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Der Sensemann und seine Erlebnisse

von

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Es ist eine ziemlich stürmische Nacht. Die riesigen Bäume im Park rauschen laut und können ihre Blätter nicht halten, die zu tausenden auf den Boden fallen. Auf der Straße fliegen mir Zeitungsfetzen und weggeworfene Pappbecher entgegen. Die Häuser wirken erschreckend, so groß und düster, aber auch verfallen und alt. Alles in allem, ein Viertel das Menschen um diese Zeit versuchen zu meiden.

Doch ich bin kein Mensch.

Ich bin der Sensemann und ich habe einen Job zu erledigen.( Ein beeindruckender Anfang, nicht wahr?)

Normalerweise habe ich ja nichts gegen ein bisschen Regen, aber das es jedesmal zu schütten anfängt wenn ich unterwegs bin halt ich doch für ziemlich nervig. Na ja, gleich bin ich ja im Warmen.

Doch vorher komme ich noch an einem Zeitungsstand vorbei und da ich ein wenig über der Zeit liege, überfliege ich kurz die einzelnen Schlagzeilen.

"SENSATION! WISSENSCHAFTLER VERMUTEN: IN 50 JAHREN SCHON KÖNNTEN WIR ALLE UNSTERBLICH WERDEN!"

Ja, sicher. Glaubt mir Leute, in 50 Jahren werdet ihr froh sein zu sterben.

"FLUGZEUGABSTURZ IMMER NOCH UNGEKLÄRT!"

Oh, ich erinnere mich. War ne ziemliche Plackerei die ganzen Opfer alphabetisch zu ordnen und sie dann einzelnd zum Boß zu bringen. Der Pilot gestand mir übrigens, daß er am Steuer einschlief. Natürlich habe ich den anderen nichts gesagt.

"GEISTESKRANKER IMMER NOCH AUF DER FLUCHT!"

Nur keine Panik! Laut meiner Liste ist der Kerl morgen fällig. Um 20.34 Uhr wird er sich im Park aufhängen und dann habe ich ihn am Hals. Hehehehe....aufhängen-am Hals haben. Manchmal erstaunen mich meine Wortspiele

Ansonsten steht in der Zeitung wie üblich nur unwichtiges und ich ziehe weiter.

Auf meiner Liste steht eine gewisse Mary Jenings.

Sie wird um genau 3.34 Uhr dank einem Hirnschlag in ihrer Wohnung ihrer Seele freien Lauf lassen und dem Körper ewige Ruhe schenken.

Das Haus das ich nun betrete stinkt widerlich nach Urin und Erbrochenem. Mir bleibt halt nichts erspart. Langsam steige ich die Treppe rauf, bis in den 3. Stock.

Ich höre einen Hund bellen. Schreckliche Tiere. Zum Glück, brauche ich solche Bestien nicht mitzunehmen, die finden den Weg in's Jenseits auch allein.

Es klingt vielleicht bescheuert, aber ich habe sogar panische Angst vor diesen Viechern!

Immerhin bestehe ich ja nur aus Knochen und wäre für diese Bestien ein gefundenes Fressen. Ich würde sicher einiges an Schrecken verlieren wenn die Menschen wüßten das man mich mit einem harmlosen Dackel jagen kann.

Aber wie gesagt, nicht mein Job.

Ich betrete nun Mary's Appartement.

Sie ist noch nicht hier.

Ich nutze die Zeit und sehe mich ein wenig in dieser kleinen aber doch recht gemütlichen Wohnung um. Im Wohnzimmer steht ein in die Jahre gekommener Sessel, dessen Farbe überdeckt ist mit Kaffee, Ketchup und allen möglichen anderen Flecken. An der Wand steht eine große Holzkiste auf dem der viel kleinere Fernseher genug Platz hat. Vor dem Sessel steht ein runder Tisch, auf dem jede Menge Zeitungen und leere Dosen mit Babynahrung liegen.

Alle Zeitungen sind auf den Seiten mit den Stellenangeboten aufgeschlagen.

Arbeitslos, hmm?

Dieses Problem ist mir mehr als fremd.

Ich gehe in's nächste Zimmer und sehe den Grund für die leeren Breidosen.

In einem dürftig zusammengebautem Laufstall liegt ein kleines Bündel Leben das mich mit seinem jungen, frischen Gesicht anlächelt.

Ja, ja Kleiner.

Noch lächelst du. Aber warte bis wir uns in 60 oder 70 Jahren wiedersehen. Es sei denn natürlich, die Wissenschaftler halten in 50 Jahren Wort, dann bist du fein raus.

Das junge Ding versucht nach meinen Knochenfingern zu greifen.

Als Sensemann ist es ja eigentlich nicht üblich solche Emotionen zu zeigen, aber irgendwie ist diese Situation schon putzig.

Ich meine, stellen sie sich vor, ein Baby hält zum Einschlafen die Hand des Todesboten. Viele Philosophen und Dichter würden in diese Szenen jetzt unendlich viel hinein interpretieren, aber ich finde es einfach nur rührend.

Ich hoffe aber nicht das der Kleine meinen Finger als eine Art Ersatzschnuller betrachtet, das wäre mir doch ein wenig peinlich.

Auf einmal höre ich, wie sich die Haustür öffnet.

Mary ist da.

Na schön, genug mit den Gefühlsausbrüchen. Jetzt wird erstmal der Job erledigt.

Leise betrete ich die Küche.

Mary packt gerade die Einkäufe aus und sieht mehr als gestreßt aus. Das dürfte für sie bald kein Problem mehr sein.

Vorsichtig und ganz langsam strecke ich die Hand nach ihr aus um sie anzutippen. Schließlich will ich nicht unhöflich sein und mich ihr erst mal vorstellen.

Doch gerade in dem Moment dreht sie sich um und sieht mir direkt in die Augenhöhlen.

Ich kann ihnen sagen, schon viele haben bei meinem Anblick geschrien, auch Männer, aber dieser Schrei ging mir durch alle Knochen. Vor Schreck ließ ich sogar die Sense fallen.

" Wer sind sie? Was wollen sie?" fragt sie mit zitternder Stimme.

Bevor ich auch nur den Mund aufmache redet sie weiter.

" Sie sind dieser Geisterkranke, habe ich recht? Ich habe die Zeitung gelesen."

Nachdem ich wieder meine Sense aufgehoben habe, versuche ich nochmal das Wort zu ergreifen.

"Nun...ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für sie. Was wollen sie zuerst hören?"

Keine Antwort. Sie beginnt zu schluchzen.

Schön, mein Auftreten läßt die Leute nicht gerade anfangen zu strahlen, aber das sie immer in Tränen ausbrechen und jammern macht mich krank.

Trotzdem versuche ich mit einer sanften Stimme zu sprechen.

" Also, die Gute: Ich bin kein geisteskranker Massenmörder."

Scheint sie nicht sonderlich zu beruhigen.

"Die Schlechte: Sterben werden sie trotzdem."

Das war jetzt zwar nicht sehr schonend, aber ich bin nun mal sehr direkt. Mary steht kurz vor einer Ohnmacht und setzt sich hin.

"Warum? Wer sind sie denn?" flüstert sie schluchzend.

" Ich bin der Tod, Mary. Es ist mein Job die Verstorbenden abzuholen."

" Aber....ich bin doch noch gar nicht tot."

" Ich weiß, ich bin ein bißchen zu früh dran, aber momentan gab es nicht viel zu tun, also bin ich jetzt schon hier. Entschuldigung das ich sie erschreckt habe, aber das ist nun mal mein Aussehen."

" Ich kann jetzt nicht sterben!"

" Nein, ihnen bleiben ja noch 5 Minuten. Nehmen sie noch schnell Abschied von ihrem Kind."

" Das ist es ja! Ich kann Sid doch nicht allein lassen!"

" Keine Sorge. Soviel ich weiß, ist er erst viel später fällig. Da kann ich sie beruhigen."

Sie hält die Hände vors Gesicht und beginnt zu weinen.

" Ich will noch nicht sterben. Nicht jetzt."

Oh Mann. Wenn ich jedes Mal einen freien Tag bekommen wurde wenn ich diesen Satz höre, bräuchte ich eigentlich nie wieder zu arbeiten.

"Mary! Es ist ja nicht persönlich gemeint. Aber ich kann sie nicht verschonen. Ich bin nur dazu da, sie in das Geisterreich zu führen."

Sie erhebt sich und blickt mich mit ihren verweinten Augen traurig an.

Warum machen Frauen sowas???

Jedesmal wenn mich schöne Augen traurig anstarren wäre ich kurz davor zu sagen: "Keine Sorge Baby, ich bin ja bei dir." Aber ich glaube das ist auch der Grund warum sie mich traurig anstarren.

" Es lief momentan soo gut. Ich habe einen gut bezahlten Job gefunden und jemanden kennengelernt. Warum jetzt?"

" Weil ihr Lebenssand bald aufhört zu rieseln."

" Was?"

" Jeder Mensch hat bei mir als Symbol seines Lebens eine Sanduhr und jedesmal wenn der Sand komplett in die untere Hälfte der Uhr gerieselt ist, ist das Leben vorbei. Bei dem einen rieselt der Sand schneller und bei den anderen langsamer und ihrer...."

" Wie sterbe ich?"

" An einem Hirnschlag und zwar in genau .."

Verflucht! Wo ist ihre Sanduhr?

" Wann sterbe ich?"

" Einen Moment noch."

Wo ist sie bloß? Das ist mir mehr als peinlich. Sowas ist mir ja noch nie passiert. Hektisch durchsuche ich meinen langen Mantel und schaue mich nach allen Seiten um. Normalerweise gehe ich eigentlich nicht so unvorsichtig mit dem Leben anderer um.

Das Kinderzimmer!

Schnell eile ich zum Laufstall des kleinen Sid. Mary versteht gar nichts mehr und blickt mir verwirrt nach.

Hastig nehme ich dem Kleinen die Uhr aus der Hand.

Frech schaut er mich an und greift nach seinem neuen Spielzeug.

" Nein, Sid. Das ist nichts für dich."

Ich strecke meinen Arm in die Luft damit er es nicht erreichen kann.

Er fängt an zu schreien.

" Nun hör schon auf Kleiner! Das ist doch nicht dein Leben!"

Ich schnapp mir vom Boden eine Rassel und drück sie ihm in die Hand.

" Na? Ist das nicht viel hübscher als so eine blöde Sanduhr?"

Sid scheint der gleichen Ansicht zu sein und fängt wieder an zu lächeln.

Braver Junge.

Schnell haste ich in die Küche zurück um endlich für Klarheit zu sorgen.

" Also, Mary, ihre Zeit verrinnt in genau....Halt!"

Ich betrachte die Uhr ganz genau und bin entsetzt.

Mary scheint immer verwirrter.

" Was ist hier überhaupt los?" schreit sie hysterisch.

Das kann doch gar nicht sein. Eigentlich müßte es längst passiert sein, aber nach der Sanduhr hat sie noch über 30 Jahre.

Der kleine Strolch hat die Uhr umgedreht!

" Bitte, sagen sie mir was los ist." wimmert sie.

Ich packe die Sanduhr wieder ein und drehe mich zu ihr rum.

" Es......war ein Irrtum. Ich bin zu früh dran. Viel zu früh." stammele ich.

Ich sehe wie sie mich fragend anblickt.

" Ihnen zu sagen, wann es soweit ist, wäre unvernünftig. Genießen sie ihr Leben und sehen sie ihren Sohn heranwachsen. Wir sehen uns ein andermal wieder."

Bevor sie noch was sagen kann, verlasse ich die Wohnung und fange an zu schmunzeln ( soweit es meine Mimik zulässt).

Sie öffnet noch schnell die Tür und schaut sich um.

Sehen kann sie mich nicht mehr, denn ihre Welt habe ich schon längst verlassen und wandere in Richtung Heimat.

Aus diesem Sid wird noch ein sehr cleverer Bursche. Mary wird niemandem davon erzählen. Wer würde ihr glauben?



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