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Progressing 4 u

Tales of Xillia
von

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Dead, Dead End (大丈夫 - Daijōbu)

Allein lumineszierende Gewächse beleuchteten das Innere der menschenverlassenen Tatalian-Kluft. Ein toller Ort zum Verstecken, fiel Alvin ein, verloren in einem Gang, auf sein Ende zusteuernd. Geschützt durch die Höhen und Tiefen, bevorteilt aufgrund seiner kindlichen Körpergröße, hätte ihn hier niemand und nichts gefunden. Das ist vorbei, dachte er. Nun ist er zu groß, um sich verstecken zu können, dachte er mit abwesendem Blick auf die Sohle weit unter sich. Dort, wo vorhin ein Siegel geglüht hatte, zogen zerbrochene Schienen seine Aufmerksamkeit auf sich, und auf ihnen rastete eine kleine Lore – leer, und ohne Weg weder vorwärts noch zurück. In der folgenden Sekunde fühlte er sich schwer wie die Last, die sie einst getragen hatte, und die kleine Lore wurde auf einmal größer.

„Hey.“ Zwei feste Griffe um seinen Arm, seine Flanke entzogen ihn der saugenden Gravität und ließen ihn von der Kante zurückstolpern. Gemeinsam mit Jyde fiel er nach hinten; die flüchtige Pein, die seine Wirbelsäule hinaufjagte: Eine milde Mahnung an die unangenehmen Schmerzen, welche der ewigen Empfindungslosigkeit vorausgehen.

„Ich könnte schwören, hier ging es weiter“, gluckste er leidenschaftslos, bevor der Kleinere etwas sagen konnte. Ihm war klar, wie das auf ihn gewirkt haben musste. Presa war einen Abhang hinuntergefallen. Das war tragisch gewesen, aber er hatte nicht vor, ihr auf dieselbe Weise zu folgen. Er hatte nicht vor, ihr oder Mutter oder Gilland auf überhaupt irgendeine Weise zu folgen. „Mir ist bloß schwindelig geworden“, verteidigte er sich und wischte sich Jydes Hand vom Arm.

„Vielleicht sollten wir zurück zu den anderen stoßen“, sagte als nächstes Jyde. „Ich denke nicht, dass wir hier noch Schätze finden.“ Er richtete sich auf. Sein Angebot, ihm hochzuhelfen, wurde ausgeschlagen. Trotzdem hielt er ihm seine Hand offen entgegen, selbst als er bereits stand.

Alvin starrte sie mit verständnisloser Skepsis an, wie ein Sandwich, das mit der merkwürdigsten Kombination an Zutaten belegt war. „Was soll das?“

„Ein Beweis meiner Bereitschaft sein, dass ich für dich da bin. Eine Bitte, dich mir anzuvertrauen.“

Sekundenlang galt Alvins Augenmerk dem jugendlichen Gesicht, ehe er seinen Kopf abwandte, um sich durch die Haare zu fahren. „Kleiner… Ich bin zu alt, um ein Kind mit meinen Problemen zu belasten.“

Die ebenholzschwarzen Strähnen rutschten über seine Stirn, als Jyde, immer noch entschlossenen Blickes, das Haupt schief legte. „Erwachsene müssen nicht mit allem allein fertigwerden, Alvin, und Kindern können manchmal die unkompliziertesten Ratschläge einfallen. Es ist nicht fair, sie nicht auch an den Sorgen teilhaben zu lassen, ihnen eine heile Welt vorzuspielen. Außerdem lastet sich dieses Kind hier vor dir viel lieber deine Probleme auf als später erneut deren Konsequenzen.“

Alvin setzte ein Lächeln auf. „Welche berücksichtigend du ganz schön nachsichtig mir gegenüber bist.“

„Vielleicht…“ – und an dieser Stelle senkten sich die farbintensiven Iriden über rot werdenden Wangen – „Vielleicht war ja nicht alles an deiner Anwesenheit schlecht.“

Derrick Guita Mathis… Jyde, du hältst an einer Person fest, die genau wie Julio oder Al oder Balan lediglich für die Dauer jenes Aktes lebt, in dem er sie spielt. Ist die Aufführung vorüber, streift der Darsteller sie ab, ohne dass etwas von ihrer ephemeren Existenz bestehen bleibt. Wann wird sich Alvin zu ihren unsichtbaren Skeletten gesellen, wann sich der schwere Vorhang endgültig zuziehen? Wann wird die Lore mit seinen Leichnamen darin ihre Fahrt aufnehmen in die einsame, schwarze Tiefe?

„Alvin? Alvin!“

Obschon er um sein Gleichgewicht rang, stürzte Jyde dieses Mal nicht. Mit seinen Fingern um die schmalen Schultern versuchte Alvin, seines wiederherzustellen. „Tut mir Leid. Der Sauerstoff hier drinnen ist so knapp. Zeit für etwas Frischluft, meinst du nicht auch?“

Der Junge nickte hastig. Sobald seine stabilisierenden Hände nicht mehr nötig waren, blieb eine von ihnen abermals ausgestreckt – jedoch mit der Fläche nach oben.

„Hoppla – ein Déjà-Vu?“

„Ich halte es für eine gute Idee, dass wir dich aus den Kämpfen lassen, bis wir in Helioborg sind. Bitte gib mir dein Schwert und deine Pistole.“

Jydes Hand und seine Pupillen zitterten. Jyde ist noch klein genug, um sich hier verstecken zu können, dachte Alvin, während er die Knarre aus seinem Mantel zog, aber anscheinend hat er nicht für einen Moment diese Option in Erwägung gezogen. Ganz gleich, wie ratlos, unwissend, naiv er anfangs gewesen war: Weggelaufen war er nie. Das war nichts, wozu ihn Milla Maxwell inspiriert hatte. Das war etwas, worüber er niemals Reue zu empfinden brauchte. Auf was für eine beneidenswerte Jugend dieser Junge seine Zukunft doch bauen dürfte, sann Alvin nach, das Monstrum von Hamil zwischen ihnen haltend, was sein Gegenüber merklich nervös machte.

Woraufhin sich der Arm mit der einfordernden Hand daran ostentativ weiter nach vorne streckte. „Die Pistole, Alvin. Bitte.“

Nicht Furcht um die eigene Gesundheit hielt den bernsteinfarbenen Blick an, den seinen an sich zu bannen, wie man in die schwarzen Augen einer vernunftfreien, nur nach ihrem Instinkt agierenden Bestie starrt. So jung ist Jyde, und doch weiß er, dass ein langes Teil im Mund Erlösung bringen kann. Ein Lidschlag, ein "PENG!", und die Welt rollt prompt auf jene andere Hälfte, wo die Sonne nicht auftrifft und alles finster ist.

Ja: Das kannst du, du kannst die Welt verändern. Die Schwere der Waffe machte sich seinem Griff bewusst – nicht unberechenbar; er kannte, was in ihr steckte; er hatte sie zusammengebaut – sie war sein Baby. Er hatte ihr einen Namen gegeben; ein Name für niemanden, dessen Tod den Namen mit sich nimmt wie eine Fingerkuppe die Schuppen von den Flügeln einer Motte, ihn unbrauchbar macht – dieser Name bestand; er könnte durch seine Nennung stets ein Ziel adressieren; es war kein jemals in die Leere gerufenes Wort und da ihm das klar wird wurde ihm auch klar NEIN! Er kann Jyde sie nicht überlassen.

„Sorry, Kleiner, aber die Lady ist ein paar Klassen zu heiß für dich“, verweigerte er die Hergabe, schob sie stattdessen zurück an ihren Platz, wo er ihr kaltes Gewicht allzeit zu spüren vermochte. „Ich verstehe deine Befürchtung zu schätzen, doch sie ist unbegründet: Ich werde mir nichts tun. Ehrlich nicht.“

Dies durfte er unbelasteten Gewissens versichern, hatte er den Versuch doch bereits hinter sich: Die Dorfgrenze Hamils war vorgesehen gewesen, letzter Anblick seiner wertlosen Existenz auf die Welt darzustellen; in den goldenen Strahlen der versinkenden Sonne hielt er allein die Knarre aus dem Kampf gegen Leia und Jyde sowie den besessenen Gedanken, sein kaputtes, funktionsuntüchtiges Gehirn an die Kisten rechts zu schießen. PENG! Er würde zusammensacken, während der beschissene rote, unnütze, ungewollte Mist gemächlich an dem verarbeiteten Holz hinabsickern würde, und sein Empfinden, sein Denken würden einfach ausgeschaltet werden. Ende. Freiheit.

Doch es ist so schwierig, abzudrücken, wenn man selbst es ist, an dessen Schläfe die drohende Mündung positioniert ist. Gilland hat Recht: Er ist ein Feigling, jemand, der jeglichen Schmerz zu meiden sucht, und das ist der Grund, aus dem sein Leben derart sinnlos verlaufen ist, aus dem sich Apathie über seinen Anspruch auf Vaters Erbe ausbreitete, aus dem er wieder mit dieser Gruppe unterwegs ist und sich ihr dennoch nicht öffnet. Er hat Angst vor dem Schmerz, der damit verbunden ist, in Jydes Obhut alle Waffen fallen zu lassen, seine Vergangenheit auszukotzen, um ihnen Entschuldigungen abzunötigen, als sei dies kein selbstisches, manipulatives Strategem. Den Pfad, den man einschlägt, wählt man immer noch persönlich. Bist du stolz, was aus deinem geliebten Sohn geworden ist?, hätte er Mutter gefragt, sobald sie ihn wiedererkannt hätte. Kannst du stolz auf deinen Sohn sein ich habe Leute erschossen, verraten, verkauft, zurückgelassen, belogen, zerstört, habe meinen Sold Huren und Eisverkäufern gegeben, habe mich selbst verraten, verkauft, verloren, belogen, zerstört, aber konnte mich nicht erschießen, und ich darf nicht einmal behaupten, dass ich das alles für dich getan habe, Mutter, denn die Wahrheit ist: Ich habe es getan, um jeglichem Schmerz aus dem Weg zu gehen. Liebst du dein Kind, das sich nicht erinnern kann, dich geliebt zu haben, trotzdem noch?

Ach, hätte er bloß das bisschen Mut aufgebracht, den Abzug zu betätigen. So oft, wie sich andere freiwillig in die Umarmung des Todes schließen lassen, schien es so leicht zu sein. Für Alvin Svent, dem die herannahende schwarze Mauer allmählich ihre wahren, unüberwindlichen, unumgänglichen Ausmaße offenbarte, blieb es allerdings ein Privileg der Unmöglichkeit.

„Alvin…“

„Ehrlich nicht!“, wiederholte er schwungvoll, ohne sich gewahr zu sein, ob er noch immer auf die Bedenken des Kurzen antwortete. …Dazu bin ich zu feige.

„Hm?“, machte Jyde.

„Nichts. Schon gut.“ Wie um Schlaf oder eine halluzinogene Müdigkeit aus ihnen zu entfernen, kniff er die Augen zusammen, blinzelte und nahm anschließend einen tiefen Zug des verrufenen Sauerstoffes. „Maaann. Wir sollten singend über die Steppe tanzen, sobald wir endlich aus dieser schmutzigen Grube raus sind.“

Jydes Gesicht hellte auf. „Klingt gut! Dann lass uns am besten direkt losgehen.“

Finger legten sich auf das Muster von Onkels Mantel, hatten sich zwischen ihn sowie die Kante gehoben und drückten ihn sanft von ihr fort. Im ersten Moment spürte Alvin das Empfinden des Vermissens heranspülen, gleich einer Welle, welche ihn mit sich ziehen wollte. Nicht den Abgrund vermisste er, dachte er sich, sondern die Personen, die unter Erde, Stein und Wasser bestattet waren.

Die Stimmen von Leia, Teepo und Milla waren von der anderen Strecke zu vernehmen, als sie jene Stelle erreichten, an der die Lore auf der Bahn stand, die nirgendwo hinführte.

„Sie scheinen mehr Glück gehabt zu haben als wir“, sah der Musterschüler anhand ihrer Äußerungen ein, mit einem resignativen Schmunzeln, frei von Neid, reich an Gunst.

„Hey – Jyde?“

Verwundert schaute der Angesprochene zu ihm auf. „Ja?“

Alvin blieb stehen, ehe die Töne ihrer Schritte zu den anderen getragen wurden, das Hier und Jetzt und So bewahrend. Allein lumineszierende Gewächse beleuchteten das Innere der menschenverlassenen Tatalian-Kluft. Ein toller Ort zum Verstecken. Geschützt durch die Höhen und Tiefen, bevorteilt aufgrund der behutsamen Lautstärke, mit der sie ausgesprochen wurden, würde niemand und nichts sie aufschnappen, außer jener, an den er die Worte adressierte: „Danke. …Für’s Festhalten.“

Der vielversprechende Medizinstudent erwiderte sein zaghaftes Lächeln. Die leuchtenden Augen verrieten ihm, dass dieses nicht erzwungen war. Gewiss war Jyde damit nicht beschwichtigt. Sicherlich hatte er heute die eine oder andere Lüge oder Unwahrheit diagnostiziert. Jedoch bewies er ihm, dass er nichts von ihm erwartete, zu dem er nicht bereit war. Er versicherte ihm, dass Lügen und Unwahrheiten toleriert wurden, solange er sie benötigte, um sich zu schützen. Er zeigte ihm, dass er seinem Schuldbewusstsein vertraute. Jyde sagt wortlos: Es ist in Ordnung, Alfred; und dieser Satz ist es, den Alvin zu hören braucht. Ihn möchte er sammeln, möglichst viele, bis er ihn irgendwann selbst glauben kann.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yuugii
2018-03-22T13:56:16+00:00 22.03.2018 14:56
Uff, Alvin gehört ja so ziemlich zu meinen Lieblingscharakteren und ich freue mich sehr, dass du seine innere Zerrissenheit so gut in Worte zu verpacken vermagst. Auch die Erwähnung seiner Vergangenheit und der Gedanke, sich verstecken zu wollen, fand ich sehr schön inszeniert. Man merkt, dass du dir sehr viele Gedanken um die Charaktere und ihre Bindungen gemacht hast und im Text spürt man die Liebe zum Originalspiel und den großen Respekt den Charakteren gegenüber. Sehr gut getroffen. Schreibstil empfinde ich als etwas langatmig, aber trotzdem sehr gut und vor allem bildlich. Auch Jydes liebenswerte und fürsorgliche Art hast du sehr schön dargestellt. ♥


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