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Bound in Darkness 2
von

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Erkenntnisse

Sie gingen am Rand der Plantagen entlang, bis Kirschen in Aprikosen übergingen. Am anderen Ende, auf das sie zuhielten, markierte eine hohe Reihe einheimischer Bäume den Übergang der sturmumtosten Ebene in eine ruhigere Landzone.

„… Und das ist alles“, schloss Yama. „Es sind viele Dinge passiert, die außerhalb meiner Kontrolle waren, aber ich denke, so ist es jetzt … irgendwie richtig.“

Professor Calli nickte gedankenversunken. „Es klingt beinahe schicksalhaft“, sagte er mit seiner warmen, freundlichen Stimme. „Ich habe immer noch das Bild vor Augen, wie du dem gesamten Universum diese Blume zeigst und behauptest, dass es Hoffnung gibt. Ich habe nicht erwartet, dich je wiederzusehen, nicht nach diesem Affront gegen die Gaia Sanction.“ Er lächelte milde. „Und jetzt bist du hier, auf Garfudias, wie damals deine Mutter. Ich hätte mir denken können, dass du dich erinnerst, wo du suchen musst.“

Er war sichtlich älter geworden, fand Yama. Seit er in seinen Vorlesungen gesessen und eifrig Notizen zur Biodiversität der Erdenpflanzen gemacht hatte, war eine lange Zeit vergangen, die Spuren hinterlassen hatte.

Calli sah das offenbar auch so. Fast schüchtern deutete er auf Yamas Augenklappe. „Die trägst du doch aber nur zur Zier, oder? Weil du jetzt ein Pirat bist?“

„Nein.“ Yama hob die Augenklappe an, um Calli zu zeigen, was sich darunter befand. Allzu schlimm war der Anblick nicht: Der Ausläufer der Narbe, die quer über seinen Nasenrücken verlief, endete am Rand des Auges in leicht narbiger Haut, doch das Auge selbst sah intakt aus, bis auf die versengten Wimpern und die trüb gewordene Linse.

„Du bist tatsächlich halb blind“, erkannte Calli betroffen.

„Ja.“

„Diesen Feind hast du hoffentlich dafür niedergestreckt.“

Yama seufzte. „Man könnte es so sagen.“

Sie erreichten das Ende der Plantagenreihen und bogen nach rechts ab, an der Reihe der hohen, blau berindeten Bäume entlang.

„Sind das Seidenholzbäume?“, fragte Yama. Auch diese kannte er nur von Projektionen.

„Allerdings. Ist noch nicht lange her, dass du selbst eine Uniform aus Seidenholzfaser getragen hast, nicht wahr?“

Die schimmernden Äste der Bäume standen fast waagerecht vom Stamm ab. Auf ihnen räkelten sich Buschkatzen, eine einheimische Spezies. Sie waren kaum größer als eine Männerfaust und in Braun, Schwarz und Weiß gemustert. Ihre wuscheligen Schwänze hingen senkrecht herab, ihre blauen Augen mit den runden Pupillen blinzelten träge, als die Männer vorübergingen.

„Die Buschkatzen sind äußerst liebenswert“, sagte Calli. „Möchtest du nicht eine, Yama? Sie sind gute Begleiter auf Schiffen, halten das Ungeziefer in Schach. Außerdem braucht jeder gute Kapitän ein Tier auf seinem Schiff, das bringt Glück.“

„Ich weiß. Ich habe einen Vogel auf der Arcadia.“ Yama wollte nicht unnötig Zeit verlieren, so sehr er auch das Wiedersehen mit seinem Professor genoss. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. „Professor, es gibt etwas, das ich wissen muss“, begann er. „Vielleicht ist es eine dumme Frage.“

„Du hast nie dumme Fragen gestellt, Yama. Unbedarfte vielleicht, aber keine dummen.“

„Und zwar … Dass alle Rosaceae nur auf der Erde wachsen können, das stimmt doch … oder?“

„Ja“, antwortete Calli aufmerksam. „Das ist nichts, was die Gaia Sanction sich ausgedacht hat, um sich das Monopol zu sichern. Auch wenn sie das natürlich trotzdem getan haben.“

„Aber wir sind hier nicht auf der Erde, wir sind auf Garfudias. Trotzdem wachsen hier die Erdenfrüchte, und Gaia macht ein Vermögen damit. Wie ist das möglich?“

Der Professor sah ihn an und zog fragend die Brauen hoch. „Du weißt es wirklich nicht?“

„Nein.“

„Ich dachte, deine Mutter hätte es dir gesagt.“ Er wies in Richtung der endlosen Reihen von Sträuchern, die sie gerade passierten. Reife Himbeeren hingen schwer daran. „Diese Erde, in der all diese Pflanzen stehen, stammt von unserer Heimatwelt.“

Yama zog die Stirn kraus. „Was? Das Substrat ist … Mutterboden von der Erde?“

„Aber ja. Wie sonst sollte hier etwas wachsen, das auf anderen Planeten nicht kultivierbar ist?“ Ein Lächeln zupfte an den Lippen des Mannes.

„Aber wie kann das sein? Die Erde, sie ist doch …“

„Erst seit etwas über hundert Jahren. Bevor Captain Harlock die Erde steril machte, war sie lediglich tabu, aber intakt. Du weißt inzwischen, dass die Gaia Sanction ihr eigenes Gebot, nämlich die Erde nicht zu betreten, häufig selbst gebrochen hat. Unter anderem, um Mutterboden für jene Pflanzenfamilie abzutransportieren, die auf anderen Welten einfach nicht gedeihen wollte. Weißt du, das Geheimnis unserer Erde ist ihre Zusammensetzung. Sehr variabel auf dem ganzen Planeten, aber voller Leben, so klein, dass man es mit bloßem Auge nicht sieht. Es war nicht nötig, den Planeten selbst als ständige Quelle für Mutterboden anzuzapfen, da das Leben im Boden sich selbst erhält. Ich bin sicher, es könnte sich auch auf anderes, unfruchtbares Substrat ausbreiten. Ich weiß, was du jetzt denkst, Yama … Wenn man dieses Substrat von Garfudias auf die heutige Erde brächte, könnte sich dort vielleicht wieder Leben ansiedeln? Es wäre denkbar.“

„Natürlich!“ Yamas Herz wollte ihm fast aus der Brust springen. „Warum hat das nie jemand versucht?“

„Fragst du mich das wirklich, nachdem du weißt, was Gaia insgeheim als ihre wahren Ziele hochhält? Die Erde wieder fruchtbar werden zu lassen, auch wenn es nur eine Theorie ist und länger dauern würde, als ein Mensch überschauen kann, würde ihnen einen Teil ihrer Macht nehmen. Außerdem könnten sie nicht länger Captain Harlock als Sündenbock hinstellen.“

„Aber die Menschen wussten doch gar nicht, dass die Erde …“

„Aber Gaias eigene Leute wussten es.“

Yama schloss den Mund. Politik war für ihn noch nie leicht zu verstehen gewesen.

„Was hast du jetzt vor, Yama?“

„Ich weiß es nicht. Ich muss darüber nachdenken.“ Tatsächlich musste er über gar nichts nachdenken. Erde von der alten Erde, das war des Rätsels Lösung. Das, was von der alten Erde übrig war, konnte die neue Erde wieder in die alte verwandeln. Mit sehr viel Zeit und Mühe … Doch er würde den Anfang machen. „Professor“, fragte er. „Was machen Sie hier? Warum sind Sie nicht mehr an der Universität von Tharsis?“

Callis Lächeln wurde wehmütig. „Du erinnerst dich sicher, dass ich aufgrund meiner Spezialisierung auf irdische Pflanzen an der Fakultät immer ein wenig belächelt wurde. Ich dachte, das wäre vorbei, als die Gaia-Flotte mich bat, hier den Posten als Kopf des Forschungsteams zu übernehmen. Das war vor zwei Jahren.“

Zu der Zeit, als ich die Explosion in Mutters Gewächshaus verursacht habe, dachte Yama. Als Isoras Karriere meinetwegen plötzlich zu Ende war … „Das alles muss nicht so weitergehen, Professor. Ich bin jetzt in der Lage, Dingen nicht mehr nur zuzusehen, sondern sie zu ändern.“ Yama schaute auf die Himbeersträucher, die Zweige schwer unter ihrer Last, und traf eine Entscheidung. „Ich möchte Sie fragen, ob Sie mich begleiten werden. Ich will, dass aus der Erde wieder ein Garten wird, und Sie haben viel mehr Wissen darüber als ich. Bitte werden Sie Teil meiner Crew.“
 

***
 

Harlock wartete auf Yama im Salon, um den Bericht zu hören. Er entsprach damit dem von Yama via Com übermittelten Wunsch, mit ihm über die Neuigkeiten zu sprechen. Harlock war dies nur recht, denn auch er hatte vor, den Weg der offenen Kommunikation zu gehen und Yama zu sagen, dass er mehr für ihn empfand, als gut für sie beide war. Es mochte nicht der ideale Zeitpunkt dafür sein, doch ein idealer Zeitpunkt für irgendwas war sowieso eine Illusion.

Aus der Küche war ihm zusammen mit dem Tee, um den er gebeten hatte (und den Yama sich ebenfalls gewünscht hatte), auch etwas süßes und salziges Gebäck gebracht worden, das er mehr oder weniger liebevoll auf dem viel zu großen Tisch verteilt hatte. Nun gestaltete sich das Warten schwierig. Wieder einmal erschlug ihn die Einsamkeit, die Stille in seinem Bewusstsein, wo der Rapport mit der Arcadia und Miime einem großen Nichts Platz gemacht hatte. Es half nicht. Er musste sich daran gewöhnen, wieder ein normaler Mensch zu sein.

Als Yama endlich atemlos eintraf, hatte er Kei dabei.

„Ich schlage vor, der Crew Landurlaub zu gewähren, solange wir hier sind“, sagte sie ohne Umschweife, blickte über den Tisch und nahm sich einen Keks. „Die haben hier massig Ressourcen für nur eine Handvoll Leute. Die Plantagen werden mit High-Tech überwacht und mit Robotern beerntet und gepflegt, es ist der Wahnsinn.“

„Ich bin dafür, aber wir wollten deine Meinung dazu hören, Harlock.“ Yama setzte sich.

„Und wozu?“, fragte Harlock, der sich wie ein Unbeteiligter fühlte. „Du scheinst bereits entschieden zu haben.“

Kei entschied sich derweil für einen weiteren Keks. „Die sind da unten ziemlich erleichtert darüber, was für eine wohlerzogene Piratencrew wir sind. Dieser Salvador hat eine gigantische Plünderung erwartet. Dachte, wir würden alles Obst von den Bäumen reißen und keinen Stein auf dem anderen lassen. Stattdessen kommen nur zwei Diplomaten runter und führen vernünftige Gespräche mit ihnen – das stimmt sie kooperativ.“

Und verwirrt, dachte Harlock.

Hast du denn Obst an den Bäumen gelassen?“, fragte Yama, sachte neckend.

„Ich habe eine Kirsche genascht. Eine! Ich komme aus gutem Hause, Yama.“ Sie angelte einen dritten Keks von einer entfernt stehenden Platte.

Harlock sah den beiden missmutig zu. „Wir sollten nicht zu sorglos sein. Wir mögen weit vom Zentrum der Aktivitäten Gaias entfernt sein, aber wenn wir den Eindruck erwecken, länger bleiben zu wollen, dann suchen sie ganz sicher nach neuen Möglichkeiten, uns hier zu attackieren. Sie werden kommen, Yama, das ist dir doch klar.“

„Ja, natürlich.“ Yama schenkte sich Tee in eine Tasse ein und verschüttete dabei einige Tropfen auf die Tischplatte. Harlocks Blick schärfte sich. „Der Ältestenrat verschanzt sich auf dem Mars, aber die Flotte wird kommen. Sie sind verzweifelt genug, Risiken einzugehen.“ Er wirkte nervös, und erst jetzt sah er Harlock direkt ins Gesicht. „Ich muss mit dir reden.“

„Gut. Ich auch mit dir.“

„Ich verstehe.“ Kei drehte ab Richtung Tür. „Was darf ich verkünden?“

Yama hielt Harlocks Blick, während er antwortete: „Nimm jeden der Männer mit nach Garfudias, der möchte. Schärfe allen ein, dass sie sich benehmen sollen. Dies ist keine feindliche Übernahme. Niemand stiehlt Früchte oder andere Vorräte, niemand vandalisiert die Plantagen, niemand fängt Streit mit der Bodencrew an. Wir wollen respektiert werden. Du führst die Aufsicht.“

„Verstanden.“ Kei ging. Hinter ihr wäre die automatische Tür zugerauscht, hätte sie jemand repariert.

„Das klingt, als wären wir auf einer Friedensmission“, murmelte Harlock.

„Ich beantworte Gewalt mit Gewalt, wenn nötig, aber ich fange nicht damit an.“ Yama sprach mit fester Stimme, doch die Zeichen der Unruhe waren noch da. „Harlock, ich weiß, warum auf Garfudias Rosengewächse wachsen. Es ist sehr einfach, es hätte auf jedem anderen Planeten funktioniert, und es wird auch auf der Erde, wie sie jetzt ist, funktionieren.“

Damit hatte er Harlocks volle Aufmerksamkeit. „Ich höre.“

„Sie haben einfach Erde von der Erde mitgenommen, bevor du sie zerstört hast. Das ist alles.“

Harlock sagte nichts.

„Die Erde ist was Besonderes. Sie überdauert. Sie erholt sich immer wieder. Manchmal braucht sie ein wenig Hilfe. Verstehst du? Wir bringen das Substrat von Garfudias auf die Erde.“

„Das heißt, du wirst die Plantagen stilllegen“, folgerte Harlock.

„Oh … Ja, ich schätze schon. Je mehr Mutterboden wir mitnehmen, desto besser.“

„Du weißt selbst, wie viel unsere Frachträume fassen können.“

Yama sah ihn argwöhnisch an. „Ich hatte erwartet, dass du dich freuen würdest.“

„Ich freue mich“, versicherte Harlock, doch sein Versuch zu lächeln missglückte.

Yama wirkte nicht überzeugt. „Noch etwas. Der Chefbotaniker auf Garfudias ist mein früherer Mentor von der Universität, Professor Tiro Calli. Ich habe Irdische Botanik bei ihm studiert, er hat mir alles beigebracht, was ich heute weiß, nachdem meine Mutter gestorben war. Wir haben mehrere Forschungsprojekte gemeinsam betreut, bis … du weißt schon. Ich will ihn an Bord nehmen.“

Eine Mitteilung dieser Art hatte Harlock befürchtet. Unwillkürlich legte er die Stirn in Falten. „Du willst einen Forscher im Dienste der Gaia Sanction entführen?“

„Nicht entführen. Ich denke, er wird freiwillig mitkommen.“

„Yama, wie gut kennst du diesen Mann wirklich? Wie weit traust du ihm?“

„Ich kenne ihn schon eine Ewigkeit“, erwiderte Yama trotzig. „Er ist kein Soldat, Harlock, er ist Wissenschaftler, und natürlich will er genauso wie wir, dass die Erde wieder bewohnbar wird. Er ist nur bei Gaia, weil er keine andere Wahl hat.“

„Dennoch, sich einer Crew aus Verbrechern und Rebellen anzuschließen, ist das genaue Gegenteil. Solche Männer sind konfliktscheu, und das sollten sie auch sein, weil sie lebendig am wertvollsten für die Gesellschaft sind. Du kannst nicht erwarten, dass er einem Piratenkapitän loyal sein wird.“

„Harlock. Dieser Mann hat genau das Wissen, das wir brauchen“, insistierte Yama. „Blumen auf der Erde bringen uns nicht weiter, wir brauchen ein ganzes neues Ökosystem! Er kann das, ich nicht. Wir brauchen ihn.“ Es war das, was Harlock an Yama besonders liebte und zugleich besonders fürchtete. Seine Überzeugung. „Ich werde das Risiko eingehen.“

„Dann soll es so sein“, murmelte Harlock.

Yamas Ton wurde schneidend. „Als du selbst Captain der Arcadia warst, hast du dir nie Sorgen wegen Gaia gemacht. Warum jetzt? Ich kann auf uns aufpassen.“

„Die Lage ist jetzt anders …“, begann Harlock eine lahme Rechtfertigung.

„Ist sie nicht, Harlock. Wir sind anders. Du und ich.“ Yama sah ihn über den Tisch an, jetzt wieder warm und auch etwas besorgt. „Wir fühlen uns beide noch nicht richtig wohl damit, aber deshalb können wir nicht stehen bleiben und abwarten.“ Er schob die Teetasse von sich. „Du, hm, du wolltest mir doch auch was sagen … Was ist es?“

Nichts Wichtiges, dachte Harlock. „Ich habe überlegt, dass ich dich doch begleiten sollte“, log er. Eine sehr spontane Lüge, der er Taten folgen lassen musste. „Ich möchte deinen Professor treffen.“ Es sollte ein Zugeständnis sein, ein Signal der Bereitschaft, sich mit den Dingen, die Yama beschäftigten, vertraut machen zu wollen. Doch er hätte ahnen müssen, dass Yama es missverstand.

Dessen Miene verfinsterte sich. „Er ist harmlos, Harlock. Du brauchst ihn nicht zu überprüfen. Ich plane kein Rekrutierungsinterview und schon gar nicht, ihn über Bord zu werfen, wenn er eine Frage falsch beantwortet.“

„Davon war keine Rede“, widersprach Harlock. „Ich möchte nur sehen, welche Art von Mann er ist.“

„Ja, weil du ihm nicht traust“, zischte Yama. „Und wenn du feststellst, dass er dir nicht gefällt?“

Das Gespräch hatte eine unangenehme Wendung genommen. Harlock hatte das genaue Gegenteil bezweckt.

„Na schön, wie du willst. Ich sage ihm, dass Captain Harlock ihn erst persönlich unter die Lupe nehmen muss. Er wird sich nicht davor drücken.“

Harlock erwiderte nichts, weil es zwecklos war. Er sah zu, wie Yama die Schultern sinken ließ, noch einmal mit beherrschter Frustration über den gedeckten Tisch blickte und sich schließlich zum Gehen wandte. „Und ich dachte, die Rettung der Erde steht für dich genauso an erster Stelle wie für mich“, murmelte er, ehe er hinausging.

Harlock sah ihm noch lange nach. Er fragte sich, wann er endlich lernen würde, dass Halbwahrheiten niemals Sympathien einbrachten.
 

***
 

Als Yama das nächste Mal Garfudias betrat, war der Stützpunkt wie verwandelt. Überall tummelten sich Crewmitglieder, besichtigten die Einrichtungen, bewunderten die Plantagen, spielten mit den Buschkatzen. Natürlich gab es Reibereien mit den abgestellten Soldaten, aber anscheinend nichts, das Kei nicht regeln konnte. Auch jene ehemaligen Söldner, die die Arcadia verlassen wollten, schienen sich auf dem Planeten wohlzufühlen. Yama fasste den Entschluss, ihnen anzubieten, sie auf den gegenüberliegenden Kontinent Euros überzusetzen, wo die menschliche Kolonie angesiedelt war. Sicher war Garfudias schlecht ans interstellare Verkehrsnetz angebunden und das Leben dort alles andere als spektakulär – doch vielleicht war dies für Männer mit zweifelhafter Vergangenheit, die wegen mehrerer Vergehen auf der Fahndungsliste der Planetenallianz standen, eine reizvolle Option. Hier würde man zu allerletzt nach ihnen suchen.

Yama fand Prof. Calli in einem der Gewächshäuser, das Erdenpflanzen zog. Es ähnelte sehr dem, das seine Mutter unterhalten hatte, nur dass der Fokus hier weniger auf Blüh- denn auf Nutzpflanzen lag. Begleitet wurde Yama von Tori, der sich ihm, als er von Bord gehen wollte, mit trägem Flügelschlag angeschlossen hatte. Nun thronte er auf Yamas Schulter und beäugte das Geschehen vom Ende seines überlangen Halses aus.

Calli sah von einer Reihe Tomatensprösslingen auf und lächelte. „Ah, ein Prepenti!“, bemerkte er mit Blick auf Yamas Gesellschaft. „Sehr kluge Tiere, und äußerst langlebig. Sie stammen von Pasbucao, nicht wahr?“

„Ich weiß es nicht.“ Yama hatte für das Thema Tiere wenig übrig. „Eigentlich wollte ich Ihnen jemand anders vorstellen.“

„Oh.“ Der Gesichtsausdruck des Professors veränderte sich; er wirkte nun eingeschüchtert und geschmeichelt zugleich. „Ich nehme an –“

„Er hat Bedenken“, sagte Yama schnell.

„Nun, da ist er völlig im Recht.“

Wahrscheinlich stimmte das. Yama bezweifelte, dass Harlock sich so einfach überzeugen lassen würde. Er wusste selbst nicht, warum es ihm so wichtig war, dass die beiden Männer sich mochten. „Haben Sie schon über … meinen Vorschlag nachgedacht?“, fragte er.

Calli ließ den Blick über seine Pflanzen schweifen. „Nun, Yama, ich muss dir sagen, dass ich keine Kämpfernatur bin. Ehrlich gesagt bin ich sogar ein ziemlicher Feigling.“ Er lächelte traurig.

„Meine Besatzung wird Sie beschützen.“

„Sicher. Gib mir noch etwas mehr Bedenkzeit, ja?“

Yama war nervös, als er Calli in die Lounge führte, wo Harlock angeboten hatte zu warten. Aus irgendeinem Grund wollte er die Plantagen nicht aus der Nähe sehen. Würde ein Gespräch der beiden Männer zu irgendetwas führen, oder würde das Misstrauen auf beiden Seiten nur zunehmen?

Harlock wirkte an einem der Kaffeetische so deplatziert wie nur möglich. Seine Miene war sorgenvoll, seine Hände ruhten reglos auf der Tischplatte. Yama spürte das kleine Zusammenzucken von Calli, der neben ihm ging. Dennoch nahm der Mann Haltung an und ging direkt auf Harlock zu. Hatte er sich nicht gerade selbst als feige bezeichnet?

„Der berühmte Captain Harlock höchstpersönlich“, sagte Calli sanft und neigte den Kopf.

Harlock erwiderte den Gruß mit dem Anflug eines Lächelns. „Der berühmte Professor Calli. Yama ist voll des Lobes über Sie.“

Yama räusperte sich. „Ich hole uns was zu trinken. Wünsche?“

Die beiden Männer beachteten ihn nicht. Sie blickten einander über die kaffeefleckige Tischplatte hinweg an, hinter der Calli ebenfalls Platz genommen hatte, Harlock gegenüber.

Der ehemalige Captain nahm das Wort. „Yama besteht darauf, dass wir Sie mit zur Erde nehmen. Hat er Ihnen von seinem Plan erzählt?“

Yama öffnete den Mund, um zu verneinen, aber Calli antwortete selbst: „Ich kann mir denken, was er vorhat. Das Substrat von den Plantagen mitzunehmen. Die Gaia Sanction wird das mit allen Mitteln zu verhindern suchen.“

„Wir haben auf einem Schmugglerschiff kistenweise Äpfel vorgefunden. Hat die Gaia Sanction wirklich noch die volle Kontrolle über diesen Ort?“

Darauf gab Calli erst mal keine Antwort. Er wandte den Blick ab, ehe er sagte: „Soweit ich weiß, haben Sie noch nie eins der Schiffe der Gaia-Flotte, die die Früchte von hier wegbringen, überfallen, Harlock.“

„Doch, das habe ich. Einmal. Wir haben die Fracht erbeutet, aber es war die Opfer nicht wert.“ Harlocks Auge flackerte. „Diese Transportschiffe sind wehrhafter als viele Schlachtschiffe der Flotte. Wie also gelangen so viele Äpfel auf ein Schmugglerschiff? Jemand auf diesem Stützpunkt, oder mehrere, nutzen es aus, dass die Gaia Sanction instabil wird … und die Sicherheit der Plantagen dafür vernachlässigt.“

Calli schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich fürchte, über die genauen Umstände weiß ich nichts. Ich bin nur ein Akteur im Hintergrund. Harlock … Was Yama vorhat, ist äußerst gefährlich.“

„Richtig. Yama ist nicht gut darin, Gefahren einzuschätzen.“

Yama hustete. „Ich sitze neben euch.“

„Aber Yama ist auch äußerst kühn“, fuhr Harlock fort, „wie jeder an Bord der Arcadia. Die Frage ist, ob wir uns auf Sie verlassen können oder ob Sie sich gegen uns stellen werden, sobald die Gefahr zu groß wird.“

„Ich bin kein Freund der radikalen Wege der Gaia Sanction, schon gar nicht, seit ich auf allen Kanälen Yama mit dieser Blume gesehen habe“, behauptete der Professor. „Ich gestehe, dass ich Angst habe. Ich habe Familie, wissen Sie – eine Frau, einen Sohn und zwei Enkel. Ich möchte nicht als Verbrecher auf einem Piratenschiff sterben.“ Er verschränkte die Hände ineinander und betrachtete sie. „Aber ich möchte auch nicht zusehen, wie die offensichtliche Lüge der Gaia Sanction über eine intakte Erde unter den Teppich gekehrt wird. Ich wünschte, es gäbe eine diplomatische Lösung für all das.“

„Das ist unwahrscheinlich“, sagte Harlock ruhig.

Yama blickte zwischen den beiden hin und her und kam sich vor wie jemand, der in ein geheimes Spiel nicht eingeweiht war. In diesem Moment beschloss Tori, sich von seiner Schulter abzustoßen und über den Tisch zu Harlock zu gleiten, um auf diesem Platz zu nehmen und stolz das Brustgefieder aufzuplustern.

Calli gluckste. „Sagtest du nicht, der Prepenti sei dein Vogel, Yama?“

„Das tut doch gar nichts zur Sache“, beklagte sich Yama. „Ich will nur, dass ihr euch auf unser gemeinsames Ziel verständigt. Stattdessen sprecht ihr über mich, als würdet ihr über die Zukunft von einem Scheidungskind entscheiden.“

Harlocks Miene blieb reglos, aber Callis wurde weich – wie früher, als er als väterlicher Mentor seinen ungestümsten Studenten zu bändigen hatte. „Ich glaube, Yama, dieser Mann möchte dich unbedingt beschützen. Zu zweit wird euch nichts aufhalten, und das soll mir genügen. Wenn du glaubst, ich könnte eine Hilfe sein, dann komme ich mit dir auf dein Piratenschiff.“

Wie zu erwarten fiel Harlocks Urteil nüchterner aus: „Dein Professor scheint ein ehrlicher Mann zu sein – in dem Maße, wie es ihm möglich ist. Aber er hat nicht alle meine Fragen beantwortet. Wenn er dich aufrichtig schätzt, wird er dich nicht zu Schaden kommen lassen. Es ist deine Entscheidung.“

Yama hatte mit genauso einer abwertenden Antwort gerechnet. Harlock versuchte gar nicht erst, sich für Calli zu erwärmen oder ihn zu verstehen. Er würde niemandem, der für Gaia arbeitete, einen Vertrauensvorschuss geben. Aber das war sein Problem.

„Wie du meinst“, sagte Yama steif. Er fühlte sich müde von der abgefallenen Anspannung, und das allein vom Zusehen. „Wir verlassen Garfudias in drei Tagen. Bis dahin organisieren wir die Räumung des Stützpunktes und fliegen die hier stationierten Männer nach Euros. Das Obst … Wir werden es aufteilen.“ So viele Gedanken, die er sich noch machen musste, so vieles, das es zu planen gab … Reichten drei Tage überhaupt dafür? „In den Frachträumen müssen wir Platz für die Erde schaffen. Und für die Crewmitglieder, die uns verlassen, vielleicht möchten –“

„Yama.“ Harlock schob seine Hand über den Tisch und berührte sacht die von Yama. Tori auf seiner Schulter krächzte: „Yamayamayama, ääähk.“

„Nein, ich habe nichts vergessen“, nahm Yama die Frage vorweg. Ich DARF nichts vergessen.

„Du hast eine feindliche Übernahme ausgeschlossen“, erinnerte ihn Harlock. „Aber genau das wird es jetzt werden.“ Er warf einen kühlen Blick hinüber zu Professor Calli, und Yamas Mentor schaute nicht zurück.
 

„Reichen dir hundertzwanzig Kubikmeter für die Erde?“, fragte Kei. „Sonst kann ich noch mehr frei machen.“

„Stell so viel zur Verfügung wie möglich. Du weißt, wie groß die Plantagen sind.“ Yama hatte Harlock heute noch nicht gesehen und befürchtete, dass dessen Frühstück aus Rotem Bourbon bestanden hatte. Harlocks Laune schien immer schlechter zu werden, seit sie auf Garfudias waren, vor allem seit dem Gespräch mit Prof. Calli. Aber gut, sollte er doch schmollen.

„Ähem. Was ist mit den Früchten?“

„Wir nehmen die Hälfte“, antwortete Yama, „und die andere geben wir denen mit, die sie erwirtschaftet haben.“ Er hatte wieder nicht besonders gut geschlafen. Seinen gefassten Entschluss in die Tat umzusetzen erforderte eine Menge Organisation. Gute Organisation. Nach seiner selbst gesetzten Frist hatte er noch einen Tag Zeit – und ein Tag auf Garfudias hatte nur 21,72 Stunden.

„Klingt fair.“ Kei schlenderte weiter voran Richtung Hangardeck. „Ich habe schon einen guten Platz für die heilige Fracht ausgesucht, weil ich nicht glauben wollte, dass du alles weggibst.“

„Wir sind Piraten“, murmelte Yama.

„Na endlich kommt das bei dir an. Übrigens habe ich auch mit unseren Ausscheidern gesprochen. Auf Garfudias zu bleiben erscheint ihnen akzeptabel.“

„Gut, dann bringen wir sie nach Euros und …“ Yama legte die Stirn in Falten. „Bezahlen wir unsere Leute?“

Kei drehte sich um und sah ihn groß an. „Hast du so was nie mit dem Captain besprochen? Ja, wir bezahlen unsere Leute. Nicht üppig, aber dafür sind Kost und Logis ja inbegriffen. Was unsere Deserteure betrifft: Wir schließen keine Heuerverträge ab, wie du weißt, also wenn du ihnen was mitgibst, dann aus reiner Nächstenliebe.“

Sie bestiegen das kleine Landeshuttle, und Yama startete die Triebwerke. Heute würde er Salvador und seinen Leuten sagen müssen, was er vorhatte – und sich auf den massiven Widerstand vorbereiten. Er hatte es lange hinausgezögert, denn es bedeutete sehr wahrscheinlich, dass die letzten kampfbereiten Schiffe der Gaia-Flotte sich sofort auf den Weg nach Garfudias machen würden. Vielleicht sogar die ganze Planetenallianz; schließlich suchten alle nach der Arcadia und trachteten ihr nach dem Ende.

Während Kei also die Besatzung zusammentrommelte, um die Übernahme zu beginnen und die Plantagenarbeiter zum schnellen Ernten und Verladen der Früchte anzutreiben, ging Yama auf direktem Weg zu Lt. Salvadors Büro. Zwei Wachposten waren vor diesem postiert und dachten nicht daran, ihn einzulassen; doch zu seinem Erstaunen kam der Lieutenant selbst heraus, nachdem er die Diskussion vermutlich bis in sein Zimmer gehört hatte.

„Sagen Sie mir hier und jetzt, was Sie wollen“, forderte er Yama auf dem Flur auf. „Werden Sie jetzt das tun, was jeder andere Pirat schon längst getan hätte?“

„Nicht ganz“, korrigierte Yama. Er sah, wie die Hände beider Wachposten über ihren Waffenholstern schwebten. „Und mich zu töten wird es auch nicht ändern. Wir evakuieren diesen Stützpunkt.“

Salvador lachte freudlos. „Also wollen Sie am Ende doch nur die heiligen Früchte. Natürlich. Das, was die Gaia Sanction reich gemacht hat.“

„Ich will nicht die Früchte, ich will die Erde“, zischte Yama. Ebenso gut hätte er sagen können, dass er Pudding und ein Paar Sandalen wollte. Salvador interessierte es gar nicht.

„Tja, dann nehmen Sie sie“, antwortete er achselzuckend. „Ich ergebe mich. Was soll ich auch tun? Ich habe immer gesagt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis Verbrecher uns hier entdecken, aber es hat niemanden interessiert. Die Besetzung dieses Stützpunktes ist lächerlich dünn. Den Reichtum, den die Plantagen einbringen, nimmt die Gaia Sanction gerne, aber um unsere Sicherheit auf diesem Hinterwäldler-Planeten schert sie sich einen Dreck. Wen interessiert Garfudias? Ein Hologramm wird schon genügen. Schließlich hat es hundert Jahre lang genügt.“ Sein morbides Lachen bescherte Yama eine Gänsehaut. „Nun ist die Arcadia hier, und ich hatte Recht, nicht wahr? Ich kann nicht sagen, dass es mir besonders leid tut.“ Mit einer lässigen Handbewegung veranlasste er die Soldaten, ihre Hände von den Waffen zu nehmen. „Wir ergeben uns kampflos. Gegen eine Piratenbande können wir nicht bestehen, selbst wenn es nur vierzig Mann sind.“ Er streckte Yama die leeren Hände hin. „Wollen Sie mich fesseln?“

Yama wich zurück. „Es passiert niemandem etwas. Alle Anwesenden werden zu den Kolonien nach Euros gebracht. Hier zu bleiben ist sinnlos, weil es hier nichts mehr geben wird, wenn wir weg sind.“

„Da könnten Sie Recht haben“, stimmte Salvador kichernd zu. „Es wird nichts mehr geben.“

Yama führte ihn und die beiden Wachposten ab. Im Grunde wusste er, dass er die Plasmapistole nicht brauchte, doch das Verhalten des kommandierenden Offiziers war ihm unheimlich; also hielt er die Waffe auf den Rücken Salvadors gerichtet, während sie Richtung Hangar gingen.



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