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Longing

von

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Titius war heute schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, wie es seine Gewohnheit war. Im-

merhin hatte er als oberster Diener und engster Vertrauter des Königs auch immer reichlich zu

tun. Aber heute fiel es ihm schwer, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Er hatte in der

Nacht kaum ein Auge zugemacht und noch immer drehten sich seine Gedanken im Kreis.

Er hatte gerade ein paar Anweisungen an die Bediensteten gegeben und war nun dabei, die

neuesten Berichte über die Drachenzucht durchzugehen, die eigens für Drachenritter des

Schlosses durchgeführt wurden, als es an der Tür zu seinem Arbeitszimmer klopfte. Nachdem

er bestätigt hatte, öffnete sich die Tür und die Gestalt von Hilda erschien.
 

Sie trug ihre wallenden blonden Locken zu einem lockeren Zopf gebunden, aus dem einzelne

Strähnen frei herausfielen und ihre Gestalt umrahmten. Sie trug eine hellgrüne, weitgeschnit-

tene Robe, die die Wölbung an ihrem Bauch jedoch kaum verdeckte. Mit einem Lächeln auf

den Lippen trat sie ein und sah Titius fröhlich an.

"Na, gibt es wieder viel zu tun, Titius?"
 

Der angesprochene sah auf und setzte eine tadelnde Miene auf.

"Aber Lady Hilda, ihr sollt euch doch ausruhen. Es ist nicht gut für euch, wenn ihr in eurem

Zustand ständig durch die Gegend lauft. Ihr seid kaum besser als eure Tochter." Titius Stim-

me klang zu sanft, als das Hilda sich wirklich von ihm getadelt fühlte.
 

"Einfach nur rumzusitzen oder zu liegen ist auch nicht gesund. Nur weil ich schwanger bin,

müsst ihr mich nicht alle wie ein rohes Ei behandeln. Die erste Geburt habe ich immerhin

auch überlebt. Aber wo du gerade von Sherril sprichst, sie hatte heute morgen die fixe Idee,

dass sie unseren ,Gast' doch unbedingt kennen lernen müsste. Bei all der Aufregung im

Schloss ist ihr natürlich nicht entgangen, was heute Nacht passiert ist, du kennst sie ja. Nun,

ich habe es ihr natürlich ausgeredet und Laures hat es ihr sogar verboten, aber dass hat sie

offenbar nicht davon abgehalten, heute früh direkt in Zadeis Zimmer zu spazieren."
 

Titius, der gerade Hilda seinen Arm angeboten hatte und die Hochschwangere zu einem Ses-

sel geleitete, sah sie entsetzt an. "Und, ist ihr was passiert?!"
 

"Nein, sie ist noch an einem Stück. Nicht nur das, sie sagt, sie hätte sich gut unterhalten und

Zadei sei ,witzig'," erwiderte sie.

Titius seufzte. "Uff, wenn sie sich einmal was in den Kopf gesetzt hat, ist sie nicht mehr da-

von abzubringen! Sie ist viel zu arglos."

"Na, ich mache mir keine allzu großen Sorgen deswegen. Sherril hat eine besondere Art, auf

andere zuzugehen. Außerdem, wenn Laures ernsthaft in Erwägung ziehen würde, dass Zadei

sich nicht an die Abmachung hält, dann würde er ihn nicht auf zehn Meilen in unsere Nähe

lassen. Er weiß genau, was er tut und ich vertraue auf sein Gespür.

Aber der eigentliche Grund dafür, dass ich gekommen bin, ist, weil ich sehen wollte, wie es

dir geht." Hilda rückte sich im Sessel solange zurecht, bis sie einigermaßen bequem saß. Oh

Gott, würde sie froh sein, wenn das Baby endlich auf der Welt war. War Sherril damals auch

so schwer gewesen? Sie versucht sich zu erinnern, es lag immerhin schon etwa sechs Jahre

zurück.
 

