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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.

von

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Unser täglich Brot.

Es heißt Morgenstund’ hat Gold im Mund. Dieser Spruch erweist sich nach eingehender Betrachtung in vielerlei Hinsicht als falsch.

Der gängige Zahnarzt weiß, dass sich für üblich kein Edelmetall im menschlichen Oraltrakt befindet. Unter der Voraussetzung, dass es dort nicht vorher von ihm eingefügt wurde.

Für Ryoga klang dieser Satz nicht minder falsch. Sie fand nämlich nichts Gutes am Morgen. Deswegen schlief sie gewöhnlicherweise bis in den frühen Nachmittag, ehe sie ihren Kreuzzug gegen Saotome fortführte.

Heute blieb ihr allerdings keine Wahl.

Grelles Sonnenlicht filterte durch ihre Augenlider, stach ihr hartnäckig ins Sehzentrum und aktivierte eine Subroutine ihres Unterbewusstseins. Sie drehte sich zur Seite.

Womit ihr Unterbewusstsein allerdings nicht klarkam, war das heftige und unmittelbar darauf folgende Rütteln.

Schlaftrunken blinzelte Ryoga, gähnte herzhaft und setzte sich auf. Nur um in Ukyos schmunzelndes Gesicht zu sehen.

Die Köchin trug ihr Haar offen, ihre Okonomiyaki-Uniform und die Spathula über der linken Schulter. Schlagartig war Ryoga wach.

„Guten Morgen Schlafmütze. Aufgestanden. In ’ner Stunde kommt die Morgenwelle.“

„Morgenwelle?“, blinzelte die Junggöttin zu gleichen Teilen verwirrt und müde. Was hatte die See mit einem Restaurant zu tun? Indes sich Hibikis verschlafener Verstand noch mit dieser Frage abmühte, riss Ukyo bereits die Fenster weit auf und ließ den Wind ins Zimmer.

„Jupp. Man möcht’ fast meinen, die kriegen daheim nichts.“

Was wie eine latente Kritik an ihren Gästen klang, verlor seinen kritischen Unterton, wenn man Ukyos Grinsen sah. Es war ein Grinsen, das in etwa soviel sagte: Und wenn sie sich Zuhause tot fressen, an Bulimie leiden oder aus der Sahara kommen – sie haben gefälligst bei mir zu essen!

Ja, Geschäftsmänner und –frauen waren wirklich Teufel.

Ein Packen Stoff wurde der Junggöttin ins Gesicht geschleudert und mit einem „Beeil’ dich!“ schwang die Tür zum Alkoven zu.

Besagter Alkoven war ein sauberer Abstellraum, in den ein Futon und viel Phantasie hineinpassten. Den Futon benötigte man zum Schlafen. Die Phantasie wiederum brauchte man, um sich einzureden, dass die Lebensumstände trotz dieser Behausung menschenwürdig waren.

Nochmals gähnte die Junggöttin und kraulte sich das Haar.

Draußen grinste die Sonne, fegte die Wolken übers Firmament und versprach einen schönen Tag. Das einzig unschöne am Tag war, dass es Ryogas erster Arbeitstag war.

Irgendwie schon erstaunlich.

Noch vor wenigen Tagen wollte sie ins familiäre Abrissunternehmen einsteigen, dann wurde sie zur Göttin befördert und jetzt war sie Tellerwäscher. Sie konnte sich nicht helfen, aber irgendetwas lief an dieser Entwicklung falsch.

Kam der Tellerwäscher nicht üblicherweise als erstes? Und dann etwas in Richtung Millionär?

„Frühstück ist bald fertig! Beeil’ dich!“, posaunte Ukyos Stimme eine Etage tiefer.

„Komme schon. Komme schon!“

Uninteressiert faltete Ryoga das Bündel Kleider auseinander.
 


 

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Oh Mann, Ryoga! – Eine schamlose Parodie.
 

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Kapitel 5 – Unser täglich Brot.
 

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Die Charaktere gehören mir nicht, sie gehören Rumiko Takahashi. Da ich weder weiblich noch kleinwüchsig bin, schließe ich, dass sie mir auch nie gehören werden.
 

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Ukyo Kuonji pfiff vergnügt, als sie an der Markise werkelte. Einen harten Ruck später breitete sich der Baldachin über der Eingangstür und dem Panoramafenster aus. Augenblicklich spendete der Überhang kühlenden Schatten und brachte ein Grinsen zu Ukyo Lippen.

Die Gäste sollen schließlich wissen was sie bestellen und nicht blind in die Sonne blinzeln. Das wäre schlecht fürs Geschäft.

„Mal sehen. Was steht als nächstes auf dem Plan?“

Munter kehrte sie zurück ins Restaurant und schloss die Tür hinter sich.

Schwungvoll stellte sie die Stühle von den Tischen, wanderte hinter den Grill, entzündete die frische Kohle und kramte die wesentlichen Ingredienzien aus dem Schrank.

Ein gutes Okonomiyaki benötigte Geschick, Liebe und ausgewählte Zutaten. Ukyo achtete darauf, dass diese Dreieinigkeit immer gegeben war.

Wie weit wohl ihre Aushilfe war? Die Kleine schien immerhin noch sehr schläfrig zu sein.

Eigentlich erstaunlich, dass Göttinnen schlafen mussten. Oder war diese hier eine Ausnahme?

Während die Meisterköchin noch darüber nachgrübelte, strich sie bereits Teig auf die heiße Platte. Darauf folgten die spezielle Soße und ein warmes Lächeln von Ukyo.

Herrlich, dieser Geruch.

„AHHH!“

Vor Schreck ließ sie den Spachtel fallen, der ihren großen Zeh um zwei Zentimeter verfehlte und sich unschuldig ins Parkett bohrte.

Vielleicht würde sie doch noch ein ernstes Wörtchen mit ihrer neuen Mitarbeiterin wechseln müssen?

Der Schrei wiederholte sich, Ukyo erschrak, stieß ihren großen Zeh an der Spathula im Parkett und der Wasserhahn spritzte freudig los.

Okay, jetzt WÜRDEN sie beide wirklich ein ernstes Wörtchen wechseln.
 

Ryoga war entsetzt.

Sicher, in letzter Zeit war dieser Zustand nicht weiter ungewöhnlich. Trotzdem, auf die ständigen Wiederholungen konnte sie echt verzichten.

Den Grund für ihren Schrei hielt sie in den Händen.

