Zum Inhalt der Seite

Abyss

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Worries

Es sind drei Tage vergangen. Drei Tage, in denen sich Enji zur Geduld gemahnt hat. Sie haben vereinbart, dass sie sich Zeit lassen und dass er Hawks die Möglichkeit gibt, über alles nachzudenken. Dennoch hat er gedacht, dass sich der Jüngere wenigstens zwischendurch melden würde. Eine kurze Nachricht. Eigentlich ist Hawks recht penetrant mit Whatsapp – gerade was die Emoticon-Funktion angeht. Enji hat nicht erwartet, dass er das irgendwann mal vermissen würde. Meistens sind seine Antworten einsilbig ohne unnötigen Schnickschnack. Jetzt allerdings wünscht er sich eine mit seltsamen Smileys versehene Nachricht.

Während der Arbeit entscheidet er sich schließlich doch dazu, Hawks zu schreiben. Dieser hat gesagt, dass er ihm schreiben darf. Es ist zwar nichts passiert, auch wenn Enji wirklich Probleme damit hat, nicht mal ein Bier trinken zu dürfen, aber noch hat er sich im Griff. Was heißt, dass er permanent gereizt und unruhig ist, aber noch keinen Wutanfall bekommen hat. Er ist jedoch nicht weit davon entfernt, als ihm Kido gesteht, dass er eine Mail an den falschen Kunden geschickt hat. Nichts, was sich nicht beheben lässt, aber dennoch ein schlechtes Licht auf die Firma wirft.

Enji reißt sich zusammen. Als Hawks jedoch Stunden später immer noch nicht geantwortet hat, wünscht er sich, er hätte seinem Ärger Luft gemacht. Seine aufgestauten Gefühle schwelen in ihm, als er allein ist, und dass die Nachricht scheinbar nicht mal durchgeht, lässt ihn ruhelos werden.

Enji versteht nicht, was los ist. Ignoriert Hawks ihn absichtlich? Hat er sein Handy ausgeschaltet? Ist ihm bewusst geworden, dass er das alles doch nicht kann und will? Die Gedanken rasen durch seinen Kopf, auch wenn er es nicht glauben will. Allerdings weiß er selbst am besten, dass es für nichts im Leben eine Garantie gibt.

Als am nächsten Morgen immer noch nichts von dem Jüngeren kommt, entscheidet Enji, dass er ihn im Club aufsuchen wird. Eine andere Möglichkeit fällt ihm nicht ein, auch auf die Gefahr hin, dass er Hawks damit eventuell den Freiraum nimmt, den sie vereinbart haben. Er wird ihm sagen, dass er sich Sorgen gemacht hat – und irgendwie stimmt das ja auch. Es ist einfach nicht Hawks‘ Art, sein Wort zu brechen und sich gar nicht zu melden. Das sieht ihm nicht ähnlich. Abgesehen davon wird Enji langsam nervös.
 

Als er im Club auftaucht, werden ihm zwei Dinge bewusst. Erstens, dass er schon mindestens 2 Wochen nicht mehr hier gewesen ist, da Hawks und er sich meistens nach seiner Schicht getroffen haben, und zweitens, dass er hier umso mehr den Drang verspürt, sich einen Drink zu genehmigen. Er kämpft innerlich dagegen an, obwohl er direkt die Bar ansteuert. Er weiß, dass Hawks mit Pinky zusammenwohnt, aber da er sie nirgendwo entdecken kann, muss er es wohl oder übel bei dem grimmigen Barkeeper versuchen. Er freut sich bereits jetzt auf dieses Gespräch.

Als er Aizawas finstere Miene sieht, kommt ihm der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht hätte hierherkommen müssen, sondern Toshinori hätte anrufen können. Jetzt ist es dafür zu spät. Andererseits…vielleicht ist diese Sache, die die beiden am Laufen haben, auch schon längst wieder vorbei? Nicht, dass es ihn interessiert.

„Hawks hat Urlaub“, erwartet ihn die unfreundliche Begrüßung. „Dachte nicht, dass ich dir das sagen müsste. Es sei denn, du bist heimlich hier…oder der Grund für den spontanen Urlaub.“

Enji hat ohnehin keine guten Nerven, von daher braucht er Aizawas Provokationen heute noch weniger als sonst. Allerdings will er was von dem Mann, also appelliert er an seine Beherrschung. Er hat ihm nicht das du angeboten, aber gut, er wird es einfach hinnehmen. Ebenso wie er es diplomatisch versuchen wird.

„Da bin ich mir nicht sicher“, erwidert er ehrlich. „Also…ob ich der Grund dafür bin.“

Aizawa verengt die dunklen Augen, mustert ihn argwöhnisch und Enji will gar nicht wissen, was ihm durch den Kopf geht.

„Er wollte sich bei mir melden. Das ist vier Tage her und ich kann ihn nicht erreichen. Dass das unüblich ist, weißt du ja bestimmt.“

Der Barkeeper verzieht das Gesicht ein wenig, was darauf schließen lässt, dass er ihm nicht zustimmen will, es aber auch nicht verneinen kann. Es ist ungewöhnlich, dass sich Hawks nicht meldet.

„Pinky hat ihn abgemeldet“, meint er knapp und schnappt sich ein Glas. „Dasselbe wie immer?“

Enji würde so gern „ja“ sagen, dass er seinen Hals brennen und sein Herz rasen spürt. Hawks würde es nicht erfahren. Es wäre nur ein Drink. Andererseits wird Aizawa ihn liebend gern verraten, da macht sich Enji nichts vor. Außerdem wäre das Verrat an seinem Versprechen, weswegen er abwinkt.

„Nur Cola.“

Er trinkt eigentlich keine Cola. Überflüssiges, ungesundes Zeug, das dem Körper schadet, aber Wasser wird ihm jetzt nicht reichen. Er braucht irgendeinen Geschmack im Mund. Aizawa sieht ihn skeptisch an, hinterfragt es jedoch nicht, sondern füllt ihm Cola ins Glas.

„Ich kann dir nicht einfach seine Adresse geben. So etwas mache ich nicht. Er wird Gründe haben, wenn er sich nicht meldet.“

„Sein Handy ist aus oder…was auch immer. Meine Nachrichten kommen nicht an“, knurrt Enji gereizt.

„Vielleicht hat er dich auch einfach nur blockiert.“

Enji funkelt den anderen Mann böse an, auch wenn er sich nicht wundern sollte. Aizawa kann ihn offensichtlich nicht leiden. Welchen Grund hätte er, ihm zu helfen? Abgesehen davon stimmt es ja, dass er nicht wissen kann, ob sie nicht eigentlich Stress haben. Es wäre falsch, ihm Hawks‘ Adresse zu geben. Wieder keimt der Gedanke in ihm auf, dass Hawks es sich vielleicht anders überlegt hat. Andererseits…würde Hawks ihm das nicht ins Gesicht sagen? Er ist niemand, der sich versteckt und Dinge unausgesprochen lässt…oder? Wie viel im Detail weiß er über Hawks? Es bereitet ihm Kopfschmerzen.

„Nein“, erwidert er müde. „Dazu gibt es keinen Grund. Wenn er nichts mehr von mir wissen will, kann er das sagen.“

Aizawa sieht ihn daraufhin nachdenklich an, scheint nicht zu wissen, wie er darauf reagieren soll. Vielleicht glaubt er ihm nicht oder er hat so etwas nicht erwartet. Eigentlich kann es Enji egal sein. Verbittert blickt er in die Cola, während erneut die Sorge in ihm aufsteigt. Dann fällt ihm etwas ein.

„Arbeitet Pinky heute?“, erkundigt er sich.

„…sie ist gerade im Separee.“

Also kann er mit ihr sprechen, sobald sie herauskommt. Enji fühlt eine gewisse Erleichterung in sich aufsteigen, denn was auch mit Hawks los ist, sie wird es wissen. Immerhin wohnen die beiden zusammen.
 

„Eh…nein, tut mir leid. Ich kann dazu echt nichts sagen.“

Pinky steht in ihrem türkisfarbenen Body mit den lila Flecken vor ihm und wischt sich beiläufig den Glitzer von der Wange.

„Ich bin seit zwei Tagen bei meinem Freund. Hawks meinte, ich soll seinen Urlaub weitergeben, bevor ich weg bin. Dachte, er schreibt vielleicht eine Arbeit oder so.“

Sie reibt sich das Kinn und verteilt wieder mehr von dem Glitzer auf ihrer Haut.

„Also, mir hat er auch nicht geschrieben, aber das passiert schon mal, wenn er viel um die Ohren hat und na ja…ich kann ja mal versuchen, ihn anzurufen. Er wird schon okay sein!“

Sie grinst ihn breit an und streckt den Daumen in die Höhe, als würde sie ihn ermutigen wollen. Vermutlich will sie das auch. Enji nickt nur, auch wenn er ihr wirklich dankbar für die Hilfe ist. Angespannt sieht er zu, wie sie seinen Kontakt antippt und darauf wartet, dass er abnimmt. Nach ein paar Sekunden gibt sie es dann auf.

„Er hat sein Handy aus“, murmelt sie und man merkt ihr an, dass sie es seltsam findet.

Aizawa lehnt sich etwas zu ihnen herüber, scheint sich nun auch Sorgen zu machen.

„Das ist nicht seine Art.“

„Überhaupt nicht“, stimmt Pinky zu und fährt sich durch ihre auffälligen Haare. „Ich spreche mit Hakamata-san. Für heute mache ich Schluss und fahre nach Hause. Wenn doch irgendetwas passiert ist…“

„Ich fahre dich.“

Enji hat es schneller gesagt, als er darüber nachdenken kann. Es ist seine einzige Chance, irgendwie Kontakt zu Hawks aufzunehmen. Verdutzt wird er von ihr angesehen.

„Eh…also eigentlich wollte ich auf meinen Freund warten. Andererseits…wäre das schon gut. Ich glaube, er trainiert noch“, überlegt sie laut, woraufhin Aizawa sich räuspert.

„Du fährst nicht mit ihm mit.“

„Aber er ist doch Hawks‘ Freund!“, widerspricht sie aufbrausend.

Auch wenn es ja stimmt, ist es befremdlich, es so zu hören. Hawks‘ Freund. Gerade an dem Abend, an dem sie beide zu dem Schluss gekommen sind, dass er das sein sollte…ist alles aus den Fugen geraten.

„Vielleicht ist er auch der Grund dafür, dass Hawks sich nicht meldet.“

„Ach, das glaube ich nicht. Wenn er etwas damit zu tun hat, wäre es ja ziemlich dumm von ihm, hierherzukommen, sodass alle Leute mitkriegen, dass er ihn sucht.“

„Pinky…“

„Und dein Freund ist doch ein Freund von ihm oder nicht, Aizawa-san? Yagi-san meinte zu mir, dass er in Ordnung ist – und die kennen sich voll lange.“

Was zur Hölle hat Toshinori hier bitte herumerzählt?! Enji wäre wütend, wenn es ihm gerade nicht in die Hände spielen würde.

„Toshinori ist nicht mein Freund“, kommt es angefressen von Aizawa.

„Ach komm. Ihr hattet doch Dates…“, meint Pinky und grinst nun breit, während sie mit den Augenbrauen wackelt. „Und er ist wirklich oft hier. Hat die ganze Zeit nur Augen für dich~!“

„Lass das.“

„Wie auch immer! Ich gehe mich schnell umziehen und dann fahren wir los. Warte einfach hier auf mich, Großer!“

Enji fragt sich, seit wann sie ihn duzt. Hat er überhaupt schon mal ein Wort mit ihr gesprochen? Eigentlich hat er etwas gegen respektloses Verhalten, aber vielleicht hat Hawks ihn mürbe gemacht. Außerdem will er, dass sie mit ihm zur Wohnung fährt. Wenn er jetzt falsch reagiert, überlegt sie sich das sicher und das will er nicht.

Also nickt er nur und versucht, Aizawas bohrenden Blick zu ignorieren, während er wartet.

„Wenn Hawks oder ihr deinetwegen irgendetwas passiert, ist die Polizei dein kleinstes Problem“, warnt er ihn mit seinem düsteren Ausdruck.

Enji weiß, dass er sich nur Sorgen macht, dennoch hat er langsam genug von den Drohungen. Er hat verstanden, dass Aizawa seine Kollegen wichtig sind. Da er aber nicht riskieren will, dass der Kerl am Ende noch mitkommt, bleibt er einfach still und nickt. Hoffentlich kommt Pinky gleich zurück…
 

Zu seinem Glück ist Pinky nach ein paar Minuten wieder da. Sie trägt eine lilafarbene Jogginghose und ein leuchtend grünes, bauchfreies Top. Übersehen kann man sie jedenfalls nicht. Sie schultert ihre Tasche und funkelt ihn aus ihren bernsteinfarbenen Augen an.

„So, von mir aus können wir los!“, verkündet sie und irgendetwas an ihrer Ausstrahlung sagt ihm, dass sie seinetwegen keine Bedenken hat.

Umso besser, wenn sie ihn nicht wie einen Triebtäter behandelt. Aizawa funkelt ihn noch einmal warnend an, ehe er Pinky anweist, dass sie ihn benachrichtigen soll, wenn sie weiß, ob mit Hawks alles in Ordnung ist.

Danach begeben sie sich zu seinem Wagen und fahren los. Pinky lehnt sich während der Fahrt zurück und auch, wenn sie sich bisher recht locker gegeben hat, scheint sie besorgt zu sein. Enji kann es ihr nachfühlen, denn es geht ihm ebenso.

„Die nächste rechts“, meint sie und sieht dabei auf die Straße. „Wegen Hawks…gibt es Probleme zwischen euch?“

Auch wenn sie das eigentlich nichts angeht, bleibt Enji ruhig.

„Ja“, erwidert er ehrlich, ohne näher darauf einzugehen.

Pinky ächzt leise, als hätte sie das erwartet, und sinkt tiefer in ihren Sitz zurück.

„Ich wusste es. Er hat zwar gegrinst und gemeint, alles sei super, aber irgendwie…war er anders. Du gehst aber nicht zurück zu deiner Frau, oder?“, fragt sie dann und zeigt mit dem Finger auf ihn.

„…nein. Das ist es nicht“, gibt er knapp zurück .

Vermutlich hat Hawks ihr von seiner Frau erzählt, doch auch wenn es ihm nicht passt, hat er jetzt andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen.

„Und du machst auch nicht aus irgendwelchen anderen Gründen Schluss mit ihm?“

„Dann wäre ich wohl kaum in den Club gekommen“, brummt er genervt, woraufhin sie langsam nickt und den Finger sinken lässt.

„Stimmt. Das wäre bescheuert. Hm. Also Probleme, die sich lösen lassen?“

„…darüber wollte er nachdenken. Wir sind aber nicht im Streit auseinander gegangen. Es gibt keinen Grund dafür, dass er sich nicht meldet.“

Pinky schweigt ein paar Sekunden, ehe sie erneut nickt und die Schultern sinken lässt.

„Hawks ist…er wirkt offen, aber er ist eigentlich eher verschlossen. Wir wohnen jetzt schon bestimmt 2 Jahre zusammen und ich weiß nicht viel über ihn. Ich meine, klar, ich weiß, dass er Chicken Wings liebt und Yakitori und dass er Unmengen essen kann. Ich kenne seine Lieblingsfarbe – rot übrigens – und weiß, dass er Marvel-Filme toll findet. Aber wo er herkommt und was er vor dem Club gemacht hat – oder was mit seinen Eltern ist und ob er Geschwister hat…über so etwas redet er nicht. Da links.“

Enji hört ihr still zu, wobei ihm auffällt, dass es ihr nicht anders geht als ihm selbst. Das ist ihm auch schon aufgefallen. Hawks ist nur in den Themen offen, die nicht zu privat sind. Die nicht in die Tiefe gehen.

„Manchmal kommt so ein Typ vorbei. Also zu unserer Wohnung. Ein älterer Mann. Mit dem redet er dann kurz und danach ist Hawks immer ganz komisch. Er wollte mir aber nicht sagen, wer das ist. Sagt dir das etwas?“, spricht Pinky weiter.

Enji schüttelt den Kopf, während er sich fragt, was ein älterer Mann von Hawks will. Sein Innerstes verkrampft sich bei dem Gedanken, dass es auch ein Kunde aus dem Club sein könnte. Dass Hawks noch mit anderen…doch er verwirft es direkt wieder. Es ist nicht fair, so etwas direkt zu denken, nur weil der Jüngere bei Sex recht aufgeschlossen ist. Nein. Er will so nicht über ihn denken.

Stattdessen kommt ihm ein anderer Gedanke, der jedoch nicht besser ist.

„Du kennst den Kerl nicht aus dem Club, oder?“

„Hm? Oh. Nein. Er ist kein Kunde. Das wüsste ich. Hawks hat öfter mal Stammkunden und generell kommen oft dieselben Männer – bis auf die von den Junggesellenabschieden. Ich denke nicht, dass er so ein Stalker ist wie der von letztens, wenn dir das Sorgen macht. Dann wäre er mir bestimmt aufgefallen.“

Ja. Es hat ihm Sorgen gemacht, weil er sich noch daran erinnert, wie Hawks danach gewesen ist. Nach außen hin ist alles gut gewesen, doch er hat ihm angemerkt, dass es ihn belastet hat.

„Na ja, wie auch immer…du musst in die nächste Straße abbiegen und dann sind wir da.“

Nun, wenigstens muss er sich nicht mehr lange fragen, was los ist. Jedenfalls nicht, wenn Hawks zuhause ist. Enji hofft, dass er das ist, denn falls nicht, weiß er nicht, was er noch tun soll, außer zu warten…oder die Polizei zu rufen.
 

Als sie die Treppen zur Wohnung hinter sich gelassen haben und vor der Haustür stehen, holt Pinky ihren Schlüssel heraus, zögert dann aber merklich. Anscheinend kommt sie zu dem Schluss, dass es besser ist, erst einmal zu klingeln, schließlich rechnet Hawks nicht mit ihr. Also klingelt sie. Sie warten und horchen auf Geräusche, wobei Enji angespannt ist. Vielleicht hat er zu viele Filme gesehen oder sein Leben ist einfach zu sehr im Eimer, aber er wird den Gedanken nicht los, dass Hawks in seiner Wohnung gefangen gehalten werden könnte. Von diesem Typen aus dem Club, der ein Nein nicht akzeptieren konnte und möglicherweise zum Stalker geworden ist.

Niemand öffnet, doch er hört leise Geräusche aus der Wohnung, auch wenn er sie nicht zuordnen kann. Pinky tauscht einen Blick mit ihm, ehe sie erneut klingelt. Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, hat sie ähnliche Gedanken wie er. Abermals hören sie nichts. Dann ertönen Schritte.

Enji macht sich darauf gefasst, dass er gleich jemanden zusammenschlagen muss, als – die Tür geöffnet wird und sie direkt in Hawks‘ Gesicht blicken. Dieser starrt sie beide völlig verwirrt an und bleibt so im Türrahmen stehen, dass sie keinen Blick hineinwerfen können.

„Eh…mit der Kombi habe ich jetzt nicht gerechnet “, entkommt es ihm müde lächelnd. „Dachte, du bist noch bei Kirishima, Mina?“

Pinky starrt ihn mindestens so perplex an wie Hawks kurz zuvor noch sie beide. Wenigstens scheint er unverletzt zu sein – zumindest auf den ersten Blick. Will er etwas verbergen? So, wie er steht, kann man weder in die Wohnung noch den kompletten Körper des Blonden sehen.

Pinky stemmt die Hände in die Hüften und funkelt ihn an.

„Planänderung, weil wir uns voll die Sorgen um dich gemacht haben, Hawks! Warum hast du dein Handy ausgeschaltet?! Dein Freund hier war auch schon richtig fertig, weil es kein Lebenszeichen von dir gab! Was soll das?!“

Anscheinend ist Hawks sprachlos, angesichts dessen, dass sie ihn so ankeift – auch wenn Enji der Meinung ist, dass sie das zurecht tut. Er schluckt kurz, ehe er das Gesicht verzieht.

„Ja…also, was das angeht…mein Handy ist kaputt.“

„Was?“, entkommt es Pinky trocken.

„Ist runtergefallen. Bin drauf getreten. Kaputt. Nichts geht mehr, sorry“, führt er es weiter aus und lächelt schief, ehe sich sein Blick auf ihn richtet. „Deswegen konnte ich mich auch nicht melden. Ich hab‘s zur Reparatur gebracht, aber das dauert halt ein bisschen. Tut mir echt leid, dass ihr euch Sorgen gemacht habt, aber wie ihr seht, geht’s mir gut.“

Enji fühlt eine Mischung aus Wut und Erleichterung. Er hat sich schon sonst etwas ausgemalt und dann ist einfach nur sein Handy kaputt. Na ja, besser, als wenn tatsächlich etwas passiert ist. Auch wenn Enji das Gefühl nicht loswird, dass Hawks ihnen etwas bei der Geschichte verschweigt. Es ist die Art, wie er dort steht. Nicht so typisch locker wie sonst und noch immer verbirgt sein Körper das Innere der Wohnung.

„Ich werde dann mal weiter lernen, ja? Enji fährt dich bestimmt zu Kirishima – ich will nicht schuld daran sein, dass eure Zweisamkeit leidet“, scherzt der Blonde und grinst dabei. „Oh, und Enji, mir tut das wirklich leid. Ich hätte mich eigentlich gemeldet, aber na ja…vielleicht gehen wir die Tage was essen? Ich ruf dich an, sobald mein Handy wieder heile ist, ja? Ach, und Mina, kannst du bitte Hakamata-san sagen, dass ich die ganze nächste Woche noch Urlaub brauche? Ich muss echt noch viel pauken, wenn ich-“

Enji hat die ganze Zeit das Gefühl, dass er sie loswerden will. Als es jedoch im Inneren der Wohnung klirrt und etwas kurz darauf poltert, bestätigt sich dieses Gefühl. Hawks‘ Grinsen wankt für einen Moment und…wird er gerade blass?

„Hawks. Wer ist da in unserer Wohnung?“, fragt Mina ruhiger, als sie es vermutlich ist.

Der Blonde sieht sie mit einem undefinierbaren Blick an.

„Da ist bestimmt nur was runtergefallen. Ich hab die eine Tasse wohl zu dicht am Rand abgestellt“, erwidert er monoton.

Wahrscheinlich weiß er, dass seine Lüge nicht funktionieren wird.

„Erzähl uns keinen Scheiß und geh zur Seite“, knurrt er ihn an, weil es ihm allmählich reicht.

Hawks richtet seine bernsteinfarbenen Augen auf ihn, verzieht keine Miene, doch er geht auch nicht weg.

„Es ist alles okay.“

Enji glaubt es ihm nicht, stellt sich dicht vor diesen hin und funkelt ihn an.

„Dann kannst du uns auch reinlassen.“

„Das ist Hausfriedensbruch.“

„Das ist auch meine Wohnung, Hawks“, erinnert Pinky ihn ernst.

Hawks‘ Blick flackert von einem zum anderen und man merkt ihm den Widerwillen deutlich an. Dann atmet er so beherrscht durch, wie es ihm möglich ist, und kehrt ihnen den Rücken. Die Tür lässt er angelehnt, sodass sie hineinkommen können.

Enji sieht kurz zu Pinky, die mit den Schultern zuckt – dann folgen sie Hawks hinein.
 

