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25 Jahre Mauerfall: Vorurteile zwischen Ost und West DDR, Umfrage

Autor:  halfJack

Was wir voneinander denken und was manche über den Osten nicht wissen.

Teil 1: Vorurteile, Solidaritätszuschlag, Renten, Reparationsleistungen

25 Jahre nach dem Mauerfall ist Deutschland nach einer jahrzehntelangen Trennung zusammengewachsen und dennoch gibt es nach wie vor Unterschiede, Benachteiligungen und Vorurteile auf beiden Seiten.
Zu diesem Thema habe ich kürzlich eine Umfrage gestartet. Ich würde mich freuen, wenn noch ein paar weitere Stimmen dazukommen, obwohl mir im Nachhinein auffiel, dass leider nicht diejenigen berücksichtigt wurden, die aus dem Ausland kommen. Die Umfrage richtet sich demnach speziell an Deutsche. Bislang lautet das Fazit nüchtern zusammengefasst, dass die abstimmenden Westdeutschen prozentual weniger Vorurteile gegen Ostdeutsche haben als umgekehrt. So zumindest ergibt es sich anhand der Stimmen. Einige haben darauf hingewiesen, dass Vorurteile nicht unbedingt negativ gemeint sein müssen, einiges bewahrheitet sich allein schon durch die Sozialisation. Zudem hat sich herauskristallisiert, dass mitunter ein Lokalpatriotismus vorherrscht. Das bedeutet, es handelt sich nicht zwangsläufig um Vorurteile zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd, Großstadtbewohner gegen Kleinstadtbürger oder auch Bayern gegen den Rest Deutschlands (falls man Bayern denn zu Deutschland zählt). Das klingt scherzhaft und so ist es auch gemeint, da regionale Unterschiede und die damit einhergehenden Stellungnahmen völlig normal sind und sich in den meisten anderen Ländern ebenfalls wiederfinden.

 

25 Jahre Mauerfall: Vorurteile zwischen Ost und West
Seit 25 Jahren nun schon sind der Osten und Westen Deutschlands wieder vereint. Lange Zeit sprach und spricht man von „Ossis“ und „Wessis“, doch wie sieht es mittlerweile mit den Vorurteilen aus? Es wäre natürlich gut, zusätzlich das Alter in diese Umfrage zu integrieren, um zu sehen, inwiefern sich die Meinungen unterscheiden, wenn man vor oder nach 1989 geboren wurde, aber das lässt sich schwer verwirklichen. Aussagen hierzu können gern als Kommentar hinterlassen werden.
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Vorurteile von Ost über West oder von West über Ost, das ist eigentlich ein überholtes Thema, möchte man meinen. In meiner frühen Kindheit wusste ich nur, dass es Konflikte zwischen "Ossis" und "Wessis" gab, wobei mir jedoch nicht klar war, zu welcher von beiden Gattungen ich überhaupt gehörte. Heutzutage, gerade durch die mediale Vernetzung und Kommunikation, sind Abneigungen längst hinfällig, so nahm ich an. In meiner Jugend zumindest existierten schlichtweg keine Abwertungen gegenüber den "Wessis". Die ersten Erfahrungen dazu habe ich erst gemacht, als ich von 2007 bis 2009 im Ruhrgebiet bzw. Sauerland lebte. Das ist schon ein Weilchen her, darum sind einige Dinge, die ich dort zu hören bekam, mittlerweile vielleicht schon gar nicht mehr der Rede wert.
Ich persönlich mag die Vielfältigkeit Deutschlands, und die Wiedervereinigung halte ich historisch gesehen für vorbildhaft und einzigartig auf der Welt. Warum schreibe ich dann nun eine solche Stellungnahme? Weil ich leider häufig Aussagen dieser Art hören musste: Der Osten sei eine wirtschaftliche Belastung für den Westen, es wäre besser, wäre die Mauer nie gefallen, oder noch besser, sie sollte gleich wieder aufgebaut werden etc. Zum Teil ist einiges hier in diesem Beitrag deshalb ein bisschen drastisch formuliert, um diesem Tenor entgegenzuwirken. Bei der Argumentation orientiere ich mich an dem Buch Was war die DDR wert? Und wo ist dieser Wert geblieben? Versuch einer Abschlussbilanz von Siegfried Wenzel, der einst stellvertretender Vorsitzender der Plankommission war. Seine Positionen und Schlussfolgerungen basieren größtenteils auf westdeutschen Quellen, sind distanziert, differenziert und sachlich. An dieser Stelle möchte ich also einerseits eine kleine Empfehlung für das besagte Buch aussprechen, das den wirtschaftlichen Stand vor ungefähr zehn Jahren darstellt – zu einer Zeit, als noch stark in der Öffentlichkeit von der "DDR-Pleite" die Rede war. Andererseits möchte ich über Trugschlüsse aufklären und ein paar Informationen liefern, die das Bild einer ganzdeutschen  Belastung durch den Mauerfall in einem neuen Licht betrachten lassen.
Die Weblogeinträge zu diesem Thema werde ich in mehreren Teilen liefern, sonst wird das ein bisschen viel auf einmal. Ich bemühe mich um verständliche Erklärungen, dennoch könnten manche wirtschaftlichen, ökonomischen Themen etwas schwierig zu verstehen sein. Über aufmerksame Leser würde ich mich daher sehr freuen, da es wirklich interessant werden könnte. Noch ein Hinweis: ich bin nicht unfehlbar und falls hier einige Experten herumgeistern, denen verkehrte Darstellungen, Ergänzungen oder aktuelle Informationen einfallen, wäre ich über entsprechende Kommentare sehr erfreut.

