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Kurzgeschichten

das, was ich in ruhigen Minuten fabriziere
von

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Meine Gitarre über mir

Vor mir das weite Meer, neben mir eine Palme, hinter mir Sand. Hinter dem Sand Meer, neben der Palme Meer, unter mir eine weitere Palme. Meine Hände vertieft in das Spiel auf der Gitarre.

Meine Gedanken kreisen. Es ist vieles passiert in den letzten Tagen. Davids und Kates Trennung, Jojos Flucht - das alles spiegelt sich in meinem Kopf wieder. Und dann Gingers Frage: "Wie ist es, wenn Eltern sich trennen und die Schwester abhaut? Wie beschreibst du das, was nicht zu beschreiben ist?"

Ich kann es nicht beschreiben. Ginger hat das alles auch durchgemacht, sie weiß wie es in mir aussieht. David säuft den ganzen Tag, Kate geht auf den Strich um ihm das Geld dazu zu verschaffen. Beide wollen Jojos Flucht vergessen. Bei Ginger ist es andersherum, Mutter Säuferin, Vater Zuhälter, Bruder abgehauen. Und in beiden Familien hat der Konsum die Hosen an während sich die Geldquelle schindet. Schindet und kaputt machen lässt. Für nichts und wieder nichts.

Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel und das Gitarrenspiel meiner Hände geht in Moll über. Jojo. Was wird aus ihr? Sie war meine Schwester, meine Verbündete, meine Lehrerin. Das meiste von dem, was ich gelernt habe über mein Leben als Junge und jetzt, mit 23, als junger Mann kam von ihr - oder doch vielleicht eher als alter Mann?

Die Gedanken kreisen in mir wie Adler, wie Habichte, wie Geier, die meine Eingeweide fressen. Ich würde mich gerne gehen lassen, aber ich kann nicht. Das, was vor wenigen Stunden noch danach schrie alles hinauszuweinen, wegzuspülen, ist jetzt leer.

Jojo. Was ist jetzt, im Moment, in dieser Minute mit ihr? Sie war nicht nur eine großartige Erzählerin, sie war meine Lehrmeisterin, meine Kraftquelle. So vieles, was andere sich hart erarbeiten mussten, brachte sie mir mühelos bei. Beinahe im Spiel. Obwohl sie jünger ist als ich hat sie schon so viel Erfahrung. Dank ihr bin ich mit Ginger zusammen.

Meine Hände spielen schneller, aus traurigen Akkorden wird ein schnelles Tremolo. Ihr Lied. Gingers Lied. Das erste Lied, das ich auf der Gitarre spielen konnte. Das Lied, das sie mir vorspielte, nach unserer ersten gemeinsamen Nacht. Ihr Kopf an meine Schultern gelegt, die Hände mit einem festen, aber nicht verkrampften Griff auf der Gitarre. Ihre Stimme in meinem Kopf. Meine Hände auf der Gitarre.

All this is for you and for ever and if you even do not know what to do with it just sing with me and you will be happy. Because this is for you and for ever and all I want is to be with you right here and now... ein Lied für mich und die Ewigkeit. Danke, Ginger.
 

"Spielst du es noch mal?"

"Nein."

"Warum?"

"Weil es nicht richtig wäre, darum."

"Warum sollte es nicht richtig sein?"

"Man darf es nicht zu oft spielen, sonst verliert es seinen Zauber."

"Was ist nicht zu oft?"

"Höchstens ein mal am Tag."
 

Aber ich spiele es nicht einmal. Ich spiele es zweimal, viermal, so lange, bis die Sonne fast das Meer berührt. Dann höre ich auf und hänge die Gitarre an den Baum, höre den Dialog zwischen Ginger und mir und das Rauschen der Wellen. Erinnere mich, wie es war, als Jojo mir die erste Unterrichtsstunde gab. Höre meine Frage: Ist das nicht gesetzlich verboten? Und ihr Lachen: Wir sind keine Geschwister, ich bin adoptiert.

Langsam klettere ich die Palme hinunter, Gingers Lied auf den Lippen. Gehe auf das Meer zu.

Vor mir das weite Meer, neben mir zwei Palmen, hinter mir Sand. Hinter dem Sand Meer, Neben den Palmen Meer, meine Gitarre über mir.

Langsam steige ich in das Wasser, fühle es kühl meine Waden umspielen, meinen Bauch, meine Brust. Dann schwemmt es meine Gedanken fort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2009-04-30T14:34:50+00:00 30.04.2009 16:34
Und auch ein Kommentar von mir XD

Im Gegensatz zu Fever sind es meiner Meinung nach nicht zu viele Personen und es gibt auch keine Fragen, die es unbedingt zu beantworten gäbe, außer denen, die bereits beantwortet sind.
Für mich persönlich ist es der Auszug eines Lebens, welches von der Szene unter den Palmen umrahmt wird.
Auch wenn die Ähnlichkeiten der beiden Familien fast schon zu ähnlich sind, als dass sie wirklich glaubhaft wirken könnten, so nimmt man dies doch leichthin, um das Verständnis von Ginger zu akzeptieren.
ABER, genau wie Fever sind für mich die letzten beiden Zeilen einfach nur poetisch gewählt und erzählen das Ende jenes soeben erst kennen gelernten Lebens.
Für mich eine schöne Geschichte über ein zu kurzes Leben und die unfairen Umstände dessen.

PS: Der Songtext ist wirklich schön... ich konnte nicht anders als zu lächeln, als ich ihn gelesen habe.
Von:  Maza_e_Keqe
2009-04-30T13:03:09+00:00 30.04.2009 15:03
Obwohl in dieser kurzen Geschichte so viele Geschehnisse beschrieben oder zumindest angedeutet werden, wirkt sie auf mich eher entspannend. Palmen, Strand und Meer beruhigen einfach schon beim Gedanken daran.
„Und in beiden Familien hat der Konsum die Hosen an während sich die Geldquelle schindet.“ Den Satz finde ich großartig in seiner Bildhaftigkeit und grausamen Wahrheit.
Aber ich würde kein Kommi schreiben, wenn ich nicht was zu meckern hätte:
Für eine so kurze Geschichte erschlägt mich die Zahl der auftretenden Personen. Du könntest den Text verdoppeln, gerade weil so viele Fragen zu beantworten und Ereignisse zu beschreiben wären.
Was mich aber noch mehr verwirrt hat, waren deine Zeitsprünge. Wenn von Jojo erzählt wird, wechselst du scheinbar wahllos zwischen Präsens, Präteritum und Futur.
Ein paar mehr Absätze würden den Textblock auflockern. Besonders bei dem Frage-Antwort-Teil bietet es sich an nach den Antworten einen Zeilensprung einzubauen.
Kennzeichne die Wörtliche Rede, das Gespräch zwischen Bruder und Schwester, als solche. Diese Szene ist wichtig, da dürfen die Anführungszeichen nicht fehlen.
Tipp: … wechselt zu Moll über.“ Lass das „über“ weg oder formuliere es z.B. „geht in Moll über“.
In dem kurzen Text sind Wiederholungen besonders auffällig. Die Formulierung „So vieles, was..“ kannst du bestimmt ersetzen.
Die beiden letzten Zeilen finde ich wunderschön. Die Sätze sind reine Poesie und klingen für mich wie ein Liedtext. Genau wie der Titel der eines Liedes sein könnte. Ich mag Gitarrenmusik sehr.
Von:  Maya-chan
2006-09-03T15:35:48+00:00 03.09.2006 17:35
Am Anfang ist es etwas verwirrend, mit den Namen, die man nicht kennt, und ich bin mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Aber der Schreibstil gefällt mir gut. Ein wenig mehr Absätze wären noch schön, aber einige sind ja schon drin ^-^
Das Ende fand ich sehr schön, damit ist die Geschichte gut ausgeklungen...
Und weg bin ich...+raushusch+


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