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Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil 2

Zwischen Gott und Teufel
von

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Rache

Morgan und seine Freunde saßen noch immer, als ich die Schenke betrat und schweigend und seelenruhig zu ihnen hinüber ging. Ich stellte mich etwas abseits an den Tresen, noch immer in meinem Unhang und verlangte recht kühl:

„Ein Bier.“

Die Wirtin sah mich nicht an, während sie meiner Bitte nachkam und ich spürte die Blicke des Rothaarigen, der damit rechnete, dass ich einen Streit anfangen würde. Amy hatte ich zurückgelassen. Das Mädchen war erschöpft vom Weinen und brauchte Ruhe, zudem wollte ich nicht, dass sie mit hinunter kam. Noch nicht.

Ich sah, dass ihre Ziehmutter wissen wollte, was geschehen war. Allem Anschein nach war sie mit Absicht im Untergeschoss gewesen, damit Morgan unten blieb und nicht erneut hoch ging. Ihre Hilflosigkeit und Unwissenheit nahm mich etwas mit. Sie wusste weder, wie es dem Kind ging, noch, was der Mistkerl ihr angetan hatte. Wenn ich eines hasste, waren es Männer, die Schwächere schlugen. Aber wenn diese Schwächeren Frauen waren, dann wurde ich fast blind vor Wut. Bevor ich in das Heim gekommen war, hatte ich bis zu meinem fünften Lebensjahr bei meiner Mutter gelebt. Sie war oft von meinem Vater geschlagen worden, zumindest glaubte ich das. Ich meinte, mich erinnern zu können, wie sie vor mir stand, mit einem blauen Auge und einem schwachen Lächeln. Meine einzige Kindheitserinnerung und vielleicht nur Einbildung, aber wenn ich ein solches Weibsbild sah, dann dachte ich an sie, an Mary-Ann oder all die anderen Frauen, die sich nicht von ihren Männern scheiden lassen durften und die dies laut heiliger Schrift sogar verdient hatten.

Mit einem unsicheren Blick der Wirtin und düsteren der Bande nahm ich das Bier entgegen, trank einen Schluck und stellte den Krug zurück auf den Tisch. Ich griff in meine Tasche und legte ein Silberstück daneben, bewusst und langsam legte ich erst die Kante des Stückes auf das Holz, dann ließ ich es laut klacken.

„Für einhundert Heller kriege ich wohl besseres Bier, nehme ich an?“

Meine Stimme war rau und leise, ungewohnt ruhig noch dazu. Johnny und der Mann mit Mütze sahen Morgan kurz an, wie um zu überprüfen, ob auch ihm meine Veränderung aufgefallen war. Dies war durchaus der Fall. Der Rothaarige stellte nun auch seinen Krug zur Seite, denn er war darauf gefasst, dass ich mich als nächstes an ihn wandte.

Marie, sichtbar eingeschüchtert von der geladenen Stimmung, erklärte leise: „Das ist mein bestes Bier, Falcon. Auch wenn Ihr nun ein feiner Herr zu sein scheint, ich kann Euch nichts Besseres geben.“

„Das könnt Ihr sicher.“, ich nickte zur Tür hinter Marie. „Im Lager ist sicher welches.“

Sie verstand den Wink und schluckte schwer. Würde sie nach nebenan gehen, würde sie ihren Mann verraten, dennoch nickte sie, steckte das Geld ein, kramte den Schlüssel hervor und drehte ab.

„Marie…!“, knurrte Morgan, der scheinbar leicht unsicher wurde. Doch sie erwiderte nur gereizt:

„Der Gast verlangt besseres Bier, also soll er welches bekommen.“, und mit einem drohenden Blick fauchte sie, während sie eintrat: „Das hier ist noch immer mein Wirtshaus, Morgan Cunningham!“, ich sah schweigend auf den Tisch vor mir und nickte nur, während sie mit einem Lächeln hinzufügte: „Es kann einen Moment dauern, darin herrscht das Chaos in Person.“, und schon ging die Tür zu und wir waren allein.

Gut eine Minute lang geschah nichts. Man hörte das Poltern aus dem scheinbaren Lager, ab und an, wie einer von den Dreien etwas aus seinem Krug trank und für einen kurzen Moment das Zischen einer ausgehenden Kerze. Der Wind pfiff durch die Fensterläden und ich hörte, wie der Mann mit Mütze neben mir sich am Bein kratzte.

Johnny stand irgendwann unerwartet auf und erklärte: „Ich geh pissen.“, und damit verschwand er durch die Eingangstür. Nun waren nur noch Morgan Cunningham und sein Partner mit Knollnase und Mütze unmittelbar direkt neben mir da. Ich sah keinen der beiden an, als ich in den Raum fragte:

„Schmeckt das Bier?“, kurzes Zögern, dann ein bejahendes Brummen als Antwort. Ich musste schmunzeln. „Kein Wunder, wenn ich es zahle.“

„Suchst du Streit?“, fauchte der Rothaarige gereizt. Wie erwartet war er ungeduldig und aggressiver, als nötig.

Ich zuckte mit den Schultern. „Habe ich den mit Euch nicht schon?“

Morgan wurde finsterer und starrte mich an. Sein Partner hielt sich interessanterweise völlig raus und trank seelenruhig einen weiteren Schluck seines Getränks. „Was soll das, du gelehrter Schnösel?! Geh auf dein Zimmer zu deinem Balg und lass mich in Ruhe…!“

„Lass du doch mich in Ruhe, Morgan.“, antwortete ich bewusst unhöflich und entgegnete seinen Blick. „Soweit ich weiß, lauert ihr doch mir auf und nicht umgekehrt. Woran liegt das? Bist du nicht in der Lage, dir dein eigenes Geld zu verdienen?“, ich musste grinsen. „Das ist das dumme bei euch Pöbel, die weder lesen, noch schreiben können. Bis auf einfache Berufe könnt ihr halt nichts machen.“

Wütend sprang er auf, scheinbar hatte ich einen Nerv getroffen. „Wag es nicht, zu behaupten, ich wäre dumm, du verfluchter-…!“, doch weiter sprach er nicht. Auch ich erhob mich, jedoch um einiges ruhiger und sah ihn gelangweilt an. Wütend baute er sich direkt vor mir auf, stieß mir gegen die Brust und zischte: „Du denkst wohl, weil du Bücher abschreibst, bist du was besseres?“, aufgeblasen schnaubte er. „Vielleicht sollten wir dir mal wieder ein wenig mehr Zeit schenken, damit du dich erinnerst, wer der Stärkere von uns beiden ist?“ Nun stand auch sein Partner auf und lehnte sich gelassen gegen den Tresen. Er rückte seine Mütze zurecht und musterte mich von oben bist unten. Wie Morgan war er einen geringen Teil größer als ich und sicherlich um Längen stärker, aber ich hatte nicht vor, mich davon aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich ließ mich zurück stoßen und stellte mich mit Absicht in die Rolle des Schwächeren und zugleich naiveren. Anheizend lachte ich:

„Ohne deine Freunde traust du dich noch nicht mal, mir aufzulauern!“

„Ach nein?!“, er stieß mir abermals gegen die Brust und ich stolperte zurück. Sofort rückte Morgan nach, um mich noch einmal zu stoßen.

„Nein, weil du ein feiger Bastard bist.“

„Dir werde ich zeigen, wer feige ist!“

„Ja? Da bin ich aber mal gespannt. Auch ohne deinen Freund?“, und bei dieser Frage nickte ich zum Tresen. Unbewusst folgte Morgan meinem Blicke und so schaffte ich es ihn zurück zu lenken, fern von der Tür, wieder näher ins Rauminnere. Er drehte sich zurück zu mir und zischte:

„Ja, auch ohne ihn! Du wirst dir wünschen, deine Klappe nicht so aufgerissen zu haben…!“

Dann tat Morgan das, was ich mir erhofft hatte. Er zog ein Messer, wie Amy es mir vorhersagte, denn wenn er allein war, griff er stets zu den Äußersten Mitteln. So kam er drohend näher an mich heran und seine Augen waren eine Mischung aus Trunkenheit und Mordlust. Mit Absicht wich ich zurück und begann einen großen Kreis zu schlagen und hob abwehrend die Hände. Ich tat erschrocken und stammelte:

„Morgan, mach keinen Mist…! Steck die Waffe weg!“

Doch das feuerte ihn nur noch mehr an. Mit meinen Schritten lenkte ich ihn so, wie ich es wollte.

„Bekommst du jetzt Schiss oder was?!“

„Morgan, steck die Waffe weg!“, forderte ich leicht ängstlich erneut und stolperte etwas. Er stürzte vor und es gelang mir, aus zu weichem. Sofort folgte er wieder meinem Kreis, diesmal in die andere Richtung. „Morgan, ein kleiner Streit ist keinen Mord wert…!“

„Halt den Rand und kämpfe!“, er schrie mir so laut entgegen, dass kleine Speicheltropfen durch die Luft flogen. Die weißen Sprühen landeten auf dem Holzboden, der Mann mit der Mütze trank einen Schluck Bier und die Glocken der Kathedrale begannen neun Uhr einzuläuten. Sie waren so laut, dass jeder, wirklich jeder es hören konnte, auch Amy.

Wie auf Bestellung ging im ersten Stockwerk die Tür auf, dann wieder zu und leise Schritte näherten sich der Treppe.

Ich bekam das mit, ich wusste schließlich worauf ich achten musste. Morgan jedoch bemerkte es nicht. Das einzige, was er sah waren meine Augen und der Bereich dazwischen, in den er wahrscheinlich die Klinge jagen wollte.

„Ich bringe dich um…!“, zischte er mir wie im Wahn zu, um sich selbst hinein zu steigern. „Du hast lange genug getan, wozu du Lust hattest! Dämlicher Annoncer! Leute wie dich sind hier nicht willkommen!“

Bei dem letzten Satz hatte er wieder angefangen zu schreien und fast schon panisch stolperte ich unbeholfen weiter nach hinten.

„Morgan, beruhige dich…!“, flehte ich. „Es war nicht so gemeint, ich gebe dir das Geld, aber bitte hör auf damit…!“ Doch es kam gar nicht an.

Der Nachtwächter begann zeitgleich seine Patrouille, so wie jeden Abend, nachdem er die Lampen angezündet hatte. Laut hörte man ihn durch die Fensterläden hindurch singen:

„Hört, Ihr Herrn, und lasst euch sagen,

unsere Glocke hat neun geschlagen.

Löscht Feuer und Licht, dass man nichts sieht

und dass dem Haus kein Leid geschieht.

Menschen wachen kann nichts nützen,

Gott muss wachen, Gott muss schützen

Herr, durch deine Güt und Macht-…“

Doch weiter kam er nicht. Morgan stürzte auf mich und warf mich mit seinem Körpergewicht zu Boden. Es krachte laut, als ich wie geplant gegen den Tisch knallte und ihn mit etwas Schwung und einem deftigen Tritt auf die andere Seite eben dessen beförderte. Er schleuderte über die Tischplatte hinweg, auf der ich lag und knallte zu Boden. Währenddessen war Amy auf die Treppe getreten und hatte vor Schreck so laut „Ah, zu Hilfe, er bringt ihn um!“ geschrieen, dass selbst der Nachtwächter es hörte und falls nicht, so schrie sie noch mal. Sie schrie immer und immer wieder und hielt sich dabei die Augen zu.

Marie stürzte aus dem Lager und das erste was sie sah, waren Morgan und ich, wie wir uns hoch rappelten und erneut stürzten, weil er quer über den Tisch auf mich sprang.

Dann sah sie das Mädchen und rannte panisch zu ihr, etwas übertrieben vielleicht. Ich hatte Morgan von der Treppe fern gehalten und es waren mehrere Schritte, bis er sie erreichen würde. Dennoch presste sie das Kind an sich und versuchte es zu beruhigen – vergeblich.

Amy schrie, holte Luft und schrie weiter. Und nur ich wusste, wieso.

Morgan versuchte währenddessen mir die Klinge in den Hals zu rammen. Es fiel mir schwer, ihn von mir fern zu halten und ich hatte es mit Absicht verpasst, meine eigene Waffe zu ziehen. Nun lag er über mir und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen mich. Irgendwann entwand ich ihm die Klinge und sah im Augenwinkel, wie auch Morgans Partner sich endlich einmischte. Doch als die Tür aufging und der Nachtwächter eintrat, hob er die Hände und wich zurück.

Es war nur ein einfacher Mann mit Hellebarde und Lampe, doch er war ein Beamter und das sorgte für den nötigen Respekt. Gut, Nachtwächter waren ebenso unerwünscht, wie Henker, aber zumindest hatten sie mehr zu sagen, als einfache Leute. Zuerst suchten seine Augen nach dem schreienden Kind und dann, als ihm auffiel, dass dieses gar nicht mehr schrie, entdeckte er uns.

Etwas ungläubig registrierte ich, dass der Mann wieder verschwand, doch er rief nur lauthals nach Verstärkung, ehe er wieder hinein stürmte.

Morgans Freund – ein echter und wahrhaftiger Freund – wich zurück zum Zeichen, dass er mit uns nichts zu tun hatte und ich gab mich geschlagen, im wahrsten Sinne des Wortes. Wehrlos lag ich unter dem Rothaarigen und spürte, wie immer und immer wieder die Faust in mein Gesicht knallte. Der Nachtwächter versuchte ihn von mir herunter zu ziehen, Morgans Partner erwies sich sogar als Helfer des Gesetzes und Marie und Amy halfen mir aufzustehen.

„Er hat mich angegriffen!“, stotterte ich übertrieben verwirrt und mit blutiger Nase. „Mit einem Messer! So tut doch etwas!“

Anschließend rannten verwirrt zwei blau gerockte Wachen hinein – die Statuenbewacher. Sie erkannten mich, meine blutige Nase und dann verstanden sie, was sie verstehen wollten: Die Täter haben erneut zugeschlagen!

Sofort stürzten sie vor um den wütenden und schreienden Betrunkenen festzunehmen, dessen Gesicht nun noch stärker gerötet war, als seine Haare. Sie erwiesen sich als äußerst ungeschickte Soldaten, denn der Dicke kämpfte damit, den Mann festzuhalten, während der Ältere versuchte, einen Knoten zu machen. Erst als sie ihre Aufgaben tauschten, gelang es ihnen.

Der Nachtwächter gab Anweisungen, Morgan sofort auf das Revier zu bringen und scheuchte den Alten los, die Aufgabe zu erfüllen. Der Dicke blieb, um den Tathergang aufzunehmen.

Dafür stellte er sich vor mich, baute sich nicht wenig stolz auf und fragte: „Was ist hier passiert?!“

„Er hat mich angegriffen!“, erklärte ich noch immer ungemein schockiert. „Wir hatten einen Streit und plötzlich ist er auf mich losgegangen! Mit einem Messer!“

„Mit einem Messer.“, wiederholte der Blaurock. „Grundlos.“

Man sah ihm an, dass er mir nicht glaubte, wenngleich wir uns kannten und er mich wohl mochte. Sein Blick war zweifelnd, seine Stirn kraus und er schob nachdenklich seine Brille zurecht. „Mit allem Respekt, aber wieso sollte jemand gleich zum Messer greifen, wegen eines einfachen Streites?“

„Aber es ist wahr!“, protestierte Amy. Noch immer hatte sie Tränen in den Augen und ihre zausen Haare hingen ihr wild ins Gesicht. Sie löste sich aus Maries Umarmung und ließ die Wirtin einfach an der Treppe stehen. Diese war noch immer verwirrt und leicht schockiert, was genau nun eigentlich passiert war.

Amys Anblick ließ den Soldaten lächeln. Er beugte sich zu ihr herunter und fragte freundlich:

„Was genau hast du denn gesehen, meine Kleine?“

Das Kind nickte eindringlich und nahm all ihren Mut zusammen, um zu antworten: „Ich kam hinunter um Wasser zu holen für den Boden und da haben die beiden geredet.“

„Geredet?“, hakte der Blaurock nach, mich skeptisch ansehend. Ich wich seinem Blick aus zum Zeichen, dass ich das Kind in keinster Weise beeinflusste. Ich warf Marie einen Blick zu, doch diese sah nur zu Morgans Partner. Wahrscheinlich suchte sie eine Erklärung. Er stand wieder am Tresen, schweigend und düster, leicht bedrohlich. Seine Blicke jedoch galten nicht Marie, sondern mir. Ich bekam ein ungutes Gefühl und ließ mich auf einen der Stühle sinken. Als Amy scheu zu erklären begann, hörte jeder einzelne ihr aufmerksam zu:

„Ich… Ich weiß nicht, was genau sie geredet haben, Sir. Nur… Er…“, dabei zeigte sie zu mir. „…hat immer gesagt, Lass das! und Steck das Messer weg!, und Beruhige dich doch! Und dann ist es plötzlich passiert.“

Der Dicke richtete sich wieder auf und fragte in den Raum: „Kann das jemand bestätigen?“, und da niemand zu antworten schien, fragte er etwas deutlicher: „Kann jemand bestätigten, dass dieser Mann versucht hat, den anderen zu beruhigen und nicht, ihn zu provozieren?“

„Ich war im Lager.“, platzte es aus Marie heraus. „Ich kann das nicht wissen. Aber wenn die Amy das sagt, dann ist das so. Sie lügt nicht, sie ist ein gutes Kind.“

„So, so.“, der Dicke wackelte mit seiner Nase, wie ein Kaninchen. „Nun und Ihr? Was ist mit Euch?“

Diese Frage galt Morgans Freund. Er sah den Dicken seelenruhig an und brummte nach einigem Nachdenken: „Ich? War hier, klar. Hab aber nichts geseh’n, nichts gehört. Nur geguckt. Und da kam schon der Wächter.“

„Ich verstehe.“, der Dicke kratzte sich den Kopf, setzte sich die Mütze wieder auf und erklärte: „Ich werde mich darum kümmern. Nun, dann noch einen angenehmen Abend. Gnädigste.“, er zog die Mütze kurz vor Marie, dann vor Amy. „Junges Fräulein.“, anschließend wandte er sich an mich. „Und Ihr… Ihr solltet aufhören, Euch ständig in Schwierigkeiten zu bringen. Auf mich wirkt Ihr sympathisch, aber scheinbar zieht Ihr Streitereien an? Passt gefälligst mehr auf.“

Verlegend lächelnd nickte ich. „Selbstverständlich. Verzeiht die Unruhen.“

„Unruhen nennt er das!“, der Dicke lachte und steckte seine Daumen in den Gürtel. „Unruhen, bei Gott, wenn es denn wenigstens nur die Unruhen wären!“, dann wurde er ernst und leicht vorwurfsvoll. „Wegen Euch mussten wir bereits den Schrank aufräumen. Seit die Kreuzer für Ordnung sorgen ist alles ruhig, aber Ihr?! Ihr verschwendet mehr Protokoll-Pergamente als jeder andere dieser Stadt! Zwei Protokolle bereits, Mister O’Connor. Und nun ein Drittes! Langsam werdet Ihr auffällig.“

„Ich bin wohl der erste, der so viel Aufmerksamkeit als Opfer auf sich zieht, was?“, fragte ich grinsend.

„Allerdings. Vielleicht solltet Ihr anfangen, Verbrechen zu begehen. Einbruch, Mord, so was, ein wenig mehr Abwechslung!“, mit einem Seitenblick zu den anderen wurde ihm bewusst, was er gesagt hatte und er hielt sich beschämt den Mund zu. Schnell winkte er ab, als würde das seine Worte rückgängig machen. „Beim Allmächtigen, nein! Ich nehme zurück, was ich gesagt habe. Jemand, der aus so einer Stadt wie Ihr kommt und das mit einer reinen Weste, das findet man selten. Also dann, schönen Abend wünsche ich.“, erneut zog er den Hut, dann stolzierte er mit großen Schritten wieder hinaus.

Ich sah ihm nach, auf meinem Stuhl sitzend, dann zu Morgans Freund, der wie unverändert seinen Krug in der Hand hielt und als letztes zu Amy und ihrer Ziehmutter. Keiner wusste von meiner Vergangenheit, das spürte ich in diesem Moment sehr deutlich.

Nachdem der Dicke bereits mehrere Sekunden verschwunden und seine Schritte im Tunnel nicht mehr zu hören waren, löste sich Amy aus Maries Umarmung und kam zu mir. Sie stellte sich zwischen meine Beine und unbewusst griffen wir die Hände des anderen und strahlten uns an. Spätestens jetzt mussten wir auf Marie wie zwei Komplizen wirken. Stolz und mit Hoffnung auf Erwiderung lobte sie:

„Ihr wart wunderbar, Falcon, Sir!“

Lächelnd streichelte ich ihr den Kopf. „Du auch, Amy.“, dann erhob ich mich.

Marie und der letzte, übrig gebliebene von Morgans Freunden starrten mich mit Blicken an, die verschiedener gar nicht sein konnten. Die Frau ahnend, vielleicht wissend, aber auf jeden Fall mit einem Grinsen und der Mann düster und voller Rachlust.

Doch irgendwas war an diesem Kerl, was mir nicht gefiel und einen kalten Schauer über meinen Rücken jagte. Vielleicht lag es daran, dass Morgan wegen mir festgenommen worden war, aber vielleicht war es auch die öffentliche Demütigung, der ich den Mann ausgesetzt hatte?

Nein. In seinen Augen schwang etwas anderes mit und ich bekam das Gefühl, dass hinter ihm etwas Anderes, weitaus Größeres stand. Etwas, was ich bisher nicht annähernd gesehen hatte und was sich jetzt gegen mich richten würde, würde ich die falschen Schritte machen.

Er war die ganze Zeit über still und zurückhaltend, aber genau das machte mich so unsicher:

Intelligente Leute halten sich im Hintergrund, daran glaubte ich. Und er war so jemand. Zwar klang er nicht so, aber ich spürte, dass er anders war.

Nach einiger Zeit wandte er sich ab und trank sein Bier, als wäre nie etwas passiert.

Marie riss mich aus den Gedanken, als sie mir leise sagte: „Ich danke Euch. Ich verstehe nicht, wieso und wie, aber Ihr habt viel für mich getan.“

Unsicher sah ich sie an, erst dann verstand ich, was sie meinte. Ich versuchte den Fremden aus meinem Kopf zu vertreiben und mich wieder der Wirtin und dem strahlendem Mädchen zuzuwenden.

„Ich hatte schon lange Probleme mit ihm und seinen Leuten.“, erklärte ich ihr. Der Kerl am Tresen zeigte keine Regung, als wäre er nicht gemeint. „Ich glaube nicht, dass sie Morgan lange festhalten werden. Er war betrunken, mehr als eine Geldstrafe wird es wohl nicht geben.“

„Besser als nichts.“, lächelte Marie. „Der Idiot hat eine Lektion verdient. Keiner wagt es, sich mit Morgan anzulegen, deswegen ist er etwas…zu selbstbewusst geworden, glaube ich.“ Ich kam mir vor, wie ein Hund, der einen anderen besiegt hatte und nun das Interesse seiner Hündin geweckt. Es war mir unangenehm, dass sie plötzlich Sympathie für mich hegte und stieß mich ab. Von einer Sekunde auf die andere schien ich eine anziehende Wirkung zu haben. Den Abstand wahrend nickte ich, ging zum Tisch und griff meinen Bierkrug, um auf mein Zimmer zu gehen. Morgans Freund beobachtete meine Hand, als wäre er misstrauisch gegenüber jeder meiner Bewegungen.

Auch die Wirtin bekam mit, dass ich mich zurückziehen wollte. Sofort bot sie mir Suppe an. Als ich dankend verneinte, meinte sie:

„Aber der werte Herr hat so viel für uns getan und sicher nicht einmal Etwas gegessen! Selbstverständlich ginge die Suppe aufs Haus, keine Frage.“

„Nein, danke.“, erwiderte ich abermals, etwas eindringlicher, aber dennoch höflich. Dann wandte ich mich zum Gehen.

