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Shard

von

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Eine Sache, die Kizu mit ziemlicher Sicherheit von sich selbst behaupten konnte, war, dass er sich (eigentlich) nie so richtig sicher war. Sein Leben war soweit mehr als unstetig verlaufen und nicht selten bereute er Beschlüsse und Entscheidungen, die er getroffen hatte. Aber insgesamt hatte er sich damit abgefunden, dass nun mal nie etwas so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. Er war sich noch nie bei einer Sache, die er machte, gewiss gewesen, dass es das Richtige war, was er tat. Als er mit vierzehn von zu Hause weglief, bedauerte er es schon am nächsten Tag. Er war sich bis heute nicht sicher, ob es das Richtige gewesen war damals mit Sakito zusammen zu ziehen. Ebenso wenig war er sich sicher, ob das, was sie beide verband, wirklich Liebe war, obwohl er es wirklich glauben wollte. Davon abgesehen war er nicht wirklich davon überzeugt, dass es das Richtige war Nacht für Nacht anschaffen zu gehen und somit die Schule zu vernachlässigen nur um die Drogengeschäfte seines Freundes zu finanzieren. Schlussendlich war er sich nicht mal sicher, ob das Leben, das er führte, wirklich lebenswert war. Allerdings stand gegenüber all diesen Unsicherheiten stets die Gewissheit, dass er nicht sterben wollte. So erbärmlich es auch war, es war sein Leben. Und er würde daran festhalten solange es ging.

An diesem Abend machte er sich ein wenig bedrückt auf den Weg nach Hause. Er wusste schon, was er sich dort wieder anzuhören haben würde. In dieser Nacht hatte er nicht gerade viel eingenommen. Sakito würde sicher wieder ausrasten. Kizu seufzte. Der Tag war nicht gerade so verlaufen, wie er sich erhofft hatte. Er hatte am Morgen so sehr verschlafen, dass es keinen Sinn mehr gemacht hätte in die Schule zu gehen und dann war heute Abend noch nicht mal irgendeiner seiner üblichen Freier unterwegs gewesen. Nichts desto trotz kam er sich hundemüde vor, während er durch die dunklen Straßen zwischen Wohnblocks und Kneipen herumtapste. Er wollte nur schnell duschen und dann endlich schlafen, aber er musste noch dringend ein paar Hausaufgaben erledigen. Er trat eine auf dem Gehweg liegende Coladose lustlos aus dem Weg. Die Aussicht jetzt noch pauken zu müssen gefiel ihm zwar nicht unbedingt, aber er hatte den Endschluss gefasst wenigstens zu versuchen die Schule zu Ende zu machen. Und das möglichst mit Noten die nicht gerade im Keller hingen. Auch wenn die Aussichten nicht gerade rosig für ihn waren. Schließlich fehlte er ständig, kam zu spät oder schlief in den Stunden ein. Unter den Lehrern hatte er sich auch bereits einen guten Ruf gemacht, wie es schien. Er lachte sarkastisch auf. Als wäre die Schule nicht schon spaßig genug mit Nagi auf seinen Fersen. Düster dreiblickend überquerte er die Straße. Heute war er nicht beim Unterricht gewesen. Ob dieser Naoru wohl nach ihm Ausschau gehalten hatte? Sogleich schüttelte er den Kopf. Natürlich hatte er das nicht. Was bildete er sich da nur ein? Er kannte den Typen zwar nicht einmal, aber vielleicht war dieser abstruse Gedanke soeben ihm ja gekommen, weil besagter Typ es in nur zwei Tagen geschafft hatte hinter Kizus zwei bestgehütetsten Geheimnisse zu kommen. ‚Ja’, dachte er bei sich. ‚Klingt einleuchtend.’ Da war es nur natürlich, dass der Kerl ihm nicht mehr aus dem Kopf ging, oder? Er hoffte einfach nur, dass er auch wirklich dicht halten würde. Noch mehr Stress konnte er absolut nicht gebrauchen. Automatisch machten seine Füße vor dem Wohnkomplex halt, in dem sich Sakitos und sein Apartment befanden. Es brauchte nicht viel Einschätzungsvermögen um sagen zu können, dass das Haus völlig heruntergekommen war. Kizu wusste, dass die Nachbarschaft nicht unbedingt die feinste war, aber die Wohnung war gemütlich (nicht besonders sicher, aber gemütlich) und vor allem günstig. Da die Scheibe der Haustür eingeschlagen war, hätte Kizu sie auch ohne Schlüssel öffnen können, trotzdem machte er sich die Mühe, denn er fand, dass er wenigsten den Schein eines sicheren Zuhauses wahren sollte. Er stieg die drei Stockwerke zu Fuß hoch, da der Fahrstuhl des Hochhauses schon seit geraumer Zeit nicht mehr funktionstüchtig war. Im Treppenhaus verhielt er sich so leise wie möglich. Er war nicht unbedingt scharf auf ein Treffen mit seinen Nachbarn. Für gewöhnlich nahm er aus diesem Grund auch lieber die alte Feuertreppe um in die Wohnung zu gelangen, da dies der unauffälligere Weg war, aber wenn Sakito zu Hause war ging das nicht. Er hatte ihm vor einiger Zeit verboten die Feuertreppe zu nehmen und Kizu wollte den Streit den sie an dem Tag hatten nicht unbedingt wiederholen. Sakito konnte fürchterlich sein, wenn er erst einmal in Rage geriet…

„Ich bin wieder da~“, verkündete Kizuato, als er die leicht muffige Wohnung betrat. Kizus Freund ließ lediglich ein desinteressiertes „Hm.“ aus dem Wohnzimmer verlauten, das wohl zeigen sollte, dass er seine Ankunft zur Kenntnis genommen hatte. Es war schon nach zwei Uhr, aber das hinderte den Älteren und Größeren nicht daran vollkommen gelangweilt, dafür aber auf voller Lautstärke, irgendeinen scheinbar sehr blutigen Horrorfilm zu sehen. Kizu überlegte kurz, ob er ihn bitten sollte den Fernsehapparat leiser zu drehen, entschied sich allerdings dagegen. Er würde ihn im Endeffekt nur anschnauzen und es doch nicht leiser stellen, warum sich also die Mühe machen? Kizu griff stattdessen nach seiner Schultasche, die neben der Couch, auf der Sakito es sich gemütlich gemacht hatte, auf dem Boden lag und wollte sich ins Schlafzimmer oder besser gesagt zu aller erst einmal in dessen angrenzendes Bad begeben, wurde allerdings von Sakito aufgehalten der den Arm um ihn gelegt hatte und ihn mit zu sich auf dich Couch zog. „Wohin denn so eilig?“, flüsterte er und biss Kizu leicht in Hals. Dem Jüngeren lief ein wohliger Schauer den Rücken. Kizu verwechselte solche Gesten schon lange nicht mehr mit irgendwelchen Zärtlichkeiten. Sakito machte sich derartige Mühe immer nur dann, wenn er Sex wollte. Er wusste dies tief in seinem Unterbewusstsein, dennoch gab Kizu sich ihm so gut wie jedes Mal hin. Die blondgefärbten Strähnen, die Sakito ins Gesicht hingen und im starken Kontrast zu dem Rest seiner eigentlich schwarzen Haare standen, kitzelten Kizu ein wenig im Nacken. Gerade war eine seiner großen, langfingrigen Hände im Begriff sich unter das ärmellose Shirt Kizus zu stehlen, als dieser sich aus seinen Armen wand und sich von der Couch erhob. „Was’n jetzt los?“, stöhnte Sakito genervt auf. „Ich bin müde und außerdem muss ich noch lernen…“, erwiderte Kizu so sachlich wie möglich und beugte sich zu der Schultasche, die ihm eben aus den Händen gefallen war, um sie aufzuheben. „ Lernen, lernen…Immer diese scheiß Paukerei! Ich hab dir schon vor Ewigkeiten gesagt du sollst die Schule endlich schmeißen! Wenn du weniger Zeit mit dieser dämlichen Lernerei verschwenden würdest, brächtest du auch mehr Geld mit nach Hause…“, grummelte Sakito und ließ sich zurück in die Polster der Couch fallen. Kizu war bedacht darauf nichts zu antworten. Er schwieg lieber was das Thema Schule anging um weiteren Ärger zu vermeiden. „Apropos, wie viel haste denn heute verdient?“, der Einundzwanzigjährige warf Kizu einen prüfenden Seitenblick zu. Dieser griff in seine rechte Hosentasche und kramte einige Scheine hervor. Kaum hatte er sich herausgeholt, schnappte Sakito sie ihm auch schon aus der Hand und zählte sie durch. „Was? Das ist alles? Nur so wenig? Willst du mich verarschen!? Was soll ich mir denn von dem Geld bitte kaufen?“, ranzte er ihn an und warf das Geld achtlos auf den mit Bierflaschen, Zigarettenstummeln und Rechnungen vollbepackten Couchtisch. „Heute war eben nicht viel los.“, erklärte Kizu ruhig. „’Nicht viel los’! Das ich nicht lache. Du hast dich nur wieder dämlich angestellt und dir damit die Kunden verjagt!“, schnaufte Sakito verächtlich und zündete sich eine Kippe an. „Du kannst echt gar nichts richtig machen. Selbst fürs Anschaffen bist du zu blöd…“, sagte er und zog, den Blick wieder zum Fernseher gewand, an seiner Zigarette. „Wenn’s dich so sehr stört, geh doch selbst arbeiten…“, murmelte Kizu schlecht gelaunt und kaum hörbar. Allerdings nicht leise genug, Sakito hatte seine Worte sehr wohl vernommen und schon im nächsten Augenblick war er aufgesprungen und hatte Kizu eine schallende Ohrfeige verpasst, die den Kleineren zu Boden stürzen ließ, wo er zunächst geschockt liegen blieb. „Fang ja nicht an mir Widerworte zu geben! Da kann ich gar nicht gut drauf! Du weißt genau wie es zwischen uns beiden läuft: Du schaffst das Geld ran und ich pass auf dich auf! Und jetzt fang bloß nicht an hier rumzuheulen!“, schnauzte Sakito, der mit seinen goldgelben Augen und seinem stechenden Blick den am bodenliegenden Kizu focussierte, welchem vor Schmerz die Tränen in die Augen gestiegen waren. Schweigend und die Tränen runterschluckend erhob er sich von dem schmutzigen Teppich und wankte Richtung Tür. „So ist’s richtig! Verpiss dich ruhig! Ich kann deinen verdammten Anblick sowieso nicht mehr ertragen!“, rief Sakito ihm noch hinterher, als der Schwarzhaarige die Türe ins Schloss fallen ließ.
 

Kizu lief zerstreut durch die nächtlichen Straßen und versuchte mit aller Kraft nicht zu weinen. Es war einfach frustrierend. Alles lief scheiße. Einfach alles. Was würde er jetzt für ein Messer oder eine Scherbe geben, dachte er bei sich. Kizu ritzte seit er etwa elf Jahre alt war. Er wusste selbst nicht genau wie es kam, aber er fühlte sich jedes Mal besser danach. Als hätte er Dampf abgelassen. Immer, wenn er besonders gestresst oder frustriert war, reagierte er sich auf diese Weise ab. Er war sich weder sicher, ob Sakito davon wusste, noch konnte er mit Gewissheit sagen, ob es ihn überhaupt kümmern würde.

Blind streunte er durch die Stadt. Seine Wange pochte schmerzhaft. Den Schmerz ignorierend verfolgte er stur seinen Weg ohne ein wirkliches Ziel zu haben. Irgendwo musste er ja hin. Nur gelegentlich fuhr ein Auto an ihm vorbei. Irgendwann, als seine Beine anfingen von dem vielen Laufen weh zu tun, ließ er sich auf den Sitzbänken einer Bushaltestelle nieder. Er vergrub seine Hände, die inzwischen eiskalt waren, tief in den Hosentaschen und starrte auf die leergefegte Straße, die lediglich von einer einzigen Laterne und der Leuchtreklame, die die Bushaltestelle zierte, beleuchtet wurde. Seine rechte Gesichtshälfte pulsierte heiß, er fühlte sich schmutzig, verbraucht und ihm war kalt. Besser konnte der Abend ja gar nicht mehr werden. Nach wenigen Minuten in denen er stumm dagesessen und in die Stille der Nacht gelauscht hatte, vernahm Kizu plötzlich Schritte. Irgendjemand schien ziemlich langsam auf ihn zu zukommen. In der vagen Hoffnung Sakito wäre ihm möglicherweise nachgekommen um sich zu entschuldigen hob er erwartungsvoll den Kopf und spähte in die Richtung aus der die Schritte kamen. Es überraschte ihn nicht sehr, dass es nicht sein Freund war, der da auf ihn zu kam, aber, dass er in dem dimmen Licht plötzlich Naoru ausmachte, verwunderte ihn schon ein wenig. Der großgewachsene, dunkelhaarige Junge bewegte sich schleppend in seine Richtung und kam schließlich vor ihm zum Halt. „Du schon wieder.“, murmelte Kizu und grinste müde, obwohl ihm nicht wirklich danach zumute war. „Verfolgst du mich etwa? Bist wohl ’n Stalker, hm?“ Naoru blies ein wenig Zigarettenrauch in die Abendluft und warf dann den aufgerauchten Stummel zu Boden, wo er ihn austrat. „Davon träumst du wohl…“, merkte er an und beugte sich kritisch dreinblickend zu dem sitzenden Kizu herunter. Er streckte eine Hand nach dessen Wange aus und berührte leicht die Stelle an der sie geschwollen war. Eben dort hatte sich eine kleine Platzwunde aufgetan, die wahrscheinlich der Grund für Kizus Schmerzen war. Ebendiese veranlassten ihn auch bei der eigentlich sehr sanften Berührung leicht zurück zu zucken. „Was hast du da gemacht?“, fragte Naoru jetzt und wand seinen Blick von der Wange ab um Kizu in die blauen Augen zu sehen. „Nichts.“, erwiderte Kizu sofort. „Ach, so was kommt von nichts?“, hakte Naoru nach und stellte sich wieder aufrecht hin. Zuerst überlegte Kizu, ob er zu der Sache schweigen sollte, aber dann beschloss er, dass der andere sowieso schon in die meisten Dinge, die sein Privatleben betrafen, Einblick gewonnen hatte und dass es keinen Unterschied machen würde, wenn er ihn ein wenig weiter damit in Verbindung geraten ließ. „…Sakito und ich hatten Streit.“, erklärte er sehr leise, praktisch kaum hörbar. „Und da hat er dich geschlagen?“, fragte Naoru ungläubig und sah den Kleineren mit hochgezogenen Brauen an. „Jetzt guck nicht so! Es ist ja nicht so, als ob er so was ständig macht!“, rechtfertigte Kizu seinen Freund. „Trotzdem.“, beharrte Naoru. Ernst dreinschauend ließ er sich auf der Sitzbank neben dem Schwarzhaarigen nieder. „Worüber habt ihr euch denn gestritten?“, fragte er nach. „Mh-…ach. Nicht so wichtig.“, erklärte Kizu kurzangebunden und errötete leicht. Naoru beäugte ihn neugierig. Kizu, der diesem Blick nur schwer standhalten konnte, fügte deshalb an: „Es…Es ging um naja meine ‚Arbeit’…ach du weißt schon. Und…nun…also Sakito meint schon seit einiger Zeit ich soll endlich die Schule abbrechen und mich aufs Geld verdienen konzentrieren...“ Naoru betrachtete den Jungen für einen Moment, dann fragte er schließlich: „Und? Willst du die Schule wirklich schmeißen?“. „ …eigentlich nicht. Ich meine…ich hasse die Schule. Aber ich will schon nen ordentlichen Abschluss…“, erneut blickte Kizu bekümmert drein. „Ist doch auch vollkommen in Ordnung.“, meinte Naoru schließlich und lehnte sich zurück gegen die Glaswand, die hinter den Sitzen der Haltstelle lag. „Ich weiß nicht, was der Typ hat. Daran ist doch nichts falsch.“, fügte er an Kizu gewand hinzu. Dieser schwieg einen Moment und blickte gen Boden. Er murmelte irgendetwas, das wohl an Naoru gerichtet war, doch auf halbem Wege entschied er sich, doch lieber nichts zu sagen, so dass Naoru ihn verwirrt betrachtete. Kizu konnte ihm einfach unmöglich jetzt und hier sein Herz ausschütten. Es war nur, dass er so furchtbar verunsichert war. Schließlich redete ihm Sakito ständig ein, dass er nichts richtig machte. Wie also konnte er sich sicher sein, dass es sich überhaupt lohnte einen Abschluss zu machen? Wie sollte er wissen, ob er das Ganze überhaupt schaffen würde? Naoru war es, der ihn wieder aus den Gedanken riss: „Wie auch immer. Wir sollten was wegen deiner Wange unternehmen…“, bestimmte er und packte Kizu plötzlich an der Hand um ihn auf die Beine zu ziehen. Dieser war zu überrascht, als dass er hätte irgendwelche Einwände vorbringen können. „Komm mit.“, hieß Naoru ihn und zog den schmalen Jungen an einer seiner zierlichen Hände hinter sich her. Dieser wurde leicht rot und warf Naoru, der schnellen Schrittes vor ihm her marschierte, ein wütendes „Hey!“ zu, das zu seinem Verdruss nur sehr halbherzig klang. „Wo gehen wir denn…“, begann er seine Frage, die im nächsten Moment jedoch bereits beantwortet wurde. „ …hin…“ Sie waren vor der erst besten Kneipe in der Gegend angehalten und Naoru bemühte sich nun Kizu hineinzukomplimentieren. „Komm schon.“, grinste er. „Ich füll dich schon nicht ab, keine Sorge.“, erklärte er lachend. Kizu lief bei diesem Kommentar zu seiner eigenen Verwunderung nur noch röter an und riss seine Hand endlich aus dem Griff des Anderen. Ohne ein Wort betrat er die Spelunke und sah sich ein wenig skeptisch um. „Und was wollen wir jetzt bitte hier?“, fragte er und drehte sich zu Naoru, welcher hinter ihm eintrat, um. „Siehst du gleich.“, erklärte dieser und beförderte Kizu mit sanfter Gewalt in Richtung Theke. Der Mann dahinter, welcher damit beschäftigt war ein Glas zu putzen, da es um die Uhrzeit wohl nicht mehr all zu viel zu tun gab, blickte auf Kundschaft hoffend auf, woraufhin sich ein freudiges Lächeln auf seine Lippen schlich. „Naoru! Warst doch erst gestern hier! Hast du bei der Lieferung was vergessen oder warum sonst hab ich die Ehre?“ „Nee, hab heute meinen freien Tag. Kannst du meinem Freund hier und mir irgendwas Hochprozentiges und ein bisschen Eis geben?“, erklärte er und deutete dabei auf Kizus geschwollene Wange. Dieser war zu seinem Ärger erneut errötet. ‚Sein Freund?’, ging es ihm leicht verlegen durch den Kopf. Kizu war seit Jahren mit niemandem mehr ‚einfach nur befreundet’ gewesen… „Geht klar~“, erwiderte der Mann inzwischen und schenkte den Beiden eine glasklare Flüssigkeit ein. Um sich selbst aus seinen ein wenig verwirrenden Gedanken zu reißen und seine Ratlosigkeit zu übertünchen fragte Kizu flüsternd, ob Naoru den Kerl gut kenne. „Nee, ich arbeite nur manchmal für ihn.“, erklärte Naoru beiläufig. Kizu betrachtete ihn und ihm fiel unweigerlich auf, dass er eigentlich so gut, wie gar nichts über sein Gegenüber wusste. „Hier.“, verkündete der Mann hinter der Theke schließlich und stellte die Gläser auf dem Tresen ab. Naoru und Kizu ließen sich derweil auf den Barhockern nieder. Kizu, welchem immer noch nicht ganz klar war, warum sie hier waren und, ob das alles vielleicht nur ein Plan von Naoru war um ihn rumzukriegen, griff schwer seufzend nach dem Glas voll was-auch-immer und wollte gerade einen Schluck nehmen, da hatte Naoru es ihm auch schon wieder aus der Hand genommen. „Hey, was-“, verkündete Kizu leicht bestürzt und zuckte angesichts eines plötzlichen heißen Schmerzes auf seiner rechten Wange derartig zusammen, dass ihm die Worte im Mund erstarben. Naoru hatte hinter die Bar gegriffen, sich ein Geschirrhandtuch geschnappt und es mit dem Alkohol benetzt, ehe er es auf Kizus Wunde tupfte. „Was zur Hölle machst du da?!“, protestierte der Kleinere und wich einem erneuten Angriff des Geschirrhandtuchs Naorus aus. „Ich desinfiziere die Platzwunde, die dir dein dämlicher Freund verpasst hat.“, erklärte Naoru sachlich und versuchte erneut Kizus Gesicht zu erreichen. Allerdings vergebens. „Er ist nicht dämlich!“, erklärte schmale Junge aufgebracht und erhob sie wütend von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. Der Kerl hinterm Tresen guckte dümmlich und polierte dabei ein Glas, das schon lange sauber war, weiter ohne es zu bemerken. Naoru seinerseits blickte ernst drein und sagte dann: „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beleidigen.“. „Du hast nicht mich sondern ihn beleidigt!“, erklärte Kizu immer noch gereizt und blickte Naoru böse mit seinen strahlendblauen Augen an, in denen man seinen Ärger förmlich brodeln sehen konnte. „Du kennst ihn ja nicht mal!“, brachte er wütend hervor. Naoru für seinen Teil schwieg einen Moment und brach schließlich den Blickkontakt. „Es tut mir leid.“, erklärte er noch einmal und war sich im Stillen sehr sicher, dass es ihm ganz und gar nicht Leid tat. Kizu allerdings schien dies wohl zu genügen, denn er nahm wieder Platz. „Da.“, erklärte der kleine Schwarzhaarige und wies mit dem Finger auf die Stelle unter seinem nun geschlossenen Auge, die blutete. „Du warst da gerade beschäftigt.“, erklärte er und forderte Naoru somit dazu auf seine Bemühungen ihn zu verarzten wieder aufzunehmen. Naoru fuhr unbeirrt mit der Desinfektion der Wunde fort. „Du scheinst ja ganz schön verliebt in den Kerl zu sein, wenn du ihn derartig in Schutz nimmst.“, merkte er dabei an. Kizu sagte nichts. Stattdessen sog er scharf die Luft ein, als Naoru ihm erneut vorsichtig das in Alkohol getränkte Tuch unters Auge drückte. „Muss das so brennen?“, fragte er mit kritisch zusammengezogenen Augenbrauen an Naoru gewand. „Jep. Muss es.“, nickte dieser und grinste leicht. Er wunderte sich bereits selbst, wie leicht ihn in Kizus Gegenwart ein Lächeln überkam. Er legte das Tuch schließlich beiseite und wickelte die Eiswürfel, die der Barkeeper ihnen in einer Schale hingestellt hatte, in ein neues und reichte das Bündel schließlich Kizu, welcher es dankend entgegen nahm und es sich erleichtert seufzend unters Auge hielt. „Besser?“, fragte Naoru. „Ja, Danke.“. Sein Gegenüber nickte. Naoru griff indessen nach dem zweiten Glas, das er bestellt hatte. „Schlag das nächste Mal am besten zurück…“, schlug er grinsend vor, während er Kizu beim kühlen beobachtete. Dieser lachte hol auf. Der bloße Gedanke schien ihm selbstmörderisch. Er blickte auf zu Naoru und erstarrte einen kurzen Moment lang. Bei dem Anblick seines Lächelns wurde Kizu aus unerfindlichen Gründen leicht verlegen und blickte wieder zu Boden. Er war es nicht gewohnt soviel angelächelt zu werden oder überhaupt so ausgelassen zu sein. Kritisch musterte er den Älteren aus den Augenwinkeln. „…Naoru?“, begann er zögerlich, die Frage zu formulieren, die ihm schon eine ganze Weile lang auf der Zunge lag. „Hm?“, erwiderte der Angesprochene interessiert und musterte den Kleineren durchdringend. „…Sag mal... findest du mich nicht irgendwie…naja abstoßend?“, fragte er schließlich und nahm sogar den Mut zusammen dem Andern in die Augen zu blicken. Dieser war regelrecht zurückgeworfen durch diese Frage. Wie kam der Kleinere nur darauf? Von seinem Aussehen sprach er sicherlich nicht, merkte Naoru gedanklich an. Schließlich sah selbst ein Blinder wie schön Kizu war. Verwirrt blickte er ihn an und fragte: „Was meinst du mit abstoßend?“ Kizu druckste herum. Er wünschte sich sehnlichst der verdammte Barkeeper wäre taub, obwohl er zumindest im Moment beschäftigt schien und ihnen keine Aufmerksamkeit schenkte. Doch es half alles nichts, daher beugte er sich zu Naoru herüber und flüsterte: „Na…du hilfst mir, redest ganz normal mit mir…ich meine…findest du es nicht abartig, dass ich für Geld mit Männern schlafe?“ Nachdem er seinen Satz beendet hatte, blickte er ihm tieftraurig und voller Zweifel in die Augen. Naoru musterte ihn ebenfalls und seufzte schließlich nach einer Weile des Schweigens auf. „Ich finde du solltest so bald wie möglich aufhören damit, bevor du dich noch selbst kaputt machst.“, erklärte er ernst und fügte auf Kizus stirnrunzelnden Blick hin hinzu: „Mit deiner Sexualität hab ich allerdings kein Problem!“. Der Kleinere wirkte erstaunt. „…Ich hab mir darüber eigentlich noch nie groß Gedanken gemacht… Hab auch noch nicht in Erwägung gezogen es mal mit nem Typen zu probieren, aber abartig ist das ganz sicher nicht.“, erklärte er nachdenklich aber bestimmt. Kizus Blick hellte sich augenblicklich auf. „Mhh, warum denn noch nicht in Erwägung gezogen? Ganz gutaussehend bist du ja schließlich!“, grinste er den andern neckisch an, woraufhin dieser ihm feixend vor die Stirn schnipste. „Nein, mal ehrlich! Warum?“, lachte Kizu, nachdem er einen jämmerlichen Ausweichversuch gestartet hatte. „Naja... Hatte bis jetzt zwar ne Menge Freundinnen, aber…“, meinte Naoru nachdenklich. „Was ernstes dabei gewesen?“, hakte Kizu gespannt nach und piekste Naoru spielerisch in die Seite. „Nicht wirklich. Die meisten waren eigentlich nur Zeitvertreib und Mittel gegen die Langeweile…“, erklärte Naoru geistesabwesend. „Du bist echt komisch…“, grinste der Kleinere breit, sich immer noch das kühlende Eis auf die Wange drückend. „Meinst du?“, lachte Naoru auf, woraufhin er enthusiastisch nickte. Naoru schmunzelte und trank einen Schluck aus dem Glas in seiner Hand. Er schauderte kurz. Der Alkohol schien ihn von innen aufzuwärmen. Kizu beobachtete ihn angestrengt, was Naoru dazu brachte ihn forschend anzusehen. „Was?“, fragte er schließlich. „Gib mir auch nen Schluck.“, forderte der Kleinere. „Das vergisst du mal schnell wieder. Alkohol ist keine Lösung, Kleiner.“, grinste Naoru und kippte das Zeug in einem Zug runter. „Außerdem bist du bestimmt noch viel zu jung zum Trinken!“, zog Naoru ihn auf, nachdem er das leere Glas auf dem Tisch abgestellt hatte und wuschelte ihm kurz durchs seidigglatte Haar, das ihm etwa bis zu Schulter reichte und zu einem Zopf zusammengebunden war. Einen Moment blickte Kizu ihn verwundert über diese plötzliche Geste an, dann besann er sich jedoch umgehend wieder darauf mit seinem Gegenüber zu streiten: „Du vergisst, dass wir in einer Stufe sind!“, erklärte er und konnte den triumphierend klingenden Unterton in seiner Stimme nicht verleumden. „So? Und wie alt bist du?“, Naoru hob erwartend eine feingeschwungene Augenbraue. Zurückgeworfen durch diese Frage murmelte Kizu nur ein kleinlautes und sehr zögerliches „…fast achtzehn.“. „Fast~?“, grinste Naoru. „Na, eben beinahe!“, erklärte der andere und lehnte sich geschlagen und für besiegt erklärt auf den Tresen. „Hab mir doch gedacht, dass du zu jung für deinen Jahrgang aussiehst. Hast du irgendwann mal ne Klasse oder zwei übersprungen?“, hakte Naoru nach und musterte den Kleineren interessiert. „Ja, vor ein paar Jahren mal.“, murmelte Kizu und wurde ein wenig rot. Wenn er so darüber nachdachte, wirkte dies alles, als wäre es eine halbe Ewigkeit her. In der Zwischenzeit war viel passiert… „Wie kommt’s dann, dass du plötzlich so schlecht in der Schule geworden bist? Du solltest mal hören, wie die Lehrer teilweise über dich reden…“, erklärte Naoru und bedeutete dem Kerl hinterm Tresen, durch Fingerzeigen, dass er gerne zwei Gläser Cola hätte. Kizu legte das Eis aus der Hand und nahm eines davon entgegen. Er blickte hinein, als läge in dem Zuckerwasser die Antwort auf Naorus Frage. Tja. Sonderlich hoch angesehen war sein Ruf inzwischen wirklich nicht mehr. Kein Wunder… so rapide, wie seine Leistungen in den letzten drei Jahren gesunken waren. Plötzlich wurde er sich darüber klar, dass Naorus Blick immer noch fragend auf ihn gerichtet war. „Hm…ich hab… naja…viel um die Ohren gehabt. Du hast ja gestern mitbekommen, dass ich …nun ja.“ Er warf dem Kerl hinter der Schanke einen nervösen Blick zu, doch dieser schien immer noch schwer beschäftigt zu sein. Kizu murmelte ein: „Ach…naja… du weißt schon.“, ehe er weitersprach. „Und das alles hält mich halt viel vom Lernen ab und dazu kommt, dass ich ständig so müde bin und… und mit den Hausaufgaben nicht nachkomme… nun und in der Schule bin ich wie du mit bekommen hast nicht unbedingt der beliebteste…ich… naja…“, stotterte Kizu sich nachdenklich und zugleich sehr verlegen zusammen, wurde aber jäh von seinem Gegenüber unterbrochen, da dieses merkte wie schwer es ihm fiel über dieses Thema zu sprechen. „Du warst heute nicht in der Schule, oder?“, warf er ganz beiläufig ein um schnell einen neuen Gesprächsgegenstand zu finden. Kizu schüttelte den Kopf. „Hab verschlafen… ich bin manchmal wirklich ein Siebenschläfer! Morgens komm ich nie besonders gut aus dem Bett, weißt du?“, erklärte er lachend und rieb sich peinlich berührt den Hinterkopf. Naoru drängte den Gedanken, dass dies wohl damit zusammenhing, dass er nachts nicht all zu viel Schlaf bekam, ärgerlich beiseite. „Kommst du morgen?“, fragte er stattdessen. „Kann schon sein.Vielleicht.“, erklärte Kizu und nahm geistesabwesend einen Schluck Cola. Naoru beobachte ihn kritisch. „Aber du willst doch die Schule zu Ende machen, oder?“, fragte er schließlich. Kizu verschluckte sich beinahe. „Natürlich! Auf jeden Fall.“, erklärte er enthusiastisch. „Ich geb mir ja auch schon alle Mühe, aber es ist irgendwie alles so kompliziert in letzter Zeit…“, erklärte er und wurde dabei immer leiser. „Weißt du…ich…“, er stockte kurz und blickte Naoru abwägend an. Schließlich flüsterte er ihm, mit einem weiteren Blick in Richtung des Typen hinter der Bar, kaum hörbar und mit zittriger Stimme zu: „Ich kann doch nicht ewig anschaffen gehen, oder?“ Sein Blick wirkte betrübt. „Ich möchte irgendwann mal was aus meinem Leben machen! Irgendwas damit anfangen, weißt du? Und dafür brauch ich zuallererst einen Schulabschluss. Um…naja um mal was Richtiges zu machen. Nen echten Beruf zu erlernen...“, stammelte Kizu und fummelte nervös an den Armbändern seines lädierten Handgelenks, wie er es meistens tat, wenn ihm bei irgendetwas nicht wohl war. „Wenn doch Sakito nur…“, wollte er fortfahren, wurde aber erneut von Naoru unterbrochen. „Was hat denn dieser Sakito damit schon wieder zu tun? Es ist dein Leben und du kannst damit machen, was du willst!“, erklärte Naoru und versuchte dabei seine Stimme ruhig zu halten. Ungehalten leerte er sein Glas. Kizu war sich nicht sicher, ob es nur seine Einbildung war oder, ob Naoru tatsächlich gereizt klang. Machter er sich etwa Sorgen um ihn? Unmöglich…War Naoru vielleicht einfach nur genervt von Kizu? Der Schwarzhaarige wusste es nicht, daher war er ein wenig verunsichert und mied Naorus Blick. Stattdessen betrachtete er verlegen und leicht pink um die Nase herum seine Schuhe. Naoru schien dies fehlinterpretiert zu haben, denn er bemühte sich sogleich seine Stimme wieder zu finden: „Tut mir Leid. Wirklich. Ich wollte dich nicht so anfahren und du hast recht, ich kenn deinen Freund nicht mal. Hab schon verstanden…entschuldige bitte.“ Er klang wirklich als täte es ihm Leid, dachte Kizu und bekam sogleich Schuldgefühle. „I-ist schon gut!“, sagte er und hob beschwichtigend die Hände und den Blick, nur um erneut verlegen dreinzuschauen, da er auf ein Lächeln stieß. „Sollen wir sicher gehen, dass du morgen nicht verschläfst?“, fragte er nach einer Weile des Schweigens, in der nur das beständige Quietschgeräusch des alten Mannes, der sein Glas polierte, zu hören war und erhob sich von seinem Platz. Auf Kizus fragenden Blick hin formulierte er den Satz „Damit meine ich, dass es Zeit wird, dass du ins Bett kommst, Kleiner!“ und legte dabei besondere Betonung auf das letzte Wort, während er den anderen schelmisch angrinste. Dieser erhob sich ebenfalls und knuffte Naoru leicht in die Seite. „Pass du nur auf, dass ich dir nicht über den Kopf hinaus wachse.“, grinste er zurück und streckte die Zunge heraus. „Das ich nicht lache.“, murmelte Naoru nur und legte einen Zehner auf den Tisch. „Bis die Tage mal.“, rief er dem Typen noch zu und trat dann mit Kizu zusammen auf die Straße hinaus. Sofort umfing sie kalte Abendluft. „Danke für das Eis und die Cola.“, sagte Kizu fröhlich. „Kein Problem. Soll ich dich nach Hause bringen? Um diese Uhrzeit fährt bestimmt kein Bus mehr.“, meinte der größere von beiden bedenklich mit einem Blick auf die Uhr und steckte gleich darauf seine frierenden Hände zurück in die Hosentaschen. „Schon gut. Ich mag zwar jünger als du sein, aber ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.“, erklärte Kizu grinsend und winkte noch einmal „Ciao“-rufend zum Abschied, ehe er sich zum Gehen wand und, das Sweatshirt, das er trug, enger um sich schlingend, die Straße hinunter, nach Hause verschwand. Naoru sah ihm eine ganze Weile nach. ‚Ich kann auf mich selbst aufpassen’, hallte es in seinem Kopf nach. Er lachte hohl auf. „Das bezweifle ich stark.“



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