 

1.    Solidaritätszuschlag: Ein Päckchen, das wir alle tragen

Allererster Trugschluss, der mir sehr häufig unterkam: der Solidaritätszuschlag. Als ich noch in NRW wohnte, gab es viele Leute, die alle mit voller Inbrunst davon überzeugt waren, allein die westlichen Bundesländer müssten den Soli bezahlen, was selbstverständlich nicht stimmt. Der Solidaritätszuschlag wird und wurde seit jeher von ganz Deutschland bezahlt, von den Bürgern der alten wie der neuen Bundesländer. Hierbei muss man ebenfalls bedenken, dass bis heute, über zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, die Gehälter sowie Renten der ehemaligen DDR noch immer nicht an die Westgehälter angeglichen wurden, trotz gleicher Steuern, gleicher Beiträge, sodass man im Osten weniger von seinem Geld hat, obwohl man genauso viel in den Staat investiert.
Angela Merkel verkündete erst kürzlich, dass man sich derzeit weiter bemühen werde, die Renten zwischen Ost und West einander anzugleichen – dies würde nun nur noch wenige Jahre in Anspruch nehmen. Alte Menschen, die in der ehemaligen DDR ein Leben lang gearbeitet haben, profitieren davon kaum, weil eine Rentenabsicherung damals nur ab einem bestimmten Gehalt gewährleistet wurde. Unter diesem festgelegten Satz war man in der DDR einem erzwungenen Freibetrag ausgesetzt. Kurz gesagt heißt das, wer zu wenig verdiente, konnte keine Rücklagen für die Rente einzahlen und später auch nichts geltend machen, hatte also trotz Arbeit quasi niemals eingezahlt. Betrachtet man das vielfach geringere Gehalt und den Wertverfall dessen, wovon man sich damals noch einiges leisten konnte, sind durch die Inflationsrate die letzten fünf bis zehn Jahre vor der Rente am entscheidendsten. Wer früher in Rente gehen musste, weil ihm nach dem Mauerfall beispielsweise die Arbeitsbefugnis oder der Abschluss in der Ausbildung bzw. dem Studium aberkannt wurde, erhält lediglich den am vormals geringen Gehalt – zumindest nach heutigem Maß – errechneten Rentenbetrag, der nicht selten unter 1000 Euro liegt, trotz jahrzehntelanger Arbeit. Zugegebenermaßen hilft das nicht über die allgemein geringen Renten hinweg, die ebenso im Westen besonders Frauen im hohen Alter erhalten, weil sie häufiger als Frauen im Osten keiner Arbeit nachgingen und keine Sozialleistungen in Anspruch nahmen, aber das gehört zu einem anderen Thema.
Fakt ist jedenfalls, um zum Soli zurückzukommen, dass seit einigen Jahren laut Umfragen sowohl im Osten als auch im Westen die Bürger der Meinung sind, man könne den Solidaritätszuschlag abschaffen. Wie in Deutschland, dem Spitzenreiter im Erheben von Steuern, nicht anders zu erwarten, stellt sich in erster Linie die Regierung quer, die nicht gern Geld wieder hergibt, das sie einmal rechtlich erwirtschaften kann. Die Lösung hierzu lautet, dass man den Soli unabhängig von der Region überall nach Notwendigkeit einsetzt, da ihn ohnehin alle bezahlen und mittlerweile die Infrastruktur in weiten Teilen Deutschlands auf gleiches Niveau gebracht wurde und es im Westen genauso wie im Osten Verbesserungsbedarf gibt.