Marie schien etwas enttäuscht zu sein und wies Amy an: „Kind, geh, koch Wasser und bring dann Suppe hinauf zu ihm. Wir-…“, doch der Fremde unterbrach sie düster und knurrte:

„Er hat gesagt, er will nicht. Also lass, Marie.“ Und damit schwieg sie. Ich lächelte, nickte entschuldigend zum Abschied und ging die Treppe hinauf, mit einem unguten Gefühl im Magen. Seine Augen folgten mir, bis ich nicht mehr zu sehen war und ich glaube noch lange danach.

Ich hatte mich eingemischt und Morgan wohl noch mehr gegen mich aufgehetzt, als ohnehin schon. Er wurde nun wahrscheinlich unter Arrest gestellt und wenn die Benebelung nachließ, laufen gelassen. Was würde er dann tun? Mir im Schlaf auflauern? Oder gar Amy etwas antun, etwas Richtiges? Würde ich es bis zur Arbeit schaffen und wenn ja, auch wieder zurück? Lebendig?

Amy sah mich nun wohl mit anderen Augen und wenn sie der Wirtin erklärte, was geschehen war, galt für sie wohl das Selbe. Trotzdem: Marie würde nicht gegen ihn aussagen und auch wenn Amy ein Kind war und gewiss die Wahrheit sagte, wer interessierte sich dafür? Zwar war dies Brehms, aber Brehms war nicht das Paradies und wahrscheinlich hatte die Stadt keine härteren Gesetze als in Annonce. War das überhaupt möglich?

Als ich den Flur betrat fiel mir auf, dass Johnny die ganze Zeit verschwunden war, dieser Feigling. Er hatte gemerkt, dass es wohl Streit geben würde und hatte die Flucht ergriffen, ohne den geringsten Anlass. Bitter lachend stellte ich fest, dass er mir so zumindest nicht gefährlich werden konnte, im Vergleich zum Mann mit Knollnase und Mütze.

Dieser schien anders zu sein, gefährlicher. Wie war eigentlich sein Name? Und wen meinte der Soldat mit Die Kreuzer? Sie sorgten für Ordnung, hatte er behauptet. Also eine Art Elite-Wachtruppe?

Schwer seufzend schloss ich die Tür hinter mir und lehnte nach langer Zeit wieder mal die Stirn dagegen. Es war dunkel und um mich herum herrschte fast vollkommene Schwärze. Ich hatte keine Lust die Kerze zu entzünden und festzustellen, dass meine Sachen noch immer wild verstreut herumlagen. Stattdessen beschloss ich zu warten, bis sich meine Augen an das wenige Licht gewöhnten. Vielleicht war es besser nie wieder das Licht anzumachen und dass diese Nacht wieder vorbei ging.

Ich war ein Idiot gewesen für ein kleines Mädchen so viel riskiert zu haben. Ich hatte noch immer keine Spur von den Samaritern, das stimmte, aber zumindest hatte ich es geschafft, mir ein Leben aufzubauen. Ein Leben als Falcon O’Connor statt als Sullivan O’Neil, aber ein Leben. Ich brauchte nun nur noch den Freispruch von sämtlichen Sünden und ich würde weiter leben können, als hätte es niemals einen Mathew Hullingtan Black gegeben. Als hätte ich niemals jemanden umgebracht, niemals etwas gestohlen und wäre niemals irgendwo eingebrochen. Wie sagte der Wachmann? Mit reiner Weste.

Stattdessen setzte ich alles aufs Spiel für ein Kind, das ein wenig Prügel bezogen hatte. Schön, meinetwegen, aber was ging mich das an? Ich könnte auch einfach das Gasthaus wechseln und woanders weiter leben, verdienen tat ich genug. Morgan würde es nun vielleicht nicht einmal mitbekommen und den einen Komplizen könnte ich wahrscheinlich problemlos einfach abhängen.

Ich seufzte abermals und flüsterte: „Super, Sullivan. Klasse hast du dein Leben neu begonnen. Wirklich klasse.“

Und dann ging hinter mir das Licht an. Eine ruhige, männliche Stimme flüsterte leise:

„So, so. Sullivan heißt Ihr also?“, ich hörte ein Grinsen, während er fortfuhr:

„Etwa der Sullivan? Oliver Sullivan O’Neil?“

Geschockt fuhr ich herum.



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