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Das Ende, der Anfang und die Zeit dazwischen

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend! Heute gibt es endlich das nächste Kapitel, das uns in die "Stadt der Liebe" mitnimmt. Was das für Ruha und Ruki bedeutet, werdet ihr gleich erfahren ^^

Nochmal zur Erinnerung:
Die erste Hälfte des Kapitels ist aus Rukis Sicht geschrieben und spielt 2016 auf ihrer Welttour, die zweite Hälfte ist aus Uruhas Sicht geschrieben und spielt 2013 auf ihrer Welttour im gleichen Land wie die erste Hälfte.

Wir freuen uns über Kommentare und wünschen euch viel Spaß!
Keia und Korai Komplett anzeigen

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Paris

*********************** 2016 ***********************
 

„Wir könnten da reingehen.“ Uruha zeigte auf ein typisch französisch anmutendes kleines Restaurant, was Ruki mit einem „Ist mir egal, Hauptsache was zu essen“ kommentierte. Sie waren jetzt schon bestimmt drei Stunden – okay, vielleicht doch eher drei Minuten – unterwegs und suchten etwas zu essen und Ruki war es tatsächlich egal, womit er sich den Bauch vollschlagen konnte. Als er aber Uruhas Finger folgte und einen zweiten Blick auf das kleine Restaurant warf, hatte er eine Art Déjà-vu. Er kannte das Lokal. Sie waren auf ihrer letzten Tour schon dort gewesen. Und eigentlich hatte er keine allzu große Lust, noch einmal dort reinzugehen, denn seine Erinnerungen waren nicht überwiegend positiv gewesen.
 

Reita fackelte aber nicht lange, warum sollte er auch?, und setzte sich in Bewegung. „Sieht süß aus. Und wenns nicht schmeckt, ist es eure Schuld“, kommentierte Aoi, zwinkerte Uruha und Ruki zu und folgte dem Bassisten ohne auf die beiden zu warten. Die Chancen auf einen Rückzug standen schlecht.
 

Ein französischer Kellner begrüßte sie und empfahl ihnen mit ausreichend Gesten einen Tisch im Hinterhof. Es war warm und nach all der Zeit in Bus, Hotel und Konzerthalle hatten die vier nichts dagegen, es sich draußen gemütlich zu machen. Kai hatte sich – mal wieder – für Sightseeing entschieden. Es gab noch zu viel, was er beim letzten Mal in Paris nicht hatte sehen können, hatte er gesagt.
 

Die Dekoration und Anordnung der Tische war anders und beim letzten Mal hatten sie nicht im Hinterhof gesessen, aber Ruki war sich sicher, dass es das gleiche Restaurant war, in dem er 2013 zusammen mit Uruha gegessen hatte. Nur mit ihm. In Paris, der Stadt der Liebe.
 

Verstohlen warf er einen Blick zum Gitarristen, der sich gerade links von ihm an ihren Vierertisch setzte. Ob er sich auch erinnerte? Oder hatte er das Restaurant etwa aus purer Absicht ausgesucht? Ruki verspannte sich. Toll, eigentlich waren die Stunden zwischen ihren Konzerten ja als Entspannung gedacht und jetzt musste er sich mit alten Geschichten rumschlagen, von denen er dachte, dass er längst damit abgeschlossen hatte. Tja, scheinbar falsch gedacht.
 

Ruki atmete durch als der französische Kellner wieder an ihrem Tisch stand, um ihre Getränkebestellung aufzunehmen. Scheinbar sollte er Glück haben und…
 

„Oh! Japanese“, fragte der Franzose, woraufhin Aoi mit einem schrecklich betonten „Oui!“ antwortete. Daraufhin verschwand der Kellner mit einem breiten Grinsen.
 

„Sehr komisch. Glaubt ihr, die haben japanische Karten und er geht die holen?“, fragte Reita verwirrt.
 

„Vielleicht hat er dich auch erkannt und ruft die Polizei, weil du in der Realität so viel hässlicher bist als auf den Tour-Postern“, meinte Aoi grinsend und kassierte sich dafür einen Schlag ins Genick.
 

„Betrug gilt als Straftat, Rei. Das darfst du nicht unterschätzen“, stimmte auch Uruha lachend ein. Ruki war einfach nur still. Ihm war jetzt wirklich nicht zum Lachen zumute. Schließlich wusste er genau, was gleich passieren würde.
 

„Jemand hat einen Kellner bestellt?“, ertönte es plötzlich neben ihm und schon blickte er in ein bekanntes Gesicht. Der japanische Kellner sah leider noch genauso gut und sympathisch aus wie 2013, als er sie das letzte Mal bedient hatte. Ruki erinnerte sich nur zu gut an diese scheinbar charmante Art, die nur eine billige Masche war. Damals hatte sich der Kellner nämlich schamlos an Uruha rangeschmissen. Was für Nerven hatte der Mann bitte? Schließlich waren er und der Gitarrist damals zusammen gewesen! Also … zusammen im Restaurant gewesen. Und es hätte ein Date sein können… auch wenn es keins gewesen war und sich der Sänger das alles wahrscheinlich nur eingebildet hatte.
 

„Es ist aber schön, dass ihr beide wieder den Weg nach Paris gefunden habt. Ist bei euch alles gut?“, fragte der Kellner und schenkte Ruki ein strahlend weißes Lächeln.
 

„Könnte nicht besser sein“, zischte dieser nur zurück. Musste der Schleimer sie auch noch wiedererkennen?! Sicher erinnerte er sich vor allem an Uruha. Rukis war nur der Loser, dem er 2013 den Freund hatte ausspannen wollen. Nicht, dass Uruha damals sein Freund gewesen wäre… Verdammt!
 

„Toll! Das freut mich für euch! Es ist immer schön, wenn es passt und dann auch hält.“
 

„Ja, genau“, antwortete Uruha dem Kellner mit einem nervös klingenden Lachen. „Wir finden das auch ganz toll, dass unsere Band so passt und hält.“
 

Der Kellner sah von Uruha zu Ruki und wieder zurück. Okay, wenn Ruki ihm jetzt eine reinhauen würde, würde der Schleimer dann ruhig sein und sie nicht weiter in die Scheiße reiten? Aber dann würde er Reita im Gefängnis wohl Gesellschaft leisten und die Tour konnten sie sich so ziemlich abschminken. Was war also der Alternativplan? „Wir wollen was bestellen!“
 

Mister Strahlendes-Grinsen reagierte aber gar nicht groß darauf. Er nickte nur und Ruki wusste nicht, ob das ein Ausdruck dessen war, dass er gleich die Karte bringen würde, die er sowieso nicht lesen konnte, oder ob das Nicken zum Gedankengang des Kellners gehörte. Überlegend antwortete er: „Stimmt ja, ihr habt ja eine Band! Das hab ich komplett vergessen. Und die läuft auch gut?“
 

„Hat er doch gerade gesagt“, knurrte Ruki nur. Ihm war der Appetit zwar vergangen, aber je länger sie das Essen herauszögerten, desto länger saßen sie in diesem Restaurant bei diesem Kellner fest.
 

„Ich bin echt am Verhungern…“, warf jetzt auch Reita ein und Ruki wollte ihn fast schon knutschen für die Hilfe, die er ihm in diesem Moment war. Natürlich nicht so richtig. Beim Gedanken ans Knutschen wurde seine Laune nur noch schlechter. Damals waren sie wirklich nicht weit davon entfernt gewesen. Also, er und Uruha. Nicht er und Reita. Und heute…
 

„Ah, natürlich.“ Er legte ihnen die französische Speisekarte auf den Tisch. „Wir haben keine japanische Karte, aber ich kann euch was empfehlen.“
 

„Du kannst uns auch irgendwas bringen“, Aoi machte nur eine wegwerfende Geste mit der Hand. „Wir verstehen eure französischen Begriffe sowieso nicht.“
 

Mister Schleim ließ sich davon nicht beeindrucken und strahlte sein dämliches Grinsen weiter. „Euer Wunsch ist mir Befehl!“ Schnell griff er noch in seine Schürze und zog ein Feuerzeug aus einer der Taschen hervor, mit dem er die Kerze auf dem Tisch anzündete. Kerzen auf dem Tisch. Mittags. Im Sommer. Im Hinterhof. Alles klar, sehr romantisch. Frankreich hatte wohl ziemlich auf den japanischen Kellner abgefärbt.
 

„Der hat doch auch einen an der Klatsche“, lachte Aoi, nachdem der Schleimer gerade wieder durch die Tür nach drinnen verschwunden war.
 

„Eigentlich ist er ganz nett…“ Uruha starrte die Kerze auf dem Tisch an. „Zumindest versteht er uns!“
 

Ruki schnaubte nur und schüttelte den Kopf. Er wollte es dabei auch belassen, aber als Uruha ihm einen verwirrten Blick zuwarf, konnte er sich eine sarkastische Bemerkung einfach nicht verkneifen: „Dass du den Kellner „nett“ findest, war schon 2013 nicht zu übersehen.“
 

„Was soll denn das bedeuten?“
 

„Du weißt genau, was das bedeuten soll“, zischte der Sänger zurück. Er nahm die Speisekarte in die Hand und fing an, energisch durch die Seiten zu blättern. Er konnte zwar kein Wort lesen, aber wenigstens hielt es ihn davon ab, in Uruhas dummes Gesicht zu schauen und dumme Sachen über dumme alte Zeiten zu sagen, die er doch eigentlich schon längst überwunden hatte.
 

„Warum habt ihr denn nicht gesagt, dass ihr 2013 bereits hier wart?“, wollte Aoi jetzt wissen.
 

Stille.
 

Ruki starrte weiter auf die Karte, auch wenn er nichts lieber getan hätte, als Uruha zu einer Antwort zu zwingen.
 

Wieso hatten sie nichts gesagt? Was war diese unausgesprochene Vereinbarung zwischen ihnen, die verhinderte, dass sie über die Vergangenheit redeten? Und wieso hatte Uruha dann trotzdem dieses Restaurant vorgeschlagen? Hatte er tatsächlich vergessen, dass sie hier gewesen waren? Oder wollte er Ruki damit etwas mitteilen?
 

„Vielleicht steht Ruha ja wirklich auf den Kellner und er wollte ihn wiedersehen, aber es war ihm peinlich das zuzugeben“, gab Reita seinen Senf dazu. Ruki knirschte mit den Zähnen, was den Bassisten aber nicht weiter störte, der grinsend noch eine Schippe draufsetzte: „Uruha mag’s wohl französisch.“
 

Ruckartig stand der angesprochene Gitarrist von ihrem Tisch auf, murmelte etwas von der Toilette und war dann verschwunden.
 

Die restlichen Drei blieben verwirrt zurück. Schließlich waren solche Neckereien zwischen den Bandmen auch nicht unbedingt unüblich.
 

„Irgendwie benehmen sich in diesem Restaurant alle ein wenig verrückt“, bemerkte Reita, woraufhin Aoi nickend auf den Sänger zeigte. „Das würde auch erklären, weshalb Ruki die Speisekarte falschherum hält.“
 

Der Sänger schlug genervt die Karte zu und wollte zum Gegenschlag ausholen, als sein Blick auf den Restauranttresen fiel. Uruha war scheinbar nicht bis zur Toilette gekommen. Durch die offene Tür, die ins Restaurant führte, konnte Ruki ihn sehen. Er stand da am Tresen, viel zu nah neben diesem Kellner, den Ruki am Liebsten zur Hölle geschickt hätte, und unterhielt sich mit ihm. Nicht wirklich lange, aber lange genug, dass der Sänger die Zähne zusammenbeißen und sich abwenden musste, um nicht komplett aus der Haut zu fahren.
 

„Wenn du sie besser lesen kannst, dann ließ uns doch was vor!“, antwortete er Aoi viel zu spät und warf ihm zerknirscht die Karte auf den Tisch. Uruha war schon Richtung Toilette weitergezogen und der Kellner verschwunden, als Aoi tatsächlich begann, ein paar der französischen Begriffe begleitet von Reitas unterdrücktem Lachen übertrieben schmierig vorzulesen. Zum Glück saß niemand sonst im Hinterhof. Ruki konnte nicht einmal so tun als fände er es lustig. In ihm wütete ein Chaos von Gefühlen, das meiste davon Wut auf den Kellner, aber auch irgendwie auf Uruha, dass er so offensichtlich auf den schmierigen Franzosen einging. Konnte er sich denn nicht denken, wie sich Ruki fühlte? Der Sänger hatte einmal gedacht, sie würden die Gefühle des jeweils anderen blind lesen können, aber er hatte sich getäuscht.
 

Zum Glück dauerte es nicht lange, bis der Kellner mit dem Essen kam. Er schien so als hätte er versucht, alles auf großen Tellern anzurichten, von denen man sich nach japanischer Art so viel nehmen konnte, wie man wollte. Alles wurde so geteilt und sie konnten problemlos von allem probieren. „Ich wünsche guten Appetit!“, sagte er, als er den letzten Teller brachte. Ruki wünschte sich allerdings nur, dass er nie wieder mit dem Angestellten reden musste. Umso mehr überrumpelte ihn der letzte Satz des Kellners: „Alles ohne Paprika und Pilzen. Hat mir ein Vögelchen gezwitschert!“ Mit einem Augenzwinkern drehte er sich um und verschwand wieder ins Restaurant.
 

Ruki wusste nicht, was er sagen sollte. Paprika und Pilze konnte er absolut nicht leiden. Woher…? Die anderen begannen schon, sich von den Tellern zu nehmen, als er Uruha einen Seitenblick zuwarf. Aoi und Reita stritten sich gerade darum, was man zuerst essen sollte. Uruha erwiderte Rukis Blick flüchtig, während er sich ein Stück Kalbsfleisch nahm. Dann zuckte er vielleicht sogar etwas verlegen mit den Schultern. „Dachte, dass Paprika und Pilze im Essen deine Laune nur noch schlechter machen würden…“
 

„Danke“, antwortete Ruki leise, aber ehrlich. Es schlich sich sogar ein kleines Lächeln auf sein Gesicht, das von dem Gitarristen erwidert wurde.
 

„Und? Wie war der Flirt mit deinem Ex-Lover“, fragte Aoi schmatzend und zerstörte damit Rukis gute Laune sofort wieder. Aber auch Uruha schien seinem Tonfall nach zu urteilen nicht sehr belustigt zu sein: „Was soll denn die Scheiße? Ich hab jetzt nicht mit dem Kellner geflirtet und 2013 auch nicht. Ich war damals mit Ruki hier!“
 

„Was hat denn Ruki damit zu tun, ob du dich an den Kellner ranmachst?“, fragte Aoi verwirrt.
 

Uruha machte nur ein paar Mal wortlos den Mund auf und zu. Ruki wollte aufspringen und ihn schütteln. Er wollte, nein… er MUSSTE eine Antwort auf diese Frage haben.
 

Aber es gab keine.
 

Aoi stritt sich bereits wieder mit Reita und Ruki traute sich nicht, die Frage zu wiederholen.
 

Stattdessen starrte der Sänger auf das Essen, das extra für ihn ohne Paprika und Pilze zubereitet wurde. Und statt einer Antwort bekam er nur ein Gefühl im Bauch, das sich nach Hoffnung anfühlte und nach etwas warmem und kribbeligem, das er so gar nicht fühlen wollte.
 

Er warf Uruha noch einen verstohlenen Blick zu, den dieser genauso flüchtig erwiderte. Aber das reichte schon, um das Gefühl zu intensivieren und Rukis Befürchtung zu bestätigen. Er war so am Arsch…
 


 

*********************** 2013 ***********************
 

Uruha war nervös. Nicht die schlechte Art von nervös, sondern die Art, bei der man sich ein Grinsen kaum verkneifen kann und man irgendwie vergessen hat, wie sich normale Menschen benehmen. Die verliebte Art von nervös also.
 

Der Gitarrist versuchte den Gedanken zu verdrängen, weil er wusste, dass er gefährlich war. Allerdings schien das unmöglich zu sein, solange Rukis Augen im Kerzenschein so unwiderstehlich funkelten, während er ihn wissend anlächelte. Hier, in einem kleinen Restaurant in Paris.
 

Das Lokal hatte bereits auf den ersten Blick romantisch gewirkt und umso mehr hatte es Uruha gefreut, dass der Sänger sofort auf seinen Vorschlag eingegangen war. Tagsüber konnte man hier sicher einige Touristengruppen treffen, aber es war schon abends und an den anderen Tischen saßen nur Pärchen. An den anderen. An ihrem allerdings nicht.

An ihrem saß ein Sänger, der ein wenig gerädert vom Jetlag, aber dennoch scheinbar richtig guter Laune war. Sein Blick huschte über die französische Karte, die auf dem Tisch gelegen hatte, als sie angekommen waren. Der andere Teil des Zweiergespanns war er selbst. Ein Gitarrist, der es nicht lassen konnte, den unglaublich niedlich verwirrten Ausdruck des Sängers zu beobachten. Uruha konnte die Augen gar nicht von ihm wenden und beobachtete Ruki verstohlen über seinen eigenen Kartenrand. Keiner von ihnen verstand ein Wort auf der französischen Karte, aber das war ihm ziemlich egal. Bald würde Ruki die Geduld mit sich selbst verlieren und den Kellner rufen, der ihnen wahrscheinlich auch nicht weiterhelfen konnte. In keiner Situation, in der sich die beiden gerade befanden.
 

Aber Uruha sollte sich irren.
 

Der Gitarrist hob die Hand, um dem Kellner zu winken und ihn zu sich zu rufen, als Ruki erleichtert seufzte. „Das wollte ich auch gerade machen. Wer soll das denn lesen können?“ Er ließ die Karte wieder auf den Tisch sinken und sah den Kellner an, der jetzt neben ihm am Tisch stand. Uruha musste in Grinsen unterdrücken und wandte sich stattdessen dem Franzosen zu, um zu fragen, ob sie nicht auch eine Karte auf Japanisch hatten. Er wusste, dass es völlig utopisch war, aber was sollten sie groß machen? Wenn sie ein „nein“ bekamen, würden sie eben auf irgendwas auf der Karte deuten und beten.

„Veuillez patienter s'il vous plaît“ sagte der Ober aber nur, bevor Uruha irgendetwas fragen konnte, und verschwand in Richtung Küche.
 

Uruhas Blick wanderte zu Ruki, der ihn genauso entgeistert anstarrte. Entweder, weil er einfach so von diesem Franzosen ignoriert wurde oder weil er vielleicht doch eine japanische Karte für sie hatte?
 

Sie saßen noch eine Minute wartend da und als Ruki sich von seinem Platz erhob, befürchtete Uruha, dass der Kleinere gleich in die Küche stürmen und sich beschweren würde. Ein solches Verhalten war für den Sänger nicht ganz unüblich und auch wenn Uruha diese Anfälle sonst immer ehrfürchtig bestaunte, wollte er nicht, dass ihr Date so endete. Wobei das natürlich kein echtes Date war.
 

„Das braucht mir alles zu lange. Ich geh auf die Toilette“, informierte ihn der Sänger.
 

„Und was ist, wenn in der Zeit die Bedienung kommt?“, fragte Uruha, worauf Ruki belustigt schnaubte.
 

„Sollte tatsächlich wieder eine Bedienung auftauchen, dann hast du die Erlaubnis für mich zu bestellen.“
 

„Für dich zu bestellen, ist schrecklich! Du magst so viele Sachen nicht!“
 

„Ein Glück, dass du mich so gut kennst.“
 

Normalerweise hätte Uruha sich weiter beschwert, aber Ruki hatte ihm bei den letzten Worten ein Zwinkern und ein Lächeln zugeworfen, was man in Kombination einfach nur als Flirten interpretieren konnte, und war dann verschwunden.
 

Der Gitarrist seufzte verzweifelt und versuchte sich an alles zu erinnern, was er jemals über Rukis kulinarische Vorlieben gewusst hatte. Er konnte sich nichts Unromantischeres vorstellen, als dem Sänger eine Speise zu bestellen, die dieser abscheulich fand. Aber wenn er Glück hatte, dann kam in den nächsten Minuten einfach keine Bedienung…
 

„Jemand hat einen Kellner bestellt?“, fragte plötzlich eine Stimme und Uruha war kurz so über das Timing verärgert, das ihm gar nicht auffiel, dass er auf seiner Muttersprache angeredet wurde. Aber tatsächlich stand neben ihm ein freundlich lächelnder Japaner in Bistroschürze, der sich von Uruhas verwirrten Blick nicht beirren ließ. „Ihr habt Glück, dass ihr gerade in dieses Restaurant gekommen seid. Japanische Karten sind in Frankreich eine Seltenheit – und japanische Kellner auch“, lachte der Mann. „Darf ich denn eure Bestellung aufnehmen?“
 

„Ähm… Meine Begleitung sollte gleich wieder zurück sein…“
 

„Natürlich. Kann ich euch denn schon etwas zu Trinken bringen?“
 

Die Gitarrist fühlte sich von der Art des Kellners etwas überrumpelt und entschied sich deshalb für eine Gegenfrage: „Was könntest du denn empfehlen?“
 

„Das kommt darauf an. Ist das ein Date?“
 

„Was?!“, quäkte Uruha und sah panisch in Richtung der Toiletten.
 

„Wenn ihr nur Freunde seid, dann würde ich euch Bier empfehlen. Das wird hier zwar nicht so gerne zum Essen gesehen, aber das ganze Restaurant strahlt eine so romantische Atmosphäre aus, dass ein Wein euren Abend nur noch mehr wie eine Verabredung wirken lässt. Das sendet vielleicht die falsche Botschaft. Andererseits…“ Er schmunzelte und warf ebenfalls einen Blick Richtung Toilette. „Seid ihr in Frankreich. Nirgends gibt es so tollen Wein wie hier.“ Er nickte nochmal zur Bestätigung. „Ich empfehle den Wein.“
 

„Dann… nehmen wir den Wein…“ Uruha spürte, wie ihm ganz heiß wurde. Sein Gesicht musste Glühen. Hatte er gerade zugegeben, dass sie auf einem Date waren? Waren sie denn auf einem Date??
 

„Sehr gute Wahl! Wir haben-“
 

„Wir nehmen die Empfehlung des Hauses“, schnitt ihm der Gitarrist das Wort ab. Er hatte jetzt absolut keine Nerven, auch noch auszusuchen, welchen Wein sie denn auf ihrem… Date trinken wollten. Lieber hätte er noch ein oder zwei Minuten Zeit, um ein paar Mal tief Luft zu holen und seine Körpertemperatur wieder in ihren Normalzustand zurückzubringen.
 

Deshalb war er auch sehr froh, als der Kellner nach seinem „Kommt sofort!“ mit einem breiten Grinsen den Tisch verließ und zurück zum Tresen ging.
 

Einen Moment für sich hatte er aber trotzdem nicht, denn er sah Ruki bereits wieder auf ihren Tisch zukommen. „Ist irgendwas?“ Der Sänger setzte sich und warf ihm einen neugierigen Blick zu. „Du siehst aus als hättest du Fieber.“
 

„Nein, alles okay!“, beeilte sich Uruha zu sagen.
 

„Sicher? Wir können auch zurück ins Hotel gehen, wenn du dich nicht gut fühlst.“
 

Er zwang sich den Blick von der Tischdecke zu heben und Ruki anzusehen. „Nein, nur irgendwie war mir plötzlich so warm…“ Seit wann war der Sänger denn so fürsorglich? Ausgerechnet jetzt! Er konnte ihm schließlich kaum sagen, dass der Grund seines Verhaltens der Gedanke war, dass sie auf einem Date waren. Auf einem Vielleicht-Date!
 

„Okay…“ Ruki warf einen zweifelnden Blick Richtung Tresen. „Der Kellner war eben hier, oder?“
 

„Ähm, ja…“
 

„Und? Was hast du bestellt?“
 

„Nur was zu trinken… Er meinte, wir müssten uuuunbedingt den Wein probieren. Bier wollte er mir gar nicht bringen.“ Entschuldigend zuckte Uruha mit den Schultern und versuchte sich wieder zu beruhigen.
 

„Hm, okay. Wein ist gut. Wir sind ja eh in Frankreich. Und zu essen?“
 

„Können wir bestellen, sobald der Kellner wiederkommt? Er ist Japaner, also haben wir gute Chancen, dass wir nicht ausversehen Schnecken bekommen.“
 

Ruki nickte zufrieden: „Dann wird unser Date also doch kein Reinfall.“
 

„Date?“, fragte Uruha gleich aufgeschreckt und sah den Sänger mit großen Augen an.
 

„Naja, wenn das in Brasilien ein Sekt-Date war, dann ist das hier ein Wein-Date“, lachte der Kleinere verlegen.
 

Uruha biss sich auf die Unterlippe. Er sollte etwas sagen. Es konnte doch kein Versehen sein, dass Ruki ihm so offensichtliche Signale gab. Er sollte sagen, dass er wollte, dass sie hier auf einem Date waren. Kein halbernstes Geplänkel, sondern eine richtige, ernsthafte Verabredung, die hoffentlich zu weiteren ernsthaften Verabredungen führte und…
 

„Hier kommt der Wein!“, ertönte plötzlich die viel zu laute Stimme des Kellners, der schon dabei war, ihre Gläser zu füllen. Zu allem Überfluss zwinkerte er Uruha dabei noch zu, was diesen wieder rot anlaufen ließ. Wahrscheinlich hatte der Kellner ihr Gespräch gehört und gesehen, wie der Gitarrist dümmlich seinen Gegenüber angestarrt hatte, während er in Tagträumen versank.
 

Das war alles so peinlich! Ruki musste ihn für den letzten Trottel halten.
 

Uruha versuchte sich zusammenzureißen, aber nachdem er seine Essensbestellung auch nur stotternd hinter sich gebracht hatte und der Kellner wieder verschwunden war, herrschte peinliche Stille.
 

Ruki betrachtete ihn mit bohrenden Blick, bevor er dann doch das Wort ergriff: „Habe ich dir eigentlich schon von meiner neuesten Komposition erzählt?“
 

Uruha wusste nicht, ob er Lachen oder Weinen sollte. Er schüttelte nur stumm den Kopf und ließ den Sänger von aktuellen Ideen erzählen. Die Stimmung lockerte sich wieder, aber dem Gitarristen war auch bewusst, dass er seine Chance an diesem Abend verpasst hatte.
 

Vielleicht auch besser so.
 

Ein erstes echtes Date in Paris war wahrscheinlich auch zu viel des Guten.



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