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Sterben kann so schön sein...

... oder auch nicht
von
Koautor:  Shizana

Vorwort zu diesem Kapitel:
Liebe Eri, deine Suche nach dem nächsten Gott nimmt seinen Anfang. Aber wirst du erfolgreich sein?

Aufgabe 1: Beschaffe dir neue Kleidung und zieh dich um.
Aufgabe 2: Mach dich mit den Göttern auf zum Susanoo-Schrein und statte ihm einen Besuch ab.
Aufgabe 3: Der Schrein ist gut besucht. Viele Menschen sind in ihrer Verzweiflung hergekommen, um den machtvollen Meeresgott mit ihren Gebeten und Gaben zu besänftigen. Einige der Menschen haben Verluste durch die Stürme und Meeresgewalten erfahren, weswegen die Gesellschaft mehr wie eine Trauerversammlung denn einer feierlichen Anbetungszeremonie gleicht. Versuche dennoch bis ins Innere des Tempels vorzudringen.
Aufgabe 4: Besieh dir mit Apollon, Dionysos und Hades den Tempel. Sucht nach Hinweisen, wie ihr Susanoo finden könnt.
Aufgabe 5: Als ihr den Tempel wieder verlasst, bemerkst du eine Auseinandersetzung zwischen Thoth und Anubis. Sie endet damit, dass Anubis zeternd die Flucht ergreift, als ihr euch den beiden nähert. Thoth hält dich davon ab, ihm zu folgen, da Anubis ganz von allein zurückkommen wird. Erkläre ihm in der Zwischenzeit, was ihr Neues in Erfahrung gebracht habt. Komplett anzeigen

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Detektivarbeit

Die Matrosen hatten wirklich keinen Unsinn erzählt. Von einem Moment zum nächsten war das Wetter vollkommen umgeschlagen. Aus dem leichten Nieselregen war ein Hagelsturm geworden, der bis zu unserer sicheren Ankunft in einem Kleidungsgeschäft, in unsere Gesichter geschlagen war. Unser Plan den Großtempel Izumos zu besuchen, hatte sich verschoben und so hatten die Jungs es als ihre heilige Pflicht angesehen, mir neue Kleidung zu besorgen. Das Geld dafür hatten sie ja zu viert zusammen gekratzt und sie waren sehr euphorisch, wirklich etwas zu finden. Allerdings ließ die Auswahl des Geschäfts mich zweifeln. Mal davon abgesehen, dass ich sowieso schon größer war als normale, japanische Frauen, entsprach der Stil hier nicht meinen.

„Hier finden wir bestimmt etwas für dich, das tun wir sicher!“, hatte Apollon euphorisch bemerkt und schon nach kurzer Zeit festgestellt, dass für mich Sachen kaufen zu gehen wahrscheinlich die größte Qual war.

Die ersten Minuten waren wir einfach durch das Geschäft gelaufen und hatten uns Sachen angesehen, doch kein Kleidungsstück war mir Wetterbedingt zufriedenstellend, oder sah auch nur im Ansatz bequem genug für eine längere Reise aus und diese hatte ich ja augenscheinlich noch vor mir.

„Schau mal, schau mal!“

Erneut hatte Apollon mit ein T-Shirt entgegengehalten. Erneut in einer Farbe seiner Präferenz, gelb. Natürlich war klar, dass es mir nicht stand, noch dazu war der Ausschnitt zu weit und davon, dass es am Rücken durch kleine Schnüre gehalten war, wollte ich nicht reden.

„Zu unpraktisch...“, schmetterte ich diesen Vorschlag Apollons ab, woraufhin der Gott leise aufseufzte. Es war nun schon das vierte Oberteil, welches ich vernichtend entargumentiert hatte.

„Und das hier?“

Ich sah zu Hades, der mir einen dicken schwarzen Wollpullover entgegenhielt. Sicher keine schlechte Wahl, wer wusste schon, was für Wetterextreme es noch geben würde, aber die Tatsache, dass er aus Wolle war... ein Loser Wollfaden und ich war nackt.

„Nur mit einem Shirt darunter.“

„Was hältst du von diesem Rock?“

Dionysos hatte sich natürlich gleich zu den besonders weiblichen Kleidungsstücken wie Röcken hingezogen gefühlt und hielt mir einen Rock entgegen, der für diese Wetterlage eindeutig zu kurz war. Wieso zum Teufel suchte er einen Rock und keine Hose?

„Darüber muss ich dir nichts sagen, oder?“, fragte ich und seufzte leise. Es gab hier wirklich nichts. Vielleicht war ich auch einfach zu anspruchslos und es war zuviel verlangt Sachen zu finden, die einfach nur zum tragen waren und nur den Zweck besaßen mich angemessen zu kleiden? Sicher ja.

„Wir können mir auch gleich nen Sack besorgen... ist vielleicht besser so...“, murmelte ich leise den Gedanken aus, der mir immer kam, wenn ich shoppen war. Und das traf auf einmal im Jahr zu. Die Sachen die ich wollte, standen mir nicht und die die mir standen, gefielen mir nicht, oder fand ich unbequem.

„Das ist nicht gut, das ist es gar nicht! Dir muss schon gefallen was du trägst, sonst fühlst du dich nicht wohl!“

Ich zuckte zusammen, als Apollon plötzlich seine Stimme erhob. Der Sonnengott sah mich ernst an und wandte schließlich seinen Blick zu seinem Bruder und Onkel, die ihn scheinbar stumm verstanden und ebenso entschlossen wie er nickten.

„Nya-chan! Du gehst in die Kabine. Wir bringen dir gleich etwas vorbei, dass wird dir gefallen. Genau das wird es! Und es wird bequem sein und praktisch. Du musst uns nur vertrauen.“

Mt einem bitteren Lächeln dachte ich an die Shoppingtouren mit meiner Freundin Franzi. Es war nicht so, dass mir nicht gefiel, was sie oder sonst wer für mich aussuchten... Die Spiegel die danach zur Begutachtung folgten, waren das Problem. Ich hasste sie, denn mir ihnen sah ich plötzlich alle meine kleinen und großen Problemzonen und damit wurden auch die schönen Sachen vollkommen zerstört. Und daher war es mir schon recht, wenn etwas einfach nur praktisch und bequem und ich nicht ganz so aussah als versuchte ich mich, mitsamt meines nicht vorhandenen Selbstbewusstseins, in einen Sack zu stecken.

Dennoch, ich versuchte es immer wieder und auch dieses Mal vertraute ich meiner Modepolizei, die auf den Namen Apollon hörte und mich zu einer Kabine zog und mich dort platzierte.
 

Erfolgreich widerstand ich dem Drang, aus er Kabine zu gucken und dann mit zu verfolgen, was die Jungs für mich aussuchten. Ich hörte nur eine Diskussion die in Richtung Rock oder nicht Rock ging und schließlich eine Angestellte, die sich ebenfalls einklinkte und hoffentlich Wetterpassend keinen Rock empfahl. Leider konnte ich das nicht herausfinden, da sie japanisch sprach und die Jungs selbst diese Sprache ohne Probleme beherrschten. Verdammt, warum hatte ich nicht einfach hartnäckig den Japanischkurs weitergemacht?

Vielleicht hätte ich doch gucken sollen, ja vielleicht. Dann hätte ich fluchtartig das Geschäft verlassen, aber es war doch kein Zustand, dass ich die ganze Zeit Hades' Jacke und Dionysos' Schal trug.

'Egal was kommt... ich ziehs einfach an, lächel und sage mir gefällt es...'

Das war der Plan für diese Stylingaktion. Meine Schauspielkünste sollten reichen, soviel war mir klar, um den Jungs das wirklich glaubhaft zu verkaufen.

„Nya-chan, hier...“

Die Tür ging kurz auf und Apollon reichte mir, mit dem Gesicht abgewandt, fünf Teile rein. Natürlich war ein gelbes T-Shirt dabei, allerdings war dieses nicht tief ausgeschnitten und selbst wenn es das gewesen wäre, ein Limettegrüner Schal hätte einen zu tiefen Einblick sicher verborgen. Aber gut, wissen konnte ich das wohl erst, wenn ich diese Sachen anprobierte.

„Danke... Gebt mir ein paar Minuten...“

„Ah, warte! Die Schuhe!“

Ich hatte die Tür gerade zumachen wollen, als Dionysos noch einschritt und mir durch den noch offenen Spalt ein paar Schuhe gab. Wollten sie mir wirklich auch noch Schuhe dazu kaufen? Was für Chaoten. Hatten sie überhaupt soviel Geld? Keine Ahnung. Ich hatte die Scheine nicht gezählt, die sie mit Thoths Hilfe zusammengekratzt hatten. Anprobieren kostete immerhin noch nichts.

Seufzend ergab ich mich in mein Schicksal und begann mich aus dem Schal von Dionysos und der Jacke Hades' zu schälen. Ein Glück waren hier drin keine Spiegel, sonst hätte ich sicher wieder etwas gefunden, was mich äußerlich runter gezogen hätte.

So schnell es ging, schlüpfte ich aus dem durchnässten ägyptischen Kleidung und zog mir das gelbe Oberteil über den Kopf. Zwar hatte ich keinen BH mehr, aber gut, ich würde das schon überleben. Frauen in alter, grauer Vorzeit hatten das auch geschafft, also würde ich ausnahmsweise mein D-Körbchen auch ohne Monsterfalle bändigen und irgendwie das beste daraus machen. Noch dazu verdeckte die Jacke, die ich über das gelbe Shirt zog, super die Schwerkraft, die auf meinen Körper wirkte und schmiegte sich eng an die Taille. Die Jacke, selbst aus Leder, würde so schnell sicher nicht durchgeweicht sein, auch wenn Leder, keine Ahnung ob es echtes war, ich bezweifelte es einfach mal, und Regen keine gute Mischung waren. Es musste nur für ein paar Tage halten, mehr nicht.

Die unteren Teile hingegen ließen mich mehr zweifeln. Eine Hose und ein Rock. Sollte ich mir eines aussuchen? Wobei, mit Sicherheit hatte Dionysos einen schweren Kampf ausgefochten um mir einen Rock andrehen zu können. Da Apollon seinen Willen mit dem Gelben Shirt und Hades wahrscheinlich sich bei der Stoffwahl durchgesetzt hatte, wollte ich den Fruchtbarkeitsgott nun doch nicht enttäuschen und zog über der schwarzen Stoffhose den Rock an. In der Regel kein Stil, der mir missfiel. Probleme gab es nur, wenn ich einen Rock ohne etwas darunter anziehen musste. Das stand mir einfach nicht, genauso wie Kleider.

Zum Schluss schlüpfte ich noch in die Schuhe, die flauschig bequem mit dem Kunstpelz am oberen Rand waren und schon jetzt meine kalten Füße wärmten. Irgendwie passte alles so schön Perfekt. Die Götter waren auf meine Bedürfnisse eingegangen, hatten nichts genommen, was sich so schnell auflöste oder mich wie einen Sack fühlen ließ. Noch dazu war es für das Wetter doch einigermaßen angenehm und wenn ich es recht bedachte, kombinierte sich der limettengrüne Rock und Schal perfekt mit dem gelben Shirt und der Schwarzen Hose wie Jacke. So konnte man mich wirklich auf die Menschheit lassen, natürlich nur... wenn ich den Spiegeltest bestand.

„Okay... ich komme und wehe ihr lacht...“, drohte ich und holte tief Luft, bevor ich die Tür öffnete und vor die Jungs trat, die mich gespannt ansahen.

„Also... es ist bequem, danke. Können wir nun gehen?“

In meiner Stimme war deutlich zu hören, dass ich mich vor dem Spiegel fürchtete. Ich hatte es bisher tunlichst vermieden meinen Blick nach rechts zu wenden, wo der Spiegel stand, in dem man sich und seine vielleicht bald neuen Errungenschaften betrachten konnte. Da die Jungs nicht angewidert aussahen oder geschockt, hielt ich mich für Weltentauglich.

„Nein, nein, Nya-chan. Dir muss es auch gefallen. Schau dich an. Die Sachen stehen dir wirklich gut. Sehr gut. Das wirst du sehen, wirst du sehen.“

Sanft lächelte Apollon mich an und griff sanft nach meinen Schultern, wobei ich etwas zurückwich. Bloß nicht in den Spiegel sehen. Spiegel waren böse, Spiegel waren ehrlich, Spiegel zeigten Dinge die man nicht sehen wollte.

„Ach, das ist schon gut so... Ich sag doch, es ist bequem und hält warm, das reicht... Ihr habt euch solche Mühe gegeben... wir nehmen das einfach.“

Ich versuchte das Problem weg zulächeln. Ich wollte einfach nicht in den Spiegel sehen. Es musste einfach nützlich sein. Wenn ich in den Spiegel sah... und es mir nicht gefiel, dann enttäuschte ich die Jungs vielleicht. So wie ich viele meiner Freundinnen enttäuscht hatte, nach dem Blick in den Spiegel. Solange ich mir einredete, dass ich nicht schrecklich aussah, sah ich auch nicht schrecklich aus. Nur der Spiegel würde was anderes behaupten, aber das konnte er nicht, solange ich ihn nicht ansah.

„Aber es muss dir auch wirklich gefallen, genau das muss es.“

Mir drehte sich der Magen um, als Apollon weiterhin so darauf bedacht war, dass ich mir ihre Auswahl ansah. Hatte ich gegen diese Naturgewalt namens Apollon noch eine Chance, zumal auch Dionysos und Hades scheinbar zu erwarten schienen, dass ich diesen Blick wagte.

„Drei gegen eine ist unfair... Aber gut... seid bloß nicht enttäuscht, wenn es mir nicht gefällt...“, murrte ich und wandte mich dem Spiegel zu, vor dem ich wie erstarrt stehen blieb.
 

Wer war diese Frau die mich ansah? Sicher, da war mein dunkelblondes Haar, die rehbraunen Augen und... alles was mich ausgemacht hatte, aber wo waren meine Pfunde hin? Ich meine ich war nicht mehr so dellig. Sicher ich war nicht schlank, aber... wo waren meine Beulen geblieben? Warum hatte ich auf einmal so etwas wie eine Figur?

„Und? Und?“ Aufgeregt drang Apollons Stimme durch meinen ersten Schock. Diese Frau im Spiegel... hatte zwar noch ein D-Cup, auch etwas breitere Hüften, die gerade aber ausreichend von dem Rock kaschiert wurden und die Jacke, in schwarz tat ihr übriges. Ich hatte wirklich eine Figur mit Taille.

„Was... habt ihr mit mir gemacht...“, wisperte ich fassungslos. Ich wusste gerade nicht, ob ich mich freuen sollte, oder nicht, aber ich hatte das Gefühl einer Fremden ins Gesicht zu blicken. Hatten wirklich diese Sachen meine dicke Figur kaschiert, oder war ich auf einmal geschmolzen?

„Was meinst du, Nya-chan? Ist es so schlimm, das ist es doch nicht, oder?“

Ich wusste nicht, wie ich Apollon darauf antworten sollte. Ich wusste im Augenblick nichts mehr, denn seit einem Tag hatte ich mich schon nicht mehr gesehen und schon war ich so verändert.

„Der Rock war also doch nicht passend, schade...“, merkte Dionysos an, doch ich schüttelte den Kopf. Nein. Nein, es lag nicht an den Sachen. War das noch meine Realität? War ich noch die, die ich sein sollte?

„Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet, aber die Sachen sind sicher teuer...“, murmelte ich und wandte mich wieder der Umkleidekabine zu. Wahrscheinlich sollte ich in die ägyptische Kleidung schlüpfen und in den Spiegel gucken, ob ich dann auch nicht mehr Ich war.

„Keine Sorge... wir haben bereits alles geklärt. Wenn es dir gefällt, dann gehören die Sachen dir.“

Entsetzt wandte ich mich zu Hades, dessen Blick verdeutlichte, dass sie es wirklich ernst meinten. Hatten sie deswegen so angeregt mit der Verkäuferin gesprochen? War es dabei nicht nur um die Wahl der richtigen Sachen gegangen?

Wenn dem so war, dann konnte ich den Jungs das niemals zurückzahlen.

„Wir sollten uns beeilen, Thoth-sensei wartet schon vor der Tür...“

Thoth... den hatte ich ganz vergessen. Was würden er und Anubis zu diesem Outfit sagen? Oh Gott, warum machte ich mir über so etwas Gedanken? Es waren Klamotten die für mich sein sollten, damit ich Wetterfest war, nicht Klamotten die ich brauchte für ein Date.

„Dann lassen wir ihn besser nicht zu lange warten. Bei seiner Laune wäre das tödlich...“, nuschelte ich leise und ging erneut in die Umkleidekabine, um aus ihr Hades Jacke und Dionysos Schal zu holen, die ich beiden reichte. Das ägyptische Kleid hingegen ließ ich einpacken und die Verkaufsschilder von den Sachen knipsen, denn nichts war peinlicher als wenn jemand sah, wie teuer oder billig man einkaufen gegangen war.

Kaum dass wir den Laden schließlich verlassen hatten, bemerkten wir auch, dass der Hagel nachgelassen hatte, zum Glück. Damit stand unserem nächsten Halt, dem Tempel von Izumo nichts mehr im Weg.

„Spätzünder...“

Fragend sah ich zu Thoth, der mich plötzlich angesprochen hatte. Unerwartet. Vielleicht hatte sich seine muffelige Stimmung ja mit dem Hagel verzogen. Doch falsch gelegen, kaum dass ich meinen Blick zu ihm gewandt hatte, drehte er sich von mir ab und lief stattdessen in die Richtung die wohl zum Tempel führen sollte. Zumindest hatte man das uns vor unserer Shoppingtour gesagt.

„Ka bara...“

Ich zuckte zusammen, als ich neben mir plötzlich Anubis vernahm, der nicht nur an mir schnupperte, sondern auch vorsichtig über den Stoff der Jacke strich. Vielleicht hatte die glänzende Jacke es ihm angetan, schließlich glänzte das Kunstleder etwas im Licht. Doch genauso schnell wie meine neuen Sachen sein Interesse geweckt hatten, war es verflogen und er folgte auch wieder Thoth.

Die Frage, wann ich mit den beiden warm werden würde, war wirklich eine gute. Wahrscheinlich hatten wir das Rätsel schon bald gelöst und ich würde niemals Anubis verstehen. Soviel stand doch fest. Und Thoth würde bis zum Sankt-Nimmerleinstag sauer auf mich sein, ohne dass er mir auch nur einmal sagte warum. Idiot.
 

In Deutschland hatte ich immer gedacht, dass alle japanische Tempel Milliarden Stufen brauchten, um erklommen zu werden. Im Izumo-Taisha, so der Name des Tempels der unser Ziel war, schien das nicht der Fall zu sein. Es waren nur wenige Stufen die uns von unserem Ziel getrennt hatten und gerade diese wenigen Stufen waren schnell überwunden gewesen.

Staunend sah ich zu dem Gebäude vor uns, an dessen Eingang zwei oder mehrere riesige Kordeln verschlungen waren und deren vier Bommeln gen Boden verwiesen. Die Bommeln wirkten wie Heuballen, die zum Trocknen aufgehängt waren, doch das war nicht das seltsamste daran. Unter ihnen standen Menschen, die Münzen entgegen dieser Bommeln warfen. Ein Brauch der mir vollkommen fremd war.

„Was machen sie da, was machen sie da?“, fragte Apollon, der das ganze Schauspiel bemerkt hatte und zu Thoth sah, der nur die Arme verschränkt hatte. Er wusste definitiv was die Menschen da taten, wahrscheinlich hatte er aber keine Lust, oder einfach nicht die Stimmung zu antworten.

„Wir könnten ja einfach mal jemanden fragen.“

Mir war aufgefallen, wie viele Menschen sich hier befanden. Da die Götter noch dazu japanisch sprachen, war es für die Jungs doch ein leichtes die Antwort zu erfahren und sie mit mitzuteilen, denn mich interessierte es auch.

„Ich... frag mal...“, wisperte Hades, der sich von uns entfernte und mit gewissen Sicherheitsabstand zu einem Mann ging, der gerade unter der Bommel stand und ebenfalls eine Münze entgegen dieser warf.

Sein Fluch ließ immer noch nicht zu, dass er sich anderen näherte, doch immerhin, er wagte es sich einigermaßen. Alte Gewohnheiten brauchten eben Zeit um abzuklingen, auch wenn es schon seltsam war, dass er mir so nahe sein konnte, ohne Bedenken. Nun gut, mir war auch noch nichts schlimmes passiert, abgesehen von einem durchsichtig durchnässten Kleid, seiner Hand auf meinem Po und dem Wetter, das aber eindeutig nicht seine Schuld war. Somit hatte ich doch weitaus weniger Pech als Yui damals gepachtet.

„Ihr Tempel ist kleiner, oder Dee-Dee?“

Mein Blick wandte sich zu Apollon, der sich einen Moment ungestört zu fühlen schien und seinen Bruder mit einem traurigen Lächeln bedachte. Dieser schien ihn zu verstehen und nickte. 'Ihr Tempel'? Sprachen sie hier von Yui? Seltsam, denn die ganze Reise über hatten sie kein Wort über sie verloren und nun, in einem Moment, in dem sie sich meiner Unaufmerksamkeit scheinbar sicher waren, redeten sie über sie. Es gab Yui also doch, oder? Oder zumindest hatte es sie gegeben. Wahrscheinlich, dass war mir bewusst, musste ich die Jungs einfach mal über sie ausfragen. Wobei... durfte ich das? Bzw. konnte ich? Aktuell konnte ich mir noch einreden, wie ein Fangirl, an ihrer Stelle zu stehen. Umgeben von hübschen Göttern. Diese Illusion würde mit der Frage nach ihr definitiv fallen. Noch dazu wäre es doch arg auffällig gewesen, wenn ich so direkt nach ihr gefragt hätte.

„Sie wünschen sich etwas...“

Wie schon auf dem Schiff hatte sich Ninja-Hades an mich herangeschlichen und die Antwort auf meine Frage geliefert.

„Wünschen?“ Anders als beim ersten Mal, war ich aber nicht sofort zusammengezuckt, denn Hades war dieses Mal etwas umsichtiger vorgegangen. Er war also lernfähig.

„Sie werfen eine Münze da hoch und wünschen sich etwas, wenn sie stecken bleibt, soll dieser Wunsch einer Legende zufolge in Erfüllung gehen.“

Mein Blick glitt während Hades Erklärung zu den Bommeln. Das war also die japanische Version eines Wunschbrunnens. Interessant.

„Ich will das auch mal probieren, genau das will ich!“ Apollon hatte deutlich gehört, was Hades mir erklärt hatte und zog eine silberne Münze aus seiner Hosentasche. Mit dieser lief er zu einer der Bommeln und warf diese in die Luft, wobei er seine Hände wie zum Gebet gefaltet hatte, sich etwas wünschte und die Augen zukniff. Nur zu deutlich konnte ich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete und er angestrengt an seinen Wunsch dachte, von dem ich mich fragte, ob er im Augenblick Yui galt. Vielleicht hatte dieses Lied, welches er im Olymp gespielt hatte, ebenfalls Yui gegolten. Verwunderlich wäre es nicht gewesen, sie war immerhin seine Yousei-san. Ein wichtiger Bestandteil in seinem Leben, ohne den ich Apollon wohl nie so kennengelernt hätte, wie er nun unter der Bommel stand. Doch nicht nur ihn, auch Hades und Dionysos hatte sie in gewisser Weise geprägt, auch wenn es bei Hades wesentlich offensichtlicher war, als bei Dionysos selbst.

„Awwwww, sie ist nicht hängen geblieben...“ Trauer zeichnete sich in Apollons Gesicht ab. Vielleicht... nur vielleicht vermisste er Yui wirklich und wenn sie der Grund seiner Traurigkeit war, dann konnte ich ihn doch nicht so leiden lassen.

„Das ist schon okay, Apollon. Dann müssen wir eben doppelt so hart daran arbeiten, dass dein Wunsch in Erfüllung geht“, rief ich ihm zu auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie man ihn zu Yui bringen konnte. Vielleicht hatten wir auch Glück und trafen sie irgendwo, auch wenn ich das bezweifelte, ihre Heimat war nicht Izumo gewesen.

„Wie meinst du das, Nya-chan? Du weißt doch gar nicht, was ich mir gewünscht habe...“

Entsetzt blickte Apollon mich an und tat so, als bräche gerade seine Welt zusammen. Wahrscheinlich dachte er nun gerade, dass deswegen seine Münze nicht in der Bommel stecken geblieben war.

„Ich weiß es nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass dein Wunsch mit einer anderen Person zu tun hatte.“

Ertappt und mit einem verlegenen Schimmer auf seinen Wangen, sah Apollon weg und lächelte. Er war einfach so leicht zu durchschauen, aber immerhin auch in seinen Handlungen so ehrlich, dass man wusste, wenn man falsch oder richtig lag.

„Also, Jungs. Haltet für mich eure Ohren auf. Ich verstehe kaum japanisch. Eigentlich eher gar nicht. Ihr müsst mir also sagen, wenn ihr irgendwas von Susanno-o hört.“

Ich war wirklich aufgeschmissen und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mich ganz alleine in dem Tempel umgesehen. Einfach um den Flair auf mich wirken zu lassen, denn ich mochte diese traditionellen Bauten, von denen man soviel mehr lernen konnte als von Büchern oder Animes. Die Wahrnehmung war eine andere. Man konnte sie hören, riechen, fühlen und mit eigenen Augen jeden verborgenen Winkel entdecken.

Wobei auch das nicht auf diesen Tempel zugetroffen hätte. Schon beim Eingang war es mir aufgefallen, wie gut dieser Tempel besucht war. Überall waren Menschen die beteten, ihre Münzen gegen die Bommeln warfen und eine gewisse Trauer erfüllte Atmosphäre überschattete die Heiligkeit dieses Ortes.

„Hades, hast du vielleicht auch erfahren, was hier los ist?“

Da Hades sich keinen Meter von mir wegbewegt hatte und zuvor ja mit einem der Menschen unter der Bommel gesprochen hatte, hoffte ich, dass dessen Neugier auch weit genug gereicht hatte, um mehr über die ganzen Menschen hier in Erfahrung zu bringen.

„Der Mann vorhin... hat sich das Ende der Stürme gewünscht. Die Hälfte seiner Ernte ist vernichtet und wenn das so weitergeht... wird wohl auch der Rest seiner Ernte den Stürmen erlegen. Als ich wieder zu euch kam, hörte ich wie eine Frau ihren Mann betrauerte, der von einem Dachziegel erschlagen wurde... Welch Unglück.“

Mir fuhr ein kalter Schauer über den Rücken, als Hades mir erzählte, was er gehört hatte. Ich wusste ja, dass starke Stürme lebensbedrohlich sein konnten, aber das nun zu hören, da man selbst davon betroffen war in gewisser Weise... das Leben konnte schon grausam sein.

„Sie versuchen den Gott der Meere und Stürme mit ihren Gaben zu besänftigen. Schau, das Ehepaar da vorne bietet ihm teuren Wein dar. Wahrscheinlich das kostbarste was sie an materiellen Dingen besitzen“, flüsterte Dionysos mir zu, der mir auch sogleich das Paar präsentierte, von dem er gesprochen hatte. Sie wirkten älter als sie wahrscheinlich waren, das Gesicht voller Kummer und Sorge.

„Einer ihrer Verwandten ist wahrscheinlich ein Fischer, oder arbeitet für ein Frachtunternehmen, das seine Waren mit dem Schiff liefert. Gerade bei Unwettern wie diesen beten sie um ihre Sicherheit. Vielleicht haben sie schon lange nichts mehr von ihren Liebsten gehört und da steigt die Sorge natürlich. Mit dem Wein wollen sie Susanno-o nicht nur gnädig stimmen, sondern auch seinen Schutz erbitten. Allerdings könnte es bereits zu spät sein. Sie klammern nur noch an dieser einen kleinen Hoffnung, dass alles doch noch gut wird.“

Noch während Dionysos mir den Sinn und Zweck der Opfergaben erklärte, schnürte sich mir mehr der Hals zu. Vor Zeus hatte ich gepredigt, dass die Götter niemals halfen, doch wenn dieser Sturm wirklich von Takeru ausgelöst worden war, konnte er ihn als einziger auch beenden. Und selbst wenn nicht, die Menschen blieben dann einer Naturgewalt ausgeliefert und bangten hoffend um ihre Liebsten.

„Ihr Glauben an einen Gott... ist wohl das einzige, woraus sie Hoffnung schöpfen können, selbst wenn es keine Götter gäbe...“, wisperte ich leise.

Es war nicht so, dass ich den Zweck eines Gottes nicht verstanden hatte bis zu diesem Moment, ich verwehrte mich lediglich dem Glauben, dass man sich zu sehr auf dieses Götterbild verlassen sollte. Doch der Glauben gab vielen Menschen Hoffnung, in Guten wie in schlechten Zeiten.

„Woraus würdest du in so einer Situation Hoffnung schöpfen?“, fragte Dionysos wispernd, während wir die Menschen beobachteten, deren Opfergaben den Altar immer mehr füllten.

„Ich? Gute Frage. Ich bezweifle aber, dass ich Hoffnung durch einen Gott schöpfen würde. Vielleicht würde ich es aber doch tun, unbewusst... ich weiß es nicht.“

Das war schon eine schwierige Frage. Woran klammerte man sich eigentlich, wenn man nicht an Götter glaubte? Was ließ einen dann noch hoffen?

„Wir sollten vielleicht drinnen nachsehen...“, murmelte ich schließlich um mich von dem Bild des Leides loszureißen. Das hier hatte mehr etwas von einer Trauerfeier und stand im krassen Kontrast zu dem Hafenfest.

„Wir bleiben hier.“

Mein Blick wandte sich zu Thoth, der zusammen mit Anubis abseits von dem ganzen stand. Ich verstand sofort warum sie draußen bleiben wollten. Für Anubis, der die Menschen immer noch scheute, war das hier die absolute Grenze, die er nicht überschreiten wollte. Wenn jemand solange bei ihm blieb, wie wir uns umsahen, war es nur gut. Und da Thoth sowieso nicht in bester Laune war, war diese Gruppierung einfach nur perfekt.

„Wir kommen so schnell wie möglich wieder zurück!“, rief ich Thoth noch zu, der sich mit einem verächtlichen Schnauben abwandte und uns einfach so von dannen ziehen ließ.
 

Selbst im Inneren des Tempels tummelten sich die Menschen und ergaben sich hier ihrer Traurigkeit und ihrem Leid. Ein Anblick der nur schwer zu ertragen war, vor allem wenn man nicht selbst unmittelbar davon betroffen war.

„Wir teilen uns besser auf und hören uns um. Hades, du gehst mit Apollon da lang. Dionysos und ich schlagen uns auf der anderen Seite durch. Wir treffen uns wieder hier, wenn wir alles abgesucht haben.“

Mir war klar, dass die Götter auch hätten einzeln suchen können, doch ich wollte mir nicht die Blöße geben, dass ich die einzige war, die absolut nichts verstand. Ich brauchte also einen Dolmetscher und da Hades mir gerade von all dem Leid etwas angeschlagen schien, wollte ich mich nicht auch noch davon runterziehen lassen. Apollon konnte also sein bestes geben seinen Onkel aufzubauen. Noch dazu war Dionysos als neutraler Suchpartner sicher auch in der Lage dafür zu sorgen, dass ich mich nicht auf das nächste emotionale Tief zubewegte.

Die Jungs waren auch einverstanden mit dem Vorschlag, so dass wir uns trennten und uns im Tempel umsahen. Schweigend liefen Dionysos und ich nebeneinander her, den Blick durch die Menge gerichtet.

„Sag mal... Dio. Wenn ihr Götter Opfergaben bekommt... helft ihr dann jenen die euch beschenken?“ Da Dionysos mir vor den Toren von den Opfergaben und den Hoffnungen derer erzählt hatte, die sie darboten, wollte ich wissen, was die Götter taten. Auch wenn ich bereits eine vorgefertigte Meinung über die Götter hatte, wollte ich mich doch aufklären lassen, wenn ich mit etwas falsch lag.

„Nur wenn es in unserer Macht steht. Leider sind die Ideen der Menschen, von uns Götter manchmal so groß, dass nicht einmal wir diese Erwartungen erfüllen können. Dann können wir natürlich nichts tun. Einige Götter sind daran schon verzweifelt und zu Grunde gegangen oder glaubten sich das Leid der Menschen aufbürden und als Fluch mit sich tragen zu müssen.“

Verwundert sah ich zu Dionysos. Hatte er da gerade von Hades gesprochen? Oder gab es noch mehr Götter die ein Fluchmal am Körper trugen?

„Du... Dio... vorhin als wir hier ankamen, da habe ich gehört wie Apollon meinte...“ Ich stockte. Sollte ich fragen? Sollte ich nicht?

„Was meinte Apollon?“ Dionysos bemerkte mein stocken und lächelte mich aufmunternd an. Doch sein Lächeln gab mir in keinster Weise Mut. Im Gegenteil, ich fühlte mich noch machtloser als zuvor, diese Frage zu stellen.

„Schon in Ordnung... ist nicht wichtig.“ Mit einem Lächeln versuchte ich Dionysos' Neugier zu stillen. Ich konnte diese Frage einfach nicht stellen. Noch nicht, auch wenn es mich schon interessierte, was mit Yui war.

„Wir haben sowieso gerade wichtigeres zu tun, als Smalltalk über sinnfreie Sachen.“ Wahrscheinlich versuchte ich mich nur geistig auf andere Gedanken zu bringen. Gedanken, die nichts mit Yui zu tun hatten. Wir waren hier, weil wir Takeru finden wollte. Mehr nicht.

„Kannst du mir irgendetwas von Susanno-o erzählen?“

Ein guter Themenwechsel. Dumm stellen und so tun als wüsste man nichts. Bei den Griechen war es mir ja nicht gelungen überrascht oder Wissenslos zu spielen, doch noch einmal würde mir das sicher nicht passieren.

„Er... war mit uns auf der Schule. Der Kleinste unserer Klasse. Er hat ungefähr deine Größe. Dafür war er sehr laut und aufbrausend. Außerdem klebte er an seinem Bruder und an...“ Nun war es Dionysos der stockte und mir einen zweifelnden Blick zuwarf. Ich wusste genau was er sagen wollte. Takeru hatte an Yui gehangen.

„Und an?“, fragte ich daher, denn auch wenn ich meine Illusion erhalten wollte, ich wollte es hören. Ich wollte hören, wie er ihren Namen sagte, oder über sie sprach.

„Und an seinem Schwert-Schwing-Club.“

Er war ausgewichen. Das war nur zu deutlich gewesen. Warum wichen sie dem Thema Yui, mir gegenüber aus? Ich sah nicht einmal aus wie sie, also gab es dazu keinen Grund.

„Schwert-Schwing-Club? Meinst du vielleicht einen Fechtclub, oder einen Kendoclub?“

Wenn Dionysos dieses Thema nicht aufbringen wollte, dann lag es nicht an mir, mit dem Finger in einer vielleicht schmerzhaften Wunde zu bohren.

„So kann man das auch nennen...“, erklärte Dionysos und grinste dabei schelmisch, wobei er im Wortlaut seinen Bruder imitierte.

„Also ist Susanno-o eine Kämpfernatur. Was seltsam ist, denn gerade beim Schwertkampf sollte man einen kühlen Kopf bewahren und wenn er so aufbrausend ist... Wobei, vielleicht hat er eine andere Seite, die sich nur dann zeigt, wenn er ein Schwert in den Händen hält...“

Ich hatte es schon damals in der Serie seltsam gefunden. Ein kleiner aufbrausender Gott, der mit dem Schwert kämpfte. Aus Hakuouki wusste ich, oder glaubte ich zu wissen, dass die Schwertführung einen klaren Verstand forderte, auch wenn die Charaktere dieser Serie ebenfalls nicht jeden Kampf mit kühlen Kopf geführt hatten. Takeru hingegen, schien plötzlich ruhiger zu werden, auch wenn ich das nach einer Folge nicht vollständig beurteilen konnte.

„Vielleicht hätten wir dann erst seinen Bruder suchen sollen...“, murmelte ich und seufzte innerlich. Warum nicht? Hätten wir Tsukito gefunden, wäre Takeru sicher nicht weit gewesen. Wie dämlich war das nur von mir gewesen? Thoth hätte diesen Fehler sicher nicht gemacht.

„Erenya, schau mal.“

Ich hielt in meinen Schritten inne und sah zu Dionysos, der zu einer Schriftrolle gegangen war, die sicher hinter Glas verschlossen lag, aber so weit ausgerollt, dass man sie lesen konnte, natürlich nur wenn man diese Sprache beherrschte.

„Wenn dich die Geschichte von Susanno-o interessiert, kann ich dir gerne vorlesen, was in den menschlichen Schriften steht.“

Sanft lächelte mich Dionysos an und versetzte mir mit seinen Worten einen Stich ins Herz. Menschliche Schriften... Thoth hatte diese schon als Scheinwissen abgetan und nun wollte Dionysos mich mit ihnen füttern.

„Und wie viel davon bringt mich näher an den wahren Susanno-o?“, fragte ich daher mit einem leicht bitteren Unterton, der Dionysos aber scheinbar verborgen zu bleiben schien.

„Wir werden es erfahren, wenn wir sie gelesen haben, oder? Komm her, ich lese sie dir vor.“ Seufzend ergab ich mich Dionysos und ging zu ihm, der schon kurz über den Inhalt der Rolle drüber gelesen hatte.

„Zusammen mit Amaterasu und Tsukiyomi wurde Susanno-o durch Izanagi geboren, der sich an einem Fluss den Schmutz der Unterwelt abwusch. Susanno-o wurde geboren, als er sich die Nase wusch. Laut dem was hier steht, hatte Susanno-o eine große Rivalität gegenüber seiner Schwester Amaterasu... seltsam, er sagte immer, er habe nur Brüder...“, nuschelte Dionysos während er wiedergab was er las. Er schien selbst verwundert darüber zu sein, wie weit die Fakten von dem was er von Takeru wusste, auseinander klafften.

„Ob die Unterschiede über uns auch so gewaltig sind?“, fragte er schließlich leise, als er mir alles erzählt hatte, was in der Schriftrolle stand.

„Wahrscheinlich. Thoth hat mein Wissen über Götter schon als Scheinwissen bezeichnet. Da scheint also nicht viel dran zu sein, außer Namen und Herkunft. Wobei es diverse parallelen gibt. Dennoch wird man als einfacher Mensch nicht in der Lage sein, eure wahre Natur zu verstehen. Niemand wird je erfahren, wie sehr Hades mit sich ringt und unter dem Hass der Menschen leidet. Niemand wird verstehen, was die Sünden der Menschen Anubis' Vertrauen in die Menschheit angetan haben. Es wird niemanden geben, der versteht, dass Apollon so fürsorglich ist, dass er sich damit selbst nur verletzt. Genauso wird keiner erfahren, dass du mehr als nur ein Party-Lustmolch bist. Naja niemand, abgesehen von mir jetzt...“ Abgesehen von mir und Yui und anderen, die Kamigami no Asobi im Fernsehen gesehen hatten. Wobei würden die dann wissen, dass Kamigami no Asobi real war? War das hier überhaupt real?

„Du scheinst uns ja schon genau beobachtet zu haben.“

Die Feststellung Dionysos' ließ mich erröten und realisieren, dass ich schon wieder zuviel von meinem Wissen preis gegeben hatte. Allmählich musste ich wirklich aufpassen. Einen falschen Satz vor Thoth und... und was eigentlich? Wären sie mir dann sauer? Hätte ich dann einen Fehler begangen?

„Natürlich muss ich euch beobachten. Ich habe euch gefragt, ob ihr mit mir reist und ich will nicht, dass euch wegen mir etwas passiert. Auch wenn das vollkommen albern ist, ich meine ihr seid Götter. Die Gefahren für mich sind da doch bei weitem größer als für euch.“

Ich wandte mich von der Schriftrolle ab und lief, gefolgt von Dionysos, weiter in die Richtung in die wir hatten zuvor gehen wollen, bevor die Aufmerksamkeit auf der alten Schrift gelegen hatte.

„Was mich interessiert, warum wolltest du, dass wir mitkommen? Wir sind für dich vollkommen Fremde, noch dazu Götter. Kommst du dir nicht schlecht vor, als einzige menschliche Person dieser Gruppe unter uns zu sein?“

Autsch. Diese Worte von Dionysos hatten wirklich gesessen. Zumal ich bis eben auch nicht mehr daran gedacht hatte, dass sie Götter waren und ich eben nur menschlich. Und ich hatte sie den ganzen Tag herumkommandiert. Wie dämlich von mir.

Dennoch, gerade in diesem Moment war ich Dionysos eine Antwort schuldig, denn die Begründung warum ich ihn gefragt hatte, die von damals im Olymp, schien ihm nun nicht mehr zu reichen.

„Ehrlich gesagt... hatte ich Angst alleine mit Thoth und Anubis zu sein. Du merkst ja, wie Thoth nun ist. Er schmollt und schweigt und ich weiß nicht einmal wieso. Er war schon so sauer, seit er von Apollons Vision gehört hatte, doch seit Zeus ihm nicht sagen wollte, was er weiß... da ist das ganze nur noch schlimmer geworden. Und ehrlich, der einzige der mich dann nicht angeschmollt hätte, wäre Anubis gewesen, der aber kein einziges Wort von dem versteht was ich sage und den ich nicht verstehe. Das ist echt deprimierend. Mit euch drein hingegen... Es ist einfach irgendwie entspannend. Hades beantwortet mir meine Fragen, Apollons strahlendes Gemüt und Offenheit lenkt mich ab und du... Naja du musst als mein Saufpartner herhalten, wenn mir alles über den Kopf wächst. Und weißt du was seltsam ist, mit euch drein komme ich mir gar nicht so minderwertig vor. Irgendwie hatte ich bis eben ein wenig verdrängt, dass ihr Götter seid. Ihr begegnet mir vollkommen ebenbürtig wenn wir miteinander reden und das ist schon mehr als ich von manchen Leuten auf der Arbeit bekomme und deswegen... deswegen wollte ich euch wohl auch dabei haben. Auch wenn es nicht so scheint, und ich es nicht so zeige, ich mag euch in gewisser Weise.“

Schweigend lief ich weiter und sah stur gerade aus. Nach diesem Geständnis konnte ich Dionysos nicht mehr in die Augen sehen. Ich meine, ich kannte sie eigentlich gar nicht und doch mochte ich sie, auch wenn sie ihre Defizite hatte, die mich sicher noch zur Verzweiflung bringen würden.

„Das feiern wir am besten heute Abend bei einem Glas Wein.“ Nur zu deutlich konnte ich das Schmunzeln in Dionysos Stimme hören und irgendwie freute es mich. Nicht der Gedanke ein Glas Wein mit dem Gott zu trinken, sondern dass er es einfach so hinnahm und nicht hinterfragte. Vielleicht war das auch einer der Gründe, warum ich die Nähe der Götter mochte, weil sie mich akzeptierten, auch wenn das was ich sagte wohl der größte Blödsinn war.
 

Die Suche nach Informationen über Takeru war nicht gerade erschwinglich, weswegen ich bei unserer Rückkehr zum Eingang hoffte, dass Hades und Apollon mehr Glück hatten, doch schon von weitem konnte ich sehen, dass sie alles andere als glücklich mit ihrem Ergebnis gewesen waren.

„Habt ihr etwas gefunden?“, fragte ich dennoch, obwohl ich die Antwort bereits kannte und ein Kopfschütteln von Apollon bestätigte mir nur, was ich bereits befürchtet hatte.

„Wir auch nicht... was machen wir also nächstes?“

Ich musste gestehen, dass ich mit meinem Latein am Ende war und selbst wenn wir nun umschwenkten und doch eher Tsukito suchten, war es fraglich, ob das Ergebnis nicht dasselbe wäre wie bei Takeru.

Da ich von den Jungs keine Antwort bekam, da sie anscheinend auch nicht wussten, wie wir weiter verfahren sollten, blieb nur noch einer, der vielleicht eine Idee oder einen Plan hatte. Auch wenn es mir schwer fiel, diese Option annehmen zu müssen. Ohne ihn war ich wahrscheinlich aber wirklich unfähig. Er hätte sicher nicht den Tempel vorgeschlagen... Das nervte.

„Fragen wir Thoth... Vielleicht hat er eine Idee“, wisperte ich geknickt und lief in Richtung des Ausganges, wobei mich Apollon kurz zurückhielt, indem er mich am Handgelenk festhielt. Verwundert sah ich zu dem Sonnengott, der mich ernst ansah. Wahrscheinlich hatte er wahrgenommen, dass Thoth zu fragen das wohl schwerste war, was mir gerade bevorstand. Abgesehen von dem Blick in einen Spiegel und selbst das hatte ich an diesem Tag überlebt.

„Was... Was würdest du als Autorin machen? Wann würde die Reisegruppe Susanno-o finden?“ Meine Verwunderung wuchs an, als Apollon diese Frage stellte. Was hatte unsere Situation mit einer Geschichte zu tun? Machte er das, weil ich schon so oft versucht hatte mir alles grüner zu reden als es war, indem ich mir vorstellte, dieses Erlebnis sei nur eine Geschichte?

„Klischeegehalten... Wir würden ihn nicht finden, dafür er uns“, erklärte ich ruhig und kühl. Das war aber etwas, dass sicher nicht passieren würde. Wie sollte Takeru uns finden, wenn nicht einmal wir es schafften?

„Aber das hier ist keine Geschichte, Apollon. Wäre es eine, könnte ich fliegen und wäre total Awesome. Aber ich bin nur ich. Also können wir die Hoffnung darauf, dass Susanno-o uns findet auch gleich begraben. Sehen wir es wie es ist... es war ne blöde Idee herzukommen und wahrscheinlich wird Thoth mir das auch mit all seiner Nettigkeit die er besitzt vorhalten und mir eine gehörige Standpauke darüber halten, was für eine Zeitverschwendung das hier war. Es kann uns immerhin egal sein, warum Susanno-o so wütet und so weiter... Also bringen wir es besser gleich hinter uns.“

Warum war ich eigentlich so wütend? Apollon hatte nichts falsch gemacht. Er hatte mir nur helfen wollen und bisher hatte ich mir wirklich immer Hoffnung gemacht indem ich diese ganze Sache aus Sicht eines Autors sah. Lag es vielleicht daran, dass ich nicht diese ganze Sache in seiner gesamten Tragweite sehen konnte? Dass ich nicht der Schreiber war und somit auch nicht wusste, was in Thoths Kopf vor sich ging? Dass ich nicht wusste, warum Susanno-o wütete?

„Verzeih...“

Obwohl ich mich von Apollon losgerissen hatte, konnte ich nicht anders als mich zu entschuldigen. Es war unfair meinen Frust an ihm auszulassen und doch... Es ging einfach nicht anders.

Dieses ganze Gespräch hinter mir lassend, ging ich zusammen mit den drei Jungs raus, dahin wo wir Anubis und Thoth abgestellt hatten. Doch da waren sie nicht mehr. Im Gegenteil, sie hatten sich etwas mehr vom Eingang entfernt und schienen in einem sehr angeregten Gespräch vertieft zu sein. Zumindest Anubis gestikulierte wild mit seinen Händen und auf seinem Gesicht zeichneten sich eine Emotion ab, derer ich bisher wohl glücklicherweise noch nie Zeuge geworden war. Wut. Und diese Wut schien Thoth zu gelten, der zwar Anubis antwortete, aber genauso stoisch und ruhig, fast schon desinteressiert erschien.

„KA BARA BARA KA!“

Mit einem letzten Satz, mit welchem sich Anubis wohl noch alles wichtige von der Seele sprach, beendete er das Gespräch und wandte sich frustriert von Thoth ab. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie der junge Ägypter auch schon die Treppen des Tempels hinunterlief. Nur noch seine schimpfende Stimme hallte leise wider, wurde aber vom Rauschen des aufkommenden Windes verschluckt.

„Anubis!“

Ich dachte nichts mehr. Mein Kopf war geistig vollkommen leer gewischt worden. Ich hatte alles um mich vergessen, alles was ich gesagt hatte, alles was ich wollte. Anubis hatte sich von uns entfernt, er, alleine hier in Japan. Zwischen Menschen, zwischen Fremden. Mir rutschte in einem Anflug aus Panik förmlich das Herz in die Hose, weswegen ich mich ohne nachzudenken in Bewegung setzte und drauf und dran war, ihm nachzulaufen. Doch ich kam nicht einmal bis zur ersten Treppenstufe, da eine Hand mich unberechenbar am Handgelenk ergriff und davon abhielt, dem jungen Ägypter nachzulaufen.

Erschrocken sah ich zu der Person, die dies gewagt hatte und erkannte Thoth, der mich aus seinen lilafarbenen Augen kühl fixierte.

„Lass ihn...“

War das wirklich alles, was Thoth sagen wollte? Machte er sich denn keine Sorgen?

„Er wird uns schon finden, wenn er sich wieder abreagiert hat...“, erklärte er ebenso kühl wie sein Blick war.

„Worüber habt ihr euch gestritten?“

Es war das einzige, was ich wissen wollte. Das einzige, dass mich vielleicht dazu bewegen konnte zu bleiben und als wüsste Thoth das, wurde sein Griff um meinem Handgelenk fester, so wie sein Blick eindringlicher.

„Das geht dich nichts an.“

Thoth war so ein Idiot. Sicher, es ging mich vielleicht nichts an, aber ich wollte Anubis verstehen, ich wollte Thoth verstehen, doch er gab mir nicht einmal die Möglichkeit dafür.

„Lass los...“, grollte ich leise, denn noch immer hatte Thoth mich fest im Griff.

„Du wirst ihm nachlaufen wenn ich das tue und die Wahrscheinlichkeit, dass wir dich nicht mehr wieder finden, weil du dich verläufst, ist höher als das Anubis uns nicht mehr wieder findet wenn er sich abreagiert hat.“

Sollte ich ihn treten? Sollte ich mich gegen seinen Griff wehren? Ich wusste es nicht, denn Fakt war, Thoth hatte Recht. Ich hatte den wohl schlimmsten Orientierungssinn den man kannte. Ich hatte also keine Wahl als mich zu ergeben.

„Hat euer Ausflug etwas gebracht?“, fragte Thoth schließlich, als er merkte wie meine Gegenwehr schwand. Ich hasste es jetzt schon, dass ich ihm antworten musste, denn ich hörte etwas in seiner Stimme, was mir gar nicht gefiel. Ich wollte nicht vor ihm eingestehen, dass dieser „Ausflug“ reine Zeitverschwendung war und doch musste ich der Tatsache ins Gesicht sehen.

„Absolut nichts...“, murrte ich leise und machte mich schon auf ein Kommentar von Thoth gefasst. Doch eben dieses blieb aus. Keine Wertung über mein Versagen fand seinen Weg über Thoths Lippen, keine Belehrungen, er schwieg einfach und ließ endlich mein Handgelenk los.

Ich wusste nicht was schlimmer war, dass Thoth schwieg oder dass Anubis nicht mehr bei uns war. Beides lastete ich aber mir an. Wahrscheinlich hatte Anubis mit Thoth darüber gestritten, dass sie mich so lange begleiteten, vielleicht hatten sie aber auch darüber gesprochen, dass wir dieser falschen Fährte gefolgt waren, zu einem Ort, an dem zu viele Menschen waren. Thoth hatte es wohl schon vorher gewusst, dass wir hier nichts fanden und Anubis war erzürnt darüber, dass er uns trotzdem hatte gewähren lassen.

Passiert war aber passiert, ich konnte nichts mehr dagegen tun. Die Frage war nur, was ich tun konnte. Ich wusste es nicht. Und Thoth fragen... nicht nach dem jetzt. Niemals... Und doch... was sollte ich, nein was sollten wir jetzt tun?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal eine Anekdote statt eine Checkliste.
Also ich Shicchi fragte ob ich wirklich mit den Jungs shoppen gehen sollte, meinte sie, sie habe nichts davon gesagt dass ich beim Klamotten organisieren Spaß haben soll, oder so ähnlich. Worauf ich konterte, dass ich beim Shoppen keinen Spaß habe.
Just an diesem tag war ich es nämlich und den Tag darauf auch und ich empfinde es immer noch als größte Qual... Vor allem wegen der Spiegel. Komplett anzeigen

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