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Küchengeflüster

von

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Stille Wasser voll aufsteigender Blasen

Kouya saß in der Küche am großen Holztisch. Vor ihm stand ein Glas mit Brause, deren aufsteigende Blasen er nur deshalb angestrengt verfolgte, um nicht nach links schauen zu müssen, wo Kia saß, oder nach rechts, wo Shino vor sich hinlächelte oder gar nach vorn, von wo aus Kagerou ihn anstarrte.

Verdammt, dachte sich Kouya. Wieso bin ich nervös? Bin doch sonst nicht so schüchtern. Immerhin ist nichts weiter Dramatisches während der Besichtigung passiert.

Ich bin niemandem auf die Füße getreten, habe keine für meine Augen bestimmte anzügliche Hefte oder dergleichen entdeckt, mal abgesehen von der offenen Kondompackung im Bad, keine unbequemen Fragen gestellt, das freie Zimmer für wirklich nett empfunden.

Jetzt sitzen wir also hier zu viert und schweigen – mal wieder!

„Also?“, fragte Kia in Kouyas Richtung, als hätte er seine Gedanken gelesen.

„Was hältst du von dem, was du bisher gesehen und gehört hast? Die Situation an der Sprechanlage mal außer Acht gelassen. “Kia grinste in Kagerous Richtung.

„Äh...also, das Zimmer gefällt mir wirklich sehr gut!“, stotterte Kouya, der sich im Geiste dafür eine Woche Dorama-Verbot verpasste.

„Und die Wohnung insgesamt ist sehr gemütlich, äh, heimelig, also, nun, sie wirkt ruhig und strahlt überhaupt nicht dieses typische WG-Flair aus! Eher eine kühle, aber sanfte Privatsphäre, die dann aber wieder durch die hier wohnenden Personen in Offenheit glänzt. Also, die Wohnung jetzt... Ah, was red ich denn da!? Ich bitte um Verzeihung!“, erzählte Kouya hastig. Kagerou stand plötzlich auf, wandte dem Tisch den Rücken zu und steuerte auf die Schüssel mit dem Obst zu. Er kam keine zwei Schritte weit, als er auch schon in Lachen ausbrach.

„Kühle, aber sanfte Privatsphäre? Durch Offenheit glänzen? Wie schräg ist das denn?! Was studierst du noch gleich?“, wollte Kagerou von Kouya wissen, als er sich einen Apfel nahm und lachend zum Tisch zurückkehrte.

„Hey Ka-chan, was soll das?! Was gibt es da zu lachen? Gerade du, der hier immer so viel Wert auf künstlerische Freiheit jedweder Art legt. Ich finde seine Ausführung interessant, auch, wenn ich nicht alles verstanden habe. Vielleicht klärt mich Kouya ja noch auf?“, äußerte Shino und blickte hinüber zu Kouya, der nun einen hochroten Kopf auf den Schultern trug. Bevor Kouya, mit dem Blick in Shinos Richtung, antworten konnte, erfüllte ein melodiöser Klingelton die Küche. Alle blickten auf Kouya, der mit einem ‚Entschuldigt mich bitte!’ fluchtartig den Raum verließ, um im Flur den Anruf entgegen zu nehmen.
 

Die drei Zurückgebliebenen nutzten die Unterbrechung, um die leeren Getränkegläser zu füllen und je nach Vorliebe, Schokolade oder Chips aus dem Vorratsschrank zu kramen, um diese auf dem Tisch auszubreiten. Inzwischen war es kurz nach acht und der Hunger nagte an allen drei.

Während sich Kia eine Handvoll Chips nach der anderen in den Mund steckte und Shino genüsslich auf einem Schokoladenstück lutschte, hing Kagerou seinen Gedanken nach.

Chips und Schokolade waren wirklich nicht das, worauf er jetzt Lust hatte, was unter anderem sein verstohlener Blick Richtung Kia verriet, aber das musste warten. Er lenkte seine Gedanken auf die vierte Person in der Wohnung, die momentan im Flur telefonierte.

Sein erster Eindruck von Kouya, mal vom Vorfall an der Gegensprechanlage abgesehen, war mehr als sympathisch. Und die Sympathie steigerte sich noch, als er an Kouyas geäußerte Eindrücke bezüglich der Wohnung und seiner Mitbewohner dachte.

Wirklich interessant. Etwas holprig, aber sympathisch. Er wollte nicht lachen, war aber so sehr überrascht über die Worte, die auch seine hätten sein können, dass er sich mit Hilfe des Lachens über diese Erkenntnis half. Er meinte es nicht böse, sondern anerkennend. Er beschloss, dies Kouya bei der nächsten Gelegenheit zu sagen.
 

„Hey Ka-chan, möchtest ein Stück Schokolade?“, fragte Kia.

Kagerou wollte die Frage gerade bejahen, als auch schon Kias Gesicht vor seinem auftauchte. Überrascht über das Auftauchen und der Feststellung, dass Kia vorhatte, ihm die Schokolade per Kuss zu überreichen, ließ ihn, soweit es der Spielraum der Stuhlrückenlehne erlaubte, nach hinten rutschen, um Kias Mund zu entkommen.

„Nein danke! Ich glaube, ich kann auf dein Schokoladenstück mit Clipsgeschmack verzichten! Ich nehme mir lieber selbst eins.“

In diesem Moment kam Kouya zurück in die Küche und blieb beim Anblick der beiden stehen. Kagerou schob Kia zurück und lächelte Kouya ermuntert zu, den Raum weiter zu betreten.

„Ja, es ist das, wonach es aussieht, aber ich hatte keinen Erfolg meine Schokolade zu teilen.“, war Kias ehrliche Auskunft und erntete dafür einen leichten Schubs von Kagerou.

„Äh, verstehe.“, stammelte Kouya, trat dabei näher auf Kia zu, um ihm sein Handy reichen zu können.

„Eine sehr vertraute Art Schokolade zu teilen...“, murmelte Kouya dabei zu sich selbst. Eine laute Stimme war plötzlich aus dem Handy zu hören, die Kouya an sein Vorhaben erinnerte.

„Kia, mein älterer Bruder würde gerne mit dir sprechen, wenn es möglich ist...“,

erwähnte Kouya, als sich Kia das Handy auch schon an sein Ohr drückte.

„Hallo Hiroki, freut mich dich zu hören. Wie geht es dir?“

Kia verließ lachend den Raum und ließ einen verduzten Kouya zurück, der über die Vertrautheit der Telefonierenden überrascht war.

Woher kannte Kia den Namen meines Bruders? Es hört sich fast so an, als ob sie sich kennen. Woher? Der Uni? Kouya war so sehr in Gedanken, dass er Kagerous Frage überhaupt nicht hörte.

„Hey Kouya! Magst du ein Stück Schokolade?“

„Wie bitte? Tut mir leid, ich war in Gedanken.“, sagte Kouya und setzte sich dabei zurück auf seinen Stuhl, den Blick auf die Tür gerichtet.

„Ja, das haben wir gemerkt. Ich fragte, ob du etwas Schokolade möchtest?“

Beim Wort Schokolade schaute Kouya in Kagerous Richtung. Dieser schob ihm die Tafel entgegen. Er musste augenblicklich an das Bild denken, was sich ihm bot, als er zurück in die Küche kam. Ein wenig verlegen griff er nach der Tafel und bedankte sich bei Kagerou. Dieser ahnte, was in Kouyas Kopf rumschwirrte und verkniff sich ein Lächeln, stattdessen bot er ihm Antworten auf seine anderen Fragen.

„Du fragst dich wahrscheinlich gerade, warum Kia deinen Bruder kennt? Stimmts?!“

Kouya schaute erst zu Shino, der sich inzwischen an Kagerous zum Tisch gebrachten und dann vergessenen Apfel zu schaffen machte, und hinterher zu Kagerou selbst, der ihn nun anlächelte.

„Dein Bruder hat hier in der WG zuvor schon zwei Mal angerufen. Nach dem ersten Mal haben sich Kia und er kurz in der Mensa der Uni getroffen. Deinem Bruder war es wohl wichtig. Du scheinst ihm wichtig zu sein. Zu der Auffassung ist zumindest Kia gekommen, nachdem sie sich getroffen haben.“

Shino schaute auf.

„Mensch könnte es auch böser formulieren. Nämlich, dass er kontrollieren möchte, in was für Räume du dich begibst.“, sagte Shino, der sich damit seit langem wieder zu Wort meldete.

Kouya wurde unwohl. Er bereitete diesen Menschen Umstände, von denen er nicht gewusst hatte. Er dachte nicht, dass sein Bruder soweit gehen würde.

Nachdem er ihn über sein Vorhaben in Kenntnis gesetzt hatte, gerieten sie in einen Streit. Hiroki wollte nicht, dass er nach seiner Rückkehr außerhalb des Familienhauses lebte. Kouya bestand aber darauf. Er wollte Freiraum für sich und sein Leben gewinnen, was innerhalb des Familienhauses zur Zeit nicht möglich war. Nicht, dass dort viele Familienangehörige lebten oder wenig Platz vorhanden war, nein, das nicht, aber er hatte das Gefühl, dass sich Dinge wandelten, die fast ausschließlich ihn selbst betrafen, mit denen er aber noch auf Kriegsfuß stand und es die Umgebung des Familienhauses nicht erleichterte.

Mit seinem Bruder konnte und wollte er darüber nicht sprechen, denn eines seiner Probleme trug einen Namen. Kimura Yuu, der beste Freund seines Bruders.
 

Kouya hatte vor noch nicht allzu langer Zeit feststellen müssen, dass sich seine Gefühle gegenüber Yuu veränderten. Bisher war er nur der beste Freund seines Bruders und ein Freund der Familie gewesen, aber inzwischen bedeutete Yuu Kouya viel mehr. Er hatte sich in ihn verliebt.

Er genoss Yuus Anwesenheit im Familienhaus. Die gemeinsamen Mahlzeiten, bei denen er ihn heimlich beobachtete und seinen Gesprächen lauschen konnte. Das Schönste für ihn waren die gemeinsamen Gespräche. Sie unterhielten sich meistens über Hiroki, die Arbeit, oder das Studium. Ihre Gespräche waren gezeichnet von Offenheit, Ehrlichkeit und Tiefe. Gerade dieser Umstand bereitete ihm immer häufiger Schwierigkeiten, sich ungezwungen mit Yuu zu unterhalten. Er konnte nicht offen und ehrlich mit seinen Gefühlen Yuu gegenüber treten, sondern entschloss sich stattdessen kurzerhand, ein Jahr im Ausland zu studieren. Diese Entscheidung kam nicht aus heiterem Himmel, sondern war Bestandteil seines geplanten Studienablaufs. Aber vielleicht kam sie etwas früher als geplant, dennoch half sie ihm, sich außerhalb der gewohnten Umgebung neu zu finden und sich mit neuem Selbstbewusstsein der Sache anzunehmen.
 

Er hatte während seiner Zeit im Ausland kaum mit Yuu gesprochen. Meist dann, wenn Yuu das Telefongespräch für Hiroki entgegennahm. Dies kam häufiger vor, wenn Yuu im Familienhaus übernachtete. Diese Gespräche waren kurz und oberflächlich und für Kouya zermürbend. Nach seiner Rückkehr hatte er Yuu bisher nur einmal gesehen. Das war am Flughafen, als ihn Hiroki und Yuu willkommen geheißen hatten. Sein Herz setzte beim Anblick Yuus beinah aus. Er trug die Haar nun länger und sah dadurch noch umwerfender aus. Kouyas Zuneigung wuchs in ungeahnte Höhen und ließ ihn, trotz all der Arbeit an sich selbst, rat- und mutlos zurück.

Später im Familienhaus wurde es dann ungemütlich. Hiroki wollte einfach nicht verstehen, warum der Auszug für Kouya so wichtig war und bedrängte ihn, es sich noch einmal zu überlegen. Selbstverständlich hatte Kouya während der Diskussion nicht alle Gründe seiner Entscheidung aufgezählt. Dafür war noch nicht der richtige Zeitpunkt, aber er hatte sich fest vorgenommen, sobald die Sache mit dem Umzug geklärt war, sich seinem Bruder und vor allem Yuu zu öffnen. Als er dann abends im Bett lag, und über die vergangenen Stunden nachdachte, musste er lächeln. Er hatte sich durchgesetzt. Überrascht und glücklich war er vor allem über Yuus Eingreifen. Dieser hatte Kouya unterstützt. Damit hatte er nicht gerechnet.
 

Das gegenwärtige Verhalten seines Bruders machte ihn traurig und wütend zugleich. Nicht, dass er gedachte hatte, dass mit seinem Okay der Weg nun frei wäre, aber dass er hinter seinem Rücken die Sache überwachte, dass ging Kouya entschieden zu weit. Er nahm sich vor, ihn später zur Rede zu stellen. Jetzt blieb ihm nur, sich bei diesen Menschen für das Verhalten seines Bruders zu entschuldigen.

„Also, das ist mir jetzt wirklich unangenehm. Ich möchte mich für das Verhalten meines Bruders entschuldigen und hoffe, dass er euch nicht zu viele Umstände bereitet hat. Er kann ganz schön anstrengend sein. Um ehrlich zu sein, er möchte nicht, dass ich das Familienhaus verlasse, daher verhält er sich so untypisch. Es tut mir wirklich leid.“, sagte Kouya leise, als Kia plötzlich neben ihm auftauchte. Er hatte sein Reinkommen überhaupt nicht bemerkt.

„Du musst dich nicht entschuldigen, Kouya. Hirokis Verhalten hat uns keine Umstände bereitet. Wir waren eher überrascht über seine Fürsorge. Außerdem scheint er ein netter Mensch zu sein. Wobei es mich ein wenig wundert, dass er sich ohne dein Wissen an uns gewandt hat. Das Treffen mit ihm verlief freundlich, also kein Grund zur Sorge. Ach ja, ich soll dir von ihm ausrichten, dass er dich an der Bahnstation abholen möchte. Du sollst ihm dafür deine Ankunftszeit mitteilen.“

Kouya dachte über Kias Worte nach. Er entschloss, jetzt zu gehen, um seinen Bruder zu treffen, auch wenn dass bedeutete, dass seine Chancen auf das Zimmer der WG sinken würden.

Wer würde auch schon jemanden aufnehmen, der am Besichtungstag zu früh kommt, einen Mitbewohner Spinner nennt und zu guter Letzt einen Bruder vorzuweisen hat, der sich hinter dem eigenen Rücken in die eigenen Angelegenheiten mischt. Kouya stand auf.

„Ich würde jetzt gerne gehen. Ich weiß, es ist etwas plötzlich, aber ich muss etwas klären. Ich bedanke mich bei euch für eure Zeit und die Besichtigung der Wohnung. Das Zimmer gefällt mir wirklich sehr. Meine Telefonnummer habt ihr ja, falls ihr noch Fragen an mich habt.“

Kagerou stand auf, um Kouya zur Tür zu begleiten.

„Ihr könnt ruhig sitzen bleiben. Ich finde den Weg selbst nach draußen. Vielen Dank und noch einen schönen Abend!“, sprudelte es aus Kouyas Mund, während er schnellen Schrittes die Küche verließ und die Tür hinter sich schloss. Die drei Zurückgebliebenen schauten sich verdutzt an, während sie die Wohnungstür ins Schloss fallen hörten.



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