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Sterben kann so schön sein...

... oder auch nicht
von
Koautor:  Shizana

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Eri, da Anubis nun fort ist, habt ihr keine großartig andere Wahl, als auf ihn zu warten. Die Götter wollen noch nicht aufgeben und einen erneuten Versuch starten, irgendetwas herauszufinden, das euch weiterhelfen wird. Lass sie gewähren und warte auf ihre Rückkehr.

Aufgabe 1: Thoth fragt dich, was du nun als Nächstes vorhast. Versuche, mit einem neuen Plan aufzuwarten.
Aufgabe 2: Thoth möchte von dir wissen, wieso du so verbissen nach Susanoo suchst. Es hat einen Grund, warum Zeus euch ausgerechnet nach Japan in die Menschenwelt geschickt hat, und er glaubt, dass der Grund bei dir liegt. Gib ihm eine Erklärung.
Aufgabe 3: Thoth wirft dir vor, dass ihr nur deswegen nicht vorankommt, weil du offensichtlich nicht weißt, was du willst. Lass dir das nicht von ihm bieten und geh auf Abstand, halte dich aber in der Nähe des Tempels, um nicht verlorenzugehen. Auf deinen ziellosen Wegen begegnest du einer jungen Frau, etwa um die Dreißiger bis Vierziger, in die du prompt hineinläufst. Du bemerkst, dass sie blind ist. Entschuldige dich bei ihr für deine Unachtsamkeit und frage, ob du ihr irgendwie helfen kannst.
Aufgabe 4: Die Frau scheint dich einigermaßen zu verstehen, kann aber selbst nur im gebrochenen Englisch oder Japanisch antworten. Sie erklärt dir, dass sie mit ihrem Mann hier ist und er etwas zu Trinken holen wollte. Der Menschenstrom hat sie etwas abgetrieben und sie bittet dich um Hilfe, zu den Bänken zurückzufinden, wo sie mit ihrem Mann verabredet ist. Hilf ihr dorthin.
Aufgabe 5: Ihr Mann, schon etwas älter, wartet bereits auf sie und ist in Sorge. Als er euch beide erblickt, ist er erleichtert, dass es seiner Frau gut geht. Im höflichen Japanisch bedankt er sich bei dir und fragt dich etwas, das du nicht verstehst. Nachdem seine Frau etwas zu ihm gesagt hat, scheint er beidermaßen überrascht wie erfreut und wechselt in ein gutes Deutsch. Unterhalte dich ein wenig mit ihm und finde heraus, dass er deswegen so gut Deutsch spricht, weil er jahrelang geschäftlich in Deutschland war, bis familiäre Pflichten ihn zurück nach Japan riefen. Erfahre außerdem, dass die beiden nicht aus Trauer-, sondern aus Dankesgründen am Schrein sind und lasse dich einladen, sie auf ein Essen zu begleiten als Dankeschön für deine Hilfe und weil der Mann sich gern etwas länger mit dir unterhalten würde, da er die deutsche Sprache vermisst.
Aufgabe 6: Finde eine Einigung mit dem Ehepaar und den Göttern, ob ihr sie begleitet oder nicht. Das Paar hat nichts dagegen, ein wenig mehr Gäste zu haben, würde euch dann aber lieber nach Hause einladen, damit die Frau etwas kochen kann. Nachdem ihr euch geeinigt habt und Anubis zurückgekehrt ist, begleitet das Paar zu ihnen nach Hause. Komplett anzeigen

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Farblos

In meinem Kopf drehte sich alles. Da ich Thoth nicht mehr fragen wollte und mein Stolz es mir verbot diesen Mann auch nur in irgendeiner Weise das Gefühl zu geben, dass ich ihn brauchte, konnte ich nicht anders, als mir wieder Gedanken zu machen, wie wir Takeru finden konnte. Der Tempel hatte nun wirklich gar nichts ergeben und das wurmte mich, was selbst die anderen drei Götter bemerkten. Wahrscheinlich war es gut so, dass Anubis gerade nicht da war, denn so hatte ich Zeit, einen neuen Ort zu finden, wo er vielleicht war. Oder sollten wir vielleicht doch Tsukito erst suchen?

Mit verschränkten Armen lief ich hin und her, wobei eine meiner Hände an meinen Lippen war und ich angestrengt, in Gedanken versunken, an meinen Fingernägeln kaute. Doch es waren nicht nur die Nägel, auch die hart gewordene Haut blieb davor nicht verschont, was meine Hände nicht gerade schöner machte. Aber ich konnte mir das Nägel kauen einfach nicht abgewöhnen, vor allem dann nicht, wenn ich in Gedanken war.

Was sollten wir tun? Was sollten wir tun? Dieser Gedanke kreiste wie ein Geier über meiner Ahnungslosigkeit. Vielleicht sollte ich einfach das Gebetsglöckchen rasseln lassen und Takerus Namen rufen? Nein, zu gefährlich. Wie würde ich das in einer FF machen? Ganz einfach, Anubis würde Take- ich stockte. Verdammt! Anubis war nicht mehr da. Dabei hatte er wohl den besten Geruchssinn. Mich hatte er in Ägypten auch gefunden. Allerdings... wir hatten nichts von Takeru, an dem wir ihn schnuppern lassen konnte. Auch keine gute Idee, auch wenn sie nichts daran änderte, dass Anubis verschwunden und das wahrscheinlich irgendwie meine Schuld war.

„Nya-chan?“

Ich zuckte zusammen, als Apollons Stimme plötzlich hinter mir ertönte. Verwundert wandte ich mich zu ihm und sah ihn fast schon ertappt an, als er meine Hände in seine nahm und mich sanft anlächelte.

„Dee-Dee, Onkel Hades und Ich gehen noch einmal im Tempel nach einer Spur suchen. Wir werden etwas finden, das werden wir. Warte du solange mit Thoth-sensei auf Anubis.“

Meine Emotionen schwankten von Fassungslosigkeit zu nahem Nervenzusammenbruch. Apollon sollte doch wissen, dass im Tempel nichts zu finden war und doch... Doch schien es so, als wollte er meine Bemühungen nicht umsonst gewesen sein lassen. Warum? Warum hatte er soviel Vertrauen in mich? Nein, nicht nur er, sondern auch Hades und Dionysos. Es war schwer sich da zu beherrschen und Apollon nicht einfach eine Umarmung aus Dankbarkeit und Erleichterung zu schenken.

„Ihr werdet dort sicher nichts finden... wir haben doch schon geguckt...“, erwiderte ich leise, verunsichert. Vielleicht war doch dort etwas. Durfte ich das wirklich noch hoffen?

„Wir werden es nicht wissen, wenn wir nicht noch einmal ordentlich suchen. Ruh dich etwas aus, manchmal bringt Ruhe die besten Ideen.“

Dionysos lächelte sanft, als er das sagte. Ja, sie vertrauten mir wirklich. Doch sie versuchten mir zu verheimlichen, warum sie wirklich den Tempel durchsuchen wollten. Ich würde dann immerhin alleine mit Thoth zurückbleiben. Alleine mit dem Gott, der mich wahrscheinlich gerade so sehr verachtete.

„Danke...“, wisperte ich und kämpfte gegen einen kurzen Schwall Tränen an. Es war unglaublich, wie eine Geste soviel aussagen konnte. Sie gaben mir Zeit zum denken, Zeit mit Thoth und gleichzeitig vertrauten sie auf meine Intuition. Das war einfach nur... unglaublich.
 

Die Atmosphäre zwischen mir und Thoth war deutlich angespannt. Da war nichts mehr von diesen lockeren Momenten vor dem Olymp. Irgendwie vermisste ich es sogar, wie Thoth mich und meine Unwissenheit verschaukelte. Warum nur? Wir hatten uns beide doch gar nicht verändert. Und doch hing diese gedrückte Stimmung über unsere Beziehung wie ein Damoklesschwert.

„Und was als nächstes?“

Ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, doch es war Thoth, der scheinbar das Gespräch suchen wollte. Allerdings ging es schon jetzt in eine Richtung, die mir nicht gefallen wollte. Woher sollte ich wissen, was wir als nächstes taten?

„Als nächstes? Solange wie Susanno-o nicht gefunden haben, brauche ich gar nicht über den nächsten Schritt nachdenken. Die aktuelle Mission lautet ihn zu finden und zu fragen, warum er so wütet. Vielleicht sollten wir dafür zum Meer, oder uns in der Stadt umhören. Irgendetwas muss doch vor zwei Wochen passiert sein. Ein Gott läuft doch nicht einfach ohne Grund Amok... Allerdings mache ich mir Sorgen, ob dieser Sturm nicht einen anderen Grund haben könnte, oder ob es Susanno-o gut geht.“ Wieder einmal stellte sich heraus, planlos reden war zwar nicht clever, aber irgendwie kamen mir plötzlich neue Optionen in den Sinn. Was wenn Takeru irgendwie verletzt war und er den Sturm deswegen nicht aufhalten konnte? Dann mussten wir ihn umso mehr finden und helfen.

„Oder was, wenn vor zwei Wochen etwas die Welt aus dem Gleichgewicht brachte und mein plötzliches Auftauchen die Ankündigung von etwas schlimmeren ist. Dann müssen wir unbedingt herausfinden was los ist, früher können wir gar nicht hier weg.“

Ausdruckslos sah mich Thoth an, der mit verschränkten Armen gegen die Säule des Tempeltores gelehnt stand. Wahrscheinlich dachte er gerade wieder darüber nach wie engstirnig ich war, aber gut, sollte er nur.

„Es könnte eine Spur für das Rätsel sein und das willst du sicher immer noch lösen, oder?“ Natürlich wollte Thoth das immer noch, da musste ich nicht fragen. Allerdings lag etwas herausforderndes in meiner Stimme, so dass Thoth nicht anders konnte als antworten zu müssen.

„Und du glaubst wirklich, der Fehlschlag könnte diese Spur bringen? Tse...“ Nicht das ich das wirklich glaubte, aber es musste einen Grund haben, warum wir hier waren. Solange ich mich an diesem Glauben festhalten konnte, musste ich einfach vorwärts gehen.

„Ach, du willst also nicht jede kleine Möglichkeit in Betracht ziehen? Hast du mir nicht gesagt, ich soll über meinen Tellerrand hinaus blicken? Fakt ist doch, wir wissen beide nicht, was mein Erscheinen bewirkt hat. Wir müssen also alles Unmögliche ausschließen um die Wahrheit zu finden.“

Ein Grinsen zierte mein Gesicht. In der Tat hatte ich es mir gerade gewagt den Gott des Wissens zu zitieren.

„Dazu müssten wir den Fehlschlag nicht finden. Das könnten wir auch anderweitig herausfinden. Warum willst du also ohne dich beirren zu lassen, ihn finden?“

Wirkte ich wirklich so verbissen? Keine Ahnung, vielleicht. Aber etwas in mir sagte, dass das richtig war. Es konnte, nein es durfte nicht anders sein.

„Weil es der Weg ist, denn mein Herz mir gerade rät.“

„Unsinn!“ Thoths Stimme hob sich zu einem leisen Grollen an und ließ mich innerlich zusammenzucken. Es war wirklich schon etwas her, dass er sein Lieblingswort mir gegenüber benutzte. Fast schon zu lange, doch irgendwie fühlte es sich nicht wie den Tag zuvor an.

„Du redest davon, dass es der Weg ist, den dein Herz dir rät. In Wahrheit hat Zeus uns hier her gebracht. Es hat also mit dir zu tun und auch mit dem, was ihr besprochen habt. Also, warum sind wir hier? Und warum machen wir uns auf die Suche nach dem Fehlschlag?“

Natürlich hatte Zeus uns hergeschickt. Sicher, dass hatte einen Grund und mit Sicherheit war Takeru einer dieser Gründe, allerdings besaß Thoth noch lange nicht den Grund meinen Weg anzuzweifeln. Ja, es mochte verklärt romantisch klingen, diese Welt zu erkunden und wirklich jeden zu treffen, den man aus dem Kamigami-Fandom kannte. Wer hätte diese Gelegenheit nicht beim Schopf gepackt?

„Glaubst du allen ernstes Zeus hätte uns hergeschickt wenn es keine tiefere Bedeutung hätte, dass ich Susanno-o treffe? Diesen Umweg hätte er uns sicher erspart, selbst wenn ich ihn unbedingt sehen will! Ja, ich will Susanno-o kennenlernen. Genauso will ich aber auch Hades, Apollon, Anubis, Dionysos und sogar dich kennenlernen. Zeus hat uns nicht einfach hergeschickt, damit wir hier herumalbern, sondern dass wir jemanden oder etwas finden, wodurch wir näher zum eigentlichen Ziel kommen. Auch wenn du das vielleicht noch nicht erkennen magst. Hinter dem ganzen steckt ein größeres Bild und wir haben gerade mal einen kleinen Blickwinkel darauf!“

Wir hatten in der Tat nicht einmal einen geringen Blickradius auf alles, was vor uns lag. Zumindest ich nicht, aber das war nicht schlimm. Momentan noch nicht.

„Und nicht einmal das bekommst du hin... Oder haben wir Susanno-o schon gefunden?“

„Natürlich nicht. Aber wir werden ihn finden.“

„Wie willst du das schaffen, wenn du so unsicher bist? Du springst von einem Gedanken zum nächsten, ohne auch nur konsequent ein Ziel zu verfolgen. Zwar scheint augenblicklich dein Hauptaugenmerk auf den Fehlschlag zu liegen, aber du hättest dich auch fast durch Anubis Flucht dazu verleiten lassen, dieses Ziel aus den Augen zu verlieren.“

Das reichte. Das war zuviel. Wenn Thoth mich wirklich wütend machen wollte, dann hatte er es geschafft. Von meinen Kunden ließ ich mir ja einiges gefallen und ich hatte auch schon einigen Gram bei Thoth runter geschluckt, aber das hier war zuviel.

„Sei gefälligst ruhig! Nur weil du der Gott des Wissens bist, heißt es nicht, dass du wirklich auch nur etwas weißt! Theoretisch magst du wirklich gut sein, aber wenn es darum geht das Wissen anzuwenden, versagst du doch am laufenden Band. Und wenn mal etwas nicht läuft wie du es willst, gibst du einfach auf und schmeißt hin oder versuchst mit deinem Dickschädel durch die Wand zu brettern. Ehrlich Thoth... Du bist ein größerer Idiot als Apollon!“

Raus. Es musste einfach alles raus. All die Wut die sich wegen Thoth die letzten paar Stunden angesammelt hatte, musste seinen Weg an die Freiheit finden.

„Wag es nicht, irgendetwas sagen zu wollen, oder mich anzubrüllen!“

Thoth hatte gerade angesetzt etwas zu sagen, als ich die Hand hob und ihn damit zu schweigen gebot. Ich ein Mensch, verbat einem Gott den Mund. Das grenzte fast schon an Größenwahn oder ich war wirklich unsagbar dumm.

„Jetzt hörst du mir mal zu. Die ganze Zeit frage ich mich, warum du mich so mies behandelst, aber ich habe nichts gesagt. Und dann schreist du auch noch Anubis an. Merkst du überhaupt noch, wie dämlich du dich verhältst, Thoth? Du versaust es dir gerade mit allen die dir helfen wollen. Und ja, ich will dir helfen dieses verdammte Rätsel zu lösen. Aber so langsam frage ich mich, ob ich dir dabei vielleicht vollkommen egal bin. Ja, ich habe versagt wir haben Takeru nicht auf Anhieb gefunden, dass heißt aber nicht, dass wir es nicht mehr werden. Das bedeutet nur, dass die Suche eben etwas dauert. Dafür hat sie ein Tempo, an dem niemand zerbrechen muss. Natürlich könntest du mir helfen, ich könnte dich auch um Hilfe bitten, aber wer will schon Hilfe von so einem selbstgefälligen, überheblichen, unhöflichen und arroganten Kerl wie dir. Ich lasse mir ja einiges gefallen, selbst dass du mich einen Spätzünder nennst, wahrscheinlich bin ich das auch, aber du bist ein verdammter Frühschießer. Je schneller desto besser. Dir ist egal was mit den Gefühlen anderer dabei ist, solange du deine Befriedigung dabei hast. Und deswegen...“

Ich hatte mir das meiste gerade von der Seele gesprochen. Doch da war noch etwas, etwas dass ich nun tun und sagen musste.

„Lass mich einfach in Ruhe mit deinem Gebrabbel. Fass mich nicht an, lauf mir nicht nach, bleib einfach hier. Ich will dich die nächsten Minuten, vielleicht auch Stunden nicht sehen!“

Noch in der letzten Welle meines Zornes, wandte ich mich von Thoth ab und ging in die Richtung des Tempels. Weg konnte ich nicht, soviel war mir selbst durch diesen Schleier der Wut bewusst, aber ich konnte wenigstens Abstand von Thoth nehmen, der wohl gerade in diesem Moment der größte Idiotengott der Welt war.
 

Verdammt, verdammt, verdammt! Kaum dass ich aus Thoths Sichtfeld entkommen war und durch mein Hirn sickerte, was ich so eben alles gesagt hatte, umklammerte mich die Angst mit ihren Armen als seien diesen Tentakel. Ich hatte mich wirklich zu sehr gehen lassen. Ich hatte Thoth einen Idioten genannt. Ich hatte behauptet, dass er sogar ein größerer Idiot war als Apollon. Mit Sicherheit hasste Thoth mich nun. Ich konnte in Zukunft sicher nie wieder ein vernünftiges Wort mit ihm reden und das was ich zu ihm gesagt hatte, konnte ich auch nicht mehr rückgängig machen.

Ob ich ihn mit dem was ich gesagt hatte, verletzt hatte? Nein sicher war jetzt nur sein viel zu großes Ego angekratzt. Wahrscheinlich würde er auch nicht mehr da sein, wenn ich zurück zu den anderen ging. Kein Wunder, nach diesem Streit hätte selbst ich die Schnauze von mir voll gehabt. Aber ich konnte mir das doch nicht bieten lassen. Ich meine, er hatte über mich geurteilt, als wusste er auch nur irgendetwas über mich. Sicher, vielleicht hatte Zeus ihm erzählt, dass ich wusste, was ich eigentlich wollte, aber das war noch lange kein Grund über mein gesamtes Leben zu urteilen. Auch wenn einiges von dem was er gesagt hatte schon richtig war. Ich hatte kein richtiges Ziel im Leben, außer eben zu leben. Und alles was ich wollte, zumindest glaubte ich, dass ich das wirklich wollte, war andere glücklich zu machen.

„Ich bin so dumm...“, wisperte ich leise und lief einfach weiter an der äußeren Tempelmauer entlang ohne eigentlich zu wissen, wohin ich überhaupt wollte. Klar, ich wollte augenblicklich nicht Thoth sehen, verständlich... vielleicht. Ob er den anderen von dem Streit erzählen würde? Argh, es war einfach nur grausig. Und noch dazu nagte das schlechte Gewissen an mir. Ich hatte Thoth vorgehalten, dass ihm die Gefühle anderer egal waren, dabei hatte er in Ägypten mich beschützt und auf mich aufgepasst. Er musste mich für wirklich undankbar halten.

Seufzend sah ich auf und erblickte nun den Weg dem ich folgte. Doch ich blieb nicht lange genug in Bewegung, denn da war sie plötzlich. Just als ich aufgesehen hatte, stieß ich mit einer Frau Mitte dreißig, Anfang vierzig zusammen. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren wie sie plötzlich aufgetaucht war und bekam nur noch ihren Arm zum greifen. Da ich schon aus meinem Gleichgewicht gerissen worden war, hatte ich aber nichts mehr tun können um ihren Sturz zu verhindern, im Gegenteil, ich ließ mich sogar mitreißen was meine Knie mir mit einem deutlichen ziehen bewusst machten.

„E-Es tut mir leid!“ Sofort und ohne darüber nachzudenken kamen mir die Worte in Deutsch über die Lippen. Es dämmerte erst im Nachhinein, dass deutsch wohl kaum die Sprache war, die diese Frau verstehen würde, weswegen ich zu einer Entschuldigung in der Landessprache wechselte. Dafür reichten selbst meine begrenzten Fähigkeiten immerhin. Selbst für die Frage, ob es ihr gut ging, reichte mein Sprachwissen noch. Immerhin besser als gar nichts.

„Mir geht es gut, danke.“ Lächelnd blickte die Frau zu mir auf, wobei ich just in diesem Moment bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Sie sah mir nicht direkt in die Augen, sondern schien ihren Blick viel mehr auf meine Lippen gesenkt zu haben. Noch dazu wirkten ihre braunen Augen ungewöhnlich blass, was ich nur aus Filmen oder Animes kannte. Konnte das sein? War sie vielleicht... blind.

„Ich hab mal wieder nicht hingeguckt wo ich hin laufe“, erklärte sie auf englisch mit einem Kichern, dass wohl ihre Verlegenheit überdecken sollte. Hatte sie bemerkt, dass ich sie entsetzt angesehen hatte? Spürten Blinde so etwas?

„Mein Mann hat wirklich recht. Ich sollte nicht immer vor mich hin träumen, sondern die Augen offenhalten.“ Erneut lachte sie leise, während sie wieder einen Witz auf ihre Kosten machte, auch wenn ich nicht darüber lache konnte. Im Gegenteil, es wirkte absurd und bewundernswert zugleich.

Noch verwunderlicher war es, dass sie aber ohne zu zögern in gebrochenes Englisch gewechselt hatte, obwohl ich meine Entschuldigungen in einem passablen japanisch verfasst hatte. Woher schien sie also zu wissen, dass ich kein Japanisch konnte?

Mit diesen Fragen im Hinterkopf, reichte ich ihr vorsichtig meine Hand und erhob mich mit ihr vom Boden. Kaum dass sie aber wieder stand und ich ebenfalls festen Halt unter meinen Füßen hatte, bückte ich mich wieder und hob einige Sachen auf, die ihr bei unserer Kollision aus der Hand gefallen waren.

„Überrascht, dass ich englisch spreche?“, fragte sie schließlich, als mein Schweigen wohl lange genug angedauert hatte. Wer war diese Frau? Konnte sie auch Gedanken lesen?

Sie kicherte erneut in ihrer Lebensfrohen Art und schien es schon wieder getan zu haben. Faszinierend. Sie konnte nichts sehen und doch schien sie mehr von mir wahrzunehmen als ein Sehender. Als Thoth.

„Darf ich fragen wie Sie das machen?“ Es störte mich nun doch. Oder vielmehr interessierte es mich.

„Natürlich, dürfen Sie das. Ich sehe anders als andere Menschen. Mehr mit den anderen Sinnen als meine Augen, die mir ihren Dienst vor Jahren verwehrt haben. Man kann auch die Körpersprache eines Menschen hören. Manche Menschen nehmen in bestimmten Situation beim sprechen eine ganz andere Klangfarbe an. Sie waren sehr bemüht darin ihre Entschuldigung und Frage zu formulieren. Darin steckte auch Unsicherheit, wahrscheinlich weil sie fürchteten, dass ich meine Antwort zu kompliziert auf japanisch formulieren würde, so dass sie es nicht verstehen könnten. Ein Japaner wäre nicht so unsicher und vorsichtig, daher nehme ich an, dass sie eine Ausländerin sind.“

Es war erstaunlich. Sie hatte mich sofort durchschaut und das ohne Probleme. Ob das anderen Japanern auch aufgefallen war?

„Unsere Augen täuschen uns gerne über so etwas hinweg. Sie vertrauen auf das was sie sehen, ein Lächeln, oder ein besorgter Ausdruck auf dem Gesicht.“

Auch wenn sie ihr Englisch etwas mit japanischen Worten mischte, hatte ich keine großen Probleme sie zu verstehen. Sie machte es mir einfach und sorgte damit dafür, dass ich mich auch wieder etwas entspannte.

„Ist ihnen wirklich nichts passiert?“ Da ich nicht recht wusste, wie ich dieses Gespräch führen sollte, es war wohl eher die Frau, die gerade alle Fäden in der Hand hatte, wollte ich mich nur noch einmal vergewissern, dass es ihr wirklich gut ging.

„Keine Sorge, keine Sorge. Zuhause stürze ich so oft, die alten Knochen kann nichts mehr brechen und der eine blaue Fleck mehr oder weniger macht auch keinen Unterschied mehr. Viel wichtiger ist doch, geht es Ihnen gut?“

Ich nickte, ganz vergessend, dass sie nichts sehen konnte, weswegen ich sofort nachsetzte, dass es mir wirklich gut ging und mir, abgesehen von vielleicht einem zukünftigen blauen Fleck am Knie, nichts passiert war.

„Kann ich Ihnen dennoch irgendwie helfen? So als Entschuldigung dafür, dass ich so unvorsichtig war?“ Ich wollte mich wirklich aufrichtig entschuldigen, auch wenn die Frau das wohl nicht zulassen würde. Vielleicht würde sie aber dennoch meine Geste annehmen.

„Ich bräuchte wohl wirklich etwas Hilfe. Ich bin mit meinem Mann hier. Er wollte uns etwas zu trinken holen, doch irgendwie hat ein Menschenmeer mich seiner geraubt und ich habe etwas die Orientierung verloren. Könnten sie mir vielleicht zurück zu dem heiligen Baum mit der Bank helfen?“

Der heilige Baum? Ich erinnerte mich düster daran, dass ich einen hier gesehen hatte. So unweit war er von uns auch nicht. Er war sogar noch weit genug von Thoth entfernt, so dass der Gott des Wissens mir auch weiterhin grazil den Buckel runterrutschen konnte.

„Gerne doch, dass ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann.“

Lächelnd und vorsichtig hakte ich mich bei der Frau ein, wobei ich weiterhin ihre Sachen, die ich vom Boden aufgesammelt hatte, festhielt. Es tat wirklich gut, mir einem Menschen zu reden, auch wenn die Götter nicht schlimm waren, so war es doch ein Tapetenwechsel.
 

Auch wenn Shizuku, so der Name der Frau, mich gebeten hatte, sie zu dem Baum zurückzubringen, hatte ich doch das Gefühl, dass sie mich leiten würde. Sie ließ sich in ihren Schritten Zeit, so dass ich mich ihrem Gang anpasste und wir beide noch etwas miteinander plauderten. Natürlich hatte Shizuku bemerkt, dass ich etwas aufgebracht war, meine Körpersprache hatte mich verraten, zumindest hatte Shizuku mir das erklärt.

„Männer sind wirklich kompliziert. Sie tragen das Herz eben nur selten auf der Zunge und meist ist das was sie sagen nicht das was sie eigentlich meinen“, erklärte mir Shizuku, nachdem ich ihr von meinem Streit mit Thoth berichtet hatte.

„Thoth sowieso nicht... Er ist wirklich eine komplexe Persönlichkeit“, murmelte ich leise und leicht verbittet.

„Du meinst er ist kompliziert?“

Ich lachte leise auf, als Shizuku wirklich auf den Punkt brachte, was ich über Thoth dachte. Ja er war schon kompliziert auf seine Art und Weise, wobei es wohl wesentlich schlimmere Charaktere als ihn gab.

„Kompliziert und engstirnig, ja. Zuhause würde ich mich nie mit Leuten wie ihm abgeben. Eben weil sie so kompliziert sind.“

Shizuku schmunzelte auf meine Worte hin und nickte. Sie schien genau zu verstehen was ich meinte. Vielleicht lag es daran, dass wir beides Frauen waren.

„Ich kann verstehen, dass du verärgert bist über das was er sagte. Aber vielleicht... vielleicht macht er sich nur Sorgen um dich. Du hast mir doch erzählt, wie er sich schon einmal sehr besorgt um dich gezeigt hat. Vielleicht hat er auch etwas Angst, dass du mehr von ihm sehen könntest, als andere sehen. Männer sind bei so etwas Recht eigen. Sie wollen vor uns immer anders wirken als sie sind. Wahrscheinlich wollen sie so ihr Gesicht wahren. Doch umso mehr sie sich bemühen vor uns etwas zu sein, dass sie vor uns nicht sein können, umso weniger gelingt es ihnen auch.“

Shizukus Erläuterung klang wirklich logisch. Warum sollte Thoth sich von heute auf morgen ändern? Auch wenn er nicht mit mir gesprochen hatte, er hatte doch deutlich gezeigt, dass er sich um mich sorgte. Er hatte mir etwas Geld für die Sachen gegeben, hatte mich daran gehindert Anubis nachzulaufen und mich so wahrscheinlich vollständig zu verlaufen... Was wenn seine Anmerkung, dass ich nicht weiterkam im Leben, wenn ich nicht wusste was ich wollte, ebenfalls eine seltsame Variante seiner Sorge um mich war?

„Das macht Thoth jetzt nicht weniger Komplizierter...“, nuschelte ich schließlich und seufzte auch leise.

„Dir tut es leid, was du ihm gesagt hast, oder?“, fragte Shizuku schließlich und entlockte mir damit ein weiteres Seufzen.

„Sehr sogar. Einiges davon war nicht fair. Und zurücknehmen kann ich es auch nicht mehr.“

„Vielleicht nicht zurücknehmen, aber du kannst dich aufrichtig bei ihm entschuldigen.“

Shizuku war wirklich ein Herzstück. Sie wusste sofort die einfachste Lösung. Eine Entschuldigung. Natürlich.

„Wenn das nur so einfach wäre“, wisperte ich leise. Mir war jetzt schon klar, dass ich für diese Entschuldigung alles an Stolz runter schlucken musste, was ich hatte. Und das war eine Menge.

„Leicht wird das sicher nicht. Aber wenn du es wirklich wirst, wirst du einen Weg finden. Ich bin mir sicher, dass wenn du diesen Weg gefunden hast, er es auch verstehen und dir verzeihen wird.“

Meinen eigenen Weg? Ich wusste nicht einmal, was wir tun konnten, um Takeru zu finden, wenn die Jungs im Tempel keinen Hinweis fanden.

„Das wird wirklich nicht leicht. Thoth hat ja Recht damit, dass ich mich schon von meinem Ziel ablenken lasse. Ich weiß nicht einmal, was dieser eigene Weg von mir ist...“

„Dann ist es eben so. Es ist zwar richtig, dass man das Ziel nicht aus den Weg verlieren soll, aber wenn man einmal vom Weg abkommt, bedeutet es ja nicht, dass man das Ziel nicht mehr weiter verfolgt. Man macht halt nur einen kleinen Umweg. Und wenn sich dieser Umweg als falsch entpuppt, kann man immer wieder von vorne anfangen. Solange man tut, was das eigene Herz einem nahe legt und wirklich tut, was man für sich selbst als richtig erachtet, ist es verschmerzlich Fehler zu machen. Die größten Fehler im Leben sind immerhin die, die wir nie begangen haben.“

Seltsam. Diese Worte die Shizuku da sagte, sie waren so vertraut. Sie strotzten nicht nur vor Erfahrung, sondern lösten in mir die Erinnerung an ein Otome Game aus, welches ich auf meinem Handy hatte, welches ich leider Gottes nicht benutzen konnte.

„Shizuku! Da bist du, ein Glück!“

Verwundert sah ich auf und erkannte einen Mann, der auf uns zugelaufen kam. Wir waren wirklich nicht mehr weit von dem Baum entfernt, so dass dieser Fremde nur Shizukus Mann sein konnte. In seinem Gesicht las ich frohe Erleichterung darüber heraus, dass seine Frau gesund und sicher zu ihm gefunden hatte. Auch wenn ich seinen japanischen Ruf nach Shizuku nicht vollständig verstanden hatte, ahnte ich doch im Herzen, was er gesagt hatte.

Vorsichtig löste ich mich von Shizuku und beobachtete, wie das Pärchen wieder zu einander fand.

„Susanno-o sei dank, dir geht es gut. Wo warst du?“

Aufrichtige Sorge sprach aus der Stimme von Shizukus Mann. Mein Kopf legte gerade einen dramatischen Dialog zwischen beiden zusammen und ließ mein Herz einen Takt schneller schlagen. Denn beide sahen einander an, als wären sie ein frisch verliebtes Paar. Dabei waren sie, laut Shizuku schon mehr als Zehn Jahre miteinander verheiratet.

„Hon, du machst wieder ein viel zu großes Drama daraus. Mir geht es gut und dank Erenya-chan habe ich auch wieder her gefunden.“ Mit einer freundlichen Geste verwies Shizuku auf mich. Ich ahnte, dass sie ihm gerade erzählte, dass ich sie bis zu ihm gebracht hatte, weswegen ich beschwichtigend meine Hände hob. Doch diese wurden schon wenige Sekunden später von Shizukus Mann ergriffen, der aufgeregt und in wirklichen schnellen Japanisch ganze Dankesreden an mich verfasste. Viel von ihnen verstand ich leider nicht.

„Hon~“, setzte Shizuku nach und zog ihren Mann liebevoll zu sich, wobei sie ihm etwas zuflüsterte. Doch kaum hatte sie alles gesagt, was sie ihm noch verraten wollte, hellte sich das Gesicht ihres Mannes begeistert auf.

„Willkommen in Japan!“, begrüßte mich ihr Mann schließlich in einem sehr guten Deutsch, was mir deutlich die Gesichtszüge entgleiten ließ. Er sprach deutsch, meine Sprache. Ich fühlte mich in diesem Augenblick, als hätte ich den Weg in die Zivilisation zurück gefunden.
 

Reiji, Shizukus Mann, hatte es sich nehmen lassen, mir das Melonensoda zu schenken, welches er für sich gekauft hatte. Shizuku hingegen trank ihr stilles Wasser, was mir nur zu deutlich zeigte, dass sie wohl wirklich durstig gewesen sein musste. Umso besser war es nun, dass sie bei dem Menschen war, der sich um sie sorgte.

„Ich muss sagen, ich bin immer noch überrascht, dass Sie so gut deutsch sprechen“, gestand ich offen, während ich an dem Soda nippte.

Reiji hingegen lachte so glockenklar auf, dass mein Herz einen kurzen Moment aufsetzte. Aus seinem Lachen, seiner Stimme drang so viel Wärme, dass es mich für Shizuku aufrichtig freute, dass sie ihn gefunden hatte.

„Dutze mich doch bitte, Erenya-chan. Meine Sprachkenntnisse im deutschen kommen daher, dass ich durch die Firma meines Großvaters lange zeit in Deutschland gelebt habe. Wir haben dort eine kleine Zweigstelle und nachdem die Firma drohte in Deutschland Bankrott zu gehen, wurde ich dahin versetzt. Vor einigen Jahren bin ich allerdings wieder zurück nach Japan gekommen. Ohne meine geliebte Shizuru hielt ich es einfach nicht mehr aus“, erklärte er lächelnd, wobei er ihre Hand nahm und sanft streichelte.

„Egal was er gerade gesagt hat, Erenya-chan, hör nicht auf diesen Schleimer“, antwortete Shizuku neckend und entlockte mir selbst damit ein Lachen.

Die beiden waren wirklich wie ein verliebtes Ehepaar, so glücklich und ein krasser Kontrast zu all den trauernden Menschen hier. Was natürlich die Frage offen ließ, warum die beiden hier waren. Die Stürme schienen sie nicht zu bekümmern, im Gegenteil sie schienen überglücklich zu sein.

„Ihr beide wirkt wirklich vollkommen anders als die anderen Menschen hier. Wo man hinsieht erblickt man trauernde und leidende Gesichter. Da strahlt ihr beide richtig heraus“, merkte ich an, woraufhin Reiji seine Shizuku in seine Arme zog und sanft ihr schwarzes Haar küsste.

„Wie könnten wir Susanno-o auch böse sein. Ihm verdanken wir immerhin, dass Shizuku heute bei uns sein kann. Wohl auf und so strahlend wie die Sonne Amaterasus.“

Fragend sah ich Reiji und Shizuku an. Das klang doch nach einer Geschichte, die gehört werden wollte und ich wollte sie natürlich hören.

„Weißt du, Erenya-chan, es war ungefähr vor 15 Jahren, als ich dank eines Sturmes auf dem Meer trieb. In einem kleinen Fischerboot. Als ich mein Netz auswarf, fing ich die schönste Meerjungfrau, die das Meer und Susanno-o mir nur schenken konnten.“

Ich musste leise lachen, denn bewusst hatte Reiji auf Englisch über gewechselt, so dass auch Shizuku verstehen konnte, was er erzählte. Liebevoll gab sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und lachte selbst leise.

„Du erzählst diese Geschichte jedes mal so übertrieben“, schimpfte sie liebevoll. „Erzähl sie richtig.“

Sich seiner Frau ergebend, hob Reiji seine Hände und lachte selbst leise.

„Na schön, na schön. Ich kannte Shizuku aus der Mittelschule. Sie wirkte damals immer so traurig und einsam. Ich versuchte oft mit ihr zu reden, aber jedes Mal wenn ich das tat...“ Er stockte kurz und sah zu seiner Frau.

„Jedes Mal wenn er das tat, mobbte er mich. Nicht wahr, Hon, du mochtest es, süße Mädchen wie mich zum weinen zu bringen.“

Erneut war es Shizuku die ihren Mann liebevoll neckte, so dass es mir gar nicht so vorkam, als wäre Reiji wirklich der Typ Junge gewesen, der ein Mädchen das er mochte ärgerte.

„Stell dir vor, ich hatte einer Freundin ein Bento mitgebracht und er nahm es ihr einfach weg mit den Worten er müsse sie vor einer Lebensmittel-Vergiftung retten. Und dann hat er es einfach aufgegessen.“

Gespielt schmollend sah Shizuku zu ihrem Mann, der verlegen zur Seite sah. Wahrscheinlich war er doch der Typ Junge gewesen, der einem Mädchen zeigte, dass er es mochte, indem er sie immer aufzog.

„Ich wollte es unbedingt und niemand anderes sollte dein hausgemachtes Essen bekommen...“, verteidigte sich Reiji, ebenfalls gespielt schmollend, gleichzeitig aber auch zu verlegen, um mich oder seine Frau anzusehen. Es war schon süß mit anzusehen, wie leicht beide sich von der eigentlichen Geschichte ablenken ließen und in ihren schönen Jugenderinnerungen schwelgten.

„Jedenfalls, ich war an diesem einen Tag am Strand von Izumo. Dort hatte ich ein Boot, welches ich noch nie aufs Meer gelassen hatte. Ich legte mich einfach wie immer hinein und überlegte mir einen Schlachtplan, wie ich Shizuku meine Liebe gestehen würde.“

„Um es ganz genau zu nehmen, er hat geschlafen.“

„Liebling~“, säuselte Reiji seufzend, lächelte aber und führte die Geschichte fort. „Aus dem Nichts schien ein Sturm aufgekommen zu sein, was ich natürlich nicht bemerkt hatte und als ich aus meinen Gedanken schreckte, war ich auf dem offenen Meer. Um mich herum stürmte es und dann erblickte ich Shizuku, bewusstlos im Wasser treibend. Mit den Paddeln gelang es mir zu ihr zu kommen und ich konnte sie rechtzeitig aus dem Wasser ziehen. Es war ein Wunder. Nein, es war Susanno-os Hilfe. Ohne den Sturm wäre mein Boot niemals auf das Meer gekommen und Shizuku wäre ertrunken.“

Das klang in der tat nicht nur vollkommen romantisch, sondern auch irgendwie logisch. Ein Sturm, der plötzlich aus dem Nichts aufkam und ein Menschenleben rettete. Noch dazu war Reijis Boot nicht gekentert, was diese ganze Geschichte noch erstaunlicher machte.

„Warum war Shizuku überhaupt im Wasser?“, fragend sah ich zu der Frau, die traurig lächelte. So schön diese Erinnerung ihrer Liebe auch zu sein schien, umso sehr schien es Shizuku auch zu quälen.

„Ich hatte an dem Tag erfahren, dass ich mein Augenlicht verlieren werde. Ich wollte mit dem Gedanken nicht leben, irgendwann blind zu sein. Doch als Reiji mich rettete und vollkommen fassungslos fragte, warum ich im Meer war und ihm erzählt habe, was passiert war, sagte er: 'Dann werde ich deine Augen sein und für immer an deiner Seite sein. Egal was du sehen willst, ich werde es dir so gut beschreiben, dass du in deinen Gedanken ein Bild davon malen kannst.'“

Mit tiefer Stimme versuchte Shizuku ihren Mann zu imitieren, der rot anlief und verlegen zur Seite blickte. Dass Shizuku sich scheinbar so genau an seine Worte erinnerte, bewies nur, wie viel ihr seine Worte bedeutet hatten. Und nun waren sie verheiratet. Vereint durch Susanno-o. Gerettet durch seine Unwetter. Ob Takeru das wusste? Ob er das wirklich eingefädelt hatte? Mehr denn je wollte ich den Gott des Meeres treffen.

„Das ist wirklich eine Bilderbuchromanze. Und ich bin mir sicher, Susanno-o freut sich, dass ihr ihm so treu seid und ihm, egal was seine Stürme auch für Unglück bringen sollten, zur Seite steht.“

Es war in der Tat beruhigend zu wissen, dass Takeru, der Gott, der von den meisten anderen Göttern gemieden und von vielen Menschen gefürchtet wurde, doch so etwas wie Anhänger gefunden hatte. Shizuku und Reiji waren wie die Götterfreunde Takerus eine wirklich schöne Ausnahme.

„Nun aber genug von uns, was machst du eigentlich hier, Erenya-chan?“

Um vom Thema abzulenken, hatte Reiji nun zu einer neuen Strategie gegriffen und fixierte mich daher mit einem breiten, jungenhaften, unschuldigen Grinsen.

„Ich? Uhm... ich bin so gesehen auf einer Reise und naja meine kleine Reisegruppe sucht hier einen alten Freund. Also ich kenne diesen Freund nicht, er ist viel mehr ein guter Freund meiner Begleiter. Aber ich will ihn unbedingt kennenlernen.“

Es störte mich schon etwas, dass ich nur die halbe Wahrheit erzählen konnte, aber wie sollte das klingen, dass ich mit Göttern umherreiste um ein Geheimnis zu lüften und dass ich auf dieser Reise hier her gekommen war, um den mächtigen, japanischen Gott des Meeres zu treffen. Nicht einmal ich hätte mir das geglaubt.

„Sie hat sich mit einem jungen Mann aus ihrer Gruppe gestritten, weil er ein paar sehr unschöne Sachen zu ihr gesagt hat, weswegen sie etwas emotionaler geworden ist und nun überlegt sie, wie sie sich entschuldigen kann“, erklärte Shizuku und erinnerte mich nebenbei daran, dass irgendwo am Eingang Thoth stand und wahrscheinlich kurz davor war Amok zu laufen. Wahrscheinlich hinderten ihn gerade die anderen Götter daran und vielleicht war auch schon Anubis wieder zurückgekehrt. Mit aller größter Wahrscheinlichkeit würde Thoth dann nicht mehr da sein und hätte Anubis gepackt und zurück nach Ägypten genommen.

„Ah~ da weiß ich was hilft. Ein gutes Essen. Erenya-chan, was hältst du davon, wenn Shizuku und ich, dich und deine Freunde als Dankeschön in unser Haus einladen. Auch wenn ich nur ungerne Shizukus Kochkünste mit anderen teile, so mache ich da doch mal eine Ausnahme. Entschuldigungen und Liebe, beides geht durch den Magen eines Mannes.“

Unsicher sah ich die beiden an, die mir aufmunternd zulächelten. Zwar war Reijis Angebot wirklich mehr als süß, aber ich konnte doch nicht einfach über den Kopf der ganzen Gruppe entscheiden.

„Wenn du Zweifel hast, frag deine Freunde doch, ob sie gerne mit uns essen würden“, sprach Shizuku mir aufmunternd zu. Wie von selbst, ohne eigentlich darüber nachzudenken, nickte ich. Nur zu gerne hätte ich dieses Angebot angenommen, aber die Götter besaßen ja auch so etwas wie Mitspracherecht. Auch wenn es mir nicht leicht fiel, jetzt schon zur Thoth zurückzukehren, ewig verstecken konnte ich mich ja auch nicht.

„Dann ist es entschieden, wir begrüßen deine Freunde und fragen sie, was sie von dieser Idee halten.“

Reiji hatte entschieden und mir blieb damit keine andere Wahl mehr eine Ausrede zu finden. Ich konnte nicht ewig vor meinen Problemen, oder in diesem Fall vor Thoth weglaufen.
 

Das erste was ich erblickte, als wir zum Tempeleingang kamen, war Anubis der sich aufgeregt umsah und wohlbehalten aussah. Mein Herz schlug vor Erleichterung und ich konnte einfach nicht an mich halten.

„Anubis!“, rief ich sofort, wobei man deutlich hören konnte, wie mir ein großer Brocken vom Herz fiel. Ohne darüber nachzudenken, wie scheu der ägyptische Totengott war, lief ich auf ihn zu und schloss ihn in meine Arme, wobei ich kurz mit den Tränen zu kämpfen hatte.

„Ein Glück, du bist wieder da. Ich hab mir Sorgen gemacht, tut mir leid. Tut mir wirklich so leid. Ich hab zuviel von dir verlangt.“

Auch wenn ich nicht wusste, worum es in Anubis und Thoths Streit gegangen war, irgendwie hatte ich mir die Schuld gegeben. Eben weil wir hier bei diesem Tempel mit den vielen Menschen waren und ich es hätte besser wissen müssen, weil mir Anubis Menschenhass nicht neu war. Vorsichtig und sanft drückte ich ihn an mich, spürte seine durchweichte Kleidung und genoss die Wärme seines Körpers, die mir garantierte, dass dies hier kein Traum war.

„Bara!“, rief er plötzlich aus, wobei er sich in meinen Armen wand und mir damit zu verstehen gab, wie unangenehm ihm diese Nähe war. Entschuldigend ließ ich von ihm ab, war aber immer noch froh, dass er wirklich hier war.

„Hier bist du, Nya-chan. Wir haben dich vermisst. Vermisst haben wir dich. Geht es dir gut?“

Mein Blick wandte sich zu Apollon, den ich breit lächelnd ansah. Auch er, sein Bruder und Hades waren noch da. Ein Glück. Schließlich wandte ich meinen Blick zu Thoth, der schweigend dastand, mich aber dennoch keines Blickes würdigte. Er war ebenfalls noch hier, unerwartet und doch schön. Auch wenn er nicht mit mir sprach, solange er da war, hatte ich die Chance mich zu entschuldigen.

„Das sind also deine Freunde, Erenya-chan?“

Glücklich lächelnd nickte ich auf die Frage Shizukus, die zusammen mit Reiji zu unserer Gruppe gestoßen war.

„Ja. Darf ich vorstellen, Apollon Agana Belea, Dionysos Thyrsos, Hades Aidoneus, Anubis Ma'at und unser Lehrer Thoth Caduceus.“

Während ich den beiden die Jungs vorstellte, ich hatte zuvor davon gesprochen, dass wir zusammen reisten um verschiedenste Kulturen kennenzulernen und so auch von einander zu lernen, deswegen hatte Thoth sich einfach als Lehrer angeboten, flüsterte Reiji seiner Frau etwas zu, dass fast so klang, als würde er die Jungs ihr beschreiben.

„Die beiden hier sind Shizuku und Reiji. Ich habe sie bei meinem kleinen Spaziergang kennengelernt. Reiji spricht fließend deutsch. Unglaublich, oder? Sie würden uns auch gerne bei sich zum Essen einladen. Was haltet ihr davon?“

Auch wenn ich wusste, dass Thoth von dem Vorschlag nicht sonderlich begeistert sein würde, so hoffte ich doch, dass die anderen den beiden diesen Wunsch nicht abschlagen würden. Zusammen mit Shizuku hatte ich immerhin einen Schlachtplan erstellt, wie ich mich bei Thoth vielleicht entschuldigen konnte.

„Das trifft sich gut, ich habe Hunger, großen Hunger!“, erklärte Apollon, der damit eindeutig sein Einverständnis klar machte.

„Würden Sie mir erlauben, Ihnen zum Essen dann einer meiner Weine zu empfehlen?“ Charmant lächelte Dionysos das Paar an. Er hatte wohl noch nicht verstanden, dass Shizuku dieses nicht sehen konnte, doch sie erwiderte es, was mich erneut faszinierte. Wenn man Shizuku nicht von der Nähe sah, merkte man es nicht, was wohl daran lag, dass Reiji in all den Jahren sein Wort gehalten und ihr die Welt mit seinen Worten, in ihren Gedanken, gemalt hatte.

„Ich wür-“

„Spätzünder!“

Ich zuckte zusammen, denn gerade als Hades seine Zustimmung geben wollte, fiel ihm Thoth fast schon wie ein Löwe brüllend ins Wort. Ernst fixierte mich der Gott des Wissens und forderte stumm eine Antwort für das erneute Wechseln des Ziels.

Nur durch ihn wuchs die Spannung just in diesen Moment an und die Atmosphäre wurde gefährlich steif. Ich wusste nicht, wie ich mich erklären konnte, doch ich wollte Reiji und Shizuku nicht nur wegen Thoth absagen.

Allerdings sagte Thoth nichts weiter, sondern wandte seinen Blick von mir wieder ab. Was hatte sein Schweigen, nach meiner Anrede nun wieder zu bedeuten?

„Na dann ist doch alles entschieden. Unser Haus ist auch gar nicht so weit von hier. Folgt uns einfach“, erklärte Reiji, der allen Anschein nach wirklich verstanden hatte, was Thoth mit seinem Schweigen sagen wollte. Wahrscheinlich hätte Thoth auch dagegen protestiert, wenn er etwas dagegen gehabt hätte. Oder war seine Anrede ein Protest? Jedenfalls schien es ihn nicht zu stören, dass Reiji zusammen mit Shizuku vorging. Das Anubis zwar nicht begeistert war, aber dennoch ebenfalls nichts sagte, so wahr er alles verstanden hatte, war doch auch schon ein positiver Schritt.

Ich war froh und erleichtert zugleich. Ich konnte wirklich noch etwas mehr Zeit mit normalen Menschen verbringen. Ich konnte meine Landessprache sprechen. Und vielleicht gelang es mir ja auch mich bei Thoth zu entschuldigen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nur falls jemand fragt, wieso Reiji und Shizuku...
Nein Reiji ist nicht der aus Uta no Pri. Fiel mir erst hinterher auf. Reiji den Namen klaute ich mir, weil ich aktuell ein Otome Game für Android Systeme gezockt habe, wo mein Love Interest Reiji Uraga war und ich den Typen mit seinem Smexy Blick heiß fand... oder so.
Shizuku weil... naja weil... Indirekt ist eine Widmung. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Daelis
2018-03-21T13:32:44+00:00 21.03.2018 14:32
Dieses Kapitel. TvT Ein Wechselbad der Gefühle.
Erst war Thoth so NAARGH und dann war Shizuku so unfassbar Awww und dann war einfach alles nur noch bittersüß und schön. TvT Auch wenn das vermutlich der absolut sinnbefreiteste Kommentar ist, den man schreiben kann, sei gewiss, dass ich dieses Kapitel besonders liebe.
Bonus: Dein Spitzname "Spätzünder" ist damit wohl endgültig etabliert. Das war's mit allen Chancen auf einen Wechsel.


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