Zum Inhalt der Seite

Letzte Wiederkehr

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

VII


 

VII

„Kommen wir also zum eigentlichen Grund eures Besuches“, verkündete Pegasus, nachdem sie ausgiebig gespeist hatten. Atem fühlte sich bereits ermattet von der langen Anreise, seinem heftigen Gefühlsausbruch und dem Wein. Seto hingegen war keine Spur von Erschöpfung anzusehen. Geschäftig, fast wie bei einem Businessmeeting, holte er die beiden Karten aus seiner Tasche und schob sie Pegasus über die lange Tafel hinweg zu. „Kannst du uns das erklären?“, fragte er kurz angebunden.
 

Pegasus warf einen flüchtigen Blick auf die Karten und für den Bruchteil einer Sekunde veränderte sich sein Gesicht, in seine rotbraunen Augen trat ein mysteriöses Leuchten und er wirkte aufgeregt. Dann jedoch legte ihr Gastgeber sofort wieder seine kühle, zynische Maske an und strich sich eine silberne Haarsträhne aus dem Gesicht.
 

„Interessant“, sagte er amüsiert, „da seid ihr beiden ja auf etwas gestoßen, von dem ich eigentlich gehofft hatte, dass es nicht an die Öffentlichkeit gelangt.“ „Also hast du diese Karten entworfen und herstellen lassen?“, knurrte Seto feindselig. „In der Tat, das habe ich, Kaiba-Boy, aber ähnlich wie die Götterkarten sind sie nicht in Massenproduktion gegangen. Das heißt, diese hier sind Unikate.“
 

„Woher hast du die Inspiration dafür genommen?“, fragte nun Atem. Er wirkte aufmerksam und fixierte Pegasus mit ethnographischer Genauigkeit. „Dazu muss ich wohl etwas weiter ausholen“, seufzte Pegasus. Schließlich begann er, den beiden zu berichten, was er wusste.
 

***

„Wie ihr ja wisst, hat es auch mir das alte Ägypten angetan und ich habe viele meiner Inspirationen für Duel Monsters dort bezogen – die prominentesten sind natürlich die Götterkarten, für deren Erschaffung ich einiges auf mich genommen habe. Aber auch Exodia, viele der Grabwächter-Karten und einige andere haben ihren Ursprung in diesem faszinierenden Land und seiner mystischen Vergangenheit. Als ich Ägypten bereiste, um die Götterkarten höchstpersönlich in Stein gemeißelt zu sehen, habe ich auch einige andere Nachforschungen in Auftrag gegeben und immer die Augen nach vergessenen Rätseln offengehalten. So habe ich eines Tages erfahren, dass aus dem Museum von Kairo eine antike Schrift entwendet wurde, die angeblich alte Rituale der Schwarzen Magie barg. Dass sogar jemand gewagt hat, diese Schrift zu stehlen, hat meine Neugierde nur noch mehr geweckt und meinen Wunsch, in den Besitz dieser Artefakte zu gelangen, ins Unermessliche gesteigert.
 

Naja, ich kürze mal die illegalen Details etwas ab und sage nur so viel, dass es mir schließlich nach vielen Mühen gelungen ist, die Schriftrollen auf dem Schwarzmarkt zu erstehen. Anschließend habe ich sie übersetzen lassen und eingehend studiert. Es handelte sich dabei um ein Ritual, mit dessen Hilfe eine Kreatur beschworen werden kann, die das Gleichgewicht der Welt aus den Angeln hebt und Ra in seinem steten Weg mit seiner Sonnenbarke stört. Die Welt sollte fortan in Finsternis versinken. Das Ritual, so hieß es in der Schrift, könne jedoch nur derjenige durchführen, der dem Tod ins Auge geblickt hat und dann erblindet ist.“
 

„Was ist das wieder für ein gequirlter Blödsinn?“, unterbrach ihn Seto rüde. „Ich wiederhole nur, was dort geschrieben stand. Willst du die Geschichte nun hören, du ungeduldiger Jungspund, oder nicht?“ Seto lehnte sich in seinem Stuhl zurück und grummelte ein wenig vor sich hin, während Atem aufmerksam zuhörte und es in seinem Kopf offenbar arbeitete. „Wenn ich nur wüsste, wo ich das schon mal gehört habe“, murmelte er leise. „Was?“, Seto wandte sich fragend zu ihm um. „Ach … gar nichts“, wiegelte der Pharao kopfschüttelnd ab, „ich hab nur laut gedacht.“
 

„Jedenfalls – inspiriert vom Text der Schrift habe ich mich zurückgezogen und die Karten gemalt. Mir schien es, dass der Inhalt des Rituals gut ins Konzept von Duel Monsters passte und dass es förmlich danach schrie, einen Ritualzauber und eine zugehörige Monsterkarte zu entwerfen. Danach habe ich die Produktion in Auftrag gegeben. Als sie mir ein Muster der Karten schickten, um es abzusegnen, habe ich etwas Seltsames bemerkt: Der Text unter den Bildern war nicht, wie ursprünglich angedacht, in Kanji, sondern in altägyptischen Hieroglyphen verfasst. Als ich Erkundigungen für den Grund eingezogen habe, konnte mir niemand der Beteiligten darauf eine Antwort geben. Jeder verwies mich nur an irgendwelche anderen Verantwortlichen, sodass meine Gutmütigkeit und Geduld als Geschäftsmann ziemlich auf die Probe gestellt wurden – du kannst dir das sicher lebhaft vorstellen, kleiner Kaiba.
 

Ich war an diesem Tag ziemlich erschöpft und meine Nerven strapaziert, doch einschlafen konnte ich nicht. Und als es mir schließlich doch gelang, war es ein unruhiger Schlaf. Ich musste an die Vorfälle mit den Götterkarten denken. Immer wieder geisterten die Hieroglyphen des Rituals und die eindringlichen Malereien, die ich angefertigt hatte, durch meine wirren Träume. Ich sah ein Auge, durch das plötzlich ein heiß brennender Schmerz zuckte, woraufhin es trüb wurde. Dann verdunkelte sich die Sonne und die Erde bebte. Ich fuhr aus dem Schlaf auf und fasste einen Entschluss. Ich würde auch diese Produktion stoppen. Zu ungut war mein Gefühl dabei, diese Karten der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen."
 

Tja, und deshalb gibt es heute nur diese beiden Exemplare. Und sonst weiß ich nichts darüber. Mehr kann ich euch nicht sagen. Außer vielleicht …“ „Außer was?“, Atem beugte sich interessiert nach vorn. Doch Pegasus schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, gar nichts. Nichts von Belang.“ Der Pharao musterte ihn lange mit seinen mysteriösen Augen, die scharfsinnig jede Gefühlsregung aufzudecken vermochten. Schließlich erhob sich Pegasus unbehaglich. „Es ist spät. Wir sollten zu Bett gehen. Eure Zimmer sind bereits für euch gerichtet worden. Ich wünsche euch eine geruhsame Nacht.“ Damit klaubte er die beiden Karten vom Tisch auf und schickte sich an, den Raum zu verlassen.
 

„Pegasus“, hielt Seto ihn noch einmal auf, „die Karten sind, soweit ich mich erinnere, jetzt in meinem Besitz.“ Pegasus sah überrascht auf die beiden Musterexemplare in seiner Hand. „Oh – natürlich, natürlich. Du hast vollkommen Recht, Kaiba-Boy. Ich muss wirklich schläfrig sein. Hier hast du sie zurück. Erlaube mir in diesem Zusammenhang eine letzte Frage: Wie bist du eigentlich in den Besitz dieser Raritäten gekommen? Denn soweit ich mich erinnere, habe ich sie immer gut verwahrt – bis sie eines Tages gestohlen wurden.“ „Gestohlen?!“, Atem riss die Augen auf und Seto wurde für einen Moment fahl. „Falls du jetzt glaubst, ich wäre ein Dieb, hast du dich geschnitten! Ich weiß nicht, wo die Karten herkamen. Der Pharao hat sie gestern gefunden und ich habe sie vorher noch nie zuvor gesehen. Aber da ich meine Mitarbeiter des Öfteren damit beauftrage, neue oder seltene Karten zu beschaffen, schätze ich, sie sind auf diesem Wege irgendwie zu mir gelangt.“
 

„Keine Sorge, Kaiba. Ich denke ja so einiges Unschmeichelhaftes von dir, aber dass du Ehre im Leib hast, das weiß ich. Wir werden dieses Rätsel heute nicht mehr lösen können. Belassen wir es einfach dabei. Ich bin ja froh, dass die Karten wieder aufgetaucht sind. Nun denn, ihr Täubchen. Gute Nacht.“
 

Als ihr Gastgeber verschwunden war, schien Atem tief in Gedanken. „Über was grübelst du?“, fragte Seto kurz angebunden, während er die beiden Karten in seiner Manteltasche verstaute. „Naja, es ist alles recht sonderbar. Erst wird diese Schrift aus dem Museum entwendet, nur um dann von diesem Pegasus erworben zu werden. Dann werden die Karten ebenfalls gestohlen und finden sich bei dir wieder – gerade zu dem Zeitpunkt, als mein Geist in eure Gegenwart gezogen wurde. Das scheinen mir doch recht viele Zufälle zu sein.“
 

„Ok, nehmen wir mal an, dieses ganze uralte Gefasel hätte Hand und Fuß“, seufzte Seto, „glaubt du denn, dass du dieser Jemand aus der Schrift bist, der dem Tod ins Auge geblickt hat und dann erblindet ist?“ „Wie meinst du das?“, hakte der Pharao nach. „Naja, ich meine, weil du – oder dein späteres Ich – gegen Zorc gekämpft hast und dabei fast verloren hättest. Du hast also in der Tat dem Tod ins Auge gesehen. Und dann hast du deinen Geist ins Puzzle verbannt und deine Erinnerungen verloren – du bist also bildlich gesprochen erblindet.“ Atem senkte den Kopf und legte eine Hand an sein Kinn. „Hm, das ergibt durchaus Sinn. Aber das würde ja bedeuten, dass ich das Ritual durchführen soll! Damit würde ich doch eine dunkle Macht freisetzen, wieso sollte ich das also tun?“ „Da hast du auch wieder Recht … oder vielleicht ist ja auch Bakura gemeint. Denn sein Geist ist, wie deiner, in den Ring verbannt worden. Und zuvor hat er Zorc beschworen, er hat also freiwillig dem todbringenden Wesen ins Auge geblickt.“
 

Atem gähnte. „Lassen wir es für heute gut sein und schlafen erst mal darüber. Ich bin nämlich sehr müde.“ Seto nickte. Croquet trat zu ihnen und führte sie zu ihren Zimmern im Gästeflügel. „Na herrlich“, sagte der Pharao trocken und lächelte verschmitzt, „das sind ja wirklich rosige Aussichten für mich. Nachdem ich jetzt weiß, welches Schicksal mich dort in Form von Zorc erwartet, habe ich richtig Lust, wieder in mein altes Leben zurückzukehren.“ Seto wurde ein bisschen mulmig zumute. In den üblichen Science Fiction-Romanen und -Filmen wurde einem immer gepredigt, dass man nicht zu stark in eine Zeitlinie eingreifen dürfe. Was hatte es wohl bewirkt, dass sie Atem von seiner Zukunft, seiner Verbannung ins Puzzle. erzählt hatten? Und was noch viel wichtiger war: Würde er überhaupt je zurückkehren können?
 

„Du … denkst also, dass du zurückkehren wirst?“, fragte er geradeheraus. Atem schlug die Augen nieder. „Was bleibt mir anderes übrig, als mir zumindest einzureden, daran zu glauben?“ sagte er leise und etwas matt. „Immerhin hast du selbst gerade gesagt, dass dein Leben in Ägypten nicht mehr besonders viel für dich bereithält. Wieso also überhaupt zurückkehren?“, gab Seto zu bedenken. „Das stimmt“, bestätigte der Pharao, „aber dennoch ist es das Leben, das für mich bestimmt ist, und es steht mir nicht zu, darüber zu entscheiden, ob ich es annehme. Und abgesehen davon wären wir wohl alle übel dran, wenn ich mein Schicksal nicht erfülle und versäume, gegen Zorc anzutreten, oder sehe ich das falsch?“
 

Atems Gedanken über seine Bestimmung hätte Seto einiges entgegenzusetzen gehabt, denn er war ein Freund davon, sein Leben selbst in der Hand zu haben. Und auch die Materie der Zeitreise war unfassbar kompliziert. Seto beschloss, heute nicht weiter darüber zu fachsimpeln und es dabei bewenden zu lassen. „Wie dem auch sei – es ist spät. Also – gute Nacht jedenfalls.“ Atem nickte. „Gute Nacht.“
 

***

Stille empfing Seto, als er sich müde die Augen rieb, seinen Mantel ablegte und in Hemd und Hose in sein Bett fiel. Der lange Flug hatte ihn viel Konzentration gekostet und er schlief fast augenblicklich ein. Ihm war jedoch nur ein kurzer Schlaf vergönnt. Als er die Augen wieder aufschlug, war es noch immer finster und die Uhr gegenüber seinem Bett zeigte 3:00 Uhr in der Nacht. Seto schloss wieder die Augen, doch schaffte es nicht, erneut einzuschlafen.
 

Seine Gedanken kreisten noch lange um das, was ihnen Pegasus erzählt hatte, und um die Frage, ob Atem derjenige sein könnte, der im Ritual genannt wurde. Warum sonst hätte er schließlich erneut in dieser Zeit erscheinen sollen? Allerdings – wenn dem tatsächlich so war, warum hatte man dann eine Version von ihm hergeschickt, die ihren entscheidenden Kampf gegen Zorc noch gar nicht ausgefochten hatte? War dann strenggenommen der Text auf der Karte nicht unzutreffend?
 

Seto gestand es sich nur schwerlich ein, aber er fühlte sich verantwortlich dafür, dass der Pharao nun hier in der Fremde festsaß – obwohl auch er sich mittlerweile fast sicher war, dass er seine Rückkehr nicht verursacht hatte. Ein größeres Prinzip schien hinter alldem zu stehen. Er bewunderte Atem dafür, dass er sich nicht unterkriegen ließ, dass er offen und selbstsicher blieb, auch wenn er vollkommen auf sich alleingestellt war und bei jedem Menschen, dem er hier begegnete, aufs Neue abwägen musste, ob ihm zu trauen sei. Er erinnerte Seto dabei an sein jüngeres Ich, das sich in seiner Anfangszeit als Geschäftsführer ebenfalls keine Schwäche hatte zu Schulden kommen lassen.
 

Und doch war Atem anders. Vorhin, als ihn offenbar seine Erinnerungen überwältigt hatten, hatte er eine solche Schwäche ganz offen gezeigt. Und auch wenn er dies nicht geplant hatte, musste Seto feststellen, dass er ihm für diese Offenheit nur noch mehr Respekt zollte, dass ihn dies fast noch stärker und integrer erscheinen ließ. Eine Welle der Empathie hatte ihn für den Pharao überkommen, die ihn sprachlos zurückgelassen hatte. Zu gerne hätte er gewusst, was es gewesen war, das dem Pharao die Tränen in die Augen getrieben hatte. Im Grunde wusste er nichts über sein früheres Leben und über die Menschen in seinem Umfeld. War Atem auf sich gestellt? Hatte er enge Vertraute?
 

So rasten Setos Gedanken und er wälzte sich unruhig hin- und her. Gerade als er schließlich doch für einige Zeit eingenickt sein musste, fiel plötzlich ein heller Lichtstrahl direkt in seine Augen und erhellte den Raum ein wenig. Verwundert erhob sich Seto und trat zum Fenster. In einem der höchsten Türme der Burg brannte scheinbar Licht. Dort schien sich jemand aufzuhalten. Ein merkwürdiges Gefühl überkam ihn, als würde eine finstere Klaue nach seinem Geist greifen. Und vor seinem inneren Auge glühte erneut die Hieroglyphenschrift auf. Einem Impuls folgend eilte er zu dem Haken an der Tür, an dem er seinen Mantel aufgehängt hatte. Hektisch griff er in die Tasche, um die beiden Karten herauszubefördern. Er stockte – Die Spielkarten waren verschwunden. „Verdammter Mist!“
 

Eine beängstigende Vorahnung überkam ihn, die sich anfühlte, als würde sein Körper in Eiswasser geworfen. Just in diesem Moment klopfte es an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, wurde sie aufgestoßen und Atem stand, ebenfalls bekleidet und mit ernstem Gesichtsausdruck, vor ihm. „Die Karten …?“, fragte er angespannt. Seto begegnete seinem Blick etwas zerknirscht und Atem schien sofort zu begreifen. „Bei Osiris und Isis!“, stieß er fluchend aus, „dann hast du es auch gespürt, oder nicht?“ Seto nickte zähneknirschend. Das genügte dem Pharao.
 

„Atem, sieh dir das mal an!“, der Besitzer der Kaiba Corporation deutete auf das erleuchtete Turmzimmer, das man von seinem Fenster aus sehen konnte. Atems Blick flog hinauf. Ohne ein weiteres Wort sprintete er aus dem Raum. „Warte doch, verdammt!“, fluchte Seto. Er folgte ihm auf dem Fuß und hatte ihn aufgrund seiner längeren Beine schnell eingeholt. Schnaufend und mit brennenden Lungen passierten sie das Burgtor und die Ländereien, bis sie am Fuß des Turms angelangten.


 


 


 


 


 


 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück