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Bound in Darkness 2
von

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Überraschung

„Wir treten in die Umlaufbahn von Garfudias ein.“ Cervus stand am Posten des Navigators.

Harlock sah über die Schulter. „Yama, wie lauten die Koordinaten der Obstplantagen?“

Yama sah immer noch müde aus, als er sich jetzt vom Thron erhob. „Ich glaube, zweiunddreißig Grad nördliche Breite und hundertachtzehn Grad westliche Länge“, grübelte er und verzog dabei das ganze Gesicht. „Vielleicht auch ein, zwei Grad daneben.“

„Korrigiere Kurs“, bestätigte Cervus. „Eintritt in die Atmosphäre in t minus neunzig Sekunden.“

Harlock sah hinunter. Der Planet war ausnehmend schön: Eine blaue Ozonschicht wie die der Erde hüllte ihn ein, und die Gaswolken, durch die die Arcadia nun hinunterglitt, hatten eine rosafarbene Tönung. Tochiro hatte gesagt, dass der Boden fast durchgehend mit vielen Salz- und Quarzgesteinen angereichert war, die farbige Kristallformationen in die Landschaft zeichneten. Harlock erblickte lange, violett angehauchte Landzungen, die in trübe grünliche Gewässer ragten. Keine größeren Pflanzen wuchsen auf dem Felsplateau, das unter ihnen lag, dafür vieles, das Moosen und Flechten ähnelte.

„Bist du sicher, Captain?“, fragte Cervus zweifelnd nach. „Die Plantagen müsste man doch sehen. Da unten ist nichts.“

Harlock hatte einen Verdacht. „Wartet, bis wir tiefer absinken.“

„Oh!“, rief Kei aus. „Da, sieh einer an!“

Er hatte Recht behalten: Das unveränderliche Bildnis aus Landschaft begann unmittelbar unter ihnen zu flirren, dann löste das Hologramm sich bröckelnd auf. Nun befand sich unter ihnen ein großflächiges, gleichförmiges Areal, das von oben wie ein Schachbrett aussah: riesige quadratische Felder, auf denen sich in strengen Reihen grüne, unscharf umrissene Formen erhoben. Vermutlich zahllose Bäume und Sträucher. Hohe Baumketten mit fast waagerecht abstehenden Ästen und sattgrüner Rinde umgaben die Plantagen wie ein Schutzwall.

„Das müssen sie sein!“, rief Kei. „Die Plantagen! Sie sind riesig. Wie viele Äpfel und Kirschen und Himbeeren da unten wohl wachsen? Das ist gigantisch …“

Yama trat neben Harlock, und er machte ihm Platz. Endlich glänzte Yamas Auge wieder. Bei diesem Anblick wurde ihm wärmer ums Herz.

„Wieso begrüßt uns denn niemand?“, fragte Kei. „Oder sind die Abwehrgeschütze hier leise und unsichtbar?“

Tatsächlich feuerte niemand auf sie. Es waren auch weit und breite keine Verteidigungsanlagen zu entdecken.

„Wir werden gerufen“, meldete Caruso.

Yama sah nach vorn. „Antworten.“

Die Monitore erwachten zum Leben und zeigten einen uniformierten Wachposten. „Hier spricht Lieutenant Salvador. Ich nehme an, wir haben die Ehre mit der Arcadia.“

„Ganz recht“, bestätigte Yama.

„Wer von Ihnen beiden ist Captain Harlock?“

Harlock verspürte ein gewisses Amüsement. Das war keine ganz einfache Frage. Seit ‚Captain‘ und ‚Harlock‘ zwei verschiedene Personen waren, gab es keine klare Antwort mehr darauf.

Lt. Salvador betrachtete unschlüssig seinen Bildschirm, entschied sich dann für den Harlock-Harlock und nahm ihn ins Visier seines prüfenden Blicks. „Sie haben also jetzt einen Welpen am Ruder, Harlock. Darf ich wissen, was Sie hier wollen?“

Yama ließ sich nicht das Wort nehmen. „Wir planen keine feindlichen Handlungen“, antwortete er souverän, „auch keine Plünderungen. Ich möchte nur die Plantagen sehen.“

Ein kurzes Schweigen schloss sich an. „Woher wissen Sie von den Plantagen?“

„Sie sind von hier aus gut zu sehen.“

„Das war nicht meine Frage, und das wissen Sie.“

„Lieutenant Salvador, es gibt keine andere Lösung für dieses Problem, als dass Sie uns landen lassen. Sie wissen, wer wir sind und was wir tun können. Ihr Widerstand ist zwecklos.“

Salvadors Miene war glatt, doch immerhin erkannte er Yamas überlegene Position an. „Allerdings. Dieser Stützpunkt kann und wird die Arcadia nicht aufhalten. Die Landeflächen befinden sich nördlich.“

„Danke.“

Die Übertragung endete.

„Die kooperieren also wirklich“, wunderte sich Kei.

„Was sollen sie denn sonst auch tun? Der Einfluss der Gaia Sanction schwindet immer mehr. Jetzt wissen sie, dass wir sogar ihr größtes Geheimnis gelüftet haben. Es bleibt ihnen nichts übrig. Ich bringe uns runter.“

„Mein Welpe“, wiederholte Harlock amüsiert, und Yama sah etwas verlegen beiseite. „Ich fürchte, Situationen dieser Art werden sich wiederholen.“
 

Als die Detektoren beim Abtasten der näheren Umgebung immer noch keine aktiven Waffenanlagen aufspüren konnten, ließ Yama die Arcadia auf dem riesigen Stellfeld nördlich der Plantagen niedergehen. Im angrenzenden offenen Hangar waren zwei große Transportschiffe der Gaia-Flotte abgestellt, beides nicht die neusten Modelle.

„Warum gibt es keine Luftabwehranlagen?“, wunderte Kei sich noch immer. Anscheinend kam sie über das Ausbleiben feindlicher Angriffe gar nicht hinweg.

„Weil dieser Ort geheim ist“, vermutete Yama wie zuvor.

Harlock konnte ihm nur teilweise zustimmen. Natürlich lag Garfudias am äußeren Rand des vielbereisten Weltraums, und rein zufällig geriet wohl kaum ein Schiff jemals hierher; dennoch war der Planet an sich kein Geheimnis, er galt nur nicht als besonders lohnendes Ziel. In jeder Raumkarte und jeder weltraumtopographischen Sammlung war Garfudias als großer, habitabler Planet erwähnt, jeder kannte den Namen, nur die große Entfernung zum aktiven Zentrum hatte ihn nie zu einer besonders reizvollen Wohnstätte gemacht. „Wie viele Menschen leben hier?“, fragte er an Yama gewandt. „Wenn ich mich recht erinnere, ist Garfudias noch nicht vom Weltensterben betroffen.“

Bereitwillig teilte Yama sein frisch erworbenes Wissen mit ihm. „Die Kolonien befinden sich vor allem auf dem Kontinent Euros, das dürfte auf der anderen Seite liegen. Fünfundzwanzig Millionen Menschen, also sehr wenige. Der Planet bietet nicht viele Ressourcen, man exportiert vor allem Steinsalz und andere Mineralien. Die Vegetation genügt nicht für intensive Landwirtschaft, und die Böden … Yattaran hatte Recht, die Böden geben nicht viel her. Zu salzig. Nicht wie auf der Erde.“

„Das heißt, man ist auf den Import von Lebensmitteln angewiesen.“

„Nun ja …“

Oder es hängt davon ab, was wir auf den Plantagen finden, dachte Harlock.

Plötzlich gab es einen Ruck, und der Sinkflug der Arcadia endete abrupt. Verwirrte Blicke wurden getauscht, dann geschah etwas, das Harlock innerlich zusammenzucken ließ: Yama und Miime schrien gleichzeitig auf und pressten sich die Hände an die Schläfen. Mit einem Satz war er bei Yama, der ihm ächzend in die Arme taumelte.

„Hey! Was ist da los?“, rief Kei.

„Wir sind in ein Kraftfeld geraten!“, analysierte Caruso. „Der Dunkle-Materie-Antrieb wird blockiert!“

Harlock rang darum, Yama aufrecht zu halten; er wand sich und hielt sich immer noch den Kopf, als wäre dieser kurz vor dem Explodieren. „Die Bodenstation anrufen!“, befahl er scharf.

Kei öffnete den Kanal. Wieder erschien das Bild von Lt. Salvadore auf den Bildschirmen.

„Was ist das für ein Hinterhalt!“, schrie Kei ihn an.

„Welcher Hinterhalt? Meinen Sie das Kraftfeld?“

„Was soll ich denn sonst meinen, Spatzenhirn!“

„Es gibt keinen Grund, ausfällig zu werden. Das Kraftfeld ist nur eine Landehilfe, es wird Ihr Schiff sicher zu Boden bringen. Diese Maßnahme ist nötig wegen der extrem starken Winde hier im Landesinneren. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass hier weder Felsen noch Pflanzen stehen, aus genau diesem Grund.“

Wie auf ein Zeichen hörten Miime und Yama in Harlocks Armen auf, in Agonie um sich zu schlagen, und sanken erschöpft zusammen. Ganz sanft begann die Arcadia Richtung Planetenoberfläche herabzuschweben. Das Hangargebäude, dies war nun zu sehen, war von allen Seiten an armdicken Drahtseilen im Gestein verankert, an denen unsichtbare Stürme rissen; um die Wände flirrte ebenfalls ein stabilisierendes Kraftfeld.

„Es geht mir gut“, murmelte Yama und unternahm einen schwachen Versuch, sich aus Harlocks Griff zu lösen. Harlock ließ ihn nur sehr widerwillig los.

„Interferenzen mit der Dunklen Materie?“, fragte Kei. „Durch ein Kraftfeld?“

„Ich kann keine Schäden feststellen“, meldete Caruso, dessen Blick über seine Monitore huschte. „Alles scheint normal zu funktionieren.“

Harlock drehte sich um und sah Miime, die sich an ihrer Steuervorrichtung langsam wieder aufrichtete. Die Lichtkugel glomm wieder in einem ruhigen Pulsieren. Alles wirkte in Ordnung. „Wir müssen misstrauisch bleiben, Yama. Einen derartigen Energieabfall habe ich noch nie erlebt.“

„Gut, wir … werden auf Nummer sicher gehen.“ Yama schüttelte den Kopf und fuhr sich durch das zerzauste Haar. Dann aktivierte er die Com-Verbindung. „Yattaran, ich brauche dich auf der Brücke.“

„Verstanden“, meldete sich Yattarans Stimme zurück. „Eine Sekunde.“

Sie warteten, während die ferngesteuerte Landung sich dem Ende neigte. Sie waren noch dreißig oder vierzig Meter von der Oberfläche entfernt. Trotz des mobilen Kraftfelds drückten und schoben starke Winde abwechselnd aus verschiedenen Richtungen gegen den Schiffskörper.

Kei drückte erneut den Funkknopf. „Yattaran, wo bleibst du? Wenn dein Captain sagt, er braucht dich auf der Brücke, dann schiebst du deinen Arsch auf die Brücke. Sofort.“

„Ist ja gut, ist ja gut!“ Noch vor dem Abbruch der Verbindung war zu hören, wie Yattaran losrannte. In weniger als dreißig Sekunden war er da. „’Tschuldigung, Yama. Captain. Das Trionische Netz ist programmiert und einsatzbereit. Wo brennt’s denn hier?“

Mit noch immer leicht schwankender Stimme erzählte Yama von dem Zwischenfall. „Es war, als würde jemand meinen Kopf mit einer Kreissäge durchschneiden“, schloss er ratlos. Währenddessen setzte die Arcadia weich auf der riesigen zementierten Fläche auf.

„Ich bin hier, weil du einen Migräneanfall hattest?“, fragte Yattaran, und Harlock warf ihm einen Blick zu, der sein Grinsen ersterben ließ.

„Miime ging es ebenfalls schlecht. Solche Interferenzen dürfen nicht auftreten.“

„Ah, na gut. Ich bin aber auch kein Zauberer, wisst ihr. Kann mir mit Miime den Antrieb ja mal ansehen …“ Das immerhin war ein deutliches Zugeständnis. Harlock wusste, dass Yattaran Miime unheimlich fand und ihr, wenn möglich, aus dem Weg ging.

„Gehen wir dann jetzt von Bord?“, fragte Kei. Ungeduldig zu sein wie ein kleines Mädchen war eine ganz neue Seite an ihr. „Ich will die Plantagen sehen! Äpfel, so weit das Auge reicht!“

Yama rang sich ein Lächeln ab. „Natürlich begleitest du mich. Harlock, du doch auch?“ Fragend sah Yama zu ihm auf, und Harlock tat es fast weh, den Kopf zu schütteln. Yama wollte ihn gern bei sich haben. Wenn dies ein Teil seiner Welt war, dann wollte er sie mit Harlock teilen … Dennoch wies Harlock ihn ab. „Ich werde auf der Arcadia bleiben.“

In Yamas Gesicht erlosch das Licht. „Aber warum?“

„Ich habe noch etwas anderes zu tun.“ Fiel ihm denn wirklich keine bessere Lüge ein? Warum ließ seine übliche Wortgewandtheit ihn dermaßen im Stich, wenn es darum ging, Yama traurig zu machen?

„Oh … Gut. Dann sehen wir uns später. Kei?“

„Allzeit bereit.“ Sie tätschelte die Waffe im Holster an ihrer Hüfte. „Wir prüfen erst mal, ob alles sicher ist, dann können die anderen ja nachkommen.“

Als sie gingen, verbarg Harlock vor den Zurückgebliebenen, wie unglücklich er mit seiner Entscheidung war. Doch er konnte es sich nicht ansehen. Es war einfach zu früh. Er war noch nicht so weit.

„Bald“, murmelte er.

Dann half er Miime, Yattaran und Maji bei der Überprüfung des Dunkle-Materie-Antriebs.
 

***
 

„Was hältst du von Landurlaub für die Crew?“, fragte Kei. Yama hatte sie lange nicht so aufgekratzt gesehen.

„Ich weiß nicht. Vielleicht.“

Unter dem Schutz des Kraftfeldes gingen sie auf das Hangargebäude zu, hinter dem ein noch viel größeres Bauwerk aufragte. Dies musste der hiesige Außensitz der Gaia Sanction sein, und sicher lebten hier auch die Arbeiter. Die Luft war kühl und schmeckte sauber und etwas salzig, das Licht einer fernen Sonne fiel wie durch einen milchigen Filter.

Aus dem Hangar trat ihnen Lt. Salvador persönlich entgegen, gefolgt von zwei seiner Soldaten. Alle drei trugen die Uniformen der Gaia-Flotte, mit ihrem Symbol auf der Brust und den Rangabzeichen auf den Schultern. Dennoch wirkten sie weniger adrett als etwa Isoras Leute; Salvadors Uniform hatte Knitterfalten, seine Hose sah verwaschen aus und sein Haar etwas ungekämmt, vielleicht eine Begleiterscheinung der ständigen Stürme auf dieser Ebene. „Nun“, sagte er. „Ich hoffe, die Landung gestaltete sich dann doch noch einigermaßen angenehm.“ Er hob eine Braue in Richtung Kei. „Ich würde wirklich allzu gern wissen, wie Captain Harlock das Wissen, das Sie hierher geführt hat, erlangen konnte. Warum ist er eigentlich nicht selbst hier?“

Yama hatte keine Lust, sich auf diese Unterhaltung einzulassen. Kei neben ihm war hibbelig wie ein Kind vor der Bescherung an Weihnachten. Ihr Blick glitt ständig umher, in der Hoffnung, einen Blick auf die Plantagen zu erhaschen, doch von hier aus waren sie nicht zu sehen. „Ich wiederhole gern, dass wir keine feindlichen Absichten haben. Mein Wissenschaftsoffizier möchte die Plantagen besichtigen. Und ich möchte mit dem Chefbotaniker sprechen.“

Der Lieutenant und er musterten einander einen Moment lang, auch die Plasmapistolen am Gürtel des jeweils anderen. Salvadors Männer trugen ebenfalls die Standardbewaffnung der Flotte, das machte drei gegen zwei, und kurz kam Yama der Gedanke, dass es unklug gewesen sein mochte, mit Kei allein zu gehen – ein, zwei Männer mehr hätten auch nicht geschadet.

Doch augenscheinlich hatte auch Salvador keine Lust darauf, sich mit dem Rest einer berühmten ruchlosen Piratenbande anzulegen. Er nickte knapp. „Folgen Sie mir.“

Sie gingen durch den offenen Hangar hindurch an den beiden geparkten Schiffen vorbei und traten am anderen Ende wieder ins Freie, wo ein Steinpfad zum Hauptgebäude führte. Ein interaktiver Lageplan im Eingangsbereich wies die Ankommenden auf die Einrichtungen hin, die hier untergebracht waren, bereit, zu jeder davon den Weg zu weisen. Yama las Baracken, Labore, Küchen, Kommandozentrale, Tagungshalle, Versorgungsräume und anderes, das er nur noch mit dem Blick streifte.

„Zu den Plantagen geht es – …“, setzte der Lieutenant an, doch Kei hatte sich bereits vor dem Lageplan postiert und tippte darauf herum.

„Ich finde selbst hin, danke.“

Salvador musterte sie despektierlich. „Wenn Sie alles sehen wollen, werden Sie sich ein paar Tage Zeit nehmen müssen.“

Yama hielt sie sanft auf. „Kei, warte noch. Lass uns zusammenbleiben, bis ich mit den Botanikern sprechen kann.“ Beim Gedanken daran klopfte sein Herz schneller. Dies hier war … ein Stück der heilen Welt seiner Kindheit. Auch wenn er nie selbst hier gewesen war, hatte seine Mutter früher viel von der Arbeit in den Laboren und Treibhäusern berichtet. Vieles von dem, was sie erzählt und in ihren eigenen Gewächshäusern empirisch überprüft hatte, hatte in Yama den Wunsch geweckt, ihr in der Berufswahl nachzueifern.

„Unser Chefbotaniker, wie Sie ihn nennen, trägt leider keinen Peilsender, also kann ich Ihnen nicht sagen, wo auf diesem riesigen Gelände Sie ihn gerade finden“, informierte ihn Lt. Salvador mit bemühter Geduld. „Mein Vorschlag ist, dass Sie beide sich beim Übergang zu den Plantagen einfinden und ich unseren Mann anfunke und zu Ihnen schicke.“

Das klang akzeptabel. Yama rechnete nicht mit einem Hinterhalt; die Plantagen waren heilig, und ein Feuergefecht würde dort niemals riskiert werden. Mit einer ungeduldigen Kei im Schlepptau machte er sich auf den Weg, den der Lageplan mit blinkenden Pfeilen vorgab, außen um das Hauptgebäude herum, während der Lieutenant mit hinter dem Rücken verschränkten Händen in selbigem verschwand. Er trug nicht mal ein Funkgerät bei sich.

„Kommt es mir nur so vor, oder sind die hier wirklich mies ausgerüstet?“, raunte Kei ihm zu, während sie gingen.

Yama drängte sich dieser Gedanke ebenfalls auf. Vielleicht gab es Gründe dafür, warum dieser Außenposten der Gaia-Flotte ihnen nur so halbherzig Widerstand leistete.
 

***
 

„Es gibt keine messbaren Interferenzen zwischen dem Kraftfeld und der Dunklen Materie.“ Harlock ließ den Blick fragend über das Innere des Zentralcomputerraums schweifen. „Was hat Yama und Miime dann solche Schmerzen zugefügt?“ Zusammen mit Miime und Yattaran hatte er alle Tests durchlaufen lassen, die zur Verfügung standen, und Yattaran hatte das Lande-Kraftfeld des Planeten sogar simulieren können – ohne Ergebnis. Die Dunkle Materie folgte ihren eigenen physikalischen Gesetzen und entzog sich oft einer Analyse.

Tochiro drückte seine Ratlosigkeit aus. Ich Versuch gemacht. Ursache finden. Sensor nicht Entdeckung … Unwissen. Auch wenn er nicht wirklich zu ihm sprach, wusste Harlock das Zusammenspiel aus Lichtern, Tönen und Geräuschen zu deuten; es war ein Code, den sie über Jahrzehnte verfeinert hatten. Harlock konnte Tochiros Kommunikationssignale ebenso verstehen, wie er bei Menschen die Kombination aus Worten, Gestik und Mimik verstand.

„So lange ich keine harmlose Ursache finde, gehe ich von einem Sabotageversuch aus.“

Achtgeben. Ich. So gut wie möglich.

„Hoffentlich genügt das.“

Warum nicht gehen Ansehen Plantage. Du. Wegen Sorge? Hinterhalt?

Tochiro kannte ihn zu gut. „Falls etwas passiert, muss jemand hier sein, der einen kühlen Kopf bewahrt“, behauptete er dennoch.

Nicht ertragen. Du. Recht?

„Ich werde später nachkommen. Wenn Yama und Kei berichten, dass es sicher ist, kann die Crew sich ein wenig ausruhen. Sie haben viel hinter sich.“

Gut. Ablenkung. Wirklich.

Harlock fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Warum habe ich Yama überhaupt gehen lassen? Ein Captain gehört auf die Brücke.“

Entscheiden allein. Was tun. Und dann: Deine Schuld. Frage? Du. Nicht hier. Wegen Reden darüber. Sondern anderes. Ich spüre.

Er seufzte resigniert. „Na schön. Ich muss …“ Jetzt kam der schwere Teil. Doch Tochiro hatte Recht, deswegen war er hier. „… beichten.“

Achso. Tochiro kicherte, ein Flackern, das zu deuten Harlock damals absurd viel Zeit gekostet hatte. Ich glaube nicht. Du. Beichten nötig.

„Doch, alter Freund. Du siehst vieles, aber nicht alles.“ Er schloss das Auge, um sich die Überwindung zu erleichtern. „Yama …“

Passend. Gut zusammen. Ihr.

Harlock erstarrte innerlich.

Ich sehe nicht alles. Aber. Du. Ihn ansehen. Deutung nicht schwer.

„Du meinst …“ Sollte er wirklich dermaßen leicht zu durchschauen sein? Selbst für Tochiro, der ihn mehr als ein Leben lang kannte, war er doch nicht so ein offenes Buch …

Harlock. Die Lichter wurden etwas dunkler, das grelle Leuchten des roten Rings weicher. Ich sage oft. Du. Schonung mich. Lange genug. Pause. Was damals. Wir. Nicht Wiederholung möglich. Nicht jetzt. Zeit umkehren. Nicht möglich. Aber. Vorangehen. Möglich. Pause. Ewigkeit. Ich sehe. Du. Leid. Nun wurde das Licht warm, beinahe zärtlich; Tochiros Art einer Umarmung. Ich überglücklich. Du. Liebe. Endlich. Jemand.

Ein bitterer Geschmack breitete sich auf Harlocks Zunge aus. Er schluckte dagegen an. „Lieben … Ich weiß nicht, ob es das ist. Es ist so lange her … Ich weiß nicht mehr, wie sich Lieben anfühlt.“

Blödsinn. Ein spöttisches Aufgrellen des roten Auges. Behauptung. Du. Nur körperlich. Frage? Wahrscheinlich denken. Du. Nur Dunkle Materie. Schuld.

„Nein.“ Die Antwort tat sich ganz klar auf. „Nein. Das Körperliche könnte ich ignorieren, das konnte ich immer. Es gab so viele Gelegenheiten, Frauen, Männer … Nein. Bei Yama ist es mehr. Seine Entschlossenheit, wenn er glaubt, das Richtige zu tun … seine Unsicherheit, wenn er ahnt, dass er es nicht tut … seine Hoffnung, dass am Ende alles gut sein wird.“ Harlock schüttelte den Kopf. Er verstand es selbst nicht. „Und vor allem, dass er immer alles richtig machen will, selbst wenn er gerade alles falsch gemacht hat.“

Tochiro kicherte wieder. Dasselbe Flackern, begleitet von einem metallischen Geräusch.

„Er ist so naiv, so vertrauensselig, so impulsiv … aber dennoch ist er klug … neugierig, und lernfähig …“

Ich froh. Klärung das. Jetzt. Zu ihm gehen. Du. Rätsel lösen. Früchte Erde. Pause. Dann schnappen. Den Kleinen. Nicht mehr loslassen.

Harlock lehnte seine Wange an den kühlen Stamm aus Metall und Glasfaser. „Mein Freund. Das ist alles nicht leicht für mich.“

Ich bin hier. Harlock. Ich bin bei dir. Immer.

„Ich weiß.“
 

***
 

Sie warteten bei einer Obstplantage unter dem Energiefeld, das die Stürme fernhielt. Kirschbäume standen hier nahe den pavillonähnlichen Bauten, die die Labore und Treibhäuser beherbergten. Reihe an Reihe standen die Bäume, gerade weit genug auseinander, dass ihre Zweige sich nicht berührten. Die hinteren Reihen schienen Früchte zu tragen, die vorderen standen in Blüte. Yama bestaunte sie voller Faszination. Er hatte noch nie echte Kirschblüten gesehen, nur Bilder, Hologramme oder Repliken zur Dekoration.

Kei hatte sich längst getrollt; sie war nicht mehr aufzuhalten gewesen, als die Plantagen tatsächlich in Sicht kamen. Yama sah sie zwischen den Bäumen umherspazieren, an Blüten riechen und Blätter befühlen. Zu Yamas Überraschung standen die Bäume nicht in künstlichem Substrat, was er erwartet hatte; eine Deckschicht aus Kolonkit hätte ihre Pflege vereinfacht und die Wasserversorgung sichergestellt. Aber nein, diese Pflanzen steckten in reiner Erde, bis über die Wurzeln. Erde, deren Geheimnis Yama kennen wollte.

Schließlich erklang hinter ihm das Geräusch der sich automatisch öffnenden Tür zum Forschungstrakt. Yama drehte sich um, bereit, einen zweifellos sehr widerwilligen Wissenschaftler aus den Reihen der Gaia Sanction davon zu überzeugen, dass er nur die besten Absichten hatte. Er hatte sich zurechtgelegt, was er sagen wollte: dass es um die Wiederbelebung der Erde ging, dass es Anzeichen dafür gab, dass dies möglich war, und sie unbedingt zusammenarbeiten mussten, wenn die Menschheit eine Zukunft haben wollte. Es musste einfach funktionieren; die Wissenschaft war eine eigene Welt, die sich ungern von politischen Belangen beeinflussen ließ, und vernünftige Menschen konnten auf Augenhöhe miteinander sprechen.

Als der Mann aus der Tür ins milchige Licht trat, erstarrte Yama mitten in der Bewegung. Er hatte zuerst grüßen und das Gespräch freundlich eröffnen wollen, doch nun versagte ihm die Stimme.

Gaias Chefbotaniker war ein älterer untersetzter Mann mit kreisrunder Brille und fast kahlem Schädel, der ein adrettes Jackett aus grauer Schurwolle mit dunklen Manschettenknöpfen trug. Seine Gesichtszüge entgleisten in demselben Maße, wie Yama es an sich selbst fühlen konnte, und er blieb abrupt stehen; dann sagte er ungläubig: „… Yama?“

Und Yama konnte nichts Schlagfertigeres erwidern als: „… Professor?“



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