Sie war sich sicher, dass Kind war direkt in der ersten gemeinsamen Nacht mit Laures ge-

zeugt worden, die sie mit ihm verbracht hatte. Denn kurz nachdem der Kampf zwischen ihm

und Zadei beendet war und ihr Geliebter zu ihr zurückgekehrt war, um sie zu sich in die Dä-

monenwelt mitzunehmen, hatte sie die Schwangerschaft bemerkt. Seitdem lebte sie jetzt hier

unten. Laures hatte den Kampf nicht nur überlebt, er war durch die Kraft, die er freigesetzt

hatte, sogar noch stärker geworden. Deswegen kostete es ihn kaum noch Mühe, die Luft um

sie herum reinzuhalten. Außerdem hatten die Ärzte festgestellt, dass sie sich im Laufe der

Jahre sogar immer mehr anpasste. Für Sherril war das sowieso kein Problem, sie war ja Halb-

dämonin. Genauso wie das Kind, dass sie jetzt unter dem Herzen trug. Diesmal würde es ein

Junge werden, da war sie sich sicher.
 

"Wie soll es mir gehen? Wie immer natürlich," antwortete der Angesprochene trocken.
 

"Na, und dass Zadei quasi von den Toten auferstanden ist, tangiert dich gar nicht, wie? Du

hast schon mit ihm geredet, meinte Laures. Welchen Eindruck hattest du von ihm? Hat er sich

geändert?"
 

"Was fragt ihr mich das? Weiß ich denn mehr über ihn als ihr alle?" fragte Titius nachdenk-

lich, mit tonloser Stimme.

"Ja, ich denke, du kennst ihn besser als wir alle zusammen. Du musst doch irgendetwas dazu

denken," beharrte die junge Frau weiter. Titius sah sie daraufhin nur traurig an und wandte

sich dann ab, als er mit leiser Stimme sagte: "Zadei wird sich nie ändern. Es war dumm, dies

anzunehmen."

"War es wirklich so dumm? Zadei ist gerade erst erwacht, wie kannst du es da wissen?" frag-

te sie mit sanfter Stimme. Titius drehte sich wieder etwas zu ihr.
 

Hilda war immer noch bildschön. Ja, selbst jetzt, während der Schwangerschaft wirkte sie

unglaublich grazil und anmutig. Die Luft hier unten hatte irgendeine komische Wirkung auf

sie, sie war in den letzten Jahren kaum gealtert. Aber reifer war sie geworden. Das lag ver-

mutlich daran, dass sie nun Mutter war. Und sie liebte Laures noch immer von ganzem Her-

zen, genauso wie er sie. Dazu musste man nur kurz in ihre sanften hellen Augen schauen, sie

sprachen Bände.

Am Anfang hatte er sie damals dafür gehasst, aber jetzt... ja, jetzt war alles anders. Seit er

damals von Laures aus der Eiswüste gerettet worden war, hatte sich sein Verhältnis zu ihr

geändert. Sie hatten viel Zeit hier in diesem Schloss miteinander verbracht und Titius hatte

den Eindruck, dass sie ihn recht gut verstand. Sie hatte als erste die Veränderung in ihm be-

merkt, die sich durch die Gefangenschaft im ewigen Eis in ihm vollzogen hatte.
 

"Ich habe ihn gestern Nacht gesehen, habe in seine Augen gesehen. Er wird sich vielleicht an

die Abmachung mit Laures-sama halten, aber er hat sich nicht geändert." Er erinnerte sich an

die Szene gestern im Salon. An Zadei, wie er ihn brutal packte, an seine Augen, die wieder

Funken sprühten, an seine letzten Worte.
 

"Ein Mensch - oder ein Dämon - ändert sich auch nicht, in dem er einfach sieben Jahre lang

schläft. Es sind die Menschen um uns herum, die Veränderungen in uns hervorrufen. Du

*hast* dich verändert, aber auch das geschah nicht von allein, nicht wahr? " Erstaunt drehte

Titius sich zu Hilda um. Diese Frau schaffte es immer wieder, die richtigen Worte zu finden.

Sie hatte recht mit dem, was sie sagte. Und es stimmte, er selber war schon lange nicht mehr

derselbe wie zu der Zeit, als Zadei für ihn noch nicht existiert hatte. Aber die Frage war, zu

welchem Preis diese Veränderung vonstatten gegangen war...
 