Kleiner Nachtrag aufgrund einer Kommentaranmerkung von  Azamir:
Nicht verwechseln sollte man den Solidaritätszuschlag mit dem Solidarpakt, der wiederum nicht von den einzelnen Bürgern, sondern vom Bund getragen wird. Diese Unterstützungen kommen zu großen Teilen, aber nicht ausschließlich den neuen Bundesländern nach Bedarf zugute. Anfangs bis 2004 geplant laufen die Unterstützungsleistungen nun noch voraussichtlich bis 2019. Wie nötig und sinnvoll das ist, kann offenbar nicht einmal der Bund genau sagen, da die Länder und Einrichtungen das ihnen zur Verfügung gestellte Geld nicht immer den Anforderungen entsprechend einsetzen. Ähnlich wie bei der Treuhand, auf die ich in meinem dritten und letzten Beitrag eingehen werde, scheitert das Unternehmen an Bürokratie und privater Befugnis, wobei das Ausmaß der Veruntreuung bei der Treuhandanstalt natürlich um ein Vielfaches beträchtlicher war.

 

2.    Reparationsleistungen: Ein Päckchen, das der Osten fast allein trug

Nächstes Standardargument, weshalb die DDR angeblich nicht viel beizusteuern und von der BRD quasi wieder aufgepäppelt werden musste, ist die Demontage der Schwerindustrie und zahlreicher technischer Geräte. Durch die Demontagen boten sich, um das kurz anzumerken, auch Vorteile. Alles musste neu aufgebaut und modernisiert werden. Bestandenes wurde nicht ausgebessert, sondern komplett ausgetauscht. Wenn man sich häufig die Frage stellt, warum in den alten Bundesländern vieles noch tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes "alt" ist, liegt das daran, dass es instandgehalten werden konnte und nicht ersetzt werden musste. Dahinter stehen allerdings noch ein paar weitere Tatsachen. Die Reparationsforderungen der UdSSR wurden von der DDR allein getragen, ohne Beteiligung der BRD. Wären die Regionen nicht aufgeteilt worden, hätte ganz Deutschland diese Reparationsleistungen tragen müssen. Das ist demzufolge ein – lediglich an den Forderungen der UdSSR gemessen mehr oder weniger gerechter – Verlust, den beide Teile Deutschlands zu tragen haben. Für den Wiederaufbau mussten Investitionen vorgenommen werden; in der BRD geschah dies direkt nach dem Krieg. Durch die Teilung wurden indes keine Gelder für die DDR ausgegeben, die erst nach der Wiedervereinigung flossen. Das entspricht einer Aufschiebung, keiner Belastung, die ohnehin angefallen wäre, hätte Russland nicht für eine Isolierung gesorgt.

99,1 Mrd. DM (1953) Reparationen der DDR stehen 2,1 Mrd. DM der Bundesrepublik Deutschland gegenüber. Die DDR trug also 97 – 98 % der Reparationslast Gesamtdeutschlands. Damit entfielen auf jeden Einwohner vom Kind bis zum Greis in der DDR 5.500 DM Reparationen, in der Bundesrepublik hingegen 440 DM (zum Wert 1953) – in der DDR also pro Einwohner mehr als das Dreizehnfache.
Diese Angaben finden sich wieder in einem Aufruf an die Regierung der Bundesrepublik zur Zahlung ihrer Reparations-Ausgleichs-Schuld an die Menschen der ehemaligen DDR, datiert mit der Jahreswende 1989/90, initiiert von dem Bremer Wissenschaftler Prof. A. Peters und unterschrieben von zwölf Wissenschaftlern und Politikern der alten Bundesländer. Daraus wird abgeleitet: Wenn die Reparationsleistungen gleichmäßig auf die Bürger ganz Deutschlands verteilt worden wären, ergäbe sich folgendes: Unter Berücksichtigung einer Verzinsung von 6 ⅝ Prozent (wie sie die DDR für den ihr vom Bundesfinanzministerium über deutsche Großbanken 1983 – 1988 gewährten Kredit zu zahlen hatte) ergibt sich eine Ausgleichszahlung der BRD an die Bürger der DDR in Höhe von 727,1 Mrd. DM zum Wert von 1989 als ein objektiv völlig gerechtfertigter Lastenausgleich.
Interessanterweise ist das etwa die gleiche Summe, die das Wirtschaftskomitee der Regierung Modrow errechnet hatte, um auf die Grundlage eines damals noch favorisierten Stufenplanes der Wiedervereinigung die Arbeitsproduktivität, die materielle Produktionsbasis und die Infrastruktur der DDR bis 1995 auf etwa 80 – 90 Prozent des BRD-Niveaus von 1989/90 heranzuführen.
Auf einer Pressekonferenz zur Vorstellung seines Memorandums am 28. 11. 1989 in Bonn sagte Prof. A. Peters: "Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir, wenn wir jetzt der DDR Ressourcen zur Verfügung stellen, das nicht unter der Überschrift 'Hilfe' oder gar 'altruistische Hilfe' subsumieren können." Die BRD müsse sich als Treuhänder ansehen "für die Bevölkerung der DDR in Bezug auf ein gewissermaßen gespartes Kapital, mit dem wir ja arbeiten konnten. Und dieses Treugut muss man natürlich zurückgeben."
Klaus v. Dohnanyi, Ex-Bürgermeister von Hamburg und einer der Hauptberater der Treuhandanstalt, sagte dies auf einem Kongress führender Manager im Dezember 1992 in Leipzig noch drastischer: "Es geht nicht, dass der östliche Teil Deutschlands, der den Krieg bezahlt hat, auch noch den Frieden bezahlen muss."
Wie hellsichtig klingt in der sprüchereichen Zeit der deutschen Wiedervereinigung dazu der Ausspruch des Altbundespräsidenten Richard v. Weizsäcker, fast wie ein Menetekel: "Teilung kann nur durch Teilen überwunden werden."

Hier geht es zu den nächsten zwei Beiträgen:
Teil 2: Humankapital, Verschuldung pro Kopf
Teil 3: Eine Kriminalgeschichte der Treuhandanstalt

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Datum: 08.12.2014 22:04
Das sind genau die beiden Punkte, die mich auch wurmen: Reparationszahlungen und Soli und was dann nach der Wende kam.

Es wird einfach nicht gewusst oder verdrängt, dass die DDR unter ganz anderen Voraussetzungen aufgebaut wurde. In diesem Licht haben die Bürger sehr viel geleistet und es ist sehr schade, dass viele Errungenschaften und Berufsabschlüsse nach der Wende aus welchen Gründen auch immer abgelehnt und vergessen worden sind. Ich habe auch manchmal den Eindruck, dass nach dem Mauerfall der neu erschlossene Binnenmarkt ein willkommenes Geschenk für die alte, ebenfalls wirtschaftlich-humpelnde BRD war, aber die neue Konkurrenz ein lästiges Übel.

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Datum: 08.12.2014 23:10
hrm.

sorry, aber beide Argumente sind unvollständig und einseitig pro-DDR.

Gerade was die Reparationszahlungen angeht... in einem vereinigten Deutschland wäre die DDR nicht geplündert worden. Durch eine diversere und eigenständigere Interessenvertreteung, ohne einseitige Dominierung durch die prosovjetischen Kader, die ja als einzige in der DDR zugelassen wurden, WÄRE das ziemlich sicher genauso gelaufen wie nach WWI: Reduzierung und irgendwann Aussetzen der Reparationen zugunsten einer stabilen Wirtschaft.

Ist jedenfalls ein genausp plausibles 'rumrechnen' wie das gebracht argument. Ich finde solche hätte-könnte-wäre-wenn-Spielchen aber auch seeeehr abstrakt und entsprechen aussagefrei, weil wenn alles anders gewesen wäre, wäre ALLES anders gewesen. ohne ausplünderung der ddr und die immense flucht der gerade gutausgebildeten leute aus der ddr hätten die ostdeutschen regionen auch gut zum wirtschaftsstärksten player in deutschland werden können. es gibt da viel zu viele ganz komplex miteinander regierende mechanismen, als dass sowas auf "oh, die udsssr hat uns ausgeraubt, der westen solls mitzahlen!" runterzubrechen.

und was den Soli angeht: Während er im Rahmen von Privateinkommen natürlich in ganz Deutschland erhoben wird, gibt es ja parallel auch noch den SOLIDARPAKT, der Finanzhilfen aus den westdeutschen Bundesländern in die ostdeutschen Bundesländer verschiebt. Woher kommt dieses Geld? Natürlich aus den Steuern der westdeutschen Steuerzahler, denn anderes Geld HAT ein westdeutsches Bundesland nicht.

Ich weiß nicht, ob ich meine eigene Sicht auf die Dinge mit dem Begriff "Vorurteil" richtig umschrieben ist. Ich konnte bis ich Teenager war mit den Begriffen Wessi und Ossi nichts anfangen, als bayerisches 'Wendekind' (Jul. 1989 geboren). Gab es für mich nicht, spielte in meiner Lebenswirklichkeit auch keine Rolle.

Ich bin damit erstmals in Berührung gekommen, weil ICH angefeindet wurde, weil ich 'Wessi' bin. sowas prägt natürlich. ich habe persönlich auch eher das Gefühl, dass originäre Ressentiments von jüngeren Ostdeutschen gegen alle Westdeutsche bestehen, was dann von jüngeren Westdeutschen erst in reaktion auf die Ressentiments ihnen gegenüber zu einer Ablehnungsreaktion führt. (Ossi macht Wessi als Wessi an, Wessi wars vorher egal, woher jemand kommt, danach findet er aber Ossis doof, weil sie zu ihm gemein warn, in kurz.)

Ich bin persönlich auch ziemlich genervt davon, dumm angemacht zu werden, weil ich in Bayern lebe und aufgewachsen bin. Kann ich da was dafür? Millionen Leute ziehen hierher, WEIL es wirtschaftlich gut läuft. Muss man das mit Hass und Neid quittieren? Da schaukelt man selber nur dumme regional-ressentiments hoch. Das Bundesland, in dem man aufgewachsen hat, hat natürlich einiges an Einfluss darauf, wie man lebt, denkt und erzogen wird. Die Lehrpläne sind unterschiedlich, die politische Landschaft ist unterschiedlich, die Geografie ist unterschiedlich! Die Sprache ist unterschiedlich. Und die wirtschaftliche Situation ist unterschiedlich, das macht die Stimmung in der Bevölkerung unterschiedlich. Ich komme mit Leuten aus Sachsen tendenziell deutlich besser zurecht als mit Leuten aus Bremen.

Für mich hat das generell wenig mit Ossi-Wessi zu tun, und eben mehr mit allegmeinen regionalen unterschieden. bestimmte regionale Unterschiede sind eben auch ost-west besonders unterscheidlich und führen dadurch zu reibungen. Es ist aber meist viel zu einfach, das NUR darauf runterzubrechen. Und ich bekomme oft das Gefühl, dass gerade in Ostdeutschland oft sehr viele sachen zunächst mal auf den Unterschied Ost-West heruntergebrochen werden, und nicht Nord-Süd oder schlicht Gebirge-Flachland. Oder häufige Regierungswechsel - dauerhafte Regierung durch einen Block (es gibt auch im Westen Länder, die SPD-Hochburgen waren, und andere, die CDU-Hochburgen waren. Über die ewige absolute Mehrheit der CSU in Bayern brauchen wir nicht diskutieren, diese ist inzwischen auch eher knapp, nur hat der andere große Machtblock SPD in Bayern einfach nie relevant an Reichweite gewonnen. Für weite Teile der bayerischen Bevölkerungen sind klassische SPD-Forderungen Lebensfremd, gerade für die immer noch stark bäuerlich geprägte Landbevölkerung. Die wählt halt immer CSU, weil die CSU seeeehr spezifisch für sie passende Gesetze im Portfolio hat. Die bayerische SPD wird wegen der Schwäche ja auch von der restlichen Bundes-SPD eher stiefmütterlich behandelt, bayerische Interessen werden immer NUR mit CSU gleichgesetzt und pauschal abgelehnt. Dass sich da aber eine regionalpartei wie die CSU näher an der Wirklichkeit ihrer Wähler bewegt, als viele Bundesparteien, wird dabei eben übersehen...)

It's complicated, it always ist.
Und mich interessiert, wo Leute herkommen, weil ich aus ihrem Umfeld heraus besser verstehen kann, wie sie kommunizieren. Was ihnen wichtig ist und was nicht. Ich finde es zum Beispiel sehr gut, dass in Ostdeutschland technische und naturwissenschaftliche Berufe und Schulfächer einen höheren Stellenwert haben als in weiten teilen Westdeutschlands. In den 'Eliten' im Westen gelten Sprachen und Philosophische Themen als 'einzig legitime' Denkschule, wer sich damit nicht so tief beschäftigt als weniger gebildet. Schelchte Noten in Mathe, Physik, Chemie werden gerne in Kauf genommen, wiel es eben weniger wichtig ist, als die Sprachen. Und solche Erwartungshaltungen im Elternhaus haben immensen Einfluss darauf, wie man selber die Prioritäten setzt, sowohl in der Schule, als auch später als Erwachsener Mensch ung ggf sogar Elternteil.
Vorsicht, dieser Diskussionspartner könnte für Kinder ohne Ahnung nicht geeignet sein, da er pedantisch und mit linguistischer Feinheit Argumente zerfleddern kann.
("A man shouldn't die with no understanding of why he's been murdered" - Matthew Stover)
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Datum: 09.12.2014 04:45
@  Azamir

Danke für deine so ausführliche Stellungnahme!

Einseitig für die DDR sind die Argumente keinesfalls, aber die Tendenz steht außer Frage, weil es schließlich um eine Differenzierung der oben genannten Verurteilung eines wirtschaftlichen Totalschadens durch die DDR geht. Dass unter anderen Umständen die DDR nicht "geplündert" worden wäre, wie du es zwar drastisch, aber meines Erachtens durchaus treffend formuliertest, habe ich ja selbst angemerkt ("lediglich an den Forderungen der UdSSR gemessen etc."). Ein Was-wäre-wenn-Szenario zu kreieren, bringt allerdings, denke ich, nicht allzu viel angesichts dessen, was nun einmal geschehen ist. Ich verstehe, dass man meine eigenen Aussagen genauso interpretieren könnte, aber es geht darum, was faktisch vorliegt. Die DDR-Regierung mag das zum Teil anders gesehen haben, von Seiten der BRD jedoch wurde Ostdeutschland eben nicht als eigener Staat aufgefasst, sondern lediglich als Besatzungszone, darum bleiben die Reparationen auch eine ganzdeutsche Angelegenheit. Wenn man allerdings die DDR nicht als Deutschland ansieht und meint, das alles wäre eben deren Problem gewesen, dann passt auch das Argument eines gleichberechtigten Ausgleichs nicht mehr, das stimmt. Davon bin ich allerdings nicht ausgegangen, weil ich uns als Einheit ansehe, auch wenn wir zwischenzeitlich auseinander gerissen waren.
Die Situation bzw. Einflussnahme der alliierten Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg war eine vielschichtige, Frankreich hat sich zeitig aus dem Spiel genommen und man muss meines Erachtens sagen, dass die USA und Großbritannien eindeutig milder und sinnvoller gehandelt haben. Das meine ich nicht nur aus Sicht Deutschlands. Im Osten holte man so viel heraus, wie nach dem Krieg noch möglich war, dagegen wollte man der Theorie nach im Westen überhaupt erst mal Geld reinstecken und den Staat wieder aufbauen (Marshallplan), damit es etwas gab, von dem man profitieren konnte. "Der Theorie nach" schreibe ich deshalb, weil etliche Forderungen am Ende zu unseren Gunsten fallen gelassen wurden. Dass es nach einer Teilung auch anders hätte laufen können, zeigt das Beispiel Österreich, das schließlich auch in vier Besatzungszonen aufgeteilt war, sich aber durch das vollständige Abstandnehmen von Deutschland und der Erklärung immerwährender Neutralität jeder Verantwortung als Kriegsverursacher entziehen konnte. Es ist generell erstaunlich (auf negative Weise), welchen Einfluss die damaligen Ereignisse auf zahlreiche Länder nahmen und noch immer nehmen, auf Polen, die Ukraine, Korea. Aber es ist schon richtig, dass es nicht so klingen sollte, als würde man dem bösen großen Bruder an allem die Schuld geben.

> Ossi macht Wessi als Wessi an, Wessi wars vorher egal, woher jemand kommt, danach findet er
> aber Ossis doof, weil sie zu ihm gemein warn, in kurz.

Sehr anschaulich. *lach* Ja, das denke ich auch, dass das auf beiden Seiten ganz oft das Problem ist. Mir war es vorher auch egal, zumal mein Stiefvater Westdeutscher ist, ich "Westverwandtschaft" habe und durch die heftige Abwehrhaltung meines engsten Familienkreises gegen die DDR ohnehin niemals in Ostalgie oder diesen Es-war-nicht-alles-schlecht-Choral einstimmen konnte. Umso irritierender ist es dann, mit Dingen konfrontiert zu werden, die man selbst verachtet.

Aber jetzt erst mal zu dem Problem mit Bayern:
Genau das verstehe ich auch nicht! Der angesprochene Lokalpatriotismus ist komischerweise besonders gegen Bayern gerichtet. Warum? Es erschließt sich mir nicht, weshalb viele allergisch auf Vorurteile gegen Ost oder West oder Nord reagieren, aber bei Bayern ist es plötzlich okay, selbst wenn es nur im Scherz gemeint ist, und darin unterscheidet sich der Westen in keiner Weise vom Osten. Ihr habt mit die schönste Landschaft in Deutschland und mittendrin ein lustiges Märchenschloss (Neuschwanstein), ist doch toll. Dialekte haben wir auch überall und die klingen für fremde Ohren immer komisch, daran kann es doch auch nicht liegen. Vielleicht - nur mal so eine Theorie - geht es vielen gegen den Strich, dass Ausländer mit Deutschland immer nur Bayern verbinden, Bier, Dirndl, Lederhosen und Karneval. Keine Ahnung, ob diese Abwehr daher kommt, dass möglicherweise besonders die Jüngeren (denn bei Leuten über 40 habe ich Abneigungen gegen Bayern noch nie so erlebt) sich von diesen häufig als urdeutsch angesehenen Dingen distanzieren wollen.

Gibt es einen Grund, warum du speziell Bremen ansprichst? Ich habe nämlich festgestellt, dass die Leute direkt im Ruhrgebiet eigentlich ganz locker und cool drauf sind, ähnlich wie Berliner, die im Sauerland sind eher konservativ, aber die heftigsten Anfeindungen erfuhr ich von Bremern. Daher stammt übrigens die Aussage, man solle die Mauer besser wieder aufbauen und die Leute wieder einsperren, die im Westen nur die Arbeitsplätze wegnehmen.

Und zum Schluss noch der philosophische Westen und der technische Osten. Das stimmt auf jeden Fall und es deprimiert mich schon ein bisschen, dass das Geschichts- und Philosophiestudium im Westen so viel besser ist als im Osten, zumindest nach meiner Erfahrung. Bei mir ist die Begeisterung genau umgekehrt, weil ich mich weniger für Naturwissenschaften als für Sprachen und Gesellschaftswissenschaften interessiere, aber das ist im Osten eben bloß eine brotlose Kunst. Wenn ich im Osten auf die Frage antworte, was ich studiere (Geschichte und Philosophie), werde ich grundsätzlich gefragt: "Und was macht man dann damit?" Das wurde ich im Westen nie gefragt.
Die Dinge, die wir zum Leben zwangen, schlagen zurück. Haben wir sie überreden können, Wirkung auszuüben, dann können wir sie nicht überreden, auf uns selbst keinen Einfluss zu haben.

Mangaverkauf etc.
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Datum: 09.12.2014 09:03
Bremen ist als armes Stadt-Bundesland imho ein Bundesland mit immens schlechtem gesellschaftlichem Klima. Pisa-Stigma (schlechtestes Ergebnis im Ländervergleich), wenig finanzieller Spielraum, hohe Arbeitslosigkeit, weil sie in Städten sowieso höher ist als auf dem Land, etc. - das sind typische Faktoren, die dafür sorgen, das Leute Ersatzerklärungen dafür suchen, warum die Lage bei ihnen schlechter ist als anderswo. Und dann finden sich auch schnell Sündenböcke. Die Wende war so teuer, die Ossis klauen unsere Arbeitsplätze, die Rumänen klauen unsere Arbeitsplätze, die Bulgaren auch, usw. usf. Sowas ist für mich ne schlechte Stimmung in einer Gesellschaft.

Ich merke generell, wie unterschiedlich mein Weltbild gegenüber dem vieler Norddeutscher ist. Und Bremen liegt unverkennbar in Norddeutschland. Solche Unterschiede muss man in meinen Augen durchaus auch berücksichtigen, Leute aufgrund dessen persönlich abzulehnen oder Vorurteile zu entwickeln, bringt nichts. So kam ich aber auf Bremen.

Und was das "Was machst du dann damit" angeht... das gibts schon als Frage auch ausm Westen. Ich glaube bloß, dass in vielen westlichen Bundesländern eine andere Höflichkeits-Distanz bei solchen Fragen üblich ist. Wenn ich die Person nicht gut kenne, wäre es eine zu starke Einmischung in den persönlichen Entscheidungsbereich der Person, ihr eine schlechte/unvernünftige Studienwahl zu unterstellen. Man denkt sich dann vielleicht "Na, viel Spaß damit aufm Jobmarkt...", sagt aber nichts.

Bzgl Nachkriegs-Reparationen:
Der Marshallplan war explizite Reaktion auf die UdSSR-Vormachtpolitik. USA (und GB) wollten Deutschland als intakte Festung gegenüber dem sovjetischen Osten haben. Und haben Frankreich zurückgepfiffen, dass es seinen Teil von Deutschland nicht leerräumen darf.

Die politisch proklamierte Einheit Deutschlands war immer nur ein Lippenbekenntnis, da es keine tatsächliche Zusammenarbeit und auch keine echte Möglichkeit der Einflussnahme innerhalb beider Teile gab, bis 1990. In der DDR galt, was Moskau wollte. Nicht was Bonn wollte, nicht was Washington wollte, nicht was London wollte. Das ist dann faktisch ein anderes Land, auch wenn man noch so oft beschworen hat, dass man ein Land sei. Wo politisch eine andere Macht herrscht, ist das eigene Land nunmal zu Ende. Österreich gehört ja auch nicht zu Deutschland, weil man da Deutsch spricht - es wird von einer (von Deutschland) unabhägnigen Regierung gelenkt, macht eigene Gesetze, usw - und das war in der sovjetischen Besatzungszone eigentlich von Tag 1 an so. Es wurde autonom, ohne Rücksicht auf Kontrollrat und Westmächte regiert, die DDR-Regierung handelte so weiter.

Es ging ja in weiten Teilen auch immer nur darum, die Zweistaaten-Situation endlich mal anzuerkennen und zuzugeben - Fakt war sie auch schon vor Mauerbau, danach sowieso.

Der Sprachgebrauch und der Wunsch nach Einheit haben die Fakten ja eben gerade nicht ersetzen können...
Vorsicht, dieser Diskussionspartner könnte für Kinder ohne Ahnung nicht geeignet sein, da er pedantisch und mit linguistischer Feinheit Argumente zerfleddern kann.
("A man shouldn't die with no understanding of why he's been murdered" - Matthew Stover)


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