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Schuldgefühle

2. Platz im Herbst/Winter-FF-WB 2003
von

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Der normale Beginn eines Tages

Kapitel 2 - Der normale Beginn eines Tages
 

Es war Mitte Oktober, ein Tag nach Ukyos Besuch auf dem Jahrmarkt. Noch immer zeigte sich der Herbst von seiner freundlichen Seite. Es war relativ warm, und die Sonne liess die gelbe, rote und braune Farbenpracht der herbstlichen Blätter in einem sehr angenehmen Licht erscheinen.

Es war früher Sonntagmorgen, und Ranma Saotome lag friedlich schlafend auf seiner Schlafmatte in einem der Gästezimmer der Tendos. Aber das war auch kein Kunststück. Ranma hatte einen so tiefen Schlaf, daß ein Panzerbataillon durch das Zimmer hätte fahren können, ohne ihn zu wecken. Und so fiel es seinem Vater Genma nicht im mindesten schwer, sich zum Nachtlager seines Sohnes zu begeben, ohne von ihm bemerkt zu werden.

Keine zwei Sekunden vergingen, dann wurde Ranma gepackt, und aus dem Fenster im oberen Stockwerk des Hauses geworfen. Genma sprang ohne zu zögern hinterher, und ein wilder Luftkampf, die Spezialität seiner Schule, entbrannte zwischen dem Vater und seinem innerhalb von Sekundenbruchteilen hellwachen und kampfbereiten Sohn.

Ranma mochte schlafen können, wie ein Stein, aber wenn er angegriffen wurde, konnte er von einem Augenblick zum nächsten kampfbereit sein. Andernfalls wäre er inzwischen wohl längst nicht mehr am Leben.

Mehrere Sekunden lang tauschten die beiden Kampfsportler in der Luft über dem Karpfenteich wilde Tritte und Schläge aus. Dann trennten sie sich voneinander und landeten auf sich gegenüberliegenden Seiten des Teichs. Beide Kontrahenten fielen sofort in eine niedrige Verteidigungshaltung und beobachteten ihr Gegenüber.

"Man, Pops, mir reicht's langsam." knurrte Ranma mürrisch. "Wieso lässt du mich nicht mal am Sonntag ausschlafen?"

"Ich glaube, du lässt langsam nach, Sohn." tadelte sein Vater ihn mit leichtem Kopfschütteln. "Das Leben in der Stadt hat dich wohl weich gemacht, was? Für einen echten Kampfsportler gibt es keine freien Tage. Merk dir das endlich."

Ranma hatte es satt. Mit jedem Wort, das Genma ihm an den Kopf warf, wurde er wütender.

°Wie kommt dieser alte, faule Fettsack dazu, mir solche Vorträge zu halten? Er sitzt doch den ganzen Tag rum, trinkt Sake, spielt Shogi und tut sonst gar nichts, während ich mich mit sämtlichen Verrückten hier in Nerima und diesen blöden Verlobungsgeschichten auseinandersetzen muß.°

"Jetzt reicht's, alter Mann!" unterbrach er Genmas Vortrag. Dann hob er die Fäuste und sprang hoch in die Luft.

"Wie du willst, Sohn." murmelte Genma, die Herausforderung annehmend, und sprang ebenfalls.
 

Nur Augenblicke später ereignete sich dasselbe wie jeden Morgen. In letzter Zeit hatte Ranma begonnen, seinen Vater langsam aber sicher zu überflügeln, und so war es meist Genma, der zuerst bei den Fischen landete, und als Panda wieder auftauchte. Da er jedoch ein schlechter Verlierer war, wandte er danach meist irgendeinen schmutzigen Trick an, um Ranma ebenfalls in den Teich zu befördern.

"Verdammt, ich hab die Nase voll von deinen Tricks!" tobte Ranma-chan aufgebracht.

Bebend vor Zorn stapfte das durchnässte, rothaarige Mädchen aus dem Teich und ins Haus. Als Junge hatte Ranma nur Boxershorts getragen, und im Moment fühlte er sich eindeutig unterbekleidet. Vor allem, weil beim Morgentraining Nabiki mit ihrem Fotoapparat nie weit entfernt war.

Im Haus machte Ranma-chan sich sofort auf den Weg in die Küche, wo Kasumi Tendo bereits mit einem Kessel voll heissem Wasser auf ihn wartete.

"Guten Morgen, Ranma-kun." begrüßte sie ihn lächelnd und reichte ihm den Kessel.

"Guten Morgen, Kasumi." entgegnete er, nachdem er wieder ein Er war. "Danke für das Wasser."

"Gern geschehen. Wie immer." Die älteste Tochter Soun Tendos lächelte warmherzig, wie eigentlich immer, und wandte sich wieder der Miso-Suppe zu, die sie gerade zubereitete.
 

Wenig später saß Ranma neben seinem ebenfalls zurückverwandelten Vater und verteidigte sein Frühstück gegen dessen Versuche, es ihm wegzuessen, während er gleichzeitig versuchte, sich am Mahl seines Vaters zu bedienen. Aber das war ja nichts Neues im Tendohaushalt.

"Ich bin übrigens heute abend nicht zu Hause." verkündete Kasumi plötzlich. "Eine Bekannte hat mich zu einem Kinobesuch eingeladen."

Nabiki reagierte wie üblich am Schnellsten auf diese Ankündigung.

"Ich bin heute abend auch nicht da." entgegnete sie hastig, weniger als eine halbe Sekunde nachdem Kasumi gesprochen hatte. Die anderen Anwesenden brauchten natürlich wesentlich länger, um diese Information korrekt zu verarbeiten.

Schlagartig stoppte das Duell der beiden Saotomes mitten in der Bewegung. Pures Grauen stand in ihren Gesichtern.

Kasumis Vater Soun nickte kauend, seiner ältesten Tochter damit die Erlaubnis gebend, doch plötzlich riss er die Augen weit auf, als die Erkenntnis ihn traf wie Akanes berühmter 'Mallet of Doom'. Die Eßstäbchen fielen ihm aus der Hand, und er zitterte am ganzen Körper.

Sein schockierter Blick fand den angstvollen Blick seines alten Freundes Genma. Dann heulte er drauflos.

"Waaaaahh! Wir sind verloren!"

"Sohn, ich denke, es wird Zeit für eine weitere Trainingsreise." verkündete Genma todernst und erhob sich von seinem Platz.

Unterdessen saß Akane, passioniertes Machoweib, jüngste Tochter Souns und Ranmas Verlobte Nummer eins zornbebend an ihrem Platz und versuchte, ihr Temperament im Zaum zu halten. Wie immer erfolglos.

"Genma, wie kannst du mich, deinen alten Freund, in dieser schweren Stunde im Stich lassen?" fragte Soun in einem Tonfall, der selbst einem Stein ein Fünkchen Mitleid entlockt hätte, bei Genma jedoch nicht die kleinste Spur eines Effekts zeigte.

"Überlebensinstinkt." erwiderte der Manchmal-Panda daraufhin trocken.

"Und ruft nachher bloß die Leute von der Sondermüllbeseitigung an." fügte Ranma hinzu, als er sich ebenfalls von seinem Platz erhob.

"WIE BITTE?" Seine Verlobte schoß neben ihm in die Höhe wie eine Rakete. Ein wütendes Blitzen stand in ihren Augen.

"Oder vielleicht die Abteilung für chemische und biologische Waffen des Kampfmittelräumdiensts." schlug Ranma mit einem überheblichen Grinsen vor.

"Was soll das heißen?" fragte sie gefährlich leise. Unter ihrem rechten Auge zuckte ein Muskel verdächtig.

"Ich mein, das Zeug, das du Abendessen nennst, verstösst doch gegen die Genfer Konvention." erwiderte er auf die Frage. "Nicht daß du was dafür könntest, daß du nicht kochen kannst, aber ich verstehe nicht, warum du es nicht einsiehst und endlich aufg..."

Akane sah rot.

Das Geräusch eines großen Holzhammers, der auf einen menschlichen Kopf trifft, unterbrach Ranmas Ausführungen. Dann gab der Holzfußboden unter ihm nach, so daß er halb in der Versenkung verschwand.

"HEY! WOFÜR WAR DAS DENN?" brüllte Ranma, während er die Beule auf seinem Kopf rieb und aus dem Loch im Fußboden herauskletterte.

"WIE KANNST DU BEHAUPTEN, ICH KÖNNTE NICHT KOCHEN?"

"UND? IST DOCH DIE WAHRHEIT!" erwiderte er trotzig.

Ein weiterer Schlag des Mallet of Doom fand sein Ziel.

"MACHOWEIB!" tobte Ranma. "IST JETZT WIEDER DIESE BESTIMMTE ZEIT IM MONAT, ODER WAS?"

"ARGH! RANMA NO BAKA!" Mit Tränen der Wut in den Augen und hochrotem Kopf holte Akane Tendo zum finalen Schlag aus.

Als der traf, nahm ihr Verlobter die Abkürzung durch's Dach in einen niedrigen Erdorbit - Japans Beitrag zur bemannten Raumfahrt - und fiel dann in einem anderen Teil Nerimas wieder auf den Boden.

Und während Ranma sich aus dem kleinen Krater herausarbeitete, den er im Stadtpark von Nerima hinterlassen hatte, stampfte Akane mit einem Blick, der jedem, der sich vor der Einnahme ihres Abendessens drücken wollte, einen langsamen Tod versprach, die Treppe hinauf und verschwand in ihrem Zimmer. Dort angekommen ließ sie sich auf ihr Bett fallen und starrte trübsinnig vor sich hin. Trotzig kämpfte sie die aufkommenden Tränen nieder.

°Ich weiss doch selbst, daß ich nicht so gut kochen kann. Aber wie soll ich besser werden, wenn niemand mein Essen probieren will? Und warum kann er nicht wenigstens anerkennen, daß ich mir Mühe gebe? Warum macht er sich immer über mich lustig?°
 

Besagter Verlobter hatte unterdessen die Einschlagstelle verlassen und klopfte sich Laub und Dreck von der Kleidung.

°Letztes Mal hat es mehr weh getan. Entweder das Machoweib läßt nach, oder ich werd langsam immun gegen ihren Hammer. Aber wie auch immer, ein gutes Widerstandstraining ist's allemal.°

Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck setzte er sich auf eine Bank und überlegte, was er nun mit seiner freien Zeit anfangen sollte.

Aus eigener Kraft wäre er nie aus dem Haus gekommen. Dafür hätte Akane schon gesorgt, und sicher passte sie nun gut auf, daß die beiden Senioren des Haushalts sich nicht vor dem Abendessen heimlich verdrückten. Ranma jedoch hatte einfach einen Flug bei Akane Air gebucht, und war so seinem Schicksal entronnen.

°Wenn ich das Haus schnell verlassen will, brauch ich sie nur ein wenig ärgern.° dachte Ranma amüsiert. Tatsächlich war er sogar ein wenig stolz auf diesen Einfall, den er für einen genialen taktischen Zug hielt.

Seine an Akane gerichteten Beleidigungen waren meistens gar nicht ernst gemeint, weshalb er die Art ihrer Reaktionen häufig für etwas überzogen hielt.

Wenn er näher darüber nachgedacht hätte, wäre ihm vielleicht in den Sinn gekommen, daß Akane ja nicht wissen konnte, daß er sie meistens nur so zum Spaß ärgerte, und daß der überwiegende Teil seiner ständigen Beleidigungen gar nicht ernst gemeint war. Meist fand er ihre Aufregung und die damit verbundenen Wortgefechte eher belustigend, aber wie sollte jemand reagieren, der wie Akane wieder und wieder beleidigt wurde?

Nun ja. Ein weiterer typischer Fall des Saotome-Ignoranz-Syndroms.



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