Er war pink, er war schwarz und ein Dienstmädchen-Outfit mit weißer Schleife. Kurzum: Er war grässlich.

Schnaubend kam Ukyo ins Zimmer gestürmt. Ihr Gesicht war rot – Wut und Atemlosigkeit rangen um die Oberhand – und ihre Fäuste geballt.

„Was – ist – los?“, presste sie betont langsam hervor.

Ryoga musterte ihre neue Arbeitgeberin verzweifelt und hielt das Kleid wie eine der sieben Plagen hoch.

„Und?“

Nachdrücklich hob die Göttin das Stück Stoff noch ein wenig höher.

„Ich verstehe nicht.“

„Ein Kleid!“

„Ja. Sehr gut erfasst Sherlock. Und was ist damit?“

„Es ist ein Kleid!“

„Sagtest du schon. Legst mal eine andere Platte auf?“

„Aber – es IST ein Kleid!“

„Das Offensichtliche haste ja sehr gut festgestellt. Und was ist DAMIT?“

„Das trag ich nicht!“

Aufmüpfig warf Ryoga das Objekt ihrer Verachtung auf den Futon und verschränkte die Arme.

Ungläubig beobachtete ihre Chefin das und akzentuierte diesen Unglauben mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Du willst mir also erzählen, dass du in dieser schlechten Entschuldigung für einen Seidenschal Wünsche erfüllst. Aber du weigerst dich ein Kleid anzuziehen, um Gäste zu bedienen?“

Hibiki sah an sich herab, nahm die halbdurchsichtige Seide in Augenschein, kam sich unbeschreiblich dumm vor und nickte zögerlich.

„Ryoga, lass’ mich was klarstellen. Wir haben ’nen Vertrag, richtig?“

„Ja“, antwortete die Angesprochene zaghaft.

„Weißt du, was man für üblich mit ’nem Vertrag macht?“

Wortlos schüttelte die Junggöttin den Kopf. Sie wusste es nicht. Ehrlich gesagt, wollte sie es aber auch nicht wissen.

„Soll’ ich’s dir verraten?“, lächelte Ukyo jovial.

Ryoga hasste derartige Fragen. Denn egal ob man händeringend NEIN schrie, schwieg oder sich aus dem Fenster warf, man erhielt die Antwort dennoch – und in manchen Fällen sogar noch im Krankenhaus.

Also beschloss sie unsicher zu nicken.

„Man hält ihn EIN!“

„Ja aber…“

„Nichts aber! Wasch’ dich, zieh’ dich um, komm’ runter frühstücken. Kapiert?“

Die Junggöttin nickte stumm. Nicht das sie gewusst hätte, was sie hierauf antworten sollte.

Zufrieden atmete Ukyo aus, strich ein paar Strähnen zurück und lächelte sonnig.

„Sehr gut. Ich merk’ schon, wir werden ein klasse Team abgeben, nicht?“

Ryoga wartete ab.

Als Ukyo allerdings den Raum nicht verließ und sie ihrerseits nur abwartend fixierte, seufzte das Neomädchen.

„Ja.“

„Ja, was?“, drängte Ukyo.

„Ja, dass werden wir.“

„Herrlich. Und jetzt mach’ dich fertig – oder ich mach’ dich fertig“, grinste die Köchin und verließ die Kammer. Noch immer strahlte der Sonnenschein fröhlich ins Zimmer; nichtsdestotrotz hatte Ryoga ein kalter Schauer überfallen.

Sie beschloss, dass sie Ukyos Humor nicht mochte. Insofern das ein Witz gewesen war.
 

Ukyo Kuonji schnaufte tief durch, inhalierte den Geruch des frischen Okonomiyaki und goss etwas Soße obenauf. Ein köstlicher Dampfschwall kam ihr entgegen und hüllte sie ein.

Dafür war es wert zu leben!

Nun wieder bedeutend lebenslustiger platzierte sie Stäbchen und zwei Teller auf einem Tisch nahe der Theke und rückte die Stühle etwas zurück. Dieses Arrangement hatte den Effekt, dass es alles wesentlich einladender aussah. Nicht, dass ihr Essen das nötig hätte.

Schließlich existierte niemand auf diesem Planeten, der sich mit ihr im Okonomiyaki-Backen messen konnte. Kein Gericht reichte auch nur im Entferntesten an ihre Kreationen heran und wirkte so dermaßen speichelfördernd.

Lächelnd katapultierte sie die beiden Teigfladen auf die zwei Teller, legte die kleine Spathula zum Kühlen ins Wasser und schlenderte zum Tisch.

Fast zeitgleich erklang das Knarren der Treppe. Zaghafte Schritte schallten zu ihr herunter und das verhaltene Rascheln von Stoff begleitete jeden der erwähnten Schritte.

Sieh’ mal einer an, wer da runter kam. Rasch stellte sie die Keramik aufs Holz, sog nochmals den delikaten Dampf ein und setzte sich.

Nach mehreren Minuten knarrte eine weitere Stufe.

Ukyo zwang sich zu einem sardonischen Lächeln und unterdrückte das Zucken ihrer Augenbraue. Fünf weitere Minuten dauerte es bis das nächste Knarren einsetzte.

„Kommste jetzt endlich mal! Das Essen wird kalt!“

„K-Komme ja sch-schon.“

Das Knarren folgte nun dicht aufeinander, dann warf sich ein Schatten voraus und kündigte ihre neue Bedienung an.

Neugierig lehnte Ukyo sich im Stuhl zurück, teilte etwas von ihrem Okonomiyaki ab und führte es zum Mund. Weiter kam das Stück allerdings auch nicht und fiel unrühmlich auf die Tischplatte. Ihr Mund hing offen, als sie das Mädchen im Türrahmen beobachtete – ja schon fast mit Blicken nötigte.

„Ich seh’ dumm aus, oder?“

Eine peinlich berührte Ryoga sah zur Seite und ihre Wangen färbten sich pink. Das kleine weiße Häubchen thronte auf ihrem seidig schimmernden Haar und das schwarze Kleid schmiegte sich an ihre Figur. Rosafarbene Rüschchen tanzten im Kreis um den dunklen Stoff und ein kleiner Eckzahn bohrte sich ihr verschüchtert in die Unterlippe.

Ukyo rieb ihre Augen. Dann rieb sie diese nochmals. Und ein drittes Mal, um auch sicher zu gehen.

Sie wusste, dass sie eine Göttin engagiert hatte. Trotzdem begriff sie diesen Umstand erst jetzt wirklich, als dieses himmlische Geschöpf vor ihr stand und wie ein Engel den Raum erhellte.

Wäre Ukyo ein Mann gewesen, so hätte sie gegeifert. Da sie ein Mädchen war, begnügte sie sich damit zu glotzen.

„Ich zieh’ mich um.“

„Nein!“

Ryoga erschrak wegen des heftigen Protests. Vielleicht erschrak sie aber auch nur, weil Ukyo vor lauter Aufregung auf die Tischplatte geschlagen hatte. Eventuell lag es aber auch daran, dass der Tisch unter dem Schlag beinahe nachgegeben hätte und zumindest das Geschirr – vollauf dem Sprichwort getreu – in die Luft ging.

„Perfekt“, hauchte Ukyo und ließ ihre Blicke frei wandern.

Die Junggöttin errötete als sie das vernahm und drehte dümmlich Däumchen.

Kuonji störte sich nicht daran. Sie war im Moment ganz in ihrer eigenen kleinen Welt.

Diese Welt bestand aus vielen, vielen Scheinen und jeder der Scheine winkte ihr lachend zu. Statt Vögeln klingelten Kassen im dichten Grün des Geldes und ein Hauch von Druckerschwärze lag in der Luft. Sie witterte Geschäft.
 

Beschämt gesellte sich Ryoga zu ihrer neuen Chefin, merkte wie schwer es war mit einem Kleid zu sitzen, protestierte still und begann zu essen.

Das Outfit war ein ganz klares Minus dieses Jobs, aber immerhin war die Verpflegung frei. Wer weiß, möglicherweise würde die Arbeit ihr ja Spaß bereiten?

Außerdem war es eine nette Abwechslung für eine Weile an einem Ort zu verbleiben, anstatt in fremden Hintergärten zu kampieren.

Nebenbei gab es schlechtere Leute als die Okonomiyaki-Bäckerin, mit denen man abhängen konnte. Zumindest wusste sie mit Ukyo woran sie war.

Und zwar an einer burschikosen, testosterongetriebenen, brutalen und unsensiblen Entschuldigung für eine Frau, die man so auch nur an ihrem langen Haar entdeckte. Nicht das Ryoga ihr das gestanden hätte – sie verfügte schließlich auch über einen Überlebenstrieb. Außerdem mangelte es ihr am nötigen Vokabular, um ihre Meinung auf diese Weise kund zu tun.

„Schmeckt’s?“

Ukyos Frage riss die Junggöttin aus ihren Gedanken.

„Huh!“

„Bist nicht sehr gesprächig, was?“

„Ehehehe…“

„Okay, der Schlachtplan für heute sieht folgendermaßen aus…“

Aufmerksam beobachtete Ryoga die Köchin, lauschte auf ihre Worte und wich ihren Gesten – die zumeist eine Spathula implementierten – aus.

Am Schluss hatte die Göttin zweiter Klasse keine Ahnung, nichts vom Plan verstanden und nickte steif. Denn es war eine schlechte Idee, wenn man Ukyo Kuonji verärgerte. Problematisch war nur, dass Ryoga dieses Meisterstück ohne jede ersichtliche Mühe hinbekam; und das ständig aufs Neue.

Als Ukyo ihre Erklärung schlussendlich beendet hatte, schob sie den Stuhl zurück, räumte ihr Geschirr ab und trug es zur Spüle. Ihren Redefluss brach das aber noch lange nicht.

Das Neomädchen hörte geistesabwesend auf die lebhafte Stimme ihrer Arbeit- und Gastgeberin, genoss die unfreiwillige Gesellschaft und starrte aus dem großen Panoramafenster hinaus.

Wer weiß, vielleicht würde es ja wirklich Spaß machen?
 

Ryoga rannte. Jedem anderen Verb hätte die nötige Dynamik gefehlt, um ihr atemloses Hetzen einzufangen. Rannte wie in Rennen erfüllte seinen Zweck jedoch herrlich.

Drei Teller in jeder Hand, sowie Armbeuge rutschten gefährlich hin und her. Geschäftiges Geplapper, das Quietschen von Schuhsohlen und der Geruch von ‚japanischer Pizza’ erfüllten das Restaurant.

Ukyo rief sie im Minutentakt zu sich, drückte ihr neue Gerichte in die Hand, nahm die Bestellungen entgegen, beschwerte sich über Ryogas Handschrift und verteilte weiteren Teig auf der heißen Platte.

Ryoga ihrerseits rannte. Und zwar hin und her, mal mit Tellern, mal ohne und mal waren sie dreckig und mal halbvoll.

In den letzten Stunden mussten hunderte Schüler ins Ucchan’s eingekehrt sein. Jeder Gast der ging, machte scheinbar Platz für zwei weitere.

Soviel Ärger musste nicht einmal Herakles mit der Hydra gehabt haben!

Kurz vor einem Nervenzusammenbruch kollabierte Ryoga auf einem Barhocker und senkte die Stirn auf die Theke. Im Moment konnte sie ein paar Sekunden Ruhe genießen.

Die Schüler waren zufrieden, die Jungs tauschten sich über Mädchen, die Mädchen über Jungs und sie alle über Hausaufgaben aus. Der Betrieb war rege, aber vorerst bedient.

„Immerhin kann’s unmöglich schlimmer kommen.“

Angewidert sah sie an sich herab. Sie war der Inbegriff eines neckischen, süßen Engels. Das Problem war, dass sie überhaupt kein neckischer, süßer Engel sein wollte.

Sie war ein unerbittlicher Kämpfer, kein wehrloses Zuckerpüppchen mit Umhängeschild [Klein, dumm, niedlich – sucht nette Bekanntschaft.].

Prompt traten zwei Gestalten von hinten an sie heran.

Die erste Gestalt hustete. Die zweite stand betreten daneben.

„Ja?“, maulte Ryoga und wandte sich der Störung zu. Unüberrascht erblickte sie zwei Jungs.

„Also, nun ja, einer hat gesagt, du wärst…“, hilfesuchend sah Gestalt 1 zu Gestalt 2.

„Ein paar unserer Kumpels meinten, du wärst…“, händeringend blickte Gestalt 2 zurück.

Beide seufzten vor Befangenheit und Ryoga stöhnte vor Migräne.

„Ihr wollt wissen, ob ich eine Göttin bin. Richtig?“

Die zwei Jungs nickten und warfen ihr erwartungsvolle Blicke zu.

„Denkt ihr, eine Göttin würde sich in diesen Aufzug stecken lassen – ihr Zeigefinger strich über ihr Kleid -, sich in einem kleinen Restaurant totarbeiten und das bis ans Ende aller Tage?“

Gestalt 1 sah zu Gestalt 2 und zuckte fragend mit den Schultern.

Gestalt 2 antwortete mit einem Achselzucken seinerseits.

Den Kopf in die Hände gestützt, atmete Hibiki tief ein und schmückte ihre Lippen mit einem Lächeln. Dann sah sie die beiden Schüler an.

„Ja, ich bin eine Göttin. Nein, ich habe keinen Freund. Nein, ich will auch keinen Freund. Ja, ich habe mir das gut überlegt. Nein, ich denke nicht darüber nach. Ja, ich bin mir sicher.“

Über diesen Kraftakt an Geduld erhielt sie ihr Lächeln aufrecht, ihre Augen allerdings spieen Funken.

„Okay“, intonierten Gestalt 1 und 2, drehten sich um und verschwanden in der Menge.

Es war wirklich unglaublich. Das waren jetzt schon die vierten! Man möchte meinen, die männliche Bevölkerung hätte noch nie eine Göttin gesehen.

Realistisch betrachtet war die Chance dazu allerdings auch vergleichsweise gering.
 

Ukyo wischte den Schweiß von der Stirn.

Lächelnd verfolgte sie das angeregte Tuscheln ihrer Gäste und die vielen lebhaften Unterhaltungen. Die Kasse war gut gefüllt, der Zenit der Kundenwelle längst erreicht und bis auf ein paar Ausläufer würde sich kaum mehr jemand hierher verirren.

Ihr Lächeln wurde breiter als sie zu ihrer Kellnerin sah.

Das Mädchen lag kraftlos über der Theke, wimmelte interessierte Verehrer wie andere Menschen Mücken ab und jammerte in einem fort. Trotzdem war die Kleine zweimal so schnell wie Konatsu, brachte die doppelte Menge an Gästen ins Haus und arbeitete fast ohne Pause.

Jemand wie Ryoga war unbezahlbar.

Nicht, dass Ukyo vorhätte sie zu bezahlen.

Eine kleine Unterhaltung wenige Stunden zuvor hatte nämlich ergeben, dass eine Göttin kein Geld entgegennahm. Erst recht nicht für eine Dienstleistung, an die sie vertraglich gebunden war. Besagte Göttin wirkte zwar alles andere als zufrieden über diese Klausel des Vertrages, aber arbeitete nichtsdestotrotz mit unvermindertem Fleiß.

Dieses Mädchen war wirklich perfekt. Nicht nur stand ihr das Outfit perfekt, nicht nur war sie für den Job perfekt, sie erfüllte sogar Ukyos Anforderungen perfekt.

Die Köchin lächelte breit.

Die nächsten Tage würden sehr profitabel werden. Sie hatte da so ein Gefühl, dass eine gewisse Tendo ihr dabei helfen konnte, ein gewisses Gerücht noch ein wenig weiter zu streuen.

Ein vages Gerücht, das besagt: Bei Ucchan’s ist der Himmel auf Erden. Göttin inklusive!
 

Tatsächlich stellten sich die folgenden Tage als sehr profitabel heraus.

Morgens und nachmittags kamen die Gäste und ließen ihr Erspartes nur allzu willig zurück. Die Bedienung rannte und die Chefin stand am Grill. Okonomiyaki-Soße blubberte, der Teig härtete und Teller klirrten. Das Geld floss.

In der Zwischenzeit verrichteten die Bewohner des Ucchan’s andere Dinge.

Während Ryoga ihre Vormittage zwischen Gewürzen, dreckigen Tellern und in einem dunklen Gastraum zubrachte, ging Ukyo zur Schule.

Keiner von beiden beneidete den anderen – so verzweifelt waren sie noch nicht. Sie zogen es vor sich selbst zu bemitleiden.

Ukyo Kuonji nun tat genau das. Sie bemitleidete sich selbst UND das ausgiebig.

Nebenbei schrieb sie von der Tafel ab, schenkte dem Lehrer Gehör, ebenso der Unterhaltung zweier Schülerinnen hinter ihr, starrte abwechselnd nach draußen und zu ihrem Verlobten und malte sich die Gewinne des kommenden Nachmittages aus.

Oder anders gesagt: Sie tat verdammt viel in verdammt kurzer Zeit.

Dieser Zustand reger Aktivität nahm ein jähes Ende. Die Schulglocke war nämlich erklungen.

Als Resultat sprangen die Schüler auf und stopften ihre Bücher hektisch in die Taschen. Derweil versuchte der Lehrer noch die Hausaufgaben bekannt zu geben, setzte zweimal zum Sprechen an, seufzte schließlich und zog resignierend von dannen.

Letztendlich erwachte sogar Ranma Saotome.

Ein herzhaftes Gähnen und einen kleinen Streit später verließen Kuonji, Saotome und Tendo das Schulgebäude und traten auf den Vorplatz hinaus.

Am Himmel prangte die Sonne, ignorierte Staus und Unfälle eine Etage tiefer und wärmte die schwarzen, wuselnden Punkte unter sich.

Die vorab namentlich erwähnten Punkte – zwei weiblich, einer intermittierend – näherten sich dem Tor.

Ranma war soeben dabei die Lästigkeit der Schule zu beklagen, Akane widersprach ihm feurig und Ukyo warf ihren zwei Klassenkameraden halbe Blicke zu.

Praktisch bedeutet das: Beäuge sie eifersüchtig; erwidern sie deinen Blick, guck’ hoch!

Üblicherweise klappte das auch. Üblicherweise.

Aber wie mit so vielen Gesetzmäßigkeiten hatte auch diese eine Ausnahme, die die Regel bestätigte. Oder zumindest vorgab so zu tun.

„Ucchan, alles in Ordnung?“

Ertappt wirbelte Ukyo zu ihrem Verlobten.

„Klar – kurz zögerte sie – alles super!“

Akanes misstrauischer Blick bohrte sich ihr mit der Subtilität einer Harpune in den Rücken. Sie und Akane mochten zwar einen Waffenstillstand haben und relativ gut miteinander auskommen…

Trat die jeweils andere aber – sagen wir mal – auf eine zufällig verlegte Tretmine, so würden sie es sich nicht nehmen lassen noch eine Granate nachzuwerfen. Sozusagen als Abschiedsgeschenk und makaberem Äquivalent zu einem Blumenstrauß.

Im Moment schien es als würde dieser wackelige Waffenstillstand auf direktem Weg ins Grab zuckeln.

Denn Akane war wütend. Außerdem war sie die so ziemlich einzige, dumm genug, um ihre offensichtliche Eifersucht nicht zu erkennen.

Neben Ranchan.

Ebendies bewies er sogleich.

Als er Ukyo besorgt – so besorgt wie ein Saotome nur sein kann; was nicht zwingend viel heißen möchte – die Hand auf die Schulter legte, kochte die jüngste Tendo über.

„Ranma, hör’ auf zu flirten!“

„Flirten?“, echote Ranma.

„Flirten?“, wunderte sich Ukyo.

„Flirten!“, bestätigte Akane.

Ukyo Kuonji erkannte eine Katastrophe, wenn sich eine solche anbannte.

Ihrem Gespür nach standen der Ausbruch des Vesuvs, die Offenbarung und Ranmas Vermählung – mit jedem außer ihr – bevor.

Also probierte sie zu entschärfen.

„Hey, ich hab’ eine neue Bedienung…“

„Untreuer Mistkerl!“

„Untreu? Als ob du deiner Diät treu bleibst!“

„…und die hat ein unglaubliches Tempo drauf…“

„Du wagst es mich zu beleidigen?“

„Dein Spiegelbild ist eine Beleidigung!“

„…und ich hab’ mehr Gäste als vorher…“

„Du bist so ein unsensibler Idiot!“

„Also ob DU etwas durch deine Fettschicht fühlen würdest!“

„…deswegen hatte ich gedacht, ich könnte…“

„Du blöder Macho!“

„Das sagt die Richtige – du hast doch mehr Testosteron als ich!“

„…euch auf ein kostenloses Okonomiyaki einladen.“

Der Streit erstarrte auf eine Weise, die dem Erstarren von Lava wenige Meter vor einer Stadt gleichkam.

Das lag einerseits daran, dass Ranma ‚kostenlos’ und ‚Essen’ in einem Satz gehört hatte. Andererseits spielte Akanes Faust in Ranmas Gesicht keine unwesentliche Rolle.

Kaum war der Zwist geschlichtet, spazierte das Trio bereits zum Ucchan’s.

Der Weg dahin war erstaunlich kurz – einer der Gründe, weshalb so viele Schüler dort täglich hingingen.

Sicher, wenn man dieselbe Strecke im Flug überbrückte, war der Weg noch kürzer. Aber auch auf konventionellem Weg kam man rasch an.

So dauerte es nicht lange, ehe die drei Schüler vor dem Etablissement standen und die Besitzerin die Tür aufschob.

Von drinnen grüßte sie kühlende Dunkelheit, das Parkett war blitzblank und die Stühle einladend aufgestellt. Alles schien bereit und die Gäste zu erwarten.

„Hey Ryoga!“

Akane und Ranma warfen einander entrückte Blicke zu.

In einem raren Moment der Einigkeit nickten sie sich gegenseitig zu und beschlossen nicht zu fragen.

Nicht, dass das nötig gewesen wäre.

Auf Ukyos Ruf hin rührte sich nämlich etwas am Thresen. Was auf den ersten Blick wie ‚ein’ schwarzes Kleid aussah, enthüllte bei näherer Betrachtung ‚ein Mädchen im’ schwarzen Kleid.
 

Müde und mit Ringen unter den Augen zog Ryoga sich hoch. Gerade eben erst war sie fertig geworden. Sowohl mit den Nerven, als auch mit der Arbeit.

Der morgendliche Ansturm hatte alle vorherigen in seiner Heftigkeit in den Schatten gestellt. Schüler um Schüler waren hereingedrängt gekommen. Wie die Vorboten einer Überflutung war Welle um Welle hineingeschwappt.

Selbst Ukyo als Okonomiyaki-Veteran hatte sich angesichts des unerwarteten Kundenandrangs überrascht gezeigt. Am Schluss waren sie diese Flut an gierigen Mäulern – Okonomiyaki – und nicht minder gierigen Augen – Ryoga – trotzdem Herr, respektive Frau geworden. Allerdings nicht ohne literweise Soße, Teig und Zutaten einzubüßen.

Natürlich war es an der geknechteten Göttin hängen geblieben, den Unrat, die dreckigen Teller, die verrückten Stühle und herabgefallenen Servierten zu beräumen.

Die Liste war lang gewesen. Sehr lang sogar.

Ein Hibiki-Dickkopf mag zwar nie brechen – Ryogas war aber sehr nahe gekommen.

Kaum hatte sie den letzten Teller eingeräumt und sich zum Ausruhen auf den Thresen fallen lassen, da bimmelte die Türglocke.

Verdattert waren ihre Augen zur Uhr gewandert – und hatten sich auf der Suche nach ihr zweimal verlaufen.

Das konnte doch nicht möglich sein!

War es etwa schon so spät?

Der Ruf ihrer Chefin zerschlug jeden Zweifel und damit auch Ryogas Traum von Erholung.

Ja, schlimmer konnte selbst die Hölle nicht sein!

Was gäbe sie nur darum sich mal wieder zu verlaufen. Oder einmal mehr als Schwein von großen Tieren durchs grüne Dickicht gejagt zu werden. Selbst eine sinnlose Schlägerei mit Saotome käme ihr Recht. Sie konnte schon förmlich seine Stimme erahnen wie diese im mokierenden Tonfall verkündete…

„Du bist ja gar nicht Schweinebacke!“

Für einen Augenblick erstarrte Ryoga. Dann wandte sie ungläubig den Kopf.

Ja verdammt, dass konnte doch nicht wahr sein!

In der Tür standen ihre Nemesis, ihre große Liebe und ihre Arbeitgeberin.

Es war unschwer erkennbar, dass Ryoga auf die Anwesenheit zweier Personen hätte verzichten können.

Wie sich herausstellte, achtete aber mal wieder keiner auf Ryoga Hibikis Bedürfnisse.

„Was meinst du mit Schweinebacke?“, merkte Ukyo auf.

„Na als ich hörte, dass das Kotelett bei dir ackert, dacht’ ich…“

„Kotelett?“

„Ranma, sei nicht so unhöflich – mit Blick an Ukyo gewandt, führte Akane fort – Er spricht von Ryoga.“

Die Art und Weise in der die jüngste Tendo den Namen betonte, machte klar wen sie meinte.

„Was? Ihr dachtet, ER arbeitet bei mir? Der findet doch gar nicht den Weg zum nächsten Tisch, geschweige denn den Stift zum Notieren.“

Während Ukyo und Ranma herzlich lachten, bemerkte Akane aus dem Augenwinkel ein bedrohliches Flimmern.

„Ähm… Ukyo?“

„Ja?“

„Willst du uns nicht deine neue Kellnerin… vorstellen?“

„Sorry Ryoga, hab’ ich dich doch glatt vergessen“, lächelte die Restaurantbesitzerin und stolze Erbin der Kuonji-Linie.

„Bin’s gewohnt“, stichelte Ryoga – wurde aber erneut ignoriert.

„Also – mit diesen Worten schob Uko das Neomädchen vor – das ist Ryoga Hibiki und jetzt haltet euch fest. Nicht nur heißt sie wie unser Globetrotter, sondern sie ist ’ne waschechte Göttin.“

Ukyo strahlte vor Genugtuung, Ryoga vor Zorn, Akane vor Unsicherheit und Ranma? Der war nicht wirklich die größte Leuchte – es war ohnehin nicht so, als ob er etwas von der angespannten Lage mitbekam. Dafür war er umso neugieriger.

„Du bist also ’ne Göttin, eh?“

„Ja. Das bin ich wohl.“

„Und was machste hier?“

„Das was du nicht tust. Arbeiten.“

„Oh.“

Anscheinend aktivierte sich Ukyos Gefahrensinn auch diesmal.

Sie wechselte einen schnellen Blick mit Akane, warf einen auf ihren unbekümmerten Verlobten und fokussierte ihre Kellnerin.

Ihre Zusammenfassung der Situation war erstaunlich knapp und sie lautete wie folgt: Schlecht.

„Treibste Kampfsport?“, fragte Ranma.

„Soll ich’s dir zeigen?“, fragte Ryoga.

Das ihre göttliche Bedienung dabei lächelte, war keineswegs ein gutes Zeichen. Ebenso wenig wie ihr Lächeln ein gutes Lächeln war.

„Ne danke, Mädchen bringen’s einfach nicht. Nimm’s nicht persönlich.“

„Nein, wieso auch? – diesmal feixte Ryoga – Aber erzähl’ das den anderen beiden.“

Besagte ‚andere beiden’ waren Akane und Ukyo. Zudem glimmten sie unheilvoll in aggressiven Rottönen, die rein gar nichts mit der entspannten Atmosphäre eines Sonnenunterganges gemein hatten.

Die Junggöttin lächelte, zeigte Zähne und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Tisch. Akane und Ukyo erledigten den Rest höchst gewissenhaft.

Ja, es stimmte schon.

Der wahre Krieger war nicht der, der selbst zuschlug – sondern der, der andere Fäuste dazu verleitete zuzuschlagen.

Ein paar Minuten darauf zog Akane einen bewusstlosen Ranma hinaus, verabschiedete sich und zog – durchaus doppeldeutig – weiter.

Ukyo kochte. Leider nicht hinter, anstelle dessen aber vor dem Thresen.

Dieser Idiot! Wie kam er nur dazu, so was zu sagen? So sehr sie ihn auch liebte, so blieb er doch ein Sexist.

Hierin merkte man die Wurzeln ihres Verlobten. Hoffentlich würde es in Zukunft bei diesem einen Charakterfehler bleiben.

„Ukyo, alles in Ordnung?“

Rasend vor Wut schwang Ukyo herum. Ihr Handteller stoppte wenige Zentimeter vor Ryogas Wange.

Es war ein Reflex gewesen. Genau diese Worte hatte nämlich Ranma verwendet, um sie vorhin noch zu trösten. Beinahe wäre ihr die Hand ausgerutscht.

Ukyo senkte besagte Hand und legte sie Ryoga stattdessen auf die Schulter.

„Sorry Ryoga. Er ist manchmal ein echter Idiot.“

„Manchmal?“, grinste Hibiki.

„Okay, manchmal auch häufiger.“

Stille kehrte zwischen ihnen ein.

„Wir haben heute Morgen viel eingenommen…“

„Hm.“

„Es genügt.“

„Hm?“

„Wir haben genügend eingenommen.“

„Hm!“

Für eine Weile kehrte die Stille aufs Neue ein und senkte sich wie das Aroma von frischem Okonomiyaki herab. Also omnipräsent und penetrant.

„Angebot. Schließen wir für heut’?“

Ryoga sah erstaunt auf, vergaß aber nicht zu nicken.

„Gut“, murmelte Ukyo und streckte ihre Arme durch und gähnte.

„Ich mach’s Bad fertig. Kommste?“

„W-W-Wie meinen?“

„Ich und du ins Furo. Waschen. Etc.?“

„Eh, also ich…“

„Ich geh’ dann schon mal hoch. Stell’ die Stühle noch hoch, ’kay?“

Mit diesen Worten verschwand sich nach oben.

Die Treppenstufen knarrten vorfreudig.

Weniger Vorfreude verspürte Ryoga.

Dafür gab es nicht wirklich einen besonderen Grund.

Es gab gleich drei.

Angefangen dabei, dass sie ein ER war.

Was an und für sich nicht weiter schlimm wäre, nahm bei ihr fontänenartige Ausmaße an – und zwar bei ihrer Nase.

Der zweite Grund bezog sich auf ihren Status als Göttin. Eine Göttin bewahrte die Moral, sie beschütze und erhielt Vertrauen, weil sich auch vertrauenswürdig war.

Ob ein Junge, der sich als Mädchen ausgab und mit seiner Chefin das Bad teilte vertrauenswürdig war? Ryoga hegte Zweifel.

Zuguterletzt hing ihr mangelnder Enthusiasmus an ihrer Unfähigkeit ins nächste Stockwerk zu finden. Sicher, sie wusste, dass sie theoretisch eine Treppe benötigte, um in die erste Etage zu gelangen.

Allerdings spalteten sich hier erneut Wissen und Umsetzung. So kann man wissen, dass ROT bedeutet, das das anfahrende Auto bremsen muss. Was aber, wenn das der Fahrer selbst nicht weiß?

