Zum Inhalt der Seite

Advanced Attraction

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Liams Gefühle

Bereits als Liam vor Jodies Haustür stand, hatte er ein ungutes Gefühl in der Brust. Er war nervös und spürte eine gewisse Beklommenheit, die er das letzte Mal hatte, als er Jodie kennenlernte. Er fand sie hübsch und konnte sich auch eine Beziehung mit ihr vorstellen, nur war der damalige Zeitpunkt eher schlecht gewählt. Und so entschied er sich, auf Abstand zu gehen, aber dann war alles anders gekommen.

Sein komisches Gefühl sollte ihn nicht täuschen. Jodie war nicht zu Hause. Sie wartete nicht auf ihn. Stattdessen traf sie sich mit den Nachbarn im April. Er selbst war früher auch mit einigen Kommilitonen dort gewesen, hatte aber keinen Gefallen an dieser Studentenbar gefunden. Tagsüber sollte man dort auch lernen oder Hausarbeiten schreiben können – was auch einige taten – aber dennoch war es viel zu laut. Immer wieder kamen irgendwelche Studentinnen zu ihm und versuchten ein Gespräch anzufangen. Sie flirteten mit ihm und auch bei einem Nein ließen sie nicht locker. Und wenn es keine Studentinnen waren, waren es andere Kursteilnehmer, die über die Vorlesung, die Seminare oder die Aufgaben sprechen wollten. Egal was er sich auch vornahm, er hatte nichts davon geschafft. Sobald es Abend wurde, desto lauter wurde es in der Bar und dann war auch seine letzte Konzentration verschwunden. Außerdem war ihm das Personal nicht Geheuer. Er wusste nicht warum, aber irgendwas störte ihn. Dass sich ausgerechnet Jodie in diese Bar verirren würde, hatte er nicht gedacht – zumindest nicht zu diesem frühen Zeitpunkt. Er fragte sich, ob es Jodie dort gefallen würde und ob sie nun häufiger in die Bar wollte. Wenn ja, würde er sich mit ihrer Entscheidung arrangieren müssen. Doch er hoffte auf das Gegenteil, aber wenn ihre Nachbarn zu den Stammgästen gehörten, hatte sie vermutlich keine andere Wahl.

Kaum dass Jodie ihm den Ort nannte, hatte er sich in Bewegung gesetzt und war zur U-Bahn Station gelaufen. Er wollte weder, dass Jodie zu später Stunde noch irgendwo alleine herumlief – und wer wusste schon, ob sie zusammen mit den Nachbarn wieder nach Hause kam – noch das sie von irgendwelchen notgeilen Typen angemacht wurde. Man hörte viel über Frauen die in derartige Situationen gebracht wurden und das Schlimmste nicht mehr verhindern konnten. In seinem Kopf sah er bereits wie Jodie unter k.o.-Tropfen gesetzt, verschleppt und vergewaltigt wurde. Sofort legte sich eine Gänsehaut auf seinen Körper und er schüttelte den Kopf. Er versuchte jeden Gedanken daran zu verdrängen und sagte sich, dass er rechtzeitig kam.

Während der gesamten Fahrt in der U-Bahn tippte Liam nervös mit dem Fuß auf dem Boden. Die wenigen Minuten kamen ihm wie Stunden vor. Sobald die Türen aufgingen, drängelte er sich nach draußen und lief wieder los. Auch wenn er von Anfang an wollte, dass Jodie auf eigenen Füßen stand, musste er zugeben, dass seine Idee ein Fehler war. Sie begann damit ihr eigenes Leben zu leben, ein Leben zu dem er womöglich nicht dazu gehörte oder nicht mehr dazu gehören würde. Obwohl er alles nur zu ihrem Wohl tat, glaubte er nun, sie von sich weggestoßen zu haben.

Als Liam die Bar betreten hatte, sah er sich nach Jodie um. Er musste lächeln, als er sie sah. Es ging ihr gut und sie war im Gespräch mit ihren Nachbarn vertieft. Als Elena ihn wahrnahm, wies sie mit dem Finger auf ihn. „Das ging ja schnell.“

Jodie stand auf und lächelte. „Liam.“

Er ging sofort auf Jodie zu und küsste sie. „Da bin ich. Hast du mich vermisst?“

„Natürlich“, nickte Jodie. „Ich vermiss dich immer, wenn du nicht bei mir bist.“

„Das wollte ich hören“, schmunzelte Liam. „Wollen wir nach Hause gehen?“

„Wenn du das möchtest“, gab Jodie von sich. Sie nahm ihr Glas und trank den Rest in einem Rutsch aus.

Aus dem Augenwinkel sah er den skeptischen Blick von Akai. Liam riss sich allerdings zusammen und legte den Arm um seine Freundin. „Ich wär jetzt wirklich gern allein mit dir“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Jodie schmunzelte. Sie blickte zu Elena und den anderen. „Ich mach mich dann mit Liam auf den Weg nach Hause. Wir sehen uns sicher morgen.“

„Kommt gut nach Hause“, entgegnete Elena.

„Machen wir“, sagte Liam und ging mit Jodie nach draußen. „Ich hab dich wirklich vermisst.“

„Mhm…? Wie gut, dass du jetzt da bist.“

Liam traute seinen Ohren nicht. Normalerweise hätte Jodie geantwortet Wir können ja zusammen ziehen, damit wir uns häufiger sehen oder etwas in der Art und Weise. Doch dieses Mal reagierte sie nicht auf seinen – wie er fand – subtilen Hinweis. Hatte er sie tatsächlich verloren? Nein, so schnell gab er nicht auf. Er würde ihr zeigen, wie es um seine Gefühle stand und er nahm sich vor, das Thema Wohnung bald wieder anzusprechen.
 

Auch wenn sich Liam in den kommenden Tagen bemühte, es hatte sich nichts in ihrer Beziehung verändert. Noch immer hatte er das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Ja, er wollte, dass Jodie ihr eigenes Leben lebte und auf eigenen Füßen stand. Aber irgendwie war er über die Richtung in die alles lief nicht erfreut. In seinen Augen machte Jodie viel zu viel mit ihren Nachbarn, während er auf dem Abstellgleis stand. Mit einem Mal fühlte er sich alleine und außen vor gelassen. Fühlte sich Jodie früher etwa auch so? Jetzt hatte er das Gefühl, dass er sie viel besser verstand und wusste, warum sie so an ihm hing. Nur hatte er es nicht zu schätzen gewusst. Anfangs wollte er nicht, dass sich Jodie zu sehr auf ihn fixierte. Aber jetzt wo sie einander nicht mehr täglich sehen oder täglich telefonieren konnte, sehnte er sich nach ihr. Er wollte ihre Haut berühren, den Duft ihres frisch gewaschenen Haars riechen und den Tag gemeinsam im Bett verbringen. Warum hatte er nur vorgeschlagen, getrennt zu wohnen? Was hatte ihn damals dazu geritten? Er war schuld daran, dass sie auseinander drifteten. Aber wie konnte das sein? Sie fingen doch erst jetzt so wirklich ihre Beziehung an, auch wenn sie schon lange zusammen waren. Was lief nur zwischen ihnen schief?

Er hatte zwar mit einigen Kommilitonen gesprochen, die er mittlerweile seine Freunde nannte, aber diese hielten es für ein normales Verhalten bei einem Pärchen. Sie waren lange getrennt und mussten sich erst aufeinander einspielen. Und trotzdem störte es ihn. Er hatte Angst, dass Jodie ihre Beziehung schon sehr bald in Frage stellen würde. Oder noch schlimmer, sich in eine andere Person verlieben würde. Vielleicht sogar in einen der Nachbarn, die dauernd um sie herumscharwenzelten. Allein bei dem Gedanken wollte er schreien, musste sich aber zusammenreißen, als die Tür aufging und eine Kundin rein kam. Er hatte sie bereits häufiger in der Boutique gesehen. Sie hatte langes schwarzes Haar und sah sehr attraktiv aus. Außerdem lächelte sie jedes Mal, wenn sie den Laden betrat und sie waren in etwa im gleichen Alter. Sie gehörte zu den wenig Personen die er als Stammkundschaft betitelte.

„Guten Tag, viel Spaß beim Umsehen“, begrüßte er sie. Endlich konnte er sich wieder gebraucht fühlen, immerhin war den Kunden die Beratung sehr wichtig.

„Danke, den hab ich“, entgegnete sie und ging zu einem Kleiderständer. Sie schob einen Bügel nach dem nächsten zur Seite, nahm hin und wieder einen Bügel heraus und hielt ihn sich vor dem Körper, während sie in den Spiegel an der Wand schaute. Bei einigen Kleidern runzelte sie die Stirn, schüttelte den Kopf oder behielt den Bügel in der Hand.

Liam beobachtete sie dabei. Immer wenn sie kam, probierte sie verschiedene Outfits an, entschied sich dann aber für eines oder zwei. Vermutlich war es ihre Ausrede, um auch an einem anderen Tag wieder in die Boutique zu kommen. Jedes Mal wenn sie sich einen Bügel vor den Körper hielt, stellte er sich vor, wie die Kleidung der Frau stand, wie sie damit draußen herumlief und Männer betörte. Mit erschrecken stellte er fest, dass sie eigentlich ganz süß aussah. Liam klatschte sich mit den Handflächen auf die Wangen und versuchte seine Gedanken zu vertreiben. „Reiß dich zusammen“, sagte er zu sich selbst.

Die Frau wandte sich zu ihm. „Was glaubst du, steht mir das Kleid?“, wollte sie zu ihm wissen.

Der junge Mann fühlte sich ertappt und errötete. „Äh…ja…bestimmt…dir steht sicher alles.“

„Du willst doch nur etwas verkaufen“, zog sie ihn auf und schmunzelte.

„Haha…erwischt...haha…“ Liam lachte verlegen. Und dann war ihm seine Reaktion so peinlich.

„Dann will ich mal nicht so sein und ein paar Sachen anprobieren. Und danach sagst du mir, ob mir die Sachen wirklich stehen oder nicht. Wenn sie mir stehen, kaufe ich sie. Aber du musst ehrlich sein. Haben wir einen Deal?“

Er nickte, weil er selbst nicht wusste, was er erwidern sollte. Flirtete sie etwa mit ihm? Liam schüttelte den Kopf. Nein, das bildest du dir ein, sagte er zu sich selbst. Warum sollte sie auch mit ihm flirten? Andererseits tat seinem Selbstwertgefühl dieser Gedanke gut.

„Gut, bis gleich“, sprach sie und verschwand mit fünf Kleidern in der Kabine. Wie versprochen kam sie regelmäßig heraus und stolzierte vor ihm damit herum. Als sie fertig war, zog sie sich wieder um und kam nach draußen. „Und? Was davon stand mir? Und nicht vergessen, ich will deine ehrliche Meinung. Ich seh dir an, wenn du lügst.“

„Alles, das rote und das gelbe Kleid stehen dir am besten. Die anderen passen auch, sind aber nicht unbedingt optimal. Und das grüne Kleid würde ich nicht nehmen. Es wirkt irgendwie…verschlossen?“

„Verschlossen?“, wiederholte sie. „Ach so, du meinst, damit wirke ich nicht sexy genug.“

Ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. „Naja…ich…so hab ich…das nicht…also ich…“

„Ich zieh dich nur auf“, antwortete sie. „Ich höre auf deinen Rat und nehme wie vereinbart das rote und das gelbe Kleid. Packst du mir die bitte ein?“

„Natürlich“, nickte Liam und nahm die beiden Sachen entgegen. Er scannte den Barcode, faltete die Kleider zusammen und schob sie in die Tüte. „Viel Spaß und bis zum nächsten Einkauf.“

„Mhm? Woher weißt du denn, das ich wiederkomme?“, wollte sie wissen.

„Es ist nicht das erste Mal, dass ich dich hier sehe“, gab Liam von sich. Er fühlte sich erneut ertappt. Hatte er zu viel gesagt? Glaubte sie, er würde sie beobachten? Sie stalken? „Als Verkäufer kennt man seine Stammkundschaft. Deswegen glaube ich, dass wir uns wiedersehen werden. Ich kann es dir nicht verdenken. Die Kleider haben ein gewisses Etwas. Und so eine kleine Boutique hat auch seinen Charme.“

Sie schmunzelte. „Du hast mich also beobachtet, aber…vielleicht komme ich auch wegen dem Verkäufer her. Er ist wirklich süß und genau mein Typ.“

„Eh…?“ Er sah sie irritiert an. Dann blickte er hinter sich und prüfte, ob sie nicht doch eine andere Person meinte. Sein Selbstwertgefühl stieg.

„Ich mein dich.“

„Eh…danke, aber ich…also ich…ich hab…ich bin…“ Warum er stammelte, wusste er nicht. Was war nur los mit ihm?

„Schon gut“, fing die junge Frau an. „Du musst mir kein Kompliment machen und ich erwarte auch nichts von dir.“ Sie lächelte wieder. „Ich werde dich auch nicht anmachen oder um ein Date bitten. Das muss meiner Meinung nach der Mann tun. Wenn du Zeit brauchst oder mich nicht attraktiv findest, fühl dich zu nichts gezwungen. Ich bin erwachsen und kann auch mit Zurückweisung umgehen. Also mach dir um mich keine Sorgen.“

Liam kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Nein, das ist es nicht. Du bist schon attraktiv, sehr sogar, aber…ich…ich hab eine Freundin.“ Genau! Er hatte eine Freundin und an die dachte er gerade.

Sie musterte ihn. „Schade. Aber dann stimmt es wohl, was alle sagen. Die guten Typen sind entweder schwul oder bereits vergeben. Naja…macht ja nichts. Ein wenig peinlich ist es schon, aber ich hoffe, ich darf trotzdem noch weiterhin hier einkaufen.“

„Natürlich“, nickte der Student. „Du bist jederzeit willkommen.“

„Das hör ich gern. Ich bin im Übrigen Claudia und du?“

„Liam“, antwortete er.

„Gut, also dann, Liam, wir sehen uns bei meinem nächsten Einkauf“, sprach sie und ging zur Tür. Sie drehte sich zu ihm um und zwinkerte.

Ist das gerade wirklich geschehen?, fragte er sich und sah ihr verwirrt hinterher. Ein weiteres Mal schlug sich Liam mit den Handinnenflächen gegen die Wangen. Du hast eine Freundin!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück