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Das Tagebuch der Nellie Lovett

von

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6. Eintrag

Ein lauter Knall durchbrach die Stille der Küche. Sweeney hatte das Tagebuch, einem plötzlichen Impuls folgend, zugeschlagen. Wie betäubt schloss er die Augen und versuchte, alles um sich herum auszublenden.

Die ganze Zeit über hatte es ein kleiner Teil von ihm gewusst, die Gefühle Mrs Lovetts erkannt und verdrängt. Aus gutem Grund. Und nun war alles zerstört. Er würde Mrs Lovett nicht mehr mit dieser Gleichgültigkeit beachten können – kannte er doch jetzt die Wahrheit um ihr Handeln. Er kannte ihre tiefsten Gefühle.

Wut stieg in ihm auf, eine unbändige Wut, die mit einem Mal wie ein alles verschlingendes Feuer aufloderte. Warum musste diese verdammte Frau alles zerstören? Wie hatte er sich selbst seiner Neugierde so ausliefern können?

Nun war alles endgültig und unwiderruflich zerstört! Nie wieder würde es ihm möglich sein, sie wie eine nützliche Komplizin zu beachten, da er von jetzt an wusste, dass sie mehr war, jemand war, der an die Stelle Lucys treten konnte.

Lucy…! Doch es gab niemanden, der seiner Lucy gleichkommen konnte – seinem Engel! Nie würde er es zulassen, dass jemand versuchte, sich zwischen ihn und Lucy zu drängen!

Und mit einem Mal traf ihn die Erkenntnis. Wie ein Blitz durchzuckte sie ihn und tilgte all seine Gefühle, eine glasklare Gewissheit zurücklassend.

In dem Moment, als Sweeney die Augen wieder aufgerissen hatte, war eine Gestalt in den Türrahmen der Küche getreten. Doch bemerkte er sie nicht. Beinahe hastig griff er nach dem Tagebuch und schlug es auf. Auch wenn er nicht wusste, wo er die Stelle, über das, was er suchte, finden würde, so war ihm gewiss, dass er es wissen würde, wenn er diese gefunden hatte.

Immer schneller blätterte er Seite um Seite um und erfasste sie mit nur einem Blick, bloß um festzustellen, dass sich der gesuchte Name nicht auf ihnen befand. Schließlich jedoch hatte er sie gefunden, die Seite, die ihm endlich die Wahrheit offenbaren sollte.
 

Sie soll endlich verschwinden! Ihr einstiges Leben ist schon lange vorbei. Ihr Mann, an dessen Seite sie lebte, ist längst nicht mehr derselbe – wie sie selbst auch. Warum erkennt das dieses törichte Ding nicht? Ist ihm nicht bewusst, was es ihrem einstigen Mann antäte, würde er es wiedersehen, in diesem Zustand? Sie ist nicht mehr klar bei Verstand, dafür hatte das Arsen gesorgt. Ihren Tod aber herbeizuführen, das hatte es nicht vermocht. Doch wären so viele Dinge besser, wäre sie daran gestorben. Dann würde sie nicht noch mehr zerstören, als sie es ohnehin schon tat – bei ihrem Mann, Benjamin. Alles musste sie zerstören und er, er ist daran zerbrochen. Nie wieder wird er so sein, wie er einst war. Oh Benjamin, warum hatte es nur Lucy sein müssen? Wa-…
 

„Mr Todd!“

Erschrocken fuhr Sweeney hoch, als er die entsetzte Stimme hörte, die seinen Namen gerufen hatte. Es war Mrs Lovett.

Sie stand nur wenige Schritte von ihm entfernt und in ihrer Miene spiegelte sich maßloses Entsetzen wider, während sie allmählich die ganze Situation erfasste.

„Sie haben doch nicht etwa…!“

Der anklagende Satz hing unausgesprochen in der Luft, auch so war ihr klar, was Mr Todd getan, was er erfahren hatte. Sie musste dafür nur in sein Gesicht sehen, in dem sich blanke Wut widerspiegelte.

In Sweeneys Innerem brodelte es. Er verwünschte sich dafür, wie fünfzehn Jahre zuvor so blind gewesen zu sein. Er hatte rein gar nichts dazu gelernt, wieder war er ein Opfer der menschlichen Selbstsucht geworden. Zwar waren die Gefühle ihm bewusst gewesen – irgendwo, jedoch hätte er es nie für möglich gehalten, dass sie dieses Ausmaß hatten. Sie waren ihm gleichgültig gewesen, schließlich war die Frau ihm von großem Nutzen. Doch sie hatte ihm etwas verschwiegen, etwas, das von solch großer Wichtigkeit war. Sie lebte! Seine Lucy war am Leben!

Langsam erhob sich Sweeney, seinen hasserfüllten Blick starr auf Mrs Lovett gerichtet.

„Sie haben mich angelogen“, knurrte er. Kaum waren die Worte ausgesprochen, schlug ihm mit aller Kraft eine Welle des Hasses entgegen. All die aufgestaute Wut, seine Rachegelüste, die seine Kunden nicht zu lindern vermocht hatten, brachen hervor, erfüllten jede Faser seines Körpers.

Zu Mrs Lovetts Entsetzen gesellte sich die nackte Angst. Noch nie hatte sie Mr Todd so erlebt! Und erst recht nicht gegen sie. Sie hatte alles vermasselt, all ihre Wünsche, ihre Träume endeten hier, Schuld war dieses verdammte Tagebuch. Im Stillen verfluchte sie ihre Nachlässigkeit, mit der sie das keine Büchlein in der Küche hatte liegen lassen. Wie hatte sie nur so dumm sein können? Wie hatte sie vergessen können, es wieder sicher zu verstecken, dort, wo nur sie es finden konnte? Sich jetzt darüber zu ärgern, half jedoch nicht. Es war zu spät.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  suicide_girl
2009-04-27T17:10:18+00:00 27.04.2009 19:10
Arme Mrs. Lovett, ob sie den wütenden Sweeney überlebt?
Du musst ja an dieser Stelle abbrechen und behaupte nicht, das ist kein Cliffhänger.
MfG
suicide_girl


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