"Wir werden sehen, ob ihr recht habt, Lady Hilda. Ich für meinen Teil, werde mich aus der

Sache raushalten, so gut es geht. Ich habe mit diesem Mann nichts mehr zu tun, es gibt nichts,

was mich mit ihm verbindet."
 

Seufzend erhob Hilda sich von ihrem Sessel. "So ist es wohl, die Zeit wird es zeigen." Sie

wusste genau, dass Titus' Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Er würde es allerdings nie-

mals zugeben, er gestand es sich ja noch nicht einmal selber ein. Aber auch das war verständ-

lich. Titius hatte zu viel gelitten, seine Seele hatte Risse bekommen. Diese Bruchstücke konn-

te man manchmal sehen, wenn man ihm tief Augen sah. Sie fragte sich, wenn Zadei Titius

wirklich so sehr liebte, warum war ihm das denn nicht aufgefallen? Oder wusste er einfach

nur nicht, damit umzugehen?

Titius tat ihr leid. In den letzten Jahren hatte er ihr oft zur Seite gestanden, sie konnte sich

immer auf ihn verlassen. Ohne dass sie ihn je darum gebeten hatte, erfüllte er seine Pflicht als

Diener und Vertrauter auch ihr gegenüber. Und im Laufe der Zeit hatte sie begonnen, ihn

wirklich zu mögen.
 

Ohne das ein weiteres Wort zu diesem Thema zwischen ihnen fiel, geleitete Titius sie ihn ihre

Gemächer. Es war ja auch alles gesagt und Hilda bohrte nicht weiter. Die Zeit würde zeigen,

was geschehen würde...
 


 

***************
 

Es war bereits Nachmittag, als Zadei seine Unterredung mit Laures beendet hatte. Nachdenk-

lich schritt er einen langen Säulengang entlang, zu dessen linker Seite sich die Gartenanlage

befand, die anscheinend extra für Hilda angelegt worden war. Zumindest konnte Zadei sich

nicht daran erinnern, das Gelände zuvor schon mal gesehen zu haben. Es war reichlich be-

pflanzt und recht weitläufig und mitten drin befand sich ein See. Gedankenverloren hielt er

innen und ließ seinen Blick darüber schweifen.
 

Laures hatte ihm mitgeteilt, dass er vorhatte, Zadei das Kommando der Drachenkompanie zu

übertragen. Eine sehr arbeitsreiche und nicht ganz leicht Aufgabe, denn sie beinhaltete nicht

nur das Training und die Ausbildung der Drachenritter sondern auch dass Aufziehen, Einfan-

gen und Zähmen der Drachen. Für Laures Position war diese Aufgabe einfach zu zeitraubend,

er benötigte eine rechte Hand in dieser Sache und Zadei eignete sich am besten für diese Auf-

gabe. Denn wie auch immer sein Charakter aussah, keiner konnte bestreiten, dass er ein fähi-

ger Feldherr und ein großartiger Kämpfer war.
 

Vielleicht war es ja gar keine so schlechte Idee, dachte Zadei bei sich. So hatte er zumindest

eine ernsthafte Aufgabe. Das würde ihm wahrscheinlich etwas Ablenkung verschaffen und es

war gleichzeitig eine Herausforderung.

So sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er unheimlich erschrak, als plötzlich

etwas an

seinem Mantel zog. Verwirrt blickte er nach unten und sah direkt in zwei große Kulleraugen,

die ihn fröhlich anblickten.
 

"Hallo, Onkel Zadei! Stimmt es, dass du jetzt die Drachenkompanie leitest?"

Genau, jetzt wusste er es! Die Kleine war die Personifikation der geballten Hass- und Rache-

gefühle aller Wesen, die er jemals in seinem Leben getötet hatte! Sie hatten ihm einen Fluch

in der unscheinbaren Gestalt eines kleinen Mädchens geschickt!

Zadei schlug sich mit der Hand vor die Stirn und knurrte etwas von:

"Woher weißt du das jetzt schon wieder?"
 

"Ach, ich hörte, dass du zu meinem Vater gerufen wurdest und da..."

"...da bist du deiner Kinderfrau wieder entwischt und hast gelauscht," vollendete Zadei den

Satz. Es fiel ihm nicht schwer, die Gedankengänge von Sherril nachzuvollziehen, vielleicht,

weil sie seinen eigenen vom Prinzip her nicht unähnlich waren?
 

"Na ja, gelauscht nicht direkt, aber ich habe halt gute Ohren und wenn ich halt zufällig an der

Tür vorbeikomme... Aber was ich dich fragen wollte, Onkel Zadei, ist, ob du mich mit zu den

Drachen nimmst?! Bitte!!" Die kleine setzte einen klassischen Hundeblick auf, der bei Zadei

aber statt Mitleid eher ein Gefühl von Übelkeit hervorrief.

"Erstens: nenn mich nie wieder Onkel, zweitens: nein, eher hänge ich mich mit der Zunge an

der Turmspitze auf, bevor ich dich mitnehme und drittens: VERSCHWINDE!!"
 

Zadei hatte von vorneherein dass Gefühl, dass sie sich nicht einmal davon abschrecken lassen

würde. Aber man konnte doch wohl noch hoffen?! Aber nein, als sie nun empört die Backen

aufblies, die kleinen Ärmchen verschränkte und sich zur ihrer vollen Größe aufbaute (Zadei

also nicht mal bis zur Hüfte reichte), war klar, dass er sich zu früh gefreut hatte.
 

"Dann häng dich doch mit der Zunge an der Turmspitze auf, wenn's dir Spaß macht! Aber ich

verschwinde nicht eher, bis du mir nicht versprochen hast, mich mitzunehmen und mir die

Drachen zu zeigen!" Um ihren Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen, klammerte sie sich

nun mit Armen und Beinen an seinem linken Bein fest.
 

"Lass sofort los, du kleines Monster, sonst...!"

"Du kannst mir gar nichts tun, weil mein Papa es dir nämlich verboten hat! Also sag, dass du

mich mitnimmst, biiiittöööö."

Manche Leute durften sich einfach nicht fortpflanzen, beschloss Zadei, wenn die Gefahr be-

stand, dass *so* etwas wie das Ding an seinem Bein da dabei herauskam. Obwohl, als Thron-

erbin würde sie vielleicht sogar eine gute Figur abgeben. Das Dämonenreich erwartete ein

neue Ära der Schreckensherrschaft...
 

In diesem Augenblick, hörten sie beide Schritte auf sich zukommen und Sekunden später er-

schien Titius auf dem Gang, der sich die Szene etwas verwundert ansah. Er atmete tief durch.

An solche Zufallsbegegnungen würde er sich wohl gewöhnen müssen.

Augenblicklich ließ Sherril von ihrem Eroberungsfeldzug gegen Zadeis Bein ab, welcher den

weißhaarigen Dämon aus Dankbarkeit am liebsten umarmt hätte und rannte auf Titius zu.

"Morgen Titius! Du hast mich doch nicht etwa gesucht?" zwitscherte sie fröhlich, während

Titius sich zu ihr hinunterbeugte und ihr durch die Haare strich.
 

"Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht mehr einfach so deiner Amme weglaufen? Das ist

sehr ungehörig für ein Lady und für eine Prinzessin erst recht. Was hast du nur wieder ge-

macht?" Meinte er tadelnd, jedoch mit so sanfter Stimme, dass es Zadei gleichzeitig im Herz

schmerzte.
 

"Ich habe mich nur mit Onkel Zadei unterhalten. Er will mir vielleicht die Drachen zeigen, die

er jetzt befehligt!" gab sie zuckersüß zur Antwort, während sie Titius anstrahlte. Sie liebte es,

wenn der wunderschöne Engel sie als Lady bezeichnete! Dieser hingegen richtete sich nun auf

und blickte den fassungslosen Zadei durchdringend an, als er mit trockener Stimme fragte:

"Ist das wahr? Ihr solltet wirklich wissen, Zadei-sama, dass ein Drachennest nicht gerade der

passende Ort für ein Kind ist."
 

"He-hey, Moment mal, ich habe nie gesagt, dass ich...!"
 

"Schimpf bitte nicht mit Onkel Zadei, Titius. Er ist doch so nett, es ist immer ganz lustig mit

ihm. Er hat gesagt, er wird sich mit der Zunge am Turm aufhängen, ich glaube aber nicht,

dass er das schafft," sagte sie kichernd, machte dann aber einen artigen Knicks und kündigte

an, dass sie nun freiwillig wieder zurück zu ihrer Amme gehen würde. Sie wollte ja nicht ris-

kieren, dass ihr geliebter Titius ihr böse wurde.

Einige Sekunden später war sie davon gewetzt. Die beiden Dämonen blieben allein auf dem

Flur zurück. Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Titius blaue Augen waren noch

immer auf die Stelle gerichtet, an der Sherril zuletzt gewesen war.
 

"Ich habe bestimmt nicht vor, dieses kleine Monster irgendwohin mitzunehmen. Wer lässt die

eigentlich immer aus ihrem Käfig?!" Im gleichen Moment traf ihn ein stechender Blick aus

eisblauen Augen, so dass er sich hätte ohrfeigen können, dass er nicht seine Klappe gehalten

hatte.
 

"Ihr solltet etwas mehr Respekt vor den Mitgliedern der Königsfamilie haben! Aber das war

ja noch nie eure Stärke. Da hilft es wohl auch nicht mehr viel, wenn ihr euch mit der Zunge

am Turm aufhängt... Warum sagt ihr der Kleinen so etwas überhaupt?"
 

"Nein, dass war in einem anderen Zusammenhang, ich meinte... ach, ist ja auch egal. Aber du

scheinst dich ja rührend um sie zu kümmern..."
 

"Ist das etwa ungewöhnlich? Mein Aufgabenfeld hier im Schloss ist nun mal sehr ausgedehnt.

Ich bin der Familie des Königs gegenüber ebenso verpflichtet wie dem König selber." Titius

schritt langsam auf dass Geländer der einen Seite des Säulengangs zu und blickte auf die Gar-

tenanlage, während seine Hand auf dem Geländer ruhte.
 

"Trotzdem scheint ihr euch ja außergewöhnlich gut zu verstehen. Sie sagte sogar, dass sie

dich heiraten will," meinte Zadei amüsiert, obwohl er zugeben musste, dass er allein bei dem

Gedanken schon ein wenig eifersüchtig wurde, obwohl das natürlich völlig grundlos war.

Der Dämonenengel sah ihn daraufhin von der Seite mit einer hochgezogenen Augenbraue an,

meinte aber nur: "Sherril ist nun mal etwas lebhaft, ihr fällt immer irgendetwas Neues ein.

Das legt sich bald wieder. Aber ich werde mich auch noch um sie kümmern, wenn sie wirk-

lich verheiratet ist. Ich weiche nicht von der Seite der kleinen Lady." Nun blickte er wieder

etwas gedankenverloren auf die Anlage.
 

Es war fast schon surrealistisch, dachte Zadei. Dass sie beide sich so unterhalten würden...

damit hätte er nicht gerechnet. Außerdem sah sein Engel mit einem mal so traurig aus. *Sein*

Engel?! Was wusste er eigentlich genau über ihn? Eigentlich doch so gut wie nichts! Aber er

hatte ja auch nie gefragt. Dabei interessierte es ihn ja, er wollte alles über dieses Wesen neben

ihm wissen, aber er war nicht gut in solchen Dingen. Einmal hatte er Titius dazu gekriegt,

etwas aus seiner Vergangenheit zu erzählen, aber es war so wenig gewesen, weil Zadei die-

sen Augenblick wie immer zerstört hatte.
 

Warum nur fiel ihm das erst jetzt auf? Er hatte immer alles kaputtgemacht, immer Hals über

Kopf gehandelt. Er war immer rastlos, haltlos gewesen, war immer vorangeprescht, ohne zu-

rückzublicken und ohne zu wissen, wohin er eigentlich wollte. Aber nun waren seine Grenzen

zum ersten mal festgelegt. Er durfte sich keinen Fehler mehr erlauben, sonst war es wirklich

aus. Er hatte diese Chance bekommen, sein Erwachen war wie eine Wiedergeburt gewesen.

Und er musste jetzt auch nicht mehr voranhasten, es bestand keine Notwendigkeit dazu, er

hatte Zeit... Zeit, um nachzudenken.
 

"Hat das etwas mit dem Mädchen zu tun, das sich damals das Leben nahm? Ihr Name war

auch Sherril, nicht wahr?" fragte er vorsichtig, in der Hoffnung, keinen Fehler zu machen.

Für einen Augenblick schloss Titius seine Augen. Als er sie öffnete, waren sie so voller Trau-

er, dass es Zadei allein bei deren Anblick fast das Herz brach. Allerdings hatte Titus so we-

nigstens kurz seine kühle Maske vor ihm abgelegt, was ihn gleichzeitig fast freute, auch

wenn es unfair war.
 

"Es war meine Schuld, dass sie damals sprang. Es ist, als hätte ich sie mit eigenen Händen

getötet." Während er dies mit belegter Stimme sagte, schaute er auf seine Hände, als würde er

erwarten, dort noch ihr Blut zu sehen. "Ich habe in meinem Leben viel Schuld auf mich gela-

den, aber diese war eine der größten. Und dennoch hat sie mir verziehen."
 

Zadei wusste nicht, was er sagen sollte. Diese Situation war völlig neu für ihn. Er hatte noch

nie jemanden trösten müssen. Aber was sollte er auch sagen? Eine der üblichen Phrasen? ,Es

tut mir leid' oder ,Es ist nicht deine Schuld'?! Diese Worte klangen in Zadeis Ohr so abge-

schmackt, so inhaltslos. Aber etwas anderes viel ihm nicht ein, also schwieg er erst mal und

blickte etwas hilflos umher. Doch Titius redete von alleine weiter. Es schien mehr ein Mono-

log zu sein. Registrierte er überhaupt, mit *wem* er sich da überhaupt unterhielt?!
 

"Deswegen habe ich das Gefühl, dass ich eine Chance bekommen habe, es wieder gutzuma-

chen, indem ich dafür sorge, dass der kleinen Sherril nichts zustößt. Ganz werde ich die

Schuld natürlich nie abtragen können, aber ich habe einfach das Gefühl, dass sich die alte

Sherril darüber freut, wenn sie es von dort aus sieht, wo auch immer sie jetzt ist."

So war das also. Titius glaubte also auch an eine zweite Chance! Der kleine Hoffnungs-

schimmer wurde zu einem Funken. Ob er jemals zu einem Feuer werden würde?
 

"Die kleine Sherril hat wirklich Glück, muss man sagen." Zadeis Worte rissen Titius offenbar

abrupt aus seinen Gedanken. Etwas verwirrt blickte er Zadei nun an. Irgendwie war dieser

seltsam heute. Auf diese Art kannte er ihn gar nicht. Und schon fuhr dieser fort: "Sie hat

Glück, dass sie dich hat. Wem du einmal die Treue geschworen hast, dem ist deine Loyalität

sein Leben lang gewiss, so ist es doch, nicht wahr?! Der einzige, für den das nicht gilt, bin

ich." Unverholen sprach der Sarkasmus aus Zadeis Worten.
 

Diesen Wink mit dem Zaunpfahl hatte Titius durchaus verstanden. <<Natürlich, sobald ich

denke, wir könnten uns zumindest ein wenig normal miteinander unterhalten, kommt wieder

so etwas.>> dachte er bei sich. Aber er hatte nicht vor, mit Zadei über die Vergangenheit zu

sprechen. Auch gestern war er ihm deswegen ausgewichen.

Es wäre ihm am liebsten, es könnten diese Dinge einfach aus ihrer beider Gedächtnisse ge-

löscht werden. Aber das war nun mal unmöglich.

"Ihr habt mich die Schuld für meinen Verrat an euch mehr als gründlich abzahlen lassen. Da-

mit sind wir wohl quitt und die Sache ist vom Tisch." Oh Gott, das hörte sich an, als ginge es

um irgendein Geschäft! Aber das war gut so. Er musste sich nur so kalt wie möglich geben,

dann würde auch Zadei irgendwann begreifen, dass er nicht mehr darüber reden wollte. Nicht

einmal daran denken. Wie hätte er sonst die letzten Jahre hinter sich bringen können, wenn er

die Vergangenheit nicht verdrängt hätte? Im Grunde wusste Titius selber, dass das eine

Selbstlüge war, denn die Vergangenheit holte ihn immer wieder ein. Er schauderte bei dem

Gedanken an die endlosen, kalten, grauenvollen Nächte, in denen er von Alpträumen gequält

wurde.
 

Bevor Zadei etwas erwidern konnte, stieß er sich vom Geländer ab und wandte sich zum Ge-

hen, während er das Thema rasch wechselte: "Übrigens findet in zwei Tagen die Geburtstags-

feier der kleinen Lady statt. Laures-sama hat ein großes Fest angeordnet. Nur damit ihr es

wisst..." damit verschwand Titius hinter der nächsten Ecke und ließ einen ratlosen Zadei zu-

rück.
 

Vielmehr war er sauer auf sich. Warum musste er auch diesen kurzen Moment des Friedens

zwischen ihnen beiden nur wieder zerstören? Seine letzte Bemerkung war wirklich überflüs-

sig gewesen, aber er hatte es nun mal nicht lassen können. Aber warum nur ging Titius nicht

richtig darauf ein? War er so kalt, dass er das wirklich angehackt hatte? Empfand er rein gar

nichts? Hatte er sich damals, als sie sich auf Leben und Tod gegenüberstanden, wirklich nur

eingebildet, dass er sich zumindest ein klein wenig Titius Akzeptanz erkämpft hatte?
 


 

************
 

Keine seiner Fragen hatte sich seit seinem Erwachen auch nur ansatzweise geklärt. Und auch

in den nächsten zwei Tagen tat sich absolut nichts. Titius war mit den Vorbereitungen für dass

große Fest voll ausgelastet und schließlich hatte auch Zadei seine Aufgaben. Wenn es vor-

kam, dass sie beide sich zufällig begegneten, dann kamen von Titius nur die üblichen höfli-

chen Worte, was bei Zadei jedes mal stille Frustration hervorrief. Er konnte fast von Glück

reden, dass er seine Aufgabe mit den Drachen hatte, sonst wäre er vermutlich verrückt gewor-

den
 

Am Abend vor dem Tag des großen Festes saß Zadei grummelnd in seinem Zimmer und starr-

te gelangweilt das Kristallglas in seiner Hand an, das mit blutrotem Wein gefüllt war. Lang-

sam wiegte er es in der Hand hin und her. Er hasste es, nichts zu tun zu haben. Wie eine Ant-

wort auf seine Gedanken, öffnete sich plötzlich wieder einmal seine Tür und, wie sollte es

auch anders sein, Sherril trat ein. Sie trug ein schneeweißes Nachthemd, dessen Saum über

den Boden schleifte, als sie mit nackten Füßen über den weichen Teppich schritt. Ihre Haare

waren offen und reichten ihr nun bis zur Hüfte.
 

Sich im hellen Licht des Zimmers die Augen reibend, meinte sie: "Ich kann nicht einschlafen

heute Nacht. Ich bin so aufgeregt wegen morgen." Zadei hatte mittlerweile begriffen, dass es

vollkommen sinnlos war, sie anzuschreien, wie er es anfangs probiert hatte. In den letzten

Tagen hatte die Kleine zwar ihren Plan mit der Drachenbesichtigung (vorerst) aufgegeben,

aber sie hatte trotzdem jede Menge neue Einfälle gehabt, so dass Zadei sich beinahe schon

daran gewöhnt hatte.
 

"Aha und warum kommst du dann zu mir? Geh deine Eltern oder Titius nerven," brummte er.

"Nein, Mama und Papa schimpfen mit mir und Titius will ich nicht stören," gab sie als Ant-

wort, während sie wie selbstverständlich wieder auf den riesigen Ohrensessel kletterte.

"Na toll, Titius willst du nicht stören, aber mir gehst du gerne auf den Geist, was?!" Sie sah

ihn mit großen Augen an, machte dann aber zu Zadeis Erstaunen eine ernste Miene. "Nein, so

ist es nicht. Es ist nur, weil Titius immer so wenig schläft. Man braucht doch viel Schlaf und

wenn er schon mal schläft, will ich ihn nicht noch stören."
 

Bei diesen Worten horchte er auf, wie immer, wenn es um Titius ging. "Was meinst du damit?

Wieso schläft er nicht?"

"Na ja, genau weiß ich das nicht. Aber ich glaube, er hat manchmal Alpträume. Manchmal

werde ich auch nachts wach und dann laufe ich durchs Schloss und hole mir Wasser oder was

Süßes... aber pssst!" sie legte den Finger an die Lippen, bevor sie ihren Bericht fortsetzte:

"Aber nicht Mama oder Papa sagen, ja? Jedenfalls sehe ich dann Titius ganz oft. Er steht dann

auf dem Balkon oder manchmal auch im dunklen Garten. Er sieht dann immer so traurig aus

und ich traue mich nicht, ihn anzusprechen, weil ich ja eigentlich um diese Zeit nicht wach

sein darf. Verstehst du jetzt, wenn er so schlecht schlafen kann, dann will ich ihn nicht stören,

*wenn* er denn mal schläft."
 

Sieh einer an, dachte Zadei, die Kleine kann ja richtig taktvoll sein. Genaugenommen war die

6jährige taktvoller als er es jemals in seinem Leben gewesen war. Es wurde ihm schwer um's

Herz bei dieser Erkenntnis. Er hatte soviel falsch gemacht. War er vielleicht der Grund für

Titius Alpträume? Was sonst?! Aber sein Engel würde das niemals zugeben. Er wollte ja nicht

mal über das Geschehene reden, blockte alles ab, als sei es nie geschehen.
 

Man sagt, Selbsterkenntnis sei der erste Schritt zur Besserung, nur in Zadeis Fall war er sich

nicht wirklich sicher, ob er sich überhaupt bessern konnte... da war dieses allgegenwärtige

Verlangen, dass Zadeis Körper gefangen hielt, dessen er sich nicht lossagen konnte und das

seinen Verstand einfach ausschaltete.
 

"Was ist los, Onkel Zadei? Du siehst so nachdenklich aus. Ist etwas passiert?" Dieser hatte für

einen kurzen Moment ihre Anwesenheit fast vergessen. Im gleichen Moment wunderte er

sich, dass das quirlige Mädchen offenbar auch ganz ernsthaft sein konnte. Er grinste um von

seiner Verwirrtheit abzulenken. "Du machst dir Sorgen um mich? Hm, du solltest jetzt doch

lieber ins Bett gehen. Wenn du nicht schläfst, kommst du morgen nicht raus, auch wenn mich

das nicht sonderlich stören würde," meinte er in seinem üblichen gehässigen Ton, den sie aber

wie immer überhörte.
 

Und ein weiteres mal überraschte sie ihn an diesem Abend, denn sie tat tatsächlich, was er

sagte. "Ja, vom reden bin ich müde geworden. Ich geh jetzt wieder zurück. Aber du musst

schwören, dass du meinen Eltern nicht sagst, dass ich hier war, ja?!" "Zisch ab, ich schwör

hier gar nichts."

"Dann sag ich Titius und Papa, dass es deine Idee war, mich zu den Drachen mitzunehmen,"

meinte sie plötzlich wieder im normalen, frechen Tonfall, der Zadeis Ohren wesentlich ver-

trauter war. "Ok, ich schwöre, dass ich nichts sagen werde und jetzt geh endlich."
 

"Zum schwören musst du aber die Hand he..."

"Abgang!!!"

"Iiiieeks!" machte es und verschwand mit trippelnden Schritten aus dem Zimmer. Aber im

Türrahmen drehte sie sich noch mal um. "Gute Naa-haa-cht!" Und schon war sie verschwun-

den und das Zimmer kam Zadei mit einem mal leerer vor als vorher.



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