„Ryoga, komm’ endlich!“

Hektisch packte Hibiki Stuhl um Stuhl, stapelte sie auf den nächstgelegenen Tischplatten und ihr gelang dabei eine interessante Imitation eines kopflosen Huhns – nur mit Kopf.

„Ryoga!“, drängte Ukyos Stimme von oben.

Die herbeigerufene Göttin zuckte zusammen, schloss die Augen und taumelte dem Ruf ihrer Chefin nach.

Sie stieß viermal gegen die Wand, zwei Tische und schließlich auf die Tür ins Treppenhaus.
 

Ukyo sog das Aroma ein.

Zur Feier des Tages hatte sie das Wasser im Furo mit einem feinen Öl versetzt. Die aufsteigenden Dämpfe nahmen auf diese Weise einen angenehmen Geruch an und verbreiteten eine entspannende Atmosphäre.

„Na dann mal los. Fehlt nur noch Ryoga.“

Wo sie wohl blieb? Ob sie sich verlaufen hatte?

Die junge Kuonji musste grinsen.

Es war schließlich nicht so, als wäre die ansehnliche Göttin der tumbe Kämpfer.

Obwohl die beiden durchaus ein paar Ähnlichkeiten aufwiesen, dass konnte nicht geleugnet werden.

Ein großer Unterschied bestand jedoch zwischen beiden. Ihre Kellnerin besaß zumindest so was wie Sexappeal. Ryoga hingegen wanderte irgendwo im Minusbereich herum.

Ukyo seufzte beim Gedanken an ihre Mitarbeiterin.

Ob Ranma die Göttin nur halb so lange schmachten lassen würde wie er es mit ihr und den anderen Verlobten tat?
 

Wo war die Tür? Wo war die Tür? Wo war die Tür?

Ryogas Gedanken kreisten. Außerdem war ihr gerade eben ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. So als würde jemand über sie nachdenken – allerdings in recht unangebrachter Weise.

Bereits zum dritten Mal lief sie den Korridor entlang. Trotzdem besaß sie keine Ahnung, welche Tür nun die Richtige war.

Verdammt! Warum musste ihre Wegfindung auch nur so beeinträchtigt sein?

Na, vielleicht blieben ihr so das gemeinsame Bad und die damit verbundenen Peinlichkeiten erspart?

Das Knarren einer Tür erschütterte diesen Gedanken in seinen Grundfesten.

Hinter ihr öffnete sich besagte Tür einen Spalt breit und entließ das lockende Plätschern von Wasser in den Gang.

Geschlagen und mit hängendem Kopf näherte sie sich der Tür und betrat den Raum dahinter. Unüberraschenderweise handelte es sich um das Badezimmer.

Und eine splitternackte Ukyo betrachtete ihren Körper im Spiegel.

Ihre Blicke begegneten einander.

„Bist du auch endlich da?“

„Huh!“, antworte Ryoga einsilbig.

„Sag’ mal, bin ich hübsch?“

Zur besseren Ansicht drehte Ukyo sich ihr zu.

In Hibikis Nase drohte ein Vulkanausbruch. Ihre Hände zitterten. Sie nickte hölzern.

Peinlich berührt sah ihre Chefin seitwärts.

„Wärst du’n Junge. Würdest du mich zur Freundin haben wollen?“

Ryoga hüstelte betreten, sah überall hin nur nicht zu Ukyo und kratze ihren Nacken.

„I-I-I-I-Ich d-d-denke schon.“

Die mediterranen Düfte mussten ihr zu Kopf steigen – sie begann bereits Kuonji als attraktiv einzuschätzen.
 

Besagte Kuonji musterte ihre Bedienung forschend, aber so sehr sie die junge Göttin auch unter die Lupe nahm – letztendlich konnte sie doch nicht sagen, ob das andere Mädchen log.

Überhaupt war das eine dumme Frage gewesen. Ryoga war schließlich kein Junge; wie sollte sie da sagen können, ob Ukyo hübsch war?

„Mach’ dich fertig. Ich geh’ schon mal vor.“

Kaum waren ihr die Worte über die Lippen geflogen, da verließ sie bereits den Vorraum, betrat den Waschraum und zog die dünne Tür hinter sich zu.
 

Ryogas Wangen brannten. Die Röte auf ihrem Gesicht schien ihren ganzen Körper zu durchwühlen und zu wärmen.

Das Neomädchen seufzte.

So nahe war sie einem nackten Mädchen noch nie gewesen und dann noch diese merkwürdigen Fragen, die Ukyo ihr gestellt hatte.

Sie war ganz verwirrt von der Situation.

Außerdem zuckte ihre Nase gefährlich.

Konnte sie wirklich ein Bad mit Ukyo teilen - ohne dabei an Blutverlust zu sterben?

Argwöhnisch beäugte die junge Göttin die Glühbirne an der Decke über ihr. Die Lampe spendete harmonisch Licht, nichts wies auf spontane elektrische Entladungen hin.

Verdammt, was hatte der Laden da oben für Regeln?

Fluchen verboten – Spannen erlaubt?

Hinter der dünnen Schiebetür plätscherte verführerisch Wasser.

„Oh – mein – Gott.“

Entschlossen entledigte sich Ryoga ihrer Uniform, atmete tief ein und zog die Tür auf.

Nackt bis auf die Haut – so wie Gott sie NICHT oder vielleicht eben DOCH geschaffen hatte – tapste sie in den gefliesten Raum.

„Komm’ rein, du frierst dir sonst noch was ab.“

Etwas abfrieren? Erschrocken sah Ryoga an ihrem Körper herab und jahrelangen Reflexen folgend zu ihrem Unterleib.

„Also ‚dort’ ganz sicher nicht.“

„Ehehehehe…“

Beklommen stieg die Göttin in Ausbildung zu ihrer Chefin ins Bad und begegnete eher zufällig deren misstrauischem Blick.

„W-W-Was?“

„Wascht ihr euch da oben nicht – Ukyo deutete hinauf –, bevor ihr ins Furo steigt?“

Dümmlich drehte Ryoga ihren Kopf, fand den Waschzuber neben der Wanne und lachte verlegen.

„Na ja, vergiss’s.“

Eine Stille, dick genug um eine Diät in Betracht zu ziehen, senkte sich herab.

Keine wusste so recht, worüber sie mit der jeweils anderen reden sollte.

Demnach schwiegen sie produktiv.

Es vergingen ein paar lautlose Minuten, ehe Kuonji das Schweigen brach.

„Wie ist das eigentlich mit Beziehungen und so bei euch?“

Erstaunt sah Ryoga vom Wasserspiegel auf und fixierte Ukyos ausladende Oberweite, ehe ihre Augen zaghaft zu deren Gesicht wechselten.

„Huh?“

„Na, habt ihr Verlobungen, Heirat und so’n Kram?“

Die Adressierte kräuselte die Stirn.

Es stimmte zwar, dass sie mit ihrer Beförderung sehr viel Konservenwissen eingespritzt bekam. Solche eigentümlichen Wissensbereiche wie das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Götter zählten leider nicht dazu.

„Das – weiß ich gar nicht so wirklich…“, gestand sie und zuckte entschuldigend mit den Schultern und rieb sich die Nase. Das Organ begann immer stärker zu jucken.

„Oh.“

Erneut überlagerte Stille das sporadische Plätschern.

„Hast du’n Freund?“

Diesmal hielten sich Ryogas Augen erst gar nicht mit Kuonjis weiblichen Attributen auf, sondern fingen ihren neugierigen Blick sofort ab.

„Auf – keinen – Fall!“

Verwirrt legte ihre menschliche Gesprächspartnerin den Kopf schief.

„Klingst ja verdammt abweisend.“

„Verdammt – ja! Ekelhaft die Vorstellung.“

„Oh.“

Die nachfolgende Stille war insofern eine Stille wie das Brodeln unterhalb der Erdkruste dem Konzept von Stille entspricht.

„Ryoga?“

„Hm?“

„Heißt das du stehst auf Mädchen?“

Man hätte die metaphorische Nadel abprallen hören können.

Tatsächlich war Ryoga so geschockt von der Frage, fast hätte sie sich aus Versehen zurückverwandelt – was inmitten einer überdimensionierten Pfütze heißen Wassers nicht wirklich schwer gewesen wäre.

„Also ich… ich denke… verdammt heiß hier, nicht?“, lachte Ryoga panisch.

Ukyos Fokus aber verließ sie nicht und die Augenbrauen der Kampf-Köchin zogen sich zu einem Pfeil zusammen.

„D-Da es… so heiß ist… eh, ich geh’ schon mal raus. U-Und ins Bett. U-Und gute Nacht.“

Hastig purzelte das Pseudomädchen über den Furorand, lächelte halb wahnsinnig zurück und verschwand ‚durch’ die Schiebetür.
 

Ukyo blinzelte perplex. In ihrer Waschraumtür befand sich nun ein Loch. Es war ein Loch, das die unverkennbare Form eines jungen Mädchens aufwies.

Man hatte einen auffallend guten Blick hindurch.

Ukyo strich ein paar Strähnen nassen Haars hinters Ohr.

Hatte sie mit ihrer letzten Frage wohlmöglich ins Schwarze getroffen?

Die Überreste der Tür knarrten jämmerlich und fielen geräuschvoll zu Boden.

Doch, irgendetwas verriet ihr, dass sie richtig lag.
 

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Anmerkung des Autors:
 

Zuallererst einmal danke für das Interesse an der Geschichte. Wie ich in meinem letzten Nachwort schon bekannt gab, steht der weitere Verlauf der Story fest und es wird sich - bis auf Kleinigkeiten - nichts daran ändern.

Das ist die gute Nachricht.

Nun zur schlechten...

Wahrscheinlich werde ich bis Ende April kein neues Kapitel veröffentlichen können; obwohl es mich durchaus in den Fingern juckt. Grund dafür sind diverse Hausarbeiten für die Universität, die zum Abschluss gebracht werden möchten.

Trotzdem hoffe ich, dass ihr mir die Stange halten werdet und wünsche euch viel Spaß mit Kapitel 5.
 

Euer Deepdream.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  elina
2008-06-04T06:47:57+00:00 04.06.2008 08:47
Arme(r) Ryoga! So viel peinliche Sachen, die er bzw. sie erleben muss!

Aber einen triuphalen Moment hatte Ryouga schon! ^^ Das mit Ranma hat ja wunderbar geklappt *bei der Vorstellung immer noch lachen muss* echt großartig!

Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass Ryouga sich im Bad nicht zurück verwandelt hatte. Das wär 'ne Katastrophe gewesen! (aber das kommt noch, ne?)

Sonst weiß ich nicht recht, was ich noch dazu schreiben sollte ^^"
Das Kapitel war sehr gut, lustig und macht neugierig aufs mehr!
Also, bis denne! ^^//
Von:  MichiruKaiou
2008-05-06T10:04:33+00:00 06.05.2008 12:04
Hmm, also das Kapitel war inhaltlich auf jeden Fall sehr interessant.
Es ist ulkig, dass Ryoga eigentlich keinen Plan davon hat, wie man eine Göttin ist bzw. über die Regeln, die für ihn gelten.

Super fand ich es, dass er ständig angebaggert wurde und seine Antworten auf die ungestellte Fragen waren echt geil XD

Die Situation zwischen Ryoga und Ukyo finde ich auch sehr interessant. Ich hätte ja nie gedacht, dass er mit ihr ins Bad steigt und er es dann auch noch schafft, ein Mädchen zu bleiben!
Aber auch wie Ukyo vom männlichen Ryoga redet, finde ich recht gut gemacht.

Naja, und wie schon zuvor mal erwähnt, gefallen mir persönlich Ranmas Kosenamen für Ryoga ('Schweinebacke' etc.) wirklich nicht gut.
Und langsam frage ich mich, wie groß Ukyos Wohnung eigentlich ist, wenn Ryoga sich da auch so gut verlaufen kann. Wenn er ein bestimmtes Zimmer sucht, hätte ich ihm eigentlich zugetraut, dass er einfach jede Tür aufreißt.
Dass mit seinem fehlenden Orientierungssinn ist zwar witzig, aber da solltest du auch aufpassen, dass sich das nicht auslutscht.

Ansonsten kann ich dir nur sagen, dass du auf deine Geschichte stolz sein kannst! Und dass ich es durchhalte, sie zu lesen. Denn normalerweise schreckt mich bereits die Wortzahl deiner Kapitel ab, aber es lässt sich wirklich gut lesen^^
Von:  Ghost6
2008-03-26T09:30:26+00:00 26.03.2008 10:30
wow...
wie immer ieng utes kapitel. das ranma manschmal wirklich keine große leuchte ist ist ja bekannt. aber was sollst...
mal sehen wie es weiter geht.^^


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