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Performance - Literaturcafé Bericht, Projekt

Autor:  halfJack
Zu der schulischen Projektwoche, die gänzlich von den Schülern geleitet wurde, war ich 2003 in einer Gruppe von vier Personen. Eigentlich eindeutig zu wenig Leute, aber in unserem selbsternannten Literaturcafé war diese Anzahl perfekt, wobei der ‚krönende Abschluss’ aus einer inszenierten Performance bestand.
Stellt euch also vor, ihr betretet das Klassenzimmer zu einer von zwei Vorstellungen, da ihr durch das Schild an der Tür neugierig geworden seid: Eintritt erst ab 16. Nur ein Tisch steht in dem Raum, die Mitte ist mit Decken ausgelegt und ihr werdet gebeten eure Schuhe auszuziehen, bevor ihr euch auf den Decken niederlasst.
Noch herrscht reges Geschwätz unter den Anwesenden. Manche schauen sich zögernd um und betrachten die vielen weißen Laken, die über Tisch und Stühle gelegt sind. Ein Fernseher steht in der einen Ecke, ein Projektor in der anderen, auf der gegenüberliegenden Seite sind zwei riesige weiße Plakate an Kartenständern aufgehängt, die die dahinter stehenden Schränke vollständig verdecken. Wo es nicht weiß ist, hängen unfertige Bilder, manche gezeichnet, einige primitiv gemalt, skizzenhaft, wie von Kinderhand.
Die Tür wird geschlossen. Ihr seht zu der Schülerin, welche ihr bis jetzt als einzige erkennen konntet, die etwas mit diesem Projekt zu tun hat. Sie ist völlig weiß geschminkt, geht an euch vorbei und stellt sich hinter den Fernseher auf einen Stuhl. Ihr seht sie an, doch sie beachtet euch nicht, sondern starrt nur weiter geradeaus.
Dann löscht sich das Licht. Einige neben euch erschrecken, ihr könnt sie nicht sehen und nehmt sie nur mit euren verschwommenen, sich langsam schärfenden Sinnen wahr. Man hört Kichern, leises Flüstern, das immer weiter verstummt, erstickt. Nach einer Minute herrscht Stille. Nichts passiert.
In der linken oberen Ecke erscheint plötzlich Licht. Eine Taschenlampe. Ein weißes Gesicht erscheint losgelöst über einem der Plakate in der linken, oberen Ecke, sieht auf euch hinab und sagt:
„Katzensex.“
Aus der rechten oberen Ecke miaut es, krächzend, verzerrt, kurz darauf faucht es hinter dem Fernseher, dann kreischt eine Katze in eurer Mitte. Die Laute klingen aus, das Gesicht in der linken Ecke redet weiter, erzählt euch, wie eine Katze vergewaltigt wird, wie deren Schreie durch den Nachmittag hallen, wie die Krallen des Katers sich in ihre Hüfte bohren, wie er tiefer in sie eindringt, je lauter sie schreit und wie er sie letztendlich liegen lässt. Das Licht der Taschenlampe erlischt.
Sogleich entzündet es sich hinter dem Fernseher. Ein Mädchen erzählt euch, wie sie unbeholfen mit ihrem Freund schlief, in einem heruntergefallenen Haus. Er grabschte hilflos an ihren Brüsten herum, verteilte seinen Speichel auf ihrem Hals und in ihrer Ohrmuschel, rieb sich an ihrem Körper, fummelte, sodass es ihr wehtat, schob seine Zunge in ihre Mundhöhle, saugte unbeholfen an ihren Lippen. Sie dachte daran, dass er stank und widerlich war. Er dachte vermutlich, dass er nicht wusste, was zu tun sei. Es war peinlich und sie hörten auf. Das Licht erlischt.
Das Klacken von Schuhen ist zu hören, als jemand, um die im Kreis sitzenden Leute geht, im Kreis, immer und immer wieder. Eine Taschenlampe geht an, man sieht die Person weiterlaufen. Sie redet mit fast besessener Stimme, belehrend, wie eine Mutter zu ihrem Kind, Geschichten von kullernden Augen, kullernd und kullernd. Von einer Massenseele in uns allen. Ihr schaut euch nicht um, als die Stimme direkt hinter euch ist, noch einmal, eindringlich, aufdringlich. Das Licht erlischt.
Ein Flüstern setzt ein.
„Das Monster“
Es flüstert von allen Seiten. Eine Stimme redet laut aus der rechten oberen Ecke, von dem Monster, in und um uns. Das Flüstern schwillt jedes Mal an, wenn die Stimme vor Angst von dem Monster schreit.
„Das Monster. Das Monster.“
Alles verstummt.
„Sich selbst.“
Der Projektor wird eingeschaltet und wirft sein Licht an die weiße Leinwand, verschwommen erscheint ein Bild, unscharf, ihr könnt es nicht erkennen.
„Bild eins.“
Eine präzise Erklärung folgt, man behandelt euch wie einen Studenten in einer Vorlesung. Nichts von dem Gesagten könnt ihr auf dem Bild sehen. Ihr könnt es euch nicht einmal bildlich vorstellen, was gesagt wird.
„Bild zwei.“
Die Prozedur wird fortgesetzt. Ein paar Farben, zusammengeklatscht, ohne etwas ausmachen zu können, vermischt auf einer weißen Leinwand.
„Bild drei.“
Die übergenaue Aussprache beginnt euch zu nerven, ein Sinn scheint nicht zu existieren.
„Bild vier.“
Ein neues Dia, vielleicht ein Mensch, vielleicht ein Berg, ein bisschen Sisyphos, ein wenig Meer. Doch endlich beendet der Lehrer den Unterricht. Projektor aus.
Der Fernseher wird eingeschaltet. Nur Schnee ist zu sehen. Eine beschuldigend lang gezogene Stimme mahnt euch. Auf einmal seid ihr ein kleines Mädchen, dass seine Puppe aus dem offenen Fenster eines Wagens geworfen hat, sodass sie nun auf dem weißen Mittelstreifen der Fahrbahn liegt, ihren nackten Hintern unter dem dreckigen Kleid in die Höhe gestreckt, hilflos, bald im Graben, bald vergessen. Von euch losgelassen, aus dem fahrenden Auto, ob beabsichtigt oder nicht.
„Wieso? Wieso hast du sie fallen lassen?“
Das Spiel geht weiter. Licht an, Licht aus. Kälte, Hass, Verzweiflung, Angst, Resignation. Alles in Form von sprachlichen Mitteln.
Die Deckenbeleuchtung geht an. Ihr reibt eure Augen. Um euch stehen die Leute auf, die mit euch dabei waren und dennoch alles ganz anders wahrnahmen als ihr selbst. Sehen diese Personen jetzt anders aus? Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht...
Vielleicht wärt ihr gern dabei gewesen. Möglicherweise als Zuschauer oder als Schauspieler, als Opfer oder als Täter, auf den Decken, hinter dem Fernseher, auf dem Schrank, mitten unter uns allen.
Das seid ihr. Tagtäglich.
Datum: 08.12.2004 19:50
Hi Reb!

Die Aufführung hört sich ja sehr interessant an.
So nach der Darstellung des Alltäglichen. Ich wäre schon gerne dabei gewesen, um zu erleben, wie ich auf eure Vorführung reagiert hätte und um die anderen dabei zu beoabachten und hinterher zu erleben. Für wen ist es der tägliche Alptraum, ein Kampf, ein Leben, ein Überleben, ein Leiden, an wem geht eine Vergewaltigung oder ein schreiendes Kind gänzlich vorbei, wo versteckt sich die Person, die auch noch nie näher körperlichen Kontakt hatte oder wer verlässt unbeeindruckt und amüsiert mit einem Kopfschütteln den Raum.

Gut geschrieben, so konnte man sich die Vorführung bildlich zusammenreimen.
Meinen Fuss stellte ich auf das Geschrei der Hölle. Nun warte ich auf den Tag, an dem ich beiseite treten kann.


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