Die Wohnung hat er sich nicht so…bunt vorgestellt. Aber gut, Hawks wohnt mit einer jungen Frau zusammen, die scheinbar ausgefallene Farbkombinationen liebt. Darüber hinaus hat er nicht die Geduld, sich länger mit der Einrichtung zu befassen. Wohin ist Hawks verschwunden?

Enji hält inne, als er ins Wohnzimmer kommt, wo die knallpinken Scherben einer Vase auf dem Boden verteilt sind. Hawks kniet auf dem Boden und redet auf jemanden ein, der dort auf dem Laminat kauert und irgendwas murmelt.

„…steh jetzt auf. Du verletzt dich. Oi.“

Man merkt, wie schwer es ihm fällt, die Fassung zu bewahren. Die sonstige Gelassenheit in seiner Stimme ist einem gereizten Unterton gewichen und als seine Worte ignoriert werden, packt Hawks die am Boden liegende Person kurzerhand am Arm und hievt sie auf die Beine. Die dünne Frau trägt ein langes, gestreiftes Kleid, das ein wenig schmutzig ist. Ihre Haare sind ebenso dunkelblond wie Hawks‘ und noch zerzauster. Ihre Augen sind unfokussiert und glasig, so als würde sie durch sie hindurchsehen, und sie murmelt zusammenhanglose Worte.

Enji fragt sich, ob sie betrunken ist – oder etwas genommen hat. Die Situation ist unangenehm und er versteht, warum Hawks nicht wollte, dass sie hereinkommen.

„Soll ich dir h-“

„Ich schaffe das allein. Macht, was ihr wollt“, schneidet er ihm kalt das Wort ab und schleift die Frau aus dem Zimmer.

Vermutlich bringt er sie in sein eigenes. Im Vorbeigehen fällt Enji der Verband um Hawks‘ rechten Unterarm auf, doch er spricht ihn nicht noch einmal an. Es erinnert ihn unweigerlich daran, wie er den Jüngeren angegangen ist, als seine Kinder da gewesen sind. Er fragt sich, ob die Frau Hawks‘ Mutter ist…und fühlt sich sogleich schuldig. Weil sie in eine private Situation hineingeplatzt sind, die Hawks offensichtlich vor ihnen verbergen wollte.

Er wendet sich Pinky zu, die aussieht, als wüsste sie nicht, was sie tun soll. Vermutlich ist es ihr ebenso unangenehm wie ihm.

„Ruf deinen Freund an“, meint er schließlich und sie stutzt. „Ich rede mit ihm. Dann lässt er seine Wut an mir aus und nicht an dir.“

Das ist nur fair, immerhin ist er dafür verantwortlich, dass sie hier sind. Wenn er nicht Alarm geschlagen hätte…aber vielleicht ist es auch gut so.

„Sicher? Wenn ihr sowieso schon Stress habt…?“, bemerkt Pinky skeptisch.

„Ja. Sicher. Ich glaube, ich verstehe gerade ein bisschen mehr, wo unser Problem liegt“, erwidert er leise.

Es ist seine Gelegenheit, endlich mehr über Hawks zu erfahren. Genauso ist es der Punkt, an dem sie beide entscheiden könnten, dass das mit ihnen keine Zukunft hat. Enji unterdrückt das flaue Gefühl in seinem Magen; er will sich dem stellen. Er muss es sogar tun.

„Tu mir nur den Gefallen und ruf Aizawa an. Ich habe keine Lust, dass er doch noch die Polizei ruft und nach mir fahnden lässt…“, brummt er, woraufhin Pinky schief lächelt.

„Ja. Mache ich. Vielleicht ist es wirklich besser, wenn du mit ihm redest. Sag ihm aber, dass ich immer für ihn da bin, ja?“

„Ja.“

Daraufhin ruft sie ihren Freund an, während Enji wartet. Er wird Hawks ein wenig Zeit geben, um sich zu sammeln. Um die Situation zu akzeptieren…und dann werden sie reden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück