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Luciana Bradley und der Orden des Phönix

von

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Noch einmal Davon gekommen

Noch einmal davon gekommen

 

„ … nichts, ich wiederhole, NICHTS gibt Ihnen das Recht, eine Lehrkraft an dieser Schule auf solch einer respektlose Art und Weise bloßzustellen!“

     Seit mehr als einer halben Stunde saß Luciana in einem alten, modrigen Samtsessel, dessen Farbe mit den Jahrzehnten von einem Bordeauxrot einem blassen Karminrotton gewichen war und hörte sich die Standpauke ihres jungen Daseins an. Nun ja, vielleicht nicht die heftigste ihres gesamten Lebens, aber viel würde nicht mehr fehlen.

     McGonagall wetterte fast ohne Unterbrechung auf sie ein und warf Nebensätze wie „Ich habe doch gleich gesagt, wir hätten ein Mädchen nicht mitten in der Zaubererausbildung aufnehmen sollen“ oder „Bei Merlin, Albus, sie hat Vorstrafen in ihrer Muggelakte und du hast mir nichts davon erzählt?“ … ja, wegen illegalem Waffenbesitz und Beleidigung eines Vollzugsbeamten … ach ja, Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr, ohne gültige Fahrlizenz, na und? Woher hatten die eigentlich die Informationen, die müssten doch längst verschwunden sein? Ihr Aufweckkommando hatte in jedem Fall für viel Aufruhr gesorgt. Neben McGonagall und natürlich Snape, der sich nur kurz angezogen und dann direkt petzen gegangen war, befanden sich noch Flitwick, Dumbledore und Sprout in dem Büro ihrer Hauslehrerin und jedenfalls schien Snape einen Heidenspaß an der Sache zu haben.

     Er hatte ein großartiges Talent dafür, Dumbledore auf seine Seite zu ziehen, indem er seinen Unmut und seine angebliche Sorge aussprach und nicht das, was er wirklich dachte (zum Beispiel gleich den Vorschlag zu machen, Luciana eigenhändig an den Galgen zu bringen). Momentan sah es schwer danach aus, dass sie einen Schulverweis bekommen würde, denn das war Snapes Forderung. Und auch McGonagall schien von diesem Vorschlag nicht ganz abgeneigt zu sein. Dumbledore saß derweil ruhig hinter dem Schreibtisch, lauschte geduldig den Ausführungen seiner Lehrkräfte und schaute nur ab und zu über seine Halbmondbrille zu Luciana. Seinen Blick zu deuten, war kaum möglich.

     „Miss Bradley, was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?“

     Was? Oh, ihre Meinung war gefragt … ja, was sagte sie denn jetzt dazu? Mmmmhhh …

     „Ich …“ doch bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte, klopfte es hart an der Tür. Dumbledore hob seine Hand in Lucianas Richtung und nickte Snape zu, der daraufhin die Tür öffnete.

     Luciana, die sich in der letzten Viertelstunde mehr und mehr in den Sessel verkrümelt hatte, richtete sich nun wieder auf und begab sich reckend in eine Position, in der sie einen Blick auf den neuen Besucher werfen konnte. Gabriel. Au weia. Snape ließ die Türklinke so ruckartig los, als hätte er sich die Hand verbrannt und dann trat er noch schneller einen Schritt zurück. Gabriel stand da, in seinem schwarzen Gucci Anzug und weißem Hemd, die Haare penibel zu einem Zopf gebunden und blieb mit seinem Blick zunächst an Snape hängen. Erst hob er eine Augenbraue, dann die Zweite und darauf setzte sich ein weniger freundliches Grinsen in seinem Gesicht ab. Snapes Mimik war, wie so viele Male zuvor, unergründlich.

    „Danke, dass Sie so schnell zu uns gefunden haben, Doktor Steinhardt. Setzen Sie sich.“ Dumbledore deutete mit seiner rechten Hand auf den Sessel neben Luciana. Gabriel trat weiter in den Raum hinein, stellte sich neben den ihm angebotenen Sessel, machte jedoch keine Anstalten, darauf Platz zu nehmen. Er nickte den Umstehenden kurz, mit einer sehr geschäftsmäßigen Miene, zu und schaute dann wieder wortlos zu Dumbledore.

    „Wie ich Ihnen schon vorhin im Feuer berichtet hatte, hat sich Luciana leider nicht so bei uns eingelebt, wie es gewöhnlich der Fall ist.“

     Dumbledore schilderte Gabriel den Vorfall am Morgen und sprach nochmals die kleine Unverschämtheit gegenüber Umbridge an. Seltsamerweise brachte Snape dieses Mal keine Einwände und Korrekturen ein, so, wie er es gerade bei McGonagall getan hatte, nein, er hatte sich erstaunlich weit in den Raum hineinbegeben, als würde ihm die Situation ganz und gar nicht behagen.

     Gabriel stand geduldig da, verzog bei keiner Schilderung eine Miene und selbst Luciana konnte in diesem Augenblick nicht sagen, wie ihr Pate reagieren würde.

     „Wir haben, vor Lucianas Einschulung, eine Akte bekommen, in denen einige Strafdelikte, wie man es hier nennt“, Dumbledore hatte eine Pappakte unter seinem Schreibtisch hervorgezogen und sie aufgeschlagen vor sich drapiert, „festgehalten wurden und eine Sozialpädagogin hat hier, wortwörtlich festgehalten ‚Luciana Bradley hat eine ungesunde Abneigung gegen jegliche Autorität und große Schwierigkeiten, mit der Eingliederung in Gruppen von Gleichaltrigen’.“

     Dumbledore seufzte, schlug die Akte wieder zu, verschränkte seine Arme und lehnte sich damit auf die Tischplatte vor.

     „Doktor Steinhardt, ich gebe nicht viel auf Fehler, die der Vergangenheit angehören und jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient, jedoch sind wir uns derzeit nicht im Klaren darüber, ob Hogwarts das Richtige für Luciana ist.“

     Einen Moment herrschte Stille, Gabriel spitze kurz seinen Mund und nur Luciana konnte wissen, was dies heißen sollte. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und machte sich auf eine laaaaange Ansprache bereit. Doch diese blieb aus. Ihr Pate hob seinen Arm, ohne seinen Blick von Dumbledore zu nehmen, streckte ihn aus und zeigte mit seinem Zeigefinger direkt auf Snape.

     „Was macht der Todesser hier?“

     Der was? Und dann Stille. McGonagall schaute immer wieder abwechselnd von Dumbledore zu Snape, dieser zeigte sich jedoch unbeeindruckt und trat aus dem Schatten. Er schien mutiger, entschlossener, als noch einen Moment zuvor.

     „Wenn Sie diese Information kennen, Doktor Steinhardt, wissen Sie sicher auch, dass ich vor langer Zeit hierzu eine Aussage vor dem Rat des Zaubereiministeriums gemacht habe. Professor Snape war in der Tat ein Todesser, doch er hat sich schon vor Voldemorts Sturz wieder unseren Reihen angeschlossen und als Spion für uns gearbeitet, unter größter Gefahr für sein eigenes Leben“, sagte Dumbledore, seine Augen blitzten dabei gefährlich auf.

     „Ihre Reihen, Professor Dumbledore, Ihre. Meine Reihen machen hierbei keinen Unterschied.“ Gabriel ließ sich nun doch in den angebotenen Sessel sinken, griff in seine Brusttasche und entzündete zwei Zigaretten. Die Zweite gab er Luciana, bevor er einen Aschenbecher mit einem Handwink vor sich auf dem Schreibtisch heraufbeschwor. Dumbledore kommentierte dies nicht, auch wenn McGonagall etwas wie „Kein Wunder, dass sie so ist“, in Richtung Flitwick und Sprout murmelte.

     „Vor einigen Tagen erreichte mich ein Schreiben von einer ihrer Mitarbeiterinnen, Professor Umbridge, in dem sie sich darüber ausließ, dass mein Patenkind ein niederes ‚Magiewesen’ mit verbalen Kraftausdrücken ungefragt und unbegründet verteidigte, ohne die Hintergründe zu kennen und sie auf heftigste Weise beleidigt und beschimpft habe. Sie erzählen mir etwas von sozialer Unfähigkeit, aufmüpfigem Verhalten und Brechen der Schulregeln, sowie Bloßstellung des Personals. Diese Beschwerde kam von einer Frau, die in gewissen Kreisen der Zaubererwelt als Handlanger des unfähigsten Zaubereiministers der Neuzeit bekannt und nicht zimperlich mit ihren rassistischen Aussagen gegenüber allen Lebewesen ist, die nicht den Zauberern angehören … von den lächerlichen Gesetzesentwürfen dieser Person, will ich gar nicht erst anfangen … Wenn meine Patentochter gedenkt, diese Dame beleidigen zu müssen, wünsche ich ihr viel Erfolg und werde ihr zur Seite stehen, falls ihr die Beschimpfungen ausgehen sollten. Soviel zu diesem Thema  … Luciana, wieso hast du heute Morgen dieses ‚Heiden Theater’, wie es genannt wurde, veranstaltet?“

     „Professor Umbridge hat mir eine Strafarbeit erteilt, ich sollte die Schüler wecken und Flyer verteilen, für irgendeine Ansprache – eh, die genau in diesem Moment in der Großen Halle stattfindet … und ich wusste nicht, wo sich alle Schlafräume befanden …“

     Selbst Gabriel sah überrascht aus, doch er redete fast ohne Unterbrechung weiter. „Da sehen Sie es.“ Er breitete kurz die Arme aus und ließ sie wieder gefaltet in seinen Schoß sinken. „Ich habe meinem Patenkind sicherlich nicht die Erziehung zukommen lassen, die man im allgemeinen Volk unter ‚normal’ einstufen würde, jedoch habe ich ihr beigebracht, niemals ein Blatt vor den Mund zu nehmen und in Situationen einzuschreiten, die sie als ungerecht empfindet und die sie bewältigen kann. Zu dem Thema, Luciana hätte Probleme mit Autorität … das ist dann wohl auch meine Schuld; der erste Grundsatz, den ich ihr eingetrichtert habe, war wohl der, dass Respekt nur dem gebührt, der diesen auch verdient.“ Mit diesem Satz wandte er sich an Snape, der nur da stand und mit den Zähnen knirschte. Gabriel drehte sich wieder zu Dumbledore um. „Und aus persönlicher Erfahrung kann ich mit reinem Gewissen behaupten, dass Mister Snapes Gemüt an Sadismus, Schadenfreude, Rachsucht, Ignoranz, Selbstüberschätzung und cholerischen Anfällen bei weitem sehr schwer zu übertreffen ist.“

     Autsch. JETZT tat Snape Luciana leid. Er stand da, schoss seine mörderischen Blicke auf Gabriel ab und bekam trotzdem nicht die Zähne auseinander. Woher Gabriel Snape auch immer kennen mochte, es schien keine besonders angenehme Begegnung für beide gewesen zu sein. Für Snape anscheinend noch weniger, als für Gabriel.

     „Ich denke, wir sollten Miss Bradley noch eine Chance geben“, kam es mit der piepsigen Stimme von Flitwick. Er hatte bisher, während der gesamten Prozedur, nicht ein Wort gesagt. Dumbledore nahm seinen, etwas besorgten, Blick zunächst von Snape, schaute dann McGonagall an, die nach einem kurzen Augenkontakt kurz und widerwillig nickte.

     „Sie dürfen bleiben Miss Bradley, unter dem Umstand, dass Sie Ihren … Gerechtigkeitssinn in Professor Umbridges Unterricht im Zaum halten und in Zukunft den nötigen Respekt gegenüber jeder Lehrkraft entgegenbringen, obgleich es Ihnen zusagt oder nicht.“ Dumbledores Augen bekamen ein seltsames Funkeln, als er Luciana mit seinem Blick taxierte. Luciana nickte und schaute kurz in Snapes Richtung. Er sah aus, als hätte man ihn gerade zu einer Kastration verurteilt.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Das Feuer im Kamin loderte noch immer, als Luciana am Abend auf der großen Couch im Gryffindor Gemeinschaftsraum saß und dem Knistern lauschte. Nachdem Dumbledore sie und Gabriel aus dem Büro entlassen hatte, war ihr Pate auf dem schnellsten Weg wieder Richtung Ausgang gehechtet. Auf die Frage, woher er Snape kannte, hatte er erst gar nicht geantwortet; er hatte lediglich ihre Frage, warum er so schnell in Hogwarts sein konnte, mit einem kurzen „Job in Askaban“ abgetan und war dann verschwunden.

     Den restlichen Nachmittag hatte sie damit verbracht, George und Fred von dem ‚Verhör’ in McGonagalls Büro zu erzählen, ohne dabei jedoch den kleinen Zwischenfall mit der ‚Todesser‘-Diskussion zu erwähnen. Zu dieser späten Stunde war der Gemeinschaftsraum fast leer und endlich hatte sie genügend Zeit und Ruhe, um über dieses Ereignis nachzugrübeln.

     Woher kannte Gabriel Snape? Und Snape ein Todesser? Was zum Teufel war ein Todesser? Hogwarts … Gabriel war auch hier in Hogwarts zur Schule gegangen. Und er war sicherlich nicht viel älter als Snape. Wie alt war Snape? Gabriel war siebenunddreißig, also musste Snape auch siebenunddreißig oder jünger, oder älter … es war reichlich seltsam Snape ein Alter zuzuweisen, das machte ihn so … menschlich. Siebenunddreißig. Mmmmhhh … oder sechsunddreißig … interessantes Alter. Interessanter Mann. Krachz  Ein besonders lautes Knacken aus dem brennenden Feuer, riss Luciana aus ihren Gedanken.

     Zu viele Fragen, auf die sie sobald keine Antworten bekommen würde, es sei denn … Luciana stand ruckartig auf und schmiss dabei fast Azrael von der Couchlehne, der gerade vor sich hingedöst hatte. Sie schnappte sich ihr Schreibzeug aus ihrer Tasche und begann einen Brief zu schreiben. Sir Rennoc würde diese Fragen diskret behandeln und vor allem beantworten. Wieso hatte sie nicht früher daran gedacht? Zwei Stunden später lag sie in ihrem Bett, in ihrem eigenen Zimmer und konnte vor Aufregung kaum einschlafen. Wenigstens würde morgen das unterrichtfreie Wochenende beginnen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Der nächste Tag war schnell gefüllt mit Hausaufgaben und einem ausführlichen Joggingprogramm, Fingernägel Feilen und endlos in den Himmel starren, in der Hoffnung Azrael auszumachen. Konnte dieses blöde Federvieh nicht einmal etwas zügiger fliegen?

     Das blöde Federvieh erreichte Hogwarts in einem unerwartetem Augenblick (wie sollte es auch anders sein?), als Luciana eifrig dabei war, ein Sudoku Stufe ‚mörderisch’ zu lösen. Kaum hatte Azrael gegen das Fenster gepickt, war sie auch schon aufgesprungen, hatte das Fenster aufgerissen und ihrem Falke ein paar Federn in Schieflage gebracht, bei dem Versuch, das Paket schnellstmöglich in die Hände zu bekommen. Noch im Stehen riss sie das Papier von dem Päckchen, zwei Bücher fielen zu Boden. Luciana bückte sich, hob den ersehnten Brief auf und begann ihn in Windeseile zu lesen.

 

Sehr verehrtes Fräulein Bradley,

 

Ihr Schreiben erhielt ich heute in den späten Abendstunden, als ich gerade damit beschäftigt war, die erste Ausgabe von ‚Alucard’ aus dem alt-aramäischen in die deutsche und englische Sprache zu übersetzen. Ein sehr interessantes Werk, welches Sie unbedingt studieren sollten, wenn Sie wieder daheim sind.

     Ihre Fragen haben mich, wenn ich ehrlich zu Ihnen bin, nicht überrascht. Jedoch wundert es mich, dass Sie sich mit Ihren Fragen an mich wenden. Sicherlich hat Ihnen der Doktor keine Antworten geben wollen und auch ich sollte Ihnen diese nicht beantworten, da ich nicht die Befugnis besitze. Doch ich konnte Ihren Worten und der eilig aufgesetzten Schrift, eine gewisse Verzweiflung entnehmen, mit der ich Sie unmöglich alleine dazustehen gedenken lasse.

     Der Doktor besuchte gewiss die Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberer, wie Sie schon vermutet hatten. Soweit ich es meinen bescheidenen Quellen entnehmen kann, trat er sein erstes Jahr 1969 an und absolvierte seine Schulzeit 1976. Er wurde von dem Sprechenden Hut, der übrigens ein sehr interessanter, magischer Gegenstand ist, nachzulesen in ‚Geschichte Hogwarts’, dem Hause Slytherin zugewiesen. Des Weiteren ist mir bekannt, wie schwer sich der Doktor auf dieser Schule zurechtgefunden hat und sich mit seinen Hausgenossen, in diesem höchst bewegenden Zeitabschnitt, nur schwer einig werden konnte.

     Professor Snape hingegen wurde im Alter von elf Jahren 1971 eingeschult, dem Hause Slytherin zugewiesen und absolvierte seine Schullaufbahn 1978 mit Auszeichnung und Bestnoten.

     Selbstverständlich konnte ich es mir nicht nehmen lassen, ein wenig in den alten Kopien der magischen Einwohnerakten nachzuforschen, auch wenn Sie nicht danach gefragt haben, weiß ich doch Bescheid, über Ihren Wissensdurst. Hier konnte ich in Erfahrung bringen, dass Professor Snape, Sohn von Tobias Snape und Eileen Snape, geborene Prince, am 9. Januar 1960 geboren ist.

     Auf Ihre Frage hin, was ein Todesser sei, nun, ich möchte nicht zu weit ausschweifen. Die Anhänger Lord Voldemorts nannten sich bei diesem Namen, oder wohl besser, sie nennen sich bei diesem Namen. Nun, ich selbst war überrascht über die Herkunft von Professor Snape, dessen Werdegang mir nicht unbekannt ist. Sicherlich haben Sie nach dem Ausdruck ‚Todesser’ in Verbindung mit Ihrem Tränkelehrer gefragt. Nun, da sein Vater ein nicht magischer Mensch war, wunderte es mich sehr, dass er sich Lord Voldemort angeschlossen hat, nur hier ist auch zu erwähnen, dass selbst Tom Riddles Vater ein nicht magischer Mensch war, wundersam, denken Sie nicht auch?

     Nun bin ich auch schon zum Ende meiner Ausführungen gekommen und hoffe, Ihnen all Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben. Als kleines Anschauungsmaterial habe ich Ihnen die Schulabschlussbände 1976 und 1978 der Hogwartsschule mit beigelegt. Allerdings muss ich Sie darum bitten, mir diese wieder zukommen zu lassen. Es eilt nicht, jedoch sind diese nur als Einzelstücke in unserer Bibliothek vorhanden.

 

Mit herzlichen Grüßen

 

S. Y. Ronnoc

 

 

Mit einem leisen Seufzen ließ Luciana den Brief in ihrer Hand sinken, faltete ihn wieder zusammen, stand auf, trat an den Kamin heran und legte das Stück Papier in die Glut. Sie stand noch eine Weile am Feuer und starrte auf die tiefroten Kohlen, drehte dann ihren Kopf und blickte über ihre Schulter die beiden Bücher an, die noch auf dem Boden vor dem Sofa lagen.

     Als sie sich wieder auf diesem niederließ, nahm sie zunächst den ledereingebundenen  Band mit der Aufschrift ‚Zur Erinnerung – Hogwarts Abschlussklasse 1976’ in die Hände und schlug die nächste Seite auf. Nach einem kurzen Vorwort, dass mit der Unterschrift von Albus Dumbledore endete und von Luciana nur kurz überflogen wurde, kam sie auch schon zu einem Gruppenfoto, auf dem circa vierzig Schüler abgebildet waren. Hierbei handelte es sich um ein magisches Foto, welches nicht eine ausschließliche Momentaufnahme wiedergab, sondern eher einem kleinen Minibildschirm glich, der ein und dasselbe Video in einer drei Sekunden Schleife abspielte (minus Ton).

     Die Jugendlichen standen in drei Reihen hintereinander, einige lächelten oder lachten, winkten in die Kamera und sahen allesamt sehr entspannt und ausgelassen aus – ausgenommen ein junger Mann in der zweiten Reihe, der schon alleine durch sein Erscheinungsbild hervorstach. Gabriel stand da und ganz gleich, ob es ein Zauberfoto war, er bewegte sich keinen Millimeter oder verzog nur eine Miene. Es unterschied ihn nicht viel von seinem heutigen Aussehen; er trug eine Schuluniform mit schwarzem Jackett, nicht wie seine Schulkameraden, die Umhänge trugen, mit einer Krawatte, die vermutlich grün-silber gewesen sein musste (es war eine schwarz-weiß Aufnahme), sein Haar war zusammengebunden, daher konnte Luciana nur vermuten, dass seine Haare schon zu diesem Zeitpunkt relativ lang gewesen sein mussten. Neben ihm stand George Harwell, einer von Gabriels heutigen Geschäftspartnern, wenn man diese als solche bezeichnen wollte.  

    Ansonsten konnte sie niemand Bekanntes ausmachen. Beim weiteren Durchblättern wurden die einzelnen Häuser in der Reihenfolge Hufflepuff, Gryffindor, Ravenclaw und Slytherin aufgeführt, zunächst mit einem Gruppenfoto des jeweiligen Hauses und den darauffolgenden Einzelfotos der Schüler mit Namen und Geburtsdatum.

     Schnell lag das Jahrgangsbuch neben ihr auf dem Platz und das nächste auf ihrem Schoß, dieses Mal machte sie sich nicht die Mühe, das Vorwort zu überfliegen, sondern blätterte direkt weiter zu dem Gruppenfoto des gesamten Jahrgangs. Was sie dort sehen konnte, machte sie zunächst stutzig, dann verwundert und dann etwas betrübt.

     Sie hatte Snape schnell ausmachen können, zählte er doch zu einen der wenigen, die auf dem Foto nicht lächelten, lachten oder in die Kamera winkten. Er stand da, zu seiner linken und rechten weitere Slytherins, die missmutig dreinblickten und anscheinend besonders bedrohlich wirken wollten, doch das war nicht alles. Hinter ihm machten sich zwei Jungs einen Spaß daraus, hinter Snapes Rücken mit ihren Fingern Hasenohren an seinem Hinterkopf zu drapieren, wovon dieser allerdings nichts mitzubekommen schien. Der Übeltäter trug dunkles, längeres Haar, welches ihm lasziv in die Augen fiel. Er würde von vielen ihrer eigenen Schulkameradinnen als gutaussehend oder gar ‚schnuckelig’ bezeichnet werden, schloss Luciana. Neben ihm stand ein Junge, der sich über den Scherz seines Nachbarn köstlich zu amüsieren schien und dieser kam Luciana erschreckend bekannt vor. Zerstrubbeltes, dunkles Haar, schmales Gesicht … doch da fehlte irgendetwas … Luciana berührte das Buch schon fast mit ihrer Nasenspitze, um so viele Details wie möglich ausmachen zu können, bis ihr endlich ein Licht aufging. Der Typ sah aus, wie der Junge mit dem Branding auf der Stirn, Potter. Das konnte verdammt gut sein Vater sein. Wenn man das Jahr 1978 miteinbezog, ergab diese Theorie hierzu noch eine gewisse Logik. Neben diesem stand ein junges Mädchen, vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt, die sich bei dem Jungen eingehakt hatte und das Geschehen vor ihren Augen missmutig beäugte. Und neben ihr, Luciana schreckte kurz auf und entfernte sich wieder ein Stück weit von dem Foto, nur um danach wieder ihre Nase kurz vor dem Papier zu parken, entdeckte sie Remus.

     Natürlich, Remus war Engländer, wieso sollte er nicht Hogwarts besucht haben? Aber er war doch schon zu diesem Zeitpunkt ein Werwolf gewesen … seit wann durften Werwölfe in Britannien Schulen besuchen? Ein etwas untersetzter Kerl stand noch neben dem Witzbold, klein mit hellerem Haar und seltsam wässrigen Augen und schien sich von allen am meisten zu amüsieren.

     Eine Seite nach der anderen, brachten zunächst nur viele, unbekannte Gesichter zum Vorschein, bis Luciana bei den Gryffindors angelangt war. Das Mädchen neben dem Jungen mit wuscheligem Haar, entpuppte sich als Lily Evans, der Junge (Luciana konnte sich ein leichtes, rechthaberisches Grinsen nicht verkneifen), hieß tatsächlich Potter, James Potter, der Witzbold, mit Namen Sirius Black, grinste smart in die Kamera und der seltsam untersetzte Junge, mit Namen Peter Pettigrew, schien im Punkto Gesichtsmimik nicht viel hergeben zu können, denn er blickte ihr sehr nichtssagend entgegen.

     Nach Remus Lupin kamen wieder einige Seiten mit unbekannten Schulabsolventen und dann – das Gruppenfoto der Slytherins. Der Unterschied zu den vorhergegangenen Seiten war nicht von der Hand zu weisen. Die jungen Menschen, die Luciana entgegenblickten, schienen sich die größte Mühe zu geben, ernst und bedrohlich zu wirken. Niemand machte auch nur ein annähernd fröhliches Gesicht, Snape stand etwas am Rande, neben ihm zwei Schlachtschiffe, die auch einem Boxring entsprungen sein könnten. Auf der nächsten Seite konnte sie den beiden auch schon Namen zuordnen und das Ergebnis überraschte sie nicht im Geringsten. Crabbe und Goyle, die Väter der beiden Bodyguards von dem aalglatten Malfoy Jungen. Ein kurzes Schnauben, ein Umblättern und ein weiteres, sehr wohlbekanntes Gesicht. Snape, dieses Mal in einer größeren Abbildung, die mehr Details zuließ. Schon im Alter von achtzehn Jahren hatte Snapes Hautfarbe mehr Ähnlichkeit mit einer Leiche, als einem lebenden Wesen, sein pechschwarzes Haar hing ihm in fettigen Strähnen in sein kantiges Gesicht, seine Lippen waren kaum merklich gespitzt und seine stechend schwarzen Augen fixierten scheinbar die ihren. Diesen ‚wer-schaut-zuerst-weg-Kampf-‚ konnte sie unmöglich gewinnen und nach einigen Minuten, in denen der junge Snape sie wie hypnotisierend anstarrte, knallte sie mit einem Mal das Buch zu.

     Es dauerte eine Weile, bis wieder Leben in ihr Körper kam. Einen Blick auf ihre Uhr, zwei Uhr fünfzehn. Genau der richtige Zeitpunkt für einen kleinen Abendspaziergang. Nachdem sie die beiden Bücher und ihre Tasche in ihrem Zimmer verstaut hatte, verließ sie, bewaffnet mit ihrem Zauberstab und einer Schachtel Lucky Strike, den Gemeinschaftsraum und betrat die dunklen, kalten Gänge von Hogwarts. Bis auf ein paar Fackeln, die hier und da an den Wänden angebracht waren, herrschte Dunkelheit und Totenstille. Die leichte Gänsehaut, die ihre Arme überzog, war bei dieser Umgebung schon vorprogrammiert. Zielstrebig lief Luciana durch die Schlossflügel, bog mal recht, mal links ab, begegnete ein zwei Geistern, die sie anscheinend nicht einmal wahrnahmen, dann noch eine Treppe, eine Abbiegung und sie war an ihrem Ziel angelangt: Die Doppelflügeltür der Schulbibliothek.

     „So.“

     Mit einem erschreckten Aufschrei wirbelte Luciana um und blickte in genau jene, tiefschwarze Augen, die sie noch vor wenigen Minuten fasziniert angestarrt hatte. Diesmal sah sie sich dem voll ausgewachsenen, weitaus mehr beängstigenden Snape gegenüber, der kalt auf sie hinabschaute. Seine Augen funkelten siegessicher und er ging zu seinen nächsten Worten über.

     „Ich hatte dem Direktor gleich gesagt, dass eine zweite Chance für Sie“, er musterte sie abschätzend von oben bis unten, „eine zu viel sein würde.“

     Luciana sagte nichts dazu, was hätte sie auch schon erwidern sollen?

     „Mitkommen, Miss Bradley.“

     Snape legte, wie schon vor einigen Wochen zuvor in der Nokturngasse, ein unmenschliches Tempo vor und so dauerte es auch nicht sehr lange, bis sie in den Kerkern angelangt waren. Eine Tür nach dem Zaubertränkeklassenraum blieb er stehen, öffnete diese und forderte sie auf einzutreten. Ein lautes Knallen, mit dem Snape die Tür hinter ihr ins Schloss fallen ließ und schon rauschte er, ganz in der übergroßen Fledermaus Manie, an ihr vorbei und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Luciana setzte sich (ungefragt) in einen der beiden Stühle vor Snapes Tisch und schlug ihre Beine übereinander. Snape nahm dies mit einer hochgezogenen Augenbraue hin.

     „Sie sind heute einem Schulverweis entgangen und haben nichts Besseres im Sinn, als mitten in der Nacht durch das Schloss zu streifen, Miss Bradley?“

     Luciana nutzte die kurze Ansprache, um sich im Büro etwas genauer umzusehen. Hinter Snape und auch neben ihm, standen Regale, vollgepackt mit Reagenzgläsern und farblosen Gefäßen, die allesamt eingelegte Zaubertrankzutaten beinhalteten – was so viel hieß wie: Sie waren vollgestopft mit kleinem Getier, Würmern, Larven, Insekten und vereinzelt ein paar Pflanzen, die sie von ihrer Position aus nicht genau zuordnen konnte.

     „Nun, weswegen sind Sie der Meinung sich, wieder einmal, über die Schulregeln hinwegsetzen zu können, Miss Bradley?“, schnarrte Snape in einem gefährlichen Tonfall. Leider hatte Luciana nur die letzten Worte mitbekommen, da ihre Aufmerksamkeit von einem ganz besonders interessant aussehenden Tier im Einmachglas in Anspruch genommen worden war. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als ihren Professor mit großen Augen und verwirrtem Blick anzusehen, mit einem leisen „Wie bitte?“ auf den Lippen. Einen Moment herrschte Stille, in der Snapes Gesichtsausdruck von gefährlich in fast schon mörderisch umschwenkte.

     Die nächsten Worte presste er zwischen seinen Zähnen hervor: „Was haben Sie, weit nach der Ausgangsperre, vor den Türen der Bibliothek zu suchen? Um es so auszudrücken, dass selbst Sie es verstehen.“

     Sie schluckte ihren Ärger runter, lehnte sich in dem Stuhl zurück und betrachtete nachdenklich die Person vor sich. Wahrheit oder Lüge? Es hätte wahrscheinlich nicht viel Sinn, Professor Snape anzulügen, denn leider machte er, von seinen weitaus weniger sympathischen Eigenschaften abgesehen, einen viel zu intelligenten Eindruck.

     „Nachdem hier so viele über einen gewissen Lord Voldemort-“

     „Nennen“, Snape war aufgesprungen und bohrte seine wutentbrannten Augen in ihre, „Sie den Dunklen Lord nicht bei seinem Namen!“

     Luciana war bei seinen, fast schon geschrienen Worten, samt Stuhl ein halben Meter nach hinten gewichen und starrte Snape fassungslos an. Da stand ja schon fast Angst in seinen Augen (irgendwo zwischen dem kalten Schwarz).

     „Ehm …“, begann sie dann, mit aller Vorsicht, „ … auf jeden Fall … wo war ich? Ach ja, es wird über ihn geredet und ich habe noch nie zuvor etwas über Vol- den Dunklen Lord, gehört. Heute Nacht konnte ich deswegen nicht schlafen und da habe ich es … für eine gute Idee gehalten, mir in der Bibliothek Informationen über … den Dunklen Lord zu verschaffen, Sir.“

     Snape hatte sich inzwischen wieder hingesetzt. Mit einem Arm auf die Lehne gestützt, rieb er sich mit einer Hand über Kinn und Mund, als müsse er scharf über ihre Worte nachdenken. Momentan war Luciana fast sicher, er würde sie so oder so an Dumbledore verpetzen. Eigentlich grenzte es an einem schieren Wunder, dass sie sich gerade noch in Snapes Büro und nicht in dem des Schulleiters aufhielten.

     „Sie haben es für eine gute Idee gehalten“, wiederholte Snape mit skeptischem Tonfall ihre Worte und schaute sie durchdringend an. Luciana nickte etwas unsicher.

     „Und Sie hatten natürlich keinerlei Möglichkeit, einen Ihrer Klassenkameraden um Auskunft zu bitten?“, fragte Snape.

     „Ich … ich verstehe mich nicht besonders mit meinen … Klassenkameraden, Sir.“

     Wieder längere Zeit Stille, in der er sie unentwegt anschaute, als müsse er ihre Worte Buchstabe für Buchstabe verinnerlichen. Dann stand er auf, machte ihr mit einer kleinen Geste seiner rechten Hand klar, an Ort und Stelle zu bleiben und verschwand darauf in einer Tür, die sich an der Wand hinter seinem Schreibtisch befand und zwischen zwei Regalen eingelassen war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Luciana diese gar nicht bemerkt und nach etwa einer Minute siegte fast ihre Neugierde. Snape hatte die Tür einen Spalt aufgelassen und es würde ja nicht schaden, wenn sie einen klitzekleinen Blick hinein – und da erschien Snape auch schon wieder im Raum. Die Tür fiel geräuschvoll ins Schloss, er setzte sich an seinen Platz und knallte dann ein ziemlich dickes Buch auf den Schreibtisch, direkt vor ihre Nase.

     Luciana sah Professor Snape fragend an, dieser nickte kurz in die Richtung des Buches. Langsam zog sie den Stuhl wieder in Richtung Schreibtisch, beugte sich ein wenig über die Holzplatte und las den Titel, der auf dem dunkelbraunen Ledereinband eingelassen war: ‚Zaubergeschichte der Neuzeit – von Bathilda Bagshot’

     „Das wird ihre Fragen beantworten.“

     Luciana sah Snape verblüfft an.

     „D-danke.“

     „Sie werden mir dieses Buch unbeschadet, unverzüglich und unaufgefordert wiedergeben, haben Sie verstanden?“

     Luciana nickte.

     „Gut.“ Snape machte Anstalten sich zu erheben.

     „Ehm, Professor Snape … wegen gestern Morgen, ich hatte noch nicht die Gelegenheit mich dafür zu entsch-“

     „Genug! Ich will darüber nichts mehr hören!“

     Sein Blick war plötzlich nicht mehr neutral, sondern gereizt. Bravo. Hätte sie mal ihre Klappe gehalten.

     „Sie können gehen, ohne Umwege, sofort in Ihren Turm, Miss Bradley!“

     Sie nickte abermals, stand auf, nahm vorsichtig das Buch vom Tisch, um ihm bloß nicht das Gefühl zu geben, es falsch zu behandeln und wandte sich Richtung Ausgang. Bevor sie jedoch durch die Tür gehen konnte, hörte sie nochmals Snapes Stimme.

     „Und zwanzig Punkte Abzug von Gryffindor, wegen nächtlichem Herumstreunen.“

 

 

 

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ai-lila
2014-09-11T23:34:48+00:00 12.09.2014 01:34
Hi~~

Kurz und bündig... Snape sollte man nicht als Feind haben. Nöööö das bringt nur Verdruß.

lg ai


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