Zum Inhalt der Seite

Shard

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Am nächsten Tag verschlief Kizu nicht. Er bemühte sich so leise wie möglich die Wohnung zu verlassen, da Sakito im Wohnzimmer schlief. Er wusste, dass sein Freund gereizt sein würde, wenn er aufwachte, deswegen gab er sich Mühe keinen Laut von sich zu geben. Nachdem er die Tür zu ihrem Apartment geschlossen hatte, atmete er erleichtert auf und machte sich rennend auf den Weg zur Schule. Dort angekommen verlangsamte er seine Schritte. Es hatte noch nicht geklingelt und noch war der Schulhof voller Leute. Aus diesem Grund wartete er in der Nähe des Schultors, wo man ihn nicht sofort ausmachen konnte, bis die Klingel ertönte. Auf diese Weise entging er einer morgendlichen Begegnung mit Nagi, welcher sich seit einer Weile einen Spaß daraus machte ihm das Leben zur Hölle zu machen, kam aber dafür fünf Minuten zu spät zum Unterricht. Dort fing er sich einen bissigen Kommentar seitens seines Philosophielehrers ein und verbrachte den Rest der Stunde damit schweigend zuzuhören und sich Notizen zu machen, während er den Blicken des Rests der Klasse auswich. Als es klingelte stopfte er seinen Kram in Rekordzeit in seine Schultasche und wollte aus dem Raum flüchten, ehe er von irgendwem angesprochen wurde, was meistens unschön für ihn endete. Er stürmte aus dem Klassenraum und hatte es so eilig, dass er gar nicht merkte, dass unmittelbar vor ihm gerade jemand den Gang entlang kam. Somit rannte er blind in denjenigen hinein und fiel schmerzhaft auf den Boden. Dort fluchte er leise und versuchte sich aufzurappeln. Zu seinem Erstaunen wurde ihm eine Hand gereicht, an der er sich hochzog. „Entschuldi-“, begann er, stockte aber augenblicklich, als er erkannte, dass der Typ, in den er da hinein gerannt war, groß und schwarzhaarig war und zufällig auf den Namen Naoru hörte. „Hi. Wohin willst du denn so eilig, Ki-“, doch auch er brach mitten im Satz ab, denn Kizu, der augenblicklich seinem Blick ausgewichen war, lief schnurstracks an ihm vorbei ohne auch nur im Entferntesten erkennen zu lassen, dass er Naoru gesehen oder gehört hatte. „Was ist denn mit dem los?“, fragte Naoru sich leise, ehe er den Blick wieder nach vorne wand. Aus dem Klassenraum, den Kizu soeben verlassen hatte, kamen nun Nagi und seine Freunde gestürzt, scheinbar auf der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung für die Pause. Im Nu hatten die drei Kizu am Ende des Ganges ausgemacht und waren im Begriff an Naoru vorbei auf ihn zu zulaufen. Dieser runzelte die Stirn und stellte Goldlöckchen im Vorbeigehen gekonnt ein Bein, woraufhin er ins Stolpern geriet und Nase voraus auf dem Boden landete. „Was zur-!? Hast du sie noch alle?!“, fauchte er Naoru augenblicklich an. „Oh, tut mir Leid! Hab dich überhaupt nicht gesehen! Du solltest aber auch wirklich nicht so durch die Gänge rennen, das ist gefährlich, weißt du…?“, flötete Naoru unschuldig pfeifend und setzte grinsend seinen Weg nach Draußen fort, einen ihm nachblickenden und vor Wut nur so kochenden Nagi zurücklassend.

Kizu lief Naoru im Verlauf dieses Tages noch drei weitere Male über den Weg. Und jedes Mal schaffte er es nur knapp ihm aus dem Weg zu gehen. Zum Beispiel nach einer gemeinsamen Englischstunde, in der Naoru sofort nach dem Unterricht auf ihn zugekommen war. Wenn nicht einer ihrer Mitschüler Naoru zufällig im Weg gestanden und wenn Kizu nicht in all den Jahren die Kunst des Weglaufens perfektioniert hätte, wäre das Ganze wirklich eng für ihn geworden. Es war die Pause nach der vierten Stunde und Kizu versteckte sich irgendwo im dritten Stock in dem leeren Klassenraum, in den er sich auch sonst flüchtete, wenn Nagi ihm mal wieder auf den Fersen war. Er war furchtbar müde. Diese ganze Naoru-aus-dem-Weg-geh-Aktion war anstrengender als er es sich vorgestellt hatte. Aber er konnte einfach nicht riskieren, dass seine Mitschüler Naoru und ihn miteinander sahen. Das würde nur Ärger für ihn geben. Er wollte den anderen da nicht in irgendwas hineinziehen. Seufzend sprang er von dem Pult auf dem er gesessen hatte herunter und klopfte sich den Kreidestaub von der Hose. Der gestrige Abend ging ihm irgendwie nur schwer aus dem Kopf. Naoru hatte ihn seinen Freund genannt…Zu schade, dass sie sich nicht mehr sehen konnten! Kizu war eigentlich ganz gerne bei dem anderen Jungen. Davon abgesehen, dass es ihm ein wenig unangenehm war, wie viel er über ihn wusste, war er nämlich wirklich nett. Er hatte sogar in irgendeiner Weise eine beruhigende Wirkung auf ihn. Als Kizu am gestrigen Abend nach Hause gekommen war, hatte er darüber nachgedacht sich in die Küche zu stehlen um sich ein Messer zu nehmen, aber obwohl er nur Stunden zuvor alles für eine Scherbe oder eine Rasierklinge gegeben hätte, hatte er nach dem Treffen mit Naoru nicht die geringste Lust verspürt zu sich zu schneiden. Nichtsdestotrotz konnte er nicht verantworten, dass man anfing Naoru auszuschließen oder aufzulauern. Es reichte schon, wenn nur er jede Pause nach einem guten Unterschlupf suchen musste. Er begab sich trübsinnig Richtung Türe und streifte den verlassen wirkenden Gang entlang. Nur schwach drang der Lärm des Schulhofs an seine Ohren. Es musste gleich irgendwann klingeln. Noch zwei Stunden, dann konnte er endlich nach Hause gehen! Er hielt vor einem der großen Fenster und lehnte sich auf den Sims um einen Blick hinaus auf den Pausenhof werfen zu können. Er versuchte in dem Getümmel Naoru auszumachen, doch bei der Menge an Schülern dort unten, war ihm eigentlich von vornherein klar wie sinnlos dieses Unterfangen war, zumal er nicht wusste, wo Naoru und seine Freunde sich in den Pausen immer trafen. Jetzt wo er darüber nachdachte, hatte er den älteren Jungen vorher noch nie bemerkt. Wahrscheinlich war er erst dieses Jahr an die Schule gekommen… Kizu wurde ziemlich unsanft aus seinen Gedanken gerissen, denn irgendjemand hatte ihn am Kragen gepackt und mit einem Ruck nach hinten gezogen, so dass er zum zweiten Mal an diesem Tage auf seinem Hinterteil landete. Ehe er etwas sagen konnte, wurde er auch schon wieder auf die Füße gezerrt, nur um gegen die erstbeste Wand gestoßen zu werden. Er brauchte sich gar nicht erst fragen mit wem er es hier zu tun hatte. Er war das Ganze schließlich gewohnt. An der Wand, an der er sich übel den Kopf gestoßen hatte, so dass ihm leicht schwindelig war, wurde er schließlich durch einen starken Druck auf seinen Hals festgehalten und in den Magen getreten, woraufhin er ein schmerzersticktes Keuchen ausstieß. Das schnarrende Lachen, das daraufhin ertönte, kannte er nur zu gut. Kizu kam es vor als würde Nagi sich jedes Mal freuen wie ein kleines Kind, wenn er ihn leiden sah. „Wen haben wir denn da~“, fragte er spielerisch. „Lass mich in Ruhe, Nagi.“, keuchte Kizu, der von dem Blonden nahezu gewürgt wurde. „Was, wenn nicht, Schwuchtel?“, lachte dieser auf und kniff ihm in die Wange. Kizu sparte sich seine Antwort und spuckte dem Anderen stattdessen voller Abscheu ins Gesicht, sollte dies aber auch gleich bereuen, da er prompt von einem der Freunde Nagis an den Armen festgehalten wurde, während ein anderer auf ihn einschlug. Als die Beiden ihn endlich los ließen, sank Kizu mit Tränen in den Augen zu Boden. Blut tropfte seine Wange hinunter. Die Platzwunde von gestern, schien wieder aufgegangen zu sein. Der Dunkelhaarige hatte nicht lange Zeit zu verschnaufen, denn kaum war er auf die Knie gesunken, wurde er auch schon wieder am Kragen auf Augenhöhe mit Nagi gezogen. „Wenn ich du wäre…“, schnaubte er hasserfüllt. „ …würde ich ein bisschen besser darauf acht geben, wie ich mich zu benehmen habe. Du willst doch nicht etwa, dass mir dein kleines Geheimnis rausrutscht, oder?“ Kizu bemühte sich seinen Blick kühl zu halten. Er wollte nicht so aussehen als würde es ihn kümmern, was Nagi sagte. Dennoch zitterte er am ganzen Leib. „Was ist los, Stricher? Hat es dir die Sprache verschlagen?“, hauchte Nagi ihm ins Ohr. Er hätte die Tränen nicht mehr Lange zurück halten können, daher war es sein Glück, dass gerade in diesem Moment ein Lehrer um die Ecke bog und auf das Szenario stieß. „Was geht hier vor? Inagawa! Was ist denn mit Ihnen passiert?“, fragte der Lehrer geschockt über den aufgelösten Anblick Kizus. Dieser sah aus den Augenwinkeln, wie einer von Nagis Freunden, welche beim Erscheinen der Lehrkraft augenblicklich von ihm gewichen waren, die Finger seiner zur Faust geballten Hand knacken ließ. „N-nichts. Ich bin nur hingefallen.“, erklärte Kizu daher. Hätte er etwas anderes geantwortet, wäre ihm das sicher nicht gut bekommen. Der Lehrer, welcher nun ein wenig erleichtert war, mahnte sie alle, dass es verboten war während der Pause in den Gängen herumzulungern und scheuchte sie alle raus. Als sie außer Sichtweite des Lehrers waren und Nagi und Co. sich wieder hätten ihm widmen können, sprintete Kizu voraus und versuchte so weit weg wie möglich von den Dreien zu kommen. Nach einer Weile des Laufens klingelte es zur nächsten Stunde, doch Kizu, welchem nun unkontrolliert die Tränen das Gesicht herunter rannen, machte nicht kehrt um zum Unterricht zu gelangen. Er lief solange weiter bis er vor seinem üblichen Versteck ankam. Er stürzte ins Jungenklo, streifte sich hastig die vielen Armbänder und Bandagen vom Arm und zog vor einem der Waschbecken angekommen eine Rasierklinge aus der Hosentasche, die er meist für solche Fälle bei sich trug. Vom Laufen und Weinen erschöpft schnitt er sich schwer atmend so tief ins Fleisch seines Handgelenkes, wie er es sich traute. Fast augenblicklich beruhigte er sich. Das Blut, das ihm nun den Arm hinunter tropfte, der leichte, bitter-süße Schmerz, das Pochen seines Herzens…dies alles war wie ein Ablassventil für ihn. Als würde all der Frust, die Angst und der Schmerz gemeinsam mit seinem Blut aus ihm heraussickern. Das einzige, was ihn immer wieder daran störte war die Tatsache, dass er sich danach so schwach fühlte.

Zu schwach um auf andere Art und Weise mit seinen Problemen klar zu kommen. Zu schwach um der Versuchung zu wieder stehen. Er stand eine ganze Weile da und starrte auf die klaffende Wunde, die seinen ohnehin schon stark vernarbten Arm nun zierte, ehe ihm der Zigarettenrauch, der ihm in die Nase stieg, überhaupt erst auffiel. Sofort wirbelte er herum und stellte rasenden Herzens fest, dass direkt hinter ihm an einer der weißgekachelten Wände lehnend niemand geringeres als Naoru stand. Sein Mund wurde plötzlich furchtbar trocken. „W-wie lange bist du schon hier?“, fragte er bemüht das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. „Lang genug.“, sagte Naoru nüchtern und pustete den Qualm seiner Zigarette in irgendeine Richtung. „War schon hier, als du wie ein Irrer reingestürmt kamst.“, fügte er hinzu. In seiner Stimme lag irgendetwas, das Kizu überhaupt nicht gefiel. „Ich….weißt du…ich…“, begann er zitternd und zerrte die Armbänder, die er trug, tiefer, zurück über die plötzlich seltsam pochend und stechend schmerzende Wunde. „Du brauchst dich nicht vor mir zu rechtfertigen. Es ist mir wirklich scheißegal, was du machst.“, erklärte Naoru mit seinerseits vor Wut zitternder Stimme, warf seine Zigarette zu Boden und trat sie aus. „Naoru…“, begann Kizu flehend, da der andere ganz offenbar mehr als nur gereizt war. „Vergiss es.“, knurrte der Größere jedoch nur und verließ die Hände in den Hosentaschen vergraben den Raum. Kizu sank zu Boden und begann zu schluchzen und zu weinen. So sehr er es auch versuchte, er konnte einfach nicht aufhören. Es war als wollten die Tränen nicht enden. Jetzt hatte er es geschafft. Er hatte den einzigen Menschen an dieser Schule, der ihn nicht mied oder wie Dreck behandelte, vergrault. Er hatte es total vermasselt. Dies war kein Schmerz, den er einfach durch einen andern austauschen konnte. Es tat einfach viel zu sehr weh.
 

Am nächsten Tag war er sich nicht ganz sicher, ob er wirklich zur Schule gehen sollte, angesichts der Hölle, die ihn dort erwartete. Nachdem er gestern nach Hause gegangen war, hatte er nichts ordentliches mehr zustande gebracht. Sakito, der aus Kizu unerfindlichen Gründen guter Laune gewesen war, hatte darauf bestanden, dass er zu Hause blieb. Sie hatten sich einen Film angesehen, irgendwann am späten Abend hatte Sakito mit ihm geschlafen und er hatte sogar die Zeit gehabt seine Hausaufgaben zu erledigen. Doch bei alldem war er irgendwie geistig abwesend gewesen und konnte nichts davon so recht genießen, zumal Kizu Horrorfilme hasste und Sakito beim Sex ohnehin nie besonders viel Acht darauf gab, dass es auch Kizu gefiel. Ständig waren seine Gedanken zurück zum Vormittag gesprungen. Ihm ging Naorus Gesichtsausdruck einfach nicht mehr aus dem Kopf. In seinem Blick hatte irgendetwas gelegen, dass er nicht so recht beschreiben konnte. Er wusste nicht, ob es Abscheu oder Wut war. Auf alle Fälle hatte es ziemlich bitter gewirkt.

Trotzdem entschloss er sich wieder zur Schule zu gehen. Naoru hin oder her, er hatte sich vorgenommen dieses Jahr zu überstehen und das würde er auch. Zumindest dazu war er fest entschlossen. Der Tag verlief relativ ereignislos. Eine seiner Lehrerinnen lobte ihn, weil er seine Hausaufgaben hatte, fünf andere beschwerten sich, weil er dafür zu spät kam, gestern nicht da gewesen war (er hatte die letzten zwei Stunden des Vortags letzten Endes doch geschwänzt) oder sich nicht hinreichend für den Unterricht vorbereitet hatte. Das Ganze war ihm jedoch ziemlich egal. Es war schließlich Routine, dass er von den Lehrern zu mehr Leistungsbereitschaft ermahnt wurde. Das gestrige Desaster hatte wie erwartet zur Folge gehabt, dass er sich nicht mehr die Mühe machen musste Naoru zu meiden, da dieser ihm nun von allein aus dem Weg ging. Nicht ein einziges Mal hatte er mit ihm gesprochen, geschweige denn ihn auch nur angesehen – und das, obwohl sie an diesem Tag ganze fünf Stunden gemeinsam hatten. Niedergeschlagen suchte Kizu seine Sachen zusammen, als das Klingeln, welches das Ende der sechsten Stunde bedeutete, ertönte. Er fühlte sich erstaunlich müde dafür, dass er gestern so früh schlafen gegangen war. Vielleicht hing das ja mit dem Wetter oder so etwas zusammen, dachte er sich und streifte trübsinnig durch Gänge auf dem Weg nach Hause. Er hatte über all seine Sorgen und die Müdigkeit ganz vergessen, dass er immer noch auf dem Schulgelände war. Dies fiel ihm auf, als er das Schultor erreicht hatte und dort bereits von Nagi erwartet wurde, welcher ihn zu seinem Unglück gesehen hatte, ehe er sich hätte verstecken können. Dennoch startete er einen Versuch auf den Fersen umzukehren und loszusprinten. Wie erwartet misslang dieser, so dass er auf halbem Wege von Nagis Handlangern eingeholt wurde. Diese schleiften Kizu, der versuchte sich kratzend und beißend zuwehr zu setzen, hinters Schulgebäude in eine der schattigeren Ecken, wo sonst kaum jemand lang kam. ‚Na super.’, dachte Kizu nur resignierend. Wozu sollte er sich überhaupt noch wehren. Er war ja sowieso immer im Nachteil. Als Nagi pfeifend um die Ecke bog, stieß er auf einen Kizu, der ihm wie auf dem Silbertablett präsentiert wurde, da er von zwei Leuten gleichzeitig so festgehalten wurde, dass er gar nicht anders konnte als alles über sich hergehen zu lassen. „Wird euch das nicht irgendwann mal langweilig?“, murmelte er knurrend, als Nagi auf ihn zu schritt und ihm in die Wange kniff. „Nope. Immer wieder ’n Klassiker~“, schnarrte dieser breit grinsend und holte aus um Kizu ordentlich eine runterzuhauen. Kizu schloss in Erwartung des auf ihn zukommenden Schmerzes vorsorglich die kristallblauen Augen. Als besagter Schmerz jedoch ausblieb, wagte er es eines von Beiden vorsichtig wieder zu öffnen um heraus zu finden, was Nagi aufhielt. „Naoru!“, stieß er erschrocken aus, als er feststellte, dass der dunkelhaarige Junge sich scheinbar zwischen ihn und Nagi geworfen und die Faust des Blonden in seiner Hand abgefangen hatte.

„Du schon wieder!“, fauchte Nagi gereizt. „Ich schon wieder.“, erwiderte Naoru nüchtern. „Geh mir aus dem Weg.“, erklärte der Blonde und wich einen Schritt zurück um sich zu voller Größe aufzubauen. Er und Naoru waren etwa gleich hoch gebaut, allerdings war Nagi etwas schmaler und weniger muskulös. „Mir ist nicht danach dir aus dem Weg zu gehen.“, meinte der Dunkelhaarige schlicht und warf die Zigarette in seinem Mund zu Boden. „Noch bist du frech! Pass besser auf, sonst-“, keifte Nagi ihn förmlich an, brach aber rasch ab, da Naoru auf ihn zugetreten war und ihn am Kragen gepackt hatte. „Was ‚sonst’?“, knurrte er und jagte dabei sogar Kizu einen Schauer über den Rücken. Dieser spürte plötzlich wie der Griff, der seine Arme umklammert hielt, sich löste. Nagis Freunde waren vorwärts gesprungen und nun im Begriff auf den Grünäugigen los zu gehen. „Naoru, hinter dir!“, rief Kizu ihm zu und bemühte sich wenigstens einen der Beiden festzuhalten, wurde aber schnell von ihm abgeschüttelt und zu Boden geworfen. Naoru seinerseits wich dem Schlag des anderen gekonnt aus und erwiderte ihn mit einem Tritt, der den Typen ebenfalls zu Boden beförderte, wo er unsanft neben Kizu landete und wimmernd liegen blieb. Nun holte auch der zweite aus und verpasste Naoru einen gezielten Kinnhaken, der auch traf. Kizu sog erschrocken die Luft ein. Seine Gedanken rasten. Das war alles nur seine Schuld! Der Schwarzhaarige stolperte benommen einige Schritte rückwärts, fing sich aber schnell wieder und wischte sich mit selbstsicherem Blick das Blut aus dem Mundwinkel. Als der Gorilla ein zweites Mal auf ihn zugestürmt kam und erneut ausholte, erwischte er ihn nicht, denn Naoru war blitzschnell ausgewichen und hatte dem Größeren im Gegenzug sein Knie in die Magengegend gerammt, so dass auch dieser keuchend und sich den Bauch haltend auf dem Asphalt landete. Kizu staunte nicht schlecht. Er hatte Naoru gar nicht zugetraut so stark zu sein. Nagi seinerseits war nun deutlich anzusehen, wie entrüstet er darüber war, dass gleich zwei seiner Freunde so schnell von dem Neuen ausgeschaltet worden waren. Dennoch baute er sich vor Naoru auf und nahm seinen Mut zusammen um ihn zur Rede zu stellen: „Verrat mir mal, warum du die kleine Schwuchtel da überhaupt verteidigst! Sag bloß du bist-“, doch er kam gar nicht erst dazu seinen Satz zu beenden und zu sagen was genau Naoru war, da ebendieser ihm scheinbar mit all seiner Kraft ins Gesicht geschlagen hatte. Nagi landete im Staub und Naoru beugte sich, ihn am Kragen fassend, über ihn. „Wenn du Kizu noch ein einziges Mal beleidigst, schlag ich dich Krankenhausreif, das versprech ich dir!“, erklärte er dem zitternden Nagi, mit einem Blick, der hätte töten können. Der Blondschopf, dem das Blut aus der offenbar gebrochenen Nase nur so floss, wimmerte, nickte und machte dann stolpernd und hastig, dass er wegkam. Seine beiden Freunde folgten ihm japsend. Zurück blieben nur Kizu und Naoru, der sich die rechte Hand rieb. „Ich wusste gar nicht, dass es so weh tut sich zu prügeln.“, erklärte er verduzt und betrachtete fasziniert seine Faust. Kizu konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
 

Die beiden fanden sich in einem verlassenen Klassenzimmer wieder, wo Kizu sich zum Waschbecken begab um ein Taschentuch anzufeuchten. „Danke.“, erklärte der Kleinere, während er mit dem kalten Stoff die aufgeplatzte Lippe Naorus betupfte, welcher auf einem der Tische saß. „Schon gut. Hast du dir auch wirklich nicht wehgetan?“, forschte der Ältere nach und versah Kizu mit einem prüfenden Blick. Dieser schüttelte seinen schwarzhaarigen Kopf und zog sich einen Stuhl heran. Er setzte sich vor dem Schwarzhaarigen hin und schluckte bevor er zögerlich zu sprechen begann. „Naoru…sag, bist du …wütend auf mich wegen gestern?“, überwand er sich schließlich zu fragen. Naoru blickte ihn ernst an. „Um ehrlich zu sein schon. Ich meine…muss das denn wirklich sein? Wenn du so unglücklich bist, warum hörst du dann nicht auf mit dem ganzen Scheiß? Erzähl zum Beispiel einfach nem Lehrer von Nagi und hör auf dich für Geld zu verkaufen. Das würde schon ne ganze Reihe Probleme lösen, wenn du mich fragst!“. Kizu seufzte. „So einfach ist das nicht.“

„Warum nicht? Es ist schließlich dein Körper oder?“, entgegnete Naoru prompt. „Na, weil… nun… Nagi sagt er würde allen erzählen, dass ich naja… eben ein Stricher bin, wenn ich ihn verpfeife.“, murmelte Kizu bedrückt und bemerkte gar nicht wie Naoru ärgerlich bei seinen Worten die Hände zu Fäusten ballte. „Und das mit dem Anschaffen…wir brauchen das Geld… die Miete … und Sakito…er…er meint…ach du würdest das sowieso nicht verstehen!“, entschloss Kizu schließlich aufgebracht und legte den Kopf in die Hände, als könnte er so das alles ausblenden. Die ganze verdammte Sache bereitete ihm Kopfschmerzen. Bei all diesen Themen drehte sich ihm der Magen um. Bis jetzt war es immer so einfach gewesen! Er ging zur Schule, versuchte sich nicht von seinen Klassenkameraden zu Brei schlagen zu lassen, ging anschaffen und dachte einfach nicht darüber nach. Solange er nicht gezwungen war darüber nachzudenken, konnte er es ignorieren. Im schlimmsten Falle würde er sich schneiden und alles wäre wieder in Ordnung. Und nun war plötzlich dieser Typ da, der von alle dem erfahren hatte, von seinen Geheimnissen wusste, und es ihm damit so derartig nah vor Augen hielt, dass er sie nicht davor verschließen konnte. Er hatte es vermasselt. Sein Leben war absolut scheiße und er selbst war schuld daran. Er fühlte sich immerzu schmutzig und benutzt und war zudem vollkommen abhängig von Sakito. Tränen stiegen in ihm hoch und sammelten sich in seinen Augen. „Und das schlimmste daran ist, dass ich dich mit in das Ganze hinein gezogen hab…“, schluchzte er und brach schließlich ganz in Tränen aus. Naoru war zuerst völlig perplex, dann breiteten sich Schuldgefühle in ihm aus.

„Hey, komm schon, ist ja gut…“, versuchte er ihn unbeholfen zu trösten und beugte sich zu Kizu herüber um ihm durchs Haar zu streicheln. „Nein. Das ist ja das Problem! Gar nichts ist gut…“, erklärte er verzweifelt. „Hey, aber zumindest bist du jetzt nicht mehr allein mit alledem, hm?“, versuchte es Naoru und strich dem Kleineren behutsam eine Strähne schwarzen Haares aus dem Gesicht. Kizus Blick hellte sich ein wenig auf.

„Das heißt du redest wieder mit mir?“ Naoru nickte. Kizu wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte zu lächeln.

„Trotzdem. Das hättest du eben wirklich nicht tun sollen.“, erklärte er. „Wieso nicht? Sag mir bloß nicht du wärst da allein wieder rausgekommen!“, mahnte der Schwarzhaarige vorwurfsvoll. „Nein, wär ich nicht. Aber ich bin’s schließlich gewohnt! Und du hast jetzt denselben Ärger wie ich am Hals.“, murmelte Kizu bedrückt. „Ist mir vollkommen egal.“, sagte Naoru nur und zuckte mit den Schultern. „Ich mein’s ernst!“, erklärte der Blauäugige. „Und ich lasse mir nicht vorschreiben mit wem ich mich abgebe und mit wem nicht!“, erwiderte sein Gegenüber und hob eine Augenbraue. Erneut entwich Kizu ein Seufzen.

„Du verstehst nicht! Niemand wird mehr mit dir reden wollen!“

„Ich lege sowieso nicht viel Wert auf Konversation.“

„Nagi wird versuchen dir das Leben zur Hölle zu machen!“

„Als ob der mir Angst einjagen könnte!“

„Wenn du dich mit mir sehen lässt ist dein Ruf im Eimer!“

„Welcher Ruf?“

„Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall!“, ergab sich Kizu und lächelte breit. „Nicht viel hoffnungsloser als du es bist.“, grinste Naoru und wuschelte dem verheulten Jungen kurz durchs Haar. Dieser unterband nur schwer die Lust dem Anderen einfach in die Arme zu springen. ‚Er war nicht allein.’ Diese Worte klangen so unendlich schön in seinen Ohren… „Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Naoru sich plötzlich nach einer Uhr umblickend und riss Kizu somit aus seinen Gedanken. „Kurz nach zwei.“, antwortete er ihm verdutzt. „Im ernst? Verdammt.“, rief Naoru und sprang abrupt auf. „Bin spät dran! Chitori wartet bestimmt schon!“, erklärte er erschrocken und griff nach seiner Jacke. „Ich arbeite heute Abend wieder im Modoki! Vielleicht sieht man sich ja!“, strahlte Naoru ihn noch an und stürzte dann aus dem Klassenraum.

„Chitori? Wer ist Chitori?“, fragte Kizu sich leise murmelnd. ‚Seine Freundin vielleicht?’

Komisch. Der Gedanke versetzte ihm irgendwie einen Stich.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück