dass eine Geschichte nicht 'einfach zuende geht'. Mir hat das Schreiben sehr viel Freude bereitet, hoffentlich war das Leseerlebnis genauso =) Auch an euch danke, dass ihr es bis zum Ende geschafft habt!

Mein ganz besonderer Dank gilt vor allem Tattoo (die sich durch die ersten Kapitel durchgebissen hat) - danke für alle Ratschläge und fürs beta'n! Wo wär ich ohne dich<3

Und dann noch ein großes Danke an abgemeldet, abgemeldet, Asmodina und almightywarumono, die ihr auch bis zum Schluss durchgehalten und kommentiert habt! ^^

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Kommentare zu dieser Fanfic (29)
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Von: abgemeldet
2014-11-22T18:27:57+00:00 22.11.2014 19:27
okay...
Das Ende hat mich nun doch etwas überrascht
ist Kaya nun durch seine neue "Flamme" zu Tode gekommen?
und das Lay das letzte "Wort" hatte, hab ich auch erst beim 2. durchlesen kapiert..


aber Kaya und Kamijo hast Du richtig toll beschrieben
*-*
hatte schon die Möglichkeit mit beiden kurzen smaltalk zu halten und Kaya ist wirklich die hübscheste, männlichste Lady der ich gegenüberstand
und Kamijo ein perfekter Gentleman
beide haben eine Wahnsinns Ausstrahlung und sind fantastische Sänger

und ich konnte mich so gut in diese FF rein versetzen
hab bei Jukas Versuch sich vom Dach zu stürzen mit allen, besonders mit Kamijo gelitten

um so schöner dann das erst zaghafte annähern von Juka und Kamijo...
ich hab mich für die beiden gefreut...

obwohl ich eigentlich Happy Ends mag, muss ich zugeben dass bei Dir die Todesfälle zwar traurig sind, aber in dem Bereich wo ich dann doch nur hin und wieder eine kleine Träne auf Reise schicke

wieder eine wundervolle Story
Daumen hoch für Deine genialen Ideen und Schreibweise

Lieben Gruß
Aya-chan60 ^-^

Von:  Sylphide
2012-08-20T23:01:33+00:00 21.08.2012 01:01
oh my, darf ich sagen, dass ich deinen schreibstil einfach liebe?
man ist wirklich einfach mittendrin und fühlt mit den charakteren.
das ende kam dann erst recht überraschend.
waren kaya, warum? aaah, ich fand ihn so toll in dieser ff :o
ich hoffe du liest meinen kommi noch, dann weißt du, dass du einen neuen fan hast <3
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T09:29:21+00:00 12.04.2012 11:29
Ohhhjaaaaa~ Das mit Kaya kam jetzt irgendwie unerwartet und traurig...aber eigentlich hätte ich es mir ja schon denken können...es gibt keine FFs von dir in denen niemand stirbt! /DDDDDD ♥ Naja nicht dass es was schlechtes wäre ich mag das Drama~ Und es is wesentlich angenehmer zu lesen als diese Happy-Peppy-alles-ist-toll-und-jeder-liebst-sich-Happy Ends die leider die meisten FFs haben =A= Da ist es umso erfrischender all die Dramatik und Morde von dir zu lesen ;3
Hakuei war eigentlich der Einzige den ich in dieser FF mochte, also rein von den Musikern her~ Du hast es allerdings geschafft mir Kamijo doch ganz sympatisch zu machen :3 Und auch Juka mochte ich am Ende total obwohl er mir zu Anfang der Story eher auf die Nerven gegangen ist~~ Kaya ist so...naja er und Mana sind so Chara's die mir eigentlich auch eher auf die Nerven gehen weil ich dieses verhaltene und transige nicht mag /DDDD Aber hier hat er mir erstaunlicherweise auch ganz gut gefallen und ich war relativ froh dass aus ihm und Hakuei nichts geworden ist ♥ Mein Hakuei braucht keine Tucke! XDDDDD

Rundum eine tolle FF! Oh und ich will nicht wissen wie viele Benachrichtigungen du jetzt wieder hast weil ich meine Nacht damit verbracht habe ganze 3 FFs von dir zu lesen...und ich bin immernoch nicht müde...also pass auf könnte passieren dass ich mich auch noch an eine 4. ranschmeiße heute ;P Jetzt brauch ich allerdings erstmal ne Dusche /DDD Wobei mir ist ja aufgefallen dass ich das schonmal gemacht hab XD Vielleicht erinnerst du dich? Gab mal ne Nacht in der hab ich "Glamour Fashion", "50 Mio Yen" und "Demonic Possession" gelesen und alles kommentiert...erinnerst du dich? Hast mir sogar damals en Item geschenkt und so...is aber schon eeeeeeeeewig her ^^'' War auch noch mit meinem alten Account und so...naja wie auch immer ich will hier nicht alles zuspammen XD ♥

Tolle FF! ^0^
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T09:00:05+00:00 12.04.2012 11:00
OMG was für ein Showdown! O____O Wie sich die Ereignisse plötzlich überstürzt haben und als das mit der Pistole kam dachte ich wirklich Juka wäre tot...was ja nichts neues bei deinen FFs wäre, stirbt ja öfters mal jemand /DDD ♥ Aber ich bin froh dass er überlebt hat. :3 Und endlich haben sich auch Kamijo & Juka bekommen, irgendwie hab ich das Pair im Laufe der Story ins Herz geschlossen~ Und wie es aussieht hat Kaya auch jemanden gefunden den er in Zukunft daten kann >D
Nur Hakuei ist forever alone T^T Soll er halt zu mir kommen x3 ♥
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T08:40:40+00:00 12.04.2012 10:40
Haha OMG XDDDD Kamijo & Juka....irgendwie hätte man das ja schon kommen sehen können..../DDDDD Aber ich war wohl zu verblendet wegen Hakuei...*hust* XD

Kamijo ist mir auf jeden Fall schon sympatischer geworden...seit dem Suizid-Versuch von Juka wirkt er nicht mehr so arrogant und in der Gruppe deplaziert wie vorher O3OY Wobei natürlich Juka auch irgendwie sympatischer geworden ist...ich hatte ihn ja ähnlich wie Kamijo für einen naiven kleinen Jungen gehalten aber jetzt durfte er mal zeigen was wirklich in ihm steckt! :3

Und Hakuei ist irgendwie der Einzige der sich so richtig für Lay bzw. seine Todesumstände zu interessieren scheint...immerhin hat er immer Vorschläge bzw. findet als erstes was Neues raus ♥
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T08:12:41+00:00 12.04.2012 10:12
Haha OMG XD Das mit Lay's Tod ist wirklich ein wenig unheimlich @____@ Und mein Hakuei ♥ ♥ ♥ Kein Wunder dass Kamijo ihn will...wer würde ihn nicht wollen? /DDD Aber er kriegt ihn nicht! Nöööö! XDDD Er soll sich mal lieber Kaya nehmen....wenn ich das mal so recht betrachte is Kamijo ja schon so ne kleine Schlampe...erst träumt er vom Sex mit Juka, dann will er was von Hakuei...und mit Kaya hat er auch schon geflirtet /DDD
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T07:49:56+00:00 12.04.2012 09:49
Awwww Hakuei *O* ♥ Wie er straight ist....dann kann er mich nehmen XDDDD
Und wie ich tatsächlich dachte Kamijo und Juka...und dann träumt er nur /DDDD Haha zwischen den beiden könnte ja eig. echt was laufen...wobei mir Kamijo und Kaya i-wie lieber wäre ;3
Von:  Trashxbaby
2012-04-12T07:27:56+00:00 12.04.2012 09:27
Uuund noch eine gefunden! /DDDD ♥ Hachjaaa mein Hakuei :3 Und irgendwie ist es ja schon etwas makaber sowas auf einer Beerdigung zu erfahren...also das man nicht der Einzige war o3o Armer Kamijo...irgendwie mag ich ihn :D Juka ist komisch...und nervig XD Ich mein gut er hat gerade jemanden verloren...aber trotzdem. XD Und wie es hier schonwieder um Lay geht....Nhhh~ XD Naja er ist ja tot. Von daher /D
Von:  Mado-chan
2010-10-19T22:09:05+00:00 20.10.2010 00:09
es war soo toll *-*
schade das haku sich nich zu kaya durchringen konnte.
Aber schön, dass eszwischen Kamijo und Juka so schön geklappt hat.
Ich hatte ja erst wirklich auf Kamijo und Haku gehofft, aber so ist es auch sehr schön.
Leider verstehe ich nicht warum Kaya tot ist, bzw. ich würde gerne den Grund erfahren. Ich finde es traurig >.<
Besonders da es im ersten Moment von Lay sich so anhörte, als ob jetzt jemand die andern alle umbringen will.

Ich hoffe Hacchan finde noch einen Kerl für sich.... vielleicht trifft er ja Rose +lach+ XDD
lg
Mado
Von:  almightywarumono
2010-08-01T10:13:38+00:00 01.08.2010 12:13
aaw das ende hat mich echt gerührt...
..nich weil kaya gestorben ist sondern dass es so
aus der sicht von lay kam... echt schöne idee~ ♥

ach die FF war schon echt toll..
..schon wieder zuende argh ich hasse sowas xD

...armes hakubaby xD


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