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Abyss

von

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Pain

Hawks muss zugeben, er ist innerlich hin und her gerissen. Da er bisher nie die ganze Geschichte gehört hat, kann er Endeavor eigentlich gar nicht in Schutz vor seinen Kindern nehmen. Er weiß nicht, was genau passiert ist, und wenn er ehrlich ist, wird ihm langsam etwas flau im Magen. Natürlich zeigt er seine Emotionen nicht. Das tut er in solchen Situationen nie. Er ist äußerlich abgeklärt und ruhig, auch wenn es ihn in gewisser Weise triggert. Endeavors aggressive Art, die er von seinem eigenen Vater kennt, sorgt für einen bitteren Beigeschmack und er hofft, dass es nicht auf so eine Geschichte hinausläuft.

Dennoch kann er nicht anders, als dem Mann, für den er in den letzten Wochen Gefühle entwickelt hat, beizustehen. Aus diesem Grund ist er zurückgekommen. Er hat gewusst, dass das hier nicht gut enden würde, und es fühlt sich falsch an, ihn damit allein zu lassen. Scheinbar hat er Recht gehabt, wenn er sich die Scherben so ansieht. An der Tapete trocknet langsam der Whiskey und bildet gelbe Flecken. Ohne Zweifel hat Endeavor zuvor einiges davon heruntergekippt, man kann es riechen.

Sauber machen wird er später. Auch wenn ihn das unangenehm an früher erinnert, als er seinen Eltern hinterhergeputzt hat. Mina würde ihn wohl verprügeln, wenn sie alles wüsste. Gut, dass Hawks nie jemandem von seiner unschönen Vergangenheit, die leider immer noch die Gegenwart überschattet, erzählt hat. Gewisse Dinge macht man eben lieber mit sich selbst aus.

Er nimmt das Glas und füllt es mit Wasser aus dem Hahn, ehe er zurück ins Wohnzimmer geht, wo Endeavor auf der Couch sitzt, das Gesicht in der riesigen Pranke vergraben. Hawks hat ihm eine Decke umgelegt, die er immer noch trägt, während das Zittern scheinbar abgeebbt ist.

Wenn Hawks ehrlich ist, überraschen ihn die Tränen. Nicht, dass große, starke Männer nicht auch das Recht dazu haben, zu weinen, es ist nur…er hat das einfach nicht erwartet. Vielleicht, weil er schon seit Jahren nicht mehr geweint hat. Selbst als Kind hat er viele Sachen stumm ertragen und mit sich selbst ausgemacht; es hätte auch niemanden interessiert, hätte er sich geäußert. Gesund ist das vermutlich nicht, aber es ist Hawks‘ Art, seine Lasten zu schultern.
 

„Hier.“

Er setzt sich neben Endeavor und hält ihm das Glas hin, woraufhin der andere erschöpft aufsieht. Schweigend fixiert er das Wasserglas, ehe er es aus seiner Hand nimmt und einen Schluck davon trinkt. Vermutlich schämt er sich, denn er weicht seinem Blick direkt wieder aus. Schwierige Situation und Hawks weiß selbst nicht, was er sagen soll.

„Lass mich mal deinen Fuß sehen. Wenn die Scherbe noch drinsteckt, entzündet sich das vielleicht“, meint er schließlich.

Stille. Er nippt lediglich noch mal am Wasserglas.

„Endeavor-san.“

„…warum bist du überhaupt noch hier?“

Hawks stutzt bei der Frage, denn er hat ja schon zuvor erklärt, dass ihn die Sorge hergetrieben hat.

„Warum nicht?“, entgegnet er knapp, auch wenn ihm natürlich Gründe einfallen.

Endeavor sieht ihn aus seinen geröteten Augen finster an.

„Dachte, du hättest vorhin mitbekommen, was für ein Scheißkerl ich bin“, ranzt er ihn an. „Oder reicht dir das an deinem Arm nicht?“

Hawks runzelt die Stirn, ehe sein Blick kurz zu besagter Stelle schweift. Tatsächlich sieht man die Druckstellen noch und er weiß aus Erfahrung, dass das ein blauer Fleck werden wird. Die Erinnerung, die er plötzlich damit verknüpft, macht es nicht gerade einfacher für ihn. Er will keiner von diesen Menschen sein, die sich von ihrer Vergangenheit gefangen halten lassen.

Langsam wandert sein Blick wieder zu Endeavor zurück, welcher ihn immer noch anfunkelt.

„Versuchst du, mich zu vertreiben, damit du einem Gespräch ausweichen kannst, Endeavor-san?“, fragt er gefasst nach.

Dabei ist er das nicht. Es erinnert ihn daran, dass er selbst ebenfalls nicht ehrlich ist. Klar, man überfällt niemanden mit seinem Ballast, aber offensichtlich ist da mehr zwischen ihnen. Sie treffen sich seit Wochen. Genau genommen weiß Endeavor viel weniger über ihn als umgekehrt. So ist das schon immer gewesen. Mit jedem Menschen, den er in sein Leben gelassen hat.

„Es ist mir lieber, du gehst jetzt…und nicht, nachdem du alles weißt. Ich will nicht, dass du mich auch so ansiehst wie sie“, erwidert der Ältere leise.

Seine angespannte Haltung macht deutlich, wie sehr er Hawks‘ Verachtung fürchtet. Er würde ihn gern beruhigen, dass er sich keine Sorgen darum machen soll, aber das wäre eine Lüge. Die Wahrheit macht Hawks Angst, aber er weiß, dass er sie hören muss. Er ist stärker als das.

„Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass wir nicht reden müssen. Dass ich nicht alles wissen muss, aber…wenn du mir jetzt nicht vertraust, macht das alles keinen Sinn. Ich kann dir nicht irgendetwas versprechen, ohne zu wissen, was passiert ist. Ich kann dir nur mein Wort geben, dass ich dich nicht allein lassen werde. Ich glaube immer noch nicht, dass sich ein schlechter Mensch so quälen würde. Du bist nicht skrupellos, Endeavor-san. Also…versuchen wir’s, hm?“

Hawks lächelt schief, doch Endeavor sieht nicht aus, als würden ihn die Worte beruhigen. Viel eher nehmen seine Züge etwas Gequältes an, während er sich wohl irgendwie zu sammeln versucht. Er sitzt da und knetet seine Hände, wie um sich zu erden. Vermutlich weiß er nicht, wo er anfangen soll.
 

„Was Natsuo mir vorwirft, stimmt“, beginnt er schließlich und sieht dabei wieder vor sich hin. „Ich war kein guter Vater. Meine Arbeit…ich habe die Firma von meinem Vater übernommen und genau wie er war ich kaum zuhause. Ich war ständig überarbeitet und auf Geschäftsreisen. Wenn ich zuhause war, war ich oft gereizt. Ich…habe meine Kinder unter Druck gesetzt und ebenso meine Frau. Ich wurde…laut, wenn sie mit schlechten Noten nach Hause kamen oder sich ein Fehlverhalten leisteten. Touya hat den meisten Druck abbekommen. Er war der Älteste…und er begann zu rebellieren.“

Hawks hört ihm einfach nur zu, auch wenn bei den Worten gemischte Gefühle in ihm aufkommen. Er kann sich vorstellen, dass sich Endeavors Kinder oft gefühlt haben müssen, als seien sie ihrem Vater egal.

„Er hat angefangen, sich mit dubiosen Leuten zu treffen. Anscheinend hat er sich bei diesen Leuten mehr zuhause gefühlt als unter meinem Dach…und…wer kann ihm das verübeln? Er hat die Schule geschwänzt und ist über Nacht weggeblieben. Als ich ihn beim Gras Rauchen in seinem Zimmer erwischt habe, hat er mich bloß angegrinst und gemeint, ich soll zur Hölle fahren. Ich hätte ihn doch sowieso aufgegeben. Er hat mich provoziert und…ich habe ihn am Kragen gepackt und ihn angebrüllt. Ihm gedroht, dass das Konsequenzen haben würde. Er hat mich ausgelacht. Mich gefragt, was ich denn tun will…und da habe ich mich nicht mehr beherrschen können… Ich habe erst realisiert, was ich getan hatte, als ich ihn am Boden habe liegen sehen… Den Blick, mit dem er mich angeschaut hat, während er seine schmerzende Wange hielt, werde ich nie vergessen…“

Hawks hat es irgendwie schon geahnt, dennoch trifft es ihn, es zu hören. Jedoch zeigt es auch, dass sich Endeavor seiner Fehler bewusst ist. Dass er keine Ausreden für sein Handeln, das zweifellos falsch ist, zu finden versucht. Er atmet durch, unterbricht ihn aber nicht. Auch wenn es hart für ihn ist.

„Heute weiß ich…dass das falsch war. Dass ich schwach war und dadurch etwas Unverzeihliches getan habe. Touya ist danach von zuhause weggelaufen und meine Frau und ich hatten einen heftigen Streit. Das war wohl…das Ende unserer Ehe. Und unserer Familie.“

Hawks kann es sich vorstellen, auch wenn er ahnt, dass die Geschichte an sich noch nicht zu Ende ist. Endeavor schweigt einen langen Moment, ehe er weiterspricht.

„Ich habe nach ein paar Monaten versucht, ihn nach Hause zu holen. Ich wusste nicht wie, aber ich wollte ihn finden und es irgendwie regeln. Er hat sich auf der Straße mit diesen Leuten herumgetrieben und…als ich ihm wieder gegenüberstand, hat er deutlich gemacht, dass ich für ihn gestorben bin. Also…bin ich gegangen. Ich war wütend und wusste nicht, was ich tun sollte. Im Endeffekt stimmt es, dass ich ihn aufgegeben habe. Ich hätte mich entschuldigen müssen. Ich hätte ihm sagen sollen, dass er jederzeit zurückkommen kann. Dass wir auf ihn warten…und nicht, dass er selbst schuld daran ist, wenn er von jetzt an wie ein Versager auf der Straße lebt.“

An diesem Punkt braucht Endeavor abermals ein paar Sekunden, um sich zu fassen. Er schluckt hart und fährt sich durch das Haar, was Hawks ahnen lässt, dass es noch richtig bitter wird. Sicherlich. Immerhin ist sein Sohn gestorben. Es schaudert ihn unweigerlich.

„Stattdessen habe ich versucht, mich um meine anderen Kinder zu kümmern. Ein besserer Vater zu sein. Allerdings habe ich damit wohl zu spät begonnen. Also habe ich mich in meiner Arbeit vergraben und die Ablehnung meiner Familie ausgeblendet, statt mich ihr zu stellen. Rei nannte mich damals einen Feigling – zurecht. Ich bin vor den Problemen weggelaufen.“

Hawks sieht, wie seine Hände wieder zu zittern beginnen und er kurz die Lippen zusammenpresst. Es erleichtert ihn, dass er nicht aufsteht, um sich den Whiskey zu holen. Das wird es nicht leichter machen. Jedenfalls nicht auf Dauer.
 

„Ein paar Mal hat Touya wohl bei Rei…meiner Frau angerufen“, zwingt er sich, fortzufahren. „Er hat ihr gesagt, er würde sich jetzt Dabi nennen. Er klang eigenartig. Wie im Wahn. Es…ist nicht bei Gras geblieben. Scheinbar waren die Leute, bei denen er untergekommen ist, in Drogengeschäfte verwickelt. Es lief wohl nicht gut in den Jahren auf der Straße. Viele wurden erwischt und hochgenommen. Immer, wenn er angerufen hat, hat er nach Geld gefragt – doch ich habe das unterbunden. Ich dachte…wenn er keine Mittel mehr hat…wenn er…hungert und friert, dann kommt er wieder nach Hause. Das dachte ich wirklich.“

Hawks nickt leicht, zum Zeichen, dass er das versteht. Einem Abhängigen Geld zu geben, führt nur dazu, dass er leichter an neuen Stoff kommt. Auch wenn Endeavor zweifellos mehr hätte tun können. Aber das weiß dieser selbst, weswegen er es nicht sagt. Er muss den Finger nicht in die Wunde legen.

„Und dann?“, fragt er leise nach.

Endeavor atmet hörbar durch, muss erneut hart schlucken, bevor er weitersprechen kann.

„Er…kam nach Hause“, entkommt es ihm erstickt. „Ist eingebrochen. Mitten in der Nacht. Er kannte unsere Alarmanlage und hat sie ausgeschaltet. Es roch nach Rauch. Und er…hat getobt und herumgebrüllt…und uns gedroht, dass er das Haus niederbrennen wird. Anscheinend wurde der komplette Drogenring hochgenommen. Er war auf der Flucht…und drauf. Ich dachte…dass er das nicht ernst meint. Dass er…nur auf Drogen ist. Dass er nur zur Besinnung kommen muss…aber er hatte Benzin dabei. Er hatte es schon in einigen Räumen verteilt. Wir haben gestritten und er hat…mich angegriffen. Er ist auf mich losgegangen und ich musste…ich habe ihn abgewehrt. Ich dachte nicht…dass er wirklich…dass er vorhatte…sich umzubringen. Und uns mitzunehmen. Es…es ging alles so schnell, plötzlich war das Feuer…das Feuer überall und…er hat uns nicht herauslassen wollen. Tanzt mit mir in der Hölle, hat er immer wieder gebrüllt. Ich…ich musste zuerst sichergehen, dass alle herauskommen. Ich…die Flammen waren überall und…Shouto…er war noch in seinem Zimmer. Ich musste ihn herausholen, er…er…wäre beinahe…wir alle wären beinahe gestorben. Touya…ich…ich wollte ihn holen, aber ich…als ich mit Shouto draußen war…das Haus stand in Flammen und er…er ist verbrannt. Einfach…verbrannt. Ich…ich wollte wieder hinein. Ich bin wieder zum Haus zurück und ich wollte ihn…ihn retten, das wollte ich wirklich, ich…ich konnte nicht…die Flammen…“

Er gräbt die Finger in seine linke Gesichtshälfte und vermutlich spürt er den Phantomschmerz gerade überdeutlich. Erinnerungen können so etwas triggern. Hawks weiß nicht wirklich, was er sagen oder tun soll. Er fühlt Mitleid. Für Endeavors Familie…und auch für den Mann, der so viel falsch gemacht hat. Auch wenn er es nicht gutheißt, er merkt, dass Endeavor unter dem, was passiert ist, leidet.

Hawks fragt sich unweigerlich, ob seinen Eltern jemals etwas davon leidgetan hat, was sie ihm über die Jahre angetan haben. Noch heute kommen sie zu seiner Wohnung, um Geld aus ihm herauszupressen. Immer noch droht sein Vater ihm mit Schlägen, wenn er sich weigert. Es ist bitter und eigentlich will er diese Menschen nicht mit Endeavor vergleichen, doch er kann nichts dagegen machen.

Ebenso wenig wie er etwas dagegen machen kann, dass er mit dem älteren Mann mitfühlt. Dass er sich in ihn verliebt hat, trübt vermutlich sein Urteilungsvermögen, doch…irgendwie ist das Hawks sogar egal. Endeavor hat Fehler gemacht, doch er sieht sie ein und bereut sie. Er ist kein schlechter Mensch. Schlechte Menschen sitzen nicht wie ein Häufchen Elend da oder kriegen Panikattacken. Sie machen einfach so weiter. Verletzen weiter Menschen. Es ist ihnen egal.
 

Wenn Hawks ehrlich ist, hätte er nun lieber etwas Zeit, um über alles nachzudenken. Um sich zu überlegen, wie es weitergehen soll und kann. Er weiß jedoch, dass er Endeavor so nicht sich selbst überlassen kann. Sollte sich dieser etwas antun, weil er nicht da gewesen ist…nein, damit könnte Hawks nicht leben. Obwohl er hin und her gerissen ist, wird er bleiben.

„…danach…hatte meine Frau…einen Nervenzusammenbruch. Sie musste eingewiesen und psychologisch betreut werden und ich…ich wusste, dass es meine Schuld ist. Ich weiß, dass ich…dafür verantwortlich bin. Hätte ich nicht…aber ich kann es nicht ändern. Ich kann nicht…rückgängig machen, was geschehen ist.“

Endeavors Stimme bebt ebenso wie sein Körper, während er immer noch die Finger in seine Narbe gekrallt hat.

„…Natsuo hat Recht. Ich wusste, dass mein Sohn Probleme hat, und ich…war nicht für ihn da. Ich habe ihn dahin getrieben. In…seinen Tod…und dabei beinahe…noch den Rest meiner Familie verloren.“

Er sieht, wie erneut Tränen zwischen seinen Fingern hindurchsickern. Hört den zitternden Atem, der von dem Versuch zeugt, sich zu beherrschen. Hawks sagt nichts. Er erhebt sich und geht ins Bad, wo er findet, was er sucht. Als er zurückkommt, sitzt Endeavor immer noch so da, wie er ihn zurückgelassen hat.

Wortlos schiebt Hawks den Couchtisch etwas zur Seite und setzt sich vor ihn auf den Boden. Er spürt, wie Endeavor zusammenzuckt, als er unvermittelt nach dessen Fuß greift, die Pinzette in der Hand, das Desinfektionsmittel und Verbände neben sich liegend. Er ignoriert den verwirrten Blick aus geröteten Augen und streicht mit dem Daumen kurz die blutige Fußsohle entlang. Die größere Wunde, die er sieht, hat aufgehört zu bluten. Dafür findet er noch ein, zwei kleinere Splitter, die er mit der Pinzette entfernt. Endeavor gibt keinen Laut von sich.

„Weißt du“, beginnt Hawks nach einer Weile. „Ja. Du hast schon ziemlichen Mist gebaut – und seine Kinder zu schlagen, geht echt gar nicht. Egal, aus welchem Grund…oder ob es nur das eine Mal war. Aber das weißt du. Eigentlich muss ich dazu gar nichts sagen. Zu dem, was du dir vorwirfst. Und selbst wenn ich dir jetzt sage, dass du nicht daran schuld bist, dass dein Sohn euer Haus angezündet hat und dabei umgekommen ist, wirst du dich dennoch schuldig fühlen, nicht wahr? Es spielt keine große Rolle, was ich sage oder denke.“

Hawks sprüht Desinfektionsmittel auf die verletzte Haut, sieht nicht auf, während er spricht.

„Trotzdem. Du hast zwar viel dazu beigetragen, dass er gewisse Entscheidungen trifft, aber letztendlich…hat er selbst entschieden, zu was für einem Menschen er wird. Eine schlimme Kindheit ist kein Freifahrtschein für schlimme Taten – und so wie ich das verstanden habe, hatte er ein Suchtproblem. Kranke Menschen benötigen Hilfe, ja, aber nicht alle nehmen sie an.“

Wie gut er selbst das weiß, das sagt er Endeavor nicht. Weil Hawks nicht vorhat, in diese Opfer-Sparte zu rutschen. Weil er nicht will, dass Endeavor ihn anders ansieht und Parallelen erkennt. Weil er nicht will, dass der Ältere meint, Hawks‘ Entscheidung für ihn treffen zu müssen.
 

„Es kann sein, dass es nichts geändert hätte, wenn du ihn zurückgeholt hättest. Vielleicht wäre er wieder weggelaufen. Manchmal ist es zu spät, um etwas zu ändern. Manchmal auch nicht. Man muss sich ändern wollen. Du kannst nicht ändern, was passiert ist, aber du hast selbst gesagt, du hast versucht, ein besserer Vater zu sein. Du versuchst, ein besserer Mensch zu sein, und du hast dich selbst bestraft, indem du dich isoliert hast. Ehrlich, Endeavor-san…mehr kannst du nicht tun.“

Er beginnt, den Verband um seinen Fuß anzulegen, wobei in ihm wieder diese Bitterkeit aufsteigt. Warum können seine Eltern nicht den Willen haben, sich zu ändern? Gleichzeitig fragt er sich, ob er ihnen heute noch verzeihen wollen würde. Er weiß es nicht. Das Misstrauen wäre wohl immer da. Er hat jedoch auch nie große Zuneigung von ihnen erhalten, sodass es vermutlich einfach seltsam sein würde. Fühlen sich Endeavors Kinder genauso?

„Du kannst niemanden zwingen, dir zu vergeben. Das muss dir klar sein. Ebenso, wie du dir langsam eingestehen solltest, dass du ein Alkoholproblem hast.“

Hawks sieht nun doch auf, als er es ausgesprochen hat, wobei er seine Hände auf dem verbundenen Fuß ruhen lässt. Es ist das, was er die ganze Zeit schon denkt, aber nicht zu wagen gesagt hat. Es ist eigenartig, dass er es jetzt tut. Aber es steht gerade alles auf der Kippe und Endeavors Reaktionen sind es, die den weiteren Verlauf ihrer Beziehung entscheiden werden. Fakt ist, dass Hawks zwar verliebt und dadurch gehemmt ist, jedoch hat er nicht vor, bei jemandem zu bleiben, der ihn mit sich in den Abgrund reißen wird.
 

Endeavor sieht ihn mit einem Blick an, der schwer zu definieren ist. Wenigstens widerspricht er ihm nicht. Er scheint nicht zu wissen, was er erwidern soll, denn seine Lippen bewegen sich zunächst stumm. Hawks gibt ihm Zeit, bleibt zu seinen Füßen sitzen und wartet, während er ihn ruhig anschaut.

„…warum…?“

Der Blonde runzelt die Stirn, neigt leicht den Kopf.

„Warum?“, wiederholt er.

„Warum…redest du so, als…wüsstest du, wie das ist?“, entkommt es Endeavor und Hawks spürt, wie ihm heiß und kalt wird.

Vielleicht sieht man es ihm an, dass ihn die Frage aus dem Konzept wirft. Vielleicht merkt Endeavor, dass das ein Tabuthema ist. Andererseits hat der Mann gerade sein eigenes gebrochen. Dennoch will Hawks nicht darüber reden. Nicht in dieser Situation.

„…und warum hört sich das so an, als würdest du trotzdem bleiben?“, fragt der Ältere weiter und klingt dabei erschöpft.

Ja, warum. Die Fragen sind an sich einfach zu beantworten, doch Hawks widerstrebt es. Er nimmt neben ihm auf der Couch Platz, wobei er sich im Schneidersitz auf eben jene setzt und sich zu ihm dreht.

„Weil ich in dich verschossen bin. Weißt du doch.“

Es ist die Wahrheit, aber auch ein Stück weit Manipulation, damit Endeavor vergisst, was er zuerst gefragt hat. Sich aus unangenehmen Situationen zu winden, hat er drauf. Leider ist der Rothaarige von seinen Worten weniger beeindruckt, als sich Hawks erhofft hat, denn seine Miene verändert sich kaum.

„Wenn du nicht antworten willst, lass es halt“, knurrt er ungehalten und wischt sich über das Gesicht.

Seine Worte sorgen bei ihm für ein schlechtes Gewissen, sodass Hawks seufzt.

„Okay, hör zu, das hier ist nicht leicht für mich, klar? Es ist wahr, dass ich dich wirklich gern habe, aber was du eben erzählt hast…ist ziemlich hart. Ich muss das erstmal verdauen, aber ich will dich jetzt auch nicht allein lassen – und versuch gar nicht erst, mich loszuwerden. Ich bleibe hier. Mina übernimmt bestimmt meine Schicht. Ich lerne den Tag über und du nüchterst aus. Heute Nacht penne ich auf der Couch und morgen…sprechen wir noch mal. Was meinst du?“

Es ist der einzige Mittelweg, der für Hawks vereinbar ist. Endeavor in diesem Zustand sich selbst zu überlassen, wäre leichtsinnig. Auf die Weise kann Hawks nachdenken und dennoch bei ihm sein. Die Geschichte hängt ihm nach.

Endeavor presst die Lippen erneut zusammen und nickt verkrampft. Scheinbar hat er tatsächlich geglaubt, dass Hawks es direkt beenden wird. Nun, was soll er sagen? Er ist Kummer gewöhnt. Außerdem hat Endeavor ihn die ganze Zeit vor sich gewarnt und er hat es ignoriert. Weil er es nicht sehen wollte. Einmal glücklich sein.

„Okay“, würgt Endeavor hervor und Hawks lächelt schief.

Er kann nicht anders, als sich vorzubeugen und die Hand auf seinen Unterarm zu legen. Er drückt diesen kurz, ehe er sich wieder löst und sich erhebt.

„Ich bestell uns gleich mal was zu essen. Überleg schon mal, was du willst. Außer Whiskey hast du ja nichts im Magen, mh? Leg dich hin. Ich kümmere mich um alles.“

Er will sich abwenden und in die Küche gehen, doch Endeavor packt sein Handgelenk und hält ihn fest. Fragend sieht er ihn über die Schulter an, aber der Ältere weicht seinem Blick aus.

„Ich…du musst nicht…es tut…ich…danke.“

Während des Gestammels lässt er seine Hand wieder los und auch, wenn er so aussieht, als wenn er noch etwas sagen will, belässt er es dabei. Hawks merkt, wie sein gebrochener Anblick etwas in ihm rührt. Das kann er nicht verhindern. Vielleicht will er es auch nicht.

Er lächelt abermals, so gut es geht.

„Wie gesagt, ist okay. Leg dich hin.“

Damit geht er in die Küche und macht sich erstmal daran, die Scherben zu beseitigen. Während er das tut, fragt er sich ernsthaft, ob er erneut in einem Teufelskreis gelandet ist oder ob das hier ein Neuanfang für sie beide werden kann. Denn wenn er eins weiß, dann dass sie beide kaputt sind. Jeder auf seine eigene Weise.



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