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Five Days

von

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Tag 1

Tag 1
 

Am ersten Tag lag der Helicarrier ruhig in der Luft. Oberhalb einer dünnen Wolkenschicht badete seine glänzende Außenbeschichtung im Licht der Morgensonne und leitete die aufgenommene Solarenergie direkt in den Versorgungskern, wo sie unter anderem die Frischwassertanks erwärmte.

Dankbar für heißes Wasser war an diesem Morgen auch Natasha Romanoff, als sie in ihrem Quartier unter der Dusche stand. Ein leichter Kopfschmerz plagte sie schon seit dem Erwachen und wollte sich auch nach minutenlanger hartnäckiger Stirnmassage nicht vertreiben lassen.

Und wenn schon. Sie war Profi. Ihr Körper durfte sie nicht von der Arbeit ablenken, dazu war sie zu wichtig. Besonders jetzt.

Loki hatte längst unter Beweis gestellt, dass er keine Skrupel hatte, Leben zu nehmen, wo auch immer es ihm dazu diente, seine Macht zu beweisen. Die kurzlebigen Menschen bedeuteten ihm nichts; schlimmer noch, er betrachtete sie als Ungeziefer, das sich nicht wehren würde, das ihm lediglich als Platzhalter für ein Volk diente, das seiner Regentschaft würdig war.

Sie durfte auf keinen Fall versagen.
 

Das unangenehme Pochen in den Schläfen ignorierend betrat sie erhobenen Hauptes den Versammlungsraum, den sie und die anderen Betreuer des Projekts Five Days von heute an dreimal täglich zum Konferieren nutzen würden. Ursprünglich hatte Director Fury die Avengers zusammengetrommelt, um Loki zur Strecke zu bringen; nun waren sie spontan umfunktioniert worden, um ihn im Auge zu behalten, während ein hochkonzentriertes Drogengemisch sein psychisches Profil neu ausrichtete. Nicht gerade eine Aufgabe, die einer Handvoll Männern mit extravaganten Kampfeigenschaften zugedacht werden sollte. Der vorausgegangene Tag hatte bereits gezeigt, was zu viel Testosteron innerhalb von vier Wänden bewirken konnte. Hoffentlich würden ihre Kollegen sich zusammenreißen. Vor allem Stark.

»Kaffeechen, Agent Romanoff?« Starks Ton war unschuldig, als er vom Kaffeespender an der Wand aufsah und sie erwartungsvoll musterte.

»Hatte ich schon«, gab sie steif zurück und ließ sich an dem langen Tisch nieder, der den Raum fast ganz ausfüllte.

Außer ihr und dem Erfinder war noch niemand anwesend, sodass das Brummen des Heißgetränkeautomaten das einzige Geräusch war, das die kühle, gefilterte Luft erfüllte.

Minutenlang schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf den pochenden Schmerz oberhalb ihrer Augenbrauen. Sie stellte ihn sich als pulsierenden roten Fleck vor, den allmählich ein reines, makelloses Weiß einzunehmen begann. Als ihre Gedankenkraft den Schmerz schließlich unter kühlem Schnee hatte verschwinden lassen, glaubte sie, dass er tatsächlich kaum noch spürbar war.

Fury, Coulson und Hill erschienen wenige Minuten später als geschlossene Gruppe. Romanoff zweifelte nicht daran, dass die drei bereits irgendeine Art von Absprache getroffen hatten, deren Inhalte nicht für sie und die anderen bestimmt waren.

Pünktlich um neun Uhr waren tatsächlich alle Mitwirkenden schweigend versammelt und warteten darauf, dass jemand die Besprechung eröffnete. Es sah jedoch nicht so aus, als würde das in Bälde geschehen. Die drei S.H.I.E.L.D.-Mitarbeiter strahlten würdevolle Ernsthaftigkeit aus, während sie auf ihren Plätzen vor sich hin schwiegen, Dr. Banner drehte nervös seine Lesebrille in den Fingern, Thor sah nach wie vor verstimmt aus und Rogers, adrett wie immer, hatte die Hände auf dem Tisch gefaltet und verhielt sich geduldig ruhig. Nur Stark, der nie seine Klappe hielt, fühlte sich auch jetzt zum Nachhaken verpflichtet.

»Ähm … Worauf warten wir denn, wenn ich fragen darf?«

»Auf Agent Taps«, antwortete Fury. »Er hat die Herstellung des Medikaments überwacht und wird während dessen Einsatzes die Aufsicht leiten.«

»Ach ja? Sie haben uns gar nicht gesagt, dass noch jemand mitspielt.«

»Er hat die Testreihe mit den Versuchstieren geleitet, deshalb habe ich ihn vergangene Nacht an Bord holen lassen. Er wird Sie nicht stören.« Diese letzte Ansage galt Romanoff.

Auch für sie war die Information neu, dass nicht Coulson oder Hill die Aufsicht führten. »Ich muss mit Loki allein sein«, sagte sie nachdrücklich.

»Und das werden Sie«, wurde ihr versichert.

Hinter ihnen öffnete sich leise die Tür. Romanoff und die anderen vier, die nicht dem Eingang zugewandt saßen, drehten sich um und beobachten, wie sich eine hagere Gestalt durch den Spalt schob und vernehmlich hüstelte.

»Verzeihen Sie meine Verspätung, Director Fury.«

»Stattgegeben, Agent Taps. Setzen Sie sich. Wie ist Ihr erster Eindruck?«

Der schmale, grauhaarige Mann, dessen Kopf noch weniger Haar zierte als den von Coulson, nahm leise an der Tischfront neben Agent Hill Platz. Dass sämtliche Versammelten ihn beäugten, schien ihm nicht zu behagen. Seine Finger zitterten leicht und seine Stimme war dünn, als er sagte: »Nun. Ähm. Ich … habe mir das Subjekt heute Morgen angesehen.«

»Das was?«, fragte Thor ungehalten, und ausgerechnet Stark beugte sich hinüber, um ihm die gepanzerte Schulter zu tätscheln.

»Nicht aufregen, Großer. Ähm, Taps? Waren das Ihre Finger, die wir in Nicks Filmchen gesehen haben?«

Unter Starks scharfem Blick wurde der Agent in seinem glattgebügelten Anzug unwillkürlich kleiner. »Nun. Ja.«

»Glauben Sie, Ihr kuscheliges Opossum hat Sie gut auf das hier vorbereitet?«

»Stark!«, drohte Captain Rogers von Thors anderer Seite.

Romanoff fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Dieser Morgen war kein guter Auftakt für den ersten Tag.

»Ich …« Agent Taps räusperte sich. »… habe mit der Minimaldosis begonnen, abgeleitet von einer Schätzung des Körpergewichts. Zwar haben die Drucksensoren der Zelle einen Wert verzeichnet, aber ich meine, wir wissen nicht, wie viel diese Kleidung wiegt … dieses Leder … und Metall …« Er gestikulierte vage, Blicken ausweichend. »Nun ja … Im Laufe des Tages werden die Wirkstoffe sich im Organismus anreichern, sodass wir morgen die Prägungsphase einleiten können.«

»Erst morgen?« Romanoff ließ die Hand sinken, die gerade noch ihre drückenden Schläfen geknetet hatte. »Ich möchte heute noch zu ihm. Nick?« Sie hatten dies besprochen. Sie würde Loki nach Clint fragen. Sie musste nach Clint fragen. Und ganz nebenbei würde sie in Erfahrung bringen, weshalb um alles in der Welt Thors Bruder sich so bereitwillig S.H.I.E.L.D. ausgeliefert hatte. Es würde möglicherweise eine Katastrophe verhindern. Zeit, einen weiteren Tag zu warten, hatten sie nicht.

»Natürlich können Sie zu ihm«, nickte Fury das Gesuch ab. »Horchen Sie ihn aus, so gut es geht. Vielleicht hat er uns schon etwas mitzuteilen.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Wie oft bekommt Loki das Elixier?«, erkundigte Thor sich beunruhigt. »Was wird geschehen, wenn er zu viel davon aufnimmt?«

Agent Taps wandte sich ihm mit einem dünnen Lächeln zu. »Sie müssen Thor sein«, folgerte er. Es war kein großes Kunststück, das zu erkennen. »Nun. Seien Sie unbesorgt. Ich habe dafür zu sorgen, dass ihm eine genau berechnete Dosis zugeführt wird. Wir alle treffen uns dreimal täglich in diesen Räumlichkeiten – jeweils nach Applikation der Droge.«

Thor sah müde zurück. »Also hat er schon etwas davon zu trinken bekommen.«

»Nun. Die Minimaldosis. Wie gesagt. Wir erhöhen die Menge später.«

Es war unschwer zu erkennen, wie sehr dem Asen die Vorgehensweise immer noch missfiel. Vielleicht hatte er sogar die Missbilligung seines Volkes zu fürchten, wenn er den Verbrecher, der einer der ihren war, nicht in zurechnungsfähigem Zustand zurück nach Asgard brachte. Romanoff nahm sich vor, bei Gelegenheit mit ihm darüber zu sprechen, und hoffte, dass ihr nicht ein neugieriger und unsensibler Tony Stark zuvorkommen würde.
 

Da es nichts weiter zu beraten gab, lösten sie diese erste Konferenz auf und setzten die nächste für zwei Uhr am Nachmittag an.

Romanoff glaubte nicht, dass sich bis dahin viel verändern würde. Das schwarze Auge der Überwachungskamera hatte Lokis Hochsicherheitszelle während der Nacht rund um die Uhr beobachtet; er hatte sich selten von der Stelle gerührt, nicht geschlafen, kaum geblinzelt. Zu keinem Zeitpunkt hatte das weiche, überlegene Lächeln seine Züge verlassen. Er wartete. Lauerte wie eine Zecke auf warmes Blut.
 

Als sie zu ihm ging, spürte sie Kälte auf der Haut. Das Licht war matt, eine sparsame Beleuchtung ohne Wärme. Der gläserne Zylinder war von vier Zugängen eingefasst, ein grauer Korridor führte einmal ganz um die Zelle herum. Auf diese Weise war es möglich, sich dem Gefangenen von jeder Seite zu nähern. Lautlos trat sie von hinten an ihn heran.

Sie spürte es, als er sie bemerkte. Obwohl seine Haltung sich nicht änderte, wusste sie, dass er lächelte.

»Nicht viele vermögen es, sich an mich heranzuschleichen.« Ruhig wandte er sich ihr zu. Sein Blick war wach und lebhaft. Nicht müde. Und schon gar nicht mürbe.

»Aber du hast mich erwartet.« Es war eine Feststellung, die keiner Bestätigung bedurfte. Loki war hypersensibel. Eine Gänsehaut kroch über ihre bedeckten Arme, und sie war sicher, dass er es wusste.

»Nur später«, sagte er sanft, ihr ruhig gegenüber stehend. »Nach all den Folterungen, die Fury für mich aushecken kann, kommst du dann als Freundin. Als Balsam. Und ich vertraue mich dir an.« Er machte zwei Schritte auf sie zu, und sein Lächeln wurde breiter. Er genoss dieses Gespräch schon jetzt.

Sie schluckte. Nicht abbringen lassen, dachte sie, ohne eine Spur von Unruhe ihre Miene erschüttern zu lassen. Zieh es durch. Wirf den Köder aus. »Was hast du mit Agent Barton gemacht?«, fragte sie ihn mit leiser, aber fester Stimme.

»Ich habe seinen Horizont erweitert«, war Lokis lapidare Antwort. Im schwachen, weißen Licht sah er unnatürlich blass aus. Wie ein Geist.

»Und wenn du gewonnen hast …« Sie wagte es, näher an die Scheibe zu treten. Das Glas war dick. Ihr würde nichts geschehen. »… und dann der große König bist … Was passiert dann mit seinem Horizont?«

Zu ihrer Erleichterung nahm er den Köder an. Seine bläulichen Lippen kräuselten sich. »Oooooh. Ist das Liebe, Agent Romanoff?«

»Liebe ist etwas für Kinder«, belehrte sie ihn kalt. »Ich stehe in seiner Schuld.«

Das gefiel ihm. Oh ja. Er hatte angebissen. Mit einer Geste ermunterte er sie freundlich: »Erzähl’s mir.«

Sie zögerte, als ringe sie noch mit sich darüber, ob sie ihm wirklich vertrauen sollte. »Vor meiner Zeit bei S.H.I.E.L.D.«, begann sie schließlich langsam, »hab ich, äh …« Umständlich ließ sie sich auf einen der schwarzen, mit dünnem Kunstleder bezogenen Stühle sinken, die um die Zelle herum platziert waren. »… nun ja … Ich habe mir einen Namen gemacht. Ich habe sehr spezielle Fähigkeiten. Für wen ich sie einsetzte, war mir egal. Oder gegen wen.«

Loki hörte ihr jetzt aufmerksam zu. Er hatte sich auf der schmalen Pritsche niedergelassen, die an einer Seite der Zelle angebracht war, und sah sie unverwandt an.

»Ich bin als Feind mit S.H.I.E.L.D. in Berührung gekommen«, fuhr Romanoff fort. »Agent Barton sollte mich umbringen.« Der bisher gute Verlauf des Verhörs ermutigte sie, und so fügte sie eine dramatische Pause ein, ehe sie eröffnete: »Er hat sich dagegen entschieden.«

»Und was wirst du tun, wenn ich gelobe, ihn zu verschonen?«, fragte Loki, der ihre scheinbare Pein sichtlich genoss, in lockendem Ton.

»Nicht dich rauslassen.«

»Oh nein, aber das hier ist äußerst entzückend!« Seine Augen funkelten, und grinsend entblößte er seine weißen Zähne. Er war wahrlich begeistert. »Deine Welt auf Messers Schneide, und du weinst um einen Mann!« Es bereitete ihr Übelkeit zu sehen, wie er sich an ihren vorgespielten Gefühlen weidete. Er war widerwärtig.

Tapfer zuckte sie nur die Schultern. »Regime stürzen jeden Tag«, erwiderte sie leidenschaftslos. »Ich trauere deswegen nicht, ich bin Russin. Oder ich war’s.«

»Und was bist du jetzt?«

Seufzend erhob sie sich. »So kompliziert ist das gar nicht. Ich habe Schulden auf meinem Konto …« Entschlossen kreuzte sie die Arme vor der Brust. »… und die will ich begleichen.«

Loki bestaunte sie. »Kannst du das?« Seine sanfte Stimme bot einen krassen Gegensatz zum flammenden Wahnsinn in seinen Augen. »Kannst du so viel Schuld denn wirklich ausradieren? São Paulo … das Feuer im Krankenhaus … Barton hat mir alles erzählt.«

Offensichtlich hatte er das.

Romanoff wehrte den aufwallenden Fluchtinstinkt ab, der sie zu erfassen drohte. Gut, dass sie gar nicht erst versucht hatte, Loki eine Lüge aufzutischen. Er kannte diese Geschichte bereits. Er wusste alles über sie. Er hatte sie studiert. Und sicher nicht nur sie, sondern jeden Einzelnen auf diesem Schiff.

Loki stand auf und ging zur Scheibe, direkt auf sie zu. Nun war sein Tonfall nicht mehr freundlich, sondern kalt und spröde wie gefrorener Schnee. »Deine Schuld ist erdrückend«, zischte er sie an. »Sie ist getränkt mit Blut, und du denkst, einen Mann zu retten, der weniger rechtschaffen ist als du, ändert das?«

Sein ich ihr nähernder, bedrohlicher Schatten ließ sie weit die Augen öffnen, Angst vortäuschend. Es funktionierte. Er ließ sie seine Verachtung sehen, warf ihr seinen Ekel vor die Füße.

»Das ist nur dumme Gefühlsduselei!«, spie er. »Du bist wie ein bettelndes Kind! Bedauernswert!«

Weiter, Loki, bat sie in Gedanken, während sie ihre Züge in falscher Furcht sich verzerren ließ. Komm schon, spiel mit mir!

»Du lügst … und mordest …« Schneidend wie ein Messer zerteilte jedes seiner Worte die klamme Luft. »… im Auftrag von Lügnern und Mördern! Du gibst vor, anders zu sein … deinen eigenen Kodex zu haben … etwas, das all das Grauen sühnt … Aber es ist ein Teil von dir … und es wird niemals … weichen!«

Mit einem Mal donnerte seine Faust krachend gegen das Glas.

Erschrocken wich sie zurück, sah ihn an wie etwas restlos Furchterregendes.

»Ich rühre Barton nicht an!«, fauchte Loki, und seine scheußlich eisige Stimme fuhr ihr in die Glieder wie früher Frost. »Nicht, bis ich ihn dich langsam …« Seine Faust ballte sich, die Augen glommen. »… und inniglich … umbringen lasse! Auf jede Weise, die du fürchtest!«

Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Sie achtete darauf, dass er es gut sehen konnte.

»Und dann lasse ich ihn erwachen, gerade lang genug, um sein Werk zu sehen!«

Sie sperrte tonlos den Mund auf, vergrößerte hastig den Abstand zwischen ihnen. Ihre Schultern bebten.

»Und wenn er schreit …«

Jetzt fuhr sie keuchend herum. Als könne sie seinen Anblick nicht länger ertragen.

»… dann spalte ich seinen Schädel!«, endete Loki in boshaftem Triumph. »Das ist mein Angebot, du erbärmliches Weib!«

Romanoff holte tief Luft, um ein gequältes Wimmern auszustoßen. »Du bist ein Monster!«, presste sie bebend hervor. Insgeheim war sie ehrlich entsetzt über seinen Hass, doch niemals würde eine Art von Emotion ihre Arbeit beeinflussen. Niemals.

Hinter ihrem Rücken nahm Loki genüsslich wieder Haltung an. »Oh nein.« Sie hörte, wie seine Hand entspannt an der Scheibe herab glitt. »Das Monster«, ließ er sie wissen, »hast du hergeholt.«

Und damit hatte er sich verraten.

Ihr Kopf fuhr hoch. Ihre Schultern strafften sich. Alle Maskerade fiel von ihr ab, und nur ihr abgeklärtes Selbst stellte sich ihm dar, als sie ihn wissend ansah. »Also – Banner! Das ist dein Plan.«

Lokis Gesicht spiegelte Verwirrung. »Was?«, hauchte er.

Nun wäre es an ihr gewesen, den Sieg zu genießen, doch nüchtern schob sie diese Option beiseite. Es gab Wichtigeres zu tun.

Kurzerhand schaltete sie ihren Kommunikator ein und setzte sich raschen Schrittes in Bewegung. »Loki will den Hulk entfesseln!«, teilte sie ihren Verbündeten auf allen Kanälen mit. Der Überlistete musste gerade ein unglaublich dummes Gesicht machen. Sie gönnte sich den Anblick nicht. Noch nicht. »Haltet Banner im Labor fest«, fuhr sie routiniert fort, »ich bin auf dem Weg. Und schicken Sie auch Thor!«

Nun drehte sie sich doch noch einmal um. Sie musste ihm ins Gesicht sehen. »Danke«, sagte sie ruhig. »Für deine Kooperation.«

Leider kehrte ihr der Feind nur den Rücken.
 

»Ich rühre mich doch gar nicht«, wandte Banner verwirrt ein, als der Aufruhr um ihn herum weiter zunahm. Agenten riegelten die Türen ab, räumten Gerätschaften in sichere stählerne Schränke.

»Nicht aufregen, Bruce«, sagte Stark besänftigend und strich ihm im Vorbeigehen über den Arm.

»Das ist es ja, ich rege mich nicht auf! Aber wenn hier alle so tun, als würde ich mich aufregen, dann rege ich mich noch wirklich auf! Was ist hier los?« Banner verstand überhaupt nichts mehr.

»Hätten Sie mal Ihren Knopf im Ohr gehabt. Agent Romanoff hat’s gerade durchgegeben: Unser Freund im Einmachglas hat was mit Ihnen vor.«

»Und was?«

Stark zuckte die Schultern. »Tja, mehr war wohl nicht rauszuholen. Hey, Jungs, könnt ihr das bitte stehen lassen?«, hielt er zwei bewaffnete Streitkräfte auf, die sich anschickten, den futuristisch aussehenden Hauptrechner zur Tür hinauszutragen. »Wir müssen die Signatur des Tesserakts verfolgen, ihr wisst schon …«

Konsterniert fuhr sich Banner mit den Fingern durch das wirre Haar. Also manipulierte Loki ihn doch? Wie? Und was sollten sie dagegen tun? Der Kerl saß gerade in genau der Zelle, die für ihn, Banner, gebaut worden war! Das heißt, nein, natürlich nicht für ihn.

»Gibt es noch mehr solcher Käfige an Bord?«, hörte er sich hilflos fragen.

»Fürchte nicht«, antwortete Stark, der gerade den letzten Soldaten hinausbugsiert hatte. »Die 64 ist nur mit einem Modell ausgestattet. Naja, schließlich haben wir auch gedacht, dass das mehr als genug wäre.«

»Ich muss seinem Einfluss entkommen«, murmelte Banner, »ich muss mich vor ihm verstecken …«

»Ganz ruhig, Bruce. Erst mal haben wir Sie jetzt vor den meisten Reizen abgeschirmt.«

»Nehmen Sie’s mir nicht übel, Tony, aber auch Sie können ein ziemlicher Reiz sein.«

»Das hab ich nicht gehört.« Stark griff unter den Tisch und zog einen flachen Koffer hervor. Unter seinem Black-Sabbath-T-Shirt glühte matt der Magnet, der sein Herz am Schlagen hielt. »Ich bleib bei Ihnen, aber machen Sie sich keine Gedanken. Ich hab das hier.« Mit den Fingerkuppen trommelte er über die glatte Oberfläche des Koffers. Wahrscheinlich handelte es sich um die so-und-so-vielte Version seines Iron-Man-Anzugs, wie auch immer er die Dinger betitelte.

Stöhnend rieb Banner sich die Stirn. »Es muss dieser Speer sein … Wie sollte er es sonst machen?«

»Die Strahlensignatur des Speers hat sich nicht verändert. Die netten Jungs haben ihn trotzdem mitgenommen. Kein Grund zur Sorge.«

»Und Sie wollen sich wirklich nicht in Sicherheit bringen?« Zwischen seinen Fingern sah Banner matt zu dem aufrecht stehenden Kollegen auf.

»Hm.« Stark schürzte die Lippen. »Nö, glaub nicht.«

Im Lautsprecher an der Wand rauschte es kurz. »Mr. Stark?«, ertönte Nick Furys emotionslose Stimme. »Lassen Sie Dr. Banner für eine Weile in Ruhe und kommen Sie stattdessen zu mir. Dr. Banner? Sie versuchen jetzt mal, an nichts zu denken.«

»Guter Ratschlag«, murrte Banner, ließ sich auf einen der Stühle fallen und legte die Stirn auf die gefalteten Arme.

»Loki veralbert uns«, sagte Stark säuerlich. »Wird Zeit für eine Dosiserhöhung, finde ich. Bruce? Sie laufen mir nicht weg. Bin in ’ner Sekunde zurück.«

»Nur keine Eile«, seufzte Banner und betrachtete lustlos die hellgraue Wand, an welcher eben noch die wunderbarsten Messgeräte gestanden hatten, mit denen er je gearbeitet hatte.
 

»Er rechnet damit«, sagte Agent Romanoff und presste ihre schönen Lippen zu einer schmalen Linie zusammen.

Stark war beeindruckt von ihrer Gefasstheit. Gerade hatte er erfahren, was Loki ihr um die Ohren gehauen hatte. War nicht gerade eine Freundschaftserklärung gewesen. An sadistischem Einfallsreichtum schien es dem Scheusal nicht zu mangeln.

»Womit rechnet er? Mit Ihnen?«

»Er geht längst davon aus, dass ich ihn manipulieren soll«, führte Romanoff aus. »Und leider weiß er jetzt auch, dass ich es kann

Stark ließ den Blick von ihr zu Fury gleiten, von Fury zu Taps und von Taps zu Thor. Sie alle sahen aus, als stünde die Welt kurz vor ihrem Untergang.

»Wir müssen mit der Behandlung fortfahren«, sagte Fury nüchtern. »Und vielleicht haben wir nicht genug Zeit, auf die Prägephase zu warten. Kommt es in Frage, die Dosis schneller zu erhöhen?«

»Ausgeschlossen!«, zeigte Agent Taps sich bestürzt. »Die Folgen wären nicht absehbar!«

»Tatsache ist, dass sich bisher überhaupt keine Wirkung zeigt«, drückte auch Romanoff ihren Finger in die Wunde. »Loki ist unverändert, keinesfalls gefügiger als vorher.«

»Nun! Sie müssen Geduld haben. Es geht nicht so schnell.« Wieder zitterte Taps kaum merklich. Stark fragte sich, was diesen armen Mann ständig so unter Strom setzte.

»Wann ist mit irgendeiner Art von Effekt zu rechnen?«, fragte Fury eindringlich.

»Nun. Gegen Abend, denke ich. Wenn er die dritte Einheit eingenommen hat. Diese wird immerhin doppelt so hoch sein wie die von heute Morgen.«

»Na, das klingt doch mal nach was«, erlaubte Stark sich festzustellen. »Nick, ich muss mir dringend dieses Zepter noch mal ansehen.«

»Gewährt, nehmen Sie es sich vor.« Fury wandte sich wieder Taps zu. »Wäre es vielleicht denkbar … wenn Loki nicht von sich aus zugänglich wird … den Druck durch äußere Einflüsse … anzupassen?« Die kräftige Braue über dem gesunden Auge hob sich kaum merklich.

Taps’ Augen weiteten sich in einer Verzückung, die Stark nicht gefallen wollte. »Die Umwelt als limitierender Faktor? Nun, das ist eine annehmbare Option, Director. Was schwebt Ihnen da vor?«

»Sie wollen’s ihm ungemütlich machen?«, übersetzte Stark das seltsame Vokabular für den ratlos dreinschauenden Thor. »Und wie?«

»Hat Ihre KI nicht längst in Erfahrung gebracht, dass die Lebenserhaltungssysteme der Arrestebene unabhängig gesteuert werden können?«, gab Fury eisig zurück. »Wir haben jede Menge Spielraum, um es Loki ungemütlich zu machen. So richtig ungemütlich, glauben Sie mir das.«

»Oh, das tu ich ganz bestimmt.«

Der S.H.I.E.L.D.-Direktor sah nicht aus, als bestünde in dieser Hinsicht auch nur die kleinste Unsicherheit. Er war fest entschlossen, das Projekt zu retten. Nichts dem Risiko auszusetzen.

Thor reagierte besonnener als erwartet. »Folter wird keine Wirkung haben«, sagte er fest.

»Davon war auch nicht die Rede«, erwiderte Fury. »Es geht hier viel eher um einen … kleinen Anstoß. Wir steigern uns langsam … genau wie die Dosis.«

»Ja!«, stimmte Agent Taps enthusiastisch zu.

Schräger Vogel, dachte Stark mit skeptisch gefurchter Stirn. Und er hatte gedacht, Coulson wäre gruselig mit seiner stets unbeeindruckten Art. Taps toppte wirklich alles mit dieser Ich-will-mein-Subjekt-leiden-sehen-Attitüde, die er soeben deutlich demonstriert hatte. Hoffentlich war der Kerl kein Held der Eigeninitiative.
 

Thor gefiel nicht, was er sah.

Seit Loki sich S.H.I.E.L.D. so widerstandslos ergeben hatte, spürte Odins Sohn einen Knoten aus unterschwelliger Furcht im Magen. Ein Gefühl, das er nicht gewohnt war. Krieger wie er kannten ihre Ängste, stellten sich ihnen und warfen sie nieder wie einen Feind.

Doch das hier war anders.

Sein Unbehagen war angewachsen, als man Loki, flankiert von schwer gepanzerten Soldaten, durch die Gänge des wunderlichen Fluggeräts geführt hatte. Sein festgenommener Bruder hatte gelächelt. In Thor hatte das widerwärtige Gefühl dräuenden Unheils sich aufgerichtet wie eine Schlange, die mit ihren giftigen Fängen droht. Als die gläsernen Türen der runden Zelle lautlos zugeglitten waren, hatte Thor an dieser Angst fast würgen müssen.

Loki lächelte sein furchtbares Lächeln. Den ganzen Tag. Die ganze Nacht. Und er, Thor, hatte gereizt mit den anderen gestritten, hatte wach gelegen, versucht, seinen nervös hämmernden Puls zu beruhigen. Eine Beklemmung, die er noch nie empfunden hatte. Die er nicht abzuschütteln vermochte.

»Hm«, kommentierte Stark, der Mann aus Metall, das kleine Bild, das sein magisches Handgerät ihm darbot. Sie waren beide allein in der Kemenate, die man dem Asen zum Nächtigen zugewiesen hatte. »Scheint schon gesunken zu sein.«

»Was bedeuten die Farben?«, fragte Thor mit neuerlichem Unwohlsein.

»Zeigen Wärmequellen an. Siehst du? Ich weiß zwar nicht, was es nützen soll, deinen Bruder buchstäblich auf Eis zu legen, aber …«

»Loki ist der Sohn eines Jotunen«, sagte Thor bedeutsam. »Eines Eisriesen.«

Stark hob eine Braue. »Ah ja? Dafür ist seine Temperatur aber ziemlich menschlich … jedenfalls jetzt noch.« Indem er die Fingerspitzen über die Bildfläche gleiten ließ, holte er Lokis undeutliches Abbild näher heran. Dessen unbekleidete Körperpartien hoben sich hell leuchtend von der Dunkelheit des Hintergrundes ab. »Thor, jetzt sprich mal Tacheles mit mir … Ist das echt in Ordnung für dich, was die Jungs hier machen?«

Thor verstand den Ausdruck ›Tacheles‹ nicht, doch ihm war deutlich, worauf der Mann hinauswollte. »Loki muss zum Reden gebracht werden«, sagte er einsichtig. »Meine Gefühle für ihn sind dabei nicht von Belang. Zudem weiß ich …« Kurz unterbrach er sich. Jetzt erst verformte sich eine bisher ignorierte Erkenntnis in seinem Kopf zu einer unangenehmen Wahrheit. »… dass er nie wieder mein Bruder sein wird wie früher. Ich habe ihn verloren. Und es ist meine Schuld.«

»Warum? Was hast du ihm getan? Ihm im Sandkasten die Buddelförmchen weggenommen?«

»Ich weiß es nicht.« Das war die traurige Wahrheit. »Aber es ist etwas, das er mir niemals verzeihen wird. Ganz gleich, wie oft ich versuche, ihn zur Vernunft zu bringen … Er wird nicht hören. Aber ich kann nicht davon ablassen, das zu glauben. Ich kann ihn nicht aufgeben.«

»Naja …« Tony Stark schnitt eine Grimasse. »Ist auch schwierig, schätze ich … Ich kann mich bis heute nicht an den Gedanken gewöhnen, dass mein Vater mich doch geliebt haben soll … Wird nie in meinen Kopf gehen.«

»Loki glaubt genauso, dass unser Vater ihn nicht schätzt«, sagte Thor bekümmert. »Und bei allem, was er seither angerichtet hat, haben auch die Meinen jedes Vertrauen in ihn verloren.«

Stark räusperte sich. »Ähm, ja. Sei nicht böse, Thor … aber dein Bruder kommt mir vor wie ein ausgewachsener Psychopath. Nichts für ungut. Aber Bruce hat Recht, wenn er sagt, dass Loki nach Wahnsinn riecht.«

»Ich weiß.«

Thors Blick glitt über das zerwühlte Bett und die kleine Kommode. Ihm war ganz und gar nicht danach, am Abend allein hierher zurückzukehren und schlaflos ins Dunkel zu starren.

»Wir behalten deinen Bruder zusammen im Auge«, versprach ihm Stark und berührte freundschaftlich seinen Arm. »Du wirst sehen, wir haben die fünf Tage ganz schnell hinter uns. Vielleicht kuschelt er schon morgen mit Agent Romanoff.«

Thor warf ihm einen entsetzten Blick zu.

»’Tschuldige, der war nicht so doll.« Hüstelnd wandte der Mensch sich ab. »Also, ich bin dann mal wieder an dem Tesserakt dran … und an dem Zepter. Wir sehen uns nachher bei der Mittagsbesprechung, hm? Lenk dich ein bisschen ab. Lies ’nen Comic.«

Mit einem Seufzen entließ Thor ihn. Und fragte sich, was er tun konnte, um den Verlauf des unheilvollen Experiments zu beschleunigen.
 

»Keine Veränderung, wie es scheint«, brachte Steve Rogers die unangenehme Wahrheit aufs Tapet und faltete säuberlich die Hände.

»Beobachten Sie ihn etwa auch die ganze Zeit?«, fragte Stark.

Rogers’ Miene verdüsterte sich. »Nein, weil ich weiß, dass Sie das schon tun. Ich bin hingegangen.«

»Und? Hat er Sie auch angestrahlt?«

»Er war völlig unbeeindruckt.«

»Was Sie nicht sagen.«

»Ist Dr. Banner immer noch im Labor eingesperrt?«

Alle schauten Director Fury an. Banners Platz war der einzige, der noch immer leer war. Fury seinerseits beantwortete die Frage nicht, sondern heftete sein schwarzes Auge auf Stark.

Dieser nahm bereitwillig das Wort. »Das Zepter«, erklärte er, »sendet Infraschall aus.«

Schweigen folgte auf diese Information.

Agent Romanoff legte den Kopf schief. »Wie kommt es, dass wir das nicht früher bemerkt haben?«

»Naja, wir haben uns bei der Suche auf anderes konzentriert. Unsichtbares Licht, radioaktive Strahlung, Funkwellen, Luftfluktuationen … Ich hab nicht sofort an ein Geräusch gedacht.«

»Wie ist es Ihnen aufgefallen?«

»War ’ne Vermutung. Nach dem Ausschlussverfahren blieb nichts anderes übrig. Und da bekannt ist, wie niedrigfrequente Töne auf die menschliche Psyche wirken, war es irgendwann recht naheliegend. Was ich nicht weiß, ist, wie der Ton erzeugt wird oder wie man ihn abstellen kann.«

»Ein Geräusch ist es, was uns reizbar macht?«, fragte Thor skeptisch.

»Ja. Reizbar, verstimmt, mies gelaunt … und sogar ängstlich.«

»Das Wirkungsspektrum von Infraschall ist groß«, räumte auch Coulson zu Furys linker Seite ein. »Ist Loki dafür verantwortlich?«

»Das sollten wir rausfinden, und zwar schnell«, merkte Stark an. »Sonst könnten wir alle ziemlich bald ziemlich eklig zueinander werden.«

Romanoff straffte sich auf ihrem Stuhl. »Ich werde es noch einmal mit Loki versuchen.«

»Das können Sie vergessen, bevor der nicht seine Abenddosis intus hat. Wie unser beliebter Captain Rogers schon bemerkt hat: Bisher keine Wirkung zu sehen.«

Ein unruhiges Regen auf Agent Taps’ Platz zeigte an, dass der Versuchsleiter etwas zu sagen hatte. »Nun. Dass sich noch gar nichts tut, das ist … in der Tat unerwartet.«

Fury bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Sind Sie sicher, dass wir die Dosis nicht erhöhen sollten, Agent Taps? Ihr Subjekt ist kein Tier. Und auch kein Mensch.«

»Dessen bin ich mir bewusst, Director. Ich verweise allerdings darauf, dass bei einer zu schnellen Steigerung die Wirkung gänzlich anders ausfallen könnte. Womöglich wird durch die Loslösung des Willens vom Unterbewusstsein und den gleichzeitig dämpfenden Effekt auf das Zentralnervensystem ein Zustand totaler Lethargie eintreten.«

»Selbst das wäre mir lieber als ein schädlicher Einfluss auf meine Mitarbeiter«, schnarrte Fury. »Besonders Dr. Banner kann eine weitere Überreizung nicht gut gebrauchen.«

Taps erwiderte den Blick scheel. »Wie Sie meinen. Einigen wir uns darauf, dass ich die dritte Tagesdosis verfrüht eingebe?«

»Wenn dadurch irgendeine Art von Effekt zu erwarten ist, tun Sie es.«

Der Agent nickte.

Thor sah aus, als wäre ihm schlecht. Er war auch der einzige Anwesende, an dessen Platz kein Kaffeebecher stand, obwohl der kühne Recke sich dem dunklen Gebräu gegenüber nicht abgeneigt gezeigt hatte.

»Das letzte Treffen setze ich für heute Abend um sieben an«, entschied Fury. »Ich hoffe, meine Herren, dass wir bis dahin etwas vorzuweisen haben.«
 

Als Banner über die Schulter sah, vermutete er, dass entweder Stark oder Fury nach dem Aufgleiten der Labortür hinter ihm stehen würde, doch es war Captain Rogers.

»Machen Sie Fortschritte mit dem Tesserakt, Doktor?«

»Das hätte ich Ihnen allen schon früher mitteilen können, wenn man mich nicht von der Besprechung ausgeschlossen hätte«, entgegnete Banner säuerlich und schob seine Tasse mit kaltem Kaffee beiseite, um beide Unterarme auf der leeren Ablagefläche abzustützen. »Wer hat Sie überhaupt zu mir gelassen?«

Rogers blinzelte in leichter Irritation. Légèrer Umgang war noch immer ungewohnt für ihn. »Da das Zepter sich nun in einem bewachten schalldichten Lagerraum befindet«, erklärte er schließlich, »wurde der Alarm für beendet erklärt. Sie können jetzt wieder tun und lassen, was Sie möchten.«

»Ah! Wie gut, dass ich das erfahre. Und gleichzeitig schickt Fury Sie, um mich nach dem Tesserakt zu fragen?«

Rogers blieb achtsam. Natürlich. Jedem, der sich auf diesem tonnenschweren Schlachtschiff befand, war eingeschärft worden, wie wenig ein tonnenschweres Schlachtschiff gegen Banners Alter Ego ausrichten konnte – jenes Wesen, das er den Anderen nannte.

»Wir alle sind nervös«, räumte der Soldat daher ein. »Umso erleichternder ist es, dass wir nun wissen, wie wir zumindest Lokis Beeinflussung entgehen können.«

»Oh, gut. Und was ist jetzt mit Loki?« Banner löste den Blick von Rogers, damit dieser seine Abscheu nicht sehen konnte. Gott, wenn die anderen merkten, wie gern er den Hulk auf Loki losgelassen hätte, würden sie ihn sofort wieder in diesem reizlosen Labor isolieren.

Rogers antwortete glatt: »Das wird sich zeigen. Agent Romanoff wird ihn noch einmal besuchen.«

»Er hat eine ziemlich heftige chemische Keule abbekommen, oder?«

»Drei Einheiten bis jetzt, ja. Ich weiß nicht, was S.H.I.E.L.D. tun werden, wenn am Abend immer noch keine Wirkung spürbar ist.«

Banner seufzte kopfschüttelnd. »Ich sag Ihnen was: Wir hätten die Mixtur zuerst an Lokis Bruder testen sollen.«

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Rogers’ Haltung sich versteifte.

»Das ist doch nicht Ihr Ernst, Doktor?«

»Natürlich nicht«, murmelte Banner und fuhr sich unbehaglich durchs Haar. »Tut mir Leid. Ich glaube, Starks Humor färbt ab.«

»Daran besteht wohl kein Zweifel«, stimmte der Captain mit finsterer Miene zu.

»Also.« Banner versuchte, ihn anzulächeln. »Sie hatten nach dem Tesserakt gefragt. Ich glaube, ich habe ihn gefunden. Oder zumindest etwas, das eine identische Gammastrahlensignatur aufweist.«

»Und wo befindet er sich?«

»In New York. Wenn er es ist.« Mit einem Schwung seines Drehstuhls wandte sich Banner wieder dem einzigen verbliebenen Bildschirm zu, der prompt ein dreidimensionales Koordinatengitter über einen Projektor mitten in den Raum spuckte. »Und ich kann es Ihnen sogar noch genauer sagen. Sie können sich schon mal darauf freuen, wenn ich es Stark mitteile. Es wird ihm nicht gefallen.«

Es hätte auch Einbildung sein können, doch er war ziemlich sicher, dass Rogers’ Mundwinkel bei dieser Nachricht kaum merklich zuckten.
 

Keine Kopfschmerzen mehr. Endlich. Agent Romanoffs Kopf fühlte sich an wie ein weiter, wolkenloser Himmel. Auf ihrem turbulenten Werdegang war sie mehr als einmal der mächtigen Wirkung niedrigfrequenter Töne begegnet, unter anderem waren sie im Krieg als Schallschleudern zum Einsatz gekommen, ein ebenso psychologisch wirksames wie tödliches Kampfinstrument. Nicht auszudenken, was für Schaden der Speer im Laufe von Stunden in ihrer aller Gehirnen hätte anrichten können.

Auch Loki musste bemerkt haben, dass sein Plan fehlgeschlagen war, denn er war frustriert.

Wie schon einmal im Laufe dieses Tages näherte sie sich seiner Zelle lautlos. Er hatte sie ohne Zweifel bemerkt, doch seine Haltung blieb unverändert. Vom kalten, blauen Licht beschienen kehrte er ihr den Rücken, ihre Anwesenheit ignorierend.

»Loki?«

Es war kühl. Fury hatte die Temperatur auf der Arrestebene drastisch herunterregen lassen. Romanoff unterdrückte den Wunsch, sich die frierenden Arme zu reiben.

»Es ist vorbei, Loki. Wir wissen, wie das Zepter wirkt.«

Noch immer stand er reglos. Es gab nichts zu sagen. Er würde ihr nicht verzeihen, dass sie sich als ihm ebenbürtig erwiesen hatte, nicht den Fehler machen, sich erneut auf sie einzulassen. Nein, Loki lernte aus seinen Fehlern. Sie waren das Einzige, das er wirklich fürchtete.

Sie spielte ihm eine weitere brisante Information zu: »Dr. Banner hat herausgefunden, wo der Tesserakt ist. Wir wissen, dass du den Arc-Reaktor anzapfen willst.«

Eine Reaktion blieb weiterhin aus. Entweder hatte er es längst gewusst, oder er verbarg seine Überraschung weit besser als bei ihrem letzten Treffen.

Irgendwie musste sie ihn dazu bringen, sie anzusehen. Mit ihr zu sprechen. Wenn er sich nicht prägen ließ, würde das Experiment nicht gelingen.

»Es wird kein Portal geben«, sagte sie ruhig. »Es gibt nichts mehr, das du tun kannst. Ich …« Sie schob ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Ein wenig mädchenhaft. Unsicher. Lockend. »… Ich kann dir helfen.«

Zuerst glaubte sie sich zu täuschen, als sie ihn verhalten lachen hörte. Der Hall war verzerrt, schien von allen Seiten gleichzeitig auf sie niederzustoßen. Erst als seine Schultern bebten und sein Gelächter im Crescendo zu einer Kakophonie perverser Belustigung anschwoll, war ihr bewusst, wie wenig bereit er war, seinen sinnlosen Widerstand aufzugeben.

»Agent Romanoff«, sagte er sanft, ohne sich ihr zuzuwenden. »Du vergisst, dass Barton noch immer mein willenloses Schoßtier ist. Wenn du dich mir noch einmal näherst, wird er sich von Starks Turm in den Tod stürzen.«

Romanoff schluckte.

Nein, Loki hatte keinesfalls vergessen, welche Trümpfe er noch immer auszuspielen hatte. Das hier war aussichtslos. Auch die dritte Dosis des starken Medikaments schien bei ihm nicht angeschlagen zu haben. Er stand unverändert auf beiden Beinen. Aufrecht. Selbstsicher. Unbezwingbar. Wahnsinnig.

»Du kannst nicht gewinnen«, sagte sie ihm, und das war mehr, als ihre Vernunft ihr eingab zu sagen. Ihre Finger zitterten bereits. Sie wusste nicht, ob vor Kälte oder Zorn.

Ehe sie angesichts seiner ungebrochenen Resistenz die Beherrschung verlieren und das Projekt gefährden konnte, fuhr sie auf dem Absatz herum und verschwand genauso geräuschlos, wie sie eingetreten war.

Loki würdigte ihren Abgang keines Blickes.
 

»Bwah, ist doch nicht zu fassen!«

Rogers beobachtete mit verschränkten Armen, wie Stark sich mit allen zehn Fingern durch das kurze schwarze Haar pflügte.

»Der Kerl ist wie ’ne Gummiwand! Alles, was man dagegen wirft, kommt einem ins Gesicht geflogen!«

»Allmählich muss ich Dr. Banner Recht geben«, sagte Rogers leidenschaftlos. »Das Mittel hätte vor dem ersten Einsatz eine Testreihe an Personen durchlaufen müssen. Ein Affe und ein Opossum sind nun mal nicht mit einem größenwahnsinnigen Außerirdischen vergleichbar.« Ohne Genuss betrachtete er den Bildschirm in Starks Hand, der Lokis nunmehr wieder einsame Gestalt zeigte.

Mehr als vierundzwanzig Stunden waren vergangen, seit er in die Hochsicherheitszelle gesperrt worden war, und außer wenigen Schritten in mal diese, mal jene Richtung sowie dem kurzen Hinsetzen während des ersten Gesprächs mit Agent Romanoff hatte der scheinbar dingfest gemachte Deliquent keine größere Bewegung untergenommen.

Stark knirschte mit den Zähnen. »Was hat er noch zu gewinnen? Wir haben das Zepter weggesperrt, den Tesserakt auf dem Stark Tower lokalisiert – gut, dumm gelaufen, hätte ich drauf kommen können – und es gibt so ziemlich nichts mehr, das Loki uns voraus hat. Wieso geht er nicht endlich in die Knie? Der müsste doch längst in den Seilen hängen bei der Menge Kaltmacher, die Taps in seinen Gänsewein gekippt hat!«

»Er ist zäh«, stimmte Rogers zu.

Stark knurrte. »Das Blöde ist, dass ich mich überhaupt nicht besser fühle. Obwohl der Keks mit der außerirdischen Invasion gegessen ist, kommt’s mir immer noch vor, als fällt uns hier jeden Moment die Decke auf den Kopf. Ich weiß nicht, geht’s Ihnen auch so?«

»Das ist ein typisches Phänomen bei längerem Aufenthalt in engen Räumen.« Rogers entsann sich dessen mit großem Widerwillen. Seine Gedanken führten ihn in die Vergangenheit, in den Krieg, hin zu Isolation, Ungewissheit, wochenlangem Warten. Bedrängtheit. Dem Gefühl, keine Luft zu bekommen. »Stützpunkte, U-Boote, Bunker, Lazaretts … Viele Menschen auf begrenzter Fläche. Keine Möglichkeit des Ausweichens. Keine Abwechslung der Umgebung. Nach einigen Tagen wird es … unangenehm.« Er wusste, Stark würde das Understatement verstehen. Der Mann war – leider – äußerst intelligent.

»Ich gebe zu, ich hab wenig Lust auf so was.«

»Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Fünf Tage dauert die Behandlung.«

»Fünf Tage, ja. Tolle Aussichten.« Ungeduldig wanderte Stark im leeren Korridor auf und ab.

»Es könnte sein, dass Loki die Wirkung noch viel länger hinauszögert.«

»Also, das halte ich nicht durch. Vorher werde ich aus Versehen das Knöpfchen drücken, das ihn in seiner Hamsterkugel aus dem Schiff feuert.«

Rogers verdrehte die Augen. Daran bestand wohl kein Zweifel: Wenn jemand aus Egoismus ein so wichtiges Projekt sabotierte, dann Tony Stark.

»Oh, hey, Steve, sehen Sie sich das an! Los, kommen Sie mal her«, forderte Letzterer ihn plötzlich auf.

»Was? Bewegt er sich etwa?« Rogers trat hinter den anderen, um über dessen Schulter auf den kleinen Bildschirm sehen zu können.

Eine weitere Gestalt zeichnete sich dort ab, wo vor wenigen Minuten noch Natasha Romanoff gestanden hatte. Sie war groß, muskulös – und nicht sehr zeitgemäß gekleidet.

Eifrig tippte Stark auf einen Punkt am unteren Rand, was die Lautstärke der Tonausgabe erhöhte. Man hörte Thor sprechen.

»Bruder.«

Und diesmal reagierte Loki. Er wirbelte herum und war mit zwei großen Schritten dicht an der Scheibe, um Thor in die Augen zu sehen. Stark holte ihn mit dem Zoom näher heran; das Gesicht des Gefangenen war zornig.

»Was willst du hier?«, fauchte er. »Spielt Fury nun seine letzte Karte aus? Glaubt er wirklich, du würdest mich zur Aufgabe überreden? Er muss wahrlich verzweifelt sein!«

Lokis Körpersprache war aggressiv; Thor jedoch wirkte so deeskalierend wie ein Soldat ohne Helm und Waffen, der Zivilbevölkerung aus einem Kriegsgebiet führt.

»Niemand schickt mich. Ich habe niemandem gesagt, dass ich zu dir gehe.«

Schnaubend wandte Loki sich ab, tigerte durch das Innere seiner Zelle. »Du bist ein Narr, Thor. Du glaubst noch immer daran, dass ich mit dir nach Asgard zurückkehre, mich Odin an die Brust werfe und um Vergebung bitte!«

Langsam schüttelte Thor den Kopf. »Ein Teil von mir hofft es noch. Aber glauben … nein, das nicht mehr.«

Loki stieß einen Laut der Verachtung aus. »Wie wahr. Du bist zu dumm, um zu lügen.«

»Und du zu klug, es nicht zu tun.«

»Weshalb bist du wirklich hier, Thor?«

Der Ase zögerte. Dann fragte er behutsam: »Hast du es warm genug?«

Gleichzeitig hoben Stark und Rogers die Köpfe, um einen ungläubigen Blick zu tauschen.

»Steve, hat er das gerade wirklich gefragt? Ich glaub, ich –«

»Psst!«, zischte Rogers, der Lokis Reaktion verfolgte, die nicht minder erstaunt anmutete.

»Warum sollte ich frieren?«, hörte man Loki in ehrlicher Verwirrung fragen.

»Weil du warm bist wie wir alle«, war Thors simple Antwort. »Ich habe es auf einem der Wunderschirme gesehen.«

Angewidert wandte sein Bruder sich ab und nahm das rastlose Umhergehen wieder auf. »Wenn es dich wirklich interessiert«, zischte er, »dann nimm zur Kenntnis, dass ich friere. Dass ich ermattet bin. Und dass mich nichts davon auch nur im Geringsten für die erbärmlichen Überzeugungsversuche deiner menschlichen Freunde empfänglich macht!«

Der andere nickte ergeben. Rogers sah ein, dass Thor mit seinem Besuch wohl wirklich keinen Plan verfolgte. Er hatte sich selbst ein Bild von der Verfassung seines Bruders machen wollen, das war alles.

»Ich werde dafür sorgen, dass du eine Decke bekommst«, versprach Thor. Dann wandte er sich mit verhärmter Miene ab und ging.

In der neuerlichen Verlassenheit hörte man Loki leise auflachen. »Sicher wirst du das«, spottete er in die Leere hinein und spie das Wort »Bruder!« hinterher wie ein ungenießbares Stück Speise.

Dann ging er langsam zu seiner Pritsche. Und blieb neben ihr stehen.

Mit einem Mal sah es aus, als fiele alle mühsame Selbstbeherrschung, aller unbeugsamer Stolz von Loki ab. Er legte sich hin, drehte sich auf die Seite. Ließ alle Spannung aus seinem Körper weichen. Ein tiefer Atemzug hob seine Brust, und unter der gefallenen Fassade kam unfassbare Erschöpfung zum Vorschein.

Eine Bewegung Starks ließ Rogers aufsehen. Der Wundertechniker hatte seinen Kommunikator ins Ohr gesteckt.

»Ähm, Nick? Ich stör Sie doch nicht beim Schönheitsschlaf? Mir ist da gerade was eingefallen, ist nix Großartiges, aber beschützt uns vielleicht alle vor dem Amoklaufen … Sehen Sie, Loki weiß genau, dass wir ihn weichkneten wollen. Er rechnet damit, dass jemand von uns ihn einzuwickeln versucht. Gibt aber einen, bei dem er nicht damit rechnet. Brüderchen will ihn doch sowieso die ganze Zeit in Watte packen, oder seh ich das falsch?«

Rogers verstand. Unwillkürlich hoben sich seine Brauen in die Höhe. Stark wollte auf eine Anpassung des Experiments hinaus. Der Mann war taktlos wie ein Stück Fels, doch, das musste der Captain zugeben, sein Verstand funktionierte so reibungslos wie die Maschinen, die er konstruierte.

»… Ja, machen Sie’s am besten heute noch und nageln Sie ihn drauf fest. Er wird nicht begeistert sein.« Stark nahm das Funksprechgerät wieder ab und zwirbelte es zwischen den Fingern, während er Rogers ansah. »Schlimmer als schlimmer kann’s nicht werden, oder?«
 

Als die abendliche Konferenz anstand, wurde Thor auf dem Weg zum Besprechungssaal von Fury und Coulson abgefangen.

»Schenken Sie uns mal einen Moment Ihr Ohr«, sagte Letzterer lächelnd und berührte seine Schulter.

Thor, dem Fury noch immer undurchschaubar erschien, der Coulson jedoch als Verbündeten akzeptiert hatte, leistete der Aufforderung Folge. »Was kann ich für dich tun, Couls Sohn?«

Es war Fury, der die Antwort übernahm. »Gestern habe ich dich gefragt, was du bereit bist zu tun, Thor.« Er sah ihm fest in die Augen. »Was bist du bereit zu tun?«

Unbehagen breitete sich in Thor aus. Vor weniger als einer Stunde war er an Agent Taps herangetreten und hatte darum gebeten, dass Loki etwas zum Zudecken erhalten möge. »Ihm ist kalt und er muss ruhen«, hatte er insistiert. Taps hatte das Gesuch ohne jede Überlegung abgelehnt. »Die unangenehmen Umweltbedingen sind Teil des Versuchsaufbaus«, hatte er erklärt. »Sie dienen dazu, das Subjekt zur Kooperation zu bewegen.« Noch immer war dem Asen nicht klar, was ein Subjekt war und warum es ein ›es‹ war und kein ›er‹, doch die Abweisung war zweifellos unhöflich und in seinen Augen nicht recht begründet, sodass er es sich erlaubt hatte, auf die Rechtslage in Asgard hinzuweisen, nach welcher Gefangene keinerlei Misshandlung zu fürchten hätten. Der Hinweis, es könnte Folgen für Taps haben, wenn er Loki schlecht behandelte, kam im Kern einer Drohung gleich und war auch so gemeint gewesen.

»Es tut mir Leid«, sagte er widerwillig zu Fury und Coulson, in der Vermutung, dass sie deswegen an ihn herangetreten waren, »aber wenn ihr das Experiment mit Folter verbindet, kann ich euch nicht länger meine Unterstützung zusichern.«

»Niemand ist böse auf Sie«, versicherte ihm Coulson sofort. »Im Gegenteil. Ihr Gespräch mit Loki hat das Experiment um einen interessanten Parameter erweitert.«

Misstrauisch furchte Thor die Stirn. »Was soll das bedeuten?«

»Dass Loki seine Decke bekommen wird«, sagte Fury schlicht.

»Und was muss ich dafür tun?«

»Wir möchten, dass du Loki auf eine falsche Fährte lockst. Er weiß, dass Agent Romanoff sein Vertrauen gewinnen soll, und so muss es weiterhin für ihn aussehen. Doch im Geheimen hat sich der Plan geändert. Wir haben vor, dich zu seiner Bezugsperson zu machen.«

»Mich?« Thor war so fassungslos, dass er sekundenlang nur ohne ein Wort in die Gesichter der beiden Männer starren konnte. Er sollte Loki mithilfe der Droge an sich binden? Das war mehr als abwegig. »Dieser Plan wird scheitern«, brachte er rau hervor. Tatsächlich hatte die Aussicht auf diese Möglichkeit ihn soeben derartig entsetzt, dass er kaum ein Wort an das andere zu reihen vermochte. »Loki … hasst mich. Jeder andere wäre besser geeignet als ich. Jemand, den er nicht kennt …«

»Nein, eben nicht«, widersprach Coulson lächelnd. »Thor, bitte denken Sie nach. Er wird bei jeder anderen Person Verdacht schöpfen. Nur nicht bei Ihnen, weil Ihre Sorge um sein Wohl nicht vorgespielt ist. Während er allen falschen Lockvögeln gegenüber seine Deckung bewahrt, wird sich Ihnen öffnen. Das war sehr gut zu sehen, als Sie bei ihm waren.«

»Sie haben auch das beobachtet?« Thor presste die Kiefer aufeinander. »Niemand hat es gewusst.«

»Loki wird rund um die Uhr überwacht. Und das ist auch gut so.«

Die beiden Männer sahen ihn erwartungsvoll an.

»Ihr Bruder, Thor«, sagte Coulson freundlich, aber eindringlich. »Wollen Sie ihn wiederhaben? Wenn der, wie Sie es nennen, Liebestrank richtig wirkt, wird er nicht anders können, als Sie zu lieben.«

»Ich …« Thor zauderte. Er dachte an das rattenartige Tier im Käfig, das sich an die Hand von Agent Taps geschmiegt hatte. Ein widernatürliches Verhalten, das – so sah es zumindest aus – nichts mit dem Zutrauen eines wirklich gezähmten Tieres gemeinsam hatte. »… Ich weiß nicht, ob ich das will.«

»Die Alternative ist«, erinnerte ihn Fury mit Nachdruck, »dass Loki weiterhin eine Bedrohung für deine und meine Welt bleibt und entweder sterben oder auf ewig eingesperrt werden muss.«

Coulson fügte bedeutsam hinzu: »Wir können ihn für immer entschärfen … wenn wir jetzt alles richtig machen. Tun Sie das, was für Ihren Bruder am besten ist.«

Wieder spürte Thor das Aufbäumen von unerklärlicher, beißender Angst. Seine Kiefer mahlten. Das, was diese Menschen mit Loki vorhatten, war ihm zuwider. Er wusste, dass sein Bruder keinerlei Schutz oder Schonung verdiente, doch diese ihm völlig fremde Methode des Einsperrens – des Gefangenhaltens im eigenen Geist – bereitete ihm eine Übelkeit, die so tief saß, dass sein Körper sie nicht auswürgen konnte.

»Wenn die fünf Tage vorüber sind«, presste er heiser hervor, »nehme ich Loki und den Tesserakt mit nach Asgard.«

»Selbstverständlich«, bestätigte Coulson, ehe sein Vorgesetzter antworten konnte.

»Auch dann, wenn das Experiment fehlgeschlagen ist.«

»Sofern wir zuvor unsere Leute, die noch unter Lokis Bann stehen, unversehrt zurückbekommen haben«, schränkte Fury die Bedingung ein.

Thor zwang sich zu einem Nicken als Zeichen der Zustimmung. Mehr brachte er nicht fertig. Er wusste, dass er das Richtige tat – doch sein Verstand protestierte, kratzte um sich.

»Dann werden wir den anderen Beteiligten unsere Plananpassung jetzt vorlegen.« Fury wandte sich um und machte eine Geste zur Tür des Konferenzraumes. »Nach Ihnen, meine Herren.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kerstin-san
2016-01-02T13:31:06+00:00 02.01.2016 14:31
Hallo,
 
oh ich hatte in meinem letzten Kommi ganz vergessen zu erwähnen, dass Natascha für mich die einzige ist, der ich den Job Loki nach den Wünschen von S.H.I.E.L.D umzumodeln, zutraue. Alle anderen sind viel zu emotional dafür. Bei Natascha hab ich keine Sorge, dass sie die nötige Professionalität mitbringt, die das Experiment erfordert.
 
Taps macht einen sehr zerstreuten und unsicheren Eindruck auf mich. Scheint so, als würden ihn Menschen (und wütende Götter) etwas aus seinem Konzept bringen.
 
Die Begegnung von Natascha und Loki war toll. Ich meine, es ist im Prinzip ja nur die Szene, die wir alle aus dem Film schon kennen, aber du hast sie durch Nataschas Gedanken und ihr Kalkül richtig lebendig wirken lassen. Auch die Beschreibung von Loki, der sie wie ihre Beute betrachtet und die ganzen Verweise auf seine Mimik und Körpersprache. Das war sehr anschaulich.
Tja, dumm nur, dass Natascha das Überraschungsmoment verspielt hat und deswegen nicht mehr in Frage kommt. Kein Zweifel, Loki hat sich einaml überrumpeln lassen und wird den Fehler kein zweites Mal wiederholen.
 
Huuu, ich revidiere gerade meinen Eindruck von Taps. Der scheint ja richtig gefallen daran zu finden, diese äußeren Umwelteinflüsse anzupassen. Was ein Sympathieträger..
 
Tonys Aufmunterungsversuche scheinen alle nicht besonders erfolgsversprechend zu sein, aber hey, allein die Geste zählt ja schon ;)
 
Die Idee mit dem Infraschall fand ich klasse. Der perfekte Bogen zum Kapitelanfang und Nataschas Kopfschmerzen.
 
Hmmm, entweder braucht das Mittel länger um zu wirken, weil Loki kein Opossum ist oder es wird gar nicht wirken, weil er kein Mensch ist oder es wirkt schon, aber Loki kann das bis jetzt sehr gut kaschieren. Fragen über Fragen.
Das Thor jetzt die neue Bezugsperson für Loki werden soll, ist eigentlich nur logisch, wie Tony das schon dargelegt hat, aber wenn einer im Laufe des Experiments ins Zweifeln kommen sollte, dann ja wohl auch am ehesten Thor. Man darf also auf den weiteren Verlauf gespannt sein. Es ist jetzt ja schon abzusehen, dass sich Thor nur ungern in seine neue Rolle einfinden wird.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von:  CaroZ
02.01.2016 19:47
Uuuuuund wieder hallo :D

Mal gucken, ob ich in der gleichen kurzen Zeit antworten kann, wie du gelesen hast …

Hmjo, Natascha. Ich fand auch, sie ist die einzig Richtige für den Job.

Und Taps ist … Nun ja, ich bin leider nicht besonders gut mit Antagonisten. Die sind bei mir immer viel weniger strukturiert als die Helden. Ich arbeite noch dran.

Freut mich, dass ich die Szene einigermaßen authentisch einbetten konnte. Ich wollte die unbedingt drin haben.

Mir gefällt wirklich, wie du dir das alles durch den Kopf gehen lässt und miträtselst … Genau dann macht mir Schreiben am meisten Spaß.^^

Danke dafür!

Liebe Grüße